Einladung
Hector und Kakko kehrten in den Schoss des Zirkels zurück. Sie ließen den Schleusen- und Flurbereich hinter sich, liefen durch die anderen Bereiche bis sie bei den Wohnquartieren einbogen. Im selben Moment schoss ein Kerl um die Ecke. Hector und der Fremde prallten zusammen. Beide musterten sich erstaunt, ehe sie einen Schritt zurück machten.
Der Blick von Kakkos Meister wandelte sich, von erstaunt in undefinierbar.
Eines war er ganz gewiss nicht - verärgert.
Kakko kannte den Fremden nicht. Vermutlich einer der Jäger die sich vorwiegend außerhalb des Zirkels aufhielten und für permanenten Fleischnachschub sorgten. Der fremde Mann war im selben Alter wie Hector. Sein Gesicht war extrem scharf geschnitten, selbst für einen Arashi. Seine Ohren waren spitz. Vermutlich war er ein Mischling mit einem der Albenvölker. Die Haut des Mannes war hell, was sein rabenschwarzes Haar noch dunkler erscheinen ließ. Der stechende Blick des Fremden stand dem seines Meisters in nichts nach.
"Grauen", sagte der Fremde mit einer melodischen Stimme.
"Lieblich", gab Hector zurück.
In einer seltsamen Synchronisation, die Kakko unheimlich war, schürzten beide zur Begrüßung die Lippen und entblößten ihre messerscharfen Kauleisten. Lieblich griff mit der Schnelligkeit einer zustossenden Viper nach Hector, die Kakko unbewusst hinter seinem Meister zusammen zucken ließ. Das Grauen wischte die Hand mit einem Hieb beiseite, den man nur noch als verschwommene Bewegung wahrnahm.
"Immer noch ganz der Alte", kicherte Lieblich.
"Du ebenso, lass die Griffel bei Dir", schmunzelte das Grauen.
"Werde Dein Anhängsel los und folge mir. Einladung", bot Lieblich an.
Kakko spürte, dass etwas anderes in der Luft lag. Die beiden kannten sich, sie waren vertraut miteinander. Sie umschlichen einander wie zwei alte Kater die nicht wussten ob sie ihr Revier verteidigen oder gemeinsam in der Sonne liegen sollten.
"Eine Einladung zu was?", riss Hector Kakko aus seinen Gedanken.
Die Frage war reine Zeitschindung, wie Kuckuck an den grinsenden Gesichtern sah.
"Frischfleisch", kam die knappe Antwort.
"Für lau?", erfolgte die Gegenfrage von Hector.
"Nichts ist für lau", lächelte Lieblich so zuckersüß, harmlos und unschuldig, dass Kakko wusste woher der Kerl diesen sonderbaren Jägernamen hatte.
Hector neigte leicht den Kopf.
"Verzieh Dich Kakko", befahl er leise.
Im gleichen Moment riss er sein Schwert heraus. Die Klingel raste auf den Hals des Arashi zu. Dieser ließ sich nach hinten fallen, so dass Hectors Jian knapp an seiner Kehle vorbeizischte. Mit einer Hand fing sich der Kerl ab, die andere riss das eigene Schwert aus der Scheide und lenkte den zweiten Hieb von Hector um, der ihm sonst das Gesicht gespalten hätte.
Mit einer Ausweichrolle und einem Sprung war Lieblich wieder auf den Beinen und ging sofort zum Gegenangriff über.Keine Sekunde zu früh, den Hector hatte ihm bereits nachgesetzt, so das ihre Klingen aneinander vorbeischabten, als beide parrierten.
Kakko hatte selten Gelegenheit seinem Meister bei einem derartigen Kampf zuzuschauen. Beide Kontrahenten umkreisten einander, schlugen zu und wichen aus, alles wie in einem Kampf des absoluten Grauens. Sie schlugen und parrierten mit einer Geschwindigkeit, mit der nur die besten Schwertmeister mithalten konnten. Ein Tanz auf Messersschneide, Eleganz ausgerichtet auf Leben und Tod.
Weder Hector noch der andere achteten auf ihn. Finstere Konzentration stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Keiner von beiden war bereit einen Fingerbreit nachzugeben. Kakko hatte oft genug die Gelegenheit bei diesem Kampf zusammen zu zucken. Sein Meister wich der Klinge von Lieblich nur Millimeter aus, um selbst direkt wieder anzugreifen. Es war eine Frage der Zeit, wann das erste Blut fließen, oder einer der beiden niedergestreckt würde.
Das Grauen und Lieblich kämpften eine gefühlte Ewigkeit, ehe sich ihre Schwerter ineinander verkeilten und sie sich dabei fast mit den Gesichtern berührten. Kakko wusste, was in solchen Augenblicken folgte. Sein Meister würde seinem Gegner den Dolch in die Eingeweide rammen.
Aber nichts dergleichen geschah. Beide verharrten in dieser Pattsituation, ehe sie sich breit angrinsten.
Kakko dämmerte es schlagartig, die zwei kämpften nicht, sie flirteten!
"Gibst Du auf?", fragte Lieblich.
"Du kannst mich mal", kam die lachende Antwort.
"Darf ich das als JA werten?", grinste der Arashi.
"Ja", stimmte Hector zu.
Beide traten auf ein unsichtbares Zeichen hin zurück, steckten ihre Waffen weg und zogen von dannen. Kakko blieb allein auf dem Flur zurück. Als er den beiden folgte und an der Tür seines Meisters lauschte hörte er die beiden erneut kämpfen.
Diesmal war es ein ganz anderer Kampf.
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