Kapitel 5 - Einladung

  • Einladung



    Hector und Kakko kehrten in den Schoss des Zirkels zurück. Sie ließen den Schleusen- und Flurbereich hinter sich, liefen durch die anderen Bereiche bis sie bei den Wohnquartieren einbogen. Im selben Moment schoss ein Kerl um die Ecke. Hector und der Fremde prallten zusammen. Beide musterten sich erstaunt, ehe sie einen Schritt zurück machten.


    Der Blick von Kakkos Meister wandelte sich, von erstaunt in undefinierbar.

    Eines war er ganz gewiss nicht - verärgert.


    Kakko kannte den Fremden nicht. Vermutlich einer der Jäger die sich vorwiegend außerhalb des Zirkels aufhielten und für permanenten Fleischnachschub sorgten. Der fremde Mann war im selben Alter wie Hector. Sein Gesicht war extrem scharf geschnitten, selbst für einen Arashi. Seine Ohren waren spitz. Vermutlich war er ein Mischling mit einem der Albenvölker. Die Haut des Mannes war hell, was sein rabenschwarzes Haar noch dunkler erscheinen ließ. Der stechende Blick des Fremden stand dem seines Meisters in nichts nach.


    "Grauen", sagte der Fremde mit einer melodischen Stimme.

    "Lieblich", gab Hector zurück.


    In einer seltsamen Synchronisation, die Kakko unheimlich war, schürzten beide zur Begrüßung die Lippen und entblößten ihre messerscharfen Kauleisten. Lieblich griff mit der Schnelligkeit einer zustossenden Viper nach Hector, die Kakko unbewusst hinter seinem Meister zusammen zucken ließ. Das Grauen wischte die Hand mit einem Hieb beiseite, den man nur noch als verschwommene Bewegung wahrnahm.


    "Immer noch ganz der Alte", kicherte Lieblich.

    "Du ebenso, lass die Griffel bei Dir", schmunzelte das Grauen.

    "Werde Dein Anhängsel los und folge mir. Einladung", bot Lieblich an.


    Kakko spürte, dass etwas anderes in der Luft lag. Die beiden kannten sich, sie waren vertraut miteinander. Sie umschlichen einander wie zwei alte Kater die nicht wussten ob sie ihr Revier verteidigen oder gemeinsam in der Sonne liegen sollten.


    "Eine Einladung zu was?", riss Hector Kakko aus seinen Gedanken.

    Die Frage war reine Zeitschindung, wie Kuckuck an den grinsenden Gesichtern sah.


    "Frischfleisch", kam die knappe Antwort.

    "Für lau?", erfolgte die Gegenfrage von Hector.

    "Nichts ist für lau", lächelte Lieblich so zuckersüß, harmlos und unschuldig, dass Kakko wusste woher der Kerl diesen sonderbaren Jägernamen hatte.


    Hector neigte leicht den Kopf.

    "Verzieh Dich Kakko", befahl er leise.


    Im gleichen Moment riss er sein Schwert heraus. Die Klingel raste auf den Hals des Arashi zu. Dieser ließ sich nach hinten fallen, so dass Hectors Jian knapp an seiner Kehle vorbeizischte. Mit einer Hand fing sich der Kerl ab, die andere riss das eigene Schwert aus der Scheide und lenkte den zweiten Hieb von Hector um, der ihm sonst das Gesicht gespalten hätte.


    Mit einer Ausweichrolle und einem Sprung war Lieblich wieder auf den Beinen und ging sofort zum Gegenangriff über.Keine Sekunde zu früh, den Hector hatte ihm bereits nachgesetzt, so das ihre Klingen aneinander vorbeischabten, als beide parrierten.


    Kakko hatte selten Gelegenheit seinem Meister bei einem derartigen Kampf zuzuschauen. Beide Kontrahenten umkreisten einander, schlugen zu und wichen aus, alles wie in einem Kampf des absoluten Grauens. Sie schlugen und parrierten mit einer Geschwindigkeit, mit der nur die besten Schwertmeister mithalten konnten. Ein Tanz auf Messersschneide, Eleganz ausgerichtet auf Leben und Tod.


    Weder Hector noch der andere achteten auf ihn. Finstere Konzentration stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Keiner von beiden war bereit einen Fingerbreit nachzugeben. Kakko hatte oft genug die Gelegenheit bei diesem Kampf zusammen zu zucken. Sein Meister wich der Klinge von Lieblich nur Millimeter aus, um selbst direkt wieder anzugreifen. Es war eine Frage der Zeit, wann das erste Blut fließen, oder einer der beiden niedergestreckt würde.


    Das Grauen und Lieblich kämpften eine gefühlte Ewigkeit, ehe sich ihre Schwerter ineinander verkeilten und sie sich dabei fast mit den Gesichtern berührten. Kakko wusste, was in solchen Augenblicken folgte. Sein Meister würde seinem Gegner den Dolch in die Eingeweide rammen.


    Aber nichts dergleichen geschah. Beide verharrten in dieser Pattsituation, ehe sie sich breit angrinsten.

    Kakko dämmerte es schlagartig, die zwei kämpften nicht, sie flirteten!


    "Gibst Du auf?", fragte Lieblich.

    "Du kannst mich mal", kam die lachende Antwort.

    "Darf ich das als JA werten?", grinste der Arashi.

    "Ja", stimmte Hector zu.


    Beide traten auf ein unsichtbares Zeichen hin zurück, steckten ihre Waffen weg und zogen von dannen. Kakko blieb allein auf dem Flur zurück. Als er den beiden folgte und an der Tür seines Meisters lauschte hörte er die beiden erneut kämpfen.


    Diesmal war es ein ganz anderer Kampf.




    ****

  • Kakko schlug das Herz bis zum Hals, als er sich mit dem Rücken an der Tür hinuntersinken ließ. Er blieb allein in der schützenden Dunkelheit der Himmelsröhre sitzen, während das Grauen sich mit dem Lieblichen beschäftigte. Den Lieblichen hatte er noch nie hier gesehen, aber anhand der Zähne war ersichtlich, dass er einer der Beißer sein musste. Es war Kakko anfangs nicht möglich gewesen, zu erkennen, ob das Balzritual dieser beiden Ernst war oder nur Spaß und er hatte mit dem Schlimmsten gerechnet. Verzogen hatte er sich, trotz des Befehls von Hector, nicht. Dafür war er zu geschockt gewesen, was sich vor seinen Augen abspielte und zu sehr in Sorge um seinen Meister. Er war es nicht gewohnt, dass Hector jemand derart Paroli bot, der für den Zirkel lebte und seine Lehren atmete. Bislang hatte Kakko ihn für unbesiegbar gehalten, nun war er unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt worden. Es gab andere, die ebenfalls so gut waren. In ihrem Leben für den Zirkel waren Kakko und sein Meister gleich. Weder für Hector noch für ihn gab es ein Leben außerhalb der Himmelsröhre. Dies hier war ihr einziges zu Hause.


    Langsam beruhigte sein Herzschlag sich wieder. Er zog die Kapuze herunter, genau wie den Schal und öffnete seine Jacke, unter der eine Wolke von Schweißgeruch hervorkam. Die Angst hatte ihn ein wenig ins Schwitzen gebracht. Er zog die Jacke ganz auf, legte sie zusammen und setzte sich darauf, den Rücken an die Tür gelehnt. Da vernahm er langsame, humpelnde Schritte im Gang. Eine Person von beträchtlichem Kampfgewicht nahte. Kakko beugte sich etwas nach vorn, um zu schauen.


    Oha, er hatte es geahnt. Die Silouette war unverkennbar, der Skolopender kam den Flur entlang, im Schlepptau einen Begleiter und eine Leiche. Er konnte offenbar wieder gehen, die Regeneration seiner Knieverletzung hatte eingesetzt. Seine Ausstrahlung war nun eine andere, als er den sitzenden Kakko aus blutunterlaufenen Augen musterte. Sein sonst silberner getrimmter Vollbart war Dunkelrot, so wie die Kleider über seiner breiten Brust. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt. Einhändig trug er die angefressene Leiche eines Obdachlosen am Genick mit sich, dessen dürre Beine über den Boden schliffen. Seine Armmuskeln spannten sich dabei wie hervorquellende Blasen, darüber zog sich ein Netz dicker Adern. In die Reichweite dieser Arme sollte man besser nicht kommen, wenn er es auf einen abgesehen hatte, Kakko wusste, dass sie wie ein Schraubstock waren und Gliedmaßen und Genicke in Sekundenbruchteilen mühelos brachen. Kakko fühlte sich winzig, wie er da allein vor der Tür saß und der große alte Jäger an ihm vorbeitrottete. Der Skolopender fixierte ihn im Vorbeigehen streng, doch ohne ihn anzusprechen, ehe er wieder nach vorn blickte.


    Hinter dem Skolopender folgte ein zweiter Mann, der ihm gar nicht so unähnlich sah, vermutlich einer seiner Kameraden vom Söldnerlager, in dem er diente. Der Begleiter war nur wenig kleiner als der Skolopender und ein gutes Stück schlanker, aber genau so trainiert. Auch sein Haar und Bart waren bereits ergraut, bis auf die Augenbrauen, die noch schwarz waren, genau wie die Augen. Er warf Kakko nur einen kurzen Blick zu, dann war er schon vorbei. Kakko sah den beiden Kriegern nach. Sie verschwanden samt der Leiche im Quartier des Skolopenders. Ob der andere auch ein Beißer war? Kakko hatte ihn noch nie hier gesehen. Wie es aussah, hatten alle irgendwelche Freunde, von denen er nichts wusste.


    Da Hector offenbar nicht vorhatte, sich in absehbarer Zeit um ihn zu kümmern, erhob er sich, um einen Sklaven damit zu beauftragen, die Blutspur aufzuwischen. Vielleicht konnte er mal nach Arbogast sehen, wenn sonst niemand Zeit für ihn hatte.