Asa Karane Kapitel 06 - Kaltenburg

  • Kaltenburg


    Kaltenburg, der Name war Programm. Eisige Kälte griff nach ihnen, während sie sich von Kaltendorf nach Kaltenburg durch die trostlose Landschaft quälten. Vermutlich fing hier alles mit Kalten....irgendwas an, schoss es Dunwolf durch den Kopf. Der ganze Landstrich war nur dazu geschaffen sich den Arsch abzufrieren, während einem der Wind durch die Haare peitschte und die Ascheflocken einem ins Gesicht bissen.


    Die Taudisschwingen waren gefühlte Meilen entfernt, sie zu benutzen wäre zu auffällig gewesen. Unauffällig in der Kälte zu sterben, war allerdings auch kein glorreiches Ende. Der Weg war nicht weit, schon aus großer Entfernung sahen sie die gewaltigen Mauern von Kaltenburg vor sich aufragen. Im tristen Grau erstrahlten sie von weiter Ferne, so wie hier alles grau in grau zu sein schien. Dunwolfs Laune passte sich der farblichen Umgebung an.


    Beim Marschieren musste er aufpassen, sich nicht auf die Mundwinkel zu treten. Das Dorf war doch gar nicht so schlecht gewesen und zeitgleich sehnte er sich nach seinem heimatlichen Quartier zurück. Was wollten sie eigentlich bei den verfluchten Kaltenburgern? Sie waren Feinde, man sollte sie einfach vernichten, aber nun schnüffelten sie hier herum, ohne Aussicht auf Erfolg. Ihr Vater würde sich ein Ei ablachen, wenn er davon erfuhr.


    Dun schlug den Kragen seines Mantels höher und hielt ihn vorne zu. Aus der Ferne sah es so aus, als würden die beiden Männer durch Schnee waten, aber Schnee war es nicht, der pudrig um ihre Füße aufstob, es war Asche. Asche von all den Kriegen, verlorenen Leben und sonstigen Dingen, denn diese Welt - ihre Welt lag im Sterben. Wenige Lebenspunkte gab es noch, einige waren Familien vorbehalten, die diese eingemauert hatten. Andere wiederum lagen der Natur, aber von Natur konnte man hier nicht wirklich sprechen.


    Ein seltsames Stöhnen erklang und Dun schüttelte genervt den Kopf.

    "Poldi!", knurrte er leise.


    Aber das Stöhnen hielt weiter an. Dunwolf drehte sich wütend um, und starrte auf einen Aschehaufen, der sich langsam erhob und dieses seltsame Stöhnen von sich gab. Höher und weiter stieg der Aschehaufen und nahm dabei langsam die Gestalt eines Mannes an. Ähnliche Haufen bildeten sich nun um sie herum, um das Stöhnen aus einem Dutzend Kehlen bildete den Kontrast zu dem ansonsten stillen, tristen Land.


    Die Körper der Feinde härteten aus und waren farblich kaum vom Untergrund zu unterscheiden, nur in den Augenhöhlen glühte es seltsam rot, wie Feuer, oder brennendes Gestein. Die Asche schien ihnen selbst Waffen in die Hand gedrückt zu haben, andere wiederum standen mit leeren Pranken da. Einen Augenblick lang geschah überhaupt nichts.


    Im gleichen Augenblick wo Dunwolf sein Schwert herausriss griff die Meute an.




  • Die klimatischen Verhältnisse waren unerfreulich. Leopoldius hatte sich das Halstuch vor Mund und Nase gezogen, um überhaupt atmen zu können. Bei der gottlosen Leere, was für ein widerwärtiger Ort, selbst für die Verhältnisse von Asa Karane! Kaltenburg war die Kloake der Insel. Er wollte seiner Einschätzung gerade verbal Ausdruck verleihen, doch bevor er überhaupt den Mund geöffnet hatte, kassierte er von vorn einen Anraunzer. Hä? Er hatte doch seine Gedanken für sich behalten? Was fiel Dunwolf ein, ihn vollzumaulen, bevor er ihm den Grund geliefert hatte? Leopoldius hob den Stiefel, um ihn von hinten in seinen dürren Hintern zu treten, doch da kam Bewegung in die Umgebung, durch die sie wateten. Die Asche erhob sich zu humanoiden Formen, womöglich ein Werk von Nekromantie. Dunwolf riss sein Schwert heraus, fast zeitgleich tat es Leopoldius.


    Für Absprachen blieb keine Zeit, doch es war klar, dass beide Rückendeckung benötigten, weshalb Leopoldius in die entsprechende Richtung wich. Fortan fochten sie Rücken an Rücken. Leopoldius beschloss, sich zunächst auf die Zerstörung der physischen Manifestation zu konzentrieren. Sie hatten sich bislang magisch abgeschirmt, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wenn möglich, wollte er diese Tarnung beibehalten, war sich aber nicht sicher, ob das auf Dauer möglich war. Er fragte sich, wie hier die Kaltenburger überlebten, waren sie immun? Warum duldeten sie solche Kreaturen direkt vor der Falltür? Er stach von unten durch den Brustkorb des ersten Aschewesens.


    "Was sind das?", keuchte er. "Wächter oder Wildlinge? Du hättest mich vorwarnen können!"

  • Das getroffene Wesen zeigte keine Reaktion, es war so, als bohrte Poldi sein Schwert durch nassen Sand, oder eben in diesem Fall durch Asche. Die Kreatur holte selbst zu einem Hieb und Leopoldius verdankte es nur seiner Größe und damit längeren Reichweite, dass ihm nicht die Faust ins Gesicht gedonnert wurde. Haarscharf flog sie an ihm vorbei und er spürte noch den Windhauch der nach verbrannter Asche roch.


    "Woher soll ich das wissen beim Abgrund? Sie verhalten sich wie Wächter, warum sollten die Kalten derart blöde sein und solche Wildlinge vor ihrer Pforte dulden? Tue doch mal endlich was und hör auf die Viecher zu provozieren! Du hast sie mit Deinem Stöhnen angelockt", knurrte Dunwolf zurück und hieb wie wild auf eines der Aschwesen ein.


    Ein Schwertstreich spaltete ein Aschefarbenes Haupt und die Klinge fraß sich durch das feurige Auge der Kreatur. Markerschütternd kreischte sie auf und fiel in sich zusammen.


    "Die Augen Poldi!", kreischte Dunwolf nicht minder grausig, als die gefällte Kreatur.

  • Als das Wesen und Dunwolf aufkreischten, riss auch Leopoldius den Mund zu einem Schrei auf, so dass sie im Trio kreischten. Der einzige Unterschied war, dass der Schrei von Leopoldius voller Triumph war, obwohl sein Gegner noch focht. Im ersten Moment dachte Leopoldius, dass das Wesen hinter ihm bei Dunwolf ihm die Arbeit abgenommen und seinen Bruder getötet hätte, doch sein anfängliches Triumphgeheul verwandelte sich in frustrierte Wut, weil der Kerl offenbar immer noch lebte, quatschte und ihm völlig unnötig Hoffnung gemacht hatte. Wütend stach Leopoldius nach den glühenden Augen der aschenen Kreatur. Sie bekam nun seine schlechte Laune zu spüren, dann die nächste.


    "Unterlasse diese Todesschreie, wenn du nicht stirbst", fauchte Leopoldius.

  • Dunwolf focht als hinge sein Leben davon ab, denn genauso war es auch. Er stach und parrierte, was er konnte. Immer die Augen der Kreaturen als Ziel. Warum Leopoldius gekreischt hatte, fragte er sich. Eine Sekunde später bekam er genau die Antwort. Er hatte ihm scheinbar süße Hoffnung geschenkt und sie keine zwei Sekunden später wieder versenkt.


    Sie beide wirbelten mit ihren Schwertern herum, als die Aschekreaturen schlagartig in sich zusammenfielen und nichts weiter von ihnen übrig blieb, als das woraus sie geschaffen worden waren.


    "Wer seid Ihr?", zischte eine Stimme bedrohlich.


    Dunwolf drehte sich in Zeitlupe um und erblickte einen stämmigen Mann der sich in eine Robe gepresst hatte. Finster sah der Kerl aus, so als hätten sie ihm bei etwas Wichtigem gestört. Gestützt auf seinen langen Stab schaute er argwöhnisch auf die beiden Eindringlinge herab.


    "Das ist Baudoin und ich bin Adrian, wir beide sind auf der Suche nach einer Anstellung. Das schwarze Brett in Kaltendorf werter Herr. Mein Kollege wollte sich als Schreiber und ich mich als Alchemist bewerben bei den hohen Herren der Kaltenburgs", sagte Dunwolf freundlich.

  • Leopoldius nickte knapp. Er holte einen Lappen hervor und reinigte die Klinge seines Schwertes. Er atmete schwer von der kurzen, aber sehr heftigen Anstrengung. "So ist es", keuchte er. "Aber wer seid Ihr, Herr? Könnt Ihr uns dazu verhelfen, ins Innere der Burg zu gelangen?" Er vermutete, der Kerl war der Nekromant, dem sie diesen Hinterhalt zu verdanken hatten. Aber welchen Grund er dazu hatte, stand noch in den Sternen.

  • Der Mann guckte etwas pikiert und zog eine Augenbraue hoch, schien sich aber doch herabzulassen zu antworten.


    "Ihr habt die Ehre mit Alexander von Wittelspitz zu sprechen, Baudoin und Adrian und wie weiter? Ihr könnt von Glück sagen, dass Ihr das Empfangskommitee überlebt habt. Nun denn, folgt mir in die Burg. Dort werdet Ihr überprüft und getestet ob Ihr überhaupt für die Berufe geeignet seid. Falls man Euch diese Chance einräumt.


    Die meisten kommen an den Wächtern nicht vorbei. Vermutlich hattet Ihr mehr Glück als Verstand, wenn ich Euch so ansehe. Wer läuft auch soch durch die Aschenlande? Wie dem auch sei, wollen wir Euer Geschick mal auf die Probe stellen", sagte von Wittelspitz spitz.


    "Bourfeld und Hornstatt. Danke dass Ihr Euch unserer so freundlich annehmt, komm Baudoin, dass lassen wir uns nicht zweimal sagen", flötete Dunwolf, steckte sein Schwert weg und folgte dem alten Magier. Auch von hinten sah er nicht besser aus. Dunwolf hatte Mitleid mit dem Leibdiener, der den Magier jeden Morgen in die Robe schießen musste.

  • Leopoldius schloss sich seinem Bruder an. Gemeinsam vertrieben sie sich die Zeit damit, dem fülligen Mann auf das Gesäß zu schauen. Solche Dimensionen fand man in ihrer Burg nicht, denn die Sklaven bekamen nicht so viel zu Essen und die Herren achteten penibel auf ihre Linie. Leopoldius sah das erste Mal eine so füllige Person. Ob des interessanten Betrachtungsobjekts vergaß er jedoch nicht, auch die Umgebung genau im Auge zu behalten. Die Information von Wittelspitz war interessant - normalerweise begab sich niemand zu Fuß zur Burg. Das konnte man auf vielerlei Weisen deuten. Entweder gab es unterirdische Zugangswege, den Luftweg oder die Kaltenburger lebten in völliger Isolation.


    "Das ist sehr freundlich", heuchelte Leopoldius. "Und wenn die Bemerkung gestattet ist, diese Robe ist ausgesprochen kleidsam. Wo habt Ihr sie schneidern lassen?"

  • Alexander von Wittelsspitz führte die beiden durch eines der großen Tore. Man sah auf Anhieb, dass man hier nicht ohne Weiteres weiterkam. Schmal war die Grenze bis zur nächsten Mauer in der ebenfalls ein kleines Tor eingelassen war, etwas versetzt zu dem ersten. Auch hier passierten sie, blieben aber im Übergang stehen. Von Wittelsspitz erklärte einem der Wächter wer die beiden waren. Eigentlich musste sich ein Mann seines Ranges, nicht vor anderen rechtfertigen, schoss es Dunwolf durch den Kopf.


    Also entweder war Wittelsspitz kein hohes Tier, oder aber sie wurden dem Wächter vorgestellt, damit er ihr Gesicht kannte. Beides konnte ebenso gut möglich sein. Dunwolf nickte dem Wächter knapp zu und der Mann, dessen Gesicht nur aus Helm und einem riesigen buschen Schnurrbart zu bestehen schien, nickte knapp zurück.


    Dann ging es in die tatsächliche Kaltenburg. Als sie den finsteren Gang hinter sich gelassen hatten, öffnete sich vor ihnen Kaltenburg. Eine Stadt hinter einer gigantischen Mauer. Die namensgebende Kaltenburg stand nicht etwa im Zentrum dieses Landes, sondern nordöstlich ausgerichtet zum Kaltendorf hin. Dunwolf schaute sich neugierig um, und versuchte alles mit dem Blick aufzunehmen.


    Das regen Treiben innerhalb der Stadtmauern stand im krassen Kontrast zu dem toten Land vor der Haustür der Kaltenburger. Eine Frau rannte mit einem Korb voller frischer Eier vorbei und wäre fast mit Dunwolf zusammengestoßen. Sie würdigte ihn keines Blickes, dafür schmachtete sie kurz Poldi an und stürmte weiter.


    Sie blickten auf einen kleinen Markplatz, sahen dahinter Wohn- und Arbeitshäuser und natürlich die gewaltige Burg, die Festung und den Wohnsitz der Kaltenburger. Ein Hund schnüffelte an der Hand von Poldi, schnaubte und zog von dannen. Von Wittelsspitz schaute kurz über die Schulter, ob die beiden noch da waren.


    "Die Robe wurde mir von meinem Schneider auf den Leib geschneidert. Deshalb sitzt sie wie eine zweite Haut!", erklärte der Mann und führte sie beide in die Feste.


    Das Tor zur Feste war genauso gewaltig wie nach Kaltenburg selbst. An jeder Seite wurde es flankiert von jeweils vier Wachen. Zwei Krieger und zwei Kampfmagier beobachten Ein- und Ausgang, während Dun und Poldi Wittelsspitz ins Innere folgten. Der Raum der sich nach dem Eingang anschloss, war riesig. Ein Vorraum der einer Halle gleichkam und den Blick auf eine riesige, steinerne Treppe preisgab.


    Jene Treppe stiegen sie jedoch nicht hinauf, sondern sie bogen nach rechts hin ab, folgten dem Magier durch magisch erleuchtete Gänge, bis sie in einem Flügel der Schreibstuben angekommen waren. Wittelsspitz deutete an, dass sie sich setzen sollten.


    "Hier werdet Ihr beweisen, ob Ihr für den Job tauglich seid", sagte er mit einer Stimme, der man anhörte dass er sie gleich sicher wieder nach draußen führen konnte. Vertrauen hörte sich anders an.



  • Leopoldius blickte sich interessiert um, wie man in Kaltenburg lebte. Hier drinnen war von der Schmuddeligkeit Kaltendorfs nichts mehr zu spüren. Es war, als würde man die Welt vor der Mauer am liebsten vergessen. Alles Leben konzentrierte sich auf innen, eine extreme Zentralisierung, vielleicht noch ausgeprägter als die von Hohenfelde. Vielleicht konnte man das ein oder andere Nützliche hier abschauen. Die imposante Treppe konnte sich sehen lassen. Aber nicht nur die.


    "Wirklich ein fähiger Schneider", schmeichelte Leopoldius, während er jede einzelne von der hautengen Robe betonte Speckrolle musterte. Der Mann bekam vermutlich täglich Komplimente. "Entspricht die Enge des Stoffes der aktuellen Mode?" Leopoldius, der solche Fülle das erste Mal sah, spürte, dass er etwas zu intensiv auf das sanft wogende Fleisch geschaut hatte, als er sich setzte und seine Hose kurz schmerzhaft spannte, ehe er die Hosenbeine ausreichend weit hochgezogen hatte, um sich setzen zu können. Immerhin sorgten seine Gedanken für einen sehr friedlichen und verträumten Gesichtsausdruck. "Wie können wir Euch überzeugen? Möchtet Ihr eine Probe meines Schriftbildes sehen oder geht es vielmehr um Geschwindigkeit als Kalligrafie? Oder darf ich mit Inhalten glänzen?"

  • "Ein vorzüglicher Schneider, dass ist gewiss. Mode ist hier was unseren Herren gefällt. Mich müsst Ihr nicht überzeugen, sondern den ersten Schreiber des Hauses Kaltenburg. Zuerst einmal werdet Ihr beweisen müssen, dass Ihr des Schreibens tatsächlich fähig seid. Wir hatten hier schon Bewerben, die haben versucht einzelne Buchstaben abzuzeichnen und meinten das wird schon. Mit Schreiben meinen wir genau dass, Schreiben.


    Den Rest könnt Ihr danach gerne unter Beweis stellen. Je mehr Ihr könnt, je besser wird selbstverständlich Eure Vergütung sein. Solltet Ihr allerdings gelogen haben und nicht einmal des Schreibens mächtig sein, werdet Ihr feststellen wie hoch die Mauern dort draußen sind, während Ihr sie herabstürzt.


    Also wäre es besser, jetzt zu gehen, solltet Ihr gelogen haben. Falls nicht, nun dann viel Erfolg bei Eurem Einstellungstest. Der erste Schreiber wird in wenigen Augenblicken hier sein", verkündete von Wittelsspitz.


    Ein Mann kam um die Ecke geschossen, der selbst für einen Hohenfelde dürre war. Er sah aus wie ein magersüchtiges Wiesel in Robe. Unruhig huschten seine blutunterlaufenen Augen hin und her, ehe sie Poldi fixierten. Die Hand des Burschen schoss ihm entgegen und Dunwolf wäre fast mit einem Sprung wieder auf den Beinen gewesen. Bis ihm klar wurde, das war kein Angriff oder Handkantenschlag, sondern der Typ hatte die Hand zum Gruß derart geschwind ausgestreckt.


    "Helmut Auerhold, erster Schreiber der hohen Kaltenburger. Mitkommen", erklärte er so schnell, dass Dunwolf sich fragte, warum er so schnell sprach. Für Rückfragen blieb keine Zeit, da eilte das Wiesel auch schon wieder los und war um die Ecke geschossen.


    "Na hinterher!", blaffte von Wittelsspitz.

    "Wir kommen!", verkündete Dunwolf und nahm die Beine in die Hand um Schritt zu halten.


    Alles was er von Helmut dem Wiesel sah, war seine wehende Robe als er um die nächste Ecke schoss. Was beim Abgrund nahm der Bursche?

  • Der Handschlag von Auerhold sah aus, als würde er Leopoldius' Herz herausreißen wollen. Mit mühsamer Beherrschung erwiderte Leopoldius den Gruß, da raste der Dürre schon wieder davon. "Es ist mir eine Ehre", raunte Leopoldius. Was für ein Pech. Gerade eben noch hatte er den Leib des Spitzen Wittels gedanklich aus seiner hautengen Robe gepellt, da verdarb ihm diese Stabheuschrecke die wohligen Fantasien. Er musste sich sehr beeilen, um Auerhold überhaupt folgen zu können, weil er nur den äußersten Zipfel seiner Robe hinter einer Ecke verschwinden sah.

  • Dunwolf und Leopoldius prallten fast in das Kreuz von Auerhold, als dieser vor einem Zimmer stehenblieb. Er öffnete die Tür und deutete hinein. Geschäftig wurde dort an großen Stehpulten geschrieben. Keiner der Schreiber schaute auf, sondern war stur in seine Arbeit vertieft.


    "Hier wird die Schreibprobe abgehalten. Fragen? Nein? Gut", rattetere der Mann herunter und schritt an den Ende des Raumes mit seiner üblichen Geschwindigkeit. Er deutete auf zwei Schreibpulte, als wollte er sie mit einem Handkantenschlag in zwei Teile kloppen.


    "Der Erste hier, der Zweite dort!", sagte er und legte jeweils ein Blatt auf die Pulte.

    "Feder und Tintenfass stehen bereit. Abschreiben, ohne Fehler, ohne Kleckse, ohne Eselohren. Fragen? Nein? Gut!", sagte er und deutete Poldi und Dun an sich an die Arbeit zu machen.


    Kaum hatte Dunwolf die Feder zur Hand genommen, ließ Auerhold eine Uhr aufschnappen, starrte drauf und verstaute sie wieder.


    "Anfangen", befahl er und stellte sich ans Raumende um beide genau im Auge zu behalten. Der Text, den sie abzuschreiben hatten lag zusammengerollt oben auf dem Pult.


    Dunwolf entrollte den Text schnell und schaute drauf. Warum beim Abgrund schrieb man hier im stehen? Er breitete das Schreibblatt vorsichtig auf dem Pult aus, hielt es mit einer Hand fest und versuchte zeitgleich die Rolle offenzuhalten, während die andere die Feder in die Tinte tauchte.


    Innerlich verfluchte der Wiesel-Helmut mit ihm allen bekannten Flüchen.

  • Leopoldius überlegte, ob er sich die Zeit für herrlich gleichmäßige Schrift und ausladende Schnörkel nehmen sollte oder ob es hier eher um Geschwindigkeit ging. Am sinnvollsten war es wohl, durch ein Alleinstellungsmerkmal zu glänzen in Anbetracht der Menge an Mitbewerbern. Er blickte sich um. Schnell schreiben konnten hier viele, vor allem vermutlich Dunwolf, der sich nicht hatte töten lassen wollen. Er schenkte ihm ein zähnefletschendes Grinsen, eine Kriegserklärung für diese Prüfung. Seine Entscheidung war gefallen. Er würde Dunwolf in Grund und Boden kalligrafieren!


    Er nahm sich also Zeit und sehr viel Ruhe, so weit das möglich war. Da er keinen Bleistift zum Vorschreiben erhalten hatte, musste er einen gleichmäßigen Rhythmus finden, um ein ebenmäßiges Schriftbild zu erzeugen. Leopoldius benötigte sehr lange, doch was er erschaffen hatte, war frei von Fehlern, extrem verschnörkelt und zudem mit Ornamenten verziert:


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    Als er fertig war und die Tinte trocken, händigte er das Schreiben Auerhold aus.

  • Dunwolf grinste zurück, aber das nützte nichts, denn Leopoldius war nicht nur vor ihm fertig, sein Werk sah auch noch um einiges besser aus. Auerhold nahm beides entgegen.


    "Du hast den Job und kommst in die Schönschriftabteilung und Du, nunja für Randbemerkungen und kurze Informationen wird es schon reichen", sagte Auerhold.

    "Aber ich bewarb mich um eine Stelle als Alchemist!", murrte Dunwolf.


    "Warum verschwendest Du dann hier meine Zeit und Tinte?", keifte Auerhold derart bedrohlich, dass sogar Dunwolf zusammenzuckte.

    "Das war Wittelsspitz Schuld, er hat mich hierher geschickt, der wars!", gab Dun zurück.


    "Raus! Und die nächste rechts, dann wieder rechts. Dort steht es", sagte Auerhold unversöhnlich.

    "Was steht dort?", fragte Dun überfordert.

    "Das Alchemielabor!", zischte Auerhold und schob Dunwolf aus dem Schreibraum.


    Dunwolf starrte die Tür an wie einen Feind, trollte sich dann aber genau in die Richtung des Alechmielabors. Allerdings ging er nicht hinein, sondern wartete auf Poldi, der hoffentlich bald nachkäme. Immerhin mussten sie ihr weiteres Vorgehen abstimmen und Dun wollte nicht, dass ihm Wiesel-Helmut über den Weg lief.


    Auerhold im Schreibraum packte Poldi und lief mit ihm zurück zu Wittelsspitz. Poldi hatte Mühe mit dem dürren Gestell von einem Mann Schritt zu halten.


    "Der ist eingestellt", sagte er und ließ Poldi ohne jeden Abschiedsgruß stehen, so schnell eilte er wieder von dannen.

    "Na schau einer an, Du scheinst Dich ja bewährt zu haben. Sehr schön, wo ist Dein Begleiter?", hakte Wittelsspitz nach.

  • "Ich habe keine Ahnung", keuchte Leopoldius. Vorhin hatte er seinen Bruder tot gewünscht und nun hätte er ihn doch gern an seiner Seite, wo sie sich im Herz des Feindes befanden. Er schielte in Richtung Tür. "Bei irgendeinem Alchemielabor, meinte dieser dünne Mann." Helmut Auerhold erinnerte ihn auf groteske Weise an den Weber. Seine Augen wanderten von der Tür wieder zu dem Dicken. Alle Sorge brach sich an dem weichen Fleisch und zerbarst in einen Schwarm voller flauschiger Nachtfalter. "Aber er wird schon nachkommen. Seid Ihr eigentlich verheiratet?" Er suchte die Wurstfinger des Mannes nach einem Ehering ab. Fragen schadete ja nicht.

  • "Na das ist logisch, da sollte er auch seine Prüfung absolvieren. Nein ich bin nicht verheiratet, weshalb fragst Du?", hakte von Wittelsspitz nach, die Frage war wesentlich freundlicher und milder gestellt, als alles was er vorher von sich gegeben hatte.


    Er musterte Poldi von oben bis unten und fragte sich woran dieser junge Bursche eigentlich genau Interesse hatte. An einem Job, an ihm, an seiner Robe oder an seinem Schneider? Heute waren ihm schon die absonderlichsten Leute begegnet.


    Während dessen wartete Dunwolf vor dem Alchemielabor und hockte sich vor die Tür. Keine Sau machte auf, oder schaute nach dem Bewerber. Was der eine zu schnell war, war der andere zu langsam. Er wartete fast eine halbe Stunde, bis ihm einfiel, dass er vielleicht mal klopfen sollte.


    "Herein!", schallte eine weibliche Stimme aus dem Labor.

    Die Stimme klang tief, verrucht und Dunwolf konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Schwungvoll öffnete er die Tür und schaute in ein Gesicht, dass vermutlich vor der Zeit selbst noch gemeißelt worden war.


    "Ich sollte mich hier für den Alchemisten bewerben, ich meine als Alchemist", sagte er und schätze wieviele Jahrtausende die Frau auf dem Buckel hatte.

    "Nur herrein, Josefine Schreckentorf mein Name. Ab an den Tisch und braue eine einfache Lebensmixtur zusammen", sagte die Frau, die mehr Falten hatte als ein Gebirgsmassiv.


    Dunwolf schaute über Labor und setzte dann an, eine Lebensmixtur zusammenzubrauen. Er hoffte Schreckentorf wäre damit zufrieden.


    Alchemielabor:

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  • "Ich frage, weil ich zufällig ledig bin", erklärte Dunwolf, ohne den Blick von Alexander von Wittelspitz zu wenden. Er musste sich arg zusammenreißen, ihn nicht einfach zu begrabschen und zu fühlen, wie sich der Speck unter der Robe anfühlte und unter seinen Fingern kneten ließ. Normalerweise war er nicht in der Position, bitten zu müssen oder gar zu balzen. Ihm gehörten seine Sklaven, Leopoldius nahm sich, was er wollte, sofern er den Bedarf verspürte. Das hier aber war anders.


    Die Kaltenburg war mehr als nur Feindesland, auch die Kommunikation war in jeder Hinsicht unbekanntes Terrain. Ein völliger Perspektivwechsel vom Herrn zum Bittsteller. Die Wirtin hatte es ihm ja denkbar leicht gemacht, aber Wittelspitz war ein anderes Kaliber. Natürlich, er hatte es nicht nötig, sich anzubiedern, ihm lag vermutlich die halbe Kaltenburg zu Füßen. Er konnte sich Zeit nehmen, mäkeln und wählen. Dunwolf war hin und weg und stand bis unter den Scheitel voll mit Adrenalin. Er hoffte, dass sie neben ihrer Mission noch ein wenig Zeit fanden, sich den angenehmeren Seiten des Lebens zu widmen.


    "Ein schönerer Mann als Ihr ist mir im Leben noch nicht begegnet", seufzte Leopoldius. "Leider bin ich nur ein einfacher Schreiber und ihr seid ein Magier, der Macht über Aschekrieger hat."

  • "Ja genau so ist es Baudoin, Macht über Aschekrieger und noch einiges mehr. Aber das heißt nicht, dass mich Dein Kompliment ungerührt lässt. Und ich scheine Dich scheinbar auch nicht ungerührt zu lassen, wenn ich das Recht sehe. Ich sollte meinem Schneider wohl weit mehr danken als üblich nicht wahr?


    Da Du den Job bekommen hast, bist Du nun Teil des Haushaltes der von Kaltenburgs. Es ist sicher nicht verboten, wenn ich Dich ein klein wenig herumführe", sagte von Wittelsspitz und machte eine einladende Geste, ehe er voranschritt und Poldi zurück zu dem riesigen Vorraum führte. Gemeinsam stiegen sie die große, steinerne Treppe hinauf und begaben sich in den ersten Stock.


    Hier sahen die Flure schon etwas anders aus. Der blanke Steinfußboden war hier mit schwerem Teppich belegt, so dass man ihre Schritte kaum hörte. Es war warm, die Beleuchtung war heller, aber nicht zu hell um als unangenehm empfunden zu werden. Die Türen die von dem Flur abzweigten waren aus schwerem, massiven Holz. Poldi wusste wie wertvoll Holz war, denn es gab kaum noch welches.


    An einer der Türen blieb von Wittelsspitz stehen und öffnete sie. Poldi betrat mit seinem Begleiter eine große Bibliothek, aber keine von magischer von sondern von Unterhaltungskultur. Einige Tische standen herum, aber ansonsten war der Raum leer. Hier fand man sich ein, wenn man sich die Zeit vertreiben wollte. Aber scheinbar war dies nicht oft der Fall. Alles sah so aus, als wäre hier schon längere Zeit niemand mehr gewesen. Von dieser kleinen Bücherei zweigte eine weitere Tür ab.


    Von Wittelsspitz führte Poldi hindurch und sie standen in einem Raum, der Staubfeudel und dergleichen beherrbergte. Ein winziges, trübes Fenster spendete Licht, ließ aber keinen Blick hinein oder hinaus zu. Wittelsspitz schloss hinter ihnen die Tür und drehte den Schlüssel im Schloss um. Er ließ ihn stecken, ein Zeichen dafür, dass das hier freiwillig oder gar nicht laufen würde.


    "Nun Interesse?", fragte er mit eindeutigem Angebot.

  • Wäre Leopoldius eine Frau, würde man ihn vermutlich nun gedanklich als Dirne bezeichnen, so viel Lüsternheit war in seinem Gesicht zu sehen. Man würde annehmen, dass er sich jedem dahergelaufenen Menschen ohne zu zögern hingeben würde. Dabei war das Gegenteil der Fall. Von den drei Brüdern war er vermutlich der zurückhaltendste. Aber die anregende Gegenwart des Alexander von Wittelspitz ließ das Blut aus seinem Gehirn in tiefere Regionen sacken.


    Leopoldius ließ den Mantel von seinen Schultern rutschen und achtlos auf den Boden fallen. Er legte den Waffengürtel mit dem Schwert auf den Boden. Dann trat er ganz dicht an den dicken Mann heran, seine blauen Augen loderten vor Gier und es fiel ihm immer schwerer, sich zurückzunehmen, je weniger Sauerstoff seinem Hirn zur Verfügung stand. "Es wäre mir eine Freude und eine Ehre", säuselte er. "Darf ich?" Er breitete etwas die Hände aus, die sich so gern auf das weiche Fleisch legen wollten.