Die Weihe des Wächters
Er war in einer Welt aufgewachsen, die den meisten Menschen völlig fremd war. Sie wussten nicht einmal davon, dass neben ihrer eigenen eine Parallelwelt mit eigenen Werten, Traditionen und Gesetzen existierte. So fremd wie den Menschen seine Welt war, so fremd war ihm die Welt der "Zahnlosen". Er kannte weder ihre Sitten, Bräuche noch Tradition, er kannte nur eines - ihren Geschmack.
Er war jung, gerade einmal 19
Jahre alt und er trug bereits seit 5 Jahren die Zähne. Damit schmückte ihn ein
Gebiss, dass ihn anschaulich als das Raubtier kennzeichnete, dass er war. Die
Nacht war seine Zeit und Obenza war sein Jagdrevier. Die Stadt die ihre
Einwohner fraß, beherbergte Beutegreifer die es ebenso hielten und er war einer
von ihnen.
Unter seinesgleichen galt er als
attraktiv, auf dunklere und finstere Art. Zahnlose die ihn zu Gesicht bekamen
fürchteten ihn. Schlank, durchtrainiert, blass wie ein Laken, mit
nachtschwarzen Haaren und stechendblauen Augen. Seine Erscheinung war
bedrohlich, wie die einer Giftschlange, seine Beute empfand nichts als Grauen.
Und genauso nannte man ihn - Das Grauen.
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Man sprach von dem Zirkel, der
Zirkel hatte sieben Nester und jedes Nest hatte einen Wächter. Einen Scharfzahn
der die Familienmitglieder dieses Nestes, dessen Geheimnisse und vieles mehr
bewachte und verteidigte. Sie waren Torwächter und
Schlüssel in einem, gesegnet und geformt durch eiserene Ausbildung und
finsterste Magie. Man nannte sie schlicht Wächter oder die Schlüsselmeister.
Heute war sein Tag, wo er in den
Stand eines Wächters erhoben werden sollte. Schon seit seiner Geburt wurde er
darauf vorbereitet, in die Fußstapfen seines Vorgängers zu treten. Nun war der Zeitpunkt
gekommen.
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Nackt betrat er den Eingang zum
Tempel der Ältesten. Es war ein uralter finsterer Ort voller Schatten. Sie
ließen ihn passieren, denn sie dienten Dun-Haru-Mar im Nexus wie er den
Ältesten in der Physis diente. Dies war der Ort seiner Hoffnung.
Schweigend folgte er den dunklen, gewundenen Gängen, folgte der Spur seiner
Erinnerung und jener Beschreibung die ihn sein Vorgänger gelehrt hatte. Sein
stummer, lautloser Marsch dauert eine Viertelstunde. Vor einer gewaltigen
mattschwarzen Doppeltür blieb er stehen. Die Tür stand heute offen und gab den
Blick in einen monumentalen Altarraum preis.
Die Finsternis in diesem Raum war
so dunkel und greifbar, dass sie selbst die Nacht hätte verschlingen können. Feuerschalen
in denen grüne, magische Flammen loderten zerrissen die Schleier der Dunkelheit
und warfen tanzende Schemen an die Wände. Ein steinerner, glänzendschwarzer
Quader stand in der Mitte des Raumes, geschmückt mit Ketten die keine weltliche
Kraft sprengen konnte. Umringt wurde der Altar von sechs mit Dolchen bewaffneten
Schlüsselmeistern.
Am Kopfende schwebten zwei der
Schatten, Kreaturen die einst im Diesseits und ebenso im Jenseits ihre
Existenz völlig den Ältesten verschrieben hatten. Das Grauen schloss kurz die
Augen und witterte. Die Schatten sahen so tot aus, wie sie rochen. Ihr Duft
bildete mit dem der Kräuter und Essenzen ein Geruchsbild, dass sich für immer
in seine Erinnerung einbrennen sollte.
Der Schlüsselmeister am Ende des
Altars machte eine einladende Geste, der das Grauen folgte. Die Flammen
schlugen höher, als er die Schwelle des Tempel überschritt. Mit einem dumpfen
Grollen fiel die Doppeltür hinter ihm zu.
Es war ein Geräusch, dass Endgültigkeit verhieß. Betrat man den
Weiheraum, verließ man ihn als Schlüsselmeister oder als Toter. Es gab nur die beiden
Möglichkeiten. Den Apparaten an den Wänden, den Tiegeln,
Töpfen und Gerätschaften schenkte das Grauen keine Beachtung. Seine
Aufmerksamkeit galt allein dem Altar.
"Sage mir Aspirant, jagst und tötest Du in Namen der Ältesten?"
"Das tue ich".
"Sage mir Aspirant, wirst Du seine Geheimnisse bewahren, sollte er sie in Dir verschließen?"
"Das werde ich".
"Sage mir Aspirant, bist Du bereit den Segen unseres Gottes zu empfangen?"
"Das bin ich".
"Ältester Du schenkst uns das Leben, das wir leben möchten.
Du bist die umarmende Finsternis, die uns sicher hält.
Du bist die Angst die wir Feind wie Beute kredenzen werden.
Du
bist der Gleichklang unserer Welt".
Synchron
deuteten die Schlüsselmeister mit ihren Dolchen auf den Altar und das Grauen
ließ sich bäuchlings darauf nieder. Hals, Hände und Füße wurden in Ketten
gelegt, während er seine Stirn auf das kalte Gestein drückte. Die Wächter um
ihn herum murmelten leise Gebete.
Die
Flammen verloren an Kraft, die Finsternis im Raum wurde tiefer, fester, sie
gewann an Materie. Aus der Dunkelheit formten sich Haare, sie wirbelten umher
und verdichteten sich zu einem Kokon. Der Kokon wuchs pulsierend in die Höhe
und platzte mit einem nassen Geräusch auf. Die Ältesten standen am Kopf des
Altars und starrten auf den Aspiranten herab. Der süßliche Geruch der Verwesung
breitete sich wie ein schweres Parfüm in dem Raum aus, während sich der
brennende Blick in ihren neuen Wächter zu bohren schien.
"Dun-Haru-Mar", raunten die Schlüsselmeister und Schatten ergeben und gingen auf die Knie.
Die
Trinität umwehte den Altar, messerscharfe Klauen strichen über die Haut des
Grauens. Dies war der Anfang und das Ende. Er wusste es, als er die Finger
seines Gottes auf seinem Körper spürte. Der Älteste war am Fußende des Altars
angekommen.
"In Leid sollst Du erblühen....
mein Wächter.... Schlüsselmeister....", erklärte der Älteste.
Eine Stimme nicht von dieser Welt, gleich dem Schmerz der in den Körper des Grauens fuhr. Ein Stoß wie im Liebesakt, aber das was ihn traf war kein Schwanz, es war nicht einmal Materie. Für das Gräuel, dass in seinen Körper eindrang kannte er kein Wort.
Unerträgliche Qual durchzog sein Innerstes, jede Muskelschicht, jede
Ader, sein Fleisch und seine Knochen und hinterließ nichts als unglaubliche Schmerzen.
Selbst seine Seele kochte vor Elend und grenzenloser Pein.
Die Venen in seinem Nacken traten hervor, als er aufbrüllte. Das Grauen
krümmte sich und er hätte die Haltung eines Fötus eingenommen, hätten ihn die
Ketten nicht daran gehindert. Er rang nach Luft, die er zum Schreien benötigte.
Das war der Anfang der Weihe, nach dem zweiten Stoß war das Stadium der
Schreie vorbei, die einzige Antwort zu der sein Körper noch fähig war, war
unkontrolliertes Zittern.
Zunächst vermutete er, seine Seele wäre ihm entrissen worden, doch sie
war noch dort, festverankert in seinem Körper und etwas bohrte sich in sie
hinein.
Sein Körper war nur noch eine Masse zuckender Muskeln, als sich die
Krallen wieder und wieder in sein Fleisch gruben und ihn zeichneten. Krallen,
Dolche und Magie bohrten sich in seinen Körper, bis die Schmerzen eine
Intensität erreicht hatten, von der er nicht wusste, dass es sie gab.
Sein Atem wurde
schneller und flacher, Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und der
Schädel des Grauens fühlte sich zum Bersten an. Er bis so fest die Zähne
zusammen, dass sie knirschten. Ein Schmerz wie von tausend glühenden Nadeln
durchbohrte seine Seele und seinen Leib.
Das Glutgefühl zerstreute sich für einen Moment in seinem Körper, dann sammelte es sich wieder und wanderten von seinem Rektum erneut seinen ganzen Körper hindurch. Wanderte hier und dorthin, bis sein ganzer Körper davon eingenommen war. Ein gewöhnlicher Mensch wäre bei derartigen Schmerzen längst in Ohnmacht gefallen, vielleicht sogar am Schock gestorben.
Aber er war ja bereits
kein gewöhnlicher Mensch mehr und verfügte schon zu diesem Zeitpunkt über ein
übermenschliches Durchhaltevermögen. Schüttelfrost überfiel ihn, das Einzige
was er noch richtig wahrnahm, war sein schweres Atmen.
Das heftige Zittern und
Schütteln ging weiter. Er hatte keine Kontrolle mehr über sich, und seine minimalen
Bewegungen waren unkoordiniert und ungelenk. Die anderen Wächter sicherten ihn
fester, fixierten ihn, während der Älteste weiter seinen Körper und seine Seele
in Besitz nahm. Dann, ganz plötzlich
waren die Schmerzen verschwunden. Es war, als ob ein heftiger Wind die düsteren
Wolken vertrieben hatte. Ihm erschien alles in
absoluter Klarheit. Irgendetwas zerriss in seinem Kopf, etwas platzte hervor,
wie die Geburt eines neuen Sterns dehnte sich ein grenzenloses Universum im
Inneren seines Verstandes aus. Seine Wahrnehmung verrutschte, definierte sich
neu, änderte sich vollkommen.
Er lachte und schnappte
mit messerscharfen Zähnen nach seinen Peinigern, die sich nach dem Ältesten an seinem Fleisch bedienten.
Minderwertige, primitive
Lebewesen… bloße Zwischenprodukte auf dem langen Weg der Scharfzähne, nicht so
wie er, nicht so wie die anderen Wächter, unserer nicht würdig… sang es in seinem
Blut… in dem Moment brach er zusammen.
Farbe, Blut, Asche, Symbole und Magie vereinigten sich zu einer
einzigartigen Verbindung. Er selbst wurde damit zu einem Artefakt, ein lebender
Schlüssel, dessen Fähigkeiten in seine Seele und seine Haut geschrieben worden
waren. Verankert durch den überlebten Schmerz. Sein Martyrium dauerte Stunden und war erst beendet, als sein Körper
vollständig mit den Symbolen bedeckt worden war.
Er war kein Mensch mehr,
dass wusste er. Das Grauen war so gut wie tot gewesen, er erinnerte sich an die
Kälte und Dunkelheit. Aber er hatte es überwunden, er hatte überlebt. Er wusste nicht mehr wer, was oder wo er war.
Er war etwas Hinterlassenes um seinesgleichen zu schützen.
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