Kapitel 13 - Erkenntnisse und Offenbarungen

  • Erkenntnisse und Offenbarungen

    Etwas unwohl war Vendelin schon, als er in der Kombüse saß und in seinem Tee rührte und ein unerwarteter Gast nahte. Vendelin wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte, als Patrice sich zu ihm an den Tisch setzte. Der junge Mann war nackt, wie die Natur ihn geschaffen hatte, was Vendelin nicht unbedingt als angenehm empfand. Patrice wirkte glücklich und zufrieden, seine Wangen waren leicht gerötet, er hatte keine Augenringe. Tatsächlich wirkte er wie jemand, der gerade einen erholsamen Urlaub durchlebte. Wenn Vendelin in dieses Gesicht blickte, sah er einen Teil von Moritz. Einen, den er nicht sehen wollte, den er als Geisteskrankheit wahrnahm, die seinen Sohn fast umgebracht hatte. Und doch konnte er nicht anders, als auch diesen Teil zu lieben, wie er hier saß und ihn mit der gleichen Mimik ansah, die seinem Sohn zu eigen war, wenngleich sie nun in getrennten Körpern steckten.


    "Was möchtest du?", fragte Vendelin neutral und blickte Patrice nur ins Gesicht.

  • "Dir eine Information übermitteln. Ich habe die Nacht vor dem heutigen wundervollen Tag gemeinsam mit Tekuro verbracht. Wir nächtigten in der selben Kajüte wie Hector. Womöglich interessiert es dich, zu erfahren, dass Hector ein Spiel zu Dritt ablehnte, obgleich er Tekuro sehr zugetan ist und ihn vor wenigen Wochen noch mit offenen Armen in seinem Bett empfangen hätte. Doch Hector verwies auf dich. Er äußerte Folgendes: Der Mann um den ich werbe steht auf Treue. Nichts wäre hinterhältiger, als um ihn zu werben und weiterhin rumzuvögeln. So lauteten seine Worte. Es scheint ihm sehr ernst zu sein, Vendelin."

  • Vendelin lächelte ein wenig. Patrice hatte keinen Grund, in dieser Sache zu lügen. Sie verband weder Freundschaft noch Feindschaft, sie gingen sich meistens aus dem Weg. Nun aber legte Vendelin seine Hände unter Patrices Ohren, um ihn auf die Stirn zu küssen.


    "Hab dank. Bitte pass ein wenig auf deine Gesundheit auf. Du wirkst sehr ausgeglichen und im Reinen mit dir und der Welt. Das kannst du auf Dauer nur genießen, wenn du auch auf dich achtest und dies nicht allein deinem Herrn überlässt. Ich fürchte, um dich auszubremsen, ist er ein wenig zu weich."


    Vendelin erhob sich, ließ seinen Tee stehen, den irgendein Matrose aufräumen würde, und machte sich auf, um Hector aufzusuchen.

  • Als Vendelin die Kabine von Hector betrat lag dieser auf dem Bett im Spagat und hatte den Oberkörper auf dem vorderen Bein abgelegt. Er schaute zu seinem Gast auf und schenkte ihm ein einladendes Lächeln. Er drehte den Oberkörper zur Seite weg, zog das Bein nach hinten und sich dabei selbst auf den Hintern zurück. Ven hatte den Eindruck, dass Hec für eine Schlangenmenschenvorführung übte, aber natürlich wusste er, weshalb der Schlüsselmeister derart trainierte.


    "Dehnübungen", erklärte Hec freundlich.


    "Vor dem Üben des Schwertkampfes sind Dehnübungen angesagt, anschließend vor das Üben der Beinarbeit und dann der tatsächliche Kampf bestehend aus Stichen und Hieben mit dem Jian. Hat man einen Übungspartner folgt das zum Schluss. Beinarbeit wird stets gesondert trainiert, da in Kombination mit dem Jian keine Zeit dafür ist sich auch noch auf seine Füße zu konzentrieren. Wie bei einem Tänzer müssen die Schritte sitzen, sonst war es das bevor man das Schwert überhaupt eingesetzt hat. Aber Du bist nicht hergekommen um eine Übungsstunde zu erhalten oder mir dabei zuzusehen. Was verschafft mir die Ehre Deines Besuchs Ven? Sehnsucht?", fragte Hector gut gelaunt und klopfte neben sich aufs Bett.


    Er hielt einen Moment inne und schloss etwas die Augen. Ven konnte nicht sagen ob er auf etwas lauschte oder bewegungslos witterte.


    "Der fremde Schlüsselmeister... er ist hier, gerade angekommen", raunte das Grauen dem Aal zu.

  • Vendelin schmunzelte. Normalerweise hätte er nun die Aufforderung überhört und sich auf das gegenüberliegende Bett gesetzt. Die Worte von Patrice waren es, die ihn die Einladung annehmen ließen. So ließ Vendelin sich am Fußende des Bettes nieder. Hector sah wunderbarer aus denn je, als er sich bog und wand, um seinen Körper in Form zu halten. Es musste schön sein, ihn so in den Armen zu spüren.


    "Ich bin hier, da ich der Meinung bin, dass unserem ganz eigenen Tanz mit Worten noch einige Schritte folgen sollten. Ich dachte nach und befand, dass klare Worte notwendig sind. Nichts, das einem Wigberg leicht fällt, so offen muss ich sein. Besonders nicht, wenn diese Worte ihn selbst betreffen. Selbst jetzt rede ich in der dritten Person von mir, als wäre ich mir selbst ein Fremder und vielleicht bin ich das geworden in den letzten Jahren.


    Ich habe unsere bisherigen Worte der gegenseitigen Zuneigung und das tiefe Verständnis zwischen uns sehr genossen, doch bislang nicht für ganz Ernst genommen. Ich bin niemand, der in seinem Leben schon oft geworben hat oder umworben wurde. Es gab andere Prioritäten und auch diesmal erschien es mir eher wie ein Spiel, ein angenehmer Zeitvertreib. Nun kann ich mich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass du jedes Wort genau so meintest, wie du es sagtest und dass du ein ernstes Interesse an mir hast."


    Die folgenden Worte zu sprechen, fielen ihm sehr schwer. Er mochte Hector und dass dieser sich des Abends in seine Gedanken schlicht, machte ihm Sorge. Er mochte ihn schon viel zu sehr.


    "Du bist ein kluger, charmanter und fähiger Mann, Hector. Es sollte dir nicht schwer fallen, dich anderweitig zu trösten, sollten deine Bemühungen scheitern. Ich bin keine gute Partie, wie angenehm unser Beisammensein sich bislang auch gestaltete. Und wenn ich den Gedanken zulasse, dass wir Seite an Seite stehen, nicht nur als Verbündete, sondern verbunden auf eine noch viel tiefere Weise ... sehe ich deine Enttäuschung. Du bist Menschen wie Kirimar und Jimena gewohnt, wie die anderen waren, weiß ich freilich nicht, doch in der Regel hat man ein sich wiederholendes Schema, das sich durch das eigene Beziehungsgefüge zieht gleich einer pulsierenden Ader. Und in deines scheine ich nicht hineinzupassen, Hector.


    Ich habe die Zeit mit dir sehr genossen und ich will nicht verschweigen, dass ich diese Erkenntnis bedaure, aber ich glaube nicht, dass du mit mir glücklich werden kannst. Diesen Tanz fortzusehen, trotz dieser Ahnung, wäre reiner Egoismus von mir."

  • Hector rutschte ganz nah zu Vendelin auf und legte ihm einen Arm um die Schulter.


    "Alles was ich Dir gesagt habe, war die Wahrheit. Es gab für mich keinen Grund Dich zu belügen, oder Dir etwas zu verschweigen. Das was ich verschwiegen habe, tat ich aus Unfähigkeit. Manche Dinge die mich betreffen, kann ich ebenso wenig in Worte fassen wie Du.


    Für die Offenheit und die Komplimente danke ich Dir. Du bist nicht egoistisch, wenn Du Dich sorgst mich als Partner zu enttäuschen. Damit hast Du zuerst an mich gedacht und danach erst an Dich. Eine noble Geste, die gut in eine Beziehung passt. Selbstverständlich ist es möglich, dass Du mich enttäuscht. Ebenso kann ich Dich enttäuschen Vendelin. Sind wir ehrlich Enttäuschungen kann es auf beiden Seiten geben und es wird sie geben. Wir beide können keine Gedanken lesen und jeder von uns hat seinen eigenen Kopf. In einer Beziehung geht es auch nicht darum ob man mal enttäuscht wird, sondern wie man damit umgeht.


    Das ist wie ein Nest zu beschützen und zwar unser ganz privates. Zu so einem engen Zusammenleben gehören Kompromisse Vendelin. Du kannst Dir keine Beziehung wünschen, wo Du Nähe, Geborgenheit und Liebe geschenkt bekommst und zeitgleich möchtest Du weiter in Deinem Haus wohnen und alles soll so bleiben wie es ist.


    Ein Partner ist nicht dafür da, sich in Dein Leben einzufügen wie ein neues Möbelstück in Dein Wohnzimmer. Sondern wie Du weißt, hat alles seinen Preis. Macht ebenso wie Gefühl. Wenn Du niemals enttäuscht werden willst, darfst Du nicht lieben und nicht fühlen. Weißt Du wie oft ich schon enttäuscht wurde? Ich kann es gar nicht zählen Ven. Ab und an habe ich mich sogar selbst enttäuscht. Hinfallen ist erlaubt, liegen bleiben nicht.


    Weder Du noch ich sind Jammerlappen die sich in ihrem Leid wälzen. Wir haben stets getan, was getan werden musste ohne Rücksicht auf Verluste und stets ohne Rücksicht auf uns. Also rede nicht von Enttäuschungen Ven. Gefühlsduselei und Kenntnis um wahr Abgründe sind zweierlei.


    Natürlich gibt es einen roten Faden, jeder hat ein Beuteschema. Du hast ganz gewiss auch eines, aber worum geht es Dir dabei? Wen findest Du attraktiv? Ich finde einige Leute extrem attraktiv, aber als Partner würde ich sie nicht geschenkt haben wollen. Dazu gehört wesentlich mehr, als reine Äußerlichkeit.


    Ich habe auch nicht vor, Dich als Gefährten zu gewinnen, sondern als Ehemann. Ich war bereits einmal verheiratet als junger Mann und ich nahm die Ehe genauso ernst wie meine Aufgabe. Vielleicht sogar noch ernster, denn ich tat etwas dass ich tun musste, obwohl es mir das Herz brach. Es ist lange her und bleibt unvergessen.


    Wir sind verwandte Seelen und Brüder im Leid. Erzähle ich Dir etwas, dann hörst Du es nicht nur, Du verstehst mich. Das ist der gravierende Unterschied. Das Werben ist kein Spaß Vendelin, was immer Du Dir gedacht hast, ich habe Interesse an Dir. Falls Deine Bedingung sein sollte, dass Du mich maßlos enttäuschst, dann halt Dich ran.


    Konsequenz was in so einem Fall passiert, kann Dir Kakko erläutern. Kurzum Du kannst Dir was anhören und machst es zukünftig besser. Wobei manchmal bin ich nachtragend, es kommt also drauf an was Du verzapft hast.


    Wegen Deiner Frage zu Kirimar, wir sind Freunde mit Bonus. Wir beide haben uns mehr voneinander gewünscht, allerdings passen wir in dieser Hinsicht nicht zusammen. Er ist gerne unterwegs, ich habe jemanden gerne an meiner Seite. Er möchte jemanden haben, zu dem er ständig heimkehren kann. Ich möchte jemanden, der erst gar nicht geht. Wir kennen uns genau 20 Jahre Vendelin, hätte ich vor gehabt Kirimar zu heiraten, hätte ich es getan. Ich liebe ihn, ohne Frage genau wie Jimena, aber nicht als Ehemann.


    Das zwischen uns ist anders. Ich bin ebenso keine leichte Kost, was eine Partnerschaft angeht. Wir teilen aber den Großteil unserer Schwächen. Wir haben Verständnis füreinander und wir sehen den anderen tatsächlich. Du hast hinter meine Maske geschaut, genau wie ich hinter Deine. Mich hat es nicht gestört, sondern berührt. Das ist alles was ich Dir sagen kann und ich habe ganz schön viel geredet", schmunzelte Hector.

  • Vendelin ließ wiederstandslos zu, dass Hector den Arm um ihn legte. Der Vampir erntete nicht einmal einen wie auch immer gearteten Blick, denn die Geste fügte sich so selbstverständlich in den Augenblick ein, dass sie Vendelin weder überraschte noch nervös machte. Der Arm war genau da, wo er in diesem Moment hingehörte. Und auch Hector war hier, genau wie Vendelin.


    "Als Ehemann sogar und das, obgleich wir uns kaum kennen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand ansonsten je solche schönen Worte zu mir sprach. Was dich so sicher macht, hast du beantwortet - das Gleiche, was auch ich fühlte, dieses tiefe Verständnis für den Weg durch den Abgrund, für die Fehler des anderen und den Willen, es künftig besser zu machen. Wo findet man das sonst als Männer, wie wir es sind? Verständnis ist etwas sehr Wertvolles in einer Welt, die man selbst kaum verstehen kann.


    Also schön. Reden wir als Männer, denen es ernst ist und die bereit sind, diesen Schritt zu wagen. Ich versuche, es nicht wie ein Verkaufsgespräch klingen zu lassen. Meine Bedingungen sind körperliche Treue, vom Umgang mit Beute abgesehen und Loyalität gegenüber der Familie. Mehr verlange ich nicht. Ob du Jimena und Kirimar rein geistig liebst, ist deine Angelegenheit, so lange du nicht verlangst, dass ich diese Menschen als Freunde oder gar Teil der Familie betrachte.


    Wen ich attraktiv finde, ist nicht einfach zu beantworten, warum fragst du das überhaupt? Es spielt doch für uns keine Rolle. Du bist nun hier, die anderen nicht. Wir beide führen dieses Gespräch, die anderen nicht. Genügt dir das nicht oder war die Frage rhetorischer Natur?"

  • Hector legte den Kopf schief und schaute Vendelin tief in die Augen.


    "Das war garantiert keine rhetorische Frage. Wir sind von der selben Art Vendelin, wir sind Raubtiere. Viele Jäger sind Augenwesen, sie nehmen die Welt vorwiegend über die Augen wahr. Falls Du jemanden anschaust, ihm nachschaust, weiß ich so ob Du Hunger hast oder ob er Dir gefällt. Schau ruhig, das ist ganz natürlich. Solange es nur bei Blicken bleibt, drücke ich beide Augen zu. Ich muss es nur wissen, also wer ist optisch Dein Ding?


    Chizuko habe ich gesehen und dachte damals, was eine Hübsche. Dann habe ich mit ihr gesprochen und ich wusste, ich werde sie heiraten, koste es was es wolle. Sie gehört mir. Sie hätte nach dem Gespräch auch aussehen können, wie ein krummbeiniger Dackel, es hatte jede Bedeutung verloren. Verständnis, oh ja. Wir haben uns nur ein einziges Mal nicht verstanden Ven, als ich sie wegschicken musste. Ich sah sie im Wald wieder, als Tekuro mich gebissen hatte. Mittlerweile hatte sie es verstanden... und ich sie.


    Das Gleiche war es bei uns, alles andere hatte nach unserem Gespräch die Bedeutung verloren. Du bist mein Mann und Du weißt es auch. Gemeinsam werden wir unsere Kinder retten und wir werden es nicht nur besser machen, wir werden ihnen gemeinsam ein wahres Zuhause schaffen. Und das ist erst der Anfang des Weges, denn die wahre Aufgabe ist es, all das auch zu beschützen und zu verteidigen.


    Deine Bedingungen sind akzeptiert, wir beide müssen die Freunde des anderen nicht als eigene betrachten. Aber respektieren werden wir sie. Ich Deine wie Du meine, dass ist nur fair Ven.


    Meine Bedingung ist, dass Du Kakko in unserer Ehe akzeptierst. Er ist trotz seines Alters noch von mir abhängig. Du wirst jedes Kind dass wir zu uns holen, gleich wie alt wie Deine eigenen Kinder behandeln. Ob Kakko, Jus oder alle anderen. Das gilt auch für mich. Gleich welches Kind bei uns wohnt, der andere nimmt es als seines an.


    Du wirst Deinen Enkel als Baby niemals... NIEMALS und unter keinen Umständen mit in unser Zuhause bringen. Falls es sich nicht vermeiden lässt, warum auch immer, lass ihn niemals allein mit mir. Das ist eine Bitte für den Kleinen Ven. Eine aufrichtige Warnung.


    Du stellst nicht in Frage, wer in meinem Nest leben darf und wer nicht. Gleiches gilt für Dein Haus, wer dort wohnt dass bestimmst Du. Mein Quartier teile ich mit Dir, sollten wir das alte Nest erobern. Falls wir ein neues gründen, gestalten wir unser Quartier direkt gemeinsam. Ich weiß dass Du Mineralien sammelst, dafür werden wir einen besonderen Platz finden. Ein nichtssagender Wigberg-Tarnort wird das nicht, sondern ein Ort wo man reinkommt und sagt - ah so ist der Ven. Weil ihn nur Leute betreten, die es wert sind.


    Du fasst meine Waffen nicht an und Du leihst Dir auch keine. Falls Du eines von beiden möchtest, frag bitte vorher. Das wäre es was mir so als erstes einfällt. Wie lange schläfst Du so und wie tief?", fragte Hector vergnügt.

  • "Eine ziemlich lange Liste an Bedingungen, dafür, dass meine nur so kurz war", antwortete Vendelin, doch er klang dabei nicht unfreundlich, vielmehr amüsiert. "Ich schaue überhaupt niemanden nach, da meine Körpersprache zu annähernd hunder Prozent meiner willentlichen Kontrolle unterliegt und ich mir nicht in die Karten schaue. Sollte ich das je tun, mit dem Blick einer Person folgen, so weißt du, dass ich mit diesem Blick etwas bezwecke. Vielleicht will ich, dass jemand ihn wahrnimmt und auf eine Weise deutet, die mir passend erscheint oder vielleicht möchte ich sehen, was diese Person tut, wen sie grüßt und vor allem wie. Lüsternheit hingegen darfst du getrost ausschließen, denn würde ich so empfinden, würde ich das niemanden wissen lassen.


    In einer Sache bin ich nicht einverstanden. Deine Kinder sind nicht meine und meine sind nicht deine. Denn ich erziehe die meinen in meinem eigenen Sinne, ebenso wie du nicht möchtest, dass ich Kakko nach meinen Vorstellungen forme. Es sei denn, wir bitten uns gegenseitig darum, ein Kind dies oder das zu lehren. Ich werde deine Kinder als die deinen akzeptieren und respektieren. Aber sie sind keine Wigbergs und werden keine sein. Als Familienoberhaupt muss ich darauf bestehen, dass der Zweig meinem Willen folgt, denn ich weiß, was ich meinen Vorfahren schulde und was sie von mir erwarten, was genau so für deine Linie zutrifft. Du möchtest nicht, dass ich da irgendetwas im guten Willen zerstöre.


    Meine Wohnung ist kein nichtssagender Wigbergtarnort", sprach Vendelin und nun schmunzelte er. "Sie ist eine elende Rümpelhalde voll mit Unfug, den niemand braucht, am wenigsten ich selbst. Ordnung gehört nicht zu meinen Stärken. Eine meiner Bedingungen wäre noch, nicht in meinen Unterlagen herumzuschnüffeln. Die Wichtigsten sind freilich verborgen, doch ich kann es schlichtweg nicht leiden, wenn jemand in meinen Papieren wühlt und alles ansieht und liest.


    Nun bleibt ein letztes Problem zu klären. Deine fortgeschickte Frau. Ich sagte bereits, ich akzeptiere nichts als die naridische Form der Ehe mit einem einzigen Ehepartner.


    Und woher du weißt, dass ich Mineralien sammle. Plaudertäschlein Patrice, nehme ich an?"

  • "Meine Frau habe ich auf die andere Seite geschickt zu Jannik, sie ist tot. Sie dient Dunwolf auf der anderen Seite als Jägerin, als einer seiner Schatten und so erschien sie mir. Sie warnte mich und gab mir einen Rat, was ich tun sollte. Sie war es auch die Jannik also Kakko zu mir führte. Das glaube ich zumindest.


    Letztens hast Du noch gesagt, wir wären eine Familie und nun trennst Du uns und unsere Kinder?

    Weshalb?


    Kinder anzunehmen heißt genau das, annehmen. Von Erziehung oder Lehre war keine Rede, von Schutz ging ich automatisch aus. Deshalb sagte ich Dir in Bezug auf den Kurzen die Wahrheit. Sicher würde ich ihn nicht auffressen, nicht mehr. Aber ein gebissener Säugling ist sicher genauso grauenvoll oder noch schlimmer. Keine Ahnung was geschehen würde, wenn man einen Säugling beißt und er vampirisiert sich.


    Ven ich werde Deine Unterlagen nicht lesen, ich hab selbst genug Lesestoff für die nächsten 500 Jahre. Also sei unbesorgt, es sei denn Du möchtest es, oder willst über etwas Bestimmtes reden. Ich habe mir Deine Bude wie eine Hafenwartehalle vorgestellt, man kann garantiert nicht erkennen wer dort wohnt. Man kann anhand der Einrichtung nicht mal auf das Geschlecht stimmen. Das war meine Vorstellung. Du bist also der Chaostyp, macht nichts, wir haben Sklaven.


    Woher ist das weiß, spielt keine Rolle. Wichtig ist das ich es weiß. Ich habe mich schlau gemacht und mache es weiterhin", gab Hector zurück.

  • "Sie sind Teil der Sippe, richtig. Aber ich kann sie weder als meine Kinder sehen noch sie wie solche behandeln. Dafür fehlt mir die Bindung, Hector. Es ist schlichtweg eine ehrliche Ansage, genau wie die deine. Du kannst dich nicht beherrschen und ich kann sie nicht lieben. Ich werde Kakko nie als meinen Sohn sehen können, natürlich werde ich ihn trotzdem anständig behandeln und ihm helfen, wenn er meiner Hilfe bedarf.


    Jimena ist tot, sehr schön. Das spart uns unangenehme Szenen", sprach Vendelin nun mit sichtlichem Vergnügen. "Nein, meine Wohnung ist keine Wartehalle, sondern eine Rümpelhalde und dort hinein hat kein Sklave je einen Fuß gesetzt. So soll es bleiben."


    Vendelin, in der guten Stimmung, in der er gerade war, zog ein Bein auf das Bett und drehte sich Hector zu, den er sehr genau musterte.


    "Du möchtest also den Namen Wigberg annehmen und zu mir ins Haus des Chaos ziehen? Habe ich das recht verstanden?"

  • Hector erwiderte den Blick offen und grinste Vendelin an.

    "Die Namenswahl überlasse ich Dir, unseren Wohnort besser nicht", lachte Hec.


    "Stell Dir vor in Deinem Chaos stolpert jemand, den sehen wir nie wieder. Du hortest aber keine Essensreste oder so, wie Archibald oder? Das muss ich wissen, das ständige Gestöhne würde an meinen Nerven zerren. Oder hast Du einen schallisolierten Keller? Dann gehts.


    Guter Vergleich was die Beherrschung und die Liebe angeht, abgemacht. Jimena ist nicht tot, beim Ältesten Vendelin! Chizuko ist tot. Es wird keine unschönen Szenen geben, dass ist klar. Nebenbei ich bin gespannt wann Archi zurückkehrt, ob er Derya rausgehauen hat und ob er hier seinen Stab anschleppt. Kennst Du den Stab? Das sind total die Nasen, aber ich mag sie. Ewig her dass ich sie sah, da war ich noch klein", gibbelte Hector.

  • "Ach, ich verwechselte sie offenbar", antwortete Vendelin nun, während er zurückgrinste. "Ich vergaß, dass manch einer seine Brüterinnen aus sentimentalen Gründen aufbewahrt, wie andere ihre Essensreste. Den Fehler beging mein Vater auch. Ob Archibald es gelingt, die Mutter von Corvin zu retten oder nicht, ist mir vollkommen gleich. Sie ist so wenig eine Wigberg, wie meine Mutter es war oder wie Jimena es ist.


    Die Namenswahl spielt eine nicht unerhebliche Rolle, mein lieber Hector. Sie ist mehr als nur Symbolisch, da sie zeigt, wer die Hosen in der Ehe anhat und entsprechend die Regeln bestimmt. Wenn du den Namen Wigberg annimmst, wirst du als Wigberg behandelt mit aller Konsequenz. Du wirst eingeweiht in die Familiengeheimnisse und du wirst im Gegenzug dazu beitragen, diese zu mehren. Du wirst der Teil eines großen ganzen, ein Teil der wigbergschen Schwarmmentalität, in der die Familie über dem Wohl des Einzelnen steht mit allen Vorteilen, die das bietet.


    Da du nicht in mein Haus ziehen möchtest, wo möchtest du, dass wir wohnen? Mein Arbeitsplatz ist in Beaufort am Palast seiner Majestät.


    Und nein, ich horte keine Leichen. Ich sammle Andenken."

  • Hector ließ sich nach hinten sinken, so dass sie mit dem Rücken an der Kabinenwand lehnten.


    "Grins Du nur. Die Brüterinnen sind bei uns die Sklavinnen, manche heben sie auf, dass stimmt. Ich hänge nicht an ihnen, sie sind nützlich. Das ist alles. Derya ist zwar meine Schwester, aber ganz ehrlich? Archi hat sie so oft aus der Scheiße gehauen, irgendwann ist es auch mal gut. Er sollte keine Gefahr für sie eingehen, dass ist meine Meinung. Und ich habe sie auch schon einige Male retten müssen. Kommt garantiert nicht wieder vor, so oder so.


    Nur mein Vorname und mein Jägername bedeuten mir etwas. Mein Nachname ist nicht der meines Blutes. Er ist eine Tarnung wie Deine Maske Ven, dass habe ich Dir bereits gesagt. Entweder müsste ich Hohenfelde oder Sonnenwalde heißen, ginge es nach meinen Vorfahren. Wieso willst Du die Hosen anhaben, echt jetzt?


    Ich kann einiges an Wissen beisteuern, daran wird es nicht scheitern. Ich dachte wir leben im Nest, im Palast kann ich nicht leben. Und in Souvagne sicher auch nicht. Wobei Tekuro wohnt auch im Palast und in Souvagne, dass wäre Dein Part es möglich zu machen. Vielleicht würde sich auch Prince Ciel drauf einlassen, er fragte ob ich mich bewerben will.


    Aber das war nicht mein Lebensplan, ich wollte den Zirkel übernehmen und nicht Souvagne", gab Hector mit Unschuldsmiene zurück.

  • Vendelin wälzte sich über Hector, jedoch legte er sich nicht auf ihn, sondern stützte sich rechts und links neben seinen Flanken auf. Nach wie vor war sein Blick bestens gelaunt und intensiv prüfend. Seinen Sinnen würde keine Regung von Hector entgehen, während er austestete, wie Hector sich machte und wo womöglich seine wunden Punkte lagen. Vendelin hatte nicht die Absicht, ihm zu schaden, sondern er wollte ihn kennenlernen mit allem, was ihn ausmachte, auch mit seinen persönlichen Schwächen, denn falls er wirklich sein Mann werden sollte, würde er ihn vor diesen schützen. Aller Wahrscheinlichkeit nach nahm Hector dies eher als Stänkern war, als einen kleingeistigen Rangkampf, doch das war es natürlich nicht. Hier gab es keinen Rang auszukämpfen, sie beide waren Alphatiere an der Spitze ihres Zweiges und das würden sie bleiben.


    "Ich kann nicht dauerhaft im Zirkel wohnen, ich sagte doch, ich bin Buchhalter seiner Majestät. Ob du in Souvagne wohnen könntest, das lass meine Sorge sein. Ich bin mir sicher, das wäre möglich, besonders, da Ciel einen Narren an dir gefressen zu haben scheint.


    Den Namen Wigberg kann und werde ich als Familienoberhaupt nicht ablegen. Wenn dein Name als Schlüsselmeister des Zirkels dir nichts bedeutet ... sind wir uns ja einig. Meinen Tarnnamen kennst du bereits, ich bin bekannt als Timothèe Mauchelin oder Onkel Timo. Kaum jemand in Souvagne kennt Vendelin. Darum, in der Öffentlichkeit, nenne mich bitte weiterhin Timo, wie du das gewohnt bist."

  • Hector streichelte Vendelin den Nacken und schloss dabei die Augen, um das Gefühl zu genießen. Vendelin ärgerte und neckte ihn, aber wenn er dazu Lust hatte, dann sollte er seinen Spaß haben.


    "Der Name des Schlüsselmeisters Sieben ist "Das Grauen", der Sohn der Bestie. Archis Sohn heißt Hector. Natürlich werde ich Dich Timo nennen. Darüber musst Du Dir keine Gedanken machen.


    Ob Ciel einen Narren an mir gefressen hat, wage ich zu bezweifeln. Er hält mich vermutlich eher für einen Umstandskrämer der nicht mit Informationen herausrücken möchte. Die Reise ist noch lang Ven, vielleicht lässt er sich von etwas anderem überzeugen.


    Kirimar wird Kakko ebenfalls unterrichten, also wundere Dich nicht. Er ist ein ausgezeichneter Schwertmeister und Kakko kann vieles von ihm lernen. Zudem kennt er sich in Arashima aus, damit Du Bescheid weißt. Nebenbei ich weiß von Deiner Trennung und ich kenne Deinen Ex", sagte Hector leise, öffnete die Augen und hielt Vendelins Blick fest.

  • "Ach herrje, mit diesem Subjekt verdirbst du mir gerade ein wenig die Laune. Woher du ihn kennst, ist leicht herzuleiten, da ein anderer Beißer ihm sehr zugetan ist. Mag er mit ihm glücklich werden, ich bin mit dieser Person durch."


    Ganz so durch, wie er behauptete, war Vendelin allerdings noch lange nicht mit Vittorio. Die Erkenntnis von dessen Spiel und die Trennung hatten ihm innere Qualen beschert, wie er sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Doch es war nur eine Frage der Selbstbeherrschung und der Zeit, um dieses Ärgernis nicht mehr als solches wahrzunehmen. Rational betrachtet konnte er froh sein, ihn los zu sein.


    "Warum erwähnst du ihn? Die Trennung ist unwiderruflich und uns verbindet nicht einmal mehr eine Freundschaft. Uns verbindet so viel, wie es das während unserer sogenannten Beziehung getan hat - überhaupt nichts."

  • "Du testest mich und ich klopfe Dich ab, ich wollte wissen ob da noch was Glut lodert. Bei Dir lodert Wut und Enttäuschung, zu Recht. Zudem ist er wirklich ein Stinkstiefel, sei froh dass Du ihn los bist. Er scheint auch so ein Wanderfalke zu sein. Immer unterwegs und er findet nur dann nach Hause, wenn er etwas braucht. Lieber sagt man seinem Mann doch mal, lass mich mal für eine Stunde in Ruhe, anstatt dass man Wochen oder Monate lang wartet. Dafür ist man nicht zusammen, um dann einsam auf wen zu warten.


    Du hast gewartet stimmts? Ich habe nicht gewartet und deshalb verbindet mich mit Kiri etwas anderes. Etwas dass Dir keine Sorgen bereiten muss. Du hast es nicht nötig auf andere zu warten Vendelin. Wenn er auf so einen Mann wie Dich verzichtet, ist ihm auch nicht mehr zu helfen. Was sucht er? Ainuwar?


    Leg Dich ab und mach es Dir gemütlich, ich bin brav ich kraule Dich ein bisschen", bot Hec an.

  • "Ich habe diesen Mann geliebt und verehrt, seit sich so empfinden konnte. Ich war noch ein Kind, als ich mich in seine Arme flüchtete. Sie waren so warm und stark, sie versprachen viel und hielten wenig. Das Einzige, was ihn bei mir hielt, war ein dubioser Schwur meinem Vater gegenüber. Warum er ihm gegenüber Wort hielt, weiß ich nicht, aber Vittorio sorgte für mich exakt bis zum Tag meiner Volljährigkeit und überließ mich danach ohne Vorwarnung mir selbst. Nichts anderes war ich von meinen Eltern gewohnt, ich war bestürzt über sein Verschwinden, aber arrangierte mich dann doch recht schnell damit.


    Er kehrte in den folgenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder zurück, um nach mir zu sehen und was er mir dann gab, sorgte dafür, dass ich ihn stets bedingungslos willkommen hieß, ganz gleich, wo er sich herumgetrieben hatte und ganz egal, wie lange es diesmal gedauert hatte, bis er zu mir zurückkehrte. Ob Stunden oder Jahre, ich war immer überglücklich, wenn er wieder in der Tür stand und öffnete ihm Tür und Schoß. Rückblickend glaube ich, dass es schlichtweg die Gewohnheit war, die ich noch von meinen Eltern kannte - stets allein gelassen und doch aus der Ferne bewacht und versorgt zu werden - die ich bei ihm fand. Wenn das stimmt, bin ich erst vor wenigen Wochen wahrhaft erwachsen geworden und verdanke diesen Umstand Garlyn."


    Er ließ sich auf Hector niedersinken, nahm den Hut ab und bettete sein Haupt auf dessen Brust. Vendelin schloss die Augen, um die erste Krauleinheit seit sehr langer Zeit zu erwarten.


    "Vittorio ist keine Konkurrenz, Hector", sagte er. "Nur ein herzloser alter Soldat."

  • Hector nahm Vendelin fest in den Arm, mit der anderen Hand kraulte er ihn sanft und liebevoll.


    "Er ist kein herzloser, alter Soldat Vendelin - er ist eine Illusion.

    Ein Trugbild von all dem, was Du Dir so sehr gewünscht hast.


    Die Illusion war so gut, dass er sogar selbst daran glaubte und stets zu Dir zurückkam. Vermutlich hat er selbst nicht gewusst warum und eines Tages wurde es angenehm, bequem und selbstverständlich.


    Garlyn ist ein guter Kerl Ven, auch wenn Du das jetzt nicht glaubst. Wir beide verdanken ihm etwas. Niemand kommt völlig alleine klar, das habe ich auch vor kurzem festgestellt. Und ganz ehrlich unter uns beiden, wollen wir das überhaupt?", fragte Hector und knuffte Ven liebevoll.