Frühstück
Vendelin zählte nicht die Stunden, die er mit Hector in der verschlossenen Kajüte verbrachte. Ab und zu klopfte und rief es, doch sie reagierten nicht. Dies war ihre Zeit. Reden und einträchtiges Schweigen folgte im Wechsel. Sie waren füreinander da, lauschten und spürten. Was zwischen ihnen stattfand, reichte viel tiefer, als man draußen erahnte. Während die einen Ränkeschmiede vermuteten, glaubten die anderen an stundenlange Unzucht, doch weder das Eine noch das Andere geschah. Arm in Arm lagen sie, zwischendurch schliefen sie einige Stunden, um nach dem Erwachen festzustellen, dass das Band noch fester geworden war. Dieser Zauber war nicht von einem Magier. Was sie verband konnte selbst der fähigste Magier nicht erzwingen.
Vendelin genoss, wie langsam sie es angehen ließen. Es war das Gegenteil von dem, was er verabscheute. Er gestattete sich, ein letztes Mal auf diese Weise an Alejandro zu denken.
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Unangemeldet stand er vor der Tür, in seiner ledwicker Tracht, den Seesack über der Schulter, die blütenweiße Chaperon auf dem Kopf wie einen unordentlichen Turban. Alejandro, der sich nun Vittorio nannte. Vendelin wollte ihn rügen für sein Fortbleiben, er wollte ihn einfach aussperren. Stattdessen fiel ihm der Brotkorb aus der Hand und er fiel Vittorio um den Hals. Der küsste ihn mit kratzendem Bart auf den Mund, während er sich hineindrängte, die Tür mit dem Fuß hinter sich zudrückte und Vendelin auf direktem Wege ins Schlafzimmer schob. Dort warf er ihn rücklings aufs Bett und stieg zwischen seine Beine, drückte ihm den harten Schritt schmerzhaft in den Unterleib.
"Langsam", keuchte Vendelin, "bitte etwas langsamer!"
Vittorio antwortete nicht. Er zog ihm alle Kleider vom Leib. Nackt lag Vendelin unter ihm, während der Soldat noch vollständig bekleidet über ihm kniete. Seine Statur war kräftig und obwohl er gepflegt war, roch er nach Krieg. Der Altersunterschied machte ihn noch respekteinflößender. Mit schwieligen Händen massierte er grob Vendelins Schritt, während er ihm in die Augen sah. Es tat weh, doch Vendelin sagte nichts mehr. Er hatte begriffen, dass Vittorio erst Mensch zu ihm sein würde, wenn er seine eigene Art von Hunger gestillt hatte. Vendelin kniff die Augen zusammen, als ein Finger sich hart seinen Weg bahnte. Er drückte in seinem Innersten herum, bis Vendelins Körper mit einer Erektion reagierte. Als es so weit war, zog der Finger sich zurück. Dann folgte ein noch größerer Schmerz. Der Akt war hart und schmerzhaft, Vendelin ertrug ihn. Drei Mal holte Vittorio sich, was ihm seiner Meinung nach zustand, ehe er endlich friedlich neben ihm lag.
Vittorio hob er die Hand, um Vendelins Wange zu streicheln. Nun endlich nahm er sich die Zeit, ihn wirklich anzusehen. "Mein Hübscher", sagte Vittorio.
"Hast du mich vermisst?", fragte Vendelin, während er sich bemühte, die Schmerzen und die aus seinem Körper sickernde Flüssigkeit zu ignorieren. Ein Muskel an seiner Flanke zitterte.
"Hat man das denn nicht gemerkt?", fragte Vittorio. Er strich ihm eine Haarsträne aus der Stirn, um ihn erneut zu küssen. Langsam nun, zärtlich, als würden sie einander sehr viel bedeuten. Sie küssten wie Liebende.
Vendelins Wangen glühten. Er lächelte nach diesem Kuss, während in seinen Augen noch die unterdrückten Tränen des Akts glänzten. "Doch. Das hat man sehr gemerkt."
Erst, als Vendelin Vater geworden war und sein eigener Sohn mit im Hause wohnte, hatte er Vittorio in seine Schranken verwiesen. Vendelin konnte anders, wenn er wollte, das wusste Vittorio nun und auch Vendelin hatte gelernt, dass er das konnte. Er musste es nur wollen, sein Wille war seit jeher seine stärkste Waffe gewesen, die weckte und lenkte, was in ihm wohnte: Vendelin, der Sohn des Wenzel von Wigberg, der die Agenten der Autarkie zu Fall gebracht hatte. Nach der Lektion war der Soldat ausnahmslos höflich gewesen, geradezu kleinlaut. Fortan bestimmte Vendelin die Regeln ihrer fragwürdigen Beziehung. Keine Grobheit, kein Hinwerfen, keine Gewalt und Vittorio musste auch mal unten liegen. Vittorio spielte mit, doch er wirkte unzufrieden. Außerhalb des Bettes war zwischen ihnen alles in Ordnung, doch körperlich war es schwierig. Und so konnte Vendelin nicht verhindern, dass Vittorio irgendwann wieder ging. Diesmal scheinbar für immer.
Die Zusammenhänge zwischen dieser Wende in ihrer Beziehung und Vittorios Verschwinden hatte Vendelin erst später verstanden. Vittorio war niemand, der es schätzte, wenn man ihm seine Grenzen aufzeigte. Nein, das mochte er gar nicht und letztlich war das alles gewesen, worum es ging und warum es nicht mehr funktionierte. Das Spielzeug war unzuverlässig geworden, der Rückzugsort nicht mehr berechenbar. Dabei übersah Vittorio, dass Vendelin ihm die Tür stets wieder geöffnet hätte, dass er ihn aus ganzem Herzen liebte trotz seiner Fehler und ihm all die Jahre treu gewesen war, was man umgekehrt von Vittorio nicht behaupten konnte. Der Soldat ließ Vendelin fallen, als sei er der schäbigste Abfall, weil dieser es gewagt hatte, ihm Paroli zu bieten. Alles andere zählte für ihn nicht.
Was für ein manipulatives, egoistisches Stück Dreck. Für Garlyn hoffte Vendelin, dass er von Vittorio besser behandelt wurde als er.
Vendelin öffnete die Augen und sah Hector. Wie anders war doch, was zwischen ihnen gerade wuchs. Wie viel schöner und richtiger fühlte es sich an als die falsche Zuneigung dieses Wanderfalken, wie Hector ihn bezeichnet hatte.
Weil Hector noch schlief, schälte Vendelin sich ganz vorsichtig aus dessen Umarmung, um sich aus der Kajüte zu schleichen. Mit frisch abgezapftem, noch körperwarmem Blut kehrte er zu ihm zurück. Die große Tasse stellte er auf den Beistelltisch und legte die Lippen auf Hectors Mund, um ihn wachzuküssen.