Kapitel 1 - Fleischeslust

  • Fleischeslust

    Jahr 205 nach der Asche.

    Großherzogtum Ehveros, Ruine Drakenstein.


    Kein anderes almanisches Großherzogtum spürte vom neuen Frieden so wenig wie Ehveros. Der Tag, an dem es Asche regnete, sollte nicht lange ungesühnt bleiben. Man ahnte, dass der damalige Anschlag auf Burg Drakenstein von Ledwick inszeniert worden war, um unter dem Vorwand des Schutzes, der Aufbauhilfe und der Friedenssicherung Ehveros zu besetzen. Die allgegenwärtige Präsenz dreier ledwicker Legionen sprach eine eigene Sprache, ganz gleich, ob diese Soldaten aufräumten und Nahrungsmittel verteilten, sie blieben eine fremde Streitmacht im Land. Wenige Monate später folgte bereits der ersten Gegenanschlag. Vittorio Pollarotti, der das Kommando über die betroffene Einheit innehatte, ließ sich während einer kurzen Pause sichtlich erschöpft neben Garlyn auf dem blanken Rasen nieder. Mit dem Handrücken wischte er über seine Nase. Gesicht und Hände waren so schmutzig wie der Rest.


    »Da wird wohl nichts für dich abfallen«, sagte Vittorio leise zu seinem Freund. »Zu viele Augen.«


    »Zu schade«, antwortete Garlyn. Sehnsüchtig sog der Ghul den Duft der toten Körper ein, der süß seine Nase umschmeichelte. »Sind denn keine Ehveroser darunter?«


    »Zwei oder drei, aber sie werden behandelt wie gefallene Ledvigiani. Jeder ahnt, was in Zukunft geschehen wird. Die beiden Länder sollen, nennen wir es mal, zusammenwachsen. Da können nicht die Toten der Einen behandelt werden wie Abfall, während man die Anderen in allen Ehren bestattet.«


    »Was ist überhaupt passiert?«, erkundigte Garlyn sich, der die ledwicker Soldaten beobachtete. Sie trugen die Leichen, nachdem sie in Leinendecken gewickelt worden waren, zu einem Karren. Schöne, gesunde Männer waren das, die köstlich geschmeckt hätten.


    Vittorio zuckte mit den muskulösen Schultern, während er den Abtransport der Toten um einiges weniger enthusiastisch verfolgte. »Ein Anschlag auf meine Kohorte, die hier zum Beseitigen der Trümmer eingeteilt war. Mehr kann man noch nicht sicher sagen. Wahrscheinlich hängt es mit dem Besuch des Marquis Dijon de la Grange aus Souvagne zusammen. Für die Ehveroser muss es wie eine Schändung anmuten, dass nach der Zerstörung auch noch ein Ausverkauf der Trümmer von Burg Drakenstein stattfinden soll. Ich kann sie schon irgendwo verstehen.«


    »Es sind bloß verdammte Steine«, murrte Garlyn, der dafür keinerlei Verständnis hatte. »Ob sie von der Burg einer besetzten Hauptstadt stammen oder in einem Bachlauf gesammelt werden macht keinen Unterschied.«


    »Und daran«, sprach Vittorio mit schlechter Laune, »erkennt man den Unterschied zwischen einem Naridier und einem Almanen. Du wirst das Prinzip von Heimatliebe nie verstehen, egal wie oft ich versuche, es zu erklären. Behalt deinen naridischen Gedankenschiss für dich. Ich muss wieder an die Arbeit.« Der alte Soldat erhob sich.


    Garlyns Hand schnellte ihm hinterher, um ihn am Hosenboden festzuhalten. Bei einer Pluderhose war das einfach. »Versuchst du, mir trotzdem einen Happen zu sichern?«, fragte er so freundlich und so wenig gierig, wie es ihm nur möglich war, während er seinem Freund den Hintern sauber klopfte, um sich bei ihm einzukratzen.


    Vittorio schaute ungerührt in die Ferne. »Ich kann nichts versprechen und das habe ich dir auch schon vorher gesagt. Wenn du hier herumlungerst, wird dein Hunger nur schlimmer. Geh nach Hause und nimm dir eine Konserve. Heute Abend wird es spät und die nächste Zeit werde ich nicht frei bekommen. Du brauchst also nicht auf mich zu warten.« Damit ließ er Garlyn zurück und gesellte sich wieder zu seiner Truppe.


    Nun genau so schlecht gelaunt zog Garlyn seine Tabaktasche hervor, um sich eine Rauchstange zu drehen. Er machte keine Anstalten, zu gehen. Es war nicht nur die Sehnsucht nach Vittorio, dem er nach dem letzten Streit nur mit größter Mühe hatte folgen können, ohne seine Spur zu verlieren. Als Ghul war er Sklave seiner Triebe, sobald eine Leiche in greifbarer Nähe war. Dieses fleischliche Verlangen war stärker als jede andere Art von Hunger. Der Geruch des Todes hielt ihn hier am Ort der Katastrophe wie eine unsichtbare Fessel, die nur der endgültige Tod hätte lösen können.

  • Matteo Bruno


    Was war nur in diesem Land los? Im Grunde stand es Matteo nicht zu, diese Frage zu stellen, während er seiner Heimat entgegenschritt, doch dieser Gedanke drängte sich unweigerlich auf, als er blickte, was der Krieg mit dem Land machte. Oder eher, was er mit dem Land gemacht hatte. Die Menschen schienen zu hungern. Er selbst hatte Wucherpreise für Essen zahlen müssen, weswegen sowohl sein Geldbeutel als auch sein Magen leer waren, kaum hatte er die Grenze überschritten. Dem ganzen Bilde zum Trotz erblickte Matteo immer wieder Soldaten und Ledvigiani, welche sich sorgsam um die geschundene Bevölkerung kümmerte, um dieser aus den Nachwirkungen des Krieges zu helfen. Eine helfende Hand in einem schwelenden Konflikt, wie ihn sein alter Meister hatte schüren wollen. Mit Matteos Hilfe. Dieser bereute es keine Sekunde, dieses hässliche Gesicht zerfetzt zu haben, wenn er solche Taten gegen seine treue Heimat geplant hatte.


    Mit den Dokumenten in der Tasche bahnte sich Matteo einen Weg durch das kriegsgebeutelte Land, auf der Suche nach jemanden, welcher sich seiner annehmen konnte. Doch die meisten Soldaten wiesen ihn einfach ab, hörten ihm nicht einmal zu, sondern taten Matteo als verrückten Spinner ab, der irgendwelche Geschichten erfand. Dabei wollten sie nicht einmal etwas von den Dokumenten sehen. Sicherlich hatten sie geglaubt, Matteo würde die Geschichte erfinden, um am Ende Geld abgreifen zu können. Doch nur er wusste, dass es absolut nicht der Wahrheit entsprach, sondern er rein aus dem Glauben an seine Heimat handelte. Doch offenbar war sein Wort nicht viel Wert, wenn er die gesamte Zeit auf diese Weise abgewiesen wurde.


    Seine Reise führte Matteo letzten Endes nach Drakenstein, welches einem einzigen, großen Schlachtfeld glich. Die Burg selbst lag in Trümmern, zur dessen Beseitigung die ledvigianischen Truppen eingesetzt worden. Auch hier zeichnete sich ein Bild des Sieges, den Ledwick über das Land gebracht hatte. Vielleicht war an diesem Ort, besetzt mit Truppen Ledwicks, eine Person zu finden, die ihm endlich zuhören würde? Eine Person, die ihn zurück zu seiner Heimat bringen konnte, damit er seinem Zweck des Dienens seiner Heimat zugeführt würde? Doch zuerst musste er überhaupt eine Person davon überzeugen. Oder überhaupt wissen, mit wem er sprechen sollte.


    Jeder der Soldaten musste wissen, wo sein Befehlshaber war und wohin man sich wenden konnte, wenn man eine Frage hatte. Drum machte Matteo einen Schritt auf einen der Soldaten zu. Zwar wirkte der Kerl mit einem wütenden Bürger beschäftigt, dieser zog aber bereits in der nächsten Sekunde von dannen. Zufrieden sah er nicht aus, wohingegen der Soldat schlichtweg genervt wirkte. Zumindest machte seine Miene mit dickem Vollbart keinen gerade glücklichen Eindruck, während er sich selbst Dreck von der Rüstung puhlte.


    Darauf ging Matteo direkt auf ihn zu, stellte sich vor ihn, wich seinem Blick aber aus. „Seid gegrüßt, mein Herr!“, grüßte Matteo mit hinter dem Rücken verschränkten Händen. Er konnte die Füße des Soldaten sehen, welche sich zu ihm wandten, doch für den ersten Moment kam kein Ton. Während um sie herum Trubel war, schienen sie in einer Blase des Schweigens gehüllt, bis einige Sekunden vergingen.


    „Was ist denn bitte mit dir los? Kannst du nicht geradeaus schauen wie jeder andere auch?“ Der Spott lag in der Stimme des Soldaten. Offenbar wusste er nicht, wie man diente und dass man Höhergeborenen mit einem derartigen Respekt begegnete. Doch Matteo wollte ihm nicht verübeln, hatte er selbst nicht das Privileg, dagegen aufzubegehren.


    Weiterhin auf den Boden blickend, antwortete Matteo schließlich: „Mir geht es gut. Ich will Euch ausschließlich den nötigen Respekt zollen, den Ihr verdient, mein Herr.“ Vor ihm klimperte es. Die Füße traten auf und ab.


    „Ah ja. Was auch immer du geraucht hast, du solltest besser die Finger davon lassen. Na ja, egal. Was willst du?“


    „Ich wünsche eine Audienz bei einem höheren Befehlshaber, wenn es mir gestattet ist, mein Herr. Ich habe Briefe und Dokumente, welche auf ein Netzwerk bestehend aus Adligen hinweist, welche sich gegen die Befreiung Ehveros soll. Diese Informationen haben höchste Dringlichkeit. Also flehe ich euch eindringlich an, mir die Möglichkeit zu gewähren, diese einem Taktiker oder Befehlshaber zu überbringen.“


    „Ach du Scheiße, wo bist du denn entflohen? Bist du ein Sklave oder sowas? Ach, weißt du was, interessiert mich eigentlich ‘nen Scheiß. Da. Geh in die Richtung. Da haben wir einen höheren Befehlshaber. Vittorio sein Name. Wenn er nicht greifbar ist, wende dich an Garlyn. Er ist da auch mit drin. Glaube ich.“


    Nur für einen Augenblick blickte Matteo nach oben, doch nicht etwa in das Gesicht des Soldaten, sondern entlang seines ausgestreckten Armes, der in eine Richtung deutete. Schließlich senkte er seinen Blick wieder. „Vielen Dank, mein Herr. Ich werde Euch nicht weiter belästigen.“ Mit einer kleinen Verbeugung verabschiedete sich Matteo, als er mit gesenktem Blick an dem Soldaten vorbeilief, bevor er seinen Kopf wieder erhob.


    „Was für’n Spinner“, hörte er hinter sich abschätzig sagen, doch war es Matteo egal. Ein solches Urteil durfte sich nur ein Meister bilden. Dieser Soldat mag ihm überlegen sein, doch sie durften kein Urteil über ihn fällen, welches Bestand hatte. Nur ein Meister durfte das. Zumindest hatte es Matteo so gelernt.


    Schließlich folgte Matteo geradewegs die gezeigte Richtung, bis er schließlich auf noch mehr Soldaten oder dergleichen traf. Die meisten wirkten schwer damit beschäftigt, Leichen abzutransportieren, die noch frisch waren. Dabei war der Krieg an diesem Ort doch vorbei? Wie kam es, dass dort noch gekämpft wurde? Hatte Matteo etwas verpasst? Über die Fragen setzte er sich im nächsten Augenblick hinweg und hielt weiter di Augen nach einer Person offen, die die Ausstrahlung von Dominanz innehatte. Doch konnte Matteo niemanden finden, der auch nur im Ansatz Soldaten kommandierte. Die meisten von ihnen schienen von sich aus beschäftigt, weswegen Matteo einfach zu der erstbesten Person schlenderte, die er antreffen konnte.


    Ein Mann, er wirkte älter, graues Haar und Bart, saß auf Gras, während er dem Treiben in der Umgebung zuschaute. Ganz nebenbei rauchte dieser etwas, somit schien er frei zu haben oder eine Pause zu machen. Also trat Matteo an den Mann heran, mit dem gleichen Respekt, den er zuvor den Soldaten gezollt hatte, ehe Matteo seine Stimme erhob: „Mein Herr, verzeiht die Störung, doch ich bin einem wichtigen Anliegen unterwegs. Einer der Soldaten hat mich mit meinem Anliegen an einen Befehlshaber namens Vittorio oder dessen scheinbaren Stellvertreter Garlyn verwiesen.“


    Für einen Moment pausierte Matteo sein Sprechen, ehe er fortfuhr: „Ich habe Dokumente, die auf eine Verschwörung und Rebellion des Adels von Ehveros hindeuten. Könnt Ihr mir sagen, wo ich einer der beiden Personen finde, um diese Dokumente zu übergeben?“

  • "Garlyn Meqdarhan sitzt vor dir."


    Er pustete Rauch in Richtung der Ruine, aus der fünf Soldaten umständlich eine intakt gebliebene Statue karrten. Ein weiterer dummer Stein. Garlyn fand das Kunstobjekt sinnlos und hässlich, sein Hunger ließ ihn die Welt aus besonders ungnädigen Augen betrachten. Die Fluppe sollte das Hungergefühl dämpfen, hatte aber nur mäßigem Erfolg.


    "Bis zum Stellvertreter dauert es noch eine Weile. Ich bin nicht mal Bestandteil der ledwicker Streitkräfte, geschweige denn, Ledvigiano! Wenn ich irgendwie militärisch wirke, dann, weil ich in Naridien Söldner ausbilde. Ich bin hier nur zu Gast. Aber zufällig", er warf dem anderen nun erstmals einen Blick zu, "bin ich mit besagtem Vittorio befreundet. Aber sprich ihn bloß nicht so vertraulich mit dem Vornamen an. Darauf reagieren die meisten Soldaten allergisch."


    Er hielt fordernd die Hand auf.


    "Lass den Kram sehen. Wenn er mich überzeugt, dann versuche ich, dir ein Gespräch zu organisieren."


    Er ging davon aus, dass es belangloser Müll war, mit dem er Vittorio nicht zu belästigen brauchte.

  • Matteo Bruno


    Das war zumindest ein kleiner Erfolg! Das erste Mal wollte jemand die belastenden Dokumente sehen, auch wenn Garlyn selbst sehr gelangweilt schien, fast schon, als ob er Matteo nicht glauben würde. Trotzdem gab es diesem Grund zur Hoffnung, war er bisher doch immer auf taube Ohren gestoßen und nun zumindest jemand, der irgendwas davon lesen wollte. Stolz keimte in Matteo auf, als er schließlich an seine Tasche griff und nach den Dokumenten kramte. Den Blick hielt er dennoch bedeckt, wagte es gar nicht, Garlyn überhaupt in die Augen zu blicken.


    "Hier, bitte sehr, mein Herr. Ich hoffe, es ist zu Eurer Zufriedenheit."


    Im nächsten Augenblick hatte Matteo die Dokumente in der Hand und gab sie dem Söldner ohne zu zögern. Wertvolle Briefe und Informationen, die Hinweise und einige Namen enthielten, die im Zusammenhang mit einem geplanten Aufstand standen. Korrespendenzen zwischen Adligen, die sich über den Kauf von Sklaven und deren Ausbildung zur Sklavenarmee unterhielten. Zeitgleich noch ein oder zwei Veträge für Lehrmeister in vorwiegend zerstörerischer Magie und in den Kampfkünsten.


    Soweit Matteo das hatte beurteilen können, sind die Informationen recht vage gewesen. Sie reichten meist nicht mehr als über ein paar Namen, Zahlen und Coderwörtern heraus, sie belegten aber eindeutige Vorhabungen zu einer Rebellionen gegen die Besetzung Ehveros' durch Ledwick. Das musste reichen, um Garlyn davon zu überzeugen, dass Matteo in einer guten und dienlichen Sache kommen musste. Auch wenn es sich für jemanden wie Matteo nicht ziemte, trat er dennoch nervös von einem Fuß auf den anderen, während er seine Hände wieder hinter dem Rücken verschränkte. Das war seine Chance, seinem Land dienen zu können. Hoffentlich erkannte Garlyn das auch an.

  • Garlyn las sich alles seelenruhig durch, während die rauchende Fluppe aus seinem Mundwinkel hing. Sein Gesicht ließ nicht erkennen, was er davon hielt, was er dort las. Schließlich erhob er sich. Erst kratzte er sich eine Weile schamlos gründlich am Sack und dann unter dem Kinn, so dass sein Bart vernehmlich knisterte. Dann streckte er sich und ließ einen fahren.


    "Warte hier."


    Garlyn schlenderte zu den beiden Soldaten, die den Weg ins Innere der Ruine sicherten, wo Vittorio hin verschwunden war. Sie ließen die Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen. vor ihm nach innen fallen, so dass ein Kreuz den Weg versperrte. Verärgert blieb Garlyn stehen.


    "Was soll das, ihr kennt mich doch."


    "Kein Durchgang für dich mehr", motzte der linke Wachsoldat.


    "In dem Falle, ruft euren Kommandanten bitte her, ich muss dringend mit ihm sprechen. Diese Dokumente könnten wichtig sein für den heutigen Vorfall."


    "Jeder, der hier ankommt, behauptet das von seinem Anliegen. Du wirst warten müssen, Naridier. Wegtreten."


    Hier war nichts zu machen. Vittorio schmollte offensichtlich und hatte ihn aussperren lassen. Typisch. Mürrisch kehrte Garlyn zu seinem Sitzplatz zurück und pflanzte sich neben dem Neuankömmling wieder auf die Wiese.


    "Es ist gerade niemand zu sprechen. Wir könnten jetzt hier eine Ewigkeit warten, oder wir lassen uns etwas einfallen. Pass auf. Nimm jenes Dokument, was du für am wichtigsten hältst. Damit schleichst du dich ins Innere der Ruine und suchst nach Vittorio Pollarotti. Er ist der Kommandant dieser Einheit, etwa so alt wie ich, kurzes graues Haar, Dreitagebart, schwarze Augen, harter Blick. Erkläre ihm, was du aus den Informationen in diesen Unterlagen schlussfolgerst. Im Detail, mit Orten und Namen, sonst ist es zu vage, dass er dem keine Aufmerksamkeit schenken wird."


    Damit reichte er dem Kerl, der sich ihm noch nicht einmal vorgestellt hatte, die Unterlagen zurück.


    "Wer bist du überhaupt?"


    Garlyn legte sich rücklings ins Gras, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und schaute dem Rauch zu, der von seinem Mund aus in den blauen Himmel stieg.

  • Matteo Bruno


    Offenbar war dieser Garlyn kein Mann, welcher sich sonderlich um Gepflogenheiten oder Manieren scherte. Im Gegenteil. So wie dieser sich gab, entsprach er mehr und mehr dem Bilde, welches er sich selbst zugeschrieben hatte. Das Bild eines Söldners. Doch war es nicht Matteos Aufgabe, geschweige denn Recht, sich darüber ein Urteil zu bilden. Besonders Matteo durfte sich solche Dinge in seiner Stellung nicht erlauben. Stattdessen stand er einfach nur stramm, mit dem hinter dem Rücken verschränkten Händen und wartete auf eine Reaktion des Söldners. Diese fiel jedoch recht nüchtern aus, weswegen Matteo Zweifel bekam, ob sein Anliegen wirklich gehört werden würde.


    Allerdings setzte sich Garlyn in Bewegung, wies Matteo an, an diesem Punkt zu warten, was dieser auch ohne eine Muskelregung machte. Er war es gewissermaßen gewohnt, angewurzelt an einer Stelle zu stehen oder zu hocken. Dabei fuhren seine Gedanken herunter, damit sein aktiver Verstand sich nicht mit Dingen wie Langeweile auseinandersetzen musste.


    So dauerte es für Matteo nicht einmal eine Minute, da kam Garlyn wieder zurück. Weiterhin mied Matteo dessen Blick, hörte ihm aber aufmerksam zu. Infiltrieren und ausfindig machen? Das war eines seiner leichtesten Übungen. Mit ernsten Blick betrachtete er die ihm entgegengestreckten Unterlagen, nahm sie aber schließlich an. Für einen kurzen Moment sortierte er sie nach Wichtigkeit, bis ein Brief ganz oben lag, der den Ausbildungsvertrag von einem Dutzend Sklaven darstellte. Darin war geregelt, wie viel zwei Ausbilder mit den Namen Noan und Julianus Damkir für die Ausbildung erhalten würden. Daraus war ersichtlich, dass diese die Sklaven für Kampf und Infiltration ausbilden sollten, spezialisiert auf gezielte Attentate und Schwächung. Nataniel von Volkin war der Geldgeber.


    "Das werde ich erledigen, mein Herr. Diese Dokumente werden ihn erreichen. Mein Name ist Matteo Bruno." Seine Stimme klang demütig, als ob er seinen Namen nur zögerlich oder gar widerwillig aussprach. "Wenn Ihr es wünscht, werde ich mich jetzt auf den Weg machen, die Dokumente zu überbringen."

  • "Beim Rakshors prallem Schwanz, ja! Das wünsche ich!"


    Garlyn machte eine scheuchende Handbewegung. Matteo Bruno. Diese Ledvigiani hießen doch alle gleich. Man nahm einen normalen Namen und hängte ein -o oder -i hinten dran. Garlino Meqdarhani klang absolut authentisch. Sein Magen knurrte so laut, dass auch sein Gegenüber das hören musste.


    "Und beeil dich, ich muss dann fort", fügte er noch hinzu.


    Er schloss die Augen. Matteos Anblick machte ihn hungrig, der Mann gäbe einen schönen rohen Fleischsalat. Besser für ihn, er verpisste sich endlich und hörte auf, lecker da rumzustehen.

  • Matteo Bruno


    Allein der ausdrückliche Wunsch auf den Namen eines Gottes zeigte Matteo, wie er sich beeilen und seinen Auftrag ausführen sollte. Auf diese Weise verbeugte er sich tief, offenbarte seinen Nacken, während er selbst sprach: "Euer Wunsch ist mein Befehl, mein Herr." Ohne weiterer Verzögerung machte sich Matteo auf den Weg zu den Ruinen, die von den Soldaten Ledwicks umgeben waren, was es zu keiner einfachen Aufgabe machen würde, hineingelassen zu werden. Wenn Garlyn nicht hineingelassen wurde, dann Matteo sicherlich nicht. Also hieß es, auf die Fähigkeiten seiner Ausbildung zurückzugreifen, um seiner Heimat dienen zu können. Das war etwas, worauf Matteo sicherlich stolz sein konnte.


    Es brauchte dabei nur wenige Momente für Matteo, um die Routen der Wachen zu erfassen und eine Schwachstelle zu erfassen. An einer Stelle im Mauerwerk klaffte ein Loch, welches ins Innere der Ruinen führen würde. Es war tief und breit genug, dass er selbst bequem hindurchschlüpfen konnte und die Wachen kamen im Minutentakt an dieser Stelle vorbei. Viele vermochten in diesem Spalt nichts weiter als einen Schaden in der Mauer zu sehen, Matteo hingegen sah eine Möglichkeit seine Mission zu erfüllen.


    Dementsprechend passte er den perfekten Zeitpunkt ab, an dem er unauffällig in die Spalte kletterte und in deren Schatten verschwindete. Der Bruch war kaum breit genug, um seine Statur zu fassen, aber es reichten Kraft und Beharrlichkeit aus, sich schließlich in das Innere des Mauerwerks zu quetschen. Zwar bekam dabei seine Rüstung den ein oder anderen Kratzer ab, seine Unterkleidung riss irgendwo auf Bauchhöhe, aber Matteo selbst blieb unbeschadet, als er auf leisen Sohlen hinter den Mauern landete. Sofort suchte er sich Deckung, während er die Umgebung sondierte.


    Es herrschte ein reges Treiben innerhalb der Mauern. Wachen kommen und gingen, räumten das Chaos auf, welches Matteo bereits zu nutzen plante. Der Schutt bot genug Deckung, in dessen Zuge er sich unentdeckt fortbewegen konnte. Selbst der helllichte Tag würde nicht in der Lage sein wollen, ein Licht auf Matteos Tun zu werfen, ehe dieser sein Ziel gefunden und dieses konfrontiert hätte.


    Mit aufmerksamen Augen sondierte Matteo seine Umgebung, erkannte zwei Wachen, welche sich sogleich an seiner Position vorbeibewegen würden, aber so sehr mit dem schweren Stück Gestein beschäftigt waren, dass sie ihm kaum Beachtung schenkten. Die meisten Wachen an diesem Ort schienen mehr damit beschäftigt aufzuräumen, als wirklich zu bewachen. Wer rechnete auch schon damit, dass sich jemand in eine Ruine schleichen würde?


    Kaum haben die Beiden seine Position passiert, huschte Matteo zur nächsten Deckung und überblickte den Hof. In der Nähe des Bergfrieds erblickte Matteo schließlich sein Ziel. Vittorio schien beschäftigt mit seinen Soldaten. Die Beschreibung auf den Mann traf zumindest zu, sodass Matteo davon ausging, dass es sich um die gesuchte Person handelte. Nun musste er nur noch näher herankommen, um schließlich ohne Störung auf Vittorio zugehen zu können. Das war sein Ziel. Würde er vorher entdeckt werden, schmiss man ihn vermutlich raus oder griff direkt an. Das durfte nicht passieren.


    Also schlängelte sich Matteo katzengleich durch die Ruinen. Stück für Stück näherte er sich Vittorio, welcher sich selbstverständlich zu bewegen pflegte, doch kam Matteo näher. Auch als einer der Soldaten einer seiner Bewegung bemerkt hatte, konnte er einer Entdeckung mit einer gekonnten Finte entgehen. Es war leider zu einfach, den jungen Soldaten mit einem weiteren Geräusch abzulenken und ihn auf eine völlig falsche Fährte zu locken. Diese Männer waren offenbar vielleicht gut in einem Krieg, doch im Bewachen von Dingen waren sie nicht so fähig, wie es sich Matteo erhofft hatte.


    Genau aus diesem Grund überbrückte Matteo letzten Endes den Rest des Weges mit gekonnten Schritten, bis er sich nur noch wenige Meter von Vittorio entfernt hinter einem Trümmerteil befand. Nun war der Moment gekommen. Tief atmete Matteo durch, ehe er den Vertrag aus der Tasche zog, sich offen aus seiner Position erhob und zeigte. Dabei hielt er seine Hände leicht erhoben, mit den Handflächen zu Vittorio gerichtet, machte er einige Schritte auf diesen zu, blieb aber in gebührlichem Abstand. "Kommandant Pollarotti, ich wurde von Garlyn geschickt, weil ich Hinweise für die hier stattgefundenen Hinweise habe auftreiben können. In meiner Hand halte ich einen Vertrag, der die Ausbildung von Sklaven zur Infiltration und gezielten Schwächung ledvigianischer Kräfte festhält. Er stammt von einem Adligen aus Ehveros."

  • Vittorio, der sich gerade mit dem Marquis Dijon de la Grange unterhielt, fuhr gereizt herum. Wo kam der Kerl her und wie konnte der Saftsack es wagen, ihn mitten im Gespräch zu unterbrechen? Dijon sah es genau so, doch im Gegensatz zu Vittorio würdigte er den Eindringling keines Blickes. Der hochgewachsene Marquis machte eine Geste, die nichts anderes hieß, als dass der Kerl beiseitegeschafft werden sollte. Seine schwer bewaffnete Leibwache sorgte dafür, dass der Fremde außer Hörweite verbracht wurde, dann übernahmen zwei ledwicker Soldaten es, ihn auf Waffen zu untersuchen und diese gegebenenfalls abzunehmen, während Dijon und Vittorio ihr Gespräch zu Ende führten. Erst, als der Marquis sich entfernt hatte, wurde dem Eindringling gestattet, in Gegenwart seiner Bewacher vor Vittorio zu treten. Und der machte seinem Ärger erst einmal Luft, denn er hatte wegen dem Burschen vom Marquis eine herablassende Rüge kassiert.


    "Erstens, man stellt sich vor, wenn man Meldung macht und das Gegenüber einen nicht kennt. Name, Herkunft, Beruf, Lehnsherr!


    Zweitens: Das Gelände ist aus gutem Grund abgesperrt, hier ist alles einsturzgefährdet und wir sichern gerade die Beweismittel. Bete zu deinem Gott, dass du keinen Schaden angerichtet hast, sonst würdest du dir wünschen, von einem herabstürzenden Stein erschlagen worden zu sein.


    Drittens: Du hast keine ranghohen Persönlichkeiten anzusprechen, bestenfalls deren Gefolge und bei Vorladung schweigend in respektvoller Entfernung zu warten, bis man dir das Wort erteilt. Naridische Gammelfleischfresser gehören nicht zum Gefolge, wie du an dem idiotischen Auftrag gemerkt hast, den er dir gegeben hat. Für das Eindringen wirst du natürlich bestraft.


    Viertens: Du bringst schwere Anschuldigungen gegenüber einem Adligen ins Spiel. Ich hoffe, dir ist bewusst, was es bedeutet, wenn du gelogen hast. Beleidigung der Ehre und Vorwurf von Hochverrat sind keine kleinen Delikte. Ich hoffe, dir liegen stichhaltige Beweise vor.


    Ich gebe dir hiermit die einmalige Gelegenheit, mich von der Wahrheit deiner Worte zu überzeugen. Sprich. Und wähle deine Worte mit Bedacht."


    Der letzte Satz war tatsächlich ein gut gemeinter Rat und keine Schikane. Trotz seines Grolls und der deutlichen Worte spürte Vittorio eine Spur von Mitgefühl für den enthusiastischen Burschen, dem es augenscheinlich sogar an den Grundlagen mangelte. Zwar trug er eine Lederrüstung und eine Narbe im Gesicht, doch sein Benehmen ließ nicht auf eine militärische Ausbildung schließen. Weder bei den staatlichen Streitkräften noch in irgendwelchen Söldnerlagen würde man so etwas durchgehen lassen. Es wirkte vielmehr so, als wäre der Kerl überhaupt nicht erzogen worden, nicht einmal familiär, sondern von seinem Vater bis zur Volljährigkeit in einem Hühnerstall gefangengehalten worden. Vittorio hoffte für den armen Tropf, dass er sich gut überlegt hatte, was er hier tat, bevor er losgeschlichen war, doch irgendwie bezweifelte er dies. Garlyn lachte sich vermutlich draußen ins Fäustchen.

  • Selbstverständlich ließ sich Matteo fürs Erste von den Männern des Kommandanten abführen. Offenbar war dieser kaum erfreut über das Auftreten Matteos, wofür sich dieser rügen musste, fand er seine Handlung aber auch notwendig, damit er überhaupt so nahe an den Kommandanten hatte kommen können. Ansonsten hätte ihn niemand vortreten lassen, wobei sich Matteo nicht einmal sicher war, ob man ihm wie zahlreiche Männer zuvor überhaupt Glauben geschenkt hätte. Daher wollte er es sich nicht auch gleich ganz verscherzen mit einem Mann, der genug Einfluss hatte, um seinen Erkenntnissen Gewicht verleihen konnte. Aus diesem Grund wehrte sich Matteo auch nicht, dass man ihm die Waffen abnahm und festsetzte, so lang der Kommandant noch mit seinen Anliegen beschäftigt war. Dabei hielt er seine Arme konsequent nach oben, wenn er sie abstützen musste hinter seinem Kopf, aber er nahm sie niemals herunter und gab auch den Vertrag in seiner Hand nicht her.


    Dann kam der entscheidende Moment, an dem man Matteo wieder vor den Kommandanten führte. Dessen Blick wich er aus, blickte in gelernter Manier zu Boden und gab auch keine weitere Regung von sich, während er Vittorio genau zuhörte. Die zahlreichen Fehler die Matteo vorgeworfen wurden kränkten ihn zutiefst. Nichts tat ihm mehr weh, als von einem Höherrangigen zu hören, wie schlecht er sich verhalten hatte. Man konnte ihn noch so sehr schlagen, demütigen und physisch verletzen, das machte ihm nichts aus. Wenn man ihn jedoch tadelte, wenn er meinte gute Arbeit zu leisten, war es für ihn vergleichbar mit einem Schlag in die Magengrube - auch wenn er es sich nicht ansehen ließ. Schmerz zu zeigen war verboten.


    Aus diesem Grund berichtigte er augenblicklich, kaum hatte der Kommandant ausgesprochen, seine Fehler: "Mein Name ist Matteo Bruno. Ich bin ein ehemaliger Sklave von Nataniel von Volkin, einem verstorbenen Adligen aus Ehveros. Dieser besaß Dokumente, teilweise von ihm unterzeichnet, die eine Verschwörung von Adligen in Ehveros belegen, unter anderem dieser Ausbildungsvertrag. Die darin erwähnten Männer bildeten auch mich aus. Doch damit nicht genug, habe ich auch weitere Dokumente bei mir, um die Schuld und Existenz eines solchen Netzwerks zu belegen."


    Statt einen Schritt auf Vittorio zu zu machen, reichte Matteo den Vertrag an einer seiner Leibwachen weiter. Matteo selbst hielt seine Hände oben, gut sichtbar für alle Anwesenden. Seine Hoffnung lag darin, dass es ausreichen würde, um die ersten Wogen zu glätten und seinen Nutzen für Ledwick zu zeigen. Nur so konnte er seine gerade begangenen Fehler wiedergutmachen und zeigen, wie dienlich er seiner Heimat sein wollte.

  • Vittorio beobachtete die Körpersprache des Mannes, der sich als Matteo Bruno vorgestellt hatte, und machte sich so seine Gedanken. Dass Matteo sich kooperativ zeigte, rechnete er ihm an, aber jetzt verhielt er sich wie ein gefasster Verbrecher und nicht wie jemand, der vor einem Kommandanten Bericht erstattete. Von einem Extrem schlug er ins andere um, er schien das gesunde Mittelmaß nicht zu kennen. Den dargereichte Zettel nahm der Soldat nicht an, da er keinen Befehl dazu erhalten hatte, er verblieb im Besitz von Matteo.


    "Rühr dich", murrte Vittorio und fügte extra noch die Erklärung hinzu: "Beine schulterbreit auseinander, Hände locker hinter dem Rücken verschränken." Das war zwar unpräzise, genügte aber für den Zivilisten, damit er halbwegs normal dastand und sich nicht zum Obst machte. "Du sprichst von Seiner Erlaucht Graf Nataniel von Volkin. Das Weglassen der formal korrekten Anrede nehme ich mal als grobe Unhöflichkeit und nicht als bewusste Dispektierlichkeit zur Kenntnis."


    Was war mit dem Mann nur los, der benahm sich schlimmer als ein Naridier! Und dank Garlyn wusste Vittorio sehr gut, wie diese sich benahmen und dass sie keinerlei Gefühl für die feudale Ständeordnung besaßen und von einem Fettnäpfchen ins nächste sprangen, sobald sie einen Fuß in almanische Gefilde setzten.


    "Naridische Verwandtschaft?", erkundigte er sich daher sogleich. "Die Verschwörung, das sogenannte Netzwerk wirst du mir schon selbst erklären müssen."


    Was erwartete der Kerl, dass er jetzt stundenlang wegen eines möglichen Hirnfurzes seinen Schreiber hinter den Schreibtisch klemmte? Würde er das jedes Mal machen, wenn jemand eine fixe Idee hatte, würde der Ärmste als körperliches und seelisches Wrack in einer Schreibstube vermodern und das Tageslich niemals wiedersehen. Vermutlich würde er auch verhungern und verdursten bei der Menge an klugen Ratschlägen, die tagtäglich so eintrudelten seit dem Anschlag.

  • Nachdem Matteo merkte, dass man dem Vertrag keine Beachtung schenkte, zog Matteo diesen missmutig zurück und packte ihn sich selbst in die Tasche. Hatte man doch kein Interesse an diesen wertvollen Informationen? Matteo war sichtlich verwundert über diese plötzlichen Anweisungen, wie er sich hinzustellen oder zu geben hatte. Einerseits folgte er seinem Instinkt zu gehorchen, andererseits hatte er innerlich das Gefühl, dass dieses ganze Spiel das Wichtigste nur hinauszögerte. Doch wenn es bedeutete, dass man ihn endlich angemessen anhörte, spielte er dieses Spiel mit.


    Also lockerte Matteo seine Position, steckte den Brief weg und nahm die von ihm gewünschte Position ein. Dennoch blickte er dem Kommandanten nicht in die Augen, sondern nur vor dessen Füße. Zuerst widmete er sich der Frage, wobei sich ein verwunderter Gesichtsausdruck auf seine Züge abzeichnete: "Nein, Herr. Meine Eltern stammen aus Riva Verde." Irgendwie wollte Matteo diese Frage nicht ganz verstehen, schien sie doch völlig vorbei an der Situation.


    Doch dabei beließ er es nicht, weshalb er sofort zu erzählen begann: "Nataniel von Volkin, ein Verräter Ledwicks, raubte mich im Alter von zehn Jahren meiner Eltern in Riva Verde und machte mich zum Sklaven. Die in dem Vertrag aufgeführten Lehrmeister bildeten mich in den Künsten des Infiltrierens, Ausschaltens von Zielen und in der Geistmagie aus. Ich, genau wie zahlreiche andere Sklaven, ob geraubt oder gekauft, sollten zu Assassinen ausgebildet werden, um die ledvigianischen Truppen in Ehveros auszudünnen und wichtige Personen des Heeres auszuschalten. Dazu flossen zahlreiche Gelder in alle Richtungen, während der Adel Ehveros' auf diesem Wege seine Macht und Reichtum sichern will. Ein Aufbegehren des Adels, wenn man so will."


    Konzentriert rief sich Matteo alle Einzelheiten der Dokumente ins Gedächtnis, an die er sich erinnern konnte. "Mit aus den privaten Schatzkammern der Adligen finanzierten Ausbildungen und Käufen an Kampfkraft soll im Untergrund somit eine Sklavenarmee geschaffen werden, die die Truppen in Ehveros schwere Schäden zufügen und zum Rückzug zwingen soll. Der offene Krieg, den Ehveros verloren hat, will dieser nun mit Menschen wie mir gewinnen - aus dem Schatten heraus. Jeder höherrangiger Kommandant und Befehlshaber ist ein potenzielles Ziel dieser Anschläge. Die Sklaven hingegen sind ersetzlich, genau wie ich. Wir wurden nur darauf erzogen, unseren Herren zu gehorchen und unsere Ziele auszuschalten. Doch ich erkannte, was dieser Mann vor hatte, als er mich auf die ersten Soldaten ansetzte, um zu schauen, wie ich mich schlage. Ich habe keinen Ledvigiani getötet. Sondern nur die Hinweise auf die Machenschaften entdeckt."


    Mit jedem weiteren Wort spannte sich Matteo Körper an. Immer mehr wuchs in ihm die Angst, dass man ihn für seine in seinen Augen richtigen Taten nun bestrafen würde, obwohl er konkrete Hinweise für ein Geschehen lieferte, welche auch den Kommandanten selbst betreffen konnte. "Verzeiht, wenn ich es auf diesem Wege sage, mein Herr, aber ich glaube, auch euren Namen in einer Dokumente entdeckt zu haben. Ich fürchte, dass ihr eines der Ziele seid und Ihr Euch umgehend schützen müsst." Das erste Mal in seinen Jahren als Sklave lag Feuer in seinen Worten. Pure Überzeugung in dem, was er von sich gab und wie er es formulierte. Matteo wusste nicht was das Gefühl war, doch ein ferne Erinnerung gab eine neblige Antwort - Stolz.

  • "Riva Verde also. Das fällt unter die Zuständigkeit des ehrenwerten Marchese Mio di Verderame. Im Rathaus ist eine Kopie jeder Geburtsurkunde hinterlegt. Wenn dein Verschwinden gemeldet wurde und deine Verwandten deine Identität bestätigen, kann der Vorgang rasch bearbeitet werden. Die Resisdenz des Marchese ist die Casa Verde, ein sehr schönes Anwesen im Übrigen. Als dein Lehnsherr wird er dir helfen, in deiner Heimat wieder Fuß zu fassen." Bei diesen Worten klang Vittorio, der seine Heimat sehr liebte, freundlich. "Aber kümmern wir uns zunächst um die Sache mit der vorgeblichen Verschwörung."


    Vittorio machte keinen Hehl daraus, dass er noch immer äußerst sketpisch war, aber immerhin interessiert genug, um weiter mir Matteo zu sprechen. Für einen Lügner hielt er ihn nicht, eine Lüge von solchem Ausmaß wäre schon dreist. Vielmehr glaubte er, einen geistig Umnachteten vor sich zu haben. Dennoch räumte er eine gewisse Wahrscheinlichkeit ein, dass Matteo die Wahrheit sprach, weshalb Vittorio ihm weiter auf den Zahn fühlte.


    "Dass Offiziere ein beliebtes Ziel des Gegners sind, ist nichts Ungewöhnliches. Viel Feind, viel Ehr. Das Sklaven ersetzlich sind, liegt ebenso in der Natur der Sache. Du sprichst von den Adligen im Plural. Welche Adligen? Titel und Name. Was genau sind das für Dokumente? Und was sind Assassinen? Wir stehen hier in Ehveros, also sprich Asameisch mit mir."


    Dass der Mann meinte, als Geistmagier, Saboteur und Mechler ausgebildet worden zu sein, behielt Vittorio im Hinterkopf. Alles zu seiner Zeit. Erst einmal musste geklärt werden, ob er ein Spinner war oder ob seine Geschichte tatsächlich stimmte. Falls ja, war die Kacke noch mehr am dampfen, als Vittorio gedacht hatte. Aufmerksam beobachtete er Matteos Körpersprache.

  • Matteo wurde sofort hellhörig, als Vittorio davon sprach, dass er in seine Heimat zurückkehren und Verwandte seine Identität bestätigen könnten, damit er zurück in ein normales Leben fände. Ob meine Eltern mich überhaupt erkennen würden? Leben sie überhaupt noch dort? Bei diesen Gedanken wurden für einen Augenblick seine Knie zittrig, nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber er konnte damit nicht unterdrücken, welche Gefühle diese Worte in ihm auslösten. Angst, Verzweflung, Wut. Alles kroch aus seinem Bauch seinem Halse empor. Es war mühselig, es einfach zu schlucken und bei der Sache zu bleiben.


    Dabei war es eine große Hilfe, dass der Kommandant die Sache doch ernster zu nehmen schien, als anfangs gedacht. Matteo spürte, dass der Mann vor ihm seinem Anliegen Gehör schenkte. Zwar wurden Matteos Behauptungen nur durch die Dokumente in seiner Tasche getragen, aber diese gaben nur in kryptischen Zeichen und Worte ihren Inhalt preis. Vermutlich eine Kodierung. Ob das ausreichte?


    Doch eines nach dem Anderen. Der Kommandant wollte Erklärungen, welche er bekommen sollte. Deshalb versuchte Matteo das Wort Assassine so detailliert wie nur möglich zu schildern: "Ich bin ebenso ein Assassine. Man nennt sie auch gemeinhin Meuchelmörder, doch sind Assassinen in ihrer Profession effizienter, präziser und schneller. Ein Assassine wird sein Leben lang nur darauf trainiert, so schnell, leise und tödlich zuzuschlagen, dass man ihn selbst am hellichten Tage nicht kommen und gehen sieht. Was am Ende bleibt, ist der tote Körper seines Ziels, ohne eine Spur des Assassinen. Es bedarf jahrelanges Training, Vorbereitung und vor allem Informationen, um einen Assassinen effizient zu machen. Ein Assassine ist letzten Endes wie ein Soldat eines Heeres - nur aus dem Schatten heraus."


    Als diese Definition aus der Welt geschaffen war, zog Matteo schließlich demonstrativ ein Bündel an Dokumenten hervor, welches er bei Nataniel hatte mitgehen lassen. "Briefe, Verträge und Urkunden. Während ich bezeugen kann, dass ein paar der Dokumente von Nataniel von Volkin stammen, fallen nur zwei weitere Namen auf. Graf Robert von Nauen, wie Nataniel ein Geschäftsmann, nur mit der Spezialisierung auf Sklaven und deren Zucht. Jener hat wohl, laut einem Brief und zwei Urkunden, nicht nur normale Menschen wie mich entführen lassen, um sie dann als Sklaven zu brechen, sondern diese dann auch weiterverkauft - wie mich an Nataniel von Volkin. Unterstützt wurden beide von Geldern und Waffen von dem Ritter Roland von Nauen. Die Gelder und Waren gehen hauptsächlich zwischen den drei Männern hin und her. Doch die ausgebildeten Sklaven werden weitergegeben. Ab dort kann ich nichts mehr mit den Informationen anfangen, da dort eine Art verschlüsselte Sprache verwendet wird. Ich denke, dass der Begriff Hunde für die Sklaven steht. Allerdings weiß ich nicht, was folgender Satz bedeuten soll: 'Die Hunde werden wie vereinbart zu den Wölfen gebracht, damit die Jagd beginnen kann. Fenrir wird glücklich darüber sein.' Das steht in einem Brief von Nataniel von Volkin an Robert von Nauen. Leider habe ich keine Ahnung, der oder was die Wölfe, geschweige denn Fenrir ist."


    Das Matteo dies alles aus seinem Gedächtnis hatte holen können, fand er selbst bewundernswert. Die ausführlichen Fassungen fanden sich natürlich den Briefen wieder, doch waren es die wichtigsten Informationen. Bis ihm noch etwas einffiel. "Ah! Bevor ich es vergesse. In einem der Briefe steht etwas von der Schwächung ledvigianischer Truppen durch brachialen Einsatz von Anschlägen. Ergänzend dazu findet sich auch eine Liste von fünf Namen. Euer Name ist mir gerade daruaf eingefallen, aber ich müsste noch einmal nachschauen, welche anderen Namen es sind. Es ist eine bloße Liste mit Namen. Keine Details, außer dem militärischen Dienstgrad und Symbole dahinter, wie ich sie noch nicht gesehe habe."

  • "Die asameische Entsprechung dieses rakshanischen Wortes ist Meuchelmörder, nichts anderes als einen Meuchler beschreibst du. Keine Naridizismen hier auf almanischem Grund und Boden", rügte Vittorio.


    So weit kam es noch, dass sie sich fremdländischen Vokabulars bedienten. Und Matteo hielt schon wieder die Dokumente in Vittorios Richtung. So sah der Kommandant sich genötigt, ihm die Sache deutlicher zu erklären. Er begann mit einem demonstrativen Schnaufen.


    "Heiße ich Vittorio di Pollarotti, sehe ich aus wie ein Adliger? Ich bin Soldat und als solcher ist Lesen für mich eine überflüssige Kunst. Du wirst mir alles, was du in deinen Händen hältst, erklären müssen. Wozu sie einem Meuchler solchen Unfug beigebracht haben, weiß Von Volkin allein. Also, weiter geht es.


    Als mutmaßliche Rädelsführer nennst du:

    • Graf Nataniel von Volkin
    • Graf Robert von Nauen
    • Ritter Roland von Nauen.

    Sicher, dass diese Namen korrekt sind? Zwei mal von Nauen, einmal als Graf und einmal als Ritter? Lies noch mal nach. Vier wichtige Fragen bleiben abgesehen davon noch.


    Erstens, warum bist du dir sicher, dass diese Unterlagen authentisch sind? Jemand könnte sie gefälscht haben, um eine falsche Fährte zu legen. Du zum Beispiel."


    Vittorio sah ihn scharf an.


    "Zweitens, warum werden Sklaven gezüchtet, es dauert wenigstens 14 Jahre Zeit und Geld, ehe sie endlich für den genannten Zweck einsatzbereit sind. Das erscheint mir unverhältnismäßig, wo man doch Erwachsene viel preiswerter abrichten kann. Besonders, wenn sie Kinder haben, sind die meisten sehr kooperativ und zuverlässig.


    Drittens, unser Einsatz zur Friedenssicherung in Ehveros dauert gerade erst einige Monate an. Wie kam man also vor, sagen wir, 30 Jahren darauf, dich und deine Mitsklaven zu entführen und zu diesem Zweck abzurichten?


    Viertens, warum läuft ein Sklave in Lederrüstung und bewaffnet durchs Land? Das Tragen von Waffen ist dem Adel und den Angehörigen der Streitkräfte vorbehalten."


    Vittorio war gespannt auf die Antworten. Langsam formte sich in seinem Kopf eine Idee, wie nun zu verfahren sei, doch zuvor benötigte er weitere Detailinformationen.

  • Nun spürte Matteo, wie die ganze Spannung umschlug. Anfangs dachte er, dass er Vittorio davon überzeugen und endlich jemanden gefunden hatte, der seiner Geschichte anhören würde. Doch wie es nun aussah, hatte sein Gedächtnis bei den Namen ihm einen Streich gespielt, weswegen der Kommandant vor ihm stutzig zu werden schien. Aber generell waren die Fragen Vittorios sehr logischer Natur. Das Dumme an der Geschichte war, dass Matteo sie kaum bis gar nicht zu beantworten wusste. Seine ganze Haltung spannte sich an. Er spürte, wie eine Schweißperle an seiner Schläfe hinabrann, während sein Blick weiterhin starr gegen den Boden gerichtet war. Auch die Rüge hatte es in sich. Sollte er sich einfach ergeben, all das vergessen, die Strafe davontragen und es sein lassen? Die Antwort war klar: Nein. Matteo würde nicht aufgeben.


    Entgegen seiner Ausbildung und Erziehung erhob Matteo nun den Blick, fixierte den Kommandanten vor sich und erläuterte die Dinge, wie sie waren: "Er ließ mir das Lesen beibringen, damit ich die gestohlenen Informationen seiner Feinde aufnehmen und mündlich überliefern kann." So viel zum Thema des Lesens. Für mehr war es nicht. Doch jetzt nützte es Matteo als Talent, um sich besser zurechtzufinden. Diese Aussage untermalte er mit einem kurzen Blick, ehe erneut den Brief mit den Namen aufschlug und nach diesen Ausschau hielt. Zur Korrektur sagte er dann: "Bei den Namen habe ich mich vertan, verzeiht. Es war Ritter Roland von Korre." Das reichte, um den Brief wieder zu verstauen, ehe er die Dokumente verstaute. Dieses Mal war ihm alles egal. Entweder gewann er oder verlor alles. Zumindest war er in dem Wissen, seiner Heimat einen Dienst erweisen zu wollen.


    Für einen Moment schloss Matteo die Augen, atmete tief durch, als er sie wieder öffnete und sich in seinen Augen ein gewisses Maß Wut widerspiegelte, als er die folgenden Worte auf die erste Frage ausspuckte: "Weil ich Graf Nataniel von Volkin nach meinem Ansetzen auf Besatzungstruppen und dem Auffinden dieser belastenden Dokumente persönlich getötet habe. Diese Dokumente habe ich aus seinem Haus, um genauer zu sein seinem Büro. Ihr könnt gern dort jemanden hinschicken und seine Leiche bergen."


    "Um eure zweite Frage zu beantworten, das entzieht sich vollkommen meiner Kenntnis. Vielleicht ist es einfach gewesen, mit Sklaven Nachwuchs zu zeugen, welcher dann von Geburt an als Sklave sein Dasein fristet. Ich kann nur mutmaßen, dass es sie damit zu gehörigeren und vor allem effizienteren Objekten macht." Matteos Blick blieb fest, seiner Sache überzeugt. Auch wenn er keinerlei Ahnung hatte, wie dieses Geschäft lief, erschien dies für ihn als logischer Gedanke.


    Schließlich ließ Matteo einen kurzen Moment Pause, ehe er fortfuhr: "Wir hatten nicht immer diesen Zweck. Zuvor wurden wir dazu ausgebildet, um die Konkurrenz auszuschalten, deren Betriebe zu schwächen, Dinge zu stehlen, solche Sachen. Die Ausbildung, wie sie im Vertrag festgehalten ist, wurde vielleicht vor einem Jahr beschlossen, um die Sklaven auf eine eventuelle Besatzung und deren Brechen vorzubereiten. Ich habe von diesen Männern gelernt, militärische Taktiken zu erkennen, zu umgehen und zu durchbrechen."


    Hinter seinem Rücken spannten sich seine Hände an, als Matteo die letzte Frage im Kopf reflektierte. Doch dafür gab es nur eine richtige Antwort: "Diese Antworten treffen somit auf eure letzte Frage ebenso zu. Nachdem ich Nataniel getötet hatte, floh ich, nahm die Ausrüstung und versuchte mich an die Besatzungstruppen zu wenden, stieß aber immer wieder auf Unverständnis. Deswegen stehe ich jetzt hier. Ihr seid der Erste, der mir richtig zuhört, wofür ich euch danken muss." Damit zeigte Matteo eine tiefe Verbeugung, die er nach wenigen Momenten wieder löste.

  • "Verstehe", sagte Vittorio, ohne auf den Dank einzugehen. Der Mann hatte soeben den Mord an einem Adligen gestanden, weshalb Vittorio auf Distanz blieb, ganz gleich, welcher Nationalität Mörder und Opfer angehörten. Gewaltsam gegen den Adel vorzugehen, war nicht eben ein Pappenstiel.


    "Also verbleiben als Tatverdächtige:

    • Graf Nataniel von Volkin
    • Graf Robert von Nauen
    • Ritter Roland von Korre

    Wobei ersterer von dir ermordet wurde."


    Das war ja ein Ding. Selbstjustiz in Ehveros, Mord an einem einheimischen Mitglied des Adels durch einen fremdländischen Sklaven. Normalerweise würde nun der geschädigte Lehnsherr, je nach Status des Getöteten sogar die ehveroser Krone, eine Auslieferung des Täters durch Ledwick verlangen. Allerdings war Ehveros de facto von Ledwick besetzt und fiel daher unter deren Hoheitsgewalt. Es war also mehr oder weniger eine Tat im Inland durch jemanden, der gar kein Sklave war, sondern normaler Leibeigener des Marchese di Verderame. Vittorio hatte keine Ahnung, wie in so einem Fall die Gesetzeslage war, weil die Verwaltung überhaupt noch nicht geklärt war und das fiel auch nicht in seinen Zuständigkeitsbereich. Darüber sollten andere sich Gedanken machen. Er für seinen Teil hatte seine Entscheidung getroffen.


    "Wir haben also eine mutmaßliche Verschwörung. Dazu drei adlige Tatverdächtige, davon einen ermordeten Graf und einen entlaufenen Sklaven und Mörder, der nach eigenen Worten von ihnen als Werkzeug der Verschwörung ausgebildet wurde. Was schlägst du vor, was ich nun mache?", hakte er nach.


    Er selbst wusste es bereits. Er wollte aber hören, wie der Sklave die Lage einschätzte.

  • Es war für Matteo eindeutig, dass seine Worte nicht überzeugend gewesen sein mussten. Letzten Endes war er auch nicht für das Sprechen, sondern für das Töten ausgebildet worden. Seine Aufgabe war es meist nicht, ein Publikum durch Worte von einer Sache zu überzeugen, sondern das gänzliche Gegenteil war der Fall. Wer nicht spurte, wurde eliminiert. Durch Matteos Hand. Zumindest war es zu den Zeiten so, als er Nataniel diente. Aber nun war es etwas komplett anderes. Hier konnte er niemanden einfach beseitigen, nur um die Ziele eines Herren durchzudrücken. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er reden und jemanden überzeugen müssen. Und Matteo hatte das Gefühl, dass er versagt hatte. Fürchterlich.


    Auf die grobe Zusammenfassung des Kommandanten nickte Matteo nur knapp. Dem gab es nichts hinzuzufügen. Stattdessen musterte er Vittorio genau. Es fiel Matteo schwer, ihn einzuschätzen oder gar abzulesen, was seine Gedanken waren. Natürlich hätte er ihn auch auslesen können, aber dies wäre niemals Sinn und Zweck der Sache gewesen. Ganz abgesehen davon, dass dies in diesem Moment gar nicht gekonnt hätte.


    So kam schließlich die abschließende Frage seitens Vittorio, was dieser nun machen sollte. Mit ausdrucksloser Miene fand Matteo eine direkte Antwort darauf: "Mich hinrichten für den Mord an einem Adligen, der unter das Hoheitsgebiet von Ledwick fällt. Meine Geschichte klingt absurd, gar unglaubwürdig, wenn man nicht das gesehen und erlebt hat, wie ich es getan habe. Das wäre vermutlich die beste und vernünftigste Variante."


    Im nächsten Augenblick spannte sich Matteo an. Seine Stimme tiefer, in seinen Augen musste sich ein Feuer widerspiegeln: "Oder Ihr geht den Hin- und Beweisen nach, welche ich Euch geliefert habe. Damit verhindern wir einen zweiten Krieg, welcher aus den Schatten geführt wird, schlagen einen Aufstand nieder, bevor er überhaupt ausbricht, wenn es nicht gar schon zu spät ist. Wenn ich schon losgeschickt wurde, um die ersten Soldaten auszuschalten, dann hat es vermutlich schon begonnen. Doch würde ich Euch dienen, Ledwick, in der Armee oder in einer anderen Abteilung, dabei helfen, Ledwick zu schützen und etwas zu verhindern, was fatal für das Land werden könnte - meine Heimat."

  • "Ich glaube die Grundzüge deiner Geschichte", sagte Vittorio. "Den Mord an seiner Erlaucht und den Groll des ehveroser Adels auf Ledvico. Was mich an deiner Geschichte stört, sind die vielen Lücken und Widersprüche. Warum lag ein Graf offenbar wochenlang in seinem Anwesen, ohne dass jemandem sein Tod oder Verschwinden auffiel? Warum hast du Zugriff auf die Waffenkammer? Solche Dinge. Da fällt es naturgemäß schwer, auch den Rest unkritisch als wahr anzunehmen


    Natürlich könnte ich dich nun deinem Lehnsherren übergeben, damit er über dich richtet. Ich könnte aber auch vorher dafür sorgen, dass deine Geschichte vollständig wird. Im Moment sieht es finster aus für dich, aber ich bin kein Unmensch. Du bist zudem ein Landsmann und dir ist durch die Entführung ein Unrecht wiederfahren. Du bist hochqualifiziert. Nach deinen Worten solltest du in der Lage sein, deine Unschuld zu beweisen, indem du all die fehlenden Beweise zusammenträgst und die Verschwörung im Alleingang auszuhebeln, ohne weitere Verbrechen zu begehen. Genau dafür bist du ausgebildet worden. Also, Matteo."


    Vittorio warf ihm einen Blick zu.


    "Du hast eine Aufgabe. Wie du sie löst und wie lange du dafür benötigst, ist für mich nicht relevant. Garlyn Meqdarhan wird dich begleiten. Dann bin ich ihn und seine Avancen los und du hast einen fähigen Mann an deiner Seite, der dich unterstützt. Er wird mir im Anschluss bestätigen, dass deine Worte der Wahrheit entsprechen. Sollte er zufällig verschwinden, ist die Chance, deinen Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen, verwirkt. Also gib auf ihn Acht. Es hat aber noch einen dritten Grund, warum ausgerechnet er dich begleiten soll. Den wirst du erfahren, wenn du seinen Geist ausliest, bevor ihr aufbrecht. Noch Fragen? Andernfalls darfst du wegtreten und aufbrechen. Die Dokumente bleiben hier."

  • Für einen Moment keimte die Freude in Matteo auf, als er bemerkte, dass Vittorio ihm Glauben schenkte. Natürlich waren einige Details unklar, welche aber durchaus plausibel erklärbar waren, doch benötigte es dafür sicherlich ein wenig mehr Zeit, als ein einfaches Gespräch auf dem zerstörten Hof der Burg Drakenstein. Zumindest konnte Matteo für sich behaupten, endlich eine Wirkung auf das Geschehen in Ehveros zu haben, womit er seine Dienlichkeit für Ledwick unter Beweis stellen konnte.


    Doch als Vittorio davon sprach, er müsse die Sache ohne weitere Verbrechen aushebeln können, weil er dazu ausgebildet worden sei, stockten für einen Moment Matteos Gedanken. Ich soll was? Nicht nur, dass es für ihn fast schon unwahrscheinlich schwer schien, eine solche Aufgabe ohne Netzwerk von Agenten und Spionen anzugehen, obendrein durfte er seine Waffen nicht gegen die Menschen erheben, die seiner liebsten Heimat schaden wollten. Das war der erste Moment seit Langem, in dem er Wut in seinem Bauch aufsteigen spürte. Es klang alles für ihn wie ein Hohn. Natürlich glaubte man ihm nicht, aber wollte Vittorio nicht erkennen, dass er nur Gutes für sein Land im Sinn hatte? Offenbar nicht. Vielleicht war er auch blind wegen der doch eindeutigen Ablehnung, zumal Matteo nicht wusste, wie er das anstellen sollte, als den Tod zu bringen.


    Doch Matteo begehrte nicht auf. Was brachte es ihn schon? Besonders als der Kommandant erklärte, dass Matteo auf diesen Garlyn angewiesen sei und auf diesen aufpassen solle, kam sich Matteo schließlich ganz nieder vor. Als Sklave war er Demütigungen gewohnt, doch griff Vittorio etwas an, was Matteo zuletzt heilig war: Seine Zuverlässigkeit und den Wunsch seinem Land zu dienen. Doch statt auch nur ein Widerwort zu bringen, verbeugte sich Matteo und antwortete ruhig: "So soll es geschehen, mein Herr. Fragen habe ich keine. Ich werde mich sofort auf den Weg machen."


    Zwar fragte Matteo anschließend noch, ob er seine Waffen zurückerhalten könne, doch dies wurde ihm unter eindringlichen und bestimmenden Gründen verwehrt. Also musste er noch nackt hinausziehen. Ein Umstand, der ihm gar nicht schmeckte. Doch auch davon ließ er sich neben eine rleichten Anspannung nichts anmerken und machte auf den Absatz kehrt, auf direktem Wege aus dem Hof hinaus. Doch nicht etwa zu Garlyn, der noch immer auf der Wiese zu warten schien, nein. Matteo beschloss sich seinen eigenen Plan. Etwas, was er seit Jahrzehnten nicht mehr getan hatte.


    Statt also den Befehlen zu gehorchen, wich er Garlyn weiträumig aus und plante alles weitere gedanklich. Zuerst brauchte er neue Dolche, dann einen Weg ach Ehveros. Wenn man ihn nicht offiziell die Menschen aus den Weg schaffen lassen, den Verbrechern ihre gerecht Strafe zukommen lassen wollte, würde Matteo dies selbst in die Hand nehmen. Damit stand sein Plan. Zwar war sein Weg auf der Suche nach zweifelsfreier Unterstützung für ihn umsonst gewesen, doch wenn dies der Preis war, war er willig, diesen zu bezahlen.