Der Thronfolger - 01.07.205 n.d.A.

  • Der Thronfolger - 01.07.205 n.d.A.



    Die nächtliche Stille wurde von einem unmenschlichen Schrei zerrissen. Tazio fuhr aus dem Bett hoch, denn Verrill neben ihm krümmte sich vor Schmerzen. Panik wollte in ihm aufsteigen, als er seiner Frau die Hand auf die Stirn legte, um sie zu beruhigen. Aber Verrill ließ sich nicht beruhigen, sondern wälzte sich unter Krämpfen im Ehebett hin und her. Sie biss die Zähne zusammen und war angespannt wie ein Bogen. Gerade als Tazio nach Vianello rufen wollte, war sein treuer Leibdiener auch schon an seiner Seite. Nello warf ein Blick auf das Geschehen und stürzte sofort aus dem großherzoglichen Gemach, noch bevor Tazio ein Wort verlieren konnte.


    Verrill warf sich herum und klammerte sich hilfesuchend an ihren Mann.

    "Hilf mir Taz...", flehte sie ihn an.


    Tazio hörte das draußen auf dem Gang gerannt wurde, sein Leibdiener riss die Tür auf und stürzte mit Dantoine hinein. Der Heiler warf einen Blick auf Verrill und nickte knapp.


    "Das Baby kommt", stellte er ruhig und sachlich fest, um allen die Panik in der Situation zu nehmen.

    Dan beugte sich über Verrill, untersuchte sie kurz und schaute dann Vianello an.


    "Heißes Wasser, Tücher und dann raus Ihr beiden", befahl er, während er Verrills Nachtwäsche aufschnitt.

    "Ich hab Angst", flüsterte Verrill erstickt und krallte sich in die Decke.

    "Ich weiß, aber wir beide haben das schon einmal hinbekommen und wir werden es wieder hinbekommen", erklärte Dan beruhigend.

    "Das haben wir", stimmte Verrill mit tapferem Lächeln zu und schaute ihren Mann an.


    "Ich liebe Dich Tazi", sagte sie mit belegter Stimme.

    "Ich liebe Dich auch", antwortete Tazio und seine eigene Stimme klang kaum besser als sie seiner Frau.


    Vianello rannte aus dem Zimmer und kam mit dem gewünschten wenige Augenblicke später wieder. Kaum hatte er alles hingestellt, fasste er Tazio bei den Schultern und führte ihn sanft aus dem Schlafgemach. Leise schloss Nello hinter sich die Tür. Dann hieß es warten. Der ganze Palast schien in Schweigen zu versinken, selbst die See war ungewöhnlich ruhig, so als lauschte die ganze Nation samt ihrem Element darauf was nun geschah.


    Die Schreie die aus dem Schlafgemach kamen zerrissen Tazio das Herz, er wusste wie schwer es für Verrills Körper war, diese Tortur durchzustehen, die schon eine normale Frau an den Rand der Verzweiflung brachte. Irgendwann war die Stille vollumfänglich. Stunden waren vergangen und nun stand die Stille wie ein Monument im Raum. Tazio und Nello blickten sich für bange Sekunden an.


    Ein Schrei zerriss die Lautlosigkeit, er kündete nicht von Schmerz, sondern von neuem Leben!


    Dan verließ das Schlafgemach und gab Tazio ein Zeichen einzutreten.

    "Euer Sohn wurde geboren. Mutter und Kind sind wohlauf", sagte er freundlich und führte ihn zum Bett.


    Selten hatte Tazio Verrill so schwach und dennoch so glücklich gesehen.

    "Dein Sohn Tazio", sagte sie liebevoll und streichelte das kleine zerknautschte Köpfchen, "er benötigt einen Namen".

  • Tazio war sehr bleich und still, als er darauf warten musste, was geschah. Vianello hatte von den üblichen täglichen Aufgaben eines Leibdieners recht wenig Arbeit mit seinem Herrn, selbst wenn dieser an die Grenze seiner psychischen Belastbarkeit geriet. Tazio wartete schweigend ab, während ihm jeder Schrei durch Mark und Bein ging. Als er endlich in den Raum treten durfte, war er froh, dass Verrill glücklich aussah.


    Tazio lächelte und schaute sich das winzige Baby in ihren Armen ab. Sein Kind, der Thronerbe von Ledwick, der nächste Löwe der See. Er hob den Kleinen sehr vorsichtig in seine Arme, um zu zeigen, dass er ihn anerkannte.


    "Delfio Zibal di Ledvico", sprach er den Namen aus, den er gewählt hatte. "Delfio heißt sowohl Delfin als auch Bruder. Zibal ist einer der Sterne, die nahe des Südsterns Sirio liegen."


    Dann versagte Tazio die Stimme. Er setzte sich auf das Bett und Tränen tropften auf das Tuch, in das sein Sohn gewickelt waren, während er lautlos weinte. "Ich wünschte, mein Vater hätte dich noch kennenlernen können, kleiner Delfio. Er hätte dich geliebt. Nun schaut er von seinem Stern auf dich hinab." Da der Säugling unruhig wurde, legte er ihn zurück in Verrills Arme, wo er nach der Brust seiner Mutter grabschte, was ein gutes Zeichen war. "Wer ist die Amme?", fragte Tazio besorgt, der sich überhaupt keine Gedanken dazu gemacht hatte. "Und wie geht es dir überhaupt Liebling? Bist du gesund oder hast du Schmerzen?"

  • Verrill versuchte sich etwas aufzusetzen, aber Dan drückte sie sanft zurück ins Bett. Vorsichtig nahm sie den kleinen Delfio in die Arme und wischte Tazio behutsam und liebevoll die Tränen fort.


    "Wo auch immer Dein Vater nun ist Tazio, er schaut zu und er wird über seinen kleinen Enkel wachen. Die Amme? Ich habe mir keine Gedanken darum gemacht.Wir könnten die Amme von Laurie für Delfio wählen Schatz. Mir geht es gut, aber ich habe auch Schmerzen. Der kleine Mann hat gekämpft, ich glaube er wollte noch etwas in mir bleiben, als er gemerkt hat, jetzt beginnt der Ernst des Lebens. Wir müssen auch meinen Vater, meinen Brüdern und ebenso Linhard bescheid geben. Du musst gut auf Delfio achten Tazi, er ist so klein und ich fühle mich so hilflos mit ihm. Ich kann ihm nichts geben, obwohl ich angeblich vollkommen bin. Ist das nicht lächerlich?", fragte Verrill betrübt.


    "Daran ist nichts lächerlich Eure Majestät, Ihr habt ihm das Leben geschenkt. Für die Milch finden wir eine Lösung, ich werde mich um eine Amme kümmern. Ihr habt einen sehr schönen Namen für Euren Sohn ausgesucht", sagte Dan und reichte Tazio ein Taschentuch.


    "Tazio leg Dich zu mir und nimm uns in den Arm. Möchtest Du Delfio hier behalten, oder soll er in ein eigenes Zimmer mit seiner Amme ziehen? Ich hätte ihn gerne hier, das beruhigt mich. Ich möchte ihn sehen, auch wenn er schläft. Bist Du damit einverstanden?", fragte Verrill und klopfte neben sich aufs Bett.


    Dan verließ leise das Zimmer und gab den beiden Zeit für sich, gleichzeitig wollte er sich direkt um die Amme kümmern. Draußen vor der Tür wartete immer noch Vianello. Der Leibdiener grüßte den Heiler mit einem erleichterten Lächeln, ehe er klopfte und den Kopf zur Tür hineinsteckte.


    "Darf ich eintreten? Benötigt Ihr etwas?", fragte er fürsorglich.


  • "Danke, Dantoine. Du hast sehr gute Arbeit geleistet, Ledvico verdankt dir das Leben seiner Ducachessa und seines Thronerben."


    Natürlich würde der Mann entsprechend belohnt werden, doch darüber wollte Tazio sich gerade keine Gedanken machen. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass Vianello ihm nicht gefolgt war.


    "Komm rein", bat er, während er sich zu Verrill legte.


    "Delfio soll bei uns schlafen und eine eigene Amme erhalten, besser noch zwei. Laurie benötigt seine Amme noch, Kinder sollten so lange wie nur möglich gestillt werden", erklärte Tazio seiner Gemahlin. "Beim Hochadel von Ledvico üblicherweise bis zum vierzehnten Lebensjahr, also bis zum Eintritt ins Erwachsenenalter. Später natürlich nicht mehr direkt aus der Brust, sondern die Milch wird in eine Schüssel gegeben. Die Amme wird dabei ungefähr alle zwei Jahre gewechselt, damit die Milchqualität nicht abnimmt. Mein Großvater, Rocco Salvatore di Ledvico, hat sich sein Leben lang von nichts anderes als Muttermilch direkt aus der Ammenbrust ernährt, da er einen Giftanschlag fürchtete. Vielleicht lag es daran, dass mein Vater Milchprodukte verabscheute und sie erbrach."

  • Verrill wartete einen Moment und zog Tazio dann ganz nah zu sich heran.


    "Du könntest Dan einbürgern, so dass er ein Ledvico wäre. Er wurde mir als Hofstaat mitgegeben, aber ich würde mich freuen, wenn er ganz uns verschrieben wäre. Er hat mir mehrfach das Leben gerettet und ich vertraue ihm absolut. Ich frage mich, wie zwei Brüder derart verschieden sein können. Kann man unterschiedlicher sein als Dantoine und Benito? Wusstest Du, dass Dantoine vorher bei Linhards Vater gearbeitet hat? Er war der Heiler ihrer Familie und Linhards Vater fand Dan wohl schräg. Keine Ahnung was an dessen Verhalten schräg sein soll, meist ist er umgänglich und freundlich.


    Bei Deiner Beschreibung stelle ich mir eine Armee aus Ammen-Eutern vor. Das Muttermilch gesund ist, dass weiß ich. Deshalb macht es mich traurig, dass ich Delfio nichts geben kann. Er muss mit anderer Milch Vorlieb nehmen. Alles andere bekommt er von mir. Sicher dass Dein Großvater nur aus Sicherheitsgründe gerne an der Brust hing?", fragte Verrill verschmitzt und küsste ihren Mann zärtlich.


    Vianello betrat das Gemach und blieb gerührt vor dem Bett stehen.

    "Wie heißt der Kleine? Ich muss seine Hoheit doch standesgemäß begrüßen", erklärte Nello und schaute sich den kleinen zerknautschten Prinzen an.


    "Wie klein er ist, es ist immer wieder erstaunlich. Darf ich ihn einmal halten?", bat Nello glücklich.

  • "Dan einzubürgern ist eine gute Idee! Das hätte schon längst geschehen sollen, wie bei Aurelien."


    Tazio gab Vianello seinen Sohn in die Arme. Es gab niemanden, dem er mehr vertraute als diesem Mann.

    "Delfio Zibal", stellte er das Kind vor. Die Bedeutung würde Vianello zu entschlüsseln wissen. "Nello, ich bin Papa", sagte er glücklich und umarmte Vianello samt dem Kind, wobei er sehr vorsichtig war.


    Dann musste Tazio leise lachen. Verrill war zu köstlich.


    "Es ist schon möglich, dass Großvater auch Freude an seiner Diät hatte, was erklären würde, warum Sirio so allergisch darauf reagierte. Aber du musst auch bedenken, wessen Sohn Rocco Salvatore war. Der Sohn von Vigil Ambrosio di Ledvico, dem Schlächter, dem Bastard. Dass er da seine Eigenheiten hatte, liegt auf der Hand."

  • Vianello nahm den kleinen Deflio wie eine heilige Reliquie entgegen und nahm ihn ganz vorsichtig in die Arme. Er schaute sich das Baby ganz genau an und schenkte Tazio ein strahlendes Lächeln. Er war stolz auf Tazio, sein kleiner Taz war nun ein Mann. Mehr noch er war Vater und das nicht nur von Delfio, sondern von der ganzen Nation. Nello bettete das Baby auf einen Arm und nahm Tazio in den anderen.


    "Du wirst es gut machen, Du wirst es besser machen. Einst vor langer Zeit hatte ich Dich auch einmal so im Arm. Und nun halte ich Deinen Sohn. Ich kann Dir nicht sagen, wie glücklich ich bin. Ich fühle mich wie ein frischgebackener Großvater. Du solltest Irving und Thabit Deinen Sohn zeigen Tazio, denn das war das Geschenk dass die beiden uns allen und Ledwick machten. Dort oben im tödlichen Eis, als er Dir wieder Leben einhauchte", sagte Nello voller Zuneigung und legte Delfio zurück in Tazios Arme und küsste Taz auf die Stirn.

  • Tazio wurde von so viel Glück erfüllt, als würde mitten in dem Schneesturm, den er einst hatte durchstehen müssen, die Wolkendecke aufreißen und milder Frühling hereinbrechen, der alles Eis taute. Er erwiderte den Kuss auf Vianellos Wange. Dieser Mann war sein Vater gewesen, als Sirio von ihm gegangen war und er hatte die Rolle besser erfüllt als jeder andere, von einem echten Vater abgesehen, es gekonnt hätte. Wie viel Tazio für seinen Leibdiener empfand, würde dieser bald erfahren.


    "Danke für alles, Nello ... ohne dich wären wir heute alle nicht hier. Bitte bereite uns in einigen Tagen, wenn ein freier Abend ist, ein gemeinsames Essen im kleinen Malachitzimmer zu." Das Kleine war das mit dem dunkleren Holz, welches eine gemütliche, private Atmosphäre schuf, während das Große für offizielle Anlässe verwendet wurde. "Ich möchte dir ein Geschenk machen. Vorerst organisiere bitte eine geeignete Amme."


    Das bedeutete höchste charakterliche Eignung, eine gute Abstammung, eine hervorragende Ernährung und einen Überschuss an Milch, damit der Thronfolger keinesfalls hungern musste und die Schmerzen in den übervollen Brüsten die Amme dazu anhielt, ihn eher zu oft als zu wenig anzulegen. Zusätzlich würde die Versorgung des Kleinen streng überwacht werden, genau wie die Ernährung der Amme. Tazio trug sein Kind wieder zu Verrill und legte es zurück in ihre Arme.


    "Ich werde Irving und Thabit rufen", sagte er und schloss die Augen.