Kapitel 14 - Die Liebe eines Vaters

  • Die Liebe eines Vaters


    Sturm zog auf und kündete von der kalten Jahreszeit auf Asa Karane. Wind und Wellen peitschten mit unbändiger Kraft gegen das Gestein der Insel. Heulend tobten Eisschauer über das Land. Grau, wie alles war auch das Eis dass vom Himmel fiel mit Asche vermischt. Es bildete seltsame Schlieren in der Luft, die einen auch ohne Kenntnisse der Insel davor warnten, sich jetzt im Freien aufzuhalten.


    Wie messerscharfe Dolche, fielen diese kleinen harten Eisscherben vom Himmel, was es genau damit auf sich hatte, wusste niemand. Vielleicht ein Überbleibsel aus einem längst vergangenen Krieg. Möglicherweise auch eine Auswirkung dessen, was sie der Insel und sich selbst angetan hatten. Niemand wusste es so genau, aber jeder wusste instinktiv was er bei diesen Stürmen zu tun hatte.


    Wie klein und schäbig die Hütte auch war, jeder war in diesen Zeiten froh über ein Dach über dem Kopf.


    Die Hütte des Erzhexers Indutiomarus von Hohenfelde war alles andere als klein oder schäbig, aber auch die Feste von Hohenfelde musste gegen dieses Wetter gesichert werden. Alles war fest verschlossen, verrammelt und mit Magie zusätzlich geschützt. Die Insel war in der kalten Jahreszeit geneigt sich einen Teil dessen zurückzuholen, was man ihr geraubt hatte.


    Ein junger Mann saß im Schlafzimmer des Fürsten. Bleich mit schneeweißem Haar und sehr kräftigen Händen die an Pranken erinnerten. Die Krallen die sie trugen, taten ihr Übriges dazu bei. Fast wirkte er von der Größe wie ein Kind. Doch mehr kindliches als die Körpergröße hatte er nicht an sich. Er war eine kleine Ausgabe eines Erwachsenen, der fest in den dichten, schweren und extrem wertvollen Pelzmantel von Indutiomarus vor der großen Feuerschale saß und sich wärmte.


    Als der Erzhexer sein Schlafzimmer betrat, schaute der junge Mann mit einem Gesichtsausdruck auf, den man nur sehr selten in diesen Mauern sah. Nicodemus lächelte seinen Vater herzlich an. Zeitgleich bekam er von seinem Vater einen großen Becher gereicht.


    "Trink und lass es Dir schmecken. Geht es Dir besser?", erkundigte sich Indu, schlang sich eine Decke um die schmalen Schultern und setzte sich neben seinen Sohn. Er betrachtete ihn eingehend, ja er kam nach Ditzlin, ganz eindeutig.


    Nicodemus nahm einen Schluck von dem heißen Blut, dass mit Gewürzen abgeschmeckt war. Dabei schaute er in die Flammen und rutschte zu seinem Vater auf.


    "Ja vorhin war mir so schrecklich kalt, alles tat mir weh. Die Wärme hat geholfen, so wie Du gesagt hast. Bleibst Du was hier?", fragte Nico hoffnungsvoll und hielt den Becher in beiden Händen, um sich daran ebenfalls zu wärmen.


    Indutiomarus legte die Decke mit über Nicos Schultern und streckte die Füße Richtung Feuerschale aus. Gemütlich lehnte er sich an seinen Sohn und nickte.


    "Heute machen wir es uns hier gemütlich. Ich bleibe bei Dir und bald wird auch Dein Vater Ditzlin wieder Zuhause sein. Da bin ich mir ganz sicher Nico, nur bei diesem Wetter kann er nicht reisen. Das ist zu gefährlich. Der Eissturm wird bald nachlassen. Aber bis dahin bleiben wir im Turm und machen es uns im Schlafzimmer am Feuer gemütlich", antwortete Indu und gähnte müde hinter vorgehaltener Hand.

    "Indu ich bin immer im Turm", grinste Nico schelmisch und trank einen Schluck Würzblut.


    "Das bist Du aus gutem Grund. Die Feste ist für Dich nicht sicher. Wie das aus meinem Munde klingt... Dann sollte ich dafür sorgen nicht wahr? Der Turm ist der sicherste Ort der Feste. Und im Turm sind meine Privatgemächer der sicherste Ort. Deshalb lebst Du hier. Sobald Du ausgewachsen bist, wirst Du mich begleiten. Vorher möchte ich Dich sicher verwahrt wissen. Noch bist Du nicht soweit, dass Du an meiner Seite wandeln kannst Nico.


    Und selbst Personen wie ich haben Widersacher. Es gibt zig mächtige Häuser und einige Fürsten. Sie alle säßen nicht auf ihrem Thron wären sie dumm, einfältig oder schwach. Es sind mindestens gleichwertige Gegner, unterschätze sie niemals.


    Zur Zeit ist das Machtgefüge ausgeglichen, jeder weiß was er hat, keiner möchte es verlieren. Bis dato stabile Zeiten, sehr fragile... stabile Zeiten... aber stabil. Dennoch wird Kuttenthal nicht grundlos einen Pakt mit uns gegen Kaltenburg geschlossen haben....


    Nun noch muss ich Dich nicht mit der Politik und den Machtkämpfen der Häuser belästigen, jedenfalls heute nicht. Nur so viel Nico, wandelst Du an meiner Seite, haben Dich die anderen Erzhexer und jeder der sich einen Namen machen möchte im Auge. Du trittst in Erscheinung... verstehst Du?


    Ab dato hast Du Feinde und jene die Deine Gunst erringen wollen. Und manchmal Nico... sind beide kaum zu unterscheiden...


    Deshalb lebst Du hier in diesem Turm, wohlbehütet. Manchmal mag es langweilig sein, aber es ist die Eintönigkeit der Sicherheit. Eines der höchsten Geschenke dass ich Dir erweisen kann. Du und Ditzlin Ihr bedeutet mir alles, vergiss das nie...", erklärte Indutiomarus und nahm einen Schluck Blut aus Nicodemus Becher.

    "Ich werde es nie vergessen Indu... Ditzlin und ich werden es nie vergessen", antwortete Nico und schmiegte sich an.


    "Sobald Du ausgetrunken hast, mache ich Dir Dein Bett. Versuch ein bisschen zu schlafen", flüsterte Indutiomarus und küsste seinen Sohn auf die Stirn.

    "Weckst Du mich, wenn Ditzlin nach Hause kommt?", bat Nico und trankt glücklich seinen Becher aus.


    "Selbstverständlich", schmunzelte Indu.



    ****

  • Enthüllte Verhüllungen


    Der Morgen graute und hüllte das Land in ein nasses, klammes und matschiges Schweigen. Indutiomarus stand am Fenster seines Turms und blickte auf das Land hinab. Grau. Mit diesem einen Wort ließ sich im Grunde die ganze Insel und ihr Leben beschreiben. Alles auf Asa Karane war grau. Der Himmel, die Erde, die Berge, die toten Wälder, die Festungen und ihre Bewohner.


    Grau...


    Indutiomarus drehte sich um und betrachtete Nicodemus, welcher neben der Feuerschale ruhte und langsam wach wurde. Selbst Nico war grau, aber seine Gedanken waren es nicht. Niemals hatte er in seinem Leben Leid erfahren und wenn es nach Indutiomarus ging, dann sollte es auch so bleiben. Doch diese Insel verlangte von jedem ihren Preis.


    Nicodemus streckte sich wie eine Katze und gab dabei ein Geräusch von sich, dass verdächtig nach einem Schnurren klang. Der schwere Pelzmantel rutschte dabei von seinem schlanken, sehnigen Körper. Mit dem breiten Handrücken wischte sich Nico über die schläfrigen Augen und setzte sich auf. Mit leuchtendem Blick schaute er seinem Vater entgegen, was Indutiomarus gerührt lächeln ließ. Seine Zähne waren ebenso scharf wie die seines Sohnes, nur war Nico mit den Atributen eines Jägers auf die Welt gekommen.


    Der Erzhexer schritt an seinem Sohn vorbei und strich ihm dabei durch das Haar. Für einen kurzen Augenblick verließ er das Schlafzimmer. Es dauerte nicht lange, dann kehrte er mit der Nahrung für sein Kind zurück. Blut. Erneut gab es heißes Würzblut. Indutiomarus reichte Nicodemus den Becher. Mit beiden Händen nahm ihn der junge Mann entgegen und trank genüsslich den ersten Schluck.


    Indu setzte sich neben ihn und legte Nicodemus dabei den Mantel um die Schultern. Für einen Moment schwiegen beide einmütig und schauten in die Glut des herabgebrannten Feuers. Der Fürst des Hauses Hohenfelde rutschte ganz nah zu seinem jüngsten Sohn auf und legte ihm dabei einen Arm um die Schulter. Nico blickte von seinem Becher auf, schnupperte nach Indu und schaute in den Becher.


    Die Lippen seines Vaters kräuselten sich zu dem Lächeln, dass den meisten das Blut in den Adern gefrieren ließ.


    "Du witterst richtig mein Sohn, Du hast weitaus mehr von mir bekommen, als mein Blut.

    Es ist nicht lange her Nico, da habe ich unten im Thronsaal einen Deiner Brüder geschlagen... bevor Du fragst, er hat nichts falsch gemacht. Der Hieb war eine Machtdemonstration, ein Verweis auf seinen Platz. Aber er war noch mehr, viel mehr, dieser Hieb erfolgte zu Deinem Schutz... er war Tarnung, Verhüllung.


    Dir enthülle ich diese Verhüllung Nico, denn Du bist mein Kind, entstanden aus reinem Herzen und der Liebe von zwei Personen...

    Mehr noch, entstanden aus allem was ich zu geben habe...


    Ich bin alt Nico, sehr alt... ich habe Dinge gesehen und erlebt, die keiner sehen oder erleben sollte. Gleichfalls habe ich derartige Dinge getan. Von all meinen Taten war eine einzige völlig selbstlos... Du.


    Einst klammerte ich mich an meine Existenz, wie ein Ertrinkender an ein Stück Holz auf hoher See. Mein Dasein war stets ein Kampf... ein Überlebenskampf Nico. Und dann trat vor gar nicht allzulanger Zeit Ditzlin in mein Leben. Und von einer bloßen Existenz die ich krampfhaft mit allen Mitteln verteidigte wandelte es sich in ein tatsächliches Leben. Hier im ewigen Grau Asa Karanes fand ich Farbe, Licht, Leben und... Liebe.


    Ich war mächtig Nico, sehr mächtig... und ich sage bewusst war mein Sohn.

    Alles was ich zu geben hatte, gab ich Dir.


    Einst wollte ich zu den Ewigen aufsteigen, aber lohnt es sich eine derartige Existenz auf die Ewigkeit auszudehnen? Das habe ich mich gefragt. Nein. Aber es lohnt sich, einem so wertvollen Schatz wie Liebe Leben einzuhauchen.


    Und so schuf ich Dich, mit Liebe, Blut und Magie. Mit fast allem an Magie was ich hatte... sogar meiner eigenen Essenz Nico...

    Herangewachsen bist Du in dem Gefäß, dass ohne Ditzlins Liebe mein Seele aufgenommen hätte...

    Genährt habe ich Dich von meinem Blut...


    Sollte uns heute ein anderes Haus angreifen... es läge nicht mehr in meiner Macht uns zu verteidigen...

    Ebensowenig werde ich einst ein Ewiglicher werden Nico. Das Gefäß für meine Ewigkeit habe ich liebenden Herzens an Dich abgetreten, es wurde Deine Wiege... anstatt mein ewiger Sarg...


    Und so trägst Du all das in Dir, was ich Dir geben konnte. Meine Magie, mein Blut, meine Liebe und meinen Segen.

    Sollte mein Schaffen den Untergang dieses Hauses besiegelt haben, dann sei dem so. Aber Magie ist nicht die einzige Macht, Nico. Noch gilt mein Wort und wir haben ein Bündnis mit den Kutten.


    Doch wisse eines Nico, sollte dieses Haus fallen, verteidige es nicht mit Deinem Leben.

    Das einzige was sich hier zu retten lohnt... das bist Du.


    Geh in diesem Fall, schwing Dich auf Flarinar. Reite auf seinen Schwingen der Nacht nach Wigberg. Jenes Haus dass mir ein Leben und Liebe schenkte und einen Sohn. Bei ihnen bist Du sicher.


    Aus diesem Grund schlug ich Deinen Bruder unten im Thronsaal. Ich habe eine magsiche Macht demonstriert, die ich nicht mehr habe. Es würde eine Ewigkeit dauern sie mir wieder anzueignen. Aber auch diese Ewigkeit habe ich nicht mehr Nico... Ich gab beides auf, für Dich...".


    Die Antwort von Nicodemus war eines Hohenfelde völlig unwürdig, er umarmte seinen Vater voller Liebe und mit Tränen in den Augen.



    ****

  • Blut


    Ein seltsames Knirschen erfüllte den Raum, ein Geräusch das Indutiomarus nicht direkt zuordnen konnte. Die Nacht war aufgezogen und hatte sein Gemach in völlige Finsternis gehüllt. Nicht das dies den Erzhexer jemals gestört hätte. Die Finsternis war sein Reich, der Mantel der alles verdeckte und ihn schützend umarmte. Der das verbarg, was anderen zu sehen nicht gestattet war.


    Der bleiche Blick des uralten Magiers wanderte nach oben. Mit einem lauten, dumpfen Krachen knallte eine Leiche neben Indu auf den Boden. Die schwarzen langen Haare fielen ihm über die Schultern, als er den Toten betrachtete. Die Kehle des Mannes war zerfetzt und sein Körper war übersäht von Schnitten, die ihm mächtige Klauen zugefügt hatten. Ein Toter war im Hause Hohenfelde kein ungewöhnlicher Anblick. Dieser Tote jedoch war anders, er war bleich und völlig blutleer.


    Das einzige Geräusch war das kurze Seufzen von Indutiomarus als er erneut den Blick hob. Hoch oben auf dem schmalen Geländer dass zum Dach führte, hockte Nicodemus im Schatten wie eine überdimensionale Katze. Seine schwarzen Krallen waren in das Holz gegraben, sein reißzahnstarrender Mund triefte vor Blut. Mit dunklem, brennendem Blick starrte Nicodemus zu seinem Vater herab. Indutiomarus nahm eine bequemere Haltung ein und erwiderte den Blick ohne mit der Wimper zu zucken.


    Er sah wie das Leben zurück in die Augen von Nico sickerte und das Raubsüchtige aus ihnen verschwand. Mit einer Hand wischte sich Nicodemus über das Gesicht, um das letzte Blut aufzufangen und aus der Handfläche zu lecken.


    "Komm herunter Nico. Dambur Jenbruck war nicht als Speise gedacht.... nun sei es drum, was nützt ein Lehrer, der sich überrumpeln lässt... Komm her Nico", sagte Indutiomarus leise.


    Nico stellte bewusst für einen Moment die Ohren auf Durchzug und porkelte mit einer seiner Krallen zwischen seinen Zähnen, ehe er gewillt schien dem Ruf seines Vaters zu folgen. Gemächlich kletterte er zu Indutiomarus herab und schaute zu seinem Vater auf. Indu betrachtete seinen Sohn wohlwollend. Nicodemus hatte die weichen, sanften Gesichtszüge von Ditzlin, die Indutiomarus so liebte. Die spitzen Ohren hatte er von ihm. Indu nahm die Hände von Nico in seine und drehte sie mit den Handflächen nach oben und betrachtete sie eingehend.


    "Was hast Du empfunden... als Du Dambur getötet hast...?", fragte Indutio ohne jede Anklage in der Stimme.

    "Hunger", antwortete Nicodemus und schloss seine kräftigen Hände um die seines Vaters.


    "Hunger.... ja Hunger Nico...", antwortete Indutiomarus und küsste seinen Sohn auf die Stirn, der ihm fast bis zur Schulter reichte.




    ****