• Das Harpunenfest

    Der Dhunische Ozean ist Lebensspender und, weniger bekannt, auch Herr des Wetters. Der Ozean beeinflusst die Temperaturen, die Jahreszeiten und damit auch die Wanderung von Fischen und Walen. Im Winter, wenn Eisschollen über die Wasseroberfläche treiben und die Wellen an den Ufern gefrieren, steigen viele Fische in tiefere und damit wärmere Schichten ab, wo sie überwintern. Somit sind sie für die Menschen nicht mehr zu erreichen. Für ein Volk, das sich zum wesentlichen Teil von Fischfang ernährt, ist das ein Ereignis, dem Bedrohlichkeit innewohnt. Was ist, wenn die Fische nicht mehr vom Meeresgrund zurückkehren?


    Doch nicht nur den Menschen fehlen sie als Nahrungsquelle, sondern auch den Scheckwalen, die sich räuberisch von Fischen nähren, und ihnen nicht in solche Tiefen folgen können. So wandern die imposanten Raubtiere in andere Gefilde. Im Frühling, wenn das Wasser an der Oberfläche wieder wärmer ist als das in der Tiefe, steigen die Fische erneut hinauf zum Licht. Mit den Fischen kehren im Frühling auch die Scheckwale nach Ledwick zurück.


    Sie bringen den Frühling mit sich, so heißt es. Sie bringen Sonne und Wärme, sie bringen Jagd und Leben. Nach dem langen, fischarmen Winter ist das fette Fleisch früher oft lebensrettend gewesen. Auch heute noch, da der Handel ganzjährig Nahrung bringt, wird die Ankunft der Scheckwale im Frühling als Volksfest zelebriert. Das Harpunenfest ist trotz des brachialen Namens und der blutigen Jagd ein Fest des Lebens und der Gemeinschaft. Die gemeinsame Waljagd mit einer verschworenen Gemeinschaft von Waljägern gilt als die Königsdisziplin der Harpunenjagd. Sie erfordert neben der geweihten Harpune auch hochwertige Schiffe, eine bestens ausgebildete Mannschaft und einen Funken Wahnsinn.


    Die ledwicker Waljagd ist jedoch nicht mit der kommerziellen naridischen Waljagd zu vergleichen, sondern ist ein religiöser Akt.


    Die traditionell gefertigte Harpune ist so lang wie ihr Besitzer. Sie ist mehr als eine Jagdwaffe, sie ist ein Kultgegenstand. Mit ihr in der Hand wird die Jagd zum Dienst an Alvashek. Der Jäger selbst verziert sie individuell, oft bunt, denn sie ist Teil von ihm. So sieht jede Harpune anders aus. Vom Speer unterscheiden sie sich am vorderen Ende durch Reihen von Widerhaken, mehrere hintereinander, die verhindern, dass die Beute von der Jagdwaffe rutscht.


    Das hintere Ende der Harpune wird mit einer langen Leine am Schiff befestigt, so dass die Harpune geworfen werden kann, ohne dass sie verloren geht. Bei einem Treffer geht der Kontakt zur Beute nicht mehr verloren. Für die Scheckwaljagd sind entsprechend wuchtige Schiffe erforderlich, die der Wal nicht kentern oder versenken kann. Aufgrund der schieren Gewalt dieser Tiere bleibt die Waljagd ein lebensgefährliches Unterfangen.