Kapitel 14 - Verstärkung vom Festland

  • Verstärkung vom Festland

    An den Gestaden von Monleone stand ein Mann in dunkler Robe. Der Sommerwind fuhr in sein schwarzes Haar, der den salzigen Duft des Meeres mit sich trug. Im Gegensatz zu Irvings üblicher Gewohnheit ließ er sich heute von einer Abordnung der Armada begleiten. Mit Speeren, deren stumpfe Enden sie als Stoßlanzen gegen Zivilisten einsetzten, schufen die Soldaten Platz. Weitere von ihnen sicherten mit kleinen, schnellen Kriegsschiffen den Seeweg in Richtung Festland. Irving erwartete hochkarätige Gäste. Aufmerksam blickte er in Richtung des Streifens am Horizont, wo das Festland grünte.

  • Das schittige Schiff glitt eine Kurve und landete butterweich am Steg. Man ahnte bei so viel natürlicher Leichtigkeit, dass der Kapitän ein Ledvigiano sein musste und so war es aus. Alejandro, wie er nun wieder hießt, ließ erst alle anderen aussteigen, dann ging er als letzter von Bord.


    "Exzellenz", grüßte er den Mann, für den er all die Jahre gearbeitet hatte, gefolgt von einer leichten Verneigung. "Alles lief gut, es gab keine besonderen Vorkommnisse. Ich habe hier die Flüchtlinge aus Souvagne, die evakuiert werden sollten und nun eine neue Heimat suchen. Insbesondere die Soldaten werden des Schutzes bedürfen, da sie nun fahnenflüchtige Deserteure sind."

  • "Ich verstehe." Natürlich verstand er, es war ja alles abgesprochen. "Dann bleibt mir nur zu sagen: Willkommen zu Hause. Alles Weitere wird seine Majestät mit euch besprechen."


    Den wichtigsten Mann an Bord hatte der gute Alejandro natürlich nicht erwähnt, hinter dessen harmlosem Buchhaltergesicht sich der gefährlichste Spion seiner Zeit verbarg. Vendelin würde fortan in größerer Lebensgefahr schweben, als alle desertierten Soldaten zusammen, denn er kannte die dunkelsten Geheimnisse aller Adelshäuser der almanischen Länder. Jahrzehnte hatte er dafür aufgewendet, sie zusammenzutragen, genau genommen sogar noch länger, denn diese Aufgabe oblag bereits seinem Vater und Großvater. Wahrscheinlich reichte dieser Teil der Familiengeschichte bis in die Tiefen der Vorzeit zurück. Und nicht einmal die Geheimnisse der Krone von Souvagne waren vor ihm verborgen geblieben.


    Irving trat an seinen Verwandten heran, nun lächelnd, wie man es selten sah, und bot ihm die Hand. "Wir haben uns lange nicht gesehen. Es freut mich, dass wir uns wiedersehen, Vendelin, auch wenn der Anlass ein zweischneidiges Schwert ist."

  • Vendelin griff mit der Rechten Irvings Hand und legte ihm die Linke an den Oberarm. Sein Griff war fest, kalt und etwas feucht.


    "Sei mir gegrüßt, mein Lieber. In Zukunft werden wir viel Zeit für ausführliche Gespräche haben."


    Mehr, als Vendelin recht sein konnte, doch die Zeiten änderten sich. Die Brandung brach sich an starken Mauern, doch Sickerwasser drang durch jede Spalte. Alles, was es benötigte, war Zeit. Viel hatte Vendelin bewirkt und allzu viele Jahre blieben ihm nicht mehr, bevor das Alter ihn einschränken würde. Im Gegensatz zu anderen hatte ihn nie die Unsterblichkeit gereizt. Die Aufgabe in den letzten Jahrzehnten war die Sicherung dessen, was er erreicht hatte, eines sicheren Hafens für die wenigen Blutsverwandten in direkter Linie, die ihm geblieben waren, allen voran für seinen Sohn und seinen Enkel. Er würde alles mitnehmen, was er für notwendig erachtete.


    Unbezahlbar war, was er unsichtbar bei sich trug: sein Gedächtnis und all die Geheimnisse und Informationen, die er im Laufe seiner Zeit als Spion zusammengetragen hatte. Und diese würden ihm die Legitimation liefern, den Schutz der Korallenkrone höchstselbst zu erbitten.

  • "Fürwahr, Vendelin. Fürwahr."


    Ein tiefer Blick bestätigte das uralte Bündnis. Es hatte geruht, doch war nie eingeschlafen. Wigberg in Souvagne, Kaltenburg in Ledwick - beide nahe der Krone. Nun war es Zeit, die Kräfte zu bündeln. Ledwick, wo ihre Vorfahren einst mit dem letzten Schiff des Lazzaro Fedele auf einer Sandbank aus weißem Sand aufgelaufen waren - es war der geeignete Ort für einen Neuanfang.


    "Ich lasse euch in eure Unterkünfte bringen. Nachdem ihr euch erfrischt und eine Kleinigkeit gespeist habt, wartet der Duca auf euch."