Beiträge von Mard

    Schweig für mich.


    Da waren sie, die Widerlinge, und quatschten. Mard würde sie am liebsten alle umbringen. Die Söldner machten sich wie befohlen bettfertig, was bedeutete, dass sie die versteckten Alkoholvorräte herausholten. Mards Nüstern weiteten sich hasserfüllt bei der Geruchskombination aus Mann und Alkohol. Mit der Kombo hatte er schlechte Erfahrungen gemacht. Die Söldner waren nüchtern schon dumm gewesen, doch jetzt spürte Mard den Drang, ihnen augenblicklich die Stimmbänder herauszureißen. Jozo hatte den passenden Begriff Lautmüll für diese akustischen Absonderungen erfunden. Während eben jener Jozo vor Vorfreude lächelnd lauerte und dessen Werkzeug ruhig auf seinen Einsatz wartete, zitterte Mard vor lauter Hass und seine Nasenflügel waren gebläht, die Mundwinkel angespannt nach unten gezogen. Es dauerte Stunden, ehe endlich so etwas wie Ruhe im Mannschaftsquartier einkehrte. Still war es deswegen nicht. Atemgeräusche, Schnarchen, Grunzen, Schnauben, quietschende Metallbetten, das Rascheln von Bettdecken beleidigten Mards empfindsame Ohren. Es war ekelhaft.


    Und noch länger dauerte es, bis das Zielobjekt endlich allein in Richtung Donnerbalken wankte. Mard hatte schon befürchtet, dass der heute Nacht durchschlafen würde. Der fette Alb trug seine lange Unterwäsche und schlappte in offenen Kampfstiefeln in Richtung Abort. Die zwei Jäger und das Werkzeug glitten hinter ihm her, schlichen und kletterten lautlos durch das nächtliche Söldnerlager. Dank ihrer geringen Körpergröße fiel es ihnen leicht, sich inmitten dieser für grobschlächtige Muskelberge ausgelegten Umgebung zu verbergen. Sie hatten genügend Platz und ausreichend große Spalten, um effizient von Schatten zu Schatten zu gleiten.


    Die Wachen waren günstig aufgestellt, das hatten sie zuvor in Erfahrung gebracht - günstig für die Jäger.


    Da war das Ziel. Jozo gab seinem Werkezug ein Zeichen und es postierte sich, um Wache zu halten, während Mard und Jozo, die Jäger, das Objekt in die Zange nahmen. Beide warteten, bis der Klops sich die Hose über den Hintern gezogen hatte und sich auf den Balken setzen wollte. Dann sprangen sie zeitgleich, als ob es abgesprochen gewesen wäre. Es war jedoch nicht abgesprochen, sondern sie erkannten zeitgleich den günstigen Augenblick, als ihr Opfer gerade besonders unaufmerksam war und instabil stand. Ihre kleinen, aber muskulösen Körper schlugen auf seinem ein. Der gelbe Goblin krallte sich von vorn an dem voluminösen Körper fest, Mard von hinten. Da sie von unterschiedlichen Seiten an ihn herangesprungen waren, setzte ihr Aufprall Scherkräfte frei, die den ohnehin gerade instabil stehenden Mann mit einer Drehung von den Beinen riss. Er stürzte in den Schlamm.


    Er fiel der Länge nach auf die Seite und hätte sicher aufgeschrien, wenn die Würgeschlinge um seinen Hals ihn nicht daran gehindert hätte. Mard zog sie fest und Jozo gab dem mit offenem Mund nach Luft ringenden Kerl einen tiefen Zungenkuss. Anschließend schmatzte er leise, als ob er den Geschmack auf seiner Zunge analysierte. Die Hände des Alben konnten sich derweil nicht entscheiden, ob sie die Würgeschlinge vom Hals zu ziehen versuchen oder die beiden Angreifer abwehren sollten und fuchtelten stattdessen sinnlos herum. Ein sehr neuer Rekrut musste das sein. Untrainiert, unerfahren, unnütz. Niemand würde ihn vermissen.


    Mard ließ Jozo Zeit, um weiter mit dem Alb zu spielen, auch wenn es ihn abstieß und er lieber seinem Hass freien Lauf lassen und diesen nutzlosen Haufen Fleisch abschlachten wollte. Aber sie hatten eine Vereinbarung. Mard riss sich also zusammen und ließ dem Alben zwischendurch genügend Luft, so dass er nicht völlig bewusstlos wurde und noch ausreichend zappelte, damit Jozo seinen Kick bekam. Mard sah nicht, was Jozo alles mit ihm anstellte und es war ihm auch egal. Ihm war nur wichtig, dass er es war, der das Opfer letztendlich töten durfte. Schließlich ließ Jozo von dem Alben ab. Der Körper war nun vorne offen und irgendwas hing aus ihm raus.


    Nun war Mard an der Reihe, Spaß zu haben.
    Seine Greiffüße hatten sich in dem Hüftspeck festgekrallt wie ein Paar Hände und sein Greifschwanz sich um den dicken Oberschenkel gewickelt. Er spürte mit allen Gliedmaßen, wie dieser Körper um sein erbärmliches und bedeutungsloses Leben kämpfte und genoss jede Zuckung, jedes Zittern, jedes Krampfen. Er presste sich mit dem Bauch an den fleischigen Rücken und warf die Schlinge beiseite. Pfeifend sog der Alb mit aufgerissenem Mund die Luft ein, während Mard ihm zeitgleich mit seiner zur Klinge gefeilten Klaue unterhalb des Kehlkopfes den Hals durchschnitt. Schreien war nun nicht mehr möglich und Mard brauchte den Mann nicht länger mehr zu würgen, sondern konnte die Hände um seine Brust legen, die Wange auf seinen Rücken gebettet und genüsslich spüren, wie starb.


    »Schweige für mich«, flüsterte er zärtlich. »Schweige.«


    Er hielt dem Alben eine Weile die geöffneten Halsschlagadern zu, damit es noch etwas länger dauerte, und genoss das vergebliche Winden, Wälzen und Zappeln. Mard war sehr glücklich. Er schloss die Augen, um sich besser auf seinen Tastsinn konzentrieren zu können und lächelte. Mard hätte nicht entspannter sein können. Er klappte den Lendenschurz hoch, um auch unten das Regen ungefiltert wahrnehmen zu können.
    Als die Bewegungen des Alben schließlich immer weiter nachließen, erfüllte ihn Wehmut. Schade, dass die Opfer solch einen intensiven Todeskampf nie lange durchhielten. Noch lebte der Alb zwar, doch er war nutzlos geworden mit so schwachen Zuckungen. Mard ließ von ihm ab, betastete ihn noch einmal prüfend, ob er nicht doch noch irgendwie zu stärkeren Reaktionen zu bewegen war, doch da war nicht mehr viel herauszuholen. Für heute war das Spiel vorbei.


    »Alle«, konstatierte Mard und richtete sich auf.
    »Ich auch«, antwortete Jozo mit einem breiten Grinsen.
    »Ich hätte ihn gern mitgenommen! Den Nächsten holen wir nach Hause, damit wir länger was davon haben! Vicdings, schneid den Henkel raus! Ich weiß nicht, welches Teil das ist!«
    »Na das hier«, erwiderte Jozo anstelle von Vicarri und trennte einen dicken langen Hautstreifen aus dem Rücken des Sterbenden heraus. Er reichte ihn Mard, der daran roch und einmal drüberleckte, ehe er ihn sich mit einer Schleife um den Bauch band.
    Sie machten sich auf den Rückweg zum Alten Alfons.


    Mard war gespannt, wie die neue Schleife sich an seiner Geldkatze machen würde.

    Eindringlinge.


    In das gut bewachte Sölderlager zu kommen, war eine Herausforderung für sich. Doch sie alle drei waren routinierte Killer und nach einer langen Zeit, in der sie die Abläufe der Wachen nur beobachteten, schlugen sie schnell und effizient zu.


    Drei Wachen, die draußen vor dem Lager patroullierten, drei Killer. Sie vereinbarten die Reihenfolge. Wenn sie die weg hatten, hieß es, den Wachen auf dem Wehrgang auszuweichen oder sie vollständig auszuschalten.


    Die erste Wache holte sich Mard, als der Söldner sich gerade im Schatten stehend die nächste Rauchstange ansteckte und seine Kumpane weitergingen. Der Düsterling sprang von hinten auf ihn und stopfte ihm seine Faust in den Rachen, damit er nicht schreien konnte. Er gab ein würgendess Geräusch von sich, doch seine beiden Kameraden unterhielten sich gerade und hörten es nicht. Mard bewegte die Finger und spürte die wellenartigen Krämpfe im glitschigen Rachenfleisch, Kontraktionen, welche die Faust wieder hervorwürgen wollten. Mard arbeitete dagegen, bis er auch die Nasenatmung blockierte.


    Die wellenartigen Bewegungen übertrugen sich auf den Oberkörper und dann auf den ganzen Leib des Mannes. Sie wurden schneller, abgehackter. Als der Söldner krampfend zusammenbrach, schwang Mard sich nach vorn, um sein Gesicht zu beobachten. An seinem Handgelenk sickerte viel Speichel aus dem Mund heraus. Der Mann glotzte ihn an, als hätte er einen riesigen Schwanz bis zum Anschlag im Rachen stecken. Mard fand das lustig und lächelte. Als der Mann bewusstlos zusammensackte, endete der Spaß, leider. Mard schnitt ihm die Zunge heraus und warf sie Jozo zu, der sie lässig fing und sie verzehrte als Snack für Zwischendurch. Vicarri bekam nichts, er würde die Geste ohnehin nicht zu schätzen wissen. Mard setzte einen raschen, sauberen Kehlschnitt. Der Kerl würde nie wieder aus seiner Ohnmacht erwachen. Eine dunkle Lache breitete sich aus.


    Der zweite Söldner gehörte Jozo.


    Der Goblin machte aus mehreren Metern entfernung eine schnelle Bewegung mit dem Arm, als würde er etwas werfen und etwas wie eine lange, scharfe Schnur peitschte durch die Luft. Das hatte Mard schon mal gesehen, aber er verstand nicht, was das war und wie es funktionierte. Es wickelte sich zuverlässig um die Stirn des Mannes und als Jozo den Arm zurückriss, kullerte die Kuppel des Schädels zu Boden, ehe der Körper hinabklatschte.


    Der letzte Söldner fuhr von dem Geräusch alarmiert herum. Dieser gehörte Vic. Vic setzte die Armbrust an, doch in dem Moment riss die Sehne mit einem Knall und die Waffe wurde untauglich. Der Söldner wollte die Waffe ziehen, doch in der Aufregung war die Bewegung nicht flüssig genug und er verlor eine wertvolle Sekunde, die ihn das Leben kostete. Kurzerhand sprang Vicarri auf ihn, noch immer die Waffe in der Hand, zweckentfremdete sie als Hammer und verarbeitete sein Gesicht zu einem blutigen Matschhaufen.


    Sie alle drei keuchten nach den kurzen Gefechten. Es war eine schöne Aufwärmübung, bevor es zum Ernst überging.


    »Guck mal«, flüsterte Jozo und als Mard sich umdrehte, hatte er das halbe Gehirn aus der abgetrennten Schädelschale wie einen schwabbligen roten Hut auf dem Kopf.
    »Sexy«, erwiderte Vic.
    Mard jedoch schnaubte unwillig. Er warmomentan zu konzentriert auf die Jagd, als dass er Interesse an Spielchen hätte. Sie hatten keine Zeit zum Spielen. Aber das würde kommen. Für den Henkel seiner Tasche würde er sie sich nehmen, gewiss.


    »Heda«, rief plötzlich jemand von den hölzernen Zinnen herab.
    »Morasa?«, fragte Jozo und seine Ohren bewegten sich unter der schwarzen Sturmhaube.
    Einen Moment herrschte Stille. »Wer ist da?«, rief die Stimme dann zurück.


    Anstelle einer Antwort machte Vic eine Räuberleiter und als Jozo darauf stieg, warf der andere ihn ein gutes Stück hoch. Im Flug ließ Jozo seine Peitsche hervorschnellen und nutzte sie als Enterhaken. Das klauenartige Ende krallte sich oben in die Zinnen. Er zog sich hoch und tuschelte eine Weile mit dem Söldner auf der Mauer, den er zu kennen schien.
    Kurze Zeit später ließ Jozo ihnen ein Seil herab.


    Vicarri hangelte sich flink daran hinauf, Mard hingegen nutzte lieber seine Klauen. Ein Seil konnte reißen, seine Klauen waren stets zuverlässig. Wie eine Katze sprang er an die hölzernen Palisaden, krallte sich mit allen Vieren fest und machte den nächsten Satz. Mit fünf Sprüngen war er oben und seine nackten Füße landeten lautlos auf den geteerten Bohlen. Er trat auf den Waldalb zu, der sie hinaufgelassen hatte, um diesen Zeugen zu töten, doch Jozo hielt ihn mit einer Berührung an der Schulter auf.


    »Das geht nicht. Er ist ein großer Bewunderer von mir. Er bringt mit Opfer dar.«
    Mard blickte einen Moment gereizt zwischen den beiden hin und her und überlegte, ob er sie einfach alle beide umlegen sollte, aber dann grinste er. »Guter Alb.«


    »Wir suchen einen fetten Alben«, erklärte Jozo dem Waldalb. »Er muss zu Mards Geldkatze passen.«
    Mard wedelte mit dem umgebauten Magen vor Morasas Gesicht herum.
    »Für die Hier! Wir brauchen den Henkel!«
    Der Alb beäugte die Geldkatze kritisch. »Ich kenn da wen geeignetes. Folgt mir.«
    »Seid wann bist du eigentlich Söldner, Mo?«, fragte Jozo, während sie gingen.
    »Überhaupt nicht. Ich bin hier nur zu Besuch. Mein Freund wohnt hier. Oder dachtet ihr, ich wäre eine Wache?«
    »Du musst mir mal wieder was opfern. Ist lange her.«


    Morasa verwandelte sich in einen Marder, huschte schnuppernd durch die Gegend und suchte ihnen einen guten Weg zu ihrer finalen Beute.

    Jagdwetter.


    Die Luft war drückend schwer, die Dachschindeln und Pflastersteine glitschig unter Mards Händen und Füßen. Alle Oberflächen dampften, noch warm vom Tage, und Nebel zog durch die nächtliche Stadt. Tiefhängende Wolken verbargen die Sterne und beide Monde. In der Ferne donnerte es und Wetterleuchten zeigten sich über dem Meer, an dessen Ufern Obenza in die Wolken ragte. Die Nacht legte sich schwer, heiß und feucht wie der Schoß einer Frau um Mards Haut. Doch während er an Geschlechtsorganen kein Interesse hegte, das über anatomische Neugier hinausging, versetzte ihn das drückend schwüle Wetter in unaufhaltsame Erregung. Warum es so war, wusste er nicht, doch es war schon immer so. Seine Nüstern zuckten, er witterte und die spitzen Ohren drehten sich unentwegt, während die Bewohner der Stadt, die um diese Zeit noch munter waren, sich vor dem Regen in die Häuser, Tavernen und Bordelle flüchteten. Mard war es, vor dem sie fliehen sollten, doch sie wussten noch nicht einmal, dass er in diesem Revier unterwegs war. Sie wichen in das Innere ihrer künstlichen Höhlen und machten Raum für die Jäger. Diese Nacht gehörte ihm, er fühlte sich wild und frei, Obenza lag unbefleckt und willig vor ihm.


    Wie eine schwarze Katze glitt der Düsterling durch die von einzelnen Gaslaternen erhellte Dunkelheit. Unten sah er ihr fahles orangefarbenes Licht und verschwommene Schatten, oben verschwanden die Etagen der Hochhäuser gänzlich in der dunklen Einheit der Wolken. Unten plätscherten Ströme die Rinnsteine entlang und gluckerten hinab in die Kanalisation, oben hing Mard an einer Regenrinne und versuchte mit einiger Mühe sich zu orientieren. Der Geruch des Regens hatte die vertrauten Düfte der Stadt davongespült und die trommelnden Tropfen störten sein Gehör und seinen Ultraschall. Mards Haut glänzte schwarz und feine Bäche rannen von seinen Armen, als er sich endlich für eine Richtung entschied und auf allen Vieren über die Balkone kletterte, die endlosen Regenrinnen hinauf hinab, durch kleine Spalten, durch die kaum sonst jemand passte und den geheimen Pfaden folgte. Diese Nacht war perfekt, sie war für große Taten gemacht! Heute wollte Mard nichts stehlen, keine Hühner oder Kaninchen aus Boxen in Hinterhöfen und Balkonen. Heute wollte er, dass jemand starb. Und er würde nicht allein jagen gehen. Mard hielt auf einem Balkon inne und blickte in die Ferne. Ja, hier war er richtig. Es stank nach Tang und keine Häuser stoppten mehr seinen Blick. Da war nur das Meer. Unter ihm lag der Hafen, die großen Schiffe mit den zusammengerollten Segeln standen vollkommen still, kein Wellengang brachte sie zum Schaukeln. Wie dünne Seidenschnürre fiel der Nieselregen gerade nach unten. Doch die Schiffe waren nicht sein Ziel, sondern das, was sich sonst noch im Hafen befand. Er rutschte die Regenrinne hinab, ein Schleifgeräusch ertönte, bis seine nackten Füße klatschend auf dem Kopfsteinpflaster genau neben dem Eingang landeten, den er gesucht hatte.


    Perfekt!
    Zwar konnte Mard das hölzerne Schild nicht lesen, doch er wusste, was darauf stand. Dies war der Alte Alfons, die bekannteste Hafentaverne der Gegend und hier würde er mit etwas Glück seinen heutigen Jagdgefährten finden. Er konnte es kaum abwarten, dass sie loszogen, sein Herz schlug heftig, Mard war nervös und sein Schwanz peitschte unruhig.
    Als er die Tür aufdrückte, schlug ihm ein Inferno des Gestanks aller möglichen Völker entgegen. Pfeifenkraut aus der Souvagne, Wein aus der Hohen Mark und Kaffee aus dem verfluchten Rakshanistan. Und Schweiß, Schweiß, noch mehr Schweiß, Stiefelfett, nasses Leder und der Gestank von willigen Geschlechtsorganen, der Mard eine Gänsehaut des Abscheus über den Rücken jagte. Matrosen und Söldner aus den umliegenden Söldnerlagern und Soldaten beider Fraktionen lungerten hier herum und schäkerten mit Dirnen. Eine explosive Mischung, die vom Regen hineingetrieben und zusammengepfercht worden war. Mard trat ein. Er fürchtete sie nicht. Er hatte schon ganz andere Situationen mit heiler Haut überlebt.
    Er sah, was er gesucht hatte. Ohne am Thresen eine Bestellung aufzugeben trat er an einen der Tische. Wie erhofft saßen dort in einer Ecke, den Rücken zur Wand, der Gelbe Goblin und sein Werkzeug, der Schakal. Letzteren hatte Mard noch nie gesehen, aber er ging der Beschreibung nach stark davon aus, dass er es sein musste. Die beiden hatten ihn längst bemerkt, denn sie waren Jäger wie er und ihre Sinne stets auf der Pirsch, selbst wenn ihre Körper ruhig hier saßen. Während Mard auf sie zu ging, zeigte sich auf ihren Gesichtern ein sehr unterschiedlicher Ausdruck. Jozo lächelte und trat unter dem Tisch gegen einen Stuhl, der laut knarrend zu Mard herübergeschlittert kam, so dass er sich setzen konnte.
    „Besten Dank“, kommentierte Mard, wie gewohnt grinsend, ohne echte Freude zu empfinden. Er war innerlich durch und durch im Jagdfieber und würde erst dann fröhlich sein, wenn die geplante Tötung erfolgreich verlaufen war.
    Der Schakal blickte ungehalten drein. Jozos Hand lag gerade auf seinem Oberschenkel und Mard roch sehr genau, was der Schakal bei der Berührung fühlte. Etwas, das ablenkte und schwach machen konnte, wenn man es nicht im Griff hatte. Auch jetzt bestimmte es die Emotion des Schakals, wo andere Dinge doch so viel wichtiger waren. Aber vielleicht hatte Jozo sein Werkzeug auch gezielt so trainiert, um es leichter kontrollieren zu können. Keine schlechte Taktik. Auch Mard hatte schon still gehalten, nur um im entscheidenden Augenblick nah genug an seinem Opfer zu sein. Der Gelbe Goblin war schlau.


    „Du hier, was für eine Überraschung“, sagte Jozo. „Ich hätte nicht gedacht, dass du in diesen Straßen lange genug überlebst, um unsere Verabredung einhalten zu können.“ Der überraschte Blick des Schakals verriet, dass er gar nichts davon wusste.
    Mards künstliches Grinsen blieb unverändert. „Schade, was? Obenza beißt. Doch Mard beißt fester und sein Speichel ist Gift.“
    „Nein, ganz und gar nicht schade, wo wir doch noch so viel zusammen vorhaben. So viele verpasste Gelegenheiten in diesem Krieg, nein, es wäre schade gewesen, wärst du nicht gekommen und das meine ich ausnahmsweise sogar Ernst.“
    Mard grinste noch etwas breiter. „Stimmt! Unsere Pläne! Deine Sammlung! Die muss ich noch bewundern! Oh und ich hab auch was dabei, dass du dir ansehen musst!“


    Er legte seine Geldkatze auf den Tisch, damit Jozo sie ansehen konnte. Dann griff er nach dem Bierkrug der Schakals. Er wollte kurz antesten, wie der Kerl auf Provokationen reagierte. Der grüne Kumpan des Gelben Goblins blieb ruhig, doch sein Blick fixierte die Augen Mards, der ihn über den Rand des Glases hinweg anstarrte. Der Blick des Schakals enthielt die Warnung, es nicht zu weit zu treiben. Mard registrierte es ungerührt und speicherte die Information vorerst ohne weitere Interpretation in seinem Kopf, schleckte mit der Zunge vom Schaum und stellte das Glas wieder hin. Die Beobachtung reichte vorerst.


    Jozo drehte derweile die Geldkatze hin und her und betrachtete ihr gemeinsames Erinnerungsstück an ihre erste gemeinsame Jagd. Ein sehr dicker und vor allem sehr dummer Mann hatte dafür geblutet. Der Preis, den man zahlte, wenn man Mard ärgerte und sich als Herr über sein Leben aufspielte. Mard hatte bewiesen, wer es wirklich war, der über ein Leben verfügen konnte, wenn ihm danach beliebte – und wer nur ein erbärmliches Großmaul war.
    „Die Geldkatze ist kaputt“, verkündete Mard.
    „Wo ist die bitte kaputt? Ich sehe nichts.“ Jozo wendete sie und betrachtete sie von allen Seiten.
    Der Düsterling blickte ungnädig drein. „Ich hab alles gemacht, wie du es gesagt hast! Ich habe den Inhalt aus dem Magen geräumt, ihn ausgewaschen und eine Sehne oben als Schnur zum Zumachen reingezogen! Aber ich kann sie trotzdem nicht benutzen!“
    „Aha. Und warum nicht?“
    Der Düsterling breitete seine Arme aus. „Schau mich an!“
    Jozo grinste breit. „Ich schaue“, gurrte er. „Steh auf, dann geht noch besser.“
    „Hör auf! So meine ich das nicht! Guck genau! Siehst du an mir irgendwelche Taschen? Ich bin Taschenlos! Ich habe nur einen Lendenschurz! Wie soll ich da die Katze bei mir tragen? Ich muss sie dauernd in der Hand halten oder zwischen den Zähnen, so wie auf dem Hinweg! Das nervt!“
    Jozos Gesicht veränderte sich. „Verstehe“, sagte er langsam. „Nun, das ist ein ernstes Problem. Eines, dass wir noch heute Nacht lösen müssen.“
    Der andere Goblin seufzte leise und rieb sich seine Nasenwurzel.
    „Der da reibt sich seine Nase“, keifte Mard und zeigte mit dem Finger auf den grünen Goblin. „Er nimmt das Problem nicht ernst!“
    „Ach“, sprach Jozo honigsüß, „tut er das nicht? Vielleicht sind ihm andere Probleme wichtiger? Da fällt mir ein, ich habe euch noch gar nicht einander vorgestellt. Mard, das ist Vicarri, mein bestes und effektivstes Werkzeug. Vicarri, das ist Mard. Einer von meiner Art.“
    Vivarri betrachtete Mard aufmerksam. „Freut mich.“ Er reichte ihm nicht die Hand. Und auch Mard blickte abschätzend zurück. Sie würden nicht miteinander auskommen, wenn Jozo verschwunden war.
    „Hast du was zu Essen?“, fragte Mard Jozo, ohne den Blick von Vic abzuwenden.
    „Hol uns was zum Knabbern, Vici“, bestimmte Jozo und sein Gefährte fügte sich. das war allerdings nicht schlecht. Jozo konnte sitzen bleiben, während der Schakal apportierte. Mard verfolgte analytisch jede der Bewegungen des grünhäutigen Goblins. Er war jünger als Jozo, er bewegte sich etwas flüssiger, aber mit der selben Zielgerichtetheit. Er brachte ihnen vom Thresen eine Schüssel von mit Nüssen und Rosinen und sie begannen zu knabbern.
    „Wir brauchen eine Schnur, um dein Problem zu lösen“, erklärte der Gelbe Goblin zwischen zwei Bissen.
    Vic mischte sich ein. „Ich glaube, wir haben daheim noch irgendwo eine Rolle.“
    „Nein“, entschied Jozo energisch. „Das Material muss zur Katze passen! Was war das gleich noch mal? Mensch?“
    „Ein fetter Alb“, korrigierte Mard. „So fett!“ Er demonstrierte es, indem er beide Wangen aufblies. „Wuschelhaare und Wuschelbart!“
    Jozo fuhr nachdenklich mit der Zunge über seine Zähne. „Ich glaube, da kann ich weiterhelfen! Ich kenne da jemanden, der das passende Material liefern könnte. Hast du heute Nacht schon was vor, Mard?“
    Mards Blick verdunkelte sich. „Ja. Wir gehen jagen!“
    Jozo grinste von einem Ohr zum anderen und nickte.
    Vicarri jedoch runzelte nachdenklich die Stirn. Er war keiner ihrer Art, wie Jozo es meinte und Mard gab ihm Recht. Er war anders.


    Jozo zog sich seine schwarze Maske über und nun sah er mit seiner engen schwarzen Kleidung fast aus wie ein Düsterling, nur dass ihm der Greifschwanz fehlte und die Daumenzehe am Fuß. So gefiel er Mard besser als im quietschgelben Zustand. Er drängelte sich an ihm vorbei, um zur Tür zu gehen und Mard sog beiläufig eine große Portion seines Geruchs ein, um ihn besser aufspüren zu können, wenn sie sich auf der Jagd verloren. Vicarri jedoch ließ Mard mit einem Lächeln vorgehen. Er wollte ihn offenbar nicht im Nacken haben und im Auge behalten. Mitleidig lächelte Mard zurück.
    „Um wen hast du Angst? Um dich selbst oder um deinen Meister?“
    „Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.“
    „Sie wird dir nichts nützen, wenn ich es nicht will!“
    Vic lachte. Jozo hielt inne und warf Mard einen warnenden Blick zu. „Treib es nicht zu bunt. Meine Geduld ist endlich.“
    „Aber nein“, sagte Mard freundlich. „Vicarri ist dein Werkzeug. Nicht meins. Ich mach ihn nicht kaputt. Ich wollte doch noch sehen, was er kann. Wozu er gut ist auf der Jagd. Zeigst du es mir?“
    „Du willst sehen, was man Werkzeug kann? Aber sicher! Vic, du gehst vor. Wir statten meinem lieben Freund einen Besuch ab. Du weißt schon, wen ich meine und wo er wohnt. Du wirst auskundschaften, wie wir heute am besten an seinen Wachen vorbeikommen – und zwar alle drei.“
    Vic sog scharf die Luft ein. „Wir alle sollen ins Innere? Aber das ist schon für einen schwierig!“
    „Ja und?“ Jozo wirkte ausgesprochen vergnügt. „Hat mich das jemals aufgehalten?“
    Vic fügte sich und widersprach nicht weiter. „Gut. Folgt mir.“ Auch er zog jetzt seine Maske über. Die drei kleinen schwarzen Gestalten verschwanden in den verregneten Gassen des nächtlichen Obenza.

    Mard huschte flink dem Zwergengeneral hinterher, während sein Ponycentaure ausbüchste und buckelnd davongaloppierte. Sie stiegen auf den Wehrgang. Fasziniert beobachtete er die herumhuschenden Krieger. Obwohl alles ein ziemliches Durcheinander war, schien dahinter irgendeine undurchschaubare Ordnung zu stecken, zumindest beschwerte sich keiner der der Zwerge über mangelnde Befehle und bald waren die gigantischen Geschütze schussbereit. Staunend betrachtete Mard die gewaltigen Triböcke, die umständlich geladen wurden. So was hätte er auch gern mal bedient! Er konnte es kaum erwarten, diese mächtigen Waffen im Einsatz zu sehen. Vor lauter Vorfreude biss er sich grinsend in den Zeigefinger.


    Und dann geschah das Unfassbare - Barlok wagte mit einer Zwergenschar, die geradezu winzig anmutete im Gegensatz zum Heer seines Gegners, einen Ausfall! das würde ein Gemetzel werden! Mard fielen fast die Augen aus. Nur eine winzige Truppe zum Bedienen der Geschütze blieb zurück in der Feste. Mard sprang auf eine Zinne, um alles, was nun folgen würde, in seinen Details beobachten zu können.


    Noch bevor die Truppen sich begegneten, rauschten die schweren Geschosse über die Köpfe der Verteidiger hinweg. Die Triböcke knarrten und krachten hinter ihnen, der Wehrgang erbebte. Der Himmel verdunkelte sich von der gewaltigen Menge an Geschossen. Unaufhaltsam rauschten sie auf die Kämpfer des Chaos nieder. Die Truppen Tarkans hatten zwar den Vorteil, in keiner geordneten Marschformation vorzupreschen, so dasss sie den besonders großen Geschossen ausweichen konnten, doch die schiere Menge dessen, was da auf sie zu geflogen kam, sorgte dafür, dass seine Krieger reihenweise ausgedünnt wurden. Mard bedauerte, auf diese Entfernung nicht ihre Schreie hören zu können.


    Und dann kam das Beste - weil die Chaoskrieger alle nach oben geschaut hatten, merkten sie nicht, was unter ihnen lauerte. Als erstes traf es die Ghule, die hungrig und nahezu unsichtbar im Steppengras auf allen vieren vorangekrochen waren. Sie stürzten in Fallgruben, die sich unter den Brandgeschossen in Flammenstraßen verwandelten, vermutlich waren sie mit Teer oder etwas derartigem gefüllt. Die nachfolgenden Truppen konnten größtenteils ausweichen, da sie gewarnt worden waren, doch nicht allen gelang es, reichtzeitig zu stoppen oder zu wenden.


    Mard geriet in Euphorie bei dem Anblick der brennenden und sich in Flammen wälzenden Wesen, die aus den Gruben gesprungen kamen und begann kreischend von Zinne zu Zinne zu springen und einen Hüfttanz aufzuführen. Sein Blick wirkte irre und er sabberte, weil er den Mund gar nicht mehr zumachte vor lauter Schreien. Er schlug sich mit beiden Fäusten auf den Kopf und drehte sich wie eine Ballerina auf einem Fuß im Kreis. Was für ein Tag!

    "Weil ich die versprochene Informationen für dich habe, du undankbarer Filzbart", kreischte Mard entrüstet, ohne Anstalten zu machen, von seinem struppigen und stinkenden Ponyzentauren abzusteigen. "Aber ich kann auch auf der Stelle wieder kehrt machen und dem Windelkopf Bescheid geben, dass du vor den Toren auf ihn wartest wie auf einem silbernen Teller!" Er wies mit dem ausgetreckten Finger nach hinten, wo Tarkan und seine Männer sich in der Ferne näherten, zerrte dem Zentauren an der Mähne, so dass dieser sich auf die Hinterbeine stellte und wiehernd mit den Vorderhufen in der Luft schlug. Die Zwerge mit den Armbrüsten auf den Zinnen spannten sich an, doch waren diszipliniert genug, nicht ohne Befehl auf den Düsterling zu schießen, mochte er auch noch so sehr das große Maul haben. Mard grinste höhnisch und offenbarte alle vier Zahnlücken.


    In diesem Moment mischte sich eine Goblinpest ein und grüßte den General mit einem scheißfreundlichen Grinsen. Was für ein Kriecher! Hoffentlich würde Eisenhand ihn sofort abschießen lassen. Mard lockerte den Griff, so dass der Zentaure wiede auf allen vier Hufen zu stehen kam.


    Hinter ihen näherte sich unaufhaltsam die Front des Chaos. Schon wahren die lachenden Rufe der Hyänen und ein rakshanischer Kriegsgesang zu hören, begleitet von Trommeln aus Feindeshaut.

    Mard hatte keine Ahnung, wie es hatte geschehen können, dass er plötzlich wie ein Paket von einem Laken umschnürt wurde. Er war verletzt, aber nicht so sehr, dass er sich nicht hätte wehren können. Normaler Weise wäre es niemals möglich gewesen, dass dieses Weib ihn so einpackte. Vielleicht hatte sie Hilfe von einem dieser Pfuscher, die sich Götter nannten und die ihn allesamt hassten, anders war es nicht zu erklären, dass er sich plötzlich an einem Flugdrachen hängend wiederfand, ein Seil um den Hals, das ihn langsam strangulierte.


    "Wenn du dicht nicht erhängen willst solltest du dich am Seil festhalten und bitte sagen." Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da verleierte Mard seinen Kopf und bespuckte sie. Eher würde er sterben, als um Gnade zu winseln oder kriecherische Worte wie 'Bitte' in den Mund zu nehmen! Die Schlinge zog sich langsam fester und er spürte, wie sein Bewusstsein entglitt. Er ließ die Augen offen. Wenn es schon sein musste, dann würde er gefälligst sehend sterben! Das Land, das unter ihm hinwegraste, verschwamm, seine Augen wurden glasig. Den Wald hatten sie schon überquert und nun die Steppe. Wie ein einfacher, nicht motorisierter Flugdrachen so lange in der Luft bleiben und in der Zeit eine derart lange Strecke überwinden konnte, war ihm ein Rätsel. Auch das wäre untr normalen Umständen niemals möglich gewesen, immerhin war das kein dampfgetriebener Helikopter! Göttliche Macht? Halluzinationen? Es gab keine andere Erklärung. Nichts von all dem machte irgendeinen Sinn.Mards letzten Gedanken waren wüste Flüche, ehe er in die Ohnmacht glitt. Als er erwachte, lag er im Staub vor Tarkans Füßen. Er schob mit der Zunge verklumpten Dreck aus seinem Mund. Der ältere Mann blickte auf ihn herab.


    "Da habt ihr euren Späher wieder...oder besser den Verräter." Das verfluchte Goblinweib erzählte dem Tarrik die ganze Geschichte, dann zuckte sie die Schultern, als hätte sie so eben einen kleinen Spaziergang unternommen. Wahrscheinlich fühlte sie sich gerade unwahrscheinlich überlegen und mächtig! Keine Kunst, wenn ein Gott einem geholfen hatte!


    "Sie lügt", keuchte Mard. "Glaubt ihr kein Wort! Die Zwerge haben mich gefangen gehalten und gefoltert! Und sie haben Skalfaxa den Auftrag erteilt, mich zu Euch zu bringen und diese Lügen zu verbreiten! Sie hat ein hübsches Sümmchen dafür erhalten! Sie ist die Verräterin hier! Ich bin nur ein einfacher Späher, dem ein dummes Missgeschick passiert ist!" Mühsam befreite Mard sich aus dem Laken und löste den Strick um seinen Hals. Er musste husten.


    Skalfaxa öffnete den Mund, um irgendetwas zu erwidern, da fuhr ihr ein Batzen Sand ins Gesicht. Noch einer und noch einer. Es hörte gar nicht mehr auf, ihr ganzes Gesicht war voll davon, ihr Haar, ihr Oberkörper und dann auch die Arme und Beine. Vergeblich versuchte sie den Sand mit den Händen abzuwehren, immer mehr traf sie und geriet um sie herum kriechend in Rotation. Auch Skalfaxa begann sich zu drehen. Eine Windhose bildete sich genau dort, wo sie stand, eine Säule aus Sand, die sie nach und nach wirbelnd umschloss, ummer schneller drehte sie sich erhob die Goblinfrau in die Luft, während sie immer weiteren Sand der Umgebung aufsaugte und wuchs. Von Skalfaxa war bald nichts mehr zu sehen, sie war vollständig von den wirbelnden Massen eingschlossen. Die Windhose trug sie unter lautem Pfeifen und Tosen hinaus aus dem Lager. Daran, dass sie um die Zelte und Rakshaner einen ordentlichen Bogen machte und sorgfältig um die Ecken bog, konnte man erkennen, dass es sich hier um kein natürliches Phänomen handelte. Vielleicht einer der Magier hier? Noch ein Gott? Mard wusste es nicht. Atemlos beobachteten er das Geschehen. Die Windhose trug Skalfaxa hinaus in die Steppe und verschwand mit ihr am Horizont.


    Mard rappelte sich auf. Er hatte starke Schmerzen am Hals und ihm war schlecht. Aber er hatte nun einen Drachen! Er nahm das von Skalfaxa zurückgelassene Fluggerät und probierte den Mechanismus aus, der die Tragflächen ähnlich wie Fledermausflügel auf und zu klappen ließ, so dass der Drachen zu einem schmalen Bündel Stäbe zusammengefaltet werden konnte. Da bemerkte er den ungnädigen Blick von Tarrik Tarkan, der auf ihn hinabsah.


    "Ihr glaubt dem Weib doch nicht etwa, oder?" fragte Mard ängstlich. "Der Alten hat die Verlogenheit doch schon aus dem hässlichen grünen Gesicht gegrinst! Sie hat sogar versucht, mich zu befummeln!" Er wies mit dem Finger anklagend in die Richtung, in welcher die Windhose verschwunden war. Der Blick des Tarrik blieb ungerührt. "Was ich glaube, ist unerheblich. Von Bedeutung wäre vielmehr ein handfester Beweis für deine Worte."
    "Wie soll ich so was beweisen!" kreischte Mard. "Wie soll ich ihre Lügen wiederlegen! Ich bin Euer Späher! Ich habe den Wassergraben der Zwerge verstopft mit einem wunderschönen Staudamm! Vertraut Ihr mir etwa nicht?"
    "Du bist nicht unser einziger Späher, Mard. Ich habe Hinweise erhalten, dass zumindest ein Teil der Aussagen von Skalfaxa durchaus der Wahrheit entspricht - zum Beispiel die Vernichtung von Katamaris im Herzen Alkenas. Und wir haben einen zwergischen Gefangenen, dessen Aussagen einige andere Dinge bestätigen."
    Mard wurde blass. "Aber ich kann alles erklären!"
    "Ich danke dir für die Dienste, die du Rakshanistan erwiesen hast, Mard von den Nebelkatzen. Doch für Verräter ist in unseren Reihen kein Platz. Für deine Leistungen schenke ich dir dieses eine Mal das Leben. Nutze die Chance, möglichst viel Raum zwischen uns zu bringen. Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, sind wir Feinde. Du bist hiermit verbannt und wenn morgen die Sonne aufgeht, bist du in gesamt Rakshanistan vogelfrei. Jetzt lauf, bevor ich es mir anders überlege! Kehre nie mehr zurück!"


    Mard packte den zusammengefalteten Drachen und rannte hinaus aus dem Zeltlager, weit in die trostlose Steppe hinein. Er rannte, stolpernd vor Erschöpfung und Schmerzen, gepeinigt von der unbarmherzigen Sonne, bis er nicht mehr konnte und dann ging er schnellen Schrittes, schlussendlich lief er auf allen Vieren, das Bündel mit dem Arm an seine Flanke gepresst. Fort, er musste weiter fort! Die Sonne ging unter und von da an fiel es ihm etwas leichter, seine Kräfte beisammenzuhalten. Er bewegte sich in Richtung Süden, als die Kälte der Nacht sich erhob und die Sterne am schwarzen Himmel funkelten, bis der Horizont wieder grau wurde und die Sterne verblassten. Die ganze Nacht war er abweschselnd gegangen, gelaufen und gekrochen. Es war eisig und der Wind fauchte ungebremst über die Steppe, weder Baum noch Strauch bremsten ihn. Noch immer befand Mard sich in der öden Wildnis, nirgends gab es Deckung oder eine Möglichkeit, seine Spuren zu verbergen. Wenn die Hyänenreiter ihn einholten, war das sein Ende.


    Mit vor Erschöpfung zitternden Armen öffnete Mard den Drachen. Er hatte noch nie solch ein Fluggerät bedient. Der Wind griff sofort unter die Tragflächen und riss ihn hinauf, Mard konnte gerade noch die Füße auf die Trittstangen stellen und sich oben festhalten, da segelte er schon über die Steppe. Er schlang den Schweif fest um die zentrale Stange, so dass er nicht hinunterfallen konnte. Er fühlte sich gekreuzigt und hätte lieber in klammernder Position auf dem Drachen gesessen! Er blickte ängstlich nach unten. Wie ein versteinertes Meer glitten die Hügel der Steppe unter ihm dahin. Er kam sehr schnell vorwärts, doch hatte Mühe, das Fluggerät zu lenken und zu kontrollieren. Als der Horizont sich rot färbte, geriet Mard in einen Scherwind, der Drachen wurde herumgewirbelt und stürzte trudelnd zu Boden. Er gab sein Bestes, den Sturz irgendwie zu kontrollieren, doch er konnte ihn nicht mehr aufhalten. Dumpf schlug er auf einem Hügel ein, der Sand stob, Mard rutschte mit seinem Drachen den Hang hinab. Er blieb liegen, wie er war und schlief erschöpft ein.


    Er erwachte in der Mittagshitze. Das erste, was er sah, wahren nervös scharrende Hufe. Langsam blickte er an ihnen hinauf. Sie gehörten zu einem Zentauren, der unsicher herumtänzelte und offenbar nicht wusste, was er mit dem Düsterling anfangen sollte. Sein Fell war grau, die Kopfhaare bildeten einen schwarzen, borstigen Hahnenkamm, der seine Wirbelsäule entlang wuchs bis zur Hälfte seines Rückens. Er wirkte struppig und heruntergekommen, nicht unbedingt ein prachtvolles Exemplar, mit vielen halbkreisförmigen Narben, die vermutlich von Huftritten herrührten.


    "Du da! Du darfst mir helfen!", krähte Mard. "Ich muss nach Dunkelbruch und zwar schnell!" Tatsächlich kam der Zentaure vorsichtig näher und legte sich hin, damit der verletzte Düsterling aufsteigen konnte. Mard hasste Pferde und er hasste Menschen, eine Kombination aus beidem war sicher noch schlechter. Aber er brauchte ihn als Transportmittel, sonst fraßen ihn die rakshanischen Hyänen. Der Zentaure erhob sich und ging in leichten Trab über. Mard krallte sich mit einer Hand an seiner Mähne fest und hielt mit der anderen seinen Drachen. Der Kerl stank extrem nach Pferd und verlor manchmal ein paar Äpfel, ohne dafür extra anzuhalten. Was für ein Widerling! Am Nachmittag erreichten das ungleiche Paar schließlich die Zwergenfestung.
    "Barklok Eisenhand", rief Mard die Mauern hinauf. "Ich bin wieder da, um mein Wort einzulösen!"

    Man hatte ihn aus dem angenehm dunklen und muffigen Kerkerloch geholt und in ein luftiges, lichtdurchflutetes Riesenzelt gesteckt. Dort lag er nun auf einer Pritsche, durch herabhängende Tücher von den anderen Insaßen abgeschirmt. Die Sonne blendete durch den hellen Stoff. Er legte den Unterarm schützend über seine Augen. Nach so langer Dunkelheit hatte er besonders starke Probleme mit dem Tageslicht. Jeder einzelne Knochen schmerzte ihn und er hatte einen ungesund schnellen Puls. Zwischendurch zuckte immer mal wieder irgendeines seiner Gliedmaßen unkontrolliert oder sein ganzer Körper, als würde er erschrecken. Den Schweif hatte er wie ein Hund zwischen den Beinen hindurch nach vorn auf den Bauch gepresst.


    Er war der festen Überzeugung, dass man ihn heute umbringen würde. Die Lichtfolter würde die Vorstufe davon sein. Er hielt die Ohren ganz still, wenn sie nicht gerade unwillkürlich zuckten, um zu verbergen, dass er sehr genau lauschte und so innerhalb kurzer Zeit ein dreidimensionales Bild seiner Umgebung vor dem inneren Auge erzeugte. Er hörte die Abmessungen und Aufteilung des Zeltes anhand der Schritte, auch wusste er bald, wie viele Personen sich hier befanden und welche davon bewaffnet waren. Sobald sich eine Gelegenheit ergab, würde er fliehen. Er brauchte dazu kein Augenlicht.


    Gerade näherte sich eine Person, die eindeutig weiblich roch. Ihre Schritte waren kurz und leicht, sie war sehr kleinwüchsig und filigran, vermutlich ein Goblin. Sie schaffte es durch ein Gespräch, die Wachen dazu zu bewegen, Abstand einzunehmen. Das war gut.


    Sie begann, an seinen Wunden zu hantieren. Mards Finger ballten sich zu Fäusten, sein Atem ging stoßweise. Alles in ihm brüllte, sich gegen die unerlaubte Berührung zu wehren, allein das Wissen, wie wichtig die Wundversorgung war, sorgte dafür, dass er sich beherrschen konnte. Sein ganzer Körper versteifte und verkrampfte sich. Durch sein Gehirn zischten wie weiße Blitze Erinnerungen an die schrecklichsten Situationen, in denen man ihn unerlaubt berührt hatte. Erinnerungen, die ihm quälende Übelkeit bescherten, brutale, aber auch sanfte Berührungen, völlig egal, sie alle waren schrecklich gewesen, denn nichts davon hatte er gewollt.


    "Mard von den Nebelkatzen", sagte sie seinen Namen. Dabei strich sie ihm sanft über eine Wunde.


    Seine Hand schnellte nach vorn und umschloss ihr Handgelenk, fest wie eine Schraubzwinge. Er öffnete die Augen, die vom Licht blutunterlaufen und mit einem dichten Adernetz überzogen waren.


    "Ich bringe dich um", sagte er mit einer Kälte in der Stimme, die manch Zeltinsaßen entsetzt zurückweichen ließ, während er ihr Handgelenk umklammert hielt. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Wer auch nur ein wenig Ahnung vom Leben hatte, erkannte, dass diese Ansage sehr ernstzunehmen war.

    Mard lag vom Freudentaumel berauscht noch in den Armen des Zwergen, der offenbar gerade überlegte, ob er ihn wieder auf die Füße stellen oder zu Boden gleiten lassen sollte. Barlok ließ ihm keine Zeit, sich zu entscheiden, er schlug Mard mit der Faust ins Gesicht. Weiße Sterne explodierten vor seinen Augen und sein Körper versteifte sich, doch der Düsterling gab keinen Laut von sich.


    "Du elendiger Mistkerl!", brüllte Barlok. "Ich habe den Teil meiner Abmachung erfüllt, Clawis, möge mein Zeuge sein. Du wirst deinen ebenso erfüllen!" Doch selbst wenn Mard es gekonnt hätte, er kam nicht mehr dazu, denn der General wurde in seinem Treiben unterbrochen, nahm die Axt von Mards Hals und stürmte hinaus.


    Ein Zwerg stopfte dem benommenen Düsterling einen Stofffetzen in den Mund, so dass er kaum noch atmen konnte und band ihm ein Tuch darüber, das diesen hineindrückte und verhinderte, dass Mard ihn ausspuckte. An den Rückweg nach Dunkelbruch konnte er sich später nicht mehr erinnern. Noch immer geknebelt und gefesselt lag er auf dem blanken Steinboden seiner Zelle, eingerollt wie ein Fötus. Er hielt die Augen geschlossen. Er war gar nicht hier.


    Sein Geist schien sich vom Körper getrennt zu haben und in einer schützenden, zeitlosen Zwischenwelt zuflucht gesucht zu haben. Die Geräusche von draußen schienen von sehr weit weg zu kommen und die Misshandlungen des Kerkermeisters, der ihn zwischendurch aufsuchte, erreichten ihn nicht. Es war wie damals, als die Tieflinge sein Rudel aus der Heimat jagten und sie zu den Rakshanern gekrochen kamen, die sie zu ihren Dienern machten im Tausch gegen Unterkunft und Brot. Und wie damals, als er verwundet am Wegesrand im Lager lag und die Füße an ihm vorübergingen, ohne dass jemand innehielt, wurde sein Herz zu Stein. Keine Gefühle, weder Angst noch Zorn, nichts. Nur ewiger Stein. Lange war es her.


    Zwischen Traum und Wirklichkeit hing Mard und wartete, bis die Zeit vorbei sein würde - er würde sterben oder sich die Situation ändern. Irgendwann würde es vorbei sein.

    Mard war wie im Trance. Das Blutvergießen hatte eine hypnotische und erregende Wirkung auf ihn. Mit breitem Grinsen und entrücktem Blick folgte er dem ungleichen Kampf von seiner Schilfhütte aus, während zwei Zwerge auf seine Sicherheit Acht gaben. Er hatte Lust, sie ins Wasser zu den Shezem zu schubsen, einfach so, und zu hören, wie sie dabei Plums! machten, ihre aufgerissenen Augen und die unbeantwortete Frage nach dem Warum zu sehen, bevor sie in einer Wolke von Blut untergingen. Aber er tat es nicht, obgleich seine Finger zuckten. Er brauchte das Wohlwollen des Generals. Und so begnügte er sich damit, sich den Anblick der sterbenden Zwerge und Shezem auf den Holzwegen und Plattformen einzuprägen. Von diesem Erlebnis würde er noch lange zehren können, wenn er einmal eine Motivation brauchte. Er wusste, wofür er kämpfte und dieser Tag würde ihn noch lange daran erinnern! Mard seufzte glücklich.


    Es dauerte, ehe der General vollkommen abgekämpft und womöglich verwundet wieder hinauftrottete. Er nahm einen Schluck aus dem Flachmann und bat auch Mard einen an. "Nein, danke!", entgegnete der Düsterling. "Ich bin stolz auf meinen scharfen Verstand! Und scharf soll er bleiben! Wie eine Klinge im Fleisch der Welt! Oder ein Haizahn im Auge eines Zwergen! Ahahaha!"


    "Was waren das für Dinger?", fragte Barlok.


    "Shezem natürlich!", erwiderte Mard. Sein Blick wirkte gläsern, die Eindrücke pulsierten noch in seinem Kopf und noch immer hörte er das Stöhnen der Verwundeten. "Aber fragt mich nicht, was das für ein Klops da ist!" Der riesige weiße Leib des Kolosses tauchte unter und setzte seinen Weg nach Nordosten fort. Dass er dabei mit seiner Finne unter lautem Splittern etliche der Stege zerteilte, auf denen noch verwundete oder tote Zwerge und Shezem lagen, die nun in den Sumpf fielen, merkte er nichteinmal. "Diese Kerle kommen eigentlich aus dem Meer! Ich glaube, aus dem Norden! Sind die Freunde von den Frostalben! Aber die Fleischeslust zwingt sie zu dieser jährlichen Wanderung! Sie rammeln im Süden, wenn ihr wisst, was ich meine! Klar wisst ihr das! Ihr seid ein stattlicher Mann mit einem schicken Bart, in dem sich manch Zwergin beim Versuch, euch zu küssen, schon auf Nimmerwiedersehen verirrt hat! AHAHAHA! Sehen eure Arschhaare eigentlich genauso aus? Egal! Das finde ich heraus, wenn ich die Leichen da unten nach Schätzen durchwühle! Ich wusste gar nicht, dass die Shezem auch durch Flüsse und Sümpfe schwimmen! Wenn ich erst an der Macht bin, werde ich mir den größten und fettesten von ihnen aussuchen, vielleicht diesen Weißen da hinten, fädel ihm Zügel durchs Maul und werde auf seinem Rücken reiten! Mit Sporen aus Rakshanerspeichenknochen an den Fersen!"


    Die Vorstellung, wie er sich so seinen Untertanen präsentierte, deren Männer vor Ehrfurcht auf die Knie fielen und deren Frauen in Tränen ausbrachen, nahm ihn so gefangen, dass er strauchelte und von einem seiner Bewacher aufgefangen musste, da er sonst gestürzt wäre. Er grinste noch immer, sein Blick ging ins Leere. Dass da unten ein Neuankömmling aufgetaucht war, bemerkte er nicht.

    Ein Massaker! Ein Fest des Blutes! Das war der Tag, auf den Mard gewartet hatte - zumindest einer von diesen auf seiner endlosen gedanklichen Liste. Er wollte sich verbergen, um dem Schauspiel in Ruhe zusehen und jedes einzelne herumspritzende Fleischstückchen beobachten zu können, doch Barlok ließ ihn nicht von seiner Seite weichen. So entlud sich seine Erregung in nervtötender Zappelei, er tänzelte auf der Stelle. Als das Gemetzel seinen Höhepunkt erreichte, klatschte Mard in die Hände und sprang kreischend auf und ab, bis Barlok ihn grob am Arm mit sich zerrte und in eine Schilfhütte verfrachtete.


    "Wieviele solcher Siedlungen gibt es? Du wirst mir jetzt, sagen was du weißt oder du kannst dich gleich, dazu legen!"


    Mard war noch nicht fertig damit gewesen, seiner Aufregung ein Ventil zu geben. Dass er sitzen musste, war eine Qual und seine Beine tanzten noch immer, während sein Schweif sich kringelte wie ein Regenwurm. Er schob die Finger zwischen seine zusammengepressten Oberschenkel, damit sie sich nicht auf dem Tisch zu schaffen machten, denn er hatte den unbändigen Drang, die ausgebreitete Karte johlend über sich in Stücke zu reißen und die Fetzen auf sich herabregnen zu lassen.


    "Wie viele? Wie viele?! Wieviele, will er wissen!" Er lachte, obwohl es gar nichts zu lachen gab. "Woher soll ich das wissen! Die ändern sich doch andauernd! Als ich hier ausgezogen bin, gab es nur die sogenannte Hauptstadt - chrhrhr! - Katamaris, die ihr gerade in Blut ertränkt habt und dazu eine handvoll im Sumpf verteilte Dörfer!"

    Er betrachtete das Pergament.


    "Gniiiiiiiiii .... gnihihi! Barklok Eisenhirn, Ihr seid zu komisch! Wir Düsterlinge können nicht lesen! Kein Schrift! Keine Zahlen! Keine Karten! Rein gar nichts, keiner von uns! Nicht einmal Mard! Für mich sind das nur blöde Linien!"


    Er legte den Kopf schräg.


    "Werdet Ihr mich nun töten?", fragte er lauernd. "Herr General?"


    Unbemerkt von den Personen in der Hütte zogen dunkle Schemen im Wasser ihre Kreise, angelockt vom Duft des Blutes ... zunächst verschwanden nur einige Leichen, doch als die ersten Zwergenkrieger ins Wasser gezogen wurden, brach draußen Gebrüll aus.

    "Ob einhundert reichen? kommt darauf an! Ich bin kein Feldherr, ich kann so was nicht einschätzen! Die Tieflinge sind wenige und die wenigen sind meistens faul! Außerdem bitterarm und schlecht bewaffnet! Aber sie sind häufig Magier! Darauf müsst ihr euch einstellen! List ist besser, als Riesenkrieg! Zumindest in dem Falle! Vielleicht könnt ihr ihnen die Bäume unter dem Hintern wegsägen, ahaha!"


    Und damit war es entschieden. Der General und seine Streitmacht zogen aus, Mard im Schlepptau. Wie Barlok Eisenhand es verlangte, blieb der Düsterling brav an seiner Seite und machte nicht ein einziges Mal Anstalten zu fliehen oder jemanden anzugreifen. Nur sein loses Mundwerk stieß auf wenig Begeisterung, er redete ununterbrochen und es war ihm pupsegal, ob Barlok seine Ausführungen hören wollte oder nicht. Nach einem besonders schlechten Witz ließ ihm irgendwer absichtlich einen Ast ins Gesicht klatschen, der ihn fast rückwärts umgeworfen hätte und einen hübschen Abdruck in seinem Gesicht hinterließ. Danach wurde Mard etwas erträglicher.


    "So, ab hier wird es kritisch!", verkündete er schließlich, als sie den eigentlichen Sumpf erreichten. "Hier könnt ihr nicht mehr waten! Boote! Oder der Pfad über die Bäume! Es sei denn, ihr wollt schwimmen! Mir ist das egal! Ich kenn alle Wege!"

    "Die Sümpfe befestigen? Gestattet mir, dass ich lache!" Mard wartete nicht auf eine Bestätigung und riss sein Maul auf. "Ahaha! Alkena befestigen! Ihr seid wohl noch nie dort gewesen! Es liegt in einer Senke und alles Wasser der Umgebung sammelt sich da! Zwei Flüsse, Albis und Stinke-Dubis mit zehntausend Nebenflüssen! Zwei riesige Seen, Orioko und Gammel-Malguno, in denen die Flüsse sich auflösen! Euer Schmelzwasser! In Alkena gibt es so gut wie kein Stück festes Land, es ist ein Wald mit einem See als Bodengrund! Man lebt in Schilfhütten auf den Bäumen und geht auf Hängebrücken! Aber nur in den Dörfern! Den Rest des Gebietes kann man nicht begehen, wenn man nicht als Düsterling von Baum zu Baum springen kann, fliegt wie ein Tiefling oder mit einem Boot herumstakt wie die gesetzlosen Menschen, die sich da immer wieder einnisten! Oder ein schwimmender Fischkopp ist! Dieses Land kann man nicht befestigen und nur sehr schwer erobern, weil schweres Gerät draußen bleiben muss! Aber ich vertraue euch! Ihr seid ein großer General, das bisschen Wasser und Wurzelwerk ist für einen Zwerg von Eurem Kaliber doch kein Hindernis!"


    Mard legte die Fingerspitzen aufeinander und klackte die Krallen zusammen. Mit schräggelegtem Kopf lächelte er Barlok an.


    "Um Eure Frage zu beantworten: Ich hätte schätzungsweise fünfzig Düsterlinge aus den Sümpfen unter meinem Kommando! Mehr leben da nicht mehr wegen den Flügelbastarden! Aber wenn die Tieflinge weg sind, kann ich die Nebelkatzen aus Cara'Cor rufen, in ihre Heimat zurückzukehren! Die werden nicht zögern, der Sklaverei zu entfliehen und wieder als freie Jäger in Alkena zu leben! Fünfhundert dürften es dann sein! Vielleicht mehr!"


    Bei der Vorstellung, so viele Düsterlinge unter seiner Knute seinem Kommando zu haben, verdrehte Mard genussvoll die Augen. Sein Name war hervorragend dazu geeignet, rhythmisch im Chor gerufen zu werden, begleitet von passenden Trommelschlägen.


    "Für euch kämpfen werden sie natürlich nicht! Warum auch? Nach dem geschilderten Plan werde ich ja ihr Befreier sein und nicht ihr! Aber ich - ich könnte womöööglich überlegen, Euch den einen oder anderen Gefallen zu erweisen! Aber vergesst nicht! Die Bezahlung für die Befreiung Alkenas erhaltet Ihr im Vorraus! Geheimes Wissen! Brisante Informationen! Eine Garantie für den Sieg! Es wäre fies, im Nachhinein mehr zu verlangen von einem Völkchen, was ohnehin schon der Fußabtreter der Welt zu sein scheint! Verlangen ist sowieso niemals gut! Mich macht man nicht mit der Peitsche gefügig, sondern mit Zuckerbrot! Wen ich nett finde, dem helfe ich! Wen ich nicht leiden kann, dem helfe ich nicht, egal, wie sehr er auch reintritt! Lieber kratze ich ab! Ich stelle ihm das Bein, wo ich nur kann! Wie jetzt dem hässlichen Tarkan!"


    Mard strich etwas Schmutz von seinen Armen, der noch aus der Zelle stammte, während er auf die Antwort des Generals wartete. Zum Thema, was der Tarrik mit den Brunnen der Zwerge vorhatte, schwieg er vorerst.

    "Gold! Gold?"


    Mard dachte nach. Davon könnte er sich Söldner kaufen. Auch rakshanische. Er könnte sie zwingen, ihm zu gehorchen. Wenn er ausreichend bezahlte, würden sie auch bleiben, wenn er sie ein wenig schikanierte. Wenn er richtig viel bezahlte, auch dann, wenn er sie ordentlich quälte dafür, dass sie Rakshaner waren. Für ein paar Wochen hätte er seinen Spaß und konnte seine Rachefantasien ausleben und danach würde er genau wie jetzt auf dem unteren Ende der Leiter stehen. Er hatte keine Ahnung von Geldanlagen und Kapital, wie die großen Goblinbosse in Evalon oder die Unternehmer der Handelsallianz. Alles, was Mard tun konnte, wäre das Geld für kurzfristige Vergnügungen auszugeben. Diese Truhe voll Gold, so verlockend sie auch glitzern mochte, würde ihn nicht lange glücklich machen.


    "Herr General, bei allem gebotenen Respekt!" Die Worte fühlten sich an, als hätte er beim Reden Murmeln im Mund. Es fiel ihm nicht leicht, so kriecherisch zu sprechen, aber er wollte keinesfalls Eisenhands Geduld mehr als nötig auf die Probe stellen. Er schien zugänglich, das wollte Mard sich nicht verscherzen. "Gold ist nichts, womit ihr einem Düsterling etwas Gutes tun könnt! Ich würde es bloß zum Fenster rausschmeißen! Euer Angebot ist großzügig, aber ich muss es ausschlagen, weil ich fürchte, sonst über die Stränge zu schlagen! Ich habe mir eine asketische Lebensweise angewöhnt und will nicht riskieren, dass sie mir wieder abhanden kommt!" Er tippte an seine Stirn. "Darauf kommt es an! Auf einen scharfen Geist! Aber ... wenn Ihr wirklich bereit wäret über den Preis meiner Mithilfe zu verhandeln ..."


    Er ließ eine bedeutungsschwere Pause und trank ein winziges Schlückchen Bier. Es war Zwergisches Starkbier, bei diesem Gebräu war Vorsicht geboten, wenn man nicht mit einer Zwergenleber aus Granit gesegnet war.


    "... wir Düsterlinge führen ein unwürdiges Schattendasein! Aus unserer Heimat, der Unterwelt, hat man uns vertrieben! Auf der Oberwelt gelten wir als Landplagen! Unsere Jäger bezeichnet man als Räuber und Diebe und bringt sie um! Es gibt fast keine wilden Düsterlinge mehr, nur noch Handlanger und billige Arbeitskräfte! Das ist entwürdigend! E-N-T-W-Ü-R-D-I-G-E-N-D!"


    Mards Stimme wurde immer lauter.


    "Sind wir dazu geboren, Putzfrauen und Waschweiber zu werden?! Schaut Euch diese Krallen an! Wir sind Jäger und Kämpfer! Putzen ist was für Menschen!"


    Er spuckte auf den Boden.


    "Warum ich Tarkan verraten will, fragt ihr? Ich will es Euch sagen, Barlok Eisenhand! Weil er ein dreckiger Sklaventreiber ist! Ich wäre fast verreckt und keine Sau hat es interessiert! Maden! Sie haben mir Maden in mein Zahnfleisch gesetzt, sehr Ihr?"Er öffnete den Mund und zeigte auf seine vier Zahnlücken, wo einst die Eckzähne gestanden hatten. Das Zahnfleisch war dort rot und geschwollen, aus einem Loch tropfte etwas Eiter. "Das war nicht Tarkan! Aber sein Handlanger! Also ist er mitschuldig!"


    Er schlug mit beiden Fäusten auf den Tisch, so dass das Geschirr klimperte. Etwas Bierschaum schwappte aus seinem Krug. Er ließ die Fäuste auf dem nassen Holz liegen, schloss für einen Moment die Augen und atmete durch. Als er sie wieder öffnete, war er ruhiger, doch sein Blick war voll von kaltem Hass.


    "Ich biete euch alles, was ihr wissen müsst, um Cara'Cor auszuradieren! Den kompletten Aufbau des Zeltlagers, die Struktur der Führungsebene, ihre Schwachstellen! Alles! Und nicht zuletzt etwas, von dem Tarkan gar nicht ahnt, dass ich es weiß! Ich verrate vorerst nur so viel - es hat etwas mit Euren Trinkwasserbrunnen zu tun! Ihr erfahrt den gesamten Plan, jedes Detail, das ich kenne, wenn Ihr mir dabei helft, die Düsterlinge aus dem Schlamm zu ziehen, in dem sie leben! Das ist mein Wunsch! Befreit uns aus der Sklaverei! Und ..."


    Er hob den Finger.


    "... Ihr müsst dabei dafür sorgen, dass bekannt wird, dass ich der Befreier der Düsterlinge bin! Sie sollen mir gehorchen! Mich verehren! Mich zu ihrem geliebten Rudelhäuptling machen! Alkena, der Sumpf direkt vor eurer Haustür, wäre ein Anfang! Ihr braucht bloß die hässlichen Tieflinge dort rauszufegen! Nur ein paar Stelzendörfer, nicht der Rede wert! Genug, um uns arme Düsterlinge zu piesacken, aber viel zu wenige, um es mir einer echten Armee aufzunehmen! Also, was sagt ihr?"

    Man trug einen Tisch herein und deckte ihn reich mit duftendem Essen. Gebratene Nüsse, ein herzhafter Braten und dazu in Butter gedünstetes Wurzelgemüse, serviert mit einem dunklen Bier. Bei dem Duft all der Köstlichkeiten knurrte prompt Mards Magen. Zu seiner großer Überraschung löste Barlok die schweren eisernen Handschellen und lud ihn zum Essen ein, anstatt nun vor seinen Augen zu dinnieren. Mard setzte sich artig. Er rieb seine schmerzenden Handgelenke. Wundgescheuert war sein Fleisch, so sehr hatte man ihn auseinandergezerrt. Nichtsdestotrotz würde er sich am liebsten auf das Essen stürzen und es mit bloßen Händen in seinen Mund schaufeln. Nur mit Müh konnte er sich zusammenreißen, es nicht zu tun. Er legte die Hände in den Schoß und wartete.


    Barlok begab sich zu dem Stuhl und setzte sich, nahm einen Humpen Bier und prostete ihm zu. "Meinen Namen scheinst du, zu kennen jedoch weiß ich deinen nicht, verrate ihn mir und mögen die Verhandlungen beginnen."


    "Mard ist mein Name, Mard von den Nebelkatzen! Der Name dieses Rudels sollte dir nicht fremd sein, wir waren einst das größte und mächtigste Rudel in den Sümpfen von Alkena! Bis uns die verdammten Tieflinge aus der Heimat jagten und wir nun für die Rakshaner buckeln müssen! Aber egal! Hört meine Worte, General!, krähte Mard, nun nicht mehr ganz so verängstigt und hob einen Finger. "Ich bin ein Düsterling! Kein Tiefling! Tieflinge sind verdammte Mischblüter! Aber in meinen Adern fließt Dämonenblut! Echtes, reinblütiges Dämonenblut!" Er klappte einen weiteren Finger auf. "Zweitens! Bevor ich euch mein umfangreiches Wissen offenbare, was bietet ihr mir zum Lohn? Die Mahlzeit kann nicht alles sein! Da hätte ich ja mehr davon, wenn ich dem alten Tarkan treu bliebe! Eins sage ich euch, Tarkan ist ein großzügiger Mann - für die Verhältnisse eines dreckigen Kopfwindelträgers, wohlgemerkt! Euer Angebot muss noch großzügiger sein als seines, damit ihr mich locken könnt!"

    Mard bemühte sich, seine Angst zu verbergen, doch die Wachen hatten gute Arbeit geleistet. Er hatte geglaubt, wie ein Bote, ein Diplomat empfangen zu werden und vielleicht sogar etwas zu essen zu bekommen, doch man war nicht zimperlich mit ihm verfahren und hatte ihn behandelt, wie es eines Feindes gebürte. Sie hatten ihn grob angepackt, sein Blasrohr rasch entdeckt und es an sich genommen, ehe sie ihn in eine Zelle gestoßen hatten, wobei er sich die Knie aufgeschürft hatte. Brot und Wasser hatte es nicht gegeben, genauso wenig wie ein Bett, nur nacktes Gestein. Und nun zerrten die Ketten an seinen Armen, so dass ihm die Schultern schmerzten, als wollen sie jeden Moment aus ihren Gelenken springen. Hoffentlich war es das wert!


    "Herr General", sagte er in deutlich höflicherem Ton als noch vor einigen Stunden. Seine Stimme bebte, sehr zu seinem Ärger, und seine schwarze Haut glänzte vor kaltem Schweiß. "Ich ... ähm!" Er hatte sich seine Worte sorgfältig zurecht gelegt, doch die Angst hing wie ein Nebelschleier in seinem Kopf. Seine Unterlippe zitterte. Er tastete mit der Spitze seines Schweifs an den eisernen Fesseln herum, die hart in seine Handgelenke schnitten. Es bereitete ihm Mühe, sich zu sammeln und er sprach langsam, Wort für Wort.


    "Ich stehe im Dienste des Tarkan Ali al-Kuwari...! Ich weiß vieles, was euch nützen könnte...! Aber das Risiko ist sehr groß...! Die Bezahlung muss stimmen...! Dann erfahrt ihr, was ihr wissen müsst ... um als Sieger hervorzugehen ... aus dem, was vor euch liegt!"

    Es war früh am Abend, die Sonne ging gerade unter und färbte den Himmel rot. In einer Höhle schlug Mard die Augen auf, reckte und streckte sich und kroch dann in das versiegende Licht. Er rubbelte seinen Körper mit feuchten Büscheln von ausgerissenem Gras ab, um munter zu werden und sich nebenbei gleich zu waschen. Der Duft des Grases hüllte ihn in ein würziges Parfum. Nachdem er sich auf diese Weise erfrischt, verzehrte er eine Hand voll ausgegrabener Regenwürmer, versteckte seinen Rucksack und machte sich im lockeren Trab auf den Weg nach Westen.


    Er folgte dem trockengelegten Graben in Richtung Dunkelbruch. Ein Trupp Zwerge mit Grabwerkzeug kam ihm entgegen und er wich ihnen weitläufig aus. Wahrscheinlich wollten sie den neuen Damm inspizieren und wieder einreißen. Nun, das würde ein langwieriges Unterfangen werden! Mard kicherte in seine Faust, während er vor Blicken sicher zwischen den Bäumen weiter lief. Bald hatte er den Umkreis der Festung erreicht. Wenn er sich nicht täuschte, gab es nun deutlich mehr Zwerge auf den Wachtürmen und sie schienen aufmerksamer denn je. Auch auf den Zinnen Dunkelbruchs selbst waren hunderte von wachsamen Augenpaaren zu sehen, die in die Nacht hinaus blickten. Zwerge sahen in der Dunkelheit, wenn auch nicht so gut wie Mard und seinesgleichen, aber dennoch gut genug, um einen unvorsichtigen Schleicher ausfindig zu machen. In die Burg unbemerkt hineinzugelangen, mochte heute schwieriger sein denn je, doch warum so umständlich, wenn es auch einfach ging?


    Mard verbarg sich hinter einem aufgeschichteten Holzlager und wartete auf eine Patrouille. Lange verharrte er in seinem Versteck, denn wie immer zogen die Zwerge es vor, sich zu verschanzen, anstatt den Feindkontakt zu suchen. Er stöhnte genervt, prüfte noch einmal, ob man auch keine Spuren von Schießpulver an ihm finden konnte und rieb sich aus Langeweile erneut mit duftendem Gras ein, um eventuelle Spuren des markanten Geruchs zu überdecken. Die halbe Nacht lang musste er warten, ehe sich ein Trupp der Bartträger auf dem Weg in der Nähe seines Verstecks näherten, um die Wachen auf einem der Türme abzulösen.


    Lässig trat Mard vor ihnen auf den Weg und baute sich breitbeinig auf. Er zeigte beide Handflächen und drehte sich einmal um seine Achse, damit sie sehen konnten, dass er nichts als seinen Lendenschurz aus Zebrafell trug - und ein Blasrohr mit einem Giftpfeil unsichtbar darunter, für alle Fälle.


    "Heda, ihr Zwerge Dunkelbruchs!" posaunte er, als seine Vorderseite wieder zu ihnen zeigte. "Ihr habt die Ehre, eurem General Eisenhand eine Audienz bei mir zu gewähren! Ich habe ihm einiges zu sagen!"

    Nach einigem Suchen hatte Mard eine geeignete Stelle gefunden. Während für Angehörige anderer Spezies die Nacht nur aus Dunkelgrau und Schwarz bestand, konnte Mard besser sehen als am Tage und sogar Farben unterscheiden, wenn auch nur schwach, als seien sie ausgewaschen. Der Graben, den die Zwerge in dreijähriger Arbeit ausgehoben und mühsam befestigt hatten, lag tief unten im Tal wie ein bleigraues Band, das im Mondlicht glitzerte. Die ganze Bergkette lag in aller Deutlichkeit vor ihm. Der Kanal musste an dieser Stelle einen schmalen Pass zwischen zwei steil aufragenden Gipfeln durchqueren. Den Durchbruch dafür hatten die Zwerge vermutlich künstlich erstellt.


    Was für ein friedlicher Anblick! Sensibleren Gemütern würde es nun um die jahrelange Arbeit leidtun, doch Mard freute sich auf das bevorstehende Spektakel. So viel Spaß war ihm schon lange nicht mehr vergönnt gewesen! Fast fühlte er sich versucht, dem verdammten Rakshaner eine Kusshand nach Norden hin zuzuwerfen. Er entlud seinen schweren Rucksack und mischte die Zutaten in einem großen Kessel, den außen festgebunden mit sich geführt hatte:


    6 Teile Salpeter, 2 Teile Holzkohle und 1 Teil Schwefel.


    Ganz genau abgemessen mit einem Dosierbecher. Teuer waren diese Zutaten gewesen. Den Salpeter hatte man über viele Umwege von den Goblins erhalten. Fast andächtig rührte Mard die Substanzen zu einer körnigen Masse, die an schwarzen Sand erinnerte. Viel, viel brauchte er von dem fertigen Gemisch! Aber nur die Hälfte der mitgeführten Zutaten durfte er aufbrauchen, das, was übrig blieb brauchte er später.


    Endlich war es geschafft. Vor lauter Vorfreude kaute er auf der Innenseite seiner Wange herum. Mit dem gefüllten Kessel in der Hand kletterte er auf den felsigen Berghang, der genau über dem künstlichen Durchbruch lag und suchte sich eine geeignete Stelle. Dort platzierte er in einer Mulde den gefüllten Topf. Anschließend legte er eine dicke Baumwollschnur hinein, die mit irgendetwas getränkt war, so dass sie gut brannte, das andere Ende ließ er aus dem Kessel heraushängen, entzündete es und machte, dass er davon kam.


    Rasch, rasch! So schnell er konnte sprang Mard auf allen Vieren davon, doch nicht, weil er das Bevorstehende fürchtete, sondern vor allem, weil er das Spektakel keinesfalls verpassen wollte und schnell auf seinem vorher ausgespähten Aussichtspunkt angelangt sein wollte. Er kletterte hektisch auf einen großen Baum, der fest mit dem Erdreich verankert war, klammerte sich mit allen fünf Gliedmaßen daran fest und richtete erwartungsvoll seine Augen auf den Berg.


    Ein gewaltiger Knall zerriss die Nacht, begleitet von einem grellen Lichtblitz. Mard kreischte auf und riss seinen Unterarm vor die Augen. Ein Rumpeln, so heftig wie ein Sommergewitter, ertönte, wollte gar nicht mehr aufhören, Steine prasselten auf Mard hinab und der Baum erbebte unter ihm. Die Heftigkeit der Explosion hatte er völlig unterschätzt! So viel Schwarzpulver hatte er noch nie auf einem Haufen gesehen und noch nie auf einmal entzündet! Es war grandios! Was für ein Feuerwerk!


    Als das Rumpeln endlich verebbte und es keine Steine mehr regnete, nahm Mard den Unterarm von den tränenden und brennenden Augen. Er musste ein paar Mal blinzeln und selbst dann sah er noch verschwommen. In seinen Ohren fiepte es langanhaltend. Ihm bot sich ein ehrfurchtgebietendes Bild der Zerstörung. Die Explosion hatte einen riesigen Steinschlag ausgelöst, mehr noch, eine ganze Lawine! Einer der beiden Berge war zur Hälfte ins Tal gerutscht und das Geröll blockierte nun den Kanal. Auf der einen Seite staute sich das Wasser und würde bald einen hübschen Stausee ergeben. Und auf der anderen würden die Zwerge in ihrer Festung sehr bald schon trockene Füße bekommen!


    Kreischend und johlend vor Vergnügen sprang Mard vom Baum, preschte auf allen Vieren über den neu entstandenen Damm und führte auf seiner Mitte im Mondschein einen grässlichen Freudentanz auf.

    Man hatte ihn nicht bemerkt. Mard glitt fast lautlos von Schatten zu Schatten, um sich ein möglichst umfassendes Bild von der Festungsanlage zu machen. Als die Sonne aufging, zog er sich aus Dunkelbruch zurück und verbrachte den Tag im Schatten einer Felsspalte mit Blick auf das Zielobjekt. Als die Nacht sich erneut niedersenkte setzte Mard seinen Rundgang fort. Nach zwei Tagen glaubte er, genug gesehen zu haben und machte sich auf den Weg nach Hause - nicht, ohne in Alkena einige ausgiebige Mahlzeiten bestehend aus rohen Fröschen und lebend gegessenen Krabben zu sich genommen zu haben. Schließlich erreichte er Cara'Cor, erschöpft, aber wohlauf. Er verlangte, zu Tarkan vorgelassen zu werden. Dieser saß auf dem Boden seines Empfangszeltes und trank - wie könnte es auch sein - Kaffee, während er Schriftrollen wälzte.


    "Ah, mein Kundschafter ist wieder heimgekehrt. Ich hatte dich nicht so früh erwartet. Sprich, Mard. Was konntest du in Erfahrung bringen?"


    "Die Zwerge haben einen neuen General! Einen Barlok Eisenhand! Hab ihn noch nicht zu Gesicht bekommen, aber sie reden gut von ihm! Er hat die Pforte in ein wahres Bollwerk verwandelt zu haben, hat wohl die Hosen voll!"


    Mard lachte. Als er merkte, dass Tarkan keine Miene verzog, räusperte er sich und fuhr fort:


    "Also! Ein Mauerring umsäumt eine Zitadelle. Die Zitadelle wurde genau über der Zwergenpforte errichtet, sie liegt höher liegt als der Rest der Anlage! Davor ist ein Hof mit Baracken, ehe die Mauer kommt! Zwischen den Baracken stehen Belagerungsgeschütze: viele Katapulte und sogar Triboks! Die Mauer ist in mehreren Schwüngen errichtet und davor verläuft ein Wassergraben, der vermutlich vom Azursee gespeist wird! Auf der Mauer patroullieren tags und nachts Armbrustschützen! Drei riesige Türme befinden sich außerhalb, einer im Nordwesten, einer im Norden und einer im Nordosten! Sind nicht sehr wehrhaft, dienen nur der Weitsicht, haben Feuersignale oben drin! Ach ja, und es gibt jetzt eine Zugbrücke anstelle der Steinbrücke, die vorher da war!"


    Tarkan nickte und machte sich eine rohe Skizze, während Mard weiter sprach, die er beschriftete und mit Anmerkungen versah. "Weiter."


    "Des Tags liegt ein Zeltlager von Händlern vor den Mauern, das des Nachts verschwindet, um am nächsten Tage wieder aufzutauchen! Fragt mich nicht, warum die das machen, aber es ist so! Niemand außer Zwergen darf ins Innere der Festung und auch Zwerge nur mit Geleitschutz! Ich bin aber trotzdem drin herumgekrochen! Die haben wohl nicht damit gerechnet, dass jemand senkrechte Mauern hochklettern kann!"


    "Wurdest du entdeckt?"


    "Nein! Wurde ich nicht! Ich bin Mard von den Nebelkatzen!"


    Tarkan nickte und zum ersten Mal lächelte er den Düsterling an. "Du hast dir eine Belohnung verdient, Mard Nebelkatze. Möchtest du, dass ich dich in die nächste Stadt bringen lasse, wo ein Heiler sich dein Zahnfleisch ansieht oder hegst du einen anderen Wunsch?"


    "Ja! Ich will einen Sklaven haben! Einen Rakshaner! So wie euch!"


    "Man hat mich vor deinem losen Mundwerk gewarnt und mir einige Ratschläge erteilt, wie am besten mit dir zu verfahren sei."


    "Nicht euch in persona, meine ich! Nur so einen wie euch, versteht ihr? Einen Rakshaner, der mich bedient! Ihr könnt sicher einen entbehren! Vielleicht einen, der großen Mist gebaut hat und den ihr bestrafen wollt! Alter und Geschlecht sind mir egal!"


    "In Rakshanistan gibt es keine Sklaverei", entgegnete Tarkan frostig. Sein Lächeln war verschwunden. "Kein Rakshaner wird je wieder in Sklaverei leben müssen, so lange Rakshor auf dieser Welt wandelt. Er wacht mit Augen wie die gleißende Wüstensonne und einer Hand wie aus Wüstengestein über alle, die ihm folgen. Nenn mir einen realistischen Wunsch und dann ziehe deiner Wege, bevor ich beginne, über die Ratschläge zu deiner Person nachzudenken."


    "Ahaha! Das war nur ein Scherz! Ein Witz, wenn ihr wisst, was ich meine! Ich habe einen ganz anderen Wunsch, völlig anders! Mir hat das Kundschaften gut gefallen! Lasst mich euer persönlicher Kundschafter werden und ihr sollt es nicht bereuen! Ich verlange nichts als das gleiche Essen, was auch ihr Rakshaner esst und eine gute Unterkunft! Und dass ich nie wieder einem Rakshaner das Essen kochen, das Geschirr abwaschen oder die Unterhose schrubben muss oder andere niedere Arbeiten! Ich will vor keinem von euch Turbanträgern mehr buckeln müssen! Höchstens vor euch vielleicht, Tarrik, weil ihr so gütig seid!"


    Tarkan trank in Ruhe seinen Kaffee zu Ende, ehe er antwortete. "Letzteres könnte ich dir gewähren ... kein Arbeitsdienst mehr. Stattdessen verdienst du als mein Kundschafter deine Nahrungsrationen. Ja, das wäre denkbar, wenn du deine Aufgabe gut machst. Aber du wirst weder eine andere Unterkunft noch andere Nahrung erhalten, bis du dich nicht erwiesen hast."


    "Erwiesen? Was wollt ihr denn noch? Ihr seid ungerecht!"


    "Ich habe einen weiteren Auftrag für dich. Wenn du gutes Essen willst, dann verdiene es dir."


    Einige Tage später machte Mard sich erneut auf den Weg nach Süden. Er trug einen schweren Rucksack mit sich. Gleichzeitig flog ein Jagdfalke zum Häuptling einer südlichen Orkrotte, der ein Schreiben bei sich trug.

    Mard von den Nebelkatzen


    http://asamura.de/download/fil…avatar=146_1455459036.jpg


    :punkt: Kurzinfo


    Name: Mard
    Volk: Düsterling
    Alter: 28
    Größe: 1,56 m
    Statur: muskulös
    Beruf: Kundschafter
    Herkunft: die Sümpfe von Alkena
    Derzeitiger Wohnort: Zeltstadt Cara'Cor (Zentralrakshanistan)
    Familienstand: ungebunden, vermutlich kinderlos (s. u.)
    Sprachen: Rakshanisch (Muttersprache), Asameisch (fließend)



    :punkt: Aussehen


    Die meisten Vertreter seines Volkes sind eher klein und drahtig, doch Mard ist für einen Düsterling recht groß und muskulös. Wie alle Düsterlinge ist er vollständig haarlos, verfügt über scharfe und äußerst stabile Klauen an Händen und Füßen, mit denen er sogar Lederrüstungen zerfetzen kann. Aus seinem Steiß wächst ihm ein langer, sehr beweglicher Schweif, den er als Kletterhilfe oder im Alltag wie einen dritten Arm verwendet. Mard trägt nichts weiter als einen Lendenschurz aus Zebrafell.


    Sein Gesicht ist oval und zeigt oft einen verschlagenen Ausdruck. Die großen, schrägstehenden blauen Augen leuchten im Kontrast zu der schwarzen Haut. Mard fehlen alle vier Eckzähne, was sein Lächeln makaber entstellt. Die Wundlöcher sind entzündet und heilen nicht. Aus seinem rechten Ohr wurde vom unteren Rand ein sehr großes Stück herausgebissen, so dass von der einstigen Ohrmuschel nur noch ein Halbkreis übrig blieb.



    :punkt: Charakter und Mentalität


    Mard ist ein Düsterling, der es verabscheut, im Schatten der Rakshaner stehen und sie als niederer Handlanger bedienen zu müssen. Sein größter Wunsch ist es, selbst in eine Führungsposition zu gelangen und andere nach Lust und Laune herumkommandieren und herumschubsen zu können. Politische Ränkespiele in größerem Ausmaß behält er im Auge, um immer im Bilde zu sein, aber er interessiert sich nicht tiefgründig dafür.


    Mard ist ein mieser kleiner Opportunist, eine Giftspinne. Er lügt, ohne mit der Wimper zu zucken und in seiner Gegenwart sollte man damit rechnen, bei der nächstbesten Gelegenheit einen Dolch im Rücken zu verspüren. Er dient dem, bei dem es ihm am besten gefällt und wo er seine Chancen für einen Aufstieg am besten sieht. Feind und Freund verschwimmen, wobei er kaum fähig ist zu tiefen Bindungen. Er arbeitet nicht für eine höhere Sache oder irgendwelche Ideale, sondern ist stets nur auf den eigenen Vorteil bedacht.


    Die Götter hält er für nichts anderes als besonders begabte Magier, die sich als Götter bezeichnen, um ihre Macht zu sichern. Sein Humor ist bissig, bisweilen bösartig. So ist er sich auch nicht zu schade, sich selbst als gefallenen Gott auszugeben, um Anhänger des Glaubens zu verspotten und zu provozieren.


    Mards größte Angst ist seine eigene Schwäche. Er ist der Meinung, dass sein Geist immer und in jeder Situation Herr über sein Fleisch sein muss. Wann immer ihm die Kontrolle entgleitet, fühlt er sich angreifbar und ekelt sich vor seiner eigenen Weichheit.



    :punkt: Fähigkeiten


    Mard ist ein verbissener kleiner Kerl. Im waffenlosen Nahkampf hat man mit ihm aufgrund seiner körpereigenen Waffen einen sehr Ernst zu nehmenden Gegner, der in der Lage ist, auch deutlich größere und stärkere Personen mit bloßen Händen umzubringen. Doch versucht er im Allgemeinen, direkte Konfrontationen zu vermeiden und eher aus dem Hinterhalt anzugreifen. Am liebsten greift er mit einem Blasrohr an, mittels dessen er vergiftete Pfeile spuckt. Seine grundlegenden Kenntnisse der Alchemie kommen ihm dabei zugute.


    Er ist körperlich leistungsfähig, kann hervorragend klettern und lange und ausdauernd laufen, ohne zu ermüden. Jedoch beherrscht er keinerlei Handwerk, kann weder lesen noch schreiben und auch die schönen Künste sind ihm fremd. Er ist in der Lage sich, in feuchter Umgebung auch ohne Waffen und Werkzeug mit Nahrung zu versorgen, wie Fröschen, Regenwürmern, Insekten und dergleichen.



    :punkt: Stärken und Schwächen


    + kaum Empathie, unfähig zu Mitgefühl
    + körperlich und seelisch äußerst zäh
    + messerscharfe Klauen an Händen und Füßen
    + kann hervorragend klettern
    + Nachtsicht
    + hevorragendes Gehör (auch Ultraschall)
    + kann sich auch bei vollständiger Finsternis über Klicklaute orientieren
    + für einen Düsterling groß und kräftig, kann sich im Rudel gut durchbeißen
    + Dolchkampf, Blasrohr
    + alchemistische Grundkenntnisse


    - sehr plumpes Sozialverhalten
    - unfähig zu tiefen Bindungen
    - unter den Düsterlingen unbeliebt
    - sein Größenwahn bestimmt sein Dasein
    - nicht heilende Wunden im Zahnfleisch quälen ihn
    - oft Fieber und Alpträume, manchmal Panikattacken
    - kann weder lesen noch schreiben und kann dies auch nicht lernen
    - neigt zur Pyromanie, gerät bei großen Katastrophen in rauschartige Extase



    :punkt: Reiserucksack


    Lendenschurz aus Zebrafell
    Dolch mit Scheide
    zwei schwarze Gürtel (einen zum Halten des Lendenschurzes, einen als Waffengurt für Dolch, Blasrohr und Giftampullen)



    :punkt: Lebenslauf


    Ein Kind der Sümpfe


    Mard wurde als eines von vielen Kindern der Nebelkatzen geboren. Diese Rudel ist in den Sümpfen Alkenas heimisch, in denen es oft diesig und schwül ist, und rühmt sich für seine lautlose und heimliche Vorgehensweise. So lernte Mard von klein auf, dass es gut ist, seine Ziele durch Heimlichkeit, Lügen und Schleichen zu erreichen und die direkte Konfrontation von Angesicht zu Angesicht zu vermeiden.



    Die Flucht aus der Heimat


    Im Jugendalter gerieten die Nebelkatzen in eine schwere Auseinandersetzung mit den Tieflingen des Sumpfes. Der Kampf war kurz und heftig und endete für die Düsterlinge fatal. Der größte Teil der Überlebenden floh aus Alkena, nur ein kleines Grüppchen verblieb in den Sümpfen und führt heute ein noch versteckteres und heimlicheres Leben als früher. Für jemanden, der kein Düsterling ist, sind sie kaum aufzuspüren. Der junge Mard gehörte allerdings zu jenem Teil des Rudels, der Alkena hinter sich ließ. An ein Leben in den Sümpfen angepasst, war es für die Nebelkatzen äußerst schwierig, außerhalb genügend Nahrung zu finden. So traten sie schließlich ausgehungert und geschwächt in die Dienste der Rakshaner, um ihr Überleben zu sichern und fristen seitdem ein sklavenähnliches Dasein.



    Vom freien Wildling zum Sklaven, dem man das Grinsen austrieb


    Mard war einer von jenen, die mit der Umstellung von einem freien Leben zu einem Leben als Handlanger am schlechtesten zurecht kamen. Er war frech und aufmüpfig, galt als Problemfall und wurde oft körperlich gezüchtigt, um ihm ein Mindestmaß an Gehorsam abzuverlangen. Er murmelte in Gegenwart der Rakshaner, die er bedienen muss, oft vor sich her, gerade laut genug, als dass sie meinten, Spott und Hohn zu vernehmen, aber glaubten, sich vielleicht nur verhört zu haben. Er begann seinen Gehorsam völlig übertrieben zur Schau zu stellen und ins Lächerliche zu ziehen. Dabei trug er stets ein breites Grinsen zur Schau.


    Irgendwann platzte einem Tarrik der Kragen und er befahl, Mard die Eckzähne ziehen zu lassen und Maden in die Wunden zu setzen, damit ihm sein respektloses Grinsen verginge. Die Schmerzen waren entsetzlich. Mard bekam hohes Fieber, brach schließlich bei der Arbeit bewusstlos zusammen. Zwei Tage und Nächte lag er im Zeltlager am Wegesrand herum, während Düsterlinge und Rakshaner achtlos an ihm vorübergingen. Als er erwachte, war das Fieber gesunken und die Entzündung zurückgegangen, doch noch immer hatte er die Maden in den Wunden. Sie nagten und quälten ihn und bis heute ist es ihm nicht gelungen, sie aus seinem Zahnfleisch zu bekommen. Ein tiefer Hass wuchs in ihm – Hass auf die Rakshaner, aber auch auf die anderen Düsterlinge, die ihn im Stich gelassen hatten.



    Der nicht liebt


    War Mard zuvor bei den Düsterlingen wegen seiner zynischen Art schon eher wenig geschätzt, wurde er nun völlig zum Außenseiter. Die anderen fürchteten den Missmut der Rakshaner, wenn sie sich mit ihm abgaben und Mard seinerseits konnte ihnen niemals vergeben, dass sie ihm aus Furcht nicht geholfen hatten. Oh, wie er sie alle verachtete für ihre Feigheit! Nach außen hin gab er sich noch grantiger als vorher, wurde ein Großmaul und Angeber und riss unlustige Witze auf Kosten der anderen. Er fand Freude daran, auf den Schwächen und Fehlern anderer herumzureiten und sie zu demütigen.


    Hin und wieder findet eine Düsterlingdame Gefallen an ihm und gemeinsamen Stunden ist er durchaus nicht abgeneigt, doch anschließend schleicht er sich davon oder verweist sie sehr deutlich seines Zeltes. Er verweigert sich selbst willentlich alle Gefühle von Zuneigung, um niemals wieder so bitter enttäuscht zu werden wie damals. Wann immer sein Herz wagt, vor seinem Willen zu wanken, zwingt er es gewaltsam unter seine Kontrolle. Die betreffende Düsterlingdame jagt er mit wüsten Hasstiraden (und manchmal Schlimmerem) davon, um ihr alle Gedanken an Wiederkehr auszutreiben. Liebe macht schwach und er duldet sich selbst gegenüber keine Schwäche. Eines seiner Opfer war Blim, die ihn einst liebte und die er so schlug, dass sie ein blaues Auge davontrug. Ob einige seiner Liebschaften fruchttragend waren, weiß er nicht und will es auch nicht wissen.



    Der Alchemist


    Mard kann weder lesen noch schreiben, doch er hat ein hervorragendes Gehör. So weiß er Dinge, welche ein Düsterling normaler Weise nicht wissen sollte, denn sein liebster Zeitvertreib ist das Lauschen. Rakshaner unterschätzen oft, wie gut das Gehör ihrer düsteren Handlanger ist und glauben, eine gesenkte Stimme und eine lederne Zeltwand würden ausreichen. Besonders gern lauscht Mard jenen, deren Wissen ihm nützlich erscheint, wie den Alchemisten, so dass er mit der Zeit ein gewisses Grundwissen erlangte. Mittels Diebstahl besorgte er sich die Zutaten für kleinere Experimente, später begann er, sich die Zutaten auch selbst aus der Natur zu besorgen, wie das Gift von Pfeilgiftfröschen, Wolfsmilch und Hundstod. Inzwischen hat er ein recht beachtliches Arsenal an Mittelchen, Pülverchen und Elixieren.


    Die größte, aber leider seltene Freude, bereiten ihm katastrophale Ereignisse, wie Erdbeben und Überschwemmungen. Doch keine davon reicht an die Extase heran, die Mard beim Anblick großer Feuersbrünste empfindet. Das Gefühl gleicht einem Rauschzustand, als stünde er unter Drogen. Es ist die einzige Form unkontrollierter Gefühlsausbrüche, die er sich mit reinem Gewissen und ohne das Gefühl der Schwäche zugesteht.



    Zerstörte Hoffnungen


    Mard versuchte mehrmals aus Cara'Cor zu fliehen, doch in der Wildnis wäre er fast verhungert, so dass er jedes Mal wieder zurück kehrte. Seine Abhängigkeit verstärkte seine Wut ins Unermessliche. Bis heute wartet er auf eine Gelegenheit, seinem Leben eine neue Wendung zu geben. Er träumt davon, selbst Herrscher zu werden, sich bedienen zu lassen und andere herumzuschubsen (bevorzugt Rakshaner) und schmiedet größenwahnsinnige Pläne.



    Gegenwärtige Situation


    Sein neuester Versuch, seinem Schicksal eine Wendung zu geben, äußerte sich darin, dass er sich als Freiwilliger für eine lebensgefährliche Kundschaftsmission des Tarrik Tarkan meldete, bei welcher er allein die Zwergenfestung Dunkelbruch untersuchen soll. Weil er diese Aufgabe mit Bravour meisterte, ernannte Tarkan ihn offiziell zu seinem persönlichen Kundschafter und Mard wurde vom regulären Arbeitsdienst freigesprochen. Nur den zum Lohn verlangten rakshanischen Sklaven erhielt er nicht. Sein derzeitiger Auftrag ist die Sprengung eines Berghanges, um den Zulauf des Wassergrabens vor Dunkelbruch zu verstopfen.

    Noch in derselben Nacht machte Mard sich auf den Weg. Man hatte ihm einen neuen Lendenschurz zugewiesen - Zebrafell, angeblich, weil er jetzt für diesen Tarkan arbeitete. Mard war es Recht. Das schwarz-weiße Streifenmuster sah richtig edel aus und man hatte ihm sogar einen Gürtel geschenkt. Der Mann hatte Geschmack! Mard verzichtete darauf, sich vor der Abreise von irgendwem zu verabschieden. Tarkan allein wusste, wohin er lief, als sich im leichten Trab von der Zeltstadt Cara'Cor entfernte.


    Zu Fuß durchquerte er die Steppe, bis er Alkena erreichte. In diesem wilden Sumpfgebiet gab es kaum intelligentes Leben und es war ihm ein Leichtes, sich dort unbemerkt zu halten. Er bewegte sich wie ein Affe auf allen Vieren über die Astpfade, sprang, wenn es sein musste, von Baum zu Baum und nutzte seinen langen Schweif als Balancierhilfe oder zum Greifen. In Alkena war es angenehm feucht und schattig und es gab viele Frösche, die Mard erbeutete und aß. Wie Tarkan angekündigt hatte, stieß er unterwegs nirgends auf die Streitkräfte des Chaos, nicht einmal auf eine noch so kleine Truppe. In der südlichen Steppe und in Alkena herrschte Frieden, das erste Mal seit Jahrzehnten. Und Mard war vollkommen auf sich gestellt, wenn es Probleme gab, hatte er nirgends Hilfe zu erwarten.


    Als er einen besonders hohen Baum erklomm, um nach dem Weg zu sehen, waren die Roten Berge schon sehr nahe. Der Sumpf reichte bis zu ihrem Fuß, weil das Wasser des Albis sich dort staute. Der Sumpf war dort weniger brackig als im Norden, er glich einem klaren flachen See mit Bäumen, die auf Stelzenwurzeln wuchsen. Als das Land zu den Bergen hin anstieg, versiegte das Wasser. Hier endete Alkena und das Reich der Zwerge begann.


    Von nun an war höchste Vorsicht geboten. Mard hatte eine mondlose Nacht abgepasst, als er sich an den Aufstieg machte. Er hielt sich in der Deckung von Steinen und Bäumen. Bald bewegte er sich nur noch auf allen Vieren, mit langsamen, gleichmäßig fließenden Bewegungen. Es war unverkennbar, dass dies die Ausläufer von Dunkelbruch waren, die Spuren der Zivilisation war überall zu sehen und zu riechen. Immer wieder stieß Mard auf befestigte Wege und kleine Waldhütten, in denen irgendwelches Rohmaterial gelagert wurde. Und dann kam ein Graben. Der war neu, auf den hatte man ihn nicht vorbereitet.


    Wie die meisten Düsterlinge hasste Mard Wasser, konnte aber durchaus schwimmen. Seine komplett schwarze Haut machte es den Augen auf den Türmen hoffentlich schwer, ihn in der Dunkelheit zu sehen. Er suchte sich jene Stelle aus, die von den Türmen größtmöglich entfernt lag und glitt langsam, ohne zu plätschern oder zu spritzen, ins Wasser.