Beiträge von Erzähler

    Nachtmarkt

    Ob mit einem speziellen Wunsch oder nur zum Stöbern - den Nachtmarkt solltest du bei einem Aufenthalt in Drakenstein unbedingt einmal besucht haben. Nicht nur nachtaktive Wesen kommen hier auf ihre Kosten. Der Nachtmarkt ist mehr als eine Einkaufsmeile im Schutz der Dunkelheit, er ist ein Erlebnis und manchmal gar ein Abenteuer, das du so schnell nicht vergessen wirst.


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    Jeden Abend öffnet der Nachtmarkt von Drakenstein. Alls was man sucht findet man hier, legal oder illegal. Die am Tage unscheinbare Strasse wird bei Sonnenuntergang vollständig zu einem Markt umgebaut. Fahrende Händler platzieren zu beiden Seiten ihre Wagen und bauen ihre Stände auf. Die Häuser dahinter beherbergen Tavernen und Ladenlokale. Berührungsängste sollte man in dem nächtlichen Gedränge nicht haben. Die Händler bieten sprichwörtlich alles, was es für Geld zu kaufen gibt: Kleidung aus aller Herren Länder, Hüte, Taschen, Tücher, Gürtel, Geldkatzen, Geschirr und jede Menge anderer Plunder, den die Menschheit nicht braucht. Dazwischen findet man hier auch seltene alchemistische Zutaten und Folianten voller Wissen, das eigentlich nicht für die Augen der Öffentlichkeit bestimmt ist.


    In den Garküchen gibt es Speisen von ganz Asamura: rakshanisches Süßgebäck, gebratene Fleischspieße, exotische Früchte, Stockfisch und vieles mehr. Die Auswahl an Getränken steht dem in nichts nach: Vom Turzwachter Gold über den Donnergurgler bis hin zum verbotenen Schwarzwein findet man hier alles. Bei Speis und Trank unter freiem Himmel kann man Musik, Akrobatik und Tanz in allen Qualitätsstufen genießen. So manch aufstrebender Künstler hat seine Karriere auf dem Nachtmarkt von Drakenstein begonnen.


    So werden auch viele Kunsthandwerke feilgeboten, wie geschnitzte Seifen, Schlüsselanhänger aus Leder, Leinenkleider, handgefertigter Schmuck und vieles mehr. Feilschen ist dabei ein Muss. Die Preise auf dem Nachtmarkt sind gut, wenn man sich aufs Handeln versteht. Mit einem Lächeln und Freundlichkeit kommt man weiter als mit einer arroganten Miene.


    Es ist sehr eng und wirr. Vorsicht: Taschendiebe nutzen das Gedränge. Bitte trage deine Wertsachen eng am Körper und schließe alle Taschen. Bei Problemen wende dich an die Stadtwache.


    Die meisten Händler sind nicht sonderlich aufdringlich, was man von den Schleppern der umliegenden Tavernen nicht sagen kann. Je nachdem, wohin sie einen locken, kann das in einer bösen Überraschung enden. Manchmal entsprechen die auf der Straße angepriesenen Preise nicht denen, die man später in der Taverne auf seiner Rechnung präsentiert bekommt. Weigert man sich, diesen Wucher zu zahlen, wird die Tür von ein paar eigens dafür angestellten Brechern versperrt. Auch hier helfen ein klarer Kopf und Verhandlungsgeschick, um den finanziellen Schaden in Grenzen zu halten, denn sie akzeptieren in aller Regel auch die Hälfte des verlangten Preises. Mit der Stadtwache zu drohen, kann helfen, macht einen auf dem Nachtmarkt aber äußerst unbeliebt, weshalb es sinnvoller sein mag, das Problem mit barer Münze zu lösen. Wer ganz sicher gehen will und das Abenteuer scheut, erkundigt sich besser im Vorfeld. Einheimische und Stadtwachen kennen die Tavernen und Läden, die man gefahrlos betreten kann und helfen für ein paar Münzen gern mit Informationen weiter.


    Das Treiben der Unterwelt spielt sich weitgehend hinter verschlossenen Türen ab, so dass durchaus Familien mit Kindern diese Gegend zum Schlendern und Schmökern aufsuchen können. Wer fragwürdige Waren oder Dienstleistungen kaufen will, muss schon hinein gehen und gezielt danach fragen. Offen auf der Straße angeboten werden sie nicht. Dann kommt man in den hinteren Bereich. Oft liegen vorne nur Listen oder eine geringe Auswahl auf den Ständen vor der Tür, aber holen können die Händler alles, was das Herz begehrt. Mit "alles" ist wörtlich "alles" gemeint, von Rauschgiften, verbotenen alchemistischen Tinkturen, Hehlerware und Waffen über die Dienste von Schlägertrupps bis hin zu Meuchlern.


    Es lohnt sich beim Schlendern über den Nachtmarkt auch einen Blick nach unten zu werfen, da wimmelt es von bemerkenswert wohlgenährten Ratten. Sie werden von dem Müll angezogen, der praktisch überall herumliegt.


    Wenn das Morgenrot über den Horizont kriecht, verebbt langsam das Feilschen. Die fahrenden Händler packen die Waren zusammen und lenken ihre Esel und Ochsen durch das Stadtor hinaus. Die Tavernen werfen die letzten Gäste vor die Tür. Die Feuer der Garküchen werden gelöscht und die Musik verstummt. Sobald die Sonne scheint, findet man hier nur noch eine leere Straße vor, zu deren Seiten alle Fenster und Türen verschlossen sind. Das Morgenlicht bringt die Stille. Es ist, als sei ein Zauber verflogen. Ein paar einzelne Gestalten kehren schweigend das Pflaster und lesen den Müll auf. Bald sind auch die letzten Spuren des Nachtmarkts vollständig verschwunden. Bis die Dunkelheit sich erneut auf Drakenstein senkt.

    Als das Luftschiff über den Bergen auftauchte, verbreitete sich die Kunde in Drakenstein rasch: Die Voliris ist zurück! Vor achtzehn Tagen war sie aufgebrochen. Von den Zinnen aus hatten die Überlebenden dem gewaltigen Gefährt nachgeschaut, hoffnungsvoll oder kopfschüttelnd, doch niemand war die Expedition gleichgültig gewesen. Allein der Kurs nach Markaz reichte schon, um Angst und Schrecken zu verbreiten, denn der Kurs nach Markaz bedeutete nichts weiter als ein Flug über die endlose Wüste Tamjara, genau in die Richtung des aufziehenden Aschesturms.


    Doch so sehr in den Gassen auch geraunt worden war, die Voliris sei längst abgestürzt und niemand werde die Mannschaft je wiedersehen, so hartnäckig hatte sich gleichsam die Hoffnung auf ihre Rückkehr gehalten.


    Und hier war sie nun: Langsam senkte sie sich zwischen den grauen Wolken hinab in den Krater, der vor Jahrhunderten zu einer Festung ausgebaut worden war, die Zinnen und den Wehrgang wie eine Krone auf dem Rand des Vulkankegels. Wer ein Fernrohr besaß, beobachtete das Ereignis durch die Vergrößerung, um nichts zu verpassen. Die Konstabler hatten Mühe, die Schaulustigen vom Hangar fernzuhalten, die winkten und riefen.


    Welche Nachricht mochte die Besatzung aus dem Süden mitbringen?


    Die Hafenarbeiter halfen beim Vertäuen und die Mechaniker machten sich sofort an die Wartung des von der Reise sichtlich mitgenommenen Luftschiffs. Der lederne Auftriebskörper wirkte schlaff. Aus den Triebwerken drang schwarzer Rauch und der Motor klang unregelmäßig. Die Rampe wurde nicht sofort heruntergeklappt und die Mechaniker mussten Hilfe leisten. Auch jetzt stieg niemand aus. Vorarbeiter Relic machte sich daran, die Rampe zu erklimmen, hielt jedoch inne, als er Schritte an Deck vernahm.


    Der Pilot erschien oben vor dem eisernen Laufsteg. Langsam schob er die Schutzbrille auf die Stirn und zog den dicken Schal von seinem Gesicht. Entsetzt wich der Vorarbeiter zurück, als er das sah, was einst ein menschliches Gesicht gewesen war.


    "Ainuwar hat große Opfer von uns verlangt", sagte der Pilot heiser. "Zehn sind nach Markaz aufgebrochen, vier kehren heim."


    Rufe der Verzweiflung brandeten durch die Menge. Vorarbeiter Relic versuchte sie zu übertönen: "Was habt ihr über das Schicksal von Markaz in Erfahrung gebracht? Die Stadt liegt direkt in der Richtung, aus welcher der Sturm kommt. Benötigen sie Hilfe oder können sie ihrerseits welche bieten?"


    Der Pilot rang sichtlich nach Luft. "Die Asche fällt im Süden wie Schnee. Es gibt keine Wiesen mehr, keine Felder, nur noch Asche. Sie liegt in den Straßen hoch bis zu den Fenstern. Die Häuser sind kaum von Hügeln zu unterscheiden. Der Himmel ist dunkel, man merkt kaum den Unterschied zwischen Tag und Nacht. Totenstille, kein Vogel singt. Es ist kalt und die Palmen wirken tot. Falls es Überlebende gibt, haben wir sie nicht gefunden. Markaz", krächzte er, "ist gefallen."


    Die Menge schrie und weinte. Jemand stürzte in Verzweiflung zu Boden. Die Konstabler mussten ihre Stäbe einsetzen, um die Ordnung zu wahren. Der Pilot aber wankte wie ein Halbtoter dem Vorarbeiter entgegen, um ihm ein in schwarzes Leder gebundenes Buch zu überreichen. "Das Logbuch der Voliris. Mein Tagebuch. Überreiche es dem Fürsten. Soll er entscheiden, was mit dem Wissen geschehen soll."


    Der Vorarbeiter nahm es entgegen. Die übrigen Arbeiter betraten nun das Luftschiff. Dort fanden sie die drei übrigen Überlebenden der Reise. Zu schwach, sich zu erheben, hockten sie auf ihren Posten. Ihre Körper waren nicht allein von der langen Reise im eisigen Wind gezeichnet, vom aufziehenden Aschesturm oder Erschöpfung. Sie trugen auch die Male des Zorns der Götter, die Zeichen des Verderbens auf der Haut, die eine Warnung für alle waren, den Gezeichneten fern zu bleiben und ihnen nicht zu helfen, so lange sie lebten. Mit Entsetzen in den Augen wichen die Vorarbeiter zurück und riefen die Mechaniker von der Voliris. Die Rampe wurde wieder hochgezogen.


    Die Voliris brannte lange. Auch nachdem der Auftriebskörper in einem Feuerball aufgegangen und vom Rumpf nur noch ein glimmendes Wrack übrig war, wagte niemand, die Flammen zu löschen. Dieses Feuer war das letzte Opfer, dass diese tapferen Männer für Drakenstein brachten. So ließ man die Voliris brennen, bis es nichts mehr gab, was das Feuer verzehren konnte, und das ausgebrannte Wrack für immer in die Tiefen des Abgrunds gestoßen wurde.

    Verstohlene Blicke


    In einer Gasse in der kaum zwei Personen nebeneinander laufen konnten, verbarg sich eine Gestalt in dem Wasserablauf. Wie eine Spinne hockte der verschleierte Mann dort. Alles was man von ihm sah, war das was er anderen erlaubte zu sehen. Heute hieß dies, dass man die dattelbraunen Augen des Mannes hinter dem Schleier erblicken konnte. Allerdings nur, falls man seinen Standort ausfindig gemacht hatte. Doch keiner der Passanten wusste von dem Mann der hier auf der Lauer lag und dessen Augen jeder Bewegung des Großstablers folgten.


    Mit geschmeidigen Bewegungen verließ der vermummte Mann sein Versteck und verschwand im Gewühl der Menge des Marktes. Seine Verfolgung war eine andere, er war seinem Opfer stets drei Schritte voraus und dabei war er ausgesprochen leise.

    Goldhändchen war zu Bluthändchen geworden und das alles wegen diesem leidigen alte Händler, der nichts besseres zu tun hatte als unschuldige junge Menschen wie mich in eine derartige grausame Falle zu locken! Erneut schloss sich meine Hand um den edlen Edelstein. Das Blut hatte ihn rutschig werden lassen, doch ich hielt ihn nun mit beiden Händen fest umklammert.


    Ein gellender Schrei verließ meinen Mund als ein Blitz in meinem Schädel einschlug. Schmerzen, unerträgliche Schmerzen, während sich meine Finger verformten nur um diesen Stein nicht loszulassen. Ich spürte wie etwas an mir zerrte und riss. Wie ich fiel und taumelte. Ich spürte dass ich zu Boden stürzte. Die Welt drehte sich vor meinen Augen und dann war es dunkel.


    Als ich meine Augen wieder aufschlug war die Welt nicht mehr jene die ich kannte. Zitternd schaute ich durch etwas rotes. Rotes Glas? Ich sah mich selbst, wie ich mich aufhob. Das konnte doch nicht sein! Doch es war eindeutig, mit dem Ärmel meines Gewandes hob ich mich auf und ich begriff, ich war in dem Stein! Und was immer in dem Stein gewesen war, wohnte nun in meinem Körper.


    Meine Finger fuhren gekonnt über den Deckel der Kassette und ich sah aus dem Stein heraus, wie der Skorpion sich in der Kassette duckte und den Schwanz anlegte. Dann wurde der Stein, dann wurde ich zurück in die Kassette gelegt.


    Als ob ich aus dem Kristall heraus zusehen sollte, blieb der Deckel noch für einen Augenblick geöffnet. Die gesunde Hand meines Körpers griff nach dem Spitzhelm und er setzte ihn sich lässig auf den Kopf.


    Das letzte, was ich sah war wie der zweite Boden über mich gelegt wurde, dann schnappte die Kassette zu....

    Ganz leise wurde ich fortgetragen, unheimlich sachte und leise...

    Seine Stimme war dumpf, rhythmisch, wie das Klopfen eines Herzens. Stimme? Unsinn, kein Stein besaß eine Stimme! Was ich hörte, war mein eigener Herzschlag.


    Ba-dumm. Ba-dumm. Ba-dumm.


    Aufgrund des Drucks, den meine verkrampften Finger auf den Rubin ausübten, fühlte ich ihn in der Hand. Erneut versuchte ich, meine Finger zu öffnen, doch es war mir unmöglich! Ich nahm die zweite Hand zu Hilfe, versuchte, meine Finger gewaltsam aufzubiegen. Meine Fingernägel gruben sich dabei in mein eigenes Fleisch. Wie eine eiserne Klaue krallte die Hand sich um den Stein, als würde ein fremder Wille sie dazu zwingen.


    Ba-dumm! Ba-dumm! Ba-dumm!


    Panik stieg in mir auf, ich ächzte, kalter Schweiß lief meinen Hals hinab. Mit aller Gewalt riss ich meine Finger herum. Ein Knacken wie von trockenen Zweigen, mein Schmerzensschrei echote von allen Wänden. Der Stein rollte in Richtung des spitzen Helms und stieß mit einem Klonk dagegen. Meine Hand sah aus wie ein wirrer Wurzelstock. Drei Finger ragten nach hinten in Richtung des Unterarms, die übrigen Finger waren noch immer zu harten Klauen verformt. Blut tropfte aus der gerissenen Haut.


    Blut glitzerte auch auf dem Stein.


    Meine andere Hand wurde magisch von ihm angezogen. Ich benötigte das Geld! Ich würde ausgesorgt haben, wenn ich den Rubin verkaufte! Ich keuchte und es klang wie Hundehecheln. Mein Schweiß tropfte in den Sand wie Regen, als der Wind in den Spitzhelm fuhr und der Stein zu leuchten begann.


    BA-DUMM. BA-DUMM. BA-DUMM. Das Licht pulsierte im Schlag meines eigenen Herzens.

    Meine Finger schlossen sich um den blutroten Stein, der sich nicht hätte kälter anfühlen können. Es war als läge Eis in meiner Hand. Die Kälte kroch meine Finger hinauf, übertrug sich auf meine Hand und wanderte höher. Ich versuchte den Stein loszulassen, doch irgendetwas hielt mich davon ab. Faszination? Entsetzen? Neugier? Ich wusste es nicht, aber ich konnte den Rubin nicht fallen lassen.


    Und dann war es mir als hörte ich einen Ruf, nicht wirklich, nicht real, eher wie ein Flüstern im Wind von vergangenen Zeiten wispernd.

    Erneut schaute ich mich in dem Nest um, niemand war hier. Tatsächlich niemand? Kleine Staubteufel umtanzten die Kassette als wollten sie den Skorpion bändigen.


    Schlagartig war der Rubin nicht mehr kalt. So als hätte ich ihn aus seinem eisigen Gefängnis befreit, schenkte er auch mir Wärme. Ebenso gut war es möglich, dass ich mir dies alles einbildete. Ein Junge wie ich hatte selten derartige Werte in der Hand. Aber da war er wieder, der Ruf...


    Und er schien aus dem Stein zu kommen....

    Meine Gedanken überschlugen sich. Wie war der Rubin in die Hände des Gewürzhändlers Khasib Dawasani gelangt? Sicher hatte er ihn von dem größten Dieb aller Zeiten erworben. Selten behielten wir unsere Ware für uns, denn sie war Beweismaterial. So versuchten wir die Beute so schnell wie möglich an den Mann zu bringen. Außerdem stopfte ein Rubin allein keinen Bauch. Das Geld, was man für ihn bekam, hingegen schon. Doch warum verbarg Khasib den wertvollen Edelstein in seiner Kasse, anstatt ihn zum Beispiel in Gold fassen zu lassen und ihn als Schmuck zu tragen? Oder damit einen edlen Kelch schmücken zu lassen?


    Mit dem Draht bohrte ich zwischen Skorpion und Rubin herum. Zack - hatte der Stachel erneut zugestochen. Der Mechanismus war hochempfindlich und ich wettete darauf, dass er vergiftet war. Mit einem deutlichen Poltern fiel der Stein hinunter. Erneut hallte das Echo zichfach durch das Labyrinth und der Staub schien sich zu verdichten, schien um mich zu kreisen, als meine Hand sich nach dem Rubin ausstreckte.


    Meine zitternden Finger schwebten unmittelbar über dem Rubin, bereit, zuzugreifen, doch der Wind war nun eindeutig stärker als zuvor und eiskalt. Dieser Rubin war so wertvoll, dass ich mir von seinem Gegenwert in Gold ein eigenes Haus kaufen könnte, komplett mit Möbeln und allem, was dazu gehörte. Was sollte schon geschehen? Es war doch nur ein Stein.


    Kurz huschte mein Blick zudem Spalt, durch den ich gekommen war. Zu dem goldenen Skorpion. Zu den leeren Hütten des Diebesnests. Dann zu dem spitzen Helm, der im Sonnenlicht lag.


    Meine Finger griffen zu.

    Behutsam zog ich den Boden nach oben, weiter und weiter als mit einem ohrenbetäubenden Scheppern der Helm von Groß-Stabler Fakhr Solasaubi auf den Boden aufschlug. Vor Schreck hatte ich die Kassette fallenlassen und war aufgesprungen. Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen und schlug mir hoch bis zum Hals. In einem Wind der hier gar nicht wehen durfte kullerte der Helm über den Boden und blieb liegen.


    Mein Blick wanderte zurück zu dem Kästchen und ich erstarrte.


    Eingelassen im zweiten Boden der Kassette war ein metallenes Spielzeug, dass sich zu bewegen anfing, wie bei einer Spieluhr die kleine Tänzerin oder der Vogel, wenn man den Deckel hob. Doch dies hier war weder eine Tänzerin, noch ein Vogel...


    Es war ein goldener Skorpion dessen Giftstachel nach oben geschnellt war, um jene Hand in Empfang zu nehmen, die ohne den geheimen Mechanismus zu kennen den Deckel öffnete. Meine Hand wäre es gewesen, die dieses Spielzeug gestochen hätte, wäre der Helm nicht zu Boden gestürzt.


    Zwischen den Scheren des Skorpions lag der größte Rubin den ich je gesehen hatte....


    Der Blutrote Rubin von Badr Baralouahabu und ich hielt ihn in Händen!

    Hatte ihn nicht einst Nur-al-Din Madaji der Leise von dem reichen Händler gestohlen?

    Mit einem kleinen Draht bohrte ich im Schloss herum. Fühlte, lauschte, korrigierte die Form, versuchte es erneut. Staubflocken tanzten im einfallenden Sonnenlicht. Ein Nieser platzte durch meine Nase und hallte etliche Mal von den Wänden wieder. Erschrockend verharrte ich regungslos, lauschte in das Labyrinth. War da nicht etwas gewesen? Oder war es nur der Hall meines eigenen Niesens? Als ich nach einer Weile des Lauschens nichts vernahm, stocherte ich erneut im Schloss der Kassette herum.


    Klickend sprang das Schloss auf. Ich hielt den Atem an, legte beide Hände um das Kästchen. Dann öffnete ich den Deckel. Das Häufchen an Münzen ließ meine Mundwinkel nach unten sacken. Das sollte alles sein, was der Gewürzhändler in seiner Kasse hatte? Dafür der Aufwand, dafür die Flucht?


    Ein Windhauch fuhr mir ins Genick, ich fuhr herum. Natürlich war da niemand. Meine Nervosität ließ meine Sinne überempfindlich werden. Doch der Schreck hatte bewirkt, dass mir nun erstmalig auffiel, dass der Boden der Kasse dicker wirkte, als er sein dürfte. Ich klopfte ihn ab. Er war hohl!


    Erneut zückte ich den Draht und suchte damit nach einem Weg, auch dieses Fach zu öffnen. Der Wind in den Gängen schien zuzunehmen und auf meinen Armen stellten sich alle Härchen auf, als der Draht sein Ziel traf. Hier war ein unsichtbarer Verschlussmechanismus. Ich probierte ein wenig, hörte genau hin, dann offenbarte mir auch dieses Schloss das Geheimnis seiner Funktionsweise.


    Langsam öffnete ich den Boden.

    Ganz vorsichtig trat ich an eine der Wände heran, wo das Licht durch die Decke fiel. Behutsam stellte ich die Kassette zu meinen Füßen ab und wischte mit der Hand über die Wand. Trockener Staub rieselte zu Boden und gab den Blick auf einige Kratspuren frei. Sie waren noch da, die uralten Zeichen. Angebracht vor einer Ewigkeit, führten sie jene die sie lesen oder deuten konnten durch ein Labyrinth das unter der Stadt lag.


    Mit zittrigen Fingern versuchte ich die alten Zeichen zu erfühlen. Es dauerte eine Weile bis unter den Fingerspitzen fühlte, was ich suchte. Erleichtert atmete ich auf. Die Luft hier unten war trocken und etwas staubig. Ich hob die Kassette auf und setzte meinen Weg in Richtung der Pfeile fort, die ich ertastet hatte. Meine Füße trugen mich leise und schnell durch die unterirdischen Gänge.


    An den hellen Stellen die durch Licht aus der Decke beleuchtet wurden, ertastete ich erneut den Weg, denn ich wollte möglichst weit weg von den Wächtern und Häschern des Marktplatzes. Manchmal schickten sie kleine Späher hinterher oder bei großen Dieben sandten sie auch die magischen Augen aus. Aber dafür war ich zu klein, zu unwichtig auch wenn Khasib Dawsani das völlig anders sehen würde.


    Meinen Gedanken nachhängend durchwanderte ich die Unterstadt, wie ich sie nannte und meine Nerven wie auch meine Atmung beruhigten sich. Eigentlich war dies ein schöner Ort. Geheimnisvoll und verborgen, sicher und trocken, jedenfalls größtenteils. Tamarant war eine geplante Stadt, hier war nichts dem Zufall überlassen worden.


    Urplötzlich hielt ich vor einem Spalt, einem Riss der sich scheinbar in einer der Mauern gebildet hatte. Vorsichtig befühlte ich den Spalt und spähte hinein. Seitlich konnte ich mich durchschieben und so tat ich dies aus. Mir verschlug es den Atem, als ich begriff wo ich mich befand. Es handelte sich um die uralte Zisterne, die Nur-al-Din Madaji dem Leisen als Zuflucht gedient hatte. Ein Diebesnest, das einst zugemauert worden war und ich stand in ihm. Langsam durchschritt ich das große, kreisrunde Gewölbe. Bestaunte alte kleine Holzschuppen die hier den Wirren der Zeit getrotzt hatten und von längst vergangenen Tagen sprachen.


    Viel war nicht mehr zu sehen, jene die hier die Bauarbeiten leisteten, hatten das was sie für wertvoll erachtet hatten, entweder für den Maharaksha oder die eigenen Taschen gesichert. Alltagsgegenstände und andere scheinbare wertlose Gegenstände waren noch hier. Langsam geradezu andächtig durchstreifte ich dieses kleine Lager und blieb vor einem hohen, roten Helm stehen, der mit einer dicken Staubschicht überzogen war.


    Groß-Stabler Fakhr Solasaubi Helm!


    Sichernd schaute ich mich um, ehe ich mich auf dem Boden niederließ. In Gegenwart dieses Kleinods spürte ich förmlich den Geist von

    Nur-al-Din Madaji wohlwollend auf mich herabblicken. Ganz vorsichtig versuchte ich die Kassette zu öffnen.

    In Anbetracht der steigenden Sonne fiel mir die Wahl nicht schwer. Das Loch hatte einen Durchmesser von nur einer Elle. Groß genug für Ungeziefer, zu klein für einen erwachsenen Menschen. Außer für mich, den das Leben auf der Straße hager wie einen Knaben gehalten hatte. Ich hob die Kasse über meinen Kopf, formte mich zu einem Strich und hopste nach forn, die Beine fest zusammengeprest. Mit meinem Schatz über mir in den Händen schlitterte ich in die Tiefe. Ein Kind hätte mir folgen können, ein durchschnittlich gebauter Mann konnte es nicht.


    Nach einigen Metern Rutschpartie schlitterte ich in trockenen, kalten Sand. Die Abflusslöcher waren nur während der Regenzeit interessant, wenn sie das wertvolle Wasser auffingen und in die Zisternen leiteten. Ausscheidungen wurden hier jedoch nicht entsorgt, denn jeder wusste, wie kostbar Trinkwasser war. Das Wasser aus dem Fluss galt als wurmverseucht und musste abgekocht werden, bevor man es trank. Zisternenwasser war rein. So war der Untergrund recht sauber, vom vielen Sand abgesehen.


    Ich rappelte mich auf die Beine. In regelmäßigen Abständen fiel Licht durch die Öffnungen an der Decke. Nur leider war mir der Rückweg verwehrt, denn die Röhren waren zu schmal, um darin hinaufklettern zu können. Ich ging in jene Richtung, in der ich einen Ausgang erhoffte oder einen Platz finden würde, wo ich in meine Kasse hineinschauen konnte. Meine Schritte hallten in dem aus Lehmziegeln geformten Labyrinth wieder.


    Verwirrt blieb ich stehen. Hätte die Abzweigung nicht in die andere Richtung verlaufen müssen? Wo war ich?

    Ein Sprühregen aus Gewürzen, Farben und Düften ging auf die Menschen in der Nähe des Marktstandes von Khasib Dawsani nieder. Der Händler selbst blieb nicht verschont. Fast wie ein Fest der Farben mutete die Wolke aus Gewürzen an, die immer noch in der Luft zu stehen schien. Von meinem meiner Position am Boden aus, sah ich wie der Sklave sich entschuldige und mir die Hand reichte. Kaum dass ich diese ergriffen hatte, zog er mich auf die Füße.


    Im gleichen Augenblick legte sich ein gebogenes Stück Holz um meinen Hals! Der Sklave zog mich nach vorne, der Stabler zerrte mich nach hinten. Es gab nur eine Form der Flucht aus dieser Falle, nachgeben. So schnell ich konnte ließ ich die Hand des Sklaven los und warf mich nach hinten. Meine Kehle die gerade noch den Stab berührt hatte, kam frei und ich schlug auf dem Boden einen Purzelbaum um den Schwung abzufangen. Und selbstverständlich auch um nicht erneut eingefangen zu werden.


    Mit der Macht des Schreckens sprang ich auf die Beine und wollte so schnell es geht Fersengeld geben. Doch mein Häscher war von hartnäckiger Natur. Mit grimmigen, gewürzgepudertem Gesicht schwang er den Stab erneut. Das gebogene Ende seines Stabes erwischte fast mein Fußgelenk, als ich flüchten wollte. Nur ein Sprung rettete mich davor, erneut eingefangen zu werden. Kaum aus der Reichweite dieser Waffe, spürte ich wie ein Hieb knapp mein Kreuz verfehlte.


    Ich legte einen Start hin, der jeden Läufer des Frühjahrsrennens blass zurückgelassen hätte. Fluchend hinter mir, der Stabler. Der Kerl war nicht nur hartnäckig, er war lästig. Immer wieder war ich gezwungen Haken zu schlagen und den Versuchen auszuweichen, mich einzufangen.


    Die Kassette hielt ich fest an meine Brust gedrückt, als ich über einen weiteren Händlertisch flankte. So schnell war der Stabler dann doch nicht in seinem geschlitzten Kaftan. Fluchend hörte ich ihn zurückfallen. Einen Augenblick später gellte ihr seltsamer Schlachtruf über den Marktplatz, ein Mix aus Schrei und Zungenarbeit der weit zu hören war.


    Jetzt nichts wie weg!


    Die Dächer oder der Untergrund....

    Allerdings hatte ich dafür nicht ewig Zeit. In der Mittagshitze würde das Gedränge in den Straßen und Gassen sich lichten. Die Menschen würden sich in den kühlen Schatten ihrer Lehmhäuser zurückziehen, etwas essen und ruhen. Ich musste zugreifen, so lange die Kühle der Nacht noch am Grund des braunen Häuserlabyrinths lag. Er wartete, bis Khasib Dawasani mit einem Kunden im Gespräch war, der sich für den roten Pfeffer interessierte, den er ganz neu im Sortiment hatte.


    Ich griff zu, die Kasse war schwerer als erwartet. Viel schwerer! Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass der ganze Tisch daran hing, sie war daran festgemacht! Die Gewürzauslage ergoss sich über die Füße der Kunden, die mit aufgeregten Rufen zurücksprangen. Ich stemmte den Fuß gegen den Tisch und riss mit aller Kraft. Mit einem Ruck löste sich die Öse aus dem Holz. Ich flog rückwärts gegen einen Mann, die Kasse in den Händen. Hände griffen nach mir. Mit einer Pirouette entwand ich mich den Fingern und dann rannte ich, was meine Beine hergaben.


    Die Menschen wurden zu verzerrten Schemen, ich schien durch einen bunten Tunnel mit weichen Wänden zu stürmen. Ich stieß gegen einen mit Obst beladenen weißen Sklaven. Datteln und Feigen rollten über die Straße, ich trat in eine matschige Frucht, schlittert und machte einen Spagat, schlug in einer Verrenkung auf dem Boden auf. Noch immer hielt ich die Kasse fest umklammert, meine Augen blickten panisch in die des Sklaven. Er entschuldigte sich vielmals, obwohl ihn keine Schuld traf, und half mir rasch auf die Beine.

    Andere Wächter wiederum patrouillieren gut sichtbar für jeden durch die Straßen und Gassen Tamarants, um jeden zu zeigen dass sich die Hand des Maharaksha bis in die letzten, kleinsten Winkel seines Reiches erstreckte. In der Masse der Menschen sah ich ihn bereits emporragen, den seltsamen Helmhut, den die ganz besonderen Wächter Tamarants trugen. Einem Turban gleich saß er auf dem Kopf, aber das Stück Stoff saß tatsächlich nur auf dem Haupt der Wache. Darüber folgte ein Helm. Dieser war gut dreimal so hoch wie der Kopf des Trägers und verjüngte sich zur Spitze. Das Tuch des Turban war in roter Farbe gehalten, der Helm verziert in gold und weiß und bei den höheren Wachen wurde das Weiß durch Rot ersetzt.


    Der Mann der durch die Gassen schritt und mit Adleraugen in jeden Winkel spähte war nicht zu unterschätzen. Ihre Hände waren genauso schnell wie die meinen, nur ergriffen sie keine Beutel, keinen Schmuck oder andere wertvolle Gegenstände, sie ergriffen Leute wie mich. Das Gewand der Wache wirkte auf den ersten Blick behindernd, aber jeder Dieb wusste, dass dieses Gewand an den Seiten so geschlitzt war, dass sein Träger durchaus rennen konnte. Und bei den strahlenden Dächern unserer Stadt, diese Männer konnten rennen. Zudem waren sie bewaffnet. Gefürchtet war vor allem ihr langer Stab, der an jene der Hirten erinnerte. Damit fingen sie allerdings keine Schafe, sondern Langfinger.


    Vorsichtig zog ich mich in den Schatten einer Gasse zurück und begutachtete bei einem Händler eine reife Frucht die derart duftete, dass mir das Wasser im Mund zusammenlief.


    Meine Augen verfolgten die Wache, die aufmerksam und würdevoll mit dem Stab in der Hand die Gasse durchschritt. Die Augen des Maharaksha waren überall. Dunkel umrandet waren sie und wirkten dadurch noch eindringlicher.


    Eines Tages würde ich einem der Stabler, so wie Stabträger genannt wurden, seinen Helm vom Kopfe stehlen. Dies war eine Legende in unserer Stadt. Nur-al-Din Madaji der Leise hatte es einst geschafft Groß-Stabler Fakhr Solasaubi seinen Helm zu stehlen, als dieser unter einem Sonnendach hervortrat auf dem Nur-al-Din lauerte und ihm diesen vom Kopf pflückte. Dabei ging er so zart und geschickt vor, dass der Groß-Stabler seinen Verlust erst kurz vor dem Palast des Maharakshas bemerkte. Man sagt, er sollte im Gesicht genauso rot angelaufen sein, wie es sein gestohlener Helm gewesen war.


    Der Stabler mit den dunklen Augen war in der nächsten Gasse verschwunden, ich bewegte mich in die entgegen gesetzte Richtung. Dies hielt jeder Dieb so, denn die Wächter hatten die Angewohnheit, zuerst vorbei zu laufen und einem dann aus dem Hinterhalt aus der Gasse zu angeln. Ich war lange genug im Geschäft um nicht aus dem Verkehr gezogen zu werden.


    Die Morgensonne war bereits ein Stück höher gestiegen und der Gassen füllten sich. Ich selbst tanzte durch die Menge, ohne das ich berührt wurde. Ein Schatten der sich zwischen den Bewohnern bewegte und dessen Finger hier und dort Handgelenke von ihrer goldenen Last erleichterten. Die Ausbeute war vielleicht nicht groß, aber Übung macht bekanntlich den Meister.


    Die Gasse wurde zur Straße und die Straße mündete auf dem Marktplatz. Die Sonne stieg weiter und beleuchtete einen Stand. Wohlbeleibt und mit bester Laune stand dort Khasib Dawsani. Ein Mann der die teuersten und besten Gewürze in Tamarant ja sogar im ganzen Land anbot. Doch berühmter als seine Waren war seine Kasse. Ein Kleinod selbst, dass die baren Münzen enthielt. Eine Legende besagt, dass in der Kasse ein kleiner Wächter lauerte.


    Doch wer wäre das Goldhändchen, wenn er schlicht nach den Münzen griff?

    Ich würde mir die ganze Kasse unter den Nagel reißen....

    Gelegenheit macht Diebe. Niemand kennt sich in den Straßen von Tamarant besser aus als ich, denn sie sind meine Heimat. Seit meiner Kindheit durchstreife ich sie Tag und Nacht auf der Suche nach guten Gelegenheiten.


    Die Gewänder der Frauen leuchten in prächtigen Farben, in Karmesinrot mit gelben Streifen und schwarzen Blüten im Haar, in Mintgrün mit blauen Punkten und einem juwelenbesetzten Reif um das Haupt, die Augen weiß umrandet, ein enges Röhrenkleid in Violett mit silbernen Schlangen und giftgrüne Kristalle um den langen Hals. Wenn die tamjidischen Frauen durch die lehmbraunen Gassen wandeln, sind sie wie Blüten in der Wüste und zahlreiche Kosenamen entsprechen den Namen von Blumen. Mich interessieren jedoch weniger ihre Kleider, als ihr Schmuck.


    Als Kind war es einfach, sich im reichen Tamarant durchzuschlagen. Die Frauen haben sich oft erweichen lassen vom Anblick des kleinen Straßenjungen und mir Fladen oder Süßgebäck gekauft. Doch als ich älter wurde, meine Stimme sich veränderte und ich die meisten Frauen schließlich sogar überragte, zog die alte Taktik nicht mehr. Die süßen Kinderhändchen, mit denen ich einst an ihren Kleidern zupfte, um den Muttertrieb zu wecken, wurden weggeschlagen. So wurden sie zu flinken Diebesfingern. Sie wanderten ungesehen in Taschen, Beutel, pflückten manchmal sogar den Schmuck aus den Haaren und von den Ohren oder Hälsen. Den Namen Goldhändchen trage ich nicht ohne Grund.


    Ein Dieb sollte jedoch nicht nur flinke Finger haben, sondern auch flinke Beine. Mehr noch gute Augen. Denn nicht jede Frau hat einen Begleiter, der auf den ersten Blick sichtbar ist.

    Gold


    Umgeben von einem Meer aus Palmen ragt eine Stadt in den blauen Himmel, die ihres gleichen sucht - Tamarant. Ockerfarbene Häuser deren glänzende, goldene Dächer mit den ersten Sonnenstrahlen ebenfalls ihren strahlenden Glanz entfalten.


    Nicht nur die Dächer Tamarants sind von besonderer Schönheit, über der ganzen Stadt liegt der besondere Zauber von Reichtum, Wohlstand und Vielfalt. Tausende Jahre ist diese Stadt alt, vielleicht einige Jahre jünger oder älter. Je nach Tageslicht erglühen die Lehmziegel der Häuser, Ocker, Rot oder tiefem Blau.


    Prunkvolle Paläste, altehrwürdige Plätze, zahlreiche Märkte reißen einen förmlich mit ihrem bunten Treiben mit. Die Bauwerke sind Meisterwerke der Baukunst der Tamjid, die Paläste sind Wohnorte und Kunstwerke zu gleich. Von den Fliesen, bis zu den geschnitzten massiven Türen, von den über die Höfe und Straßen gespannten Tüchern zum Sonnenschutz, Tamarant ist eine Stadt, wie es keine zweite gibt.


    Das Leben in Tamarant ist bunt und geschäftig, treiben und ruhelos und dennoch auch beschaulich, freundlich und angenehm. Keine Stadt weiß so viele Gegensätze geschickt zu verbinden, wie diese alte Stadt.


    Allein der Besuch der Märkte Tamarants ist etwas Besonderes. Die Atmosphäre dort ist unvergleichlich, niemand kann sich diesem Zauber entziehen. Die Waren der Händler sind so vielfältig wie diese selbst und reichen von bunten, duftenden Gewürzen und Früchten über Brote und Fleisch bis hin zu Handwerkskunst. Stoffe, Schmuck wie auch feinste Lederwaren findet man ebenso hier.


    Bei Einbruch der Dämmerung verwandelt sich der Marktplatz in einen Rummelplatz. Akrobaten führen ihre Kunststücke für klingende Münze vor, ebenso Schlangenbeschwörer, Wasserträger und Feuerspucker.


    Wem dies alles zu hektisch ist, finde Ruhe und Entspannung in den zahlreichen Gärten dieser wunderbaren Stadt.


    Der große Garten Madadani ist bekannt für seine kunstvolle Gestaltung wie seinem Pflanzenreichtum, sowie seinen leuchtenden Farben. Ebenso die Obstplantagen am Rande des Flusses bieten eine spektakulären Kulisse und umschmeicheln Tamarant wie ein kunstvoller Rahmen ein Gemälde.


    Ich schlenderte gerade durch das Labyrinth von Tamarants Gassen und ließ mich von dem Warenangebot begeistern. Herrliche Düfte von Duftharzen und Parfümen umwehten mich, doch ich war auf der Suche nach Gold. Und zwar nicht dem der Dächer, sondern dem im Geldsäckchen.


    Wer ich bin?


    Rida-Siraj Jubaza oder besser bekannt als das Goldhändchen.

    Die Sonne ließ den Nebel bald vollständig verdunsten. Gegen Mittag gab es einen atemberaubenden Ausblick und man konnte den dunklen Streifen des Festlandes sehen. Die Möwen verließen die schützenden Nester in den Klippen und gingen über dem Meer auf Jagd. Ein ramponiertes Motorboot schipperte vor der Küste entlang, dessen zwei Besatzungsmitglieder sich unentwegt anbrüllten und gegenseitig die Schuld in die Schuhe schoben für diesen unerhörten Verlust. Es würde nicht einfach werden, dem Boss in Obenza ihr Versagen zu verklickern, ohne zum Ausgleich ein paar Körperteile verpfänden zu müssen.


    Die Barrakuda hingegen hielt Kurs auf den Heimathafen. Unterwegs besprachen die Oltremarini, wie sie die Klunker unbemerkt an der Admiralität vorbeischaffen konnten, die dazu neigte, solche "Funde" einzustreichen. Am Ende entschieden sie sich für ein Abendbrot aus zäher, schleimiger Manioksuppe aus der Dose, mit der feste Gegenstände gut die Speiseröhre herunterrutschten.


    Die Fahrt verlief reibungslos. Das Paket lieferte Drustel Hexinger in vorbildlicher Manier vollständig bei seinem Vorgesetzten ab, der ihn dafür überschwänglich lobte. Üblicherweise wurden solche Waren sonst zufällig immer in beschädigten Verpackungen abgegeben.


    Draußen wartete Leonardo. "Mir liegt das Essen wie ein Stein im Magen", meinte er und tätschelte seinen Bauch.


    "Mir auch. Ein Verdauungswässerchen für die Peristaltik?"


    Leonardo grinste den alten Seebären verschmitzt an. "Da sage ich nicht nein. Was hast du im Angebot?"


    "Genug für uns alle. Rufe die Jungs, ich gebe einen aus."



    ~~~Ende~~~

    Ein ohrenbetäubendes Kreischen erklang, fast so als hätte Souvagne einen oberirdischen Waffentest gestartet. Aber weder ein Souvagner noch eine Waffe verursachten dieses Sirenenartige Geräusch, sondern der weit aufgerissene Rachen des Kapitäns sonderte diesen grauenerregenden Laut ab. Jedenfalls so lange, bis Leonardo ihm den Gewehrkolben in den Magen schlug und der Mann mit einer Mischung aus Rülpser und Keuchen verstummte.


    "In der Steuerkonsole, dort ist etwas Bargeld versteckt, unsere eiserne Reserve", sagte der Kapitän, während der Mann neben ihm noch wie wild mit dem Kopf schüttelte. Aber es war zu spät. Leonardo riss die Verkleidung ab und im gleichen Moment regnete es Edelsteine auf den Bootsboden des Schnellbootes.


    So erstaunt wie Leonardo schaute auch der Kapitän des Schnellbootes. Der Nebel verzog sich ein wenig, einige Sonnenstrahlen brachen hervor und zauberten wunderschöne Lichtprismen auf die Bootswände, während sich das Licht in den Edelsteinen brach.


    "Flut!", grinste Leonardo verzückt.



    Nun wurde auch der Mann gefilzt, der sich bisher tot gestellt hatte. Völlig reglos lag er da. Doch als die Hände des Oltremarino seine Kleidung abtasteten und alles aus den Taschen beförderten, was sie erreichten, sah man auch ihm an, dass er seine ohnmächtige Wut nur mühsam unterdrückte.


    Hexinger ließ sich die Pässe geben und las sie in Ruhe, während sein Soldat ein paar benutzte Taschentücher zu Tage förderte. Die Pässe waren so offensichtlich gefälscht, dass es lachhaft war. Er klappte sie wieder zu und drohte damit in Richtung der am Boden liegenden Männer.


    "Ihre Situation wendet sich nicht zum Besseren. Diese schlechten Fälschungen stellen eine Beleidigung dar. Inzwischen dürften wir bei sieben oder acht Jahren Fortezza angelangt sein! Und das ist nur die Untersuchungshaft. Die Mühlen des Gesetzes mahlen langsam."


    Er warf die falschen Pässe auf den Boden und stemmte die Hände in die Hüften. Von der Sache her war ihm gleichgültig, was mit den beiden Fremdländern geschah. Aber dass er und seine Männer nur mit der konfiszierten Ware nach Hause fahren sollten, kam ihm für den Aufwand zu wenig vor, auch wenn der Wert der Katze wohl einen fünfstelligen Betrag ausmachte.


    Er hatte die Nase voll. "Werft sie über Bord."

    Leonardos Blick zuckte zu dem Päckchen in seiner Hand.

    "Widerstand gegen die Staatsgewalt und dann haben sie auch noch versucht uns mit einem Teil der Beute zu bestechen! Das wird eine lange Haft, sehr lange. Dann haben sie auch noch versucht während der Flucht unser Boot mehrfach zu rammen. Beschädigung von Staatseigentum", keuchte Leonardo mit gespieltem Entsetzen.


    Hexinger grinste noch etwas breiter.

    "Katzen sind eigentlich wasserscheu, wir müssen die kleinen Tierchen mitnehmen und retten", lachte Hexinger gut gelaunt, während der Besitzer der Nussschale vor Wut schäumte. Mehr konnte er allerdings auch nicht tun.


    "Dreihundert Taler, Sie bekommen Ihre dreihundert Taler!", ächzte der Schmuggler, der seine Katzen schon über Bord gehen sah oder in den Taschen der Oltremarini verschwinden.

    "Binden Sie mich los und ich bezahle Sie", bat der Händler.


    Eine gerissene Aktion, aber die Oltremarini waren gerissener. Leonard durchsuchte den Kapitän und fand nichts als Wollmäuse in dessen Taschen. Leer, er schien alles Geld in diese Ware investiert zu haben. Vermutlich waren sie auch deshalb auf Katzenpfoten durch den Nebel gefahren.


    "Ebbe", teilte Leonardo mit, was nicht nur das Gesicht von Hexinger regelrecht einfallen ließ.