Kapitel 14 - Anschlag auf die Krone von Ehveros

  • Vendelin suchte sich eine Kutsche mit schnellen Pferden und gab dem Kutscher eine großzügige Anzahlung. Die Reise von Beaufort aus dauerte ungefähr eine Woche, dann erreichte er Burg Drakenstein, stolze und steinerne Hauptstadt von Ehveros. Ihm tat alles weh von der Reise in der ungefederten Kutsche. Er spürte langsam, dass er auf die fünfzig zuging, ganz gleich, wie faltenlos sein Gesicht sich dank teurer Alchemiecremes noch zeigte. Zwei Tage Pause gönnte er sich nach seiner Ankunft, während denen er im Badehaus in einer heißen Wanne seine schmerzenden Glieder mit Bädern und Massagen lockern ließ, sein Äußeres wieder in Ordnung brachte und seine Reisekleider in der Reinigung weilten. Ab dem dritten Tag nach seiner Ankunft ging es ans Eingemachte. Wie es aussah, hatte er Glück. Im Rahmen einer Feierlichkeit zum Beginn der Honigernte würde Großherzog Felipe sich mit seinem Gefolge in der Öffentlichkeit zeigen.

  • Dave hatte den Auftrag vom Archi-Duc Dreux erhalten, Timothee Mauchelin zu verfolgen. Der Mann hatte einen einfachen wie bombastischen Auftrag - den Mord an Großherzog Felipe von Ehveros. Sollte ihm das gelingen, konnte er sich mit Stolz Königsmörder in die Klinge gravieren lassen. Aber bis dato war es noch ein weiter Weg. Und so wie es schien, ging der Archi-Duc nicht davon aus, dass Timothee ein verlässlicher Assassine war. Dave war schon lange im Geschäft was das beschleunigte Ableben anging. Im Grunde war er in diesem Geschäft schon vor seiner Geburt. Seine Familie hatte diese Zunft zu einer Art Religion erhoben und als er sie verlassen hatte, oder vielmehr als Pavo ihn vor seiner eigenen Familie rettete, hatte er seinen Beruf nicht umstellen müssen. Ein Mörder gerettet von einem Mörder. Eigentlich paradox und auf der anderen Seite so logisch, dass es keiner Erklärung bedurfte. Wobei bei Pavo die Heilerseite ausschlaggebend gewesen war. Wie hatte sein bester Freund damals gesagt? Ich habe Dich nicht gerettet, damit sie Dich endgültig töten... Nun Pavo war meilenweit entfernt in Souvagne, genauer gesagt in Irminabourg und hütete dort gemeinsam mit Varmikan Irmina. Er selbst stand in der Menschenmenge am Wegesrand, die sich für Großherzog Felipe von Ehveros versammelt hatte. Beginn der Honigernte, das war das Fest, das hier gefeiert wurde. Überall herum waren fleißige Bienchen bei der Arbeit, sogar jene aus Souvagne. Dave musterte Timothee der Position bezogen hatte. Nur einen winzigen Augenblick, einen Hauch eines Moments, nicht mehr, nicht weniger und er schaute langsam weg. Jeder kannte das Gefühl beobachtet zu werden, ein zu langer Blick verriet jedem, dass man belauert wurde. Das lag in der Natur des Menschen. War man darin geschult, reichten Sekunden aus um zu fühlen, ob der Blick versehentlich über einen streifte, oder ob man als Beute taxiert wurde. Timothee war geschult, er musste hochgradig gefährlich sein, ansonsten wäre der Mann nicht hier und heute anwesend um sich einen derartigen Titel zu verdienen. Aber ob er es tat, dass war die große Frage. Weshalb der Archi-Duc an ihm zweifelt, wusste Dave nicht. Möglicherweise war der Mann von zögerlicher Natur? Ein Umstand der zu begrüßen war, denn dann lebte man als Mörder länger, allerdings die Opfer auch. Leichtfertigkeit konnte man sich in ihrem Beruf nicht leisten. Der Dolch war schnell gezückt, der Lebensfaden rasch durchtrennt. Aber unentdeckt wie ein Geist vom Tatort zu verschwinden, dass war die hohe Kunst eines Assassinen. Hinein kam man immer, heraus aus der Situation nur als Profi. Dave ließ sich mit der Menschenmasse treiben, aber stets so, dass er wusste zu welcher Hand sich Timothee befand. Am Ende des langsamen Marsches stand er schräg versetzt hinter dem Mann. Er hatte zu beobachten, nicht Timo selbst, sondern seine Tat. Er musste fast den gleichen Blickwinkel haben wie sein Kollege. Er musste sehen, ob Felipe fiel. Falls nicht, war er der Dolch aus der Dunkelheit. Dann würde Felipe durch seine Hand sterben und Timothee ebenso. Dave wartete, so wie er stets gewartet hatte in völliger Ruhe.

  • Vendelin blickte in die selbe Richtung wie die Menge, doch er achtete im Moment nicht auf das, was seine Augen wahrnahmen. Die Ohren waren es, die nun für ihn sahen. Die Stimmen tausender Menschen waren wie ein Meer, sie verschmolzen zu einer gleichförmigen Masse, doch hin und wieder erhoben sich entfernt die Wellen einer aufbrandenden Stimmung. So konnte Vendelin abschätzen, ob man den Großherzog schon sah und wusste dessen Entfernung, obgleich er selbst ihn noch lange nicht sehen konnte. Vendelin hatte unsichtbare Vorbereitungen getroffen, wortwörtlich im Vorbeigehen, von denen man noch nichts merkte, während er sich durch die Menschenmenge drängte. Die Menge rückte dichter, als der Geräuschpegel stieg. Er spürte in seinem Rücken zwei üppige Brüste, die unfreiwillig an ihn gepresst wurden. Nach vorn ging es nicht weiter, da ein Soldatenspalier die Menge von der Prachtstraße fernhielt. Vendelin selbst fühlte sich auch wie eine Sardine und musste mit einem pickligen Jugendlichen kuscheln, der nach Alkohol roch. Von der Seite nahm jemand die Gelegenheit wahr, ihn zu betatschen. Solche Leute gab es in jedem Menschenauflauf. Er hatte keine Ahnung, zu wem die Hand gehörte, doch so lange sie sich nur für seinen Hintern interessierte, störte sie nicht, denn seine Ausrüstung verbarg er anderswo. Seine Ausrüstung war leicht und minimal, unter seiner biederen, langweiligen braun-grauen Kleidung nicht auszumachen. Er versuchte, weiter nach vorn zu kommen, so lange es noch ging. Es kostete ihn einige Mühe und bisweilen auch unhöfliche Brutalität, ehe er zu den Soldaten gelangte, die mit den Waffen in Richtung der Menge standen. Vendelin suchte sich einen aus, der jung und unerfahren aussah. Dem lächelte er zu und zeigte ihm seine Amtskette. Es war eine überzeugende Fälschung der Amtskette von Ehveroser Würdenträgern. Der Soldat ließ Vendelin nah an sich herantreten. »Wichtige Unterlagen seiner Majestät«, sprach er im ehveroser Dialekt. »Es ist von großer Wichtigkeit, dass sie ihren Weg in seinen Fundus finden.« Er überreichte ihm einen versiegelten Brief. Dann steckte er ihm noch einen Silberling zu. »Rasch.« Der Soldat nickte und entfernte sich tatsächlich von seinem Posten. Sehr schön. Die Reihe der Soldaten rückte zusammen und verschloss die Lücke.