[Götter-rpg] Im Gefängnis des Kargon - Teil I

  • Die Frequenz des Leides hallte durch das Reich der Finsternis.
    Seit einer gefühlten Ewigkeit versuchte Palion nun schon, telepathischen Kontakt zu Kargon aufzunehmen. Wobei das mit der Ewigkeit gar nicht so unrealistisch war, immerhin war er unsterblich. Lange hatte er sich nach diesem Zustand gesehnt und jetzt, wo er ihn hatte, verfluchte er ihn. Die ewige Langeweile in seinem Gefängnis war schlimmer als die frühere Angst vor dem Tode. Seine einzige Beschäftigung war das Aussenden telepathischer Botschaften, die jedoch selten beantwortet wurden.


    „Kargon“, wiederholte er zum etlichsten Male, während er im Vakuum trudelte. „Ich ersuche Euch um Freigang auf der Welt der Sterblichen! Nur mit einem winzigen Teil meiner Energie, so klein, Ihr werdet dessen Abwesenheit kaum merken. Mich dürstet so nach den Freuden meines früheren Lebens … ein kleiner Schluck Bier, ein Pfeifchen des schlechtesten Tabaks … lass mich nur für ein Stündchen da draußen wandeln!“


    Er fügte gedanklich noch die nervtötenden Geräusche einer greinenden Katze hinzu, damit Kargon ihm endlich seine Aufmerksamkeit widmete. Das monotone Ticken einer Standuhr und das beständige Kreischen eines Schwertes auf einem Schleifstein waren wirkungslos geblieben. Die Dunkelheit, die ihn von allen Seiten umgab, so dass er nicht einmal seinen Astralkörper sehen konnte, schien schwärzer denn je, kalt und abweisend.


    „Ich werde anschließend aufhören mit dem Gejammer und Euch in Ruhe lassen!“, fuhr er in seinem Geiste fort. „Nur ein winziger Spaziergang, das kann doch nicht schaden! Mit einem Bröckchen Energie so klein wie die Lebenskraft einer Eintagsfliege. Der Großteil meines Astralleibes mag hier bleiben in deinem Schattenreich und weiter darben. Der Freigang wird nicht mehr sein für mich als die Ahnung eines schönen Traumes und meine Strafe keineswegs weniger unerträglich machen. Es wäre nur ein Tröpfchen Sahne in einem Meer von Bitterkeit. Ich weiß, es wäre euch ein Leichtes, selbst ein Wimpernschlag würde anstrengender sein. Bitte gewährt mir diese Gnade, oh Mächtiger!“


    Er verstärkte das Greinen und hoffte, dass der Unnachgiebige sich erweichen ließe so, wie er es jedes Mal hoffte seit er hier in der finsteren Leere eingekerkert war.

  • Schatten zogen über das Land.
    Langsam verzog sich die brennende Geißel der Welt. In kurzer Angespanntheit erhaschte Kargon noch die letzten Sonnenstrahlen, ehe der Mond endlich die Sonne verdeckte und die Welt in die Nacht überging. Mit einem kurzen Seufzer entspannte sich Kargon wieder, als die Prozedur vorüber war.


    Während des Verdunklungsprozesses hatte Kargon in einem Teil seiner Macht eine Art Pochen, einen telepathischen Kontakt gespürt. Nach Erforschen seines Bewusstseins, stellte die Finstersonne rasch fest, dass die schwache Stimme nicht von einem Menschen gekommen war, wie Kargon zunächst erspürt hatte. Sondern von Palion, dem Gott des Chaos…Kargon lachte hämisch. Von einem Gott war bei Palion durchaus nicht zu reden. Eingesperrt und versklavt. Kargons innerliches Grinsen verstärkte sich. Palion war lediglich ein Spielball. Eine Schachfigur, die er im Moment komplett kontrollieren konnte.


    Die telepathische Botschaft Palions enthielt das nervtötende Geräusch einer greinenden Katze. Jedoch ein durchaus nicht nerviges Geräusch für den Unnachgiebigen. Denn Kargon liebte das Groteske. Doch die Intention der Handlung war Kargon bewusst und so ließ er sich auf ein Gespräch mit Palion ein. Innerhalb eines Augenblicks erschien er in seinem Schattenreich und stand gebieterisch vor dem Gefängnis, indem Palion seine Ewigkeit verbringen musste.


    „Was gibt es, Niederträchtiger?
    Euch dürstet es nach den Gelüsten der Sterblichen?“
    , Kargon lachte.
    „Ihr seid einfach keiner der Unseren. Egal wie sehr Ihr es versucht, Ihr werdet nie ein echter Gott sein.
    Ein niederträchtiger Aufgestiegener. Ein Heuchler.“


    Der Unnachgiebige überlegte.
    „Ich bin bereit Euch Auslauf zu gewähren“, Kargon lachte. Wie ein Hund einen Spaziergang benötigt, so benötigt auch Palion die Freuden der sterblichen Existenz... Erbärmlich.
    „Jedoch bin ich mit jedem einzelnen Schritt mit Euch verbunden. Ihr werdet keinerlei Einfluss ausüben und enthält keinerlei Macht. Ihr erscheint als gewöhnlicher Sterblicher und könnt als gewöhnlicher Sterblicher auch wieder sterben. Wenn ihr stirbt, raube ich Athronos sein Tribut, denn ihr seid an meine Existenz gekoppelt. Ihr erscheint dann wieder hier in diesem Gefängnis, wo der Rest Eures Körpers ist. Ihr werdet keinerlei Erinnerungen an Eure göttliche Existenz haben. Ihr werdet nicht wissen, wer Ihr seid. Habt Ihr verstanden?“


    Mit gewollter Dramatik ließ Kargon einen Sturm aufkommen. Er ließ Palion niederknien. In einer kurzen Bewegung wart ein Teil seiner Existenz plötzlich nicht mehr göttlich. Für einen Teil seiner Existenz wurde er wieder sterblich.


    Wiederholt meine Worte „Ich schwöre…“
    „…meine sterbliche Existenz der Finstersonne zu verschreiben. Ich werde mich nicht gegen sie wenden. Meine Sterblichkeit währt solange, bis Kargon mich wieder zu sich holt, oder ich sterbe.“
    Kargon hinterließ ein Mal an Palions Brust und ließ ihn nach der erfolgten Schwur auf die Welt der Sterblichen los. Er schickte ihn direkt nach Goroth, zu Gellos Stadt, seinem alten Widersacher.
    Mal schauen wie er sich dort anstellt, sagte Kargon amüsiert und beobachtete sein neues Spielzeug.

  • Kargon zwang seinen Gefangenen, vor sich niederzuknien. Nichts anderes hatte Palion erwartet. Und doch war er froh, dass seine Rufe endlich auf Gehör gestoßen waren und Kargon nun vor ihm stand. Wie lange hatte er gewartet! Palion lachte leise, während er sich auf die Knie begab.


    „Heuchler nennst du mich … und doch scheint es mir, dass du gern in meinen Demutsbekundungen badest! Oder warum willst du mich kniend sehen? Es gefällt dir, andere kriechen zu lassen, während du stehst, nicht wahr? Gott oder nicht, auch du hast deine Bedürfnisse so wie ich meine habe. Wir sind nicht so verschieden, wie du glaubst.“


    Nun war die Gelegenheit, die Worte vorzutragen, die er sich in der Zeit der Langeweile zurecht gelegt hatte. Es gab nur diesen einen Versuch!


    „Glaubst du, dass es deinen verletzten Stolz wieder heilt, wenn du mich demütigst? Den Stolz, den ich verletzte, indem ich dich zwang, deinen großen Feind um Hilfe anzubetteln? Ich, der damals ein kleiner Sterblicher war? Lass dir eines gesagt sein, Kargon, mein finsterer Gebieter: Man erhebt sich nicht, indem man andere erniedrigt. Wahre Größe erschafft man nur, indem man sich selbst erhebt!“


    Er schloss einen Moment die Augen.
    „Ich weiß, was ich geschafft habe und wozu ich fähig bin. Worin besteht deine Größe, Kargon? Darin, dass du einen Gefangenen, der sich nicht wehren kann, über Äonen demütigst und quälst?“


    Noch immer auf Knien hob er nun den Kopf, um Kargon in die Augen zu sehen.
    „Und was tust du sonst so, Mächtiger? Das kann doch nicht alles sein, was deine Größe ausmacht. Es wird Zeit, sich zu erheben, wenn du mehr sein willst als nur ein Schauermärchen, mit dem man ungezogene Kinder schreckt. Erhebe dich, Kargon, damit du dich zu Recht Finstersonne nennen kannst, deren Schwärze die Welt vom Lichte heilt. Erhebe dich!“


    Er machte eine Pause. Die Schwärze um ihn schien näher zu rücken und der Sturm zwang ihn, sich noch tiefer auf den Boden zu neigen.

    „Wir waren einmal Verbündete, Kargon. Du standest so kurz davor, deinen alten Feind Gellos niederzuschmettern! Erinnere dich, in welcher Bedrängnis er sich damals befand. Heute ist er dir wieder ebenbürtig, eine ewiger Gleichstand. Ihr zankt euch wie ein altes Ehepaar, ohne dass es je zu einer Entscheidung kommt. Dabei könntest du ihn so einfach niederwerfen, wenn du ihm nur um ein Fünkchen überlegen wärst, das Sandkorn, was die Waagschale in deine Richtung neigt – und der Herr des Lichtes würde es sein, der in diesem Kerker weilt. Hört sich das nicht verlockend an? Vielleicht könnte er dir jeden Morgen deine Pantoffeln im Mund herbeischleppen. Verdient hätte er es. Das alles muss kein Wunschdenken bleiben.“


    Er leckte sich die Lippen.
    „Meister, ich wäre bereit, dir ein weiteres Mal zur Seite zu stehen. Meine Macht würde ausreichen, das Blatt zu deinen Gunsten zu wenden. Lass mich frei und ich werde für dich kämpfen. Überlege es dir gut. Die anderen Götter standen nie auf deiner Seite, immer warst du allein. Erst als es Gellos selbst an den Kragen ging, hat er mit dir gemeinsam gestritten. Doch nun? Ich bin der Einzige, der sich mit dir verbünden wird und einen Verbündeten brauchst du. Mich brauchst du – und du weißt es.“


    Es war ausgesprochen. Jetzt lag es an Kargon, das Angebot weise zu nutzen. Der Finstere würde es nicht sofort zugeben, aber mit der Zeit würde er erkennen, dass Palion Recht hatte. Kargon konnte wahlweise annehmen - oder für ewig auf Augenhöhe mit den anderen Göttern bleiben, eine graue Maus unter vielen. Ein Zustand, der für den ewig nach Macht hungernden unerträglich sein musste.


    Palions Freiheit im Tausch gegen die Gefangenschaft des Gellos – Kargon konnte dabei nur gewinnen.
    Palion war sicher, dass der Unnahbare über sein Angebot zumindest nachdenken würde.


    „Du brauchst nicht gleich eine Entscheidung zu fällen, mein finsterer Peiniger, lass dir Zeit. Ich gehe mich derweile ein wenig amüsieren und an den Freuden eines sterblichen Daseins laben. Ein Genuss, den du leider niemals wirst nachempfinden können.“


    Dann rezitierte Palion den Spruch, der ihn auf Kargon vereidigte: „Ich schwöre meine sterbliche Existenz der Finstersonne zu verschreiben. Ich werde mich nicht gegen sie wenden. Meine Sterblichkeit währt solange, bis Kargon mich wieder zu sich holt, oder ich sterbe.“


    Er spürte, wie sein Bewusstsein sich langsam von seinem Astralleib löste. Ein Gedanke formte sich in Palions Kopf und nahm die Gestalt von Worten an. Worte, die er für sich behielt, die er jedoch als Energie bündelte. Er speiste sie in jenen Teil seines Daseins ein, der als Sterblicher nach Lodranion hinabreisen würde. Diese Fetzen würden den Gedächtnisverlust nicht ausgleichen können, der ihn erwartete, aber das war auch gar nicht ihr Sinn.

    „Wir sehen uns wieder“
    , flüsterte der verbliebene Astralkörper Palions kaum hörbar. „Bis bald, Gebieter.“ Dann sank sein Leib in einen tiefen Schlaf.



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    Hier spielte der nächste Teil dieses Kapitels:
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