Die Schöne und der Ghul

  • Dies ist die tragische Geschichte der almanischen Edelfrau Gregoria von Hohnstein, die den Fehler beging, sich in einen Ghul zu verlieben, der ihren Ehemann zum Fressen gern hatte. Es ist eine Geschichte von Treue und Reue, von Treulosigkeit und Boshaftigkeit. Und es ist die Geschichte über die Geburtsstunde der Rivalität zwischen den beiden größten Hochschulen der Dunklen Künste, die bis zum heutigen Tage nichts an Feindseligkeit verloren hat. Und zugleich ist es die Geschichte eines Herzens, das von der Wahl zwischen Liebe und Leidenschaft entzwei gerissen wird, weil es nicht beides haben kann.


    Es begab sich in einer mittelgroßen Stadt in Almanien kurz vor Einbruch des Winters. Dass ihr Angetrauter schon vor Jahrzehnten zum Vampir geworden war, wusste die junge Gregoria. Er verhielt sich jedoch freundlich zu ihr und weder fiel er im Blutdurst über sie her noch bedrängte er seine Gattin, sich seiner Unsterblichkeit anzuschließen. Er war ein vornehmer Vampir, fast bieder, wie ihn einige nannten. Genau genommen hatte er in all den Jahren nicht ein einziges Mal Interesse an Beischlaf mit ihr gezeigt. Die Gründe dafür behielt er seit jeher für sich. Gregoria vermutete eine Verstümmlung, denn seine Stimme war für einen Mann ungewöhnlich hoch und niemals zeigte er sich unbekleidet.


    Nach Jahren der von Freundlichkeit geprägten, doch unerfüllten Ehe traf Gregoria bei der Kirmes in der Stadt auf einen exotisch aussehenden Fremden, der sich als Händler gab. Sein Gesicht war verschleiert, doch die Augen konnte Gregoria sehen. Sie waren dunkel wie Kaffee und seine Haut hatte die Farbe von Bronze. Er verkaufte allerlei neckische Waren, die ihr Interesse erweckten, Fetische aus den Sümpfen Alkenas, ausgestopfte Tiere der fremdartigsten Gestalt, bunte Vögel und Salamander. Als Gregoria mit ihm ins Gespräch kam, zeigte er ihr, was er nur für besondere Kunden unter dem Ladentisch bereit hielt: nekromantische Fabrikate, wie das singende Skelett eines Vögelchens, das er ihr schenkte und das ihr Trost spenden sollte, wann immer sie sich einsam fühlte.


    Die Stadtwachen wurden misstrauisch von dem heimlichen Getue um diesen Ladenstand und als sie erkannten, dass der Mann aus dem fernen Südosten mit nekromantischen Waren sein Geld verdiente, drohten sie ihn in den Kerker zu werfen. Gregoria, die als Edelfrau von nicht geringem Einfluss war, nahm ihn jedoch unter ihren Schutz. Und während sie mit den Wachleuten im Streite lag, entschwand der Fremde unbemerkt.


    Als Gregoria später nach Hause kam, saß er in seinem Wüstengewand auf der Treppe. Es war kalt, erste Flocken trudelten hinab und er hatte all sein Hab und Gut aufgeben müssen. Die Füße steckten nur in Sandalen und er krümmte die Zehen, als sei ihm sehr kalt. Von Mitleid erfüllt nahm Gregoria ihn mit hinein ihn ihr Anwesen, reichte ihm heißen Wein, verfeinert mit edlen Gewürzen und hüllte ihn in eine weiche Decke von feinstem Zobel. Auch sie selbst trank ein um den anderen Kelch, um sich zu wämen. Doch zu ihrem Bedauern lehnte er alle angebotenen Speisen ab, obwohl sein Magen vernehmlich knurrte. Das anfangs von Höflichkeitsfragen geprägte Gespräch wurde bald immer persönlicher und herzlicher. Der Fremde stellte sich als gebürtigen Rakshaner mit dem Namen Kamal Ash Gahadi vor, der aus dem fernen Südosten kam, wo man in Zelten hauste und auf Hyänen durch die Wüste ritt. Kamal hatte ein humorvolles, einnehmendes Wesen, ganz anders als ihr höflicher, doch zu jeder Zeit kühler Gatte und nach einiger Zeit nahm Gregoria Kamal mit in ihr Schlafgemach, wo sie die Nacht in Hitze und Leidenschaft verbrachten. Noch vor Sonnenaufgang machte sie die Betten frisch, wusch sich und verwies Kamal auf das Sofa, denn immer, wenn die Sonne aufging, kehrte ihr Mann von seiner Jagd nach Blut zurück.


    Als der Gatte an diesem Morgen heimkehrte, fand er seine Gattin mit einem südländisch aussehenden Manne beim Tee sitzend. Missbilligend zog er die Stirn in Falten, doch als Gregoria ihm erklärte, in welcher Not der Fremde sich befunden hatte, beruhigte er sich wieder und zog sich in das auch bei Tage vollkommen abgedunkelte Schlafzimmer zurück, um nach der Jagd zu ruhen. Gregoria schien es, als würde Kamal in der Luft schnuppern, ja, Witterung aufnehmen, als ihr Gatte an ihnen vorbeiging und unweigerlich fragte sie sich, ob Rakshaner es riechen konnten, wenn einer zum Vampir geworden war. Kamal bat darum, sich noch bis zum Mittag auf dem Sofa ausruhen zu dürfen, ehe er seine lange und beschwerliche Heimreise zu Fuß antreten würde. Da Gregoria wohlerzogen war und Mitleid hatte mit ihm, der ohne Hab und Gut über Wochen durch die Lande streifen würde, willigte sie ein. Während er sich ausstreckte begab sie sich in die Küche, um mit der Magd zusammen eine Reisetasche für den Fremden zu packen.


    Plötzlich hörte sie Schreie. War das ihr Gatte? Sie eilte ins Schlafzimmer. Zu ihrem Entsetzen waren die schweren Vorhänge aufgerissen worden. Ihr Mann lag rücklings im Bett und versuchte sich mit ausgestreckten Händen vor den tödlichen Strahlen zu schützen, während seine Finger glühten und dampften, die Haut sich aufrollte wie verbrennendes Papier. Auf ihm saß Kamal, einen krummen Dolch in der Hand. Er hielt inne, als er Gregorias angstvollen Aufschrei hörte, sie riss die Vorhänge zu und eilte zu dem Bette hin, um ihrem Gatten zu helfen. Er lag da in den Kissen, schwer verwundet von der Sonne und Kamal war fort.


    „Ein Ghul“, stöhnte er. „Es war ein Ghul. Sie fressen die Toten und am liebsten jene, die als Vampir noch auf Erden wandeln.“


    Voll Reue widmete sich Gregoria der Pflege ihres Mannes. Der Großteil seines Körpers hatte unter der Decke gelegen und war so geschützt gewesen. Aber er verlor beide Arme bis kurz unter die Schultern, wo die Verbrennungen zu stark gewesen waren, um je wieder heilen zu können. Doch das größte Problem war, dass ihr Gatte nun nicht mehr jagen konnte, wo er doch so dringend Blut benötigte, um seinen geschundenen Körper zu regenerieren! Also bot Gregoria ihm das ihre, um ihn zu retten und so wurde sie an jenem Tage selbst zum Vampir. Natürlich reichte diese Menge nicht und so schickte ihr Mann sie mit schwacher Stimme aus, Kontakt zu den Brüdern und Schwestern der Schatten aufzunehmen.


    Man brachte die vampirischen Eheleute nach Nebreszko, einer Schule der Dunklen Künste, hineingeschlagen in die sturmgepeitschten Klippen am südlichen Meer. Hier erfuhr Gregoria, dass ihr Mann Professor im Ruhestand war und früher Nekromantie unterrichtet hatte. Bevor er diese Macht mit seiner Verwandlung zum Vampir verlor, war er ein Großer unter den Totenbeschwörern gewesen. Man pflegte ihn und reichte ihm Blut, bis er wieder imstande war, für sich selbst zu sorgen, so weit das ohne Arme möglich war. Den Rest der Pflege übernahm seine Frau. Sie bereute, den Ghul bei sich aufgnommen zu haben und sie bereute die gemeinsame Nacht. Und doch träumte sie immer wieder von seinen dunklen Augen, in denen die Hitze Rakshanistans zu brennen schien und sie hasste sich dafür.


    Umgeben von den Großmeistern der Dunklen Künste und von umfangreichen Bibliotheken, begann Gregoria selbst zu studieren, um ihr brennendes Herz zu vergessen. Ein Vampir konnte keine Nekromantie beherrschen, doch sie lernte die geheime und verbotene Sprache, Demonai, zu verstehen und weiter zu geben. Diese Sprache war notwendig, um Nekromantie zu erlernen. Sie wurde so gut darin, dass sie als Dozentin selbst Demonai zu unterrichten begann und bald übertraf sie alle, die sonst diese Sprache beherrschten. Und so wurde sie nach einigen Jahren, in denen sie Trost und Vergessen in ihrer Arbeit suchte, gar Dekanin der Hochschule für Dunkle Künste im windumtosten Nebreszko.


    Kurz nach ihrer offiziellen Ernennung erhielt sie einen Brief von dem Dekan einer anderen Dunklen Schule. Darin stand geschrieben:


    „An ihre Spektabilität Dekanin Gregoria von Hohnstein. Ich übermittle meiner neu ernannten Kollegin einen respektvollen Gruß und die besten Glückwünsche für ihre ehrenvolle Aufgabe. Möge Rakshor mit Euch sein. Hochachtungsvoll, Kamal Ash Gahadi, Dekan der Akademie für Nekromantie, Serband im Jahre 118 nach der Asche. P. S. Ich hoffe, Eurem Gatten geht es wieder gut. Ich habe mir erlaubt, einen seiner Finger, den ich an dem schicksalsträchtigen Tage entwenden konnte, säuberlich abgenagt und vor der Sonne geschützt in einen knöchernen Anhänger zu betten, den ich fortan um meinen Hals trage. Für den Fall, dass Ihr dieses Kleinod zurück haben möchtet, heiße ich Euch in Serband willkommen und biete Euch Unterkunft in meinen privaten Gemächern.“


    Voller Zorn verbrannte Gregoria den Brief in den Flammen des Kamins. Dies war die Geburtsstunde der erbitterten Rivalität zwischen den beiden Schulen, die bis zum heutigen Tage anhält. Der Gatte Gregorias wird seither der armlose Zauberer genannt. Er unterrichtet die Kunst der Geistmagie als eine Koryphäe seines Fachs. Denn ohne Arme benötigt man andere Wege, seinen Alltag zu bewältigen. Sein Geist wurde seine stärkste Waffe.


    Jedes Jahr findet seit dieser Zeit in der geheimen Knochenarena ein magischer Wettstreit statt, in welchem die Studenten aller Dunklen Schulen im sportlichen Wettkampf gegeneinander antreten. Die Siegestrophäe ist das knöcherne Medaillon mit dem eingeschlossenen Finger, welches der Dekan der siegreichen Schule bis zum nächsten Jahr stolz um seinen Hals trägt.


    Ob Dekanin Gregoria von Hohnstein je der Einladung stattgab, Kamal in seinen privaten Gemächern zu besuchen, darüber schweigen die Aufzeichnungen. Bekannt ist nur, dass sie, wie die rakshanischen Frauen es tun, bisweilen ein im Nacken von einem Knoten zusammengehaltenes Kopftuch trägt, welches er ihr zum ersten Sieg ihrer Hochschule zusammen mit dem Medaillon überreichte. Zu diesem Ereignis hatte er sein Gesicht befreit von dem keuschen Schleier, so dass sie sein charmantes Lächeln sah und seine weißen Zähne.

    "Die Menschen bauen zu viele Brücken und zu wenige Mauern."

    - almanische Weisheit -