Unter den Dächern von Al'haram

  • Hauptstadt Al’haram – Jahr 202 n d.A.


    Die frühe Morgensonne schien unbarmherzig auf die Wüstenlandschaft nieder und vertrieb die bittere Kälte der Nacht. Auf den Plantagen und Feldern des Dschadir waren die Sklaven schon seit einer Stunde wieder am Werk. Wohingegen der gehobene Adel erst jetzt langsam aus ihrem Schlaf erwachte und sich das tägliche Morgenritual am Palast über sich ergehen ließ. Der Adel hatte hier ein schönes Leben. Durch die strenge Militärherrschaft des Sultans waren die Sklaven gefügige Besitztümer der Efendis. Ein Sklave war wie eine Ware. Aufgrund ihrer Verderblichkeit waren Sklaven aber nur begrenzt lagerfähig und verursachten laufende Kosten. Gewiss gab es eine bessere Investition, als das Geld in einen Sklaven zu stecken...andererseits brauchte man bloß eine Frau und schon vervierfachte sich das Einkommen innerhalb eines Jahres. Die Bedürfnisse des Menschen galten gleichsam auch für Sklaven. Und so war der Sexualakt ein Vorgehen, der von den Efendis stark unterstützt wurde.


    Sal'jil war an diesem Morgen bereits früh unterwegs. Er war ohne seinen üblichen Diener in Gefolgschaft. Der Tamjid kehrte von einer nächtlichen Soiree in sein Zuhause zurück. Er hatte bei einer Feier in einem örtlichen Freudenhaus teilgenommen und war nach dem Geschlechtsverkehr mit einer Frau dort in der Nacht eingeschlafen. Jetzt früh am Morgen stahl der Hofmagier sich zurück in den Palast. Er sehnte sich nach einem Bad und einem kräftigen Kaffee. Die Nacht war lang gewesen und die Feier anstrengend. Auch ein paar andere der politisch Wichtigen waren bei dieser Feier anwesend gewesen. Der Sultan selbst aber nicht.


    "Name und Titel?!", schrie ihm der Kommandant der Wache von der Mauer hinunter, als Sal’jil das Haupttor zum Palast erreichte.
    „Ich bin Sal’jil ibn Al Sahif. Ich bin der Hofmagier und ein enger Freund des Sultans“.
    „Der Name ist bekannt,“ rief ihm der Hauptmann Joref entgegen. Er war ein älterer Herr hatte den militärischen Rang des Hauptmanns nun schon seit etwa 10 Jahre inne.
    „Untersucht ihn“, sprach Joref seine Untergebenen rein routinemäßig zu seinen Wachen.
    Sal’jil kannte schon das Prozedere und legte seinen Säbel und den Geldbeutel bereits zur Seite.
    Die Wachen taten das, was ihnen befohlen wurden und betasteten den Hofmagier am ganzen Körper. Sie fanden aber nichts. Ein Routinecheck im Geldbeutel ergab auch keine gefährlichen Gegenstände.


    „Den Säbel gebt ihr bitte wieder hier ab. Ihr kennt die Regeln. Die Waffe könnt Ihr beim Verlassen des Palasts wieder in der Waffenkammer abholen“, sprach der Kommandant zu ihm.
    „Ist mir bekannt, Hauptmann“, antwortete Sal’jil etwas genervt. Er betonte das Wort Hauptmann, so als ob es eine Beleidigung wäre.


    Eitel fixierte Sal’jil seine Gewänder und klopfte sich den Staub von den Klamotten.
    Ein paar Meter weiter wurde er bereits von einem Empfangsdiener namens Deniz begrüßt, der ihn über die aktuellsten Neuigkeiten des Hauses informierte. „Frühstück gibts in wenigen Minuten, mein Herr“, sprach der Empfangsdiener. „Ich wünsche ein Bad und schickt mir einen Bader hinauf. Mein Rücken ist etwas verspannt und ich benötige eine Massage“, sagte er ihm.
    Den Diener würdigte Sal’jil keines Blickes, sondern sprach von oben auf ihn herab. Seine 1.90m Körpergröße trugen im Übrigen dazu bei, dass er besonders arrogant und erhaben wirkte.
    „Und ich wünsche einen Kaffee!“, schrie er Deniz hinterher, als er wieder auf seinen Posten zurückkehrte.
    „Einen Kaffee..einen Kaffee“, stotterte dieser nur. „Ja, mein Herr. Wie der Herr wünscht!“, sagte er bloß und kümmerte sich sofort darum, dass die Wünsche Sal’jilfs schnellstmöglich erfüllt wurden. "Welche Menge er wünscht?", fragte sich Deniz bloß in eine Art Selbstgespräch. Die Frage schien ihm aber zu dämlich zu sein und er schüttelte hektisch im Kopf- "Besser nicht fragen, nur kluge Fragen stellen...", rezitierte der Diener die Verhaltensregeln der Dienerschaft.

    Der Avatar ist der Ausschnitt aus einem alten Gemälde von Leon Gerome (1824-1904).

    "Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart". (Johann Wolfgang von Goethe)

  • "Beeilt euch, der Herr kennt keine Gnade!", rief der kleine Deniz. Zwei Diener transportierten den gedeckten Frühstückstisch hinunter zur Badstube, wo Sal'jil bereits wartend stand. Beim Transport mussten sich die Diener größte Mühe geben nicht die Speisen und Getränke unterwegs zu verlieren. Deniz lief neben den beiden, kräftig gebauten Kerlen und hielt bloß den Kaffee in der Hand. Er ging mit langsamen Schritten um bloß nichts vom Kaffee zu verschütten. Gerade bogen die Drei um eine Ecke, als die Diener kurz eine Pause einforderten, da der Tisch aus Massivholz durchaus nicht gerade leicht zu tragen war. Zusätzlich mussten sie ganze Zeit darauf achten, dass die Oberfläche eben ist, damit die Speisen nicht hinunterfielen.


    "Beeilt euch, der Herr wartet bereits," mahnte Deniz bloß. Er hatte hier keine Autorität und sein Wort war wertlos. Doch er besaß langjährige Erfahrung als Diener. Den 40 Jahre alten Mann konnte man locker auf Mitte 50 schätzen. Er wirkte ausgelaugt, kraftlos und gebrochen. Seine gebückte Haltung ließ den ohnehin kleinen Mann von 1.68m noch kleiner wirken. Die jahrelange Unterdrückung als Sklave des Sal'jils hatten das verursacht. Er war sein Besitz und gleichzeitig war Sal'jil sein einziger Vertrauter. Denn Deniz Frau war schon vor einiger Zeit an Typhus verstorben. Medizin oder eine Behandlung bei einem Heiler hatte sein Herr Sal'jil nicht erlaubt. "Für sowas gebe ich keinen Geld aus", hatte er einst gesagt. Auf sich alleine gelassen, führte Deniz ein einsames Leben. Sein Herr Sal'jil war sein einziger richtiger Sozialkontakt. Umso trauriger war es von ihm derart behandelt zu werden.


    Aus Angst vor Unterkühlung des Kaffees startete Deniz einen dämlichen Versuch und wickelte den Kaffee in sein Gewand. Wie einen heiligen Gral beförderte er den Kaffee. Er selbst hatte nur noch Unterhosen. Doch für seinen Herrn tat Deniz alles...das wurde ihm so beigebracht. Schließlich erreichten die drei Diener die Badstube. Sal'jil war immer noch angekleidet und wartete. "Deniz, meine Sachen...kannst du nicht denken?!", fragte er vorwurfsvoll. "WIE soll ich ins Bad, wenn ich noch all meine Kleider anhabe? Helf mir aus den Kleidern! Und wieso hast du dein Gewand nicht an?"


    Deniz zog sich ganz schnell wieder an, und stellte den Kaffee auf den Boden ab. Er wagte es gar nicht auf die Frage zu antworten, da er wusste, das Sal'jil nur mit Beleidigungen und Wut antworten würde. Also warf er nur ganz leise ein:
    "Aber mein Herr, der Kaffee?"


    "Lass ihn stehen und bring mir gleich einen neuen, wenn ich aus dem Bad bin. Jetzt will ich keinen mehr! Und die Eier sollen auch frisch und noch warm sein, wenn ich aus dem Bad steige," befahl er den beiden Dienern, die gerade den Tisch zurechtgerückt hatten.
    "Und dorthin gehört der Tisch nicht. Ich sitze immer am Fenster, ihr niederen Diener!", schrie er aufgebracht.


    Alles muss man alleine machen! Dachte sich Sal'jil genervt. Während Deniz ihm aus dem Gewand half, ließen die beiden Diener gleichzeitig das Wasser ins Bad. Der Sultan verfügte über einen Warmwasserspeicher, sodass es nicht nötig war das Wasser in Kesseln zu erhitzen und ins Bad einzulassen.

    Der Avatar ist der Ausschnitt aus einem alten Gemälde von Leon Gerome (1824-1904).

    "Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart". (Johann Wolfgang von Goethe)

  • Khaoula war in Begleitung ihres Leibwächters Matin und drei weiteren Tamjid unterwegs. Diese führten Geschenke für den Sultan mit, denn es war von Bedeutung, bereits beim ersten Treffen einen guten Eindruck zu hinterlassen. Zu zweit trugen sie eine Truhe mit bestickten Stoffen und Schnitzereien mit sich, von denen die Besucher aus Tamjidistan annahmen, den Herrschenden damit erfreuen zu können. Tatsächlich hatte der Grosswesyr persönlich etwas dazu beigesteuert und von ihm stammte auch die kleine Schatulle voller Handelstaler.
    Gleichzeitig hielt der Tamjiid einen verdeckten Käfig fest, in welchem ein Wüstenbussard thronte. Dies war jedoch kein gewöhnlicher Vogel, das hätte den Sultan wohl kaum beeindruckt. Nein, das Tier war verstorben und von der Ältesten belebt worden. Khaoula hoffte, den Herrschenden mit einigen untoten Geschenken um den Finger zu wickeln. Natürlich hatte sie noch einige interessantere Asse im Ärmel, als bloss diesen kleinen Bussard.


    Mit stolzem Schritt und erhobenem Haupt ging die Älteste neben Matin her, der die fremden Menschen bestimmt und mit undurchdringlicher Miene zur Seite schob, sobald sie der Frau an seiner Seite den Weg vertraten. Die Sandalen waren bis über die Knöchel hinaus geschnürt und ein Kopftuch verbarg die hochgeknoteten Rastazöpfe. Khaoula trug ein meerblaues Kleid mit weiten Ärmeln und einem fein bestickten Dekolleté. Die Taille wurde durch einen Gürtel betont und liess den leichten Stoff dann in sanften Wogen um ihre Beine fallen. Für die Verhältnisse von Tamjidistan war es eine elegante Gewandung, doch in Al’haram mochte es als schlicht gelten. Nichtsdestotrotz benahm sich die dunkelhäutige Schönheit wie eine Frau von Adel, was ihr einige musternde Blicke eintrug.


    Umso näher sie dem Palast kamen, desto breiter wurden die Strassen und Pflastersteine ersetzten den sandig-lehmigen Untergrund. Die Häuser ragten höher gen Himmel und kunstvolle Türbogen luden Gäste zum Eintreten ein. Einige der Flachdächer wurden als Terrassen genutzt, auf denen gespannte Leinentücher und Palmengewächse ein wenig von dem heissbegehrten Schatten spendeten.
    Khaoula versuchte Haltung zu bewahren und nicht allzu beeindruckt zu wirken, doch obwohl sie hoheitsvoll voranschritt, huschten ihre Augen neugierig umher und versuchten all die neuen Eindrücke gierig in sich aufzusaugen. Nur allzu gerne hätte sie einige der orangen Früchte gekauft und von ihrem süssen Saft gekostet, doch dieser Genuss musste für den Moment warten.
    Sie konnte den Menschen ansehen, dass sie sich nicht vor Überfällen zu fürchten hatten und sich in Sicherheit wiegten. Was auch kein Wunder war, den in den Strassen schien es von Soldaten zu wimmeln. Einige standen fast unsichtbar neben Torbogen und waren stille Beobachter, andere marschierten als Patrouille herum mit grimmigen Mienen, jeder Zeit bereit Bettler und niederes Volk aus der Nähe des Palastes zu vertreiben


    Einen Moment erinnerte sie sich zurück, als sie mit dem Schiff einen Zwischenhalt bei „den Höckern der Wasserkamele“ eingelegt hatten, um ihre Vorräte aufzufüllen. Sie hatte die Sklaven gesehen, die mit Fuss- oder Halsreifen an der Flucht gehindert wurden, und Tag für Tag Kaffeebohnen zu ernten hatten. Sie hatte keinen Fuss auf die Insel setzen wollen, was ihre Schwester Kosima bloss mit einem Schulterzucken quittiert hatte. Khaoula wusste, dass auch Kosima nichts von Sklaverei hielt, doch sie konnte sich besser mit Dingen abfinden, die nun einmal nicht zu ändern waren.
    Khaoula wusste, dass auch in Al’haram Sklaven gehalten wurden und sie hatte vernommen, dass der Grossteil der Bevölkerung arm war. Doch hier, in der nahen Umgebung des Palastes, war von der Armut wenig bemerkbar. Stattdessen schienen die gut betuchten Tamjid Dal zu verehren und Noldil zu fröhnen. Die Älteste seufzte. Wie sehr sie sich doch auch ihrem Volk den Wohlstand zurückwünschte. Sie straffte die Schultern.
    Genau aus diesem Grunde bin ich hier! Ich darf den Grosswesyr und mein Volk nicht enttäuschen!


    „Älteste Khaoula sieh, da sind die Tore zum Palast des Sultans“, holte sie da Matin aus ihren Gedanken. Ihr Leibwächter sollte Recht behalten. Die Mauer schoss wie aus dem Nichts aus dem Boden empor und verbot sowohl dein Eintritt ins Herz der Stadt als auch neugierige Blicke auf ihr Innenleben.
    Zielstrebig schritt die Frau darauf zu, und ihre Wache und die drei Tamjid folgten ihr auf dem Fuss.
    Sie spähte bereits durch den gewaltigen Torbogen hindurch, konnte eine breite Strasse dahinter erkennen, oder war es ein Platz? Die Ausmasse des Palastkomplexes mussten gewaltig sein!
    Einfach gekleidete Gestalten huschten geschäftig umher und irgendwo konnte sie zwei Wachen erkennen, die für Sicherheit und Ruhe sorgten.
    „Name und Titel?!“, schrie im nächsten Moment eine Stimme über ihrem Kopf und zwei Soldaten vertraten ihr den Weg.
    „Du hast die Älteste Khaoula aus dem Reich Tamjidistan vor dir“, beantwortete Matin die Frage des Wachmannes mit ernster Miene.
    „Tamdistan? Wo soll das sein?“, fragte dieser barsch weiter.
    „Wir sind weit gereist über den duhnischen Ozean. Die Älteste Khaoula möchte nun gerne den Sultan aufsuchen, um ihm ihre Aufwartung zu machen.“
    Khaoula runzelte kurz die Stirn. Sie kannte ähnliche Fragen von den zwei Besuchen beim Grosswesyr, doch selbst dort wurden Besucher höflicher empfangen.
    Einen Moment verschwand der weissbärtige Kopf über ihnen hinter der Mauer. Nach einer halben Ewigkeit, so schien es der ungeduldigen Khaoula, tauchte das Haupt wieder auf und raunzte unfreundlich: „Der Name ist nicht bekannt und nicht auf der Liste!“
    Somit schien die Sache für ihn erledigt zu sein und er verschwand hinter den Zinnen.


    Als die perplexe Gruppe nicht den Anschein machte wieder abzuzotteln, herrschte einer der Soldaten vor ihnen: „Habt ihr den Hauptmann nicht verstanden? Ihr habt ihr nichts zu suchen. Der Zutritt zum Palast ist euch untersagt. Und auch das Herumlungern vor den Palasttoren ist verboten!“
    In Khaoula begann es bereits zu brodeln, denn sie war es sich keineswegs gewohnt, auf solch rüde Art und Weise abgewiesen zu werden. Einige Leute starrten bereits interessiert zu der seltsamen Formierung herüber. Sie schloss kurz die Augen, holte tief Luft und baute sich zu ihrer vollen Grösse auf.
    „Ich wurde in meinem Amt vom Grosswesyr, dem Herrschenden über Tamjidistan, gesandt, um mich dem mächtigen Sultan vorstellig zu machen. Ich möchte ihm aufwarten und Geschenke unseres Volkes überreichen. Gebt den Weg frei, oder wollt ihr den Sultan erzürnen, wenn ihr ihm den Besuch eines möglichen Bündnispartners verweigert?“, ihre haselnussbraunen Augen funkelten den jungen Soldaten an, bis dieser als erster den Blick abwandte. Offensichtlich schien er verunsichert, wie er auf diese selbstsichere Frau reagieren sollte, die sich wie eine Hochgeborene benahm. Gut so!
    Sein Kamerad schien jedoch aus härterem Holz geschnitzt zu sein.
    „Tretet zurück Lady. Ihr steht nicht auf der Liste, Ihr habt unseren Hauptmann gehört!“


    Khaoula gab einen empörten Laut von sich, bevor sie eine Pergamentrolle mit der Insignie des Grosswesyrs aus ihrem Gewand hervorzauberte und dem Soldaten verächtlich unter die Nase hielt.
    „Reicht dies als Beweis? Oder willst du zuerst noch deine Nase hineinstecken, bevor du die Nachricht dem Sultan zustellst? Ich verlange, dass ich und meine Gefolgschaft durchgelassen werden!“, inzwischen war ihre Stimme nicht mehr ganz so ruhig.
    Keinen Respekt hatten diese Kerle vor ihrem Rang!
    Auch der Hauptmann war jetzt von seiner Mauer gestiegen und betrachtete verärgert das Siegel auf der Rolle. Er hatte das Symbol noch nie gesehen, doch das Auftreten der Lady liess ihn etwas weniger an dem Wahrheitsgehalt zweifeln, wohingegen die einfache Kleidung sein Misstrauen bestärkten.
    „Nun gut, Euer Anliegen muss überprüft werden. Das wird seine Zeit dauern. Wenn der Sultan mit eurem Besuch einverstanden ist, kommt ihr auf die Warteliste und erhaltet schliesslich eine Einladung. Wo kann der Bote Euch erreichen?“


    Na also, endlich kam sie ihrem Ziel einen Schritt näher. In kurzer Zeit würde sie dem Sultan persönlich die Nachricht des Grosswesyrs überbringen und für ihr Volk einstehen!
    „Wir sind erst vor zwei Tagen angekommen und haben uns provisorisch in der Nähe des Hafens einquartiert, da unser Schiff dort ankert. Ich werde einen meiner Begleiter zu dir hochschicken, sobald wir eine gute Bleibe gefunden haben. Wann dürfen wir die Einladung des Sultans erwarten?
    Dem Hauptmann war anzusehen, dass er nicht viel von der jungen Frau hielt, die gar in Hafennähe nächtigte, anstatt eine der luxuriösen Gaststätten der Innenstadt zu bewohnen.
    „In 60 Tagen werdet ihr die Einladung erhalten, sollte es denn so sein. Ihr habt dann 10 Tage Zeit, Euch auf den Besuch beim Sultan vorzubereiten! Bis dahin lege ich Euch nahe, etwas vornehmere Gewänder zu besorgen. Ich kann Euch gerne ein Geschäft empfehlen.“
    Die folgenden wüsten Beschimpfungen auf Kosten des Hauptmannes waren im nahen Umkreis gut zu vernehmen.

  • Sal’jil biss genüsslich in sein Ei hinein, während er mit vollem Mund redete. Gegenüber anderen Adligen wäre es eine große Unhöflichkeit gewesen mit vollem Mund zu sprechen. Doch gegenüber minderwertigen Sklaven war das kein Vergehen. Ein Tamjid konnte mit seinem Sklaven so umgehen, wie er wollte. Das war in den zahlreichen Rechtsgutachten bekannter Rechtsgelehrter niedergeschrieben und vielfach verifiziert worden.


    Hassed ibn Arafat interpretierte dies einst so: „Unfreiheit ist in erster Linie eine rechtliche Kategorie, die über die Lebensumstände wenig aussagt. So könnte es einen Sklaven geben, dem es trotz fehlender Rechtsfähigkeit an nichts mangelt und es vielen Sklaven somit besser ergeht, als den freien Bürgern. Den Körper und seine eigene Arbeitskraft für die Dienste des Herrn zur Verfügung zu stellen, ist jedoch dessen Preis. Der Rechtsstatus kommt aber nicht von irgendwo her: Zumeist muss der Sklave damit eine Schuld bezahlen, die er aus seinen liquiden Mitteln heraus nicht mehr bezahlen kann. Die Schuldsklaverei stellt somit die letzte Möglichkeit dar, seine Schulden beim Gläubiger zu bezahlen. Fraglich und kontrovers diskutiert ist, inwieweit Kind und Ehefrau den Status eines Sklaven miterlangen. Bei der Ehefrau ist die Frage schnell beantwortet. Da eine Frau nicht ohne Mann existieren kann und die verbundene Einheit somit direkt davon betroffen ist. Die Kinder können aus dem Rechtsstatus herauswachsen. Das Entscheidungsrecht obliegt dem Sklavenherrn. In jüngster Zeit wird bei Überschreibung der Schuldsklaverei häufig ein Schuldbrief vom Sklaven eingefordert, womit er seine Rechte festhalten kann. Festgelegt wird dort die Dauer seiner zu leistenden Schuld. Aggregierte Arbeitsleistung und die voraussichtlich dadurch entstehende Wertschöpfung, ergibt einen Betrag, der zum Stichtag abgezinst wird, um die Opportunitätskosten des Gläubigers miteinzubeziehen. Ein gelernter Handwerker kann also somit schneller aus dem Sklavenstatus herauswachsen, als ein ungelernter Bettler.“


    Da die Sklavenhaltergesellschaft der Tamjd aus Al’hamra auf einem starken Rechtssystem beruht, war es für die Adligen und Bürgerlichen undenkbar sich anders zu verhalten. Jedes andere Verhalten wäre gegen das Gesetz und könnte sogar rechtlich verfolgt werden.


    „Die Creme fehlt zum Ei,“ schmatzte Sal’jil. Er schickte Deniz einen tadelnden Blick zu. Der Diener selbst hatte noch kein Frühstück gehabt, obwohl er schon seit mehreren Stunden auf den Beinen war. Sal’jil hingegen stopfte sich den Wanst voll. Eine angeknabberte Hähnchenkeule, angefangenes Obst und die Hälfte eines Fisches lagen auf seinem Teller. Deniz hatte wie üblich lediglich das Recht die Reste seines Herrn aufzuessen, sofern es Sal’jil ausdrücklich so betonte. Sal’jil konnte den Diener aber auch absichtlich zur Strafe hungern lassen, obwohl an seinem Frühstückstisch ja merklich genug Essen war.
    Heute war Sal’jil trotz seiner zahlreichen Meckereien gnädig und gewährte dem Diener ein Frühstück.
    „Nimm dir eine handvoll Linsenpaste und etwas Fladenbrot. Erlaubt ist dir auch heute etwas vom Obst zu essen. Ich bin gütig.“
    „Herr, ich danke Euch“, sprach Deniz demütig und küsste ihm die Hand. Er ging dabei in die Knie, wobei es ihm in dem Moment gleichgültig war, seine Dienerrobe zu beschmutzen. „Herr ist zu gütig heute..ich weiß gar nicht, wie ich ihm richtig danken soll…es ist eine Ehre, dass…“
    Deniz konnte aber seinen Satz nicht beenden ,da fiel ihm Sal’jil schon ins Wort. „GENUG!“
    „Dein Gewand wird dreckig! Ich will nicht wieder ein Neues kaufen müssen. Deins ist erst 3 Jahre alt!“
    Sal’jil erhob schon bereits die Hand als Zeichen der Frust. Deniz kannte seinen wechsellaunigen Herrn inzwischen schon gut, und wusste wann er sich zurückhalten musste. „Wie Ihr wünscht, mein Herr“.
    Sprach er und trat damit ein paar Meter weiter und setzte sich auf den Boden, wo er sein Essen wie ein Tier in sich hinunterschlang. Besteck war ihm nicht erlaubt und so musste er alles mit den Fingern essen. Bei Deniz handelte es sich um einen Sklaven, der nicht in Sal’jils Schuld stand. Der Besitz wurde vom Sultan als Geschenk an Sal’jil überschrieben.


    Nachdem Deniz gespeist hatte und er seinen Herrn angekleidet hatte, verließ der Illusionsmagier das Gewölbe, um zum Palastsaal des Sultans zu gelangen. Denn ein Diener des Sultans hatte ihm darauf aufmerksam gemacht, dass der Sultan seine Anwesenheit einforderte. Auf dem Weg dorthin musste Sal’jil durch den Hof, wo er lautes Geschrei vom Wachtor wahrnahm. Es handelte sich um eine Frauenstimme. Welche Frau wagte es in aller Öffentlichkeit ihre Stimme derart zu erheben? Dabei noch am Hof des Sultans. Sal’jil beschloss sich die Sache näher anzuschauen. „Deniz, schicke Botschaft an den Hauptmann Nareb. Es scheint einen Aufstand am Tor zu geben.“


    Der Sklave stapfte eifrig davon, während sich Sal’jil allein auf dem Weg zum Tor machte. Sal’jils mit Duftstoffen wohltuender Geruch konnte von seiner nahen Umgebung wahrgenommen werden. An seinem Körper trug der Tamjid eines seiner edelsten Gewänder, die einen Wert von 10 Goldmünzen hatte. Wichtigtuerisch kreuzte Sal’jil auf und erhob laut seine Stimme“
    „Was gibt es hier für ein Problem?“
    Die Soldaten nahmen augenblicklich Haltung an und salutierten zum Gruß.
    „Mit welcher Berechtigung sprecht Ihr so mit dem Hauptmann des Sultans. Wo ist Euer Ehemann?“, sprach er zu Khoula, die sich noch immer aufregte.
    Sal’jil schaute ihren Leibwächter Matin fragend an und richtete sein Wort an ihn.
    „Ist das Euer Weib? Habt ihr sie nicht im Zaum?“
    „Herr“, sprach der Hauptmann und richtete sein Wort an Sal’jil.
    „Sie sagt sie ist eine Gesandte aus Tamjidistan. Vom Großwesir persönlich gesandt.“
    „Tamjidistan?“ Sal’jil erhob fragend seine Augenbrauen und machte einen verwunderten Gesichtsausdruck. „Der Ort ist eine Legende. Sowie das Tika Tuka Land, das Schlaraffenland oder das Frostkönigreich. Hier gibt’s nicht zu betteln, gnädige Frau... Euer Ehemann soll Euch mal was Gescheites kaufen. Einen Schleier oder Kopftuch. Diese Nacktheit kann man doch nicht mit ansehen.“
    Der Hauptmann übergab Sal’jil daraufhin die Pergamentrolle mit den Insignien des Großwesirs, die Sal’jil kritisch überprüfte. „Eine simple Fälschung. Nichts weiter!“. Meinte er.
    Schon kamen weitere Soldaten an, um den vermeintlichen Aufruhr vor dem Tor niederzuschlagen. 12 bis auf die Zähne bewaffneten Soldaten stellten sich hinter Sal’jil und warteten auf seine Befehle.

    Der Avatar ist der Ausschnitt aus einem alten Gemälde von Leon Gerome (1824-1904).

    "Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart". (Johann Wolfgang von Goethe)