Die Bestie und das Biest [Unterwasser-RPG]

  • Darum bemüht, sich bedeckt zu halten, hatte Astroides ihre außergewöhnlich bläulichen Brustflossen fest an den Körper gepresst und bewegte sich hauptsächlich durch das kräftige Schlagen ihrer Schwanzflosse durch das warme Wasser.


    Sie hatte es geschafft aus Coralys zu entwischen, einer der Korallenstätte, welche die Giftstachler mitten im Ozean bewohnten.
    Es war überhaupt nicht einfach gewesen, sich an den vielen Wachen vorbei zu mogeln, welche die wichtigsten Passagen kontrollierten und auch über der Stadt ihre Runden drehten.
    Sie hatte ihren Körper dafür sogar mit Algen eingerieben, um ihren auffällig rot-weissen Hautton dezent zu verstecken. Es würde jedoch nicht lange anhalten, denn das salzige Wasser würde sie bald wieder reingewaschen haben. So hatte sie sich nahe an die Felsen gedrückt und versucht, mit den Schatten eins zu werden.
    Und warum der ganze Aufwand?
    Weil einige Kilometer entfernt in der Nähe der Rabeninseln Sandjäger gesichtet worden waren.
    Bei dem Gedanken verdrehte Astroides genervt die Augen.
    Sie hatte bereits viele Geschichten über diese Shezem gehört. Vor allem in der Kinderstube hatten sie meistens von Giftstachler-fressenden-riesen-Ungeheuern mit Zähnen so gross wie Handflächen gehandelt.
    Inzwischen hatte sie zwar noch immer keinen Sandjäger aus der Nähe zu sehen bekommen, doch sie wusste immerhin, dass es Haimenschen waren und nicht viel grösser als andere Shezem sein mochten. Ausserdem, dass sie weit entfernt im Eismeer lebten und deshalb wohl kaum eine Bedrohung darstellen konnten.
    Natürlich erzählte man sich auch, dass sie einmal im Jahr in wärmere Gewässer zogen, um dort Hochzeit zu feiern.
    Doch ein einzelner verirrter Sandjäger bedeutet doch nicht, dass ganz Coralys evakuiert und in einen tranceähnlichen Zustand versetzt werden muss!
    Ausganssperre.., pah!


    Und das ausgerechnet jetzt, wo doch die Zeit der Ildrius-Muscheln war, einer Muschelart, welche sich nur in äusserst warmen Vollmondnächten öffnete, um ihr wunderschönes Geheimnis in ihrem Innern preizugeben. Man erzählte sich, dass die Perlen so schön waren, wie sonst keine anderen. Dass sie einen bläulichen Schimmer hätten, und wie das Meer im Lichte des Vollmondes glitzerten.
    Astroides seufzte bei dem Gedanken verträumt auf. Sie hatte noch nie eine solche Muschel gesehen, doch in jeder Geschichte steckte ihrer Meinung nach ein Kernchen Wahrheit. Und diese Nacht versprach das Meer seine Wärme wie eine Decke um seine Bewohner zu legen und der Vollmond würde so hell erstrahlen, wie schon lange nicht mehr.
    Deshalb war es eine Frage des Prinzips, Coralys hinter sich zu lassen und draussen im Riff nach dieser Rarität zu forschen.


    Noch durchzogen die letzten Sonnenstrahlen das Meer, und liessen das Wasser in ihrem Licht sanft schimmern. Nachdem die einzigartige Stadt sich langsam aus ihrem Sichtfeld entfernte, entspannte sich Astroides sichtlich. Diese Gegend war ihr vertraut, denn oft durchstöberte sie umliegende Teile des Korallenriffs nach möglichen Fundstücken. Manchmal hatte sie Erfolg dabei, doch immer häufiger wurde sie auch enttäuscht, denn andere Shezem suchten ebenfalls nach Wertstücken, um sie dann an die Landgänger zu verhökern.
    Sie verzog bei dem Gedanken das Gesicht.
    Gerne würde sie selbst einmal mit den Menschen Handel treiben, doch bis jetzt hatte sie sich nicht getraut ihrer Neugier nachzugeben und den Ozean zu verlassen. Er bot ihr eine gewohnte Sicherheit.
    Auch die Metamorphose schreckte sie ab, denn sie hatte diese Art von Magie nie angewandt. Astroides war noch jung, und das Meer bot so viele Wunder, die es ferner zu entdecken gab, dass die Oberfläche vorerst keinen allzu grossen Reiz darstellte.
    Vorerst… doch bis dahin genügte es ihr, versunkene Schiffsrümpfe zu durchforsten, um sich ein Bild von den interessanten Landgängern zu machen.


    Immer wieder hielt die junge Shezem inne, um einmal einen Doktorfisch zu bewundern, einen kleinen Tintenfisch auf der Lauer zu beobachten oder einen besonders schön geformten roten Schwamm zu umrunden. Diese Welt faszinierte sie immer aufs Neue, obwohl sie bereits 22 Jahre darin lebte. Ihre Fingerspitzen glitten liebevoll am Bauch einer Wasserschildkröte entlang, als diese nur wenig über ihr völlig entspannt ihrer Wege schwamm.
    Auf ihrer Suche nach der Ildrius-Muschel entfernte sich Astroides immer weiter von Coralys auf die Rabeninseln zu. Sie folgte keinem besonderen Plan, sondern schwamm dorthin, wo ihre Entdeckungen sie gerade führten.
    Das Wasser war herrlich warm und die junge Shezem liess sich von einer sanften Strömung treiben. Ihr Körper leuchtete inzwischen wieder in seinen Farben wie vor ihrem Algenbad und das Wasser streichelte sie bei jeder Bewegung.
    Die Sonne war hinter dem Horizont versunken. Da es über dem Meer jedoch keine anderen störenden Lichtquellen gab, wurde der Ozean nun von Mond und Sternen in silbriges Licht getaucht.


    Da sie nicht genau wusste, nach welcher Muschel sie Ausschau halten musste, untersuchte sie jede Ecke und Ritze sorgfältig, so dass ihr Nichts verborgen bleiben konnte. Dabei schreckte sie oft kleinere Fische auf, welche dort ihre Wohnstätten bezogen hatten.
    Als ihr jedoch eine Muräne mit weit geöffnetem Maul genauso überrascht wie sie selbst entgegenschoss, zuckte sie unwillkürlich zurück. Dabei scheuerte sie mit ihrem linken Arm über die raue Felsformation und erhielt als Belohnung einige blutige Schrammen. Die Muräne funkelte sie herausfordernd an, offensichtlich hatte sie nicht vor, ihr Heim der angeblichen Nesträuberin zu überlassen.
    Astroides hatte keine Lust das Risiko einzugehen, sich beissen zu lassen, obwohl Muränen meist eher scheue Tiere waren. Doch Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel…
    So schwamm sie immer weiter. Langsam war die Gegend ihr nicht mehr ganz so vertraut. Doch sie wollte nicht zurückkehren, zumindest so lange nicht, wie die Bedingungen perfekt waren.


    Der Höhleneingang tauchte urplötzlich als ein schwarzes Loch vor ihr auf. Er war etwas verborgen zwischen den Felsformationen und Korallen, doch gut zugänglich. Langsam wurde sie müde, doch ihr Wille war ungezähmt.
    Niemand hatte ihr genau erzählt, wo die Muscheln zu finden waren. Womöglich bevorzugten sie ja Höhlen. Man konnte nie wissen. Schlussendlich war es aber eher ihre Abenteuerlust, welche sie dazu bewog, zum Eingang hinunter zu schwimmen.


    Vorsichtig blickte sie hinein, denn sie hatte durch die Begegnung mit der Muräne gelernt. Eine Biegung verhinderte einen weitreichenden Ausblick. Sie musste ihre Brustflossen eng an den Körper pressen, um in den Durchgang hineinzupassen. Sie meinte eine Bewegung des Wasser wahrzunehmen, ein leises Geräusch, doch als sich pfeilschnell ein kleiner Fisch aus der Höhle rettete, glaubte sie, darin den Ursacher erkannt zu haben. Astroides war es gewohnt, sich in Sicherheit aufzuhalten. In Coralys und der nahen Umgebung gab es beinahe nichts, was ihr wirklich gefährlich werden konnte. So achtete sie nicht auf ihre natürlichen Instinkte und Sinne, welche ihr einen Schauer über den Rücken jagten, sondern schwamm zaghaft weiter, bis der Raum sich vor ihr ausdehnte. Alle Warnungen waren vergessen, allein der Augenblick zählte und die Freude über eine neue wundervolle Entdeckung.

  • Wenn ein Gott zornig war, gab es nur einen Sieger. Und die zahllosen Verlierer mussten sehen, wie sie mit ihrer Niederlage umgehen mussten. In diesem Falle war das ein Krater im Park, im Zentrum de Springbrunnens, der den Durchmesser mehrerer Meter hatte und nun scheinbar endlos tief als schlauchförmige, wassergefüllte Höhle ins Erdinnere reichte.
    [p]Inzwischen war es Nacht und die Mitarbeiter von Noldils Sündentempel waren noch immer mit den Aufräumarbeiten beschäftigt. Die Wärme des Hochsommers lag in der Luft, es war schwül und drückend, als wenn ein Gewitter nahte und den Menschen, Alben und sonstigen Daseinsformen lief der Schweiß von den leicht bekleideten Körpern. In den Wiesen der gepflegten Gartenanlage zirpten die Zikaden. Die Gespräche unter den Mitarbeitern waren weitestgehend verstummt. Nach so vielen Stunden des Schaufelns, Auflesens von Kacheln, Sortierens und Kehrens hatte man sich nicht mehr viel zu sagen und wünschte sich nur noch ins Bett, oder, in Shocais Falle, in das Meer, das unter dem Licht des Vollmondes schwarz glänzte wie Tinte. Sein salziger Duft war selbst hier, einige Kilometer im Landesinneren, noch gut zu riechen.[/p]
    [p]Missgestimmt klopfte der junge Shezem mit der scharfkantigen Rückseite eines Hammers den Mörtel von den Fliesen, die noch intakt waren und stapelte sie auf einen Haufen. Ein paar schaulustige Gäste waren des Gaffens auf den Krater noch immer nicht müde. Mit ihren Getränken in der Hand standen sie da, mehr nackt als bekleidet, unterhielten sich und lachten. Wenigstens die Kundschaft war guter Laune. Der Mumienmann Zott in seiner edlen roten Weste mühte sich vergebens, die Gäste wieder in die obere Etage des Tempels zu locken, wo sie kostenintensiveren Tätigkeiten nachgehen sollten. Die Freudenmädchen und und Freudenjungs (oder wie auch immer man das männliche Äquivalent nennen mochte, Shocai hatte sich nie ausreichend genug dafür interessiert, um nachzufragen) hatten in dieser Nacht wenig zu tun. Anstatt dem Hilfspersonal unter die Arme zu greifen, standen auch sie herum und unterhielten sich oder lümmelten mit ihren Getränken in der Hand überall auf den Wiesen und den geschwungenen Parkbänken.[/p]
    [p]„Willst du nicht langsam Pause machen?“, fragte eine wohlbekannte Stimme von hinten. Shocai musste nicht von seiner Fliese aufsehen, an der er gerade herumklopfte, um zu wissen, dass sie zu Lahiko dem Giftstachler gehörte, einem der Freudenjungs.[/p]
    [p]„Und dann?“, fragte Shocai, ohne den Blick von der rauen Rückseite der blau bemalten Keramikkachel zu wenden.[/p]
    [p]„Wir könnten eine Runde tauchen gehen. Das Meer ist so warm wie eine Badewanne.“[/p]
    [p]„Mir ist warm genug!“ entgegnete Shocai schroff. Genau genommen war ihm wärmer, als ihm angenehm war. Es war Warmwasserzeit und auch, wenn er sich an Land befand konnte er dem verlockenden Ruf des Duhnischen Ozeans nur mit Mühe widerstehen.[/p]
    [p]Lahiko trat an ihm vorbei und stellte sich mit dem Rücken vor ihn, um den Krater zu betrachten. Sein rot-weißes-Streifenmuster leuchtete intensiv, fast schon neonfarben. Vermutlich hatte er selbst an einem Tage wie diesem noch ein heißes Bad genommen, um seine Stimmung noch mehr aufzuheizen und den Kunden einen prachtvollen Anblick zu bieten. Die großen Flossen unter seinen Schulterblättern, die aussahen wie gestreifte Hände mit langen, spitzen Fingern, spreizte er, streckte sie aus und ließ sie zittern, so dass sie leise raschelten. Fast jeder der Anwesenden musste unweigerlich in seine Richtung schauen, denn einen solchen Anblick bekam man nicht alle Tage zu Gesicht und Lahiko verteilte vermutlich wieder großzügig sein Lächeln. Doch trotz der offenkundigen Neugier lockte es heute keinen der Gäste in seine Nähe.[/p]
    [p]Shocai verspürte eine gewisse Schadenfreude darüber, dass ein blödes, mit schmutzigem Wasser gefülltes Erdloch interessanter war als Lahikos Balzversuche. Der faltete die Flossen wieder auf dem Rücken zusammen wie zwei Flügel und schnaufte enttäuscht. Nach einem heißen Bad war er stets sehr nähebedürftig und wenn sich niemand seiner erbarmte, auch zudringlich. Das Klopfen von Shocais Hammer hallte durch die Nacht und vermischte sich mit dem Kratzen von über die Fliesen fegenden Besen und in feuchtes Erdreich stechenden Schaufeln. Im Hintergrund zirpte es kaum hörbar. Der Garten der Sinnesfreuden war zum Garten des großen Reinemachens mutiert.[/p]
    [p]Lahiko setzte sich neben Shocai, so dicht, dass sein Knie ihn berührte. Shocai ärgerte sich darüber, aber sah gar nicht ein, warum er ausweichen sollte.[/p]
    [p]„Kann ich dich wirklich nicht zu einem kleinen Ausflug ans Riff überreden?“, fragte Lahiko. „Ich meine, es ist Warmwasserzeit! Das kann dich als Sandjäger doch nicht kalt lassen. Wenn ich nur ein einziges Mal im Jahr die Gelegenheit zur Balz hätte, würde ich sie mir nicht entgehen lassen. Wir könnten zusammen im Licht des Vollmondes tanzen, wie es bei den Giftstachlern üblich ist. Das würde sogar dir gefallen, glaub mir. Ich bin ein guter Tanzpartner.“ Ein Finger seiner Rückenflosse strich über Shocais Rücken, vom Hals hinab bis zum Steiß und kitzelte ihn dort.[/p]
    [p]Jetzt reichte es. Shocai legte die Kachel auf den Stapel und den Hammer daneben, stand auf und ließ Lahiko sitzen. Sollte er doch jemand anderen belästigen! Oder sich ein Bad mit eisigem Brunnenwasser einlassen, um sein Gemüt abzukühlen! Schlecht gelaunt ging Shocai davon. Natürlich ließ ihn die Warmwasserzeit nicht kalt, was dachte der sich? Dass er aus leblosen Treibholz gebaut war? Zügigen Schrittes ging er davon. Er brauchte dringend Abstand von dieser Person. Nach einem heißen Bad war Lahiko nicht zu ertragen, auch wenn er sonst ganz nett war.[/p]


    Shocai folgte dem sauber verlegten Weg aus rosa Marmorplatten. Seine Füße klatschten leise bei jedem Schritt. Er brauchte nicht lange zu gehen, um das sanfte Rauschen zu hören und nach kurzer Zeit hatte er den nächtlichen Strand erreicht. Das Meer leckte am hellen Sand und brach sich an den Pfosten eines Steges, an dem kleine Fischerboote vertäut lagen, die sanft auf und ab schaukelten. Shocai atmete durch, um sich zu beruhigen und stellte sich ins Wasser. Die Wellen liebkosten seine Knöchel, ehe sie sich wieder zurückzogen und nassen Sand zurückließen, ehe sie erneut nach vorn rollten und seine Füße umspülten. Es duftete nach Salz und nach Tang. Ein gefährlicher Lockruf um diese Jahreszeit, Shocai wusste, dass er besser an Land bleiben sollte, doch wie sollte er dem Kuss des Elementes widerstehen, in das er hineingeboren war? Und das nun, wo was Wasser am wärmsten war? Er streifte den grauen Männerrock ab, den er trug, faltete ihn zusammen und vergrub ihn zwischen dem harten Gras einer Düne, wo er die Stelle mit einem Stein markierte. Dann Schritt er langsam ins Meer hinein. Warm umspielte es seine Knöchel, dann seine Waden, seine Schenkel und als er bis zum Bauch darin stand, ließ er sich hineingleiten und gab sich der Verwandlung hin. Seine Beine verschmolzen und streckten sich zu einer großen Haiflosse, eine Finne schob sich aus seinem Steiß und zwei Bauchflossen seitlich aus den Leisten. Die Kiemen zwischen seinen Rippen öffneten sich und er ließ das salzige Wasser in seine Nase und seinen Mund strömen. In tausend Blasen perlte die Luft aus seinen Lungen durch die Kiemen nach draußen. Er roch das Meer, seine reichen Fischgründe, die entfernten Korallenwälder und die verlockende Süße der Weiblichkeit. Er roch alles im Umkreis von etlichen Kilometern, was die Strömung in seine empfindliche Nase trug. Er verließ die Oberfläche und tauchte einige Körperlängen unter, um in größerer Tiefe seinen Weg fortzusetzen. Das Wasser wurde etwas kühler. Das Mondlicht warf einen zarten Schleier, die Lichtstrahlen tanzten über den sandigen Grund, der in nicht allzu großer Tiefe lag.
    [p]Shocai folgte dem Duft. Ein paar Rochen glitten unter ihm über den Sand, doch er hatte keinen Hunger. Nein, er wollte nichts essen. Das Schlagen seiner Schwanzflosse beschleunigte sich wie von selbst und erspürte, dass er dabei war, den Kampf gegen die Natur zu verlieren. Er wusste, dass er zu jung war und doch musste er weiter, er musste einfach! Musste die Sandjägerinnen wenigstens noch einmal sehen![/p]
    [p]Es dauerte einige Tage, in denen er nichts weiter tat, als zu schwimmen und zu schlafen. Er dachte nicht mehr an seine Arbeit im Sündentempel, dachte nicht mehr an Lahiko und auch an sonst nichts. Nur an den Duft der großen Hochzeit. Die Wärme des Meeres kroch ihm ins Gebein, seine Flossenspitzen kribbelten und seine ganze Haut schien hochempfindlich zu sein. Bald sah er die ersten korallenbewachsenen Steine. Und als sie dichter wurden und zu ganzen Bänken verschmolzen, sah er die Sandjäger.[/p]
    [p]Sie schwammen umeinander, umkreisten sich, tausende, vielleicht zehntausende! Eine Wolke aus schlängelnden Körpern, die weit enfernten nur wie in blauem Nebel zu sehen. Shocai hatte sich zurückhalten wollen, doch nun musste er sich ihrem Kreisen anschließen. Die breiten, getigerten Rücken der Männer glitten unter ihm vorbei. Wenn er nach oben sah, erblickte er ihre hellen Bäuche. Und dazwischen, wunderschön, die kleineren, hellsilbernen Frauen! Was für ein Anblick! Shocai versuchte, den Schönheiten durch langsames Kreisen näherzukommen. Er betrachtete voller Sehnsucht die Muskeln unter der silbern glänzenden Haut, ihre hübschen Gesichter mit den hakenförmigen Zähnen zwischen den vollen Lippen. Er wollte sie umarmen, sich an sie pressen! Doch sie wichen ihm aus, sobald er ihnen zu nahe kam. Wenn er versuchte, sie mit der ausgestreckten Hand zu berühren, beförderten sie sich mit einem kräftigen Schlag ihrer Schwanzflosse außerhalb seiner Reichweite. Ja, sie hatten noch nicht einmal ein Lächeln für ihn übrig, wenn sie ihn musterten. Bald fühlte er sich völlig überflüssig.[/p]
    [p]Die älteren Männer mit einem dunkleren Tigermuster als seines hatten mehr Erfolg. Shocai sah die frischen Narben an ihren bulligen Körpern, die sie von den Kämpfen davongetragen hatten, ehe sie sich auf die lange Reise hierher in den Süden begeben hatten. Nun waren die Kämpfe längst vorbei. Die Schwachen waren verletzt im Norden zurückgeblieben, um zu genesen und es im nächsten Jahr noch einmal zu versuchen, die Starken hatten die Reise angetreten und die Stärksten waren nun hier.[/p]
    [p]Bei den Frauen sah es nicht anders aus, nur dass sie aus einer anderen Richtung gekommen waren. Shocai liebte ihre starken und eleganten, von Kampf und der Jagd gezeichneten Körper, ihre muskulösen Haischwänze und die schmale Taille, die ihn eine ausladende Hüfte mündete. Doch keine Frau ließ ihn näher als eine Armlänge an sich heran.[/p]
    [p]Nach etlichen Stunden des Kreisens und Hoffens brauchte Shocai eine Pause. Die Männer waren nicht aggressiv gewesen, allen Kampfgeist hatten sie abgelegt, sobald sie die Laichgründe erreicht hatten. Doch einige Frauen hatten sich von Shocais mit wachsender Frustration zunehmenden Aufdringlichkeit belästigt gefühlt. Ein paar kleinere Bisswunden prangten nun in seinen Flossen und an seiner Brust, halbmondförmige Einstiche, aus denen sich dünne Blutfäden kringelten.[/p]
    [p]Erschöpft und wenig gut gelaunt zog Shocai sich in eine Höhle im Riff zurück. Er legte sich auf den Bauch, bettete den Kopf auf die Unterarme und betrachtete voller Sehnsucht die kreisenden Frauen und die Hochzeiten, beobachtete die Paare, die sich umeinander schlangen und gemeinsam in den Anemonen versanken, wo er bald nur noch ihre zuckenden Rücken sah. Er hasste seine Jugend, hasste das lächerlich blasse Tigermuster, dass er trug und hasste seinen schmächtigen Körper! Wie lange noch sollte er warten, ehe er endlich dunkel getigert und kräftig genug war, als dass eine Frau ihn auch nur ansehen würde? Reichten 25 Warmwasserzeiten denn nicht? Er überlegte, ob er sich vielleicht großflächig tätowieren lassen sollte, wie es die Mode einiger Landwandler war, um der Zeit ein wenig nachzuhelfen.[/p]
    [p]Und während er nachdachte, geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Eine zierliche Person schlängelte sich durch eine zweite Öffnung in seine Höhle. An der Art, wie sie sich bewegte und wie sie roch erkannte er sofort, dass es sich um eine Frau handelte. Seine anfängliche Euphorie schlug jedoch rasch in Enttäuschung um, als er bemerkte, dass es nur eine Giftstachlerin war. Augenscheinlich war sie noch recht jung und in ihren Augen blitzte die Neugier.[/p]
    [p]Seine Nüstern weiteten sich. Sie war verletzt. Doch ihm war nicht nach Essen zumute. Der Duft des Blutes hatte heute keinerlei Wirkung auf ihn. Zudem hätte er Lahiko nicht mehr unter die Augen treten können, wenn er einen seiner Artgenossen verspeiste.[/p]
    [p]„Hau ab“, sagte Shocai darum nur schroff. Er fühlte sich in Anbetracht ihres jungen Alters und ihres zierlichen Körperbaues absolut überlegen. „Du störst. Es ist Warmwasserzeit, da haben Giftstachler nichts hier im Riff verloren.“[/p]

  • Wie gebannt starrte Astroides auf die Öffnung, durch welche sie einen Blick ins Meer und das darunterliegende Riff erhaschte. Das Schauspiel zog sie wie magisch an und so beobachtete sie die im Mondlicht schimmernden hellen Körper, welche sich, wie in einem Wasserwirbel gefangen, umkreisten. Es erinnerte sie an die Tänze der Giftstachler, bloss in ihren Augen weit weniger anmutig.
    Sie erkannte bald, dass die zierlicheren Shezem die Frauen waren, welche von den grösser und kräftiger gebauten Männern umworben wurden.
    Astroides fand jedoch nicht heraus, an welchen Merkmalen die Sandjägerinnen sich für einen Partner entschieden.
    Die Tanzfertigkeiten der Sandjäger wirkten eingeschränkt und nicht sehr kreativ. Auch trugen sie keine leuchtenden Farben zur Schau, mit welchen sie die Damen hätten beeindrucken können.
    Trotzdem faszinierte sie diese offensichtlich primitive Art der Hochzeit und sie liess sich in die Höhle hineingleiten, um sich dem zweiten Eingang zu nähern. Schliesslich wollte sie Nichts verpassen. So aufregend!


    Sie bemerkte nicht den am Boden verweilenden Sandjäger dem sie längst aufgefallen war.
    Die männliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken und Astroides zuckte erschrocken zurück. Ihre Augen suchten die Höhle ab und blieben an dem im Schatten verborgenen Körper hängen. Eine hakenförmige Schwanzflosse, ein langer, schlanker Körper, kräftige Brustflossen und eine gezackte Rückenflosse gingen fliessend in einen muskulösen menschlichen, ebenfalls silbrigen Körper über. Ein Sandjäger.


    „Hau ab“, sagte er schroff und Astroides konnte nicht anders, als auf seine gefährlichen Zähne zu starren, welche ihre eigenen an Länge übertrumpften und keinen Zweifel daran liessen, wozu er sie üblicherweise nutzte. Im selben Moment überfielen sie Geschichten von Angriffen auf andere Shezem durch Sandjäger wie ein lästiger Mückenschwarm und sie schalt sich für ihre Unvorsichtigkeit. Sein Gesichtsausdruck war Nichtssagend, doch die Stimme strahlte eine unangenehme Überheblichkeit aus. „Du störst. Es ist Warmwasserzeit, da haben Giftstachler nichts hier im Riff verloren.
    Diese Worte dämmten ihre Angst ein und machten vorsichtigem Trotz Platz. Wie er so am Boden lag, fühlte sich die junge Frau nicht bedroht. Aus ihrer Position konnte sie seine Grösse schlecht abschätzen, doch im Ganzen wirkte er auf sie eher harmlos. Die Geschichten waren haltlose Übertreibungen gewesen!
    Trotzdem hatte ihr Körper sich instinktiv auf Abwehr vorbereitet und sich aufgeplustert, so dass ihre Stacheln beinahe an der nicht sehr hohen Decke anstanden.


    Dann fand sie aber ihre Sprache wieder und funkelte ihn abschätzend an. „Wir gehören in dieses Riff wie das Salz in den Ozean, die Perle in die Muschel und die Zähne ins Haimaul!“
    Ein schelmisches Funkeln blitzte in ihren Augen auf, als sie ihn schliesslich von Kopf bis Schwanzflosse musterte. Der Nervenkitzel kribbelte in ihrem ganzen Körper, doch solch ein Abenteuer wollte sie sich nicht entgehen lassen. Welcher Giftstachler konnte schon behaupten, eine Sandjäger Hochzeit aus nächster Nähe beobachten zu können?
    Da wollte sie doch verflixt sein, wenn dieser ungehobelte Kerl sie von hier vertreiben würde.


    „Ich frage mich ja…“, mit scheinbar nachdenklichem Ausdruck wanderte ihr Blick zu den werbenden Shezem, bevor sie widerrum auf ihrem Gegenüber verweilten, wobei ihr auch die Bisswunden an seinem Körper nicht entgingen, „…warum Du Dich in dieser Höhle versteckst, anstatt im Riff draussen zu sein… wo Dir das doch scheinbar so wichtig ist.“

  • „Wir gehören in dieses Riff wie das Salz in den Ozean, die Perle in die Muschel und die Zähne ins Haimaul!“


    Die Giftstachlerin diskutierte mit ihm. Er hatte gedacht, dies wäre eine lästige Eigenheit Lahikos, aber offenbar war sie allen Giftstachlern zu eigen. Shocai drehte sich auf die Seite und stützte sich auf den Ellebogen, als die Giftstachlerin nicht gleich verschwand. Er schob anhand seiner Erkenntnis über diese beiden Exemplare das gesamte Volk in eine gedankliche Schublade mit der Aufschrift 'Nervensägen'. Natürlich, wer zu schwach war, seine Interessen in einer Beißerei durchzusetzen, ließ sich andere Strategien einfallen - im Falle der Giftstachler eben, den Gegner zu Tode zu nerven mit sogenannten Argumenten.


    Shocai merkte nicht, dass er an seinen frischen Bisswunden herumpulte, während er auf der Seite lag und gedankenverloren das Kreisen beobachtete. Die Giftstachlerin vermochte es nicht, seine volle Aufmerksamkeit zu erlangen. Wenigstens wurden auch andere Männer hin und wieder gebissen. Es war schon lustig, obwohl sie so viel größer und stärker waren, erfüllte das warme Wasser sie mit einer hoffnungslosen Verliebtheit, die verhinderte, dass sie sich gegen die Frauen zur Wehr setzten oder sich gewaltsam nahmen, weshalb sie hergekommen waren. Richtig dumm sahen die Männer aus, hoffentlich blickte er nicht genauso dämlich drein, während er hier lag und schmachtete.


    „Ich frage mich ja … warum Du Dich in dieser Höhle versteckst, anstatt im Riff draussen zu sein … wo Dir das doch scheinbar so wichtig ist.“


    Jetzt drehte er den Kopf doch in ihre Richtung.


    Shocai hörte auf, mit den Fingern in den Löchern seiner Wunden herumzubohren und ließ die Hand sinken. Ein paar frische Blutfäden stiegen daraus hervor. "Ganz einfach: Weil es mein Recht ist. Es ist Warmwasserzeit! Für die jetzigen Wochen gehört das Riff uns und zwar uns allein. Ihr habt es das ganze Jahr und könnt bald wieder eure geliebten Schnecken und Borstenwürmer fressen." Seine Mundwinkel hatten sich zur Andeutung eines spöttischen Lächelns ein wenig auseinandergezogen.


    Die Giftstachlerin hatte während des Wortwechsels ihre bunten Flossen ausgebreitet, wie ein gigantischer Schmetterling seine Flügel. Was mochte das nun wieder bedeuten? Lahiko breitete seine Flossen aus und ließ sie zittern, wenn er balzte. War es etwa ihr Ziel, ihm ihre Reize zur Schau zu stellen? Fand sie ihn anziehend? Dann zeigten die Unmengen von fettem Seeaalfleisch, die er in den letzten Wochen verdrückt hatte, bevor ihm der Appetit vergangen war, möglicher Weise endlich ihre Wirkung. Unauffällig betrachtete er seinen Haischwanz. Ja, er war schon ein wenig kräftiger geworden, wenn er sich nicht täuschte.


    Vielleicht wollte die Giftstachlerin aber auch streiten. Wenn sein sogenannter Freund (zumindest bezeichnete Lahiko sich selbst als ein solcher) sich im Streite aufregte, stellte er ebenfalls seine Giftstacheln zur Schau, was Shocai irgendwie amüsant fand. Jemanden, der im Zorn aussah wie ein Schmetterling, den konnte man nicht Ernst nehmen. Lahiko breitete sie allerdings auch dann aus, wenn er kleine Fische jagte und sie damit in Ecken drängte, wo er sie bequem fangen konnte. Das fiel wohl in ihrem Falle auch weg, zumindest wäre es ihm neu, das Giftstachler Sandjäger fraßen.


    Drei Bedeutungen für eine einzige Geste! Typisch Giftstachler!


    Er betrachtete eindringlich ihre aufgestellten Flossen.
    "Was willst du mir damit sagen? Suchst du Balz, Streit oder Jagd?"

  • Was für ein arroganter Dummkopf!
    Behauptete tatsächlich, dass das Riff ihnen gehörte. Wenn es überhaupt einem Bewohner Asamuras gehören würde, und das war zu bezweifeln, denn bloss Nyel war der Beherrscher des Ozeans, dann waren es doch eindeutig die Giftstachler, welchen es zustand sich Besitzer zu nennen. Seit Jahrtausenden lebten sie mitten in den Korallenriffen, welche sie ernährten und welche sie im Gegenzug pflegten und vor zerstörerischen Eindringlingen hüteten.
    Wer achtete sorgsam darauf, jährlich Zählungen der Riffbewohner vorzunehmen, Wasserschneckenplagen im Zaum zu halten, Landgängern bei der Umschiffung zu helfen und verwaiste Delfine aufzuziehen, bis sie ihr eigenes Leben führen konnten? Die Giftstachler!


    Und jetzt sprach dieses Haimaul davon, dass es sein Recht sei, in der Warmwasserzeit das ganze Riff für sich einzunehmen. Astroides begann sich über ihr eigenes Volk zu ärgern, welches sich in Coralys verbarrikadiert hatte. Da war es ja klar, dass sich die Sandjäger wie Schädlinge hier ausbreiteten.
    Denn kaum besser waren sie in ihren Augen; zerstörten sie bei ihrem primitiven Paarungsritual die sorgsam gepflegten Anemonen, zerbrachen bei ihren unkoordinierten Tänzen feingliedrige Korallenformationen und vertrieben wegen ihres schlechten Rufes jedes Lebewesen im Umkreis von mehreren Kilometern.


    Den Satz mit den Borstenwürmern und den Schnecken überhörte sie gefliessentlich, sie brauchte keine weitere Bestätigung, um sich ein Bild über den Kerl zu machen, der sich jetzt wie ein Macho am Boden fläzte. Sie musste zugeben, dass sie tatsächlich auch schon Schnecken gegessen hatte, jedoch die wunderschönen Tierchen meist lieber bestaunte als zu verspeisen. Ihre Vorliebe galt mehr knackigen Krebsen oder fischigen Leckerbissen.
    Doch das würde sie ihm nicht auf die Nase binden.


    Stattdessen machte sie sich zum Gegenangriff bereit. „Du hast meine Frage nicht beantwortet. Warum bist du nicht Teil dieses Zirkus da draussen?
    Sie beobachtete, wie er an seinen noch frischen Bisswunden herumgrübelte und verträumt aus der Öffnung geblickt hatte, bevor er sich ihr zuwandte.
    Sie bemühte sich ihn nicht allzu offensichtlich anzustarren, obwohl sie ihn liebend gerne wie eines ihrer anderen tausend exotischen Fundstücke rundum untersucht hätte. Gerne hätte sie ihn abgetastet. Wie sich seine Haut wohl anfühlte? Wie viele Zähne er wohl besass? Wie schnell konnte er sich mit seiner kräftigen Schwanzflosse durchs Wasser bewegen? Besass er auch versteckte Giftstacheln oder waren vielleicht seine Zähne giftig? Ob das beinahe unsichtbare Muster auf seinem Rücken bei der Balz auch so leuchten konnte, wie es bei den ansehnlichen Männern der Giftstachler der Fall war? Sie wollte gerade damit anfangen, sich analytisch all seine Merkmale einzuprägen, um sie später festhalten zu können oder womöglich gar aufzuzeichnen...


    „Was willst du mir damit sagen? Suchst du Balz, Streit oder Jagd?“, unterbrach er ihren Gedankenfluss.
    Im ersten Moment realisierte Astroides nicht, was mit seinen Worten gemeint war. Als sie jedoch seinen Blick auffing, der an ihren Flossen haftete, funkelte sie ihn wütend an. Tatsächlich hatte ihr Instinkt sie übertölpelt ohne sie vorher um Erlaubnis zu bitte. Möglichst elegant und als wäre dies nicht von Belang, legte sie ihre Flossen wieder näher an den Körper an.
    Tatsächlich überlegte sie kurz, was sie so aufgewühlt hatte.
    Eindeutig die Gefahr, welcher sie sich aussetze. Zudem die Aufregung über das Ereignis draussen, vielleicht eine geringe Erregung bei dem Gedanken an ihre eigene baldige erste Hochzeit. Und dieser aufgeblasene Kerl vor ihrer Nase, welcher sich anmasste zu denken, sie könnte womöglich mit ihm balzen!

    Vielleicht würde er ja gehen, wenn sie ihn dazu aufforderte. Ein Versuch war es zumindest wert. Sein sehnsüchtiger Blick liess darauf schliessen, dass er am liebsten ebenfalls eine der Sandjägerinnen in den Anemonen vernascht hätte.
    „Du kannst ruhig gehen, lass dich von mir nicht aufhalten. Ich werde mir derweilen einen Snack besorgen und beobachten, wie du dich so schlägst“, sie grinste nun, „vielleicht kann ich dir ja auch was mitbringen zur Stärkung. Hmmm…, eine Meeresnacktschnecke? Die sind unglaublich geschmackvoll und man kann sie hinunterschlürfen ohne einen Biss zu tun.“
    Unschuldig lächelte sie ihn mit grossen dunkelblauen Mädchenaugen an und zeigte ihm dabei ihre kleinen, aber dennoch scharfen Zähne.

  • Als sie ihn aufforderte, sich dem Kreisen der Sandjäger anzuschließen, sanken seine Schultern ein Stück hinab und sein selbstgefälliges Grinsen verschwand. Er würde ihr nicht auf die Nase binden, dass die Frauen ihn fortgebissen hatten, oh nein, mit Sicherheit nicht!


    "Ich habe meine Gründe", erwiderte er und zupfte beiläufig ein paar Fransen loser Haut von den Wundrändern. Immerhin faltete die Giftstachlerin ihre bunten Flossen wieder zusammen. Anschließend bot sie ihm ein Stück ihrer zweifelhaften Nahrung an. Meeresnacktschnecken .... nur schlechte Jäger wie Giftstachler waren auf solch minderwertige Nahrung angewiesen, die sich weder wehren noch davonschwimmen konnte. Er selbst ernährte sich vorwiegend von hochgiftigen Stachelrochen. Die er selbst erjagt hatte. Nie käme ihm der Gedanke, seine Nahrung freiwillig mit anderen zu teilen! Wer seine Beute haben wollte, sollte dafür kämpfen und sie sich verdienen.


    Diese Giftstachler und ihre seltsamen Sitten ... jetzt musste er doch wieder ein wenig grinsen. Von Lahiko wusste er, dass das Teilen von Nahrung bedeutete, dass man jemandem einen Gefallen tun wollte. Sie fand ihn anziehend! Wahrscheinlich war das Spreizen der Flossen eine Regung ihres Unterbewusstseins gewesen, weil sie den Wunsch einer innigen Balz mit ihm verspürte. Diese Annahme ließ sich ganz einfach überprüfen.


    "Weichtiere sind nicht so mein Fall", sprach er und grinste so breit, dass sie jeden einzelnen seiner hakenförmigen Zähne sehen musste, die in drei Reihen hintereinander standen. "Aber ich hätte Appetit auf einen größeren Happen." Er stieß sich sacht vom Grund ab und schlängelte sich empor, bis er gänzlich in der Höhle schwebte. "Hast du Lust auf einen Tanz mit dem Tod?" Er legte einen Arm hinter seinen Rücken und verneigte sich, während er sie mit silbernen Raubtieraugen ansah und ihr die andere Hand reichte.

  • Offensichtlich hatten ihre Worte einen wunden Punkt getroffen, denn seine Miene veränderte sich und wurde wieder zu der ausdruckslosen Maske, die wenig von seinen Gedanken preisgab. Was auch immer der Grund war, wieso er sich nicht nach Draussen traute, es musste für ihn schwerlich zu verdauen sein. Womöglich hatte es etwas mit den Bisswunden zu tun, an welchen er abwesend herumzupfte. Hatten ihn die anderen Männer attackiert, um ihr Territorium zu verteidigen?
    Auf jeden Fall wollte Astroides sich diese Reaktion im Kopf behalten, vielleicht würde es ihr später etwas einbringen.
    Auch ihren Snack lehnte er dankend ab, was die Giftstachlerin ihm jedoch nicht verübeln konnte und nicht anders erwartet hatte. Sie hätte sich sehr gewundert, wenn er eifrig zugestimmt hätte, um mit ihr Meeresnacktschnecken zu schlürfen.


    Doch sein weiteres Verhalten überraschte sie, und warf die junge Frau völlig aus der Bahn.
    Ein Grinsen glitt über sein Gesicht, wobei die junge Frau sich gerade noch zurückhalten konnte, nicht erschrocken zurückzuweichen. Diese Zähne!
    Obwohl sie bereits Haifische auf der Jagd im Riff beobachten konnte, hatte sie nicht damit gerechnet, bei dem Sandjäger gleich drei Reihen messerscharfer Beisser aufblitzen zu sehen.


    „Aber ich hätte Appetit auf einen grösseren Happen“, bei diesen Worten blinkte das Alarmlicht in ihrem Kopf auf und signalisierte ihrem Körper, sich zu wappnen. Als er sich auch noch vom Grund abstiess, und in seiner ganzen Grösse vor ihr schwebte, hatten sich ihre Rückenstacheln bereits wieder abwehrbereit wie bei einem aufgeschreckten Kugelfisch abgespreizt, während sie die bunten Brustflossen etwas verkrampft an ihren Körper presste.
    „Hast du Lust auf einen Tanz mit dem Tod?“, seine bedrohlichen Worte passten so gar nicht zu der charmanten Geste, mit welcher er sie scheinbar gekonnt zum Tanz aufforderte.


    Astroides presste misstrauisch die Lippen aufeinander. Ihre korallenroten Augen musterten aufmerksam den Sandjäger, der jetzt plötzlich direkt mit ihr auf einer Höhe schwamm und sie dabei um Haupteslänge überragte.
    Sie gab ungern zu, dass sie von ihm fasziniert war - natürlich bloss auf der Ebene einer interessierten Forscherin, welche gerade ihr neuestes Kleinod entdeckt hatte, versteht sich!
    Sein Körper war schlank, doch nicht so grazil wie der vieler Giftstachler. Stattdessen zeichneten sich die Muskeln unter der silbernen Haut deutlich ab, welche von wenigen Narben durchzogen wurde.
    Sie wandte ihren Blick schnell von der auffälligeren Narbe an seinem Unterbauch ab. Gerne hätte sie ihn weiter unter die Lupe genommen, doch sein durchdringender Raubtierblick erwartete eine Antwort von ihr.
    Astroides musste sich zusammenreissen, um der Versuchung zu widerstehen. Eine bessere Gelegenheit, ihn zu berühren, würde sich wohl kaum ergeben.
    Doch ein angeborener Instinkt hielt sie davon ab und sein in ihren Augen hinterlistiger Blick tat sein Übriges.


    „Ich tanze nicht mit Männern, die mir nicht wenigstens ihren Namen verraten haben“, meinte sie deshalb in einem wie sie hoffte selbstsicheren Tonfall.
    „Ausserdem, wenn ich so deine Verwandtschaft da draussen betrachte, glaube ich kaum, dass du mit den tänzerischen Fertigkeiten der Giftstachler mithalten könntest.
    Ich würde dich ja gerne einladen, mit mir nach Coralys zurückzukehren, um das Schauspiel aus nächster Nähe zu betrachten, so wie ich auch in den Genuss eurer… Balzkünste kommen durfte…“
    , ihr Lächeln war zuckersüss und ihre Brustflossen entspannten sich, wodurch die blaue Farbe wieder zum Vorschein kam, „doch ich bezweifle, dass du den Mut dazu aufbringen würdest.“

  • Einen Moment schien es, als würde sie ernsthaft darüber nachdenken, seine Aufforderung zum Tanze anzunehmen, die er von Lahiko abgeschaut und nun spontan imitiert hatte. Shocai prägte es sich ein, dass diese Geste offenbar dazu geeignet war, die Abwehr von schlecht gelaunten Damen zumindest ins Wanken zu bringen. Vielleicht würde ihm die Erkenntnis irgendwann etwas nützen. Ihm entging nicht dass sie seinen Körper musterte, während er auch den ihren betrachtete. Hatte er Lahiko bisher immer für weibisch gehalten, musste er seine Meinung nun revidieren. Diese Person vor ihm war noch deutlich femininer, ja, in seinen Augen fast mädchenhaft.


    Im Gegensatz zu den starken und schnellen Sandjägerinnen, war dieses Persönchen eindeutig nicht dazu geschaffen, zu kämpfen und zu töten. Vermutlich tat sie stattdessen das Gleiche wie Lahiko und vermutlich alle anderen Giftstachler auch - tagein, tagaus das Riff nach zweifelhaften Leckerbissen und Schätzen zu untersuchen, Schmuck aus Korallen und Muscheln zu basteln, damit herumzuklimpern in der Hoffnung, Komplimente einzuheimsen und, sobald das Wasser mal ein halbes Grad wärmer war als üblich, in Tanzlaune zu kommen und im Licht des Mondes durch das Meer zu wirbeln wie besoffen, die Flossen aufzustellen, alle Fische zu vertreiben und dabei am liebsten die ganze Welt umarmen zu wollen.


    Giftstachler.


    Doch entgegen von Shocais Erwartung nahm sie seine Tanzaufforderung doch nicht an sondern legte in einer schon fast vornehmen Geste ihre blauen Brustflossen an, während ihre Rückenstacheln sich ein wenig aufstellten.


    „Ich tanze nicht mit Männern, die mir nicht wenigstens ihren Namen verraten haben", verkündete sie spitz.


    Er runzelte verwundert die Stirn und gab seine galante Verbeugung auf. Wieso wollte sie seinen Namen wissen? Als ob das irgendeine Rolle spielen würde! "Mein Name ist Shocai" , antwortete er mit einem Schulterzucken. Er verzichtete darauf, sie nach dem ihren zu fragen.


    "Ausserdem", fuhr sie in unverändert hochnäsigem Ton fort, "wenn ich so deine Verwandtschaft da draussen betrachte, glaube ich kaum, dass du mit den tänzerischen Fertigkeiten der Giftstachler mithalten könntest. Ich würde dich ja gerne einladen, mit mir nach Coralys zurückzukehren, um das Schauspiel aus nächster Nähe zu betrachten, so wie ich auch in den Genuss eurer… Balzkünste kommen durfte…“, ihr Lächeln war zuckersüss und ihre Brustflossen entspannten sich, wodurch die blaue Farbe wieder zum Vorschein kam, „doch ich bezweifle, dass du den Mut dazu aufbringen würdest.“


    Er legte den Kopf ein wenig schräg und musterte sie. Sein Gesicht war wie versteinert, um seine Kränkung zu verbergen. Angst vor einer Stadt voll gestreifter Seeigel! Das glich schon fast einer Beleidigung. "Ich habe keine Angst. Vor nichts. Ich bin ein Sandjäger. Was meinst du? Bring mich doch nach Coralys hinein - wenn du den Mut hast. Vielleicht kann ich ja etwas von euren Tanzkünsten lernen."


    Dass Lahiko schon etliche Male vergebens versucht hatte, ihm das Tanzen beizubringen, behielt er für sich. Wobei das Scheitern vor allem daran gelegen hatte, dass Lahiko seine damit einhergehenden Hintergedanken derart deutlich zur Schau gestellt hatte, dass es für Shocai unerträglich gewesen war und er sich geweigert hatte, die zahllosen Tanzaufforderungen auch nur ein einziges Mal anzunehmen. Immerhin hatte er sich die Verneigungen eingeprägt und auch nicht versäumt, einen geheimnisvollen Spruch zu äußern. Eines musste man den Gifstachlern lassen - auf Verführungskünste verstanden sie sich. Vielleicht konnte er ja noch mehr von ihnen lernen? Und von einer Dame wäre es sicher angenehmer, als bei diesem Lüstling in die Lehre zu gehen.


    "So weit ich weiß, sind auch die Giftstachler nicht untätig in dieser Zeit des Jahres. Mich würde doch sehr interessieren, wie eure viel gerühmten Feste und Tänze aussehen - oder ob das alles nur Gerüchte und Angebereien sind."


    Langsam glitt er aus der Höhle. Er nahm nicht den Eingang, zu dem er hineingekrochen war, sondern einen an der Rückseite, um den kreisenden Sandjägern aus dem Weg zu gehen. Dort wartete er, ob die Giftstachlerin ihm folgte.

  • "Ich habe keine Angst. Vor nichts. Ich bin ein Sandjäger. Was meinst du? Bring mich doch nach Coralys hinein - wenn du den Mut hast. Vielleicht kann ich ja etwas von euren Tanzkünsten lernen."
    Einen Moment war Astroides überrascht, doch sie fing sich schnell wieder. Im Grunde hatte sie nicht erwartet, dass der Kerl tatsächlich auf ihre Herausforderung eingehen würde, doch sie hatte ihn womöglich falsch eingeschätzt.
    Anscheinend wollte er wirklich nicht an dem Hochzeitsritual seines Volkes teilnehmen. Sein Gesichtsausdruck schreckte sie davon ab, ihn direkt danach zu fragen, doch innerlich legte sie sich bereits unterschiedlichste Ursachen für sein unerwartetes Verhalten zurecht.
    Vielleicht hatte er eine Geliebte, die er bereits beglückt hatte? Oder er besass eine Geliebte, und sie wurde ihm von einem erfolgreicheren Rivalen weggeschnappt? Dann wäre es natürlich klar, warum er hier sehnsüchtig und missmutig zugleich auf das Schauspiel starrte, wie eine Muräne, die auf der Lauer lag.


    Astroides warf einen prüfenden Blick nach Draussen. In diesem Moment beobachtete sie, wie eine der schlankeren Gestalten nach einem Sandjäger schnappte und er sich schleunigst etwas von ihr entfernte. Daher floss also der Strom!
    Nicht die Männer hatten hier das Sagen, sondern die Damen
    !
    Wie hatte sie das auch übersehen können: Jetzt, wo sie genauer hinschaute, konnte sie erkennen, dass die Männer liebestrunken um die Sandjägerinnen herumscharwenzelten und aussahen, als könnten sie keiner Garnele etwas zu Leide tun.
    Astroides belächelte das Schauspiel. In Coralys waren Männer und Frauen gleichberechtigt und es war in der Regel so, dass beide Geschlechter einander zum Tanze auffordern durften.


    Gerade wollte sie sich mit einem Grinsen zu Shocai umwenden, und ihn auf ihre Erkenntnis aufmerksam machen, doch der Sandjäger schwamm bereits einem der Ausgänge entgegen.
    "So weit ich weiß, sind auch die Giftstachler nicht untätig in dieser Zeit des Jahres. Mich würde doch sehr interessieren, wie eure viel gerühmten Feste und Tänze aussehen - oder ob das alles nur Gerüchte und Angebereien sind."
    Öhm… meint er das wirklich ernst?


    Nur einen Augenblick zögerte die Giftstachlerin, denn wenn sie ihm folgte, würde sie die Haimaulhochzeit verpassen. Doch spannender schien es nicht mehr zu werden...
    Mit einem letzten Blick aus der Höhle schwamm sie Shocai eilig hinterher.
    Der Durchgang war schmal, doch indem sie ihre Brustflossen an den Körper presste gelang es ihr, sich hindurchzuschlängeln. Nicht ganz so elegant, wie sie es gerne gehabt hätte, doch immerhin hatte sie sich dieses Mal keine Schrammen zugezogen.


    Wollte er wirklich mit ihr nach Coralys kommen? Nur weil sie ihn herausgefordert hatte? Oder gab es dafür noch einen weiteren Grund? Und ob er sich bewusst war, dass Sandjäger in der Korallenstadt nicht allzu gern gesehene Gäste waren?
    Allzu sehr waren die Coralyer von negativen Vorurteilen behaftet, welche tatsächlich auch reale Ursprünge hatten. Und gerade in Zeiten der Hochzeit, würde man ihn nicht mit Freundlichkeiten überhäufen. Zum Einen störte sein Rudel gerade den sensiblen Frieden des Riffs, zum anderen wurden in der Stadt tatsächlich ebenfalls Vorbereitungen für Festlichkeiten unternommen.


    Astroides verkniff sich einen Kommentar. Er würde es womöglich bald selbst herausfinden. Sie würde sich den Spas auf jeden Fall nicht verderben!
    „Du schwimmst in die falsche Richtung“, klärte sie ihn deshalb auf, und schwamm seitlich an ihm vorbei los. Das Riff dehnte sich unter ihnen aus, doch Astroides steuerte zielstrebig auf das Atoll zu, in welchem sich Coralys befand. Er würde staunen!
    Jeder, der zum Ersten Mal die Korallenstadt sah, bekam grosse Augen.
    Die Giftstachlerin freute sich auf den Anblick.

  • Eine Zeit lang schwamm Astroides schweigend voran. Sie genoss das Gefühl, einmal ne Art Anführerin zu sein. Mit einem Anflug von Unmut bemerkte sie jedoch auch, dass der Sandjäger durch seinen Körperbau ein weit schnelleres Tempo vorlegen konnte als sie.
    Um sich nicht die Blösse zu geben, hechelnd hinter ihm herzudümpeln, änderte sie ihre Taktik, und gab bewusst eine gemütliche Geschwindigkeit vor. Und sie nahm sich die Zeit, ihn auf besonders schöne Korallenformationen oder die Paarung von Seesternen aufmerksam zu machen. Er schien längst nicht so fasziniert davon zu sein, wie sie selbst, doch das tat ihrer eigenen Freude keinen Abbruch.


    „Schau Dir diese Pharao-Sepia an! Ist es nicht ein Wunder, wie schnell und perfekt sie ihre Tarnfarben der Umgebung anpassen kann?“ oder „diese Schildkröte ist bestimmt schon 100 Jahre alt! Ich weiss ja nicht, ob du in dem Alter noch so knackig bist“, waren nur einige Aussagen, die die Giftstachlerin Shocai immer wieder zuwarf.
    Sie bemerkte gar nicht, welchen Spass sie daran fand mit jemandem ihre Begeisterung teilen zu können. Für die anderen ihres Volkes war das Riff eine alltägliche Gegebenheit, doch diesem Neuling konnte sie bedenkenlos erzählen, was ihr gerade durch den Kopf ging. Dachte sie zumindest.


    Fast unmerklich begann das Riff anzusteigen, der Boden schien sich der Oberfläche anzunähern.
    Astroides bemerkte die ersten Giftstachler, welche sich in den Korallengärten um Pflanzen und Tiere kümmerten.
    Sie machte auch Shocai mit einem Fingerzeig darauf aufmerksam.
    „In diesem Abschnitt des Rings werden Nacktschnecken vermehrt und gepflegt. Bist du hungrig? Wir könnten uns eine Wegverpflegung schnappen“, sie sagte dies in belustigtem Tonfall, denn sie hatte ja bereits gesehen, wie er nur schon bei dem Gedanken das Gesicht verzogen hatte.


    Das Wasser wurde langsam wärmer, als sie sich der Oberfläche näherten. Die Arbeiter blickten zu ihnen hoch, wenn sie über sie hinwegschwammen. Die Älteren runzelten nachdenklich oder gar verärgert die Stirn, die jüngeren hingegen wirkten eher neugierig und fasziniert von dem ungleichen Paar.


    Astroides fühlte sich plötzlich selbstbewusst. Sollten ihre gleichaltrigen Kumpane bloss dumm gucken. Endlich würde sie einmal nicht blöd angemacht werden, sondern konnte stolz ihr Haimaul präsentieren.
    Keiner von diesen Langweilern, die sich nie aus dem Schutz von Coralys wegtrauten hatten wohl je aus dieser Nähe einen Sandjäger gesehen!


    So plusterte sie zufrieden ihre Flossen auf und glitt nun noch gemächlicher in Richtung der Stadt dahin. Zwischendurch warf sie einen prüfenden Blick auf Shocai.
    Ja, er hielt sich gut. Sein schlanker und muskulöser Körper würde wohl einige Giftstachlermädels erröten lassen und die jungen Männer, wenn man sie denn so nennen konnte, würden vor Eifersucht platzen.
    Astroides war zuversichtlich. Glücklichweise war sie selbst nicht so verblendet wie es andere in ihrem Alter oft waren. Für sie zählte nicht reine Muskelmasse. Davon liesse sie sich bestimmt nicht beeindrucken!


    Trotzdem konnte es nicht schaden, Eindruck zu schinden. Vielleicht würden sich dann sogar am grossen Hochzeitsfest die männlichen, gutaussehenden Giftstachler um sie scharen. Sie träumte bereits von einem sinnlichen Tanz, wo sich die leuchtenden Farben ihrer Flossen vermischen würden, als sie in ihren Gedanken unterbrochen wurde.
    Vor ihnen erhoben sich die Felseninseln bis über die Wasseroberfläche hinaus, doch zwischendurch boten Lücken Wege ins Innere des Atolls.

  • Die Giftstachlerin schwamm derart langsam, dass Shocai das Kreuz schmerzte. Von der Langeweile, die er empfand, als sie ihn auf all das (nicht essbare) Getier des Riffes hinwies, ganz zu schweigen. Er würde nie verstehen, was so interessant an einem blöden Seestern war oder einer dummen Koralle. Er unterdrückte ein Gähnen, als sie ihm einen kleinen Tintenfisch zeigte.


    „Schau Dir diese Pharao-Sepia an! Ist es nicht ein Wunder, wie schnell und perfekt sie ihre Tarnfarben der Umgebung anpassen kann?"


    "Jeder blöde Krake kann das genau so gut."


    „Diese Schildkröte ist bestimmt schon 100 Jahre alt! Ich weiss ja nicht, ob du in dem Alter noch so knackig bist.“


    Shocais Ohren wurden dunkelgrau. Hatte sie ihm damit jetzt ein Kompliment gemacht? Hieß das, er war knackig? Er bemerkte die Blicke einiger Giftstachlerinnen, die ihm folgten, aber er hatte Probleme, sie zu deuten. War es ernsthaftes Interesse oder eher Neugier an seiner Andersartigkeit? Morbide Faszination an einem Todbringer?


    "In hundert Jahren bin ich vermutlich tot", entgegnete er schroff. "Die meisten Sandjäger sterben jung. Das ist der Preis für ein Leben voller Abenteuer und Gefahr, das ich führe." Er trug bewusst dick auf, doch seine Worte entsprachen der Wahrheit. "Nur die wenigsten erreichen auch nur das Erwachsenenalter. Mir ist das lieber, als meine Zeit eingepfercht in einem Riff zu verbringen und mich 500 Jahre lang zu Tode zu langweilen."


    Langsam aber sicher näherten sie sich der Stadt. Shocai entdeckte immer mehr Giftstachler, die kopfüber das Riff untersuchten, zwischen Anemonen nach Nahrung wühlten oder vorsichtig mit Korallen bewachsene Steine herauslösten, um sie an einem ihrer Meinung nach geeigneteren Ort wieder einzusetzen. Und Shocai musste, auch wenn es ihm nicht passte, eingestehen, dass er noch nie ein so schönes Riff gesehen hatte. Es war nicht nur Heimat, sondern ein ganzer kunstvoller Unterwassergarten. Rosa Anemonen wogten sanft in der Strömung, Schwärme kleiner silberner Fische glitzerten wie im Meer versunkene Sterne.


    "Ich muss zugeben, es ist recht nett hier", sagte er beiläufig. "Wenn auch nicht so schön wie die Bucht meiner Heimat. Du solltest das Eismeer sehen. Die Kelpwälder, Tangpflanzen so lang wie fünf Riemenfische! Und darin gibt es nicht weniger kleine Viecher als hier, die du alle angucken und untersuchen könntest. Nicht ganz so bunt, aber trotzdem nicht weniger vielfältig. Dort würde es dir gefallen."


    Er entdeckte einen großen Durchgang im Riff, der Vermutlich ins Innere des Atolls führte. Shocai fragte sich, wie es wohl im Inneren aussah. Er glaubte, den Klang von Musik zu hören, ähnlich des Gesangs von Delphinen, doch melodischer. Und stieg ihm da nicht der feine Duft von appetitlichem Fischblut in die Nase? Lahiko hatte, wenn auch selten, kleine Fische gegessen. Womöglich gab es hier ein Festmahl, bei welchem auch für ihn einige Köstlichkeiten abfielen.


    Doch bevor sie ins Innere konnten, mussten sie an zwei äußerst skeptisch dreinblickenden Giftstachler-Wachen vorbei, welche sich zu beiden Seiten des Eingangs postiert hatten. Einer kaute gerade knackend auf einer Krabbe herum, ein paar Beine hingen ihm noch aus dem Mund. Der andere glotzte nur dumm, als seine Artgenossin sich in Begleitung eines Sandjägers der Stadt näherte. Vermutlich bekam er solch einen Anblick nicht alle Tage zu sehen und wusste nun nicht, wie er reagieren sollte.


    Die beiden hatten sich, wie viele andere Giftstachler auch, für das Fest herausgeputzt. Sie trugen mehrere Ketten aus bunten Muscheln um die Hälse, die eine regelrechte Krause bildeten, dazu noch welche um die Handgelenke und den Schwanz, kurz bevor die Flosse begann. Wenn man für derlei Klimbim ein Auge hatte, mochte dieser Schmuck auf den gestreiften Körpern recht hübsch anmuten. Shocai fragte sich, warum seine Begleiterin sich nicht herausgeputzt hatte. Würde sie dies noch tun oder war sie so wie er eher pragmatisch eingestellt?


    In diesem Augenblick entdeckte Shocai einen Rochen. Und nun, da er sich innerlich davon verabschiedet hatte, in absehbarer Zeit mit einer Sandjägerin die Balz vollziehen zu können, meldete sich auch langsam sein Hunger zurück. Er stieß hinab, setzte den Rochen mit raschen, gezielten Bissen in die Flossen außer Gefecht, um dem gefährlichen Giftstachel am Schwanz zu entgehen, ehe er ihm die Wirbelsäule durchbiss. Triumphierend präsentierte er der Giftstachlerin seine Beute.


    "Hast du das gesehen? So macht die Nahrungssuche Spaß!" Er trennte eine der fleischigen Flossen ab und reichte sie ihr. "Lass es dir schmecken. Die letzte normale Mahlzeit vor Coralys!"

  • Tatsächlich lösten seine Worte einen Schwall Träumereien in Astroides aus. Zu gerne würde sie mehr von der Welt sehen, sich von ihrer Neugier leiten lassen und ihre Nase überall hineinstecken. Doch nur wenige Giftstachler unternahmen weite Reisen. Die meisten von ihnen lebten in den Riffen oder an anderen geschützten Orten, und das offene Meer gehörte eindeutig nicht unter diese Bezeichnung. Ausserdem würde sie sich nicht mit jedem Langweiler als Reisegefährten abgeben...
    „Erreichen sie womöglich nicht das Erwachsenenalter, weil sie sich zu oft mit ihren Frauen anlegen?“, sie liess ihren bedeutungsvollen Blick auf seinen frischen Bisswunden verharren.


    Anscheinend schien ihm das Riff dann doch zu gefallen, denn er liess sich sogar zu einem freundlichen Kommentar herab, direkt gefolgt von einer Verherrlichung seiner eigenen bescheidenen Heimat. Astroides wollte sich nichts anmerken lassen, doch nur allzu gerne hätte sie ihn weiter über das Eismeer und die Kelpwälder ausgefragt.
    Gab es dort Oktopusse so gross wie Schiffe? Und Wale, welche ein so mächtiges Maul hatten, dass sie damit ganze Haie verschlucken könnten? Glitzerten dort die Fische oder waren sie alle rabenschwarz, damit man sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte?
    Astroides hatte keine Vorstellung von diesem Ort und malte sich eine dunkle Landschaft aus, in den tiefsten Ecken des Meeres. Und es musste eisig kalt dort sein!
    Sie schauderte bei dem Gedanken.
    „Hast du schon einmal einen Eisberg gesehen?“, fragte sie schliesslich.
    „Und gibt es dort auch Korallen? Habt ihr auch Städte? Warum feiert ihr eure Hochzeit nicht bei euch zu Hause, wenn es dort angeblich so schön sein soll? Und was macht ihr mit den Kindern, wenn ihr alle verreist, jemand muss doch auf sie aufpassen?!“


    Sie passierten den breiten Durchgang und Astroides winkte den beiden Wächtern munter zu. Ihr Anblick erinnerte sie daran, was sie in der ganzen Aufregung vergessen hatte. In der Zeit, als sie nämlich das Riff durchstöberte auf der Suche nach den Muscheln, hatten die anderen sich aufgepeppt. Das müsste sie unbedingt noch nachholen. Doch was sollte sie währenddessen mit dem Haimaul anfangen?


    In diesem Moment passierte etwas äusserst Erschreckendes!
    Shocai stiess sich ab und wie ein Pfeil schlängelte er sich auf einen mächtigen Rochen zu. Dann blitzen Zähne auf, Blut quoll aus Wunden und färbte das Wasser rot. Entsetzt beobachtete die Giftstachlerin das Schauspiel, das innerhalb weniger Sekunden vorbei war. Das Tier hatte den Kampf verloren, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte.
    "Hast du das gesehen? So macht die Nahrungssuche Spaß!"
    Er trennte eine der fleischigen Flossen ab und reichte sie ihr.
    "Lass es dir schmecken. Die letzte normale Mahlzeit vor Coralys!"


    Wortlos starrte Astroides auf die Überbleibsel des sanften Riesen. Wie in Trance nahm sie ihm die Flosse ab. Der Geruch des Todes kroch ihr in Nase und Mund, doch es stiess sie weniger ab, als sie angenommen hätte. Ihr wäre es nie in den Sinn gekommen, einen Rochen zu erlegen. Doch nun, da ihr das Fleisch so freiwillig dargeboten wurde…
    „Das wäre nicht nötig gewesen“, sagte sie etwas abschätzig, „in Coralys gibt es gerade zu den Festen äusserst vielfältige Speisen. Wir hätten bestimmt auch auf weniger dramatische Art und Weise an einen Leckerbissen gelangen können, der dir gemundet hätte.“


    „Doch das arme Wesen soll nicht umsonst gestorben sein“, fügte sie mit einem nahezu gleichgültigen Schulterzucken an und kurz darauf kaute sie scheinbar gelangweilt auf der Flosse herum.
    „Etwas zäh und doch nicht so knackig wie ne frische Krabbe“, kommentierte sie. „Können wir nun weiterschwimmen?“


    Während sich nun der Kern des Atolls vor ihnen entblösste, war Astroides mit ihren Gedanken nicht bei der Sache. Immer wieder spielte sie die Szene vor ihrem Inneren Augen ab, als Shocai den Rochen ausser Gefecht gesetzt hatte. Immerhin war es schnell gegangen und das Tier hatte nicht leiden müssen.
    Wie kannst du nur so denken! Er hat das Lebewesen getötet, obwohl es in der Stadt massenhaft Auswahl an Leckereien gibt. Als nächstes stürzt er sich noch auf die Riffbarsche, die deine Nachbarin in ihrem Anemonengarten hält!


    Doch die Giftstachlerin bekam die Bilder von Shocai nicht mehr aus dem Kopf, wie er sich so elegant und gefährlich wie ein Raubtier bewegt hatte und sie ärgerte sich. Die Szene hatte überhaupt nichts Anregendes an sich gehabt!
    Obwohl er ihr nun zur Genüge bewiesen hatte, wofür seine Zähne zu gebrauchen waren, fürchtete sie sich nicht vor ihm. Er war ein blosser Angeber, mehr nicht!
    Trotzdem kribbelte es auf ihrer Haut unangenehm, als sie voran schwamm und ihn nur allzu deutlich hinter sich wahrnahm.


    Sie büschelte ihre Flossen wieder enger an den Körper. Der letzte Teil des Durchgangs wurde von einem Teppich aus Seegras bedeckt, worin sich kleine Fischchen tummelten, und an den Wänden klebten orange Seesterne. Dann hatten sie plötzlich die Lagune vor sich. Sie war lichtdurchflutet und überall waren rot-weiss gestreifte Farbtupfer zu erkennen, denn die Giftstachler schwaderten geschäftig umher. Auch die Musik war deutlicher geworden und Astroides musste sich zusammenreissen, um nicht bei den süssen Klängen zu tanzen.
    Direkt vor ihnen ging der Hang steiler nach unten, als es ausserhalb der Fall gewesen war.


    Auf den ersten Blick konnte man keine Ordnung in dem ganzen Gewusel feststellen. Überall klebten Anemonen, Korallen, Seesterne, Schnecken krochen ihrer Wege und bunte Fischchen flitzten überall herum. Nunja, sogar die Giftstachlerin musste zugeben, dass Coralys allenthalben etwas chaotisch war.
    „Da wären wir“, meinte sie überflüssigerweise.


    Wie ein mächtiger Krater wirkte das Atoll, welches von Inseln und Felswänden gesäumt war. Sie liess sich etwas hineintreiben und der Boden fiel sofort steil ab. „
    Komm, hier kannst du besser sehen, wo wir wohnen.“
    Von ihrem schwebenden Platz aus erhielt man erst einen Blick auf die unzähligen Höhlen und Einbuchtungen, welche als Wohnstätten der Giftstachler dienten. Viele Eingänge waren mit Seegrasvorhängen verdeckt, doch es gab auch Bewohner, die den freien Blick auf das Atoll genossen und hemmungslos den Einblick in ihr zu Hause gewährten. Schliesslich war man im Kollektiv grossgeworden, so war es nichts Ungewöhnliches, am Leben der anderen teilzuhaben.
    „Dort, bei der Höhle zwischen den Felsspitzen, dort hab ich die rosafarbenen Anemonen angesiedelt! Ah, und dort, wo gerade der dicke Herr rausschaut…, ja, der dem einige Stacheln fehlen, dem musste ich helfen, eine Schlafstätte aus Korallen für seine Muräne anzulegen… Ich glaube, er hält sie als sein Wachfisch. Hat scharfe Zähne das Vieh…“


    Aus den Augenwinkeln sah sie eine Gruppe junger Giftstachlerinnen näher kommen. Sie tuschelten eifrig und hielten direkt auf das ungleiche Paar zu.
    „Hallo Astroides. Ist das dein Freund? Wir wussten gar nicht, dass du einen so erlesenen Geschmack hast. Haben dir unsere Männer nicht mehr ausgereicht?“
    Die gleichaltrigen Mädels kicherten und zwinkerten Shocai kokett zu.
    „Du solltest aufpassen Sandjäger, sie wird dich ihrer Sammlung hinzufügen wollen und in ihrer Höhle einsperren. Doch sobald sie einen einäugigen Wurm oder eine andere Kuriosität findet, wirst du sie langweilen und du wirst dort verrosten…“
    Wütend und ohnmächtig vor Wut und Scham zugleich brachte die junge Giftstachlerin kein Wort heraus. Sie fühlte sich an ihre Kindheit erinnert, als sie immer geplagt wurde wegen ihrer Grösse. Irgendwie hatte sich das nie so ganz gelegt.
    Obwohl ihre Nachbarn sie gerne mochten und ihre Unterwassergärtnerei zu schätzen wussten, hatten vor allem ihre jüngeren Gefährten eine Freude daran, sich über ihren Lebensstil lustig zu machen.
    „Verschwindet, müsst ihr euch nicht noch für das Fest herausputzen?“, fauchte sie schliesslich zurück, obwohl die Giftstachlerinnen sich offensichtlich bereits mit Muschelketten und Bändern geschmückt hatten.
    „Vielleicht will dein Freund ja mit uns kommen. Er würde es bestimmt nicht bereuen!“, sie lächelten Shocai fragend an und breiteten ihre leuchtenden Flossen aufreizend vor ihm aus.

  • „Hast du schon einmal einen Eisberg gesehen?“, fragte sie schliesslich.


    "Eisberge gibt es bei uns im Winter viele", erklärte Shocai. "Manche sind so groß wie Noldils Sündentempel - und auf manchen könntest du ein zweites Obenza errichten. Die meisten kommen von Skallion. Einige junge Sandjäger kommen manchmal auf die Idee, mit Eismagie Skulpturen mit Löchern, Gängen und Wohnhölen daraus zu formen und sich mit ihnen davontreiben zu lassen, wenn die Alten es mal wieder zu bunt treiben." Er warf einen kurzen Blick zu Astroides, ob sie ihm auch gebannt folgte. "Auch ich bin dereinst mit solch einem Eisberg gereist." Dass es ihm bereits nach wenigen Stunden derart kalt geworden war, dass er sich von seinen Begleitern davongestohlen und wieder in die Heimatbucht geschwommen war, verschwieg er. "Aber diese Geschichte erzähle ich dir ein andermal. Sie ist nichts für schwache Gemüter und ich möchte dir nicht die Feierlaune verderben."


    „Und gibt es dort auch Korallen? Habt ihr auch Städte? Warum feiert ihr eure Hochzeit nicht bei euch zu Hause, wenn es dort angeblich so schön sein soll?“


    "Für Korallen ist es im hohen Norden zu kalt, wir haben dafür unser Algenwälder. Warum wir zur Hochzeit in den Süden reisen, erklärt sich ganz einfach damit, dass die Larven hier bessere Bedingungen vorfinden. Im Eismeer ist doch alles ein einziger Kampf, nur die härtesten überleben." Er machte eine kurze Pause. "Außerdem kommt man nur im warmen Wasser richtig in Paarungsstimmung." Dieser Fakt war enorm wichtig und um das zu betonen, runzlte Shocai beim Sprechen die Stirn und machte ein todernstes Gesicht, ehe er fortfuhr.


    "Städte brauchen wir nicht. Wozu auch? Das offene Meer bietet uns alles, was wir wünschen und das, was es uns nicht bietet, nehmen wir uns einfach."


    Doch zu seinem Bedauern interessierte sich Astroides in ihrer Sprunghaftigkeit nicht für weitere brisante Details, sondern sprudelte fort. "Und was macht ihr mit den Kindern, wenn ihr alle verreist, jemand muss doch auf sie aufpassen?!"


    Shocai sah sie befremdlich an. "Wir lassen die Eier und die Larven natürlich hier zurück, wenn wir nach der Paarung wieder in die Heimatgewässer reisen. Würden wir uns um sie kümmern, würde das nur dafür sorgen, dass mehr Schwächlinge überleben - was auch aus logischer Sicht vollkommener Blödsinn wäre, da sie vor ihrer ersten Hochzeit sowieso getötet werden würden und vorher sinnlos alles wegfressen."


    Dann erspähte er den Rochen, tötete ihn und reichte Astroides eine Flosse, die wie eine labberiger Fleischlappen anmutete und den sie etwas abschätzig entgegennahm. Er musste sich ein Grinsen unterdrücken. Vielleicht waren sie sich in manchen Dingen doch ähnlicher, als er gedacht hatte.


    Er folgte ihr hinein in die Stadt, die Wachen ließen sie ohne weiteres passieren, auch wenn sie etwas merkwürdig dreinschauten. Das Innere von Coralys war größer, als Shocai sich jemals vorgestellt hätte. Das Atoll war so groß, dass er wegen der Schwebeteilchen nicht die gegenüberliegende Seite erkennen konnte. Ja, es war kaum die ringförmige Krümmung wahrzunehmen. Und er hatte versucht, Astroides mit ein paar dummen Einsbergen von der Größe Obenzas zu beeindrucken. Wahrscheinlich hatte sie sich innerlich über diesen pathetischen Versuch kaputtgelacht. Sie schwammen ein Stück. Muskik lag im Wasser, die an Walgesang erinnerte, nur sehr viel feiner, vielstimmiger und melodiöser war. Shocai hielt einen Moment inne. Das klang ... schön. Solch wohlklingende Musik hatte er in seinem ganzen Leben noch nie vernommen! Er wollte sich mit seinem Rochen in ein weiches Anemonenbett legen und während des Essens der bezaubernden Melodie lauschen und die Giftstachler beobachten, während sie tanzten. Doch dazu musste er erst den Tanzplatz finden.



    "Du, ähm ..." Wenn er sie nicht bald nach ihrem Namen fragte, würde sie ihm womöglich aus Rache die besten Plätze auf dem Fest verwehren. "Wie war noch gleich dein Name? Ich will mir eure Tänze ansehen. Ich habe einen coralyschen Freund, der stets davon schwärmt."


    Beim Sprechen drückte er absichtlich auf dem Rochen herum, damit seine Armmuskulatur sich rhythmisch spannte. Viel gab es da allerdings leider nicht zu sehen, stellte er zu seinem Missfallen fest und so biss er von dem Rochen ab, um die peinliche Situation zu überspielen. Er schob es gedanklich auf die verweichlichende Arbeit als Reinigungskraft, oder, wie Lahiko ihn dereinst genannt hatte, Putzfrau. So ein Sack. Auf dem Weg durch die Stadt schwärmte die Giftstachlerin. Sie schien ein sehr geschwätziges Persönchen zu sein. Für Shocai war das ungewohnt, aber nicht unangenehm. Ihm war schon des Öfteren aufgefallen, dass Außenstehende die Schweigsamkeit der Sandjäger oft für Desinteresse oder gar Ablehnung hielten. Da kam es ihm nur Recht, wenn sie es war, die verhinderte, dass Gesprächspausen entstanden. Wobei er sich eingestehen musste, dass es ihm große Freude bereitete, seiner Begleiterin von seinen Abenteuern zu erzählen und den fernen Gefilden, die sie noch nie zuvor erblickt hatte und ihr diese in den leuchtendsten Farben auszumalen.


    Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
    „Hallo Astroides. Ist das dein Freund? Wir wussten gar nicht, dass du einen so erlesenen Geschmack hast. Haben dir unsere Männer nicht mehr ausgereicht?“ Die gleichaltrigen Mädels kicherten und zwinkerten Shocai kokett zu. „Du solltest aufpassen Sandjäger, sie wird dich ihrer Sammlung hinzufügen wollen und in ihrer Höhle einsperren. Doch sobald sie einen einäugigen Wurm oder eine andere Kuriosität findet, wirst du sie langweilen und du wirst dort verrosten…“


    Hatte diese Giftstachlerin ihn so eben ... angebalzt? Er drückte seine Begleiterin zur Seite und schwamm nach vorn, um sofort einen Paarungstanz zu beginnen, doch die funkte dazwischen: „Verschwindet, müsst ihr euch nicht noch für das Fest herausputzen?“ Shocai brach seinen Versuch ab und ließ die Flossen hängen. Offenbar war es hier üblich, sich in die Balzangelegenheiten anderer Shezem einzumischen. Doch die andre Giftstachlerin gab nicht auf. „Vielleicht will dein Freund ja mit uns kommen. Er würde es bestimmt nicht bereuen!“, sie lächelten Shocai fragend an und breiteten ihre leuchtenden Flossen aufreizend vor ihm aus. Uns! Sie wollten sich alle mit ihm paaren! Er merkte, wie sein Penis Anstalten machte, sich aus der Hautfalte zu schieben. "Es wäre mir eine Ehre", sagte er mühsam beherrscht. Die von Lahiko abgekupferte Verneigung sah nun deutlich weniger elegant aus als zuvor, doch sie verfehlte nicht ihren Zweck. Die Giftstachlerinen kicherten und warfen seiner ersten Begleiterung boshafte Blicke zu - so als ob sie ihn nur darum mit sich nahmen, um ihr eins auszuwischen. Ihm war es egal. Hauptsache, er konnte sich endlich paaren!


    Und so ließ er zu, dass sie ihn mit sich nahmen. Den Rochen ließ er achtlos fallen, ihm war der Hunger vergangen. Doch anstatt sofort den Paarungstanz einzuleiten und sich mit ihm in die Korallen zu legen, schleiften sie ihn dorthin, wo die Musik herkam - und wollten mit ihm tanzen. Aber nicht auf Sandjägerart, mit kraftvollem Kreisen, um ihm ihre Stärke zu demonstrieren, nein. Sie drehten Spiralen, Pioruetten, als ob es nur darauf ankam, möglichst komplizierte Formen zu vollführen. Nebenbei kokketierten sie frech mit Giftstachlermännern, die deutlich besser als Shocai wussten, wie sie darauf reagieren mussten und mit eleganten Schrauben antworteten. Bei jeder Drehung spreizten sie die Flossen, um sie zwischendurch wieder anzulegen. Wie schwimmende Schmetterlinge.


    Ungläubig betrachtete Shocai die komplizierten Tanzformen. Das zu imitieren war für ihn ein Ding der Unmöglichkeit, nicht nur wegen des Fehlens der großen Flossen. Er kam sich vollkommen fehl am Platz vor. Wenn er so was vollbringen musste, ehe er hier zur Paarung kam, konnte er sich genauso gut wieder mit den Sandjägerinnen anlegen. Missgestimmt legte er sichauf eine große Tischkoralle und beobachtete das Treiben. Die Stimmung war ihm vergangen. Und seinen Rochen hatte er auch verloren, so dass er nicht einmal aus Frust etwas essen konnte. Wo war noch gleich seine Begleiterin ...?

  • Begeistert lauschte Astroides seinen Erzählungen und beglückwünschte sich selbst dafür, den Sandjäger in der Höhle entdeckt zu haben. So würde sie mehr über die fernen Gegenden erfahren als noch durch ihre Fundstücke, welche ihr bereits einen Einblick in das Leben anderer Lebewesen gewährten. Immer wieder schossen ihr neue Fragen durch den Kopf, mit welchen sie den geduldigen Shocai bombardierte.


    „Wie? Ihr überlasst die Kleinen einfach den Gefahren des Meeres?“, entsetzt starrte sie Shocai an, der dies mit völlig ausdrucksloser Miene aussprach.
    "Würden wir uns um sie kümmern, würde das nur dafür sorgen, dass mehr Schwächlinge überleben - was auch aus logischer Sicht vollkommener Blödsinn wäre, da sie vor ihrer ersten Hochzeit sowieso getötet werden würden und vorher sinnlos alles wegfressen."
    Astroides erstarrte bei seinen Worten und einen Moment lang hatte es ihr die Sprache verschlagen.
    Sie war immer eine der Kleinsten gewesen und hatte sich oft nicht gegen die anderen durchsetzen können. Und nun erklärte Shocai ihr scheinbar gefühlskalt, dass sie als Sandjägerin vermutlich den Fischen zum Frass gedient hätte.
    „Also hast du deine erste Hochzeit bereits erfolgreich hinter dir“, murmelte sie, ohne eine Antwort zu erwarten.


    Auch dass es im Norden keine Korallen geben sollte, schockierte die Giftstachlerin. Als er jedoch die Namen von weit entfernten Städten erwähnte und von den Eisbergen erzählte, leuchteten ihre Augen wieder auf.
    „Du kannst Eis formen? Das ist ja toll! Dann sind die Giftstachler und die Sandjäger gar nicht so unterschiedlich. Auch wir formen unsere Wohnstätten nach unserem Belieben!“
    Vor ihrem inneren Auge formte sie bereits selbst einen schwimmenden Eisberg zu einer riesigen Schildkröte heran.
    „Ich wusste gar nicht, dass Sandjäger Magie wirken?“, fragend blickte sie nun zu Shocai hinüber.
    Es war bekannt, dass Giftstachler ihre magische Begabung gerne nutzten, doch anhand der wenigen Erzählungen hatte Astroides angenommen, dass Sandjäger dazu nicht in der Lage wären.


    Sie selbst nutzte ihre Magie nicht übermässig, aber manchmal erwies es sich als praktisch, mit einem Wasserstoss die Beute zu betäuben. Wenn sie Langeweile verspürte, was natürlich äusserst selten der Fall war – das Riff war einfach viel zu interessant, dann spielte sie mit kleinen magischen Wasserfiguren, die sie herumtollen liess. Doch das Wichtigste für die junge Frau war die Luftblasenmalerei. Damit konnte sie faszinierende Erinnerungen festhalten.


    Prompt wandte sie sich zu Shocai um und ihre Gedanken schlugen Purzelbäume. Wenn er wirklich Magie wirken konnte, dann müsste er ihr seine Erinnerungen zeigen! Daran, dass ihr selbst dann noch unzählige Luftblasen zerplatzten, als sie ihre Bilder darauf festhalten wollte, nachdem sie bereits voll fähig war, einfache Seifenblasen herzustellen, wollte sie lieber nicht denken. Zu begeistert war sie von ihrer Idee und wollte sie gerade ungestüm ihrer Begleitung mitteilen, doch zu ihrem Erstaunen stellte in diesem Moment der Sandjäger eine Frage an sie. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er bis anhin kaum etwas von ihr wissen wollte.


    "Du, ähm ...Wie war noch gleich dein Name? Ich will mir eure Tänze ansehen. Ich habe einen coralyschen Freund, der stets davon schwärmt."
    „Von den Höflichkeitsformen der Giftstachler hat dir dein Freund wohl einiges vorenthalten“, antwortete sie in tadelndem Tonfall.
    „Mein Name ist Astroides… Astroides Calycularis. So heisst eigentlich eine Sternkoralle. Wenn du länger hier bleibst, muss ich sie dir unbedingt zeigen! Sie sind orangefarben und meist in Höhlen anzutreffen. Dort bedecken sie Boden, Wände und Decken. Es sieht wunderschön aus“, sie kam ins Schwärmen und vergass darüber beinahe sein eigentliches Anliegen.
    Als er scheinbar gelangweilt von ihrer Rede auf seinem Rochenanteil herumdrückte, stockte sie mit ihren Ausschweifungen.
    Ich darf ihn nicht langweilen! Er soll mir doch noch einige Luftblasen mit seinen Erinnerungen bemalen für meine Sammlung!
    Gerade als sie zu einer Antwort ansetzten wollte, hörte sie die ungeliebte Stimme von ihrer Altersgenossin.


    Ab diesem Augenblick war sie für Shocai nur noch Luft. Sie hätte auch einer der Buntbarsche sein können, die immer einmal wieder ihre Runden durch das Atoll zogen, und hätte nicht weniger Aufmerksamkeit von ihm errungen.
    Trotzdem war die junge Frau davon überzeugt, dass er erkennen würde, dass diese Weiber bloss mit ihm spielen wollten. Doch sie sollte sich irren. Es machte den Mädels Spass, Astroides zu demütigen und da kam ihnen Shocai gerade Recht.
    „Wie kann man nur so verblendet sein“, fauchte sie, als er sich zu ihrem Leidwesen anstandslos von den Giftstachlerinnen abführen liess ohne ihr auch nur noch einen Blick zu schenken.
    „Er scharwenzelt ihnen hinterher wie ein liebestolles Walross!“


    Auf dem Weg in ihre Wohnstätte schimpfte sie aufgebracht vor sich hin. Ihre Nachbarin blickte ihr überrascht hinterher, denn dies war gar nicht üblich für die kleine Giftstachlerin.
    Sogar der ältere Muränenbesitzer bot ihr mit einem Zwinkern seine Unterstützung an: „Wenn du willst, lasse ich meinen Hektor auf den Kerl los, der dich so verärgert hat!“
    Doch Astroides war in Gedanken bereits auf der Tanzfläche. Sie konnte selbst nicht benennen, was sie am meisten verletzte.
    Ist es das arrogante und bösartige Gehabe ihrer Artgenossen? Oder ist es ihre Naivität und dass sie Shocai so falsch eingeschätzt hat? Oder dass er, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, mit den kokettierenden Weibern davongeschwommen ist?
    Vermutlich sah er in ihr auch bloss einen jener Schwächlinge, die bei den Sandjägern bereits vor dem ersten Lebensjahr den Tod fanden.
    Obwohl sie innerlich brodelte, nagten doch Neugier und Stolz an ihr. Schliesslich fasste sie einen Entschluss. Sie wusste genau, wohin die Giftstachlerinnen mit dem Sandjäger geschwommen waren und sie würde sich bestimmt nicht in ihrer Höhle verkriechen. Nein, auch sie würde ihren Spass haben!


    Einige Zeit später erreichte auch Astroides den Ort des Vergnügens. Sofort umhüllte sie der Klang der Musik und ihre Wut fiel wie ein Schleier von ihr ab. Sie liebte es zu tanzen und sich im Einklang mit den Schwingungen der Instrumente und den Strömungen des Ozeans zu bewegen.
    Sie stürzte sich ins Vergnügen und liess sich vom Rhythmus mitziehen. Immer wieder drehte sie Pirouetten und achtete dabei wenig auf ihre Umgebung. Sie wirbelte herum, so dass der Schmuck um ihren Hals, die Handgelenke und an ihrer Schwanzflosse fröhlich klimperte.
    Auch sie trug Muscheln an ihren Armbändern, die sie kunstvoll aus Seegras geflochten hatte, doch dazwischen glitzerten sowohl silberne als auch goldene Münzen und Kupferknöpfe, welche sie in den Schiffsrümpfen gefunden hatte. An der Kette um ihren Hals baumelte ein stumpfes Stück einer dreizackigen Gabel.
    Von den Bewegungen und der allgemeinen Erregung angesteckt, leuchtete ihr Körper in einem satten rot-weissen Streifenmuster und die feinen aneinandergereihten Punkte und Linien verliehen ihrem Gesicht einen filigranen Ausdruck.


    Mit ihren gleitenden Hüftbewegungen erregte sie die Aufmerksamkeit eines männlichen Giftstachlers. Er begann sie mit kräftigen und doch eleganten Figuren zu umwerben. Freudig erwiderte Astroides seine Aufforderung und genoss die maskuline Zuwendung. Immer wieder breitete er seine roten Flossen aus, um ihr zu imponieren.
    Diese Momente waren eine der wenigen Gelegenheiten, an denen sich die junge Frau vollkommen zugehörig fühlte. Die Musik knüpfte ein Band zwischen den Tänzern und jeder, der sich darauf einliess, war willkommen. Natürlich schwammen manche gewagtere Figuren als andere, doch trotzdem durfte jeder an dem Fest teilhaben. Ob es schlussendlich jedoch für einen Paarungstanz ausreichte, dies war eine andere Frage.


    Die Anspannung war von Astroides abgefallen, als sie während einer kühnen Schlaufe einen Blick auf einen silbernen Schemen am Rande der Tanzfläche erhaschte. Zufrieden registrierte sie, dass es sich dabei um den liebestollen Shocai handelte, der wohl doch noch eine Abfuhr erhalten hatte.
    Geschickt gelang es der jungen Frau, sich mit ihrem ausdauernden Tanzpartner ins Gesichtsfeld des Sandjägers zu manövrieren.
    Erst jetzt begann sie auch ihre auffallend dunkelblauen Flossen zur Schau zu stellen, was der männliche Giftstachler mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm. Immer wieder glitten ihre Blicke jedoch zu dem Sandjäger hinüber, der sich auf der Koralle lümmelte. Irgendwann bemerkte auch ihr Tanzpartner das Desinteresse an seiner Gestalt, verbeugte sich in höflicher Giftstachlermanier, um dann eine erfolgversprechendere Partnerin zu umwerben.


    Einem Impuls folgend formte Astroides mit ihrer Magie eine handflächengrosse Wasserfigur, welche sie zu Shocai hinüber schickte. Scheinbar noch immer tanzend beobachtete sie, wie der Sandjäger von der kleinen weiblichen Ausgabe seiner Art mit kräftigen Schwimmzügen umkreist wurde.
    „Soll er doch auch seinen Spass haben“, dachte sich die gedemütigte junge Frau mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen und einem hinterlistigen Funkeln in den dunkelblauen Augen.

  • Mit einem Gesicht, als würde er ihnen allen den sofortigen Tod wünschen, beobachtete Shocai den Tanz der Giftstachler. Er hasste dieses fröhliche Volk. Er wollte es hassen, ihr Gegrinse, das Gedudel, das Gebalze ... aber er merkte, dass es etwas anderes war. Das Gefühl von Sehnsucht, der Wunsch, dazuzugehören. Auch er wollte ein seliges Lächeln auf dem Gesicht haben, sich im Tanze wiegen und die Zeit um sich herum vergessen können - einmal nicht kämpfen müssen, einfach den Augenblick genießen und sei es nur für einen Tag. Von den Sandjägern verschmäht und zu den Giftstachlern konnte er niemals gehören, fühlte er sich hier so falsch wie dort. Am besten war es, wenn er einfach zurück zu Noldils Sündentempel kehrte, den Wischmopp in die Hand nahm und die Taverne von den Überresten der letzten Nacht reinigte, während Zott ihn keifend zur Eile antrieb und mit Lohnstreichung drohte. Das war das Einzige, was er konnte. Deprimiert wollte er sich erheben, da kam eine kleine Wasserfigur angehuscht, eine winzige Sandjägerin, die einen Balztanz um ihn vollführte. Erbost sah er sich nach dem Quell dieses Spottes um.


    Astroides. Natürlich.


    Die ganze Zeit schon hatte er sich darüber geärgert, wie mühelos sie mit den männlichen Giftstachlern anbändeln konnte und ihm dadurch vor Augen hielt, wie wenig sie auf ihn angewiesen war. Dabei hatte sie ihn zuvor noch angebalzt - Shocai war sich sicher, dass sie ihn angebalzt hatte! - und nun? Nicht einmal eine kuriositätensammelnde Gifstachlerin konnte Interesse an ihm finden, nicht einmal als Kuriosität taugte er, so langweilig und durchschnittlich war er! Unterdurchschnittlich!


    "Willst nun auch du mich verhöhnen?", fragte er grimmig. "Nur zu. Mach weiter. Zeig mir einmal mehr, welch Geistes Kind ihr Giftstachler seid - und wie ihr mit Gästen verfahrt, die euren Tänzen nicht genügen." Gern hätte er sie nach Strich und Faden verprügelt und ihr gezeigt, was es hieß, sich mit ihm anzulegen, einem stolzen Sandjäger!



    ... der Karikatur eines stolzen Sandjägers.


    Shocai konnte das alles nicht mehr ertragen. Er fühlte sich so elend und gedemütigt, wie schon lange nicht mehr, stieß sich ab und schwamm davon. Er verließ Coralys, die Musik wurde leiser, bis er nichts mehr hörte als das leise Rauschen des Wassers, dessen Wellenspiel tanzende Vorhänge aus goldenem Licht warf. Er schwamm, ohne sich noch einmal umzublicken. Stundenlang glitt er über den Sand, ehe der Grund im Dunkeln unter ihm verschwand. Shocai blieb an der Oberfläche, er fürchtete das Schwarze Wasser. Und im Gegensatz zu seiner Hinreise war sein Kopf nun frei vom Liebesrausch. Er nahm all die Dunkelheit und Kälte wahr, die von unten aufstieg und nach ihm zu greifen schien, den Ort, wo der Weiße lauerte. Er schwamm noch ein wenig schneller.


    Tage später kam er völlig erschöpft und ausgehungert am Ufer an. Er schwamm ins Flachwasser und verwandelte sich zurück in seine Landwandlergestalt. Auf allen Vieren kroch er auf den Strand und grub seinen grauen Herrenrock aus. Mit schwachen Fingern legte er ihn an. Der Sand klebte überall auf seiner nassen grauen Haut. Es war gerade Nacht und im Wald zirpten die Zikaden. Er wollte ihrem Ruf folgen, um den Weg zum Tempel zu finden, doch er sank noch auf der Düne zusammen und schlief ein.

  • Einige Monde waren vergangen, seit der interessanten Begegnung mit dem Sandjäger. Trotzdem dachte die junge Shezem oft an Shocai, denn allzu kurz war die Zeit gewesen, in der sie Neues über sein Volk und seine Heimat erfahren konnte.


    Als die Erinnerungen an ihn noch frisch waren, hielt sie die Bilder auf ihren magischen Wasserblasen fest. Die meisten Zeichnungen verdeutlichten die Anatomie der Sandjäger und ihre Bewegungsabläufe, doch eine hatte sich auch hineingeschlichen, wo ein verträumter und zugleich stolzer Blick sein Gesicht umwölkte, als er ihr vom nördlichen Eismeer erzählte.
    Inzwischen schaffte sie es nicht mehr, ihre Erinnerungen scharf genug heraufzubeschwören, um sie durch Magie auf die schwebenden Blasen zu bannen.


    Deshalb hatte sie angefangen, sich neue Modelle für ihre Kreativität zu suchen. Und sie wurde nicht enttäuscht. In dem riesigen Riff gab es jenste Kreaturen zu beobachten und erforschen.
    So hatte sich Astroides schnell in eine andere Schöpfung der Götter verliebt – die Tintenfische. Ob Sepien oder Kraken, nichts war vor ihrer Neugier und Faszination sicher. Auch vor Kalmaren hätte sie bestimmt keinen Halt gemacht, doch diese Wesen waren in tieferen Regionen beheimatet, wohin Astroides sich nicht ohne Begleitung hintraute.


    Sie hatte sich sogar einen eigenen kleinen Kraken angeschafft, den sie mit dem stolzen Namen Eldorado betraute. Das schlaue Tier hatte sich sofort in ihrer Wohnhöhle heimisch gefühlt, da es ihm hunderte Versteckmöglichkeiten bot und immer wieder neue Gegenstände dazu kamen, die von ihm abgetastet und erforscht werden konnten.
    Leider hatte er auch Gefallen an der Schnecke gefunden und sie kurzerhand geknackt.
    Obwohl Astroides darüber äusserst betrübt war, hatte sie dem kleinen Goldkerl schnell verziehen, da er sie immer wieder mit seiner Intelligenz überraschte. Er gewöhnte sich so an die Shezem, dass er manchmal seine Tentakeln um ihre Arme oder Schwanzflosse legte und sie ihn auf diese Weise auf ihre Ausflüge mitnehmen konnte.


    So war das Leben weiter vorangeschritten. Gärten und Wohnhöhlen mussten bepflanzt und gepflegt werden, die Muräne Hektor verlangte nach einem neuen Unterschlupf, da er eine Partnerin erhalten hatte und die gleichaltrigen Weiber verloren langsam das Interesse daran, Astroides wegen des geflohenen Sandjägers zu foppen.
    Es sollte jedoch geschehen, dass das beschauliche Leben der jungen Frau aus den Fugen gerissen wurde.


    Der Tag war stürmisch für diese Gegend und die meisten Giftstachler hielten sich in Coralys auf. Nur wenige trotzten den starken Strömungen, die bis auf den Meeresboden zu spüren waren. Astroides war eine von ihnen, denn heute hatte sie ihren freien Tag und wollte ihn keinesfalls ungenutzt verstreichen lassen. Da sie jedoch um die Gefahren der scharfen Felskanten wusste, wenn man nicht vorsichtig genug war, entfernte sie sich weiter von der Stadt, wo der Boden langsam in einen sandigen Grund überging.


    Der Sand wurde von der stürmischen See aufgewirbelt und vernebelte ihr die Sicht. Anstatt sich zu sorgen hielt die lebensfrohe Frau jedoch nur in ihren Bewegungen inne, um sich von der Kraft des Meeres tragen zu lassen. Sie konnte die Kraft des Ozeans spüren und schloss glücklich die Augen. Manchmal sanft wie in einer Wiege, manchmal kräftig wie in einem Orkan wurde sie herumgeschoben. In solchen Momenten wünschte sich sie jemanden, den sie an der Hand halten konnte, und der diese für sie besonderen Augenblicke mit ihr teilen konnte. Oder musste – nicht jeder verkraftete den energischen Seegang und brachte die gleiche Liebe dafür auf, wie Astroides.


    Ganz abgelenkt von ihren Empfindungen bemerkte sie nicht den mächtigen Schiffsrumpf, der über sie hinweg glitt wie ein dunkler Schatten und nicht das dichte Netz, das hinter ihm her geschleift wurde, und bereits viele Meereslebewesen in seinen Fängen gefangen hielt.
    Als ein Schwarm Fische panisch an ihr vorbeizischte, blickte sie ihnen bloss verdutzt hinterher, bevor sie sich umwandte und vor Schreck erstarrte.


    Urplötzlich war sie umgeben von Tieren, die verzweifelt gegen den Sog des Netzes ankämpften. Im nächsten Moment spürte Astroides wie auch sie davon ergriffen wurde. Vergeblich versuchte sie davon zu schwimmen, doch das Schiff bewegte sich schnell und begann nun, seine Beute unbarmherzig einzuziehen. Astroides wurde gegen die Schnüre gepresst und spürte, wie sie in ihre feine Haut einschnitten. Eine ihrer Stacheln brach unter dem Druck eines Meeressäugers ab, der gegen sie gepresst wurde und ein Schmerzlaut kam über ihre Lippen.
    Um sie herum hatten sich kleinere Haie verfangen und auch eine Schildkröte hing leblos daneben. Immer mehr Fische fielen in ganzen Schwärmen der Falle zum Opfer.


    Astroides zerrte an den Schnüren, und begann dann ängstlich nach Luft zu schnappen, als das Gewicht der anderen Gefangenen sie zu erdrücken drohte.
    Als sie die Oberfläche durchbrachen, war die Shezem einer Ohnmacht nahe und in Todesangst wand sie sich.
    Nur wenige Male hatte sie ihren Kopf aus dem Wasser gestreckt, doch niemals hatte sie es verlassen. Nun wurde die Tochter des Meeres ihm gewaltsam entrissen. In flimmernden Bildern erkannte sie das Schiff und die Männer, welche darauf herum rannten und sich Befehle zuriefen. Sie konnte sehen, wie der Wind an den Segeln zerrte.
    Für einen klaren Gedanken war sie nicht mehr fähig und als sie mit den anderen Unglücklichen auf die nassen Planken klatschte, schwand ihr Bewusstsein. Dunkelheit umhüllte sie.

  • FLA-TA-TA-TA-TATSCH.


    Der Inhalt des Schleppnetzes ergoss sich zappelnd an Deck. Shocai war in Landwandlergestalt, trug seinen üblichen Rock und dazu ein blau kariertes Geschirrtuch wie ein Piratenkopftuch. Er watete in der herumglibbernden und hüpfenden Masse an Leibern herum und begann sie zu sortieren. Der hohe Seegang ließ ihn immer wieder straucheln. Doch er war geübt, in rascher Folge warf er die Tiere des Meeres in die bereitstehenden Körbe. Aus seinem Mund hing die Schwanzflosse einer Sardine, auf der er nebenbei herumkaute. Die anderen Billiglöhner der Handelsallianz halfen ihm beim Sortieren. Die ganz großen Fänge, wie einen Delphin, bestaunte und lobte man, ehe man sie nebeneinander am Schwanz aufhing und mit durchschnittener Kehle ausbluten ließ. Ein guter Teil der Kreaturen, wie Quallen oder andere, die niemandem schmeckten, landete tot oder verletzt wieder im Wasser. Kreischende Möwen stürzten sich darauf und ein Schwarm kleiner Haie nahm sich, was die Vögel nicht von der Oberfläche picken konnten.


    Während Shocai und die anderen arbeiteten, räkelte Lahiko sich wie eine Galeonsfigur am Bug des Kutters, lächelte freundlich und machte nicht einen Finger krumm. Über den Himmel zogen schwere, graue Wolken und ein kühler Wind pfiff. Shocai fand die frische Brise angenehm. Die drückende Mittagshitze zuvor, deren Sonne ihn dazu gebracht hatte, seinen karierten Kopfputz aufzusetzen, war unerträglich gewesen. Auch jetzt war es trotz des Windes noch schwül und drückend, bald würde es ein Unwetter geben. Ihn brauchte das nicht zu kümmern, konnte er doch einfach unter die Meeresoberfläche fliehen, doch sein Arbeit- und Geldgeber befand sich an Bord, so dass er besorgt die graue Stirn runzelte. Er beeilte sich mit dem Sortieren des Fangs. Eine Großgarnele warf er Lahiko zu, der sie lässig mit einer Hand fing, aufknackte und sogleich zu verspeisen begann. Er selbst schob sich eine weitere Sardine in den Mund, während er sich mit beiden Händen durch die zappelnde Masse wühlte. Hier war wieder irgendwas großes, noch ein Delphin. Er grub den Körper frei. Eine orange-weiß gestreifte Gestalt kam anstelle des erwarteten Meeressäugers zum Vorschein. Astroides. Scheiße.


    "Lahiko, schau dir das an!"
    "Bei Nyel, ein Leichnam!"
    "Idiot! Sie lebt! Irgendwas muss man doch jetzt machen!"
    "Herz-Kiemen-Wiederbelebung!"
    "Dann mach das! Schnell, los!"
    "Das kann ich nicht! Wir brauchen Hilfe! Kapitäään!"
    Behäbig kam der naridische Almane mit dem von Federn überquellenden Dreispitz näher. Er beuäugte die bewusstlose Giftstachlerin. "Was haben wir denn hier für einen Fang?"
    "Sie braucht Hilfe!"
    "Unfug. Sie braucht einen Käufer!"
    Der Kapitän pfiff und sogleich wurde Astroides in ein mit Wasser gefülltes Großraumfass gesteckt, das mit einem Deckel abgedichtet wurde.


    Bevor der Sturm hereinbrach, erreichte der Kutter Obenza. Die Fische wurden zu den Händlern gebracht, das Fass mit Astroides wurde von Shocai zum Sündentempel gerollt, während Lahiko gestikulierend nebenherlief. Sie hatten die Aufgabe, einen möglichst hohen Preis zu erzielen. Beide hatten keine Ahnung, wie man so etwas anstellte - oder was sie jetzt überhaupt tun sollten.

  • Astroides riss die Augen auf, als sie unsanft von den Seeleuten in ein Fass mit Meerwasser geworfen wurde. Bevor sie richtig realisierte, was passierte, wurde auch schon der Deckel aufgenagelt und die Lichtquelle versiegte. Ihr Leib wurde unbequem zusammengequetscht und der Platz reichte nicht einmal aus, dass sie ihre Arme zur Seite ausstrecken konnte.
    Die junge Shezem war in einer Schockstarre gefangen und atmete nur flach, während ihr Herz zu rasen schien. Was war geschehen?
    Sie versuchte die Einzelheiten auszumachen, doch sie konnte bloss einzelne Bilder heraufbeschwören: Der sandige Grund, der unter den Wellen aufgewirbelt wurde. Die panischen Fische. Das Netz, das plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht war. Das Gefühl, als würden ihre Lungen bersten. Der Schiffsrumpf, der sich wie ein gefrässiges Tier über ihr erhob. Dann die erlösende Dunkelheit.


    Sie mussten sich noch auf dem Meer befinden, denn das Wasser wurde mit jeder Welle um sie herumgewirbelt, während sie darin wie eine Sardine herumhüpfte. Sie zuckte schmerzlich zusammen, als eine ihrer Stacheln abbrach. Fortan versuchte sie sich mit dem Bauch gegen die Wand zu pressen, um ihre Giftstacheln zu schützen, was ihr jedoch aus Platzmangel nur bedingt gelang.
    Endlich beruhigte sich das Schaukeln und das Tosen des Sturms wurde leiser, als das Schiff in den Hafen einfuhr. Astroides konnte Stimmen vernehmen, welche sich in fremder Zunge untereinander verständigten und durch das Wasser und die Wand des Fasses seltsam gedämpft klangen.


    Gleich würde man sie hier rausholen. Das konnte doch nur ein Missverständnis sein!
    Was wollten diese Fischfänger schon mit einer Shezem anfangen?
    Dann erinnerte sie sich an Geschichten, die erzählten, wie ihr Volk wegen ihrer Stacheln gejagt wurde.
    Astroides war irritiert. Wenn dem so wäre, machten die ihren Fang ja gerade zunichte, denn lange würden ihre giftigen Waffen nicht mehr Stand halten, bevor sie zerbrachen.


    Auch der Sauerstoff im Wasser wurde immer notdürftiger und mit jedem Kiemenzug konnte sie den abgestandenen Geschmack warhnehmen, der von dem ranzigen Fass noch verstärkt wurde.
    „Halloooo, ich will hier raauus!“, begann Astroides nun plötzlich wie von Sinnen zu rufen. Verzweifelt klopfte sie mit ihren Händen gegen Wände und Deckel, stemmte sich gar dagegen.
    Im nächsten Moment begann das Fass plötzlich zu wackeln und mit einem heftigen Schwung wurde es zur Seite gekehrt.
    Astroides schrie erschrocken auf und spürte im nächsten Augenblick wie sie weitere Giftstacheln verlor. Ein Blutrinnsal breitete sich im Fass aus, so nah an ihrem Leib waren die Stacheln abgebrochen.


    Ein verängstigtes Wimmern verhallte ungehört, dann wurde das Fass losgerollt. Astroides wurde herumgeschüttelt, bis von ihrem Volksnamen nur noch ein paar stumpfe Überbleibsel erzählten.
    Irgendwann hörte das Gerumpel auf. Benommen hatte sich die Shezem zusammengeringelt, so gut es ihr möglich war, um sich zu schützen.
    Langsam löste sie sich aus ihrer Umklammerung, als sie von Draussen Stimmen hörte. Im Wasser waren ihre Tränen unsichtbar.


    Während draussen diskutiert wurde, raffte Astroides tastend ihre abgebrochenen Stacheln zusammen und umklammerte sie mit ihrer rechten Hand, bis die Fingerknöchel weiss hervortraten. Ihr Körper war übersät von Kratzern, die von der rauen Fasswand herrührten und ihre Schwanzflosse war taub von der gebogenen Haltung, in die sie gezwängt war.
    Doch noch war ihr Wille nicht gebrochen. Sie sammelte ihre magischen Kräfte, um den Moment abzuwarten, bis jemand das Fass öffnete.
    Wer auch immer das sein sollte, würde eine geballte Faust Meerwasser hart wie ein Eisklumpen mit voller Wucht abbekommen und dann würde sie ihm die Giftstacheln ins Fleisch rammen, auf dass er daran elendig verende.

  • Sie rollten das Fass die Rampe zum Sündentempel hinauf. Eine Gruppe beladener Ochsen brachten gerade neue Vorräte in den Lagerraum. Sie folgten ihnen ins Innere. Shocai hatte keine Ahnung, wohin zum Blobfisch er mit dem Fang überhaupt sollte! Sein Blick huschte für einen Moment in Richtung des Eingangs zur Kantine. Das war vielleicht doch etwas brachial für die Verhältnisse außerhalb des Eismeeres. Kannibalismus war hier leider kein Bestandteil des Kulturgutes. Sein Blick glitt weiter in Richtung der Treppe, die zum Freudenhaus hinaufführte. Nein. Irgendetwas in ihm wollte das nicht, auch wenn sie dort mit der hübschen Giftstachlerin sicher gutes Geld hätten machen können.


    "Und jetzt?"
    "Woher soll ich das wissen? Irgendwer wird sie uns schon abkaufen. Vielleicht können wir sie ja einfach öffentlich versteigern."


    Shocai fühlte sich unwohl bei dem Gedanken. Sie konnten doch nicht einfach jemanden seiner Freiheit berauben und dann versteigern wie einen Sklaven, nur weil der Kapitän das anordnete! Stand dies überhaupt im Einklang mit den Gesetzen hier? Aber Lahiko hingegen schien das alles sehr locker zu sehen, also würde es schon seine Richtigkeit haben. Shocai war dennoch unsicher. Astroides war ziemlich gemein zu ihm gewesen. Sie hatte seinen sandjägerischen Stolz gekränkt! Eigentlich hatte er ihr ja den Norden zeigen wollen, die schwimmenden Eisstädte von Skille, doch nun ... Nachdenklich betrachtete er das Fass, in dem es leise rumorte. Vielleicht konnte er ihr ja zumindest einen Denkzettel verpassen. Genau, das war ein Plan. Er würde sie verkaufen, das Geld einstreichen und sie hinterher wieder befreien! Zwei Fische mit einem Kescher! Dann würde sie erkennen, was für ein mutiger Sandjäger er war und ihn nicht mehr für ein paar blöde schmetterlingsflossige Giftstachlerheringe hängen lassen! Er tuschelte Lahiko sein Vorhaben ins Ohr. Natürlich durfte die gefangene Dame nicht wissen, dass die folgende Inszenierung eingefädelt war und so versteckte Shocai sich im Garten bei einer Sitzgruppe hinter einem mit Zimmerpflanzen bewachsenen Raumtrenner und lugte durch das geflochtene Holzgitter. Lahiko rollte derweile das Fass in die Mitte der Wiese, dort wo man ihn von den Biertischgarnituren aus gut sehen und hören konnte.


    "Giftstachlerin zu verkaufen!", rief er vergnügt und riss den Deckel auf. Im nächsten Moment krachte ein geballter Wasserstrahl in sein Gesicht und er stürzte rücklings ins Gras, den Deckel noch in den Händen. Betäubt schielte er den Himmel an.

  • Das Fass wankte gefährlich ab der Wucht der Magie, sodass Astroides sich am Rand festklammerte, als sie das viele Gras bemerkte, das so gar nicht wie Seetang anmutete.
    Ach du alter Backfisch, wo war das Meer abgeblieben?!
    Auch von den Schiffen war keines mehr in Sicht, stattdessen befand sie sich im Innenhof eines riesigen Gebäudes aus weissem und rosafarbenem Marmor.
    Einen Moment vergass sie ihre Angst und Faszination machte sich in ihren Augen breit.
    Als sie jedoch ein unterdrücktes Stöhnen ganz in der Nähe vernahm, erwachte sie in der Realität wieder.


    Plötzlich bemerkte sie auch die vielen Gestalten, die auf Bänken herumlümmelten und nun zu ihr hinüberstarrten. Einige waren aufgestanden, und kamen nun interessiert näher, während andere sich vor Lachen noch immer die Bäuche hielten - ziemlich dicke Bäuche, wenn man denn so wollte.
    Allgemein herrschte ein reges Treiben. Weibchen und Männchen gingen Arm in Arm und schäkerten miteinander, kleine grüne Wesen hämmerten und schraubten eifrig an einer seltsamen Konstruktion herum, in der Nähe sprudelte eine Wasserfontäne aus einem ziemlich flachen Becken und irgendwo gab ein gehörntes Tier ein seltsam klingendes Geräusch von sich, so dass sich der Shezem die Stacheln aufgestellt hätten, wären sie nicht samt und sonders zerbrochen.


    Vorsichtig schob sie sich etwas höher und spähte über den Rand des Fasses hinweg. Es fühlte sich seltsam an und irgendwie falsch ohne das Meer um sich herum zu wissen.
    Was sie sah, verwirrte sie jedoch gleich noch mehr. Eigentlich hatte sie vermutet, ihren Peiniger zu erkennen, doch ihre Wut hatte wohl den Falschen getroffen. Der Mann, der sich gerade in eine sitzende Lage aufrichtete, war eindeutig ein Giftstachler, auch wenn er zwei Beine hatte, wie die Landgänger.
    Er wollte sie retten! Nyel hatte ihr einen Prinzen geschickt!
    Freudige Erregung breitete sich in ihr aus, und wischte sogar das schlechte Gewissen fort, weil er ungerechterweise den Schlag ihrer Magie abbekommen hatte.


    Sie wollte gerade einen Versuch wagen, ihn anzusprechen, da traten zwei Landgänger zu ihnen heran. Sofort tauchte Astroides in ihr schützendes Fass hinab, um ihre Schmach vor den gierigen Blicken zu verbergen.
    Die Kerle trauten sich auch nicht näher heran, denn sie hatten mitangesehen, was Lahiko bei dem Unterfangen zugestossen war.
    „Er wird mich retten. Er beschützt mich. Er ist einer wie ich. Nyel hat ihn mir geschickt. Er befreit mich und bringt mich zurück nach Hause“, während Astroides ihr Mantra aufsagte, begannen die beiden Kaufleute mit Lahiko zu diskutieren.


    Astroides verstand kein Wort, denn sie war den Landessprachen nicht mächtig. So konnte sie auch nicht wissen, dass die Männer nahe daran waren, ihre Diskussion auf ein Gerangel zu verlegen, als sich ihr Gespräch auf den Wert der beschädigten Ware verlegte. Beide versuchten sie den Preis herunterzudrücken und sich trotzdem gegenseitig zu übertrumpfen.
    Langsam sammelte sich eine Zuschauermenge um das Fass herum an, der Kreis zog sich enger und immer wieder schaukelte Astroides Zufluchtsort bedrohlich, wenn jemand mit dem Ellbogen dagegen stiess.