Der Mentor -- Jeelen

  • Der Mentor


    Ich weiß durch meine Tätigkeit Dinge die manche nicht wissen wollen. Ein mordender Psychopath hat nichts mit dem klassischen „der Mörder ist immer der Gärtner“ zu tun.


    Er ist weder ein bewaffneter Straßenräuber, der seine Armbrust auf einen unglückseligen Reisenden richtet, noch ein Mann der seinem Kreditgeber den Schädel wegbläst aufgrund von Wucherzinsen. Er ist auch nicht der gehörnte Ehemann, der seine Frau rittlings auf dem Liebhaber erdolcht.


    Psychopathen werden nicht durch Liebe, Angst, Wut oder Hass angetrieben. Solche Gefühle kennen sie nicht. Glaube mir, sie fühlen meist überhaupt nichts.


    Sie werden oft verwechselt mit all jenen Massenmördern, die aus einem Trieb heraus oder sexuellem Verlangen töten. Ein Psychopath unterscheidet sich von anderen Mördern dadurch, dass ihn alles unberührt lässt. Das Leben wie der Tod seiner Opfer.


    Psychopathen können durchaus vortäuschen Gefühle zu haben. Sie heucheln Zuneigung, Freundschaft, eventuell Liebe und Sorge, sie ahmen Gefühle täuschend echt nach, um sich unauffällig unter uns bewegen und Beute schlagen zu können.


    Nach einem Mord geht es auf zu neuen Abenteuern, zu noch größerer Spannung, noch mehr Spiel mit noch mehr Spaß - ohne Grenzen und ohne Einschränkungen. Tabus gibt es in ihrem Schädel nicht.


    Ich muss es wissen, denn ich wurde von einem Psychopathen ausgebildet...


    ****


    An einem Wochenend-Nachmittag wartete Aino in meinem kleinen Quartier auf mich, nachdem ich den ganzen Tag Botengänge und Besorgungen erledigt hatte. Sie wirkte ernst – fast feierlich.


    „Weißt Du was ein Mittelsmann ist Fledermausohr?“, fragte sie mich.
    „Natürlich, jedenfalls was man generell darunter versteht“, antwortete ich.
    „Nun dann sieh mich ab heute auch als Deinen Mittelsmann. Deine Kontaktperson, jemand der Dir Aufträge vermittelt. Du verstehst?“, hakte sie nach.


    Ich nickte, blickte sie unverwandt an und wartete ab.


    „Ich wie auch andere Bandenführer werden von gewissen Leuten, gewissen Stellen angeheuert, um jemanden beseitigen zu lassen. Sie geben uns den Namen der Zielperson. Mein Job ist es, den Auftrag an meinen Profi weiterzugeben. Der Profi lernt den Kunden nie kennen. Darin besteht mein Job. Du kennst unsere Arbeit, dennoch muss ich das fragen. Hast Du das verstanden?“, hakte sie erneut nach.


    „Ja“, antwortete ich, mehr war nicht nötig, sie brauchte nur diese Bestätigung.
    „Gut Jeelen“, antwortete sie.


    „Aber ich bin kein Profi Aino. Nicht mal Anfänger. Ich habe so einen Job noch nie erledigt, wie soll ich das hinbekommen? Wie finde ich die Person die ich umbringen soll? Sagt man mir vorher wo die sich rumtreibt und ich sie gut erwischen kann? Wie soll ich einen Auftrag in einer Menge erledigen? Mir fallen tausend Fragen ein. Personen die man selbst gerne tot sehen möchte, kennt leider viel zu gut. Von daher muss man sich solche Fragen nicht stellen“, sagte ich.


    „Noch bist Du kein Profi Jeel. Du bist ab heute ein Welpe! Ein Auszubildender. Dein Leitwolf, also Dein Lehrer wird Dir alles beibringen was Du wissen musst. Und solche Fragen stellst Du ihm. Er wird sie Dir beantworten.


    Du bist… wie soll ich das nennen… im Moment die Zweitbesetzung, wie im Theater. Du lernst die Rolle mit und bist im Ernstfall bereit Deinem Leitwolf helfend zur Seite zu stehen.


    Bezahlt werden wir nur, wenn Ihr Erfolgt habt. Ergo werdet Ihr beide auch nur Gold verdienen, wenn Ihr erfolgreich seid. Dazu gleich mehr. Und sobald wir das erste Mal bezahlt wurden für einen Sonderauftrag den Du allein erledigt hast, ohne jegliche Hilfe und ohne Deinen Leitwolf, dann Jeelen bist Du ein Profi“, lachte sie und etwas Anspannung fiel von ihr ab.


    „Frage – Was wenn ich keine Lust habe, ein solcher Profi zu werden? Oder schlimmer noch, den Anforderungen nicht gewachsen bin und versage?“, fragte ich ehrlich heraus.


    Aino räusperte sich, hielt sich die Faust vor den Mund und ihr Lächeln verschwand.


    „Dal hat Dir einen freien Willen gegeben. Ich habe nicht vor, ihn Dir zu nehmen Jeelen. Du kannst auch ein Leben lang unser Laufbursche bleiben. Aber ich habe in Deine Augen gesehen. Ich habe Deine Kindheit gesehen, ich habe Deine Ausbildung gesehen, Deine Arbeit gesehen. Ich habe gesehen wie Du die Fäuste ballst, wenn jemand ungerecht behandelt wird, jedenfalls nach Deinen Maßstäben. Und ich habe Deine Strafen gesehen die erfolgten, wenn Du so eine Person erwischt hast…


    Du bist ein Mörder. Ein, wie sagt man doch gleich, ein geborener Meuchler. Du tust es nicht aus Lust oder zur Befriedigung, Du tust es aus einem Gefühl von Notwendigkeit und Gerechtigkeit heraus. Aber diese vollstreckst Du vollkommen, extrem brutal und unwiderruflich“, erklärte sie leise.


    Da war ein Geräusch in meinen Ohren und ich wusste nicht genau, ob es Angst war oder die Tatsache, dass ich soeben aus dem Mund meiner Anführerin in meinem Schlafzimmer die Wahrheit meines Wesen absolut ehrlich gehört hatte.


    „Pavo hat etwas in Dir gesehen. Eine Qualität. Er hat sie instinktiv erkannt. Nach nur einer einzigen Unterhaltung mit Dir war er sicher, dass Du das Zeug dazu hast“, sagte Aino.


    „Pavo ist Arzt, er ist unser Heiler. Er versorgt unsere Verletzungen, hilft bei Erkrankungen. Ich habe ihm heute noch Kräuter für Salben besorgt und Tiegel. Du meinst doch unseren Pavo oder? Er... ich meine er ist ein Auftragsmörder?“, fragte ich.


    Sie musterte mich einen Moment lang mit prüfendem, fast belustigtem Blick.


    „Wer könnte besser töten als ein Arzt Jeelen? Pavo muss sein Wissen nur umdrehen. Anstatt jemanden zu retten, wird sein Wissen die Person in dem Fall vernichten. Er ist nicht nur unser Arzt, er ist auch unser Giftmischer, geachtetes Familienmitglied der Geister und oft auch mein persönlicher Ratgeber.


    Ich habe so ein Gefühl, dass wir Dich so oder so auf unsere Weise gefunden hätten – egal welchen Weg Du eingeschlagen hättest Jeelen.


    Es gibt eine Dimension des Schicksals. Es lässt sich bestimmte Wege kreuzen, ohne das wir verstehen warum. Es finden immer die Seelen zusammen, die zusammen gehören Jeelen“, sagte sie mit nicht zu deutender Stimme. Sie machte eine alles umfassende Handbewegung und wirkte auf einmal bekümmert. Ich ging zu ihr rüber und hockte mich neben sie auf das Bett.


    "Das ist eine schöne Aussage Aino", antwortete ich ihr ehrlich.


    "Möchtest Du ein Familienmitglied der Geister werden Jeel?", fragte Aino erwartungsvoll und reichte mir ein geschnürtes Päckchen. Der Inhalt war einen Stapel gebundener Blätter, eine Schreibfeder und ein Tintenfass.
    "Sehr gerne", grinste ich sie an und nahm das Päckchen entgegen.


    Sie musterte mich lächelnd, bevor sie aufstand und sich zur Tür wandte.


    "Komm, wir wollen Deinen Leitwolf nicht warten lassen Welpe", antwortete die Almanin.


    ****


    Selbstverständlich kannte ich die Gruppe der Geister, ich arbeitete für sie und hatte freie Kost und Logis. Wer mein Leitwolf werden sollte, dass wusste ich nicht. Eigentlich verstand ich mich mit allen aus der Gruppe gut. Mit einigen hatte ich mehr, mit anderen weniger zu tun. Das liegt in der Natur der Sache.


    Trotzdem hoffte ich auf Gasmi oder Lydia. Gas war schräger Düsterling, den man einfach gern haben musste. Gasmi war niemals geizig und ließ manchmal sogar Trinkgeld springen. Und Lydia gefiel mir einfach, wir verstanden uns super. Pavo würde mich nicht ausbilden, ich bin zwar nicht dumm, aber das Zeug zu einem Arzt, das habe ich garantiert nicht. Zwischen seinem Grips und meinem liegen ganze Welten.


    Aino führte mich Schnurrstracks in Jozo Quartier.
    Jozo, der dritte Goblin neben mir und Pavo in der Gruppe der Geister.


    Jozo war quittegelb und wurde von einem dunkelgrünen, natürlichen Muster geschmückt. Das seltsame Muster zog sich von seinem Schädel über seinen Nacken und den ganzen Rücken entlang herunter.


    Selbst in seinem Gesicht zog es sich bis zu seinen Schläfen und zu seinen Wangen hin. Seine Zeichnung ließ Jozo aussehen, als hätte er gelbe Punkte in unterschiedlichen Größen. Sein Kinn und seine Nase waren extrem spitz. Seine Lippen waren dunkel, genau wie seine Augen. Dafür waren seine spitzen Ohren ein ganzes Stück kürzer als meine.


    Und Jo war zudem ein Stück kleiner als ich. Allerdings spielt Größe in diesem Job keine Rolle. Jozo war gefährlicher als eine Viper und soweit ich wusste, genauso schnell.


    Jo musterte uns beide freundlich.


    "Na Du? Ich habe einen Welpen für Dich", verkündete Aino.
    "Einen Hundewelpen? Hat der Kurze ihn versteckt? Was denn für eine Rasse?", fragte er hoffnungsvoll und seine Ohren zuckten als er mich mit stechendem Blick musterte. Das fing ja schon mal gut an, schoss es mir durch den Kopf.


    "Nein, einen Schüler - so einen Welpen. Ich traue Dir die Ausbildung und Beurteilung von Jeelen zu. Bilde das Fledermausohr anständig aus", erklärte Aino freundlich und schob mich ein Stück auf Jozo zu.


    "Alles klar. Und weshalb wurde ausgerechnet mir die Ehre zu Teil, ein Küken rumschleppen zu dürfen? Wieso nicht Gasmi?", hakte der gelbe Goblin nach.
    "Weil Ihr Euch hervorragend ergänzen werdet", gab Aino unverwandt zurück.
    "Schön. Was sage ich, ich bin erfüllt von nie versiegender Freude", antwortete Jo und blinzelte mich liebenswürdig an.


    "Hör auf mit dem Unfug Jo. Machen wir es offiziell. Jozo das ist Jeelen. Jeelen das ist Jozo Dein Leitwolf. Kurzum Dein Ausbilder der Dich anleitet. Machst Du alles gut, wird er für Dich sprechen und Du wirst in die Familie aufgenommen. Solange Du noch kein vollständiges Familienmitglied bist unterstehst Du ihm.


    Er ist für Dich verantwortlich. Leitwolf und Welpe bilden eine Einheit. Geschieht Dir etwas unter seiner Obhut, trägt er die Konsequenzen. Du bist ihm anvertraut. Viel Spaß Ihr Zwei", grinste Aino und machte sich aus dem Staub.


    "Hallo", sagte ich freundlich und streckte ihm die Hand entgegen.
    Er guckte etwas überrascht, schüttelte aber meine Hand.


    "Hallo zurück. Verlieren wir keine Zeit. Hast Du schon jemanden getötet?", fragte er.


    "Ja, das habe ich", antwortete ich ehrlich.
    "Versehentlich?", fragte Jo und spuckte das Wort förmlich aus.
    "Nein. Für die Taten habe ich mich bewusst entschieden", gab ich zurück.


    Bei den Worten hellte sich Jozos Gesicht auf, so dass er fast wie eine andere Person aussah und grinste mich breit an. Er stand auf, umrundete mich einmal und legte mir dann freundschaftlich eine Hand auf die Schulter.


    "Kein Unfall, kein Versehen, sondern Mord", flüsterte der gelbe Goblin.
    "Ja Jozo", pflichtete ich ihm bei.


    "Wir werden Spaß haben, wir zwei. Verlass Dich drauf", grinste er mich an.


    ****


    "Welpen. Oft ist es so, dass Deine Schutzperson Dich einfach aus dem Grund mag, weil Du sie Monate- oder Jahrelang wie ein Übervater oder eine Übermutter anleitest, beschützt und im Notfall verteidigst und in Sicherheit bringst. Sie klammern sich an Dich, körperlich und geistig.


    Wir beide - Du und ich - werden Party machen! Für mich ist das Verantwortung, die ich jetzt für Dich trage und ich hasse Verantwortung, also provoziere mich nicht.


    Du musst mir bedingungslos gehorchen, dafür werde ich Dir ein gutes, freies Leben schenken. Und Spaß. Der Spaß darf nie zu kurz kommen. Das ist der Handel.


    Noch ein wichtiger Punkt. Keine Gnade mit Feinden! Niemals! Absolute Härte und Brutalität musst Du ihnen entgegenbringen. Dein Job sie zu töten.


    Wie?
    Find´s raus.
    Das ist gerade der Spaß an der Sache.


    Du wirst lernen, dass jeder Alltagsgegenstand eine Waffe sein kann.


    Genauso wichtig, Du musst begreifen, dass Du selbst eine Waffe bist. Selbst wenn Du splitternackt irgendwo auf dem Marktplatz stehst, musst Du noch ein tödlicher Gegner sein. Auch das werde ich Dir beibringen Küken.


    Während der Jagd, im Training, oder auch hier im Haus bleibst Du an meiner Seite bis ich Dir etwas anderes befehle. Nur mit Erlaubnis darfst Du Dich von mir entfernen. Meine Gegenleistung wenn wir gemeinsam jagen, ich behalte Dich im Auge. Du bist nicht allein, Du bist mein Anhängsel. Jedes Zugeständnis dass Du brauchst werde ich Dir gewähren. Jedes, kapiert?


    Du hast Dich uneingeschränkt nach mir zu richten! Doktrin! Ich musst mich nach Deinen Fähigkeiten richten, aber ich muss mich auch auf Dich verlassen können. Jede Gruppe ist nur so stark wie ihr schwächstes Mitglied – auch wenn es nur ein Duo ist. Ist das klar?", hakte Jozo nach.


    "Absolut klar Jozo. Du bist der Boss", stimmte ich ihm gehorsam zu.
    "Willkommen in meiner Welt Jeelen", schnurrte Jozo.


    Jozos Arm zuckte so schnell in die Höhe, dass ich die Bewegung nicht kommen sah. Der Dolch flog als tödlicher Schatten hoch, um nur Zentimeter von meiner Kehle entfernt zu verharren.


    Für einen langen Moment bewegte sich keiner von uns beiden. Weder er noch ich sagten ein Wort. Jozo musterte mich mit lauerndem Blick. Ich traute mich nicht einmal zu schlucken, aus Angst er würde mir die Kehle durchschneiden und ich wusste nicht einmal was ich falsch gemacht hatte.


    Es dauerte noch einige Augenblicke, dann grinste er so breit, dass seine Mundwinkel fast hinter seinen Ohren verschwanden. Jo drehte den Dolch um, so dass er mit dem Heft voran auf mich zeigte und klopfte mir damit sanft unters Kinn.


    "Nimm", säuselte er.


    Ganz behutsam griff ich nach dem Dolch und schloss meine Finger um das Heft der Waffe. Ich zog Jozo die Waffe allerdings nicht aus der Hand, sondern wartete bis er sie losließ und freigab. Nicht dass er sich im letzten Moment doch noch um entschied und mir die Kehle aufschlitzte.


    "Er gehört Dir Küken, für Dich", grinste er und verpasste mir eine Kopfnuss.

    Das war meine erste Lektion, die er mir erteilte.