Irimoq - Der Drache des Südens

  • Irimoq - Der Drache des Südens



    Der Hohepriester gekleidet in einer Mischung aus Rüstung und Robe schaute von seiner erhobenen Position auf das vorbeiziehende Heer seines Ordens.


    Jene bewaffneten Brüder die nah an ihm vorbei gingen, neigten mit großem Respekt ihre Häupter.


    Der Hohepriester war von Stolz erfüllt. Niemals hätte er von so einem Siegeszug seines Ordens zu träumen gewagt. Das gewaltige Wesen unter ihm bewegte sich und trat von einer Vorderpranke auf die andere.


    Beruhigend legte er dem Geschöpf eine Hand auf den langen, geschwungenen Hals. Das Wesen schaute ihn über die Schulter hinweg an und die Lefzen verzogen sich zu einem grotesken Lächeln.


    Der Hohepriester nickte knapp und erhob seinen Stab. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Das Geschöpf unter ihm breitete seine gewaltigen Schwingen aus und brüllte markerschütternd.


    Tausende Kehlen nahmen den Kampfschrei auf.


    Die Armee brandete ihren Feinden entgegen. Die Kreatur sprang mit einem mächtigen Satz in die Luft, schlug hart mit den Flügeln und stieg in den Himmel.


    In der Luft schoss das Wesen mit seinem Reiter gen Himmel der feindlichen Armee entgegen, während die Ordensbrüder zu Pferd oder zu Fuß folgten.


    Als die Feinde zum Himmel schauten, sahen sie etwas auf sich zuhalten was es auf ihrer Welt nicht geben durfte...


    einen Drachen, samt Reiter.


    ****


    Essenzübertragung


    Es war Jahrhunderte her, als der Drache geboren wurde. So lange, dass vor der Markierung n.d.A. - nach der Asche noch eine 2 für 200 gestanden hatte.


    Nun schrieb man das Jahr 407 nach der Asche und erneut war vor einer langen Zeit das Land, der Kontinent samt seiner Bewohner in Asche versunken, diesmal allerdings herauf beschworen durch die Mächte und Feuer des Krieges.


    Vor zwei Jahrhunderten hatte ein Magier nicht nur den Spruch der Essenzübertragung erlernet und gemeistert, nein Jahre später war es ihm dank seiner Forschung sogar gelungen eine Essenzübertragung vorzunehmen.


    Vereinfacht erklärt, stahl man bei dem Essenzentzug einer Person Lebensenergie, im Grunde die Seele um selbst länger zu leben.
    Bei der Essenzübertragung tat man zuerst genau das gleiche, allerdings ließ man den Körper nicht sterben, sondern kurz vor dem Ableben der Person riss man den Rest ihrer Seele aus ihrem Körper und zog selbst in diesen ein.


    Man beschaffte sich damit quasi ein neues, frisches Fortbewegungsmittel.


    Dieser Spruch wurde abgewandelt und verfeinert, so dass man in jeden beliebigen Körper einziehen konnte, unabhängig von Größe, Geschlecht und Rasse. Dies war die zweite Grenze die fiel.


    Die dritte Grenze die vor langer Zeit gefallen war, war totes Fleisch. Dieses konnte nun bezogen werden und durch Essenzerhalt am Leben erhalten werden, ohne dass man seine magischen Fähigkeiten einbüßte.


    In diesem Jahr, als der Magier diesen Spruch beherrschte und sich wagte ihn zu wirkten, wurde der Drache geboren.


    Der Geburtshelfer des Drachen war ein Nekromant, ein Magier der sein Wissen ebenfalls erweitert hatte um den Spruch der Fleischformung.


    Früher hätte man dieses Wissen der beiden Magier für unheilig erachtet, heute war es die höchste Kunst im Orden des Drachen.


    Sie behielten dieses Wissen für sich, denn es war in ihren Augen so heilig, dass nicht einmal ihre Magier-Priester darin unterwiesen wurden. Das Wissen war Bestandteil ihrer Macht über ihre Religion.


    ****


    Die Geburt des Drachen


    Die Opfer waren erlegt und dargebracht, das Siegel erobert, die Bannkreise gezogen. Die heilige Waffe war erneut mit heiligen Schutzrunen versehen worden. Jener nachtschwarze Dolch der ihm zu seiner Priesterweihe verliehen worden war.


    Er befand sich im uralten Altarraum seines einstigen Gottes auf seinem alten Familienanwesen. Mit ihm im Raum waren nur Pavo und sein Bruder Ansgar.


    Der Raum war mit seltsamen Verzierungen übersät. Für einen winzigen Augenblick standen sie in absoluter Schwärze.


    Dann ganz allmählich, dass man sie anfangs für Illusionen gehalten hätte, leuchteten winzige grüne Punkte zwischen den Runen auf, steigerten sanft ihr Licht bis es gerade genug hell war, um noch sehen zu können.


    Urplötzlich ging an der hinteren Wand eine Tür fast lautlos auf. Ihre beiden Teile verschwanden in der Wand und gaben den Blick in absolute Finsternis preis.


    Eiskalte Luft drang aus dieser Kammer hervor und bildete kleine Nebelschwaden. Der Nebel verdichtete sich kurz in der Tür, zog beiseite und gab den Blick auf einen gewaltigen Leib frei, der durch Kälte und Magie geschützt worden war.
    Der Koloss lag in einem Bannkreis. Einen ähnlichen Bannkreis hatte Dave gegenüber auf den Boden gezogen.
    "Leben und Tod - Kreislauf des Kosmos, Körper und Geist - Wege der Verbindung, Zeit und Raum um am Ende alles zu sein", begann er die Initialisierung als er in den Bannkreis stieg.


    Bei diesen Worten schritt er die Zeichen auf dem Boden innerhalb des Kreises ab, während Ansgar mit lautloser Sprache einen magischen Anker formte um Dave notfalls aus dem Nexus zurückholen zu können.
    Nachdem er dreimal den Ritualkreis umschritten hatte, warf Dave eine Sandspur zwischen seinen und den Kreis des Kolosses zur Verbindung. Davard setzte sich in die Mitte des Kreises, die Hände gespreizt nach oben geöffnet. Er verfiel in Trance und wechselte mit seinem Geist in den Nexus.


    Die Formel war gesprochen, die Magie war gewirkt aber scheinbar tat sich nichts. Was immer Dave drüben im Nexus vollbrachte, entweder war er mit seiner Arbeit noch nicht fertig, oder sie war nicht geglückt.


    Der Nekromant und der Heiler starrten auf den nun am Boden liegenden Magier der kaum noch atmete.


    "Dave?", flüsterte Pavo und wollte an seine Seite treten, aber Ansgar hielt ihn zurück.
    "Warte einen Moment, ob er drüben im anderen Körper war", sagte der Magier.
    "DAVARD", wiederholte Pavo, diesmal lauter.


    Die Kreatur die Ansgar Freiherr von Hohenfelde durch Fleischformung in jahrelanger, akribischer Arbeit geschaffen hatte, erhob im anderen Bannkreis ihr untotes Haupt. Pavos und Ansgars Köpfe schossen zeitgleich herum.


    "Dave?", fragte nun auch Ansgar mit unsicherer Stimme.


    Das Wesen öffnete die gewaltigen Kiefer um zu antworten, allerdings entrann seiner Kehle nur ein heiseres Krächzen. Es schnaubte und hustete, was wie drohendes Brüllen klangt.


    Die Reißzahn gespickte Schnauze die eigentlich nicht zum Sprechen geeignet schien, formte ihr erstes Wort in dieser Welt - "Irimoq".


    "Irimoq? Was bedeutet das?", flüsterte Pavo.


    "Irimoq... Fäulnis. Auf Demonai. Irimioq ist mein Name in dieser Gestalt. Dave in jener", krächzte der Drache.


    Als sein Blick auf seinen menschlichen Körper fiel, den er verlassen hatte, ging ein Zittern durch den Körper des riesigen Wesens.


    "Ich bin mit ihm verbunden. Ein Anker bindet mich an meinen menschlichen Körper. Ein völliger Umzug ist mir noch nicht möglich. Stirbt dieser menschliche Körper, sterbe ich. Stirbt meine Drachenhülle, werde ich meine menschliche Hülle zurückkehren. Verwahrt ihn gut, haltet ihn mit aller Macht am Leben", sagte der Drache und richtete sich zur vollen Größe auf.


    Er schien noch etwas unsicher auf den Beinen, dieser Körper war ihm unbekannt und hatte eine völlig andere Physionomie.


    "Was für eine Macht!", rief Pavo verzückt.
    "Geistmagie und Nekromantie in wundervoller Harmonie", grinste Ansgar dämonisch.


    „Die schwarze Perle! Das Artefakt des Schutzschildes und der Beständigkeit! Bewahre sie zwischen Deinen Fängen auf Drache!", rief der Goblin begeistert und hielt das Artefakt nach oben.


    Zähnefletschend verharrte Irimoq einen Moment über dem Goblin und musterte die Perle. Sie hatte die Größe eines Ei´s und war von so intensiver Schönheit, dass es fast schmerzte sie anzuschauen.


    Langsam zog der Drache die Perle mit seiner langen nekrotischen Zunge in den Rachen, um den Goblin nicht zu verletzen. Während Ansgar das Schauspiel beobachtete, schluckte das gewaltige Wesen die Perle herunter.


    Zuerst geschah nichts, was selbst Pavo zu verwundern schien, denn angeblich war die schwarze Perle mit einem der mächtigsten Schutzzauber versehen die ihren Träger stets behüten würde.


    Dann jedoch begann der Körper des Drachen von innen heraus schwarz zu leuchten. Beginnend wo die Perle saß, leuchtete eine brennende Schwärze aus seinem Fleisch, als hätte er eine schwarze Sonne verschluckt.


    Die Strahlung wurde immer heller, bis Ansgar die Hände vor die Augen schlagen musste um nicht geblendet zu werden. Gleißende Schwärze umwirbelte den Drachen und Pavo keuchte neben Ansgar auf.


    Ein lautloser Sturm brach los, zerrte an ihnen so dass sie Mühe hatten sich auf den Beinen zu halten, irgendwann wurden sie doch von den Füßen gerissen. Sie schlugen der Länge nach hin, die Zeit, ja die ganze Realität schien die Bedeutung verloren zu haben. Es gab nichts als Finsternis, die dennoch auf seltsame Weise zu brennen und zu leuchten schien.


    Egal wie fest sie die Augenlider aufeinander pressten, die Leuchtkraft bohrte sich bis in ihr Innerstes und ließ sie erzittern. Das Blut pochte in ihren Ohren und schien in ihren Adern zu kochen. Unerträglicher Schmerz breitete sich aus, als sie meinten es nicht mehr ertragen zu können, war er überraschend verschwunden.


    Sie lagen in einer Dunkelheit, die so massiv war, dass Pavo im ersten Moment befürchtete erblindet zu sein, von der grellen Finsternis vorher.


    Doch dann verzog sich die Dunkelheit wie Nebelschwaden. Langsam und unaufhörlich wurden sie lichter, ballten und brauten sich zusammen und wurden von dem Drachen absorbiert, der mit diabolischem Grinsen seine Pranke gen Himmel reckte.


    Pavo wischte sich übers Gesicht und rappelte sich wieder auf. Ansgar war ebenfalls wieder auf den Beinen, sein altes, scharfgeschnittenes Gesicht zeigte ein bestialisch-diabolisches Grinsen.


    Der augenlose Blick der Kreatur haftete sich auf ihn. Nein… schalt sich Pavo, die Augenhöhlen waren nicht leer, in ihnen war die absolute Finsternis zu finden, die vorher um sie getobt hatte.


    „Ansgar... Bruder – Hohepriester des Irimoq“, grüßte der Drache freundlich wie hoheitsvoll und Ansgar kniete vor ihm nieder.
    „Unterlasse das und steh auf. Du hast mir diesen Körper geschenkt“, sagte der Drache.


    Die Stimme ein Orkan, ein Donnern nicht mehr wirklich von dieser Welt, dass die Umstehenden bis ins Mark erschütterte. Behutsam legte er dem alten Mann eine Pranke auf die Stirn und weihte ihn, ehe er seinen blicklosen Blick liebevoll auf Pavo richtete.


    „Pavo... Vater des Drachen, Hohepriester des Irimoq“, donnerte das Wesen liebenswürdig, obwohl es nur flüsternd gehaucht hatte.


    Der flammende schwarze Blick der bis in die Seele einer Person hinab starren konnte, schaute nun auf seinen einstigen Weggefährten hinab. Pavo wusste, dass ihm das Wesen niemals etwas antun würde, dennoch erzitterte er unter dem Klang. Der Drache streckte ihm eine Pranke entgegen.


    „Kommt. Regiert an meiner Seite. Werdet durch meine Fähigkeit unsterblich. An meiner Seite werdet Ihr für alle Ewigkeit existieren", sagte der Drache.


    „Was sollen wir tun?“, fragte Pavo.
    "Wir sind dem Ziel ein weiteres Stück näher gekommen Pavo. Was schenkte Dir Ainuwar? Nichts! Was biete ich Dir? Was habe ich bereits erfüllt? Du hast einst mein Leben gerettet, nun ist es an mir.


    Es ist an der Zeit uns unsere eigene Welt zu erobern. Es ist Zeit für ein neues Zeitalter. Meinem Zeitalter!", grinste der Drache mit gefletschten Lefzen.


    "Der Orden Irimoqs", flüsterte Pavo ehrfürchtig.
    "Drache des Südens", lachte Irimoq.
    "Süden Bruder?", fragte Ansgar und die gewaltige Kreatur nickte.


    "Das Chaos muss siegen, alles begann unter der Obhut des Chaos! Es muss die Unwürdigen von dieser Welt fegen.


    Wir sind Ainuwar nichts schuldig!
    Gar nichts!


    Schafft den Tempel Irimoqs. Sichert unser Wissen, verwahrt es in unserem Tempel. Dort soll all unser Wissen ruhen und mein menschlicher Körper. Ihm darf nichts geschehen", sagte der Drache.


    "Ihm wird nichts geschehen, sei versichert. Ich sorge für den Bau des Tempels und Deine Sicherheit", grinste Ansgar.
    "Ich sorge für unseren Orden. Aus der Gruppe der Blutsbrüder Ainuwars wird unsere neue Religion entstehen. Du hast Recht Irimoq, er war stets taub für unsere Gebete, aber Du hast mich stets erhört mein Freund", sagte Pavo.


    "Ich gab Dir mein Wort Pavo", brummte das Wesen fürsorglich.
    "Du bist die absolute, gelebte Wahrheit. Sie werden vor Dir niederknie oder sie werden sterben. Es gibt nur für oder gegen uns", sagte Pavo vehement.


    "Unsere Feinde sterben! Stehend mit erhobenen Haupt, kniend oder kriechend wie Würmer – sie sterben!


    Sie sterben als Seelennahrung für uns. Ohne ihre Essenzen werden wir nicht überdauern! Ich brauche Opfer, mir müssen Opfer dargebracht werden! Lebende Opfer, keine Blutopfer!


    Ich werde nach Rakshanistan aufbrechen. Wie bereits gesagt, das Chaos muss siegen. Es wird unsere Feinde hinweg fegen, wie wir später das Chaos. Wenn das Chaos siegreich einige Jahrhunderte verbracht hat, werde ich meine Klauen hineinschlagen.


    Fett, faul und feige geworden wird es sich auf alten Taten ausruhen, dann ist unsere Stunde gekommen.


    Aber dies hat Zeit und wir haben unendlich viel Zeit – Tarkan verdient keinen Verrat. Solange er unter den Lebenden weilt, gilt ihm meine Loyalität", zischte das Wesen.


    Der Drache und der Goblin blickten sich beide einige Sekunden in die Augen, ehe Pavo hemmungslos zitternd den Blick senke. Egal ob man dieses Wesen nun anbeten wollte oder nicht und Pavo liebte es von ganzem Herzen, in diese Augen zu schauen, die bis in die Seele starren können, konnte kein Verstand lange ertragen.


    „Steh auf Pavo, Du kniest nicht vor mir, genauso wenig wie Ansgar“, sagte der Drache freundlich.
    „Dave…“, setzte Pavo an.


    „Nein. Es wird Zeit, ich muss aufbrechen und Ihr habt Aufgaben zu erledigen“, forderte Irimoq sie erneut auf.


    Pavo stand auf und ging auf ihn zu. Der Drache schmunzelte, während Pavo die Drachenschnauze umarmte.


    „Bleib alter Freund. Ich werde Dich nicht gehen lassen Großer, ich kann nicht. Du gehörst nicht dem Chaos an! Was hast Du nur mit dem verdammten Chaos zu schaffen? Ich habe Dir schon einmal gesagt, dass ich Dich dahin nicht einen Schritt allein gehen lasse!“, sagte Pavo.


    Ein Geschöpf von der Größe Irimoqs am Aufbruch hindern zu wollen, war genauso lächerlich wie einen Waldbrand mit einer Tasse Tee löschen zu wollen. Tränen liefen den alten Goblin die Wange herab und tropften auf die gewaltige Schnauze des Drachen.


    Das untote Wesen mit einem Blick schwärzer als die Nacht, schaute den Goblin für einen Moment irritiert an, ehe es doch liebevoll schmunzelte.


    "Du hast Recht Pavo, trotzdem ist meine Entscheidung gefallen. Nun dann liegt die die erste Amtshandlung der Ordensgründung bei Dir Ansgar, wie auch die Schaffung des Tempels. Pavo und ich werden dem Chaos zum Sieg verhelfen", grinste das Geschöpf, ging vor dem Goblin in die Knie und breitete die Schwingen aus.


    "Steigt auf", flüsterte der Drache.


    **


    Dies war mehr als ein Jahrhundert her, aber der alte Hohepriester erinnerte sich so genau, als wäre er das erste Mal vor einigen Minuten auf den gewaltigen Rücken des Drachen gestiegen.



    ****


    Irimoq, Drache des Südens / Jahr 407 nach der Asche


    Ihre Welt schrieb mittlerweile das Jahr 407 nach der Asche und Irimoq der Drache des Südens ruhte in seinem gewaltigen Dom innerhalb eines seiner Tempel. Auf ihrer Welt gab es keine Drachen und dennoch lag scheinbar eines dieser Wesen hier in seiner gewaltigen, steinernen Behausung.


    Link:
    Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen.



    Wer den Mut aufbrachte und an der Grausamkeit der puren Existenz der Bestie vorbeischauen konnte, und einen eingehenderen Blick wagte, erkannte dass Irimoq kein wirklicher Drache war.


    Das Wesen war eine vor Jahrhunderten geschaffene Kreatur. Die Meisterleistung eines Nekromanten und eines Geistmagiers. Fleischformung in Vollendung und eines gewaltigen Zaubers - der Zauber der Essenzübertragung.


    Der Körper des Drachen bestand aus einer Mischung mehrerer Leichenteile. Der gewaltige Schädel war kein Drachenschädel, sondern in Wahrheit der Kopf eines riesigen Tieflings der mit denen noch einiger anderer Kreaturen umgewandelt worden war.


    Der Körper mit den Schwingen gehörte vor Jahrhunderten einst einem stolzen, mächtigen Greif. Die reptilische Haut die den Drachen wie eine Rüstung schützte, hatte einst vor einer gewaltig langen Epoche hunderte Farisin geschützt.


    Der menschliche Körper, der einst die Seele des Drachen beherbergte lag in der unteren Tempelanlage sicher verwahrt hinter Meter dicken Steinmauern, geschützt von einer eigenen kleinen, handverlesenen Armee aus Düsterling-Meuchelmördern – genannt die Schatten.


    Bewacht wurde der Komplex von den besten und vertrauenswürdigsten Kämpfern, die ihr Orden aufzubieten hatte. Und selbst sie durften die Halle der heiligen fleischlichen Reliquie nicht betreten. Dies war ausschließlich den beiden Hohepriestern erlaubt.


    ****


    Gespräch im Wüstensand


    Er kniete vor der gewaltigen Grube, wie er es schon tausende Male in seinem Leben getan hatte. Sein einäugiger Blick gen Boden gerichtet. Sein Herr hatte ihn gerufen, wie so oft in seinem Leben. Stets war er ihrem Ruf gefolgt – nie hatte er bei einer Aufgabe versagt. Hinter ihm kniete sein Schüler.


    Es gab eine längst vergangene Zeit, da hatte er nicht vor ihm gekniet. Aber ihr Orden war so groß und mächtig geworden, dass sich selbst in ihre Mitte die Insignien der Macht ausgebreitet hatten, wie eine wuchernde Krankheit. Jedenfalls bei offiziellen Anlässen.


    Seine eigenen Wege waren im Grunde die seines Meisters. Düster, finster, voller Ränke und voller tödlicher Intrigen. Es brachte was sein Name der Welt versprach – Fäulnis... in Form von Schmerz, Tod und Chaos. Und wie Fäulnis breitete sich ihr Orden auf der Welt aus.


    Andere Wesen genau in diesen Umstand zu stoßen, war ihm ein Vergnügen. Schmerzen zu bereiten und selber klaglos ertragen zu können war zu seiner Religion geworden. Vor langer Zeit war der Tod einst sein Erzfeind gewesen, den er zu besiegen hoffte.


    Nun, dieses Problem hatte sein Meister gelöst. Seit dem Tag war er an ihn gebunden. War abhängig von seinem Wohlwollen, auch wenn ihn der Drache dies nie spüren ließ. Der Tod des Drachen, würde seinen eigenen Tod bedeuten.


    Er wartete.


    Seine Knie empfanden schon seit Jahren keinen Schmerz mehr, wenn er hier an der Grube saß und auf sein Erscheinen wartete, denn sie waren immerwährend jung - solange ihn sein Meister mit Essenzen versorgte.


    Man hörte im Raum ein leises Gähnen, an der Klangtiefe konnte man eindeutig erkennen dass es ein männliches Wesen war, das diesen Laut ausgestoßen hatte.


    Aber durch den Hall und die Verzerrung, die die Krümmung des Raumes mit sich brachte konnte man nicht sagen woher der Laut gekommen war. Auch schien es so, als wäre dieses Geräusch von keinem Sterblichen Wesen verursacht worden, denn es schwang nicht nur ein Geräusch mit.


    Etwas hohes, mächtiges, hatte sich geäußert und egal in welcher Form – ob Laut oder Wort – man spürte kurz die erhabene und furchteinflößende Anwesenheit von etwas Widernatürlichem.


    Ob man dieses Wesen anbetete oder fürchtete – es spielte keine Rolle. Stand man ihm gegenüber verspürte jedes Lebewesen in den Grundfesten seiner Seele Respekt.


    Liebender Hüter oder tödlicher Vernichter – er konnte beides darstellen.


    Und so wartete er. Wie er fast sein ganzes Leben gewartet hatte, wenn er nach ihm rief…


    Das Rauschen von Schwingen erklang und langsam schwebe etwas Riesiges zu Boden. Ein Wesen – ein Drache, Schönheit und Abscheu gleichzeitig ausstrahlend. Milde Güte in einem untoten, fast reptilischen Gesicht – der Körper ein Ausdruck vom reinem gequältem Schmerz, so ließ er sich vor ihm hinab. Seine Fuß- und Handklauen schabten funkensprühend über die steinernen Wände.


    Mit einem Ruck der den Boden erzittern ließ, setzte das Geschöpf auf.


    Der Drache wartete einen Moment, ehe er sich zur vollen Größe aufrichtete. Der messerbewehrte Schwanz peitschte nach hinten, der gehörnte Schädel ragte weit über die Sterblichen zu seinen Füßen hinweg. Mit totem und dennoch flammenden Blick starrte er auf die beiden Männer herab.


    Sein Blick taxierte nicht nur die Körper, sein Blick fiel bis auf die Seele der Beiden. Der eine schwärzer als jede Nacht – der andere hell wie der lichte Tag.


    Dennoch folgte er der Nacht, folgte aus einem lichten Grund, folgte aus Freundschaft, Zuneigung und Liebe. Egal wohin es die Finsternis verschlagen würde – er wäre da um sie zu schützen. Warum nicht? Ihm konnte es nur Recht sein, wenn etwas im Herzen Gutes in seinem Namen dennoch Schrecken und Schmerz verbreitete.


    Er wartete noch einen Moment ehe er sich an seinen Hohepriester richtete.


    „Unsere Zeit ist gekommen. Es ist an der Zeit dass es auf ewig Nacht wird – das Alpha und Omega sich vereinen, dass die Grenzen der Welten fallen! Nach nunmehr zwei Jahrhunderten meiner Herrschaft sollen Nexus und Diesseits zu einer Welt verschmelzen“, verkündete er in einer Lautstärke die nicht nur ohrenbetäubend sondern auch markerschütternd bis in die Seele drang.


    „Stets wie Du wünscht“, antwortete der Goblin.


    Schlagartig liebevoll, mit fürsorglicher Güte schaute der Drache auf den Goblin herab.


    „Du warst stets mein Vertrauter, selbst als ich noch ein Mensch war. Du bist seit Anbeginn des Zeitalters des Drachen mein Hohepriester. Einzig und allein Dich werde Dich mit der Aufgabe betrauen, mir genau jene Artefakte zu beschaffen die mich vollumfänglich diese Welt mit dem Nexus verbinden lassen. Erachtest Du Dich und Dein Können für ausreichend mein Freund?“, fragte der Drache.


    „Jederzeit. Es wäre mir eine außerordentliche Ehre derjenige zu sein der Dir Tür und Tor zu dieser Macht öffnet. Erachtest Du mich wirklich für würdig?“, fragte er spitzbübisch, ehe er es wagte zu ihm hoch zu starren, den Drache mit seinem Auge zu fixieren und dabei so breit zu grinsen, dass es fast hinter seinen Ohren verschwand.


    „Ich erachte ausschließlich Dich als würdig, niemanden sonst. Zudem Du kniest vor mir Pavo“, sagte der Drache süffisant.


    „Vielleicht zeigst Du Dich erkenntlich indem Du mir zugestehst an Deiner Seite in einer ähnlichen Form zu wandeln. Eine Form wie Du sie genießt. Wenn Du körperlich den Nexus betreten und unsere Feinde vernichtet hast, gänzlich zurück in unserer Welt bist, brauchst Du einen Reiseführer und wer wäre da besser als Dein Vertrauter? Jemand der auf Dich aufpasst?“, kicherte Pavo was den Drachen brüllend und schallend auflachen ließ.


    Sein Lachen klang wie unheilvolles Donnergrollen, wie das Brüllen eines angreifenden Untiers.


    „Pavo... Dein Wunsch ist unsinnig - wir zwei sind Eins. Du bist meine Stimme in der Welt des Diesseits. Du gehst in Deiner Form an Orte, die mir verwehrt sind. Es gibt nur den einen Drachen und seine beiden Hohepriester“, gurrte das gewaltige Wesen Sekunden später und brachte dabei sein riesiges Antlitz ganz nah an das von Pavo.


    Pavo senkte kaum merklich mit freundlichem Nicken den Kopf und berührte mit flacher Hand liebevoll die Schnauze des Drachen.
    `Was einmal geschaffen wurde, kann auch ein zweites Mal geschaffen werden.
    Es gibt nur einen Drachen…


    Du hast keine Ahnung davon wie sehr ich Dich vermisse, alter Freund´, dachte der Goblin betrübt.


    Die Lefzen des Drachen teilten sich zu einem breiten Grinsen und gaben den Blick auf rasiermesserscharfe, schwertlange Zähne frei. Mit einer blitzschnellen Bewegung schoss sein Kopf wieder in die Höhe. Zeitgleich schoss sein Messerschwanz vor und verpasste Pavo einen Cut über die Stirn.


    Pavo Gesichtsausdruck zeigte zuerst keine Gefühlsregung, dann musterte er seinen Herrn gut gelaunt mit schräg gelegtem Kopf.


    „Welch eine Ehre – ich werde den Schmiss mit Stolz tragen“, säuselte er, was Irimoq erneut in schallendes Gelächter ausbrechen ließ.


    Gophan starrte auf die Schnittwunde von Pavo, dann auf Klinge am Ende des Schwanzes von Irimoq, an welcher Pavos Blut klebte. Unbewusst fletschte Gophan die Zähne und ballte die Hände zu Fäusten. Egal wer oder was der Drache war, niemand griff Pavo an. Diese Art der Machtdemonstration hielt Gophan für unangebracht. Pavo diente dem Drachen treu, loyal und zutiefst ergeben – ein Einfaches nein bezogen auf seinen Wunsch hätte ausgereicht.


    Irimoq schwang belustigt auf seinen Pranken vor und zurück, dabei wirkte das gefährliche Wesen wie ein harmloser, kleiner Schuljunge der etwas verbrochen hatte.


    „Aber vor der Kür steht die Pflicht mein Lieber. Bevor wir mit den Reisevorbereitungen beginnen können, musst Du all jene beseitigen – die meine Reise verhindern wollen. Tust Du das für mich?“, schnurrte der Drache.


    „Selbstverständlich. Sie fallen in Deinen Namen. Wer?“, fragte Pavo.
    Irimoq berührte Pavo mit seiner gewaltigen Pranke an der Stirn.


    „Jene Pavo wagen es sich uns in den Weg zu stellen“, sagte der Drache voller Groll.


    Der Goblin bestätigte den Auftrag mit knappem, hartem Nicken.


    "Ich werde die fleischliche Reliquie dem Tempel des Sandes entnehmen und ins Woshan Gebirge in meinen Haupttempel bringen. Folge mir, sobald Du Deine Aufgabe erledigt hast.


    Und bedenke - das Chaos muss über die gesamte Welt siegen…", flüsterte der Drache, aber der ehemalige Heiler hörte seinem Gesprächspartner nicht mehr zu. Er hing seinen eigenen Gedanken nach.


    `Das Chaos ist schon längst nicht mehr Dein Mittel zum Zweck. Davon das Chaos später selbst von dem Antlitz der Welt zu tilgen, hast Du ewig nicht mehr gesprochen… Dave. Im Gegenteil, Du willst sogar die Schranken der Welt selbst niederzureißen um es außerdem im Nexus zu verbreiten´, dachte der alte Goblin.


    "…aus dem was sie niedergerissen haben, schaffen wir eine neue Welt. Unsere Welt Pavo. Alles Wissen das wir benötigen tragen wir in uns oder haben es sicher verwahrt", hörte der Goblin den Drachen sprechen, als er mit seiner Konzentration wieder ins Gespräch einstieg.


    "Wir sehen uns im Woshan Gebirge alter Freund", sagte der Goblin.


    Wieder teilte ein Lächeln die Lefzen des Wesens, es breitete seine gigantischen, zerflederten Flügel aus und sprang. Dann verschwand der Drache so schnell wie er gekommen war nach oben mit einem gewaltigen Flügelschlag.


    Pavo blickte ihm sehnsuchtsvoll hinterher. Er verharrte einen Moment und erinnerte sich an ihre Anfangszeit.


    An die Zeit, als sie gemeinsam in die Schlacht zogen. Er als Reiter auf Irimoq, begleitet meist von einem Feuermagier aus ihrem Orden, so hatten sie so manchen Feind das Fürchten gelehrt.


    Kurz gestattete er sich sogar an die Zeit zu denken, als er einst den Menschen rettete der für ihn sein eigener Sohn geworden war. Die Erinnerung schnürte ihm die Kehle zu und er schob sie so schnell er konnte beiseite.


    Schnellen Schrittes verließ er den Tempel.


    ****


    Frostalbenland - Woshan Gebirge


    Schneebedeckte Gebirgsketten soweit das Auge reichte. Abgründe, tiefer noch als die einer jeden Seele, warteten nur darauf einen zu verschlingen. Kalter, dichter Nebel, der sich egal ob Tag oder Nacht über sie legte und ganz abnorm seine Kreise um steile, vereinzelte Berge zog, die wie Stacheln nach oben ragten. Pässe und Pfade so schmal, dass bereits ein falscher Schritt den sicheren Fall und Tod bedeuten konnte.


    Das ist das Woshan Gebirge.


    Der Name so malerisch wie die Gegend selbst. Benannt vermutlich nach ihrem Entdecker vor einer halben Ewigkeit und von dessen Clan mehrere Epochen lang regiert.


    Bis zu dem Tage wo die Anhänger Irimoqs gekommen waren, sie zu bekämpfen, sie zu besiegen und das Gebiet zu erobern.


    So verlangte es ihre Tradition und Religion, so verlangte es ihre "Gottheit" der Drachens des Südens - dessen Name einfach nur Fäulnis bedeutete.


    Sie kamen einst um Leid, Tod und Schmerz unter ihre Feinde zu bringen, sie kamen um deren Land für sich zu beanspruchen. So war es ihre Art, seit Anbeginn der Zeit Irimoqs.


    Und nun stand er seit einer Ewigkeit hier – der Haupttempel Irimoqs.


    Der Welt erging es nicht anders als den Frostalben.
    Das Chaos hatte gesiegt, ganz so wie es sich der Drache gewünscht hatte.
    Ganz so, wie es der alte goblinische Hohepriester all die Zeit stets befürchtete.


    ****


    Während der Reise zu Irimoq hatte der alte Goblin in der Tat nachgedacht. Aber nicht ob es richtig oder falsch war sich stur zu geben. Eher, wieso seine Schülerin ihn davon abbringen wollte.


    Bassu wusste um die Traditionen des Ordens. Sie war wie sein Ordensbruder Venar in diesen Belangen. Zu friedlich, zu freundlich, zu gutmenschlich. Ja gutmenschlich, fand Pavo das passende Wort.


    Beide waren zu barmherzig und nicht dazu in der Lage ungemütliche Entscheidungen zu treffen. Sein Ordensbruder Kalid war dies sehr wohl. Aber wenn sich Pavo bei knallharten Entscheidungen auf eine Person verließ, war es der uralte Irimoq selbst.


    Es ging um eine Schlacht, die nicht auf Asamura geführt werden sollte.


    Der Nexus sollte von den Resten der Licht- und Frostalben bereinigt werden. In ihren letzten Atemzügen hatten sich beide Völker zu einem Zwecks- und Zwangsbündnis zusammenschlossen.


    die Welt war in der Hand des Chaos und des Drachen. Der Drache Irimoq repräsentierte inzwischen durch seine pure Existenz das lebendige wie auch untote Chaos in Person.


    Nun sollte auch der Nexus noch an diese Mächte fallen.


    Die letzten Überlebenden der beiden Albenvölker hatten sich versteckt und zurückgezogen um von dort aus, den Nexus gegen die Aggressoren zu verteidigen. Die einzigen noch freien Geistmagier die es gab.


    Gehörte man nicht dem Chaos an, war das Erlernen von Magie mittlerweile unter Androhung der Todesstrafe verboten. Ebenso wurde jede Person gejagt, die über die Gabe verfügte, aber nicht dem Chaos angehörte. Die bedauernswerte Person wurde umgehend dem Drachen als Seelenopfer dargebracht.


    Präventive Verteidigung nannte der Drache seine Vorgehensweise, Pavo nannte es Willkür.


    Bei Fragen wo es um den Nexus ging, benötigte der Goblin die Meinung eines Magiers, aber wer war mächtig genug ein Tor in Realität zu reißen um eine Tür zum Nexus zu schaffen? Vielleicht nicht einmal sein Meister. Aber er war felsenfest überzeugt und fanatisch genug es zu versuchen.


    Der Drache hatte vor, beide Welten zu verschmelzen um auf ewig in beiden wandeln zu können.


    Am Tempel angekommen, schwang sich der alte Goblin von seinem Pony und schritt den Pfad hinauf. Jede einzelne Treppe wurde von seinen Stiefeln geküsst. Sein Glaube und der Wunsch um Rat und Beistand seines "Gottes" Irimoq, wuchsen mit jedem Schritt.


    Im Inneren des imposanten, kalten und dunklen Tempels empfing ihn umgehend eine von Irimoqs untoten Dienerinnen.


    Nur mit einem Hauch von Nichts bekleidet bot die Frau einen aufreizenden, anziehenden, wie auch lasziven und zeitgleich abstoßenden Anblick. Der Drache hatte eine Schwäche für liebreizende Anblicke.


    Die Schwäche hatte seine Seele schon immer gehabt, auch wenn man seinem gleichmütigen Gesicht früher keine Regung entnehmen konnte. Ebenso wenig wie heute dem Gesicht des Drachen.


    Er schaute gern und weidete sich am Anblick seiner Diener, wie andere Personen an einem guten Mahl.


    Das Licht im Tempel tat sein Übriges dazu um die Untote verrucht, verführerisch und tödlich aussehen zu lassen. Zugleich jedoch war die Dienerin ein Mysterium an sich.


    Ihre nachtschwarzen, toten Augen wirkten auf besondere Art abschreckend. Fast so, als würde sie einen jeden Moment angreifen und zerfleischen, wenn man ihr nur einen Grund dafür lieferte. Ein doppeldeutiger Blick, ein falsches Angebot und man würde den Tempel nicht wieder lebend verlassen. Auch etwas, was der Drache stets geschätzt hatte.


    „Ich möchte zu Irimoq - als oberster Hohepriester“, sprach Pavo das Offensichtliche aus.


    „Du bittest um eine Audienz bei unserem allmächtigen Gott“, korrigierte die Dienerin mit einer Stimme wie knirschendes Eis.


    Pavo korrigierte sich nicht, aber er neigte um einige Millimeter den Kopf als eindeutige Drohung. Rede weiter in solch einem Ton und Du bist es, die als Nahrung zum Körpererhalt des Drachen beiträgt.


    Die Dienerin schien sich damit zufrieden zu geben und verschwand so schnell und lautlos wie sie gekommen war. Was sie Irimoq ausrichtete, darüber konnte Pavo nur spekulieren. Allerdings dauerte es nicht lange, da kam die geheimnisvolle Frau zurück.


    „Deine Bitte wurde gewährt“, verkündete sie und begab sich selbst wieder in den Raum, wo ihre Gottheit ruhte.


    Der alte Goblin folgte ihr auf dem Fuße, schaute sich neugierig wie misstrauisch um und ging auf die Knie, sobald er das erste Knarzen von Knochen vernahm. Ganz langsam ließ sich die große Gestalt an ihren Halterungen herunter.


    Wie eine Marionette an Fäden hängend baumelte der Drache meterweit über dem Boden, seilte Glied nach Glied ab, gefolgt von seinem Rumpf und dem gewaltigen, gehörnten Schädel.


    Der geschundene Leib war in verwesendes Fleisch gehüllt, die Pranken und Füße endeten in rasiermesserscharfen Klauen, ebenso der drachenähnliche Schweif.


    Am Leben erhalten wurde das Wesen durch Magie, Kadaver und Seelenopfer. Fäulnis, Irimoq, das war seine Existenz und die dunkle Lehre dessen versuchte er durch seine Priester und Untertanen in die Welt hinaus zu senden.


    Seine Klauen wetzten gefährlich aneinander, als er sich auf die Hinterbeine hockte und die Vorderpfoten wie Hände faltete. Mit einem sanften Lächeln dass sein Reißzahn starrendes Maul umspielte, starrte der Drache auf die winzige Person herab, die sich in seinen Tempel gewagt hatte.


    „Hochgeachteter Irimoq, es ist mir eine Ehre. Ich danke Euch, dass ich eintreten durfte“, sagte Pavo höflich mit gesenktem Kopf.


    „Ich gestatte es jedem, der mir huldigt und meinem Weg folgt, dass weißt Du. So sprich Pavo, erster Hohepriester von Irimoq dem Drachen des Südens“, erwiderte das Wesen belustigt.


    „Danke. Ich benötige Deinen Rat Irimoq. Die entscheidende Schlacht steht mir bevor. Mir und meinen Leuten! Ich habe vollstes Vertrauen in mein Können, daran besteht kein Zweifel. Dennoch brauche ich die Sicherheit, dass alles so verlaufen wird, wie ich es mir wünsche. Was sagt die Zukunft? Wird das Alben-Bündnis fallen?


    Kannst Du mir vielleicht einen Deiner gesegneten Schattenkrieger für meine Schlacht zur Verfügung stellen? Was kannst Du mir, Deinem treuen Diener raten? Deine grenzenlose Weisheit und Grausamkeit muss mich leiten“, bat Pavo.


    „Für die Schatten ist der Mond Ihre Sonne, Blut ist ihr Wasser, ihr Geist ist ihr Schwert. Du hast nicht das Recht einen Schatten zu erbitten.


    Ich benötige die Schatten hier. Dennoch werde ich darüber nachsinnen ob ich Dir einen Schatten schicken werde und wenn, dann werde ich Dir einen umsichtigen, leicht zu lenkenden Schatten schicken“, grinste Irimoq vieldeutig.


    „Als Berater und Streiter an meiner Seite ist er jederzeit willkommen, sollte er anderes planen… werde ich seinen Mund mit Schnee füllen müssen meine geliebter Irimoq.


    Kurzum, wenn er mir als Hohepriester nicht gehorcht oder mich sogar bedroht, wird er sterben“, grinste Pavo zurück, was den Drachen in schallendes Gelächter ausbrechen ließ.


    „Nun darüber wäre ich überrascht, ungehorsam sind sie nicht. Nun höre was ich im Nexus erspürt habe“, eröffnete er seine Antwort.


    „Die Zukunft ist im Wandel. Du musst tun was getan werden muss, willst Du am Ende auf der Siegerseite stehen. Du kennst Dich selbst am besten Pavo. Eine klare Leitlinie war nicht zu deuten. Wo Du eine Grenze siehst, überschreite sie und die Zukunft ist uns sicher“, erklärte der Drache.


    „Grenze? Welche Grenze denn? Wie erkenne ich sie?“, stutzte Pavo.


    „Indem Du darauf gestoßen wirst. Du wirst sie erkennen, wenn die Zeit dafür reif ist. Im Nexus hat nichts irdische Gestalt. Du wirst vor eine gewaltige Wahl gestellt, wähle weise.


    Du musst eine alles umfassende Entscheidung treffen. Schon bald. Dies ist die Grenze. Wie sie aussehen wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Nur eines weiß ich gewiss, Deine Seele wird wählen müssen.


    Denke immer daran, ohne ein Ziel sind wir alle nur Kugeln im Wind. Immer wenn Du Dich vor einer scheinbar unlösbaren Herausforderung wiederfindest, hilft es, Dir all die Verräter, Opportunisten und Größenwahnsinnigen vor Augen zu führen, die nur darauf warten, dass Du scheiterst, damit sie sich über Dich hermachen und Dir das Fleisch von den Knochen reißen können mein Lieber.


    Wenn Du vor der weltlichen Endschlacht stehst, werden wir wie einst Seite an Seite kämpfen Pavo. Nun geh“, entsandte ihn Irimoq kryptisch und rätselhaft in die Nacht.


    Pavo verweilte noch etwas auf seinen Knien, dann brach er verwirrt auf, zurück zum Stützpunkt.



    ****


    Die Nacht vor der Schlacht


    Nachdem Pavo von seiner Reise zu Irimoq zurückgekehrt war, hatte er sich kommentarlos in seinem privaten Gemach zurückgezogen. Bassu sorgte sich um ihren Meister, so angespannt, distanziert und mysteriös hatte sie ihn selten erlebt.


    Es war einmal ganz anders zwischen ihnen gewesen. Aber seit dem Umzug Irimoqs war er nicht mehr der Pavo, den sie einst kannte. Auch sein Verhältnis zu seinen Brüdern war von einer gewissen Distanz geprägt.


    Bassu beschloss ihn nicht zu stören und mit seinen Grübeleien allein zu lassen, in der Hoffnung, es würde sich nach seinem leidigen Krieg mit den Chaoten endlich wieder bessern.


    Sie war gegen diese Schlacht, dagegen andere Wesen wie Ungeziefer zu jagen solange diese einen nichts getan hatten. Aber wenn es um solche Ansichten ging, hatte Pavo eine ganz eigene Meinung.


    Bassu betete, dass die nächsten Tage schnell herum gehen würden und Pavo es heil überstehen würde, damit sie gemeinsam nach vorne blicken konnten. Mit diesen Gedanken schlummerte die Menschenfrau ein.
    Pavo hingegen war hellwach. Er würde in dieser Nacht nicht viel Schlaf bekommen. Irimoqs Worte hallten in seinem Schädel nach.


    Angestrengt überlegte er, was der Drache gemeint haben könnte mit dieser „Grenze“ und was er nur tun sollte, um sich schon vorab den Sieg zu sichern.


    Ein Opfer? Ein Teil von sich selbst oder einen Feind? Vielleicht einen Verbündeten? Wen oder was sollte er opfern um diese imaginäre Grenze zu überschreiten? Oder dachte er in die falsche Richtung?


    Nein. Irimoq hatte eindeutig von einem Opfer gesprochen, von einer Wahl die er zu treffen hätte. Vielleicht einen seiner beiden Vertrauten? Er liebte seine Brüder und Ordensgeschwister, aber seit dem das Chaos fest zu ihnen gehörte, vertraute er niemand mehr.


    Wenn ihn die Entscheidung des Drachen eins gelehrt hatte, dann das die Rettung nicht aus dem Orden kam.


    Forderte Irimoq einen seiner beiden Vertrauten als Tribut für seine angestrebte Macht?


    Nuno oder Tho… seine Hände?


    Nuno war seine rechte Hand, Tho seine linke. Der Rest war ihm vertraut, aber für ihn persönlich bedeutungslos. Er hegte keinen Bezug zu den Personen. Sie waren da, verrichteten Ihren Job oder sie gingen… auf welchem Weg entschied er meist spontan.


    Eine Niederlage kam für ihn nicht in Frage. Unter keinen Umständen wollte er morgen als Verlierer vom Feld ziehen, oder gar beim Versuch seinen „Herren“ zu überzeugen sterben.


    Vielleicht ein Jahr, Jahre oder sogar Jahrzehnte – für ihn als Anhänger und Hohepriester des Irimoq war diese Zeitspanne unbedeutend. Selbst in 100 Jahren würde er noch in der Blüte seines Lebens stehen, wenn alle anderen "alten Herren" vergessen wären.


    Eine Welt frei von jedem Chaoten, geführt von einer elitären Gruppe von Hohepriestern des Irimoq mit ihm selbst und dem Drachen an der Spitze der Macht – dies war Pavo Traum.


    Wieso sah der Drache nicht ein, dass das Chaos eine Gefahr darstellte?
    Aber wer war er dem Drachen Vorschriften zu machen? Denn dieser war es, der ihn mit seiner Magie am Leben hielt.


    Die Alben waren Gefangene ihrer eigenen gütigen Gesetze. Pavo litt seiner Meinung nach unter keinen Skrupeln. Dennoch war er vorsichtig. Die Vergangenheit hatte schon ganz andere Sieger auf das Podest erhoben.


    Kleine hatten über Große gesiegt. Schwache in der Unterzahl befindliche Truppen hatten schon eine ganze Armee geschlagen. Wie war egal, die Sieger schrieben die Geschichte. Pavos Traum war ebenfalls einer dieser Sieger zu sein.
    Das Chaos musste gewinnen, damit das Chaos verlor, so sagte es einst der Drache voraus.


    Wenn Pavo schon die Geschichte seines Lebens schrieb, würde er nie wieder jemand anderes die Feder halten lassen. Das beschloss er in dieser Nacht, ehe er sich zum Gebet niederließ.


    ****


    Schatten


    Pavo hatte nicht lange gebetet, als sich die Schatten im Raum verfinsterten und lebendig zu werden schienen. Zuerst hielt er es für eine optische Täuschung auf Grund der langen Zeit, die er im Wachzustand verbracht hatte.


    Als eine Gestalt, schwarz wie eine mondlose Nacht, in eben solcher Kombat-Kleidung, glatzköpfig, mit Augen wie Gold den Schatten verließ, wusste Pavo dass sein Gott ihm einen seiner Meuchelmörder als Berater zur Seite gestellt hatte.


    Wäre er dieser Person draußen in Zivilkleidung begegnet, hätte er ihn ebenfalls sofort als das erkannt was er war. Er trug das Zeichen des Vollmondes, welches gleichzeitig das Dritte Auge symbolisierte als Narbe auf der Stirn. Ein Schatten, ein Wesen dessen Sonne der Mond war, ein Wesen das statt Wasser das Blut seiner Feinde trank.


    Pavo erhob sich nicht, bei jedem anderen Feind hätte er dies auch nicht nötig. Um sich seinem Gegner zu stellen und ihn zu fällen, würde er nicht mehr als einen Sekundenbruchteil brauchen… an einem schlechten Tag.


    Bei diesem Gegner wäre es sinnlos überhaupt in Erwägung zu ziehen dessen Angriff zu überleben, auch wenn er vor Irimoq anders geprahlt hatte. Es war nur eine provokante Neckerei dem Drachen gegenüber gewesen. Pavo wartete geduldig ab, ob dieser das Gespräch eröffnete.


    Die Gestalt war bis über die Nase vermummt, an den Augenwinkeln erkannte Pavo, dass dieser Schatten schmunzelte. Was der Düsterling so belustigend fand, entzog sich Pavo Kenntnis.


    Alle Schatten waren Düsterlinge, sie kamen aus der Dunkelheit und sie verstanden es sich in der Dunkelheit fortzubewegen. Aber die Schatten waren mehr als Düsterlinge die sich im Dunklen zurechtfanden, sie waren die Elite Meuchler des Drachen. Schickte er die Schatten los, gab es für diese Person kein Entkommen.


    Treu, loyal dem Drachen gegenüber und tödlich dem Feind – so waren die Schatten.


    „Der Orden des Drachen scheint verarmt zu sein, wenn man eingeladenen Gästen nicht einmal Tee anbietet. Nach Gebäck traut man sich schon gar nicht zu fragen…“, sagte der Schatten.


    Man hörte seiner Stimme an, dass dies nicht als Beleidigung gedacht war. Vermutlich war er es gewohnt wie ein bunter Hund von den Anhängern seines Meisters angestarrt zu werden. Entspannt setzte er sich Pavo gegenüber.
    „Unsere Gastfreundschaft gilt umso mehr für so einen hohen Besuch wie den Euren. Allerdings hatte ich nicht mit Eurem Erscheinen heute Nacht gerechnet“, antwortete Pavo höflich.


    „Wann dann? Nach der Schlacht? Falls meine Anwesenheit nicht mehr erforderlich sein sollte Deiner Meinung nach, werde ich gehen. Ich denke besser wenn ich eine Teetasse in der Hand halte“, sagte der Schatten.


    „Kommt sofort. Tee für unseren Gast - zügig“, befahl Pavo seiner persönlichen Dienerin die stumm und lautlos in der Ecke verharrt hatte.


    Es dauerte nur einen Augenblick, dann war die kleine, zarte Frau auch schon zurück und stellte mit demutsvollem Blick ihrem Gast den Tee vor die angewinkelten Füße. Kaum dass sie in ihrer Ecke wieder ihre Wartehaltung eingenommen hatte, fiel sie zur Seite und rührte sich nicht mehr.


    Dafür rührte sich der Schatten, er hatte sich den Mundschutz heruntergezogen und steckte etwas weg. Danach rührte er genüsslich seinen Tee um und trank einen Schluck.


    Pavo musterte irritiert seine Dienerin. Seine Jahrhunderte alte Erfahrung sagte es ihm auf einen Blick. Tot. Sie war auf unerklärlicher Weise von diesem Schatten gerichtet worden.


    „Wie wäre es wenn Du mir hilfst? Ich würde Dich offiziell in meinen Stab meiner direkten Untergebenen rekrutieren, wie ist Dein Name?“, fragte Pavo neugierig, was den Schatten schallend loslachen ließ.


    „Rekrutieren, das war gut. Nicht möglich, aber äußerst schmeichelnd. Mein Name ist Skondra. Dir helfen indem ich direkt eingreife und für Dich persönlich kämpfe? Dazu braucht es schon ein überzeugendes Argument.


    Denn wenn Du gewinnst, gewinnt unsere Herr – demzufolge auch ich.
    Scheiterst Du, tja warst Du wenigstens unterhaltsam, was unseren Herrn auch erheitert, demzufolge auch mich. Wie lautet Dein Angebot?“, hakte der Schatten nach.


    "Nun ich biete Dir an, daran beteiligt zu sein das Chaos selbst ins Chaos zu stürzen und die Chaoten auszurotten. Jene Bastarde die den Weg unseres Herrn verhindern wollen.


    Zudem kannst Du jeden Wunsch äußern. Egal was es ist, wenn es in meiner Macht steht werde ich es Dir besorgen. Personal, Flug-Schiffe, Opfer, Frauen, Männer, Reichtümer - Du wünscht es, Du bekommst es", erklärte Pavo lächelnd.


    "Großzügig. Wie könnte ich so ein Angebot ablehnen Hohepriester?", lächelte Skondra zurück.


    ****


    Das letzte Gefecht


    Wohlwollend schaute der Drache auf seinen Hohepriester herab. Ein Raubtiergrinsen teilte seine Lefzen. Für Sekunden, denn das Siegel, dass ihn auch in dieser Welt alle Zugeständnisse seiner magischen Macht sicherte ruhte noch einen Augenblick in grünen Goblin-Händen, ehe Pavo es zerbrach.


    Keuchend brach der Gigant in die Knie, nicht wissend wie ihm geschah und womit der Goblin ihn angegriffen hatte.


    Sein Messerschwanz peitschte nach ihm, aber es war so als schlug er in Zeitlupe zu und der Goblin parierte mühelos den Schlag mit seiner stählernen Klinge.


    „Wie kannst Du es wagen? Wie kannst Du Dich widersetzen? Siehst Du nicht was Du angerichtet hast?“, fragte der Drache und schaute verständnislos Pavo an.


    Pavo legte den Kopf schief und betrachtete den Drachen ohne jede Regung.


    „Was ich sehe ist sterbendes, totes Fleisch, nichts weiter. Du bist nichts – nur ein Kadaver“, sagte der Goblin und eilte an dem stürzenden Drachen vorbei, hinein in die Kammer der heiligen fleischlichen Reliquie.


    Selbst in der Kammer spürte man den Boden erzittern, als der Körper des Drachen zusammenbrach.


    Zeitgleich schlug der menschliche Körper der in der Kammer sicher verwahrt wurde die kalten, grauen Augen auf.


    Kreischend stoben die Düsterlinge auseinander und suchten Schutz an der Decke.
    „Verschwindet! Sofort!“, befahl Pavo und sie gehorchten klaglos seinem Befehl.
    Der alte Goblin verschloss die Kammer und sicherte sie von innen, während sich der Mann in dem Mix aus schützendem Sarkophag und Altar aufsetzte. Sein Blick fixierte den des Goblins.


    „Du wolltest in den Nexus mit einem Körper - Du hast es geschafft. Du wolltest zurück in das Reich der Lebenden – nun hier bist Du. Willkommen Zuhause Dave!


    Hier ist die Macht des Drachenkörpers aufgehoben. Als Sterblicher bist Du an alles gebunden, was das Leben so mit sich bringt. Du musst sogar atmen – eine ganz neue "alte" Erfahrung für Dich, nicht wahr?“, knurrte Pavo.


    Extrem langsam schüttelte der Magier den Kopf, wohl wissend dass der Goblin Recht hatte.


    Er hatte Unsterblichkeit gesucht und sie fast gefunden. Nun spürte er förmlich als körperlichen Schmerz seine eigene Vergänglichkeit und Sterblichkeit in dieser Welt.


    Mit einem wütenden Zähnefletschen, versuchte sich Dave aufzurichten – aber da war er schon bei ihm. Sein Schüler, sein Anhänger, sein bester Freund und der einzige Vater den er je gehabt und geliebt hatte.


    Er war diese Welt nicht mehr gewohnt, hatte die auferlegten Bedingungen von Schwerkraft und körperlichen Einschränkungen die einst auch für seinen damals menschlichen Leib galten längst vergessen. Der untote Körper des Drachen hatte ihm ungeahnte Freiheiten geschenkt.


    Er war fast ein Geistwesen gewesen, fast ein Gott – hier spielte er nach Pavos Regeln, und Pavo war gut.


    Pavo griff auf die Macht des Kriegsartefakts zu, dass der Drache ihm einst überreicht hatte. Er ging blitzartig in die Hocke und sprang so schnell er konnte in die Luft, so dass Dave die Bewegung noch nicht einmal registriert hatte, als er schon einen Salto unter der Decke vollführte. Mitten im Sprung zog er seinen Dolch. Mit der geweihten Waffe, schwärzer als jede Nacht trat er ihm entgegen.


    Der Magier riss schützend die Arme empor die ihm mit einem Male unsagbar schwer erschienen, aber dafür war es schon zu spät.


    Der unglaubliche Sprung hatte Pavo hinter ihn gebracht. Kaum dass seine Füße den Boden berührten, hatte er ihm schon die Klinge an den Hals gelegt.


    „Eine einzige falsche Bewegung und Du lernst die volle Tragweite des Begriffs Sterblichkeit kennen. Die zweite Perle der Nacht, sofort!“, zischte er drohend.


    „Du verlangst was?“, fragte Dave sichtlich irritiert.


    Hier war er kein gewaltig hohes Geschöpf mehr, das ihn allein mit Körpergröße besiegen konnte. Er hatte seinen alten Körper zurück, die Größe des Mannes, der einst seinen Körper gab um ihn im Körper des Drachen zu halten. Nun war er dahin zurückgekehrt. Folglich musste der Körper des Drachen vernichtet worden sein.
    „Die schwarze Perle - aufbewahrt zwischen Deinen Fängen als Drache und in Dir, als schützendes Band Deiner beiden Körper. Ansgar hat sie Dir in den menschlichen Schlund gestopft. Du hast mich schon verstanden – spuck sie aus“, knurrte der Goblin.


    Um seiner Drohung mehr Ausdruck zu verleihen packte er den Magier ins Genick und drückte mit aller Kraft zu. Gewaltig stark, aber nicht stark genug um ihn zu töten.


    Zähnefletschend verharrte Dave einen Moment, dann würgte er langsam eine Perle hoch und spuckte diese in seine Hand. Sie hatte die Größe einer Murmel und war von intensiver Schönheit.


    Pavo klaubte sie ihm sofort aus den Fingern. Kaum dass die Perle nun in seiner Hand war, ging eine seltsame Transformation mit Dave vor sich. Er schien binnen Sekunden zu altern.


    Keine Minute später saß vor Pavo ein nackter, verhärmter, alter Mann der darum kämpfte überhaupt noch am Leben zu bleiben.


    Schon das Atmen schien ihm alles abzuverlangen. Sein Körper hatte durch die magischen Mächte und seinen Lebensdiebstahl ein Alter erreicht, dass ein menschlicher Körper nicht verkraften konnte.


    Seine Lebensspanne war dermaßen überansprucht worden, dass er ohne diesen Machtmissbrauch nicht länger lebensfähig war.


    „Warum Pavo?“, hauchte er mit gebrochener Stimme.


    "Um Dich und die Welt zu retten und zu erlösen. Weil ich Dich liebe, weil Du mir alles bedeutest, weil ich Dich vermisse. Weil der Wahnsinn irgendwann ein Ende haben muss", flüsterte Pavo.


    Vorsichtig, behutsam ja fast zärtlich drückte er den Greis zu Boden.
    Der Magier ließ es ohne jede Gegenwehr zu.


    Schön und schrecklich zugleich war er einst gewesen. Nun lag er als zerstörter, alter Mann vor ihm. Gebrochen an Körper und Geist. Pavo beugte sich zu ihm herab.


    Der alte Goblin stach ihm den Dolch direkt hinter den ersten Nackenwirbel.


    Und so starb nach Jahrhunderten seiner Herrschaft Irimoq, der einzige Drache der jemals auf Asamura existierte hatte.


    Er starb wie er einst als Mensch lebte – still.


    **** **** **** *****


    Die Geschichte Irimoq habe ich auf besonderen Wunsch für meinen Kumpel Mo geschrieben.


    Sie ist von Dir gewünscht und Dir gewidmet Morasa
    :) :) :) Viel Freude damit :) :) :)

  • Oh Mann, die Geschichte ist unsagbar traurig und schön! Kein Wunder, dass Mo gern wollte, dass du sie hier einstellst. Das Ende habe ich nicht kommen sehen.



    Zitat

    Wenn Pavo schon die Geschichte seines Lebens schrieb, würde er nie wieder jemand anderes die Feder halten lassen.


    Du hast einige solcher wunderbaren Formulierungen darin. Und der letzte Satz ... :-( Da muss man echt aufpassen, dass man nicht irgendwas ins Auge kriegt beim Lesen. Okay, ich geb es zu, meine Augen glitzern jetzt doof rum.


    Skondra ist unheimlich und sympathisch gleichzeitig. Von ihm würde ich gern mehr lesen, vielleicht hast du irgendwann Gelegenheit, ihn mal wieder einzuweben.


    Eine wirklich schöne Geschichte, die mir die Mittagspause versüßt und mich dazu verleitet hat, doch etwas länger Pause zu machen, als geplant.


    Danke für dieses wunderbare Stück asameische Literatur!

  • Dankeschön für Eure lieben Worte :) :) :)


    Mo hat sich eine Story mit Drache und Dave gewünscht. Wie ich schon einmal erzählte habe (Mo aber auch selbst mal berichten kann ;) ) las er schon einige Zeit hier mit, bevor er angemeldet hat.


    Wie gesagt, der Wunsch war ein Drache und Dave sollte vorkommen.
    Da es auf Asamura keine Drachen gibt und folglich ein Bündnis mit einem "echten" Drachen unmöglich war, kam mir die Idee, wer sagt denn - dass man einen Drachen finden muss? Dave selbst könnte der Drache sein bzw. werden.


    Und so entstand die Idee zu Irimoq dem Drachen des Südens. Passend dazu habe ich in einem Game einst einen untoten Drachen gesehen, der mir dann sofort zurück in die Erinnerung sprang als Bild für Irimoq. Nichts was in meinen Augen passender wäre als ein Untoter, in dem Fall ein Drache, was Daves Familie anbelangt :).


    Da die Geschichte des Drachen 200 Jahre nach unserer heutigen Asamura Zeit spielt, wird keiner unserer jetzigen Chars den Schatten Skondra je persönlich kennenlernen :).


    Aber da der Drache eine lange Zeit existierte, eben um die 200 Jahre, kann ich gerne mal eine Geschichte im "Zeitalter des Drachen" rund um Skondra den Düsterling schreiben :)


    Es freut mich dass er so angekommen ist, wie er ankommen sollte. Er ist ein kleiner, netter Kerl, wie Düsterlinge eben so sind, zeitgleich aber auch eine der tödlichsten Sterblichen in den Reihen der Untertanen des Drachen.


    Vielen Dank auch für das Lob an meinen Formulierungen, dass hat mich sehr gefreut :) :) :)


    Nun in dieser Geschichte ging Dave eben fast ohne positive Lebenserfahrung in seine neue Gestalt über. Er hat nicht Tarkan betrogen, sondern Pavo belogen.
    Sein Wahlspruch den er nicht aussprach war:


    In einer Welt wo mein Leben bedeutungslos ist, hat wenigstens mein Tod seinen Preis!


    Ergo, er wollte jeden auslöschen der nicht seiner Meinung war. Sein Endziel war das Diesseits und den Nexus als eine Ebene zu verbinden. Folglich sämtliches körperliche Leben damit mit einem Schlag auszulöschen.
    Keine Schmerzen mehr, keine Qualen mehr, keine weltliche Existenz mehr - nur noch Existenzen in purer Geistform. Wandeln im Nexus jederzeit ohne dafür einen Körper verlassen zu müssen, denn es gibt keinen Wechsel mehr zwischen Diesseits und Jenseits - beides wurde eins - seine Welt. Der Ort, an dem er sich stets wohl und geborgen fühlte, der Nexus, ist allumfassend geworden.


    Wenn das den Tod aller bedeutet - dann sei es so.


    Nur um das Ziel zu erreichen, musste er einen langen Weg laufen, fliegen, lügen, manipulieren und ist am Ende doch gescheitert.


    Und korrekt, als Pavo Dave richtete, richtete er sich damit selbst. Denn niemand versorgt ihn nun mit gestohlenen Leben. Pavo hat das Opfer bewusst gewählt, da er erkannt hatte, was das Endziel von Dave war.


    Der Wahnsinn, geboren aus Hass, Schmerz und Einsamkeit sollte enden und nicht die Welt in den Abgrund reißen.


    Das zu meiner Story :) :) :)


    Ich sagte doppelt Danke und es freut mich, dass sie Euch so gut gefallen hat
    :) :) :)

  • Davard von Hohenfelde

    Hat den Titel des Themas von „Irimoq - Der Drache des Südens -- Standalone“ zu „Irimoq - Der Drache des Südens“ geändert.