Partner -- Jeelen

  • Jeelen - Partner


    Der erste Schlag lockerte einen der Backenzähne und riss ihren Kopf zur Seite. Sie sah den zweiten Hieb nicht kommen, spürte nur die spitzen Fingerknöchel, die sich in ihr linkes Auge bohrten. Das Gebrüll ihres Peinigers wurde unverständlich.


    Sie zerrte an ihren Fesseln, die in ihre helle Haut schnitten und sie an den Stuhl fesselten. Schließlich brachte sie den Mut auf, vielleicht war es auch nur reiner Trotz, ihren Angreifer ins Gesicht zu schauen. Der Kerl ragte vor der kleinen Zwergenfrau auf, ein halsloses, fettes Ungetüm das nach Whisky stank.


    Das menschliche Monstrum war eine ganze Ecke älter als Lydia und alles andere als behände, doch im Augenblick spielte das keine Rolle. Das Ungetüm öffnete den Mund, um eine Reihe gelber Zähne zu entblößen. Er brüllte etwas, aber man konnte es nicht verstehen und draußen tobte ein gewaltiger Sturm. Sturm war selten gut.


    Lydia zitterte. Ob aus Angst oder weil man ihr etwas eingeflößt hatte – wer weiß? Beides war möglich. Sie versuchte zu blinzeln, doch ihr linkes Auge war zugeschwollen. Ein Blitz – das Ungetüm hatte ein Messer gezückt.


    Lydias Messer. Nicht irgendein Messer – ihr Kampf-Messer. Ein Messer aus geschmiedetem Zwergenstahl, schärfer als jede Rasierklinge. Eigentlich sollte es ihr Glück bringen…


    Der Fettsack beugte sich vor und hielt Lydia die Klinge vors Gesicht. Er sprach jetzt langsamer, und obwohl er immer noch in einem seltsamen Mix sabbelte, verstand man endlich was er da sprach.


    „Wir wissen was Du hier wolltest Zwerg. Nenn uns Deinen Auftraggeber und Du bleibst am Leben“, grinste das Ungetüm.


    „Ich bin kein Verräter, das steht fest. Genauso steht fest, dass Sie mich so oder so umbringen werden. Sie können mich jagen, fangen, Sie können mich töten – aber zum Reden bringen können Sie mich nicht“, antwortete Lydia erstaunlich ruhig.


    Einen Moment stand das Ungetüm nur da. Mit einem Mal lächelte der Kerl und strich Lydia zärtlich über die Wange.


    „Dann wird das für uns beide eine sehr lange Nacht“, sagte der Fettsack. In seinem linken Ohr stecke ein Ohrring, und der Ring reflektierte den Schein der Deckenlampen, so dass Lydia nichts anderes sah als den Ohrring. Sie wusste dass sie gleich durch die Hölle gehen würde. Lydia schluckte und man sah ihr an, sie kämpfte Ekel und Kotzgefühl herunter.


    Erst als ihr Blut ins Gesicht spritzte, wurde ihr klar, dass jemand das Ungetüm vor ihr in den Schädel geschossen hatte. Der Bolzen stammte aus einer Armbrust.


    Der tote Koloss krachte auf Lydia und begrub sie unter sich, während der Stuhl nachgab und zerbrach. Die Klinge flog in die Dunkelheit davon. Sie würgte, knurrte und fluchte wie es nur ein Zwerg kann.


    Mit einem Ächzen stemmte sie sich gegen den Körper des Toten an und wand sich keuchend unter ihm hervor. Lydia rollte sich auf die Seite und ließ den Blick durch den Raum schweifen, es war altes Lagerhaus im Hafen.


    Und dann schälte sich etwas aus dem Schatten. Der Kollege, der „Partner“ von Lydia.
    Lydia seufzte erleichtert.


    „Jozo wo zur Hölle warst Du? Vergiss es, ich bin froh dass Du rechtzeitig hier warst“, murmelte Lydia. Jozo trat an sie heran, zog seine Pfeife hervor und zündete sie in aller Seelenruhe an.


    „Hallo? Anstatt zuerst zu Rauchen könntest Du mich vielleicht losschneiden?“, sagte Lydia zu Jozo und kämpfte gegen die Fesseln an.
    „Dir helfen? Natürlich…“, antwortete der Arbeitskamerad von Lydia, zückte seinen Dolch und drehte die Waffe in seiner Hand hin und her. Er richtete die Spitze dann auf Lydias Gesicht.
    „Helfen hm?“, grinste er.


    „Das ist jetzt ein Scherz oder? Du gehörst zu ihnen? Nicht Du Jo“, sagte Lydia sichtlich erschüttert.


    „Jeder muss sehen wo er bleibt Lydia. Unser Sold ist nicht so sonderlich. Du verstehst es einfach nicht, Du bist halt einfach ein Zwerg. In Bestechungsdingen bist Du eine Niete. Ich hab keine andere Wahl. Es ist nichts persönliches, eine rein geschäftliche Angelegenheit, dass verstehst Du doch“, grinste Jozo.


    „Bestechung? Du lässt Dich von zwei Seiten kaufen? Ich verstehe gar nichts mehr. Warum hast Du mich dann gerettet?“, fragte Lydia und schloss die Augen.


    „Gerettet? Das habe ich doch gar ni…“, antwortete Jozo.


    Weiter kam Jo nicht. Erneut ein Schuss aus der Armbrust. Nur ein winziges Stück Metall, dass in seine Stirn eindrang, seinen Schädelknochen zertrümmerte und sich in sein Gehirn grub bevor er auch nur begriff was geschah.


    Jozo klatschte mit klaffendem Loch im Hinterkopf auf den Boden.
    Lydia knurrte erneut, diesmal vor Erleichterung. Sie kniff ihre grünen Augen zusammen und versuchte mit ihrem Blick die Schatten am anderen Ende des Lagers zu durchdringen.


    „Vielen Dank“, rief Lydia in die Finsternis.
    Sie erhielt keine Antwort.


    „Ähm –Wer bist Du?“, rief sie etwas lauter.


    Wieder nichts als das Geräusch des Sturms. Sie lag einige Sekunden da und beschränkte sich aufs Atmen, während sie scheinbar darauf wartete, dass sich ihr Retter zeigte. Ein letzter Versuch.


    „Na komm schon, zeig Dich wenigstens. Wer bist Du?“, fragte Lydia erneut.


    Sie wälzte sich auf den Rücken und zog die Arme unter dem Hintern nach vorne durch, so dass sie die Hände wenigstens vor dem Körper hatte. Lydia verschnaufte einen Moment, ehe sie sich daran machte Jozo zu filzen und nachdem sie dessen Kampfmesser gefunden hatte, befreite sich die Zwergin von ihren Fesseln.


    Lydia wandte sich den beiden Leichen zu und fuhr sich mit einer Hand durch ihre feuerroten Haare und dann über ihr geschundenes Gesicht. Erneut suchte ihr Blick den Raum ab. Lydia schien den Blick ihres heimlichen Beobachters zu spüren.


    „Ich gehe jetzt – Danke nochmal“, rief sie in die Dunkelheit.


    Sie hatte noch einiges zu erledigen in dieser Nacht…


    Der Morgen graute schon als Lydia zurück nach Hause in das Versteck unserer Bande kam. Ich hörte wie sie draußen aufschloss und dabei leise fluchte. Mit einem Satz war ich auf den Beinen und öffnete ihr die Tür. Ich zog Lydia sofort herein. Sie war zerschlagen und fertig. Vorsichtig untersuchte ich ihre Wunden. Die Zwergin setzte einige Male an zu erklären was passiert war, aber ich schüttelte nur den Kopf.


    „Für Dich liegt was auf dem Küchentisch“, teilte ich ihr kurz mit, nachdem ich ihre Wunden versorgt hatte. Sie drückte mich kurz, bevor sie in die Küche ging. Ich hörte ihre Schritte, hörte wie sie in der Küche die Kerze ansteckte und dann erstaunt keuchte.


    Als Lydia zurückkam steckte ihr Messer aus Zwergenstahl wieder in ihrem Gürtel.
    Sie umarmte sie mich und drückte mich fest an sich.


    „Du?“, flüsterte sie nur.
    "Ich", grinste ich sie schräg an und zuckte mit den Ohren.

  • Eine schöne Kurzgeschichte mit einem niedlichen Ende. Lustig auch der Plottwist in der Mitte mit Jozo. Arme Lydia! Wobei ich den Herrn mit Adipositas irgendwie sympathisch fand, der war so schön garstig und modebewusst obendrein. Mich hätte interessiert, welcher Daseinsform Pummelchen und Jozo angehören. Da in Asamura ja die unterschiedlichsten Gestalten ihr Unwesen treiben, ist das ja nicht ganz selbstverständlich.


    Schöne Geschichte, freue mich auf vielleicht mehr. :)

    "Die Menschen bauen zu viele Brücken und zu wenige Mauern."

    - almanische Weisheit -