• Reine Kopfsache


    Der Nebel lichtete sich. Er stand vor einem kleinen, grauen Haus, dass aussah als hätte man zwei riesige Kiesel aufeinander gestapelt. Die beiden oberen Fenster waren mit Papier statt mit Glas ausgekleidet. Die Tür war grob aus Holz zusammengezimmert worden. Auf dem oberen Kiesel stand eine Art Bastbüschel ab, was dem ganzen Konstrukt den Anschein eines steinernen Schneemanns verlieh.


    Mit so etwas knuffigem hatte er in dieser Welt nicht gerechnet. Das Steinhäuschen wirkte fast infantil niedlich.


    Der Hexer schritt die Wurzelstufen zu dem Häuschen hinauf, öffnete die Tür und trat ein. Die Tür schloss sich hinter ihm und schlagartig stand er in einem kreisrunden Raum, der kaum genug Licht bot um ausreichend sehen zu können.


    Zuerst sah er nichts, bis ihm bewusst wurde, dass er etwas riechen konnte. Es stank wie ein frisch exhumiertes Grab nach alter Erde, Schimmel und verrottendem Fleisch.


    Der Raum vor ihm war vollkommen dunkel. Dave konnte nur undeutliche Formen erkennen, es war als habe jemand das gesamte Licht aus der Welt gerissen um ihn in absoluter Finsternis zu begraben.


    Aber in dieser Welt existierte Geruch und Geräusch. Er konnte die Geräusche von zahlreichen, schlängelnden Leibern hören, die gemeinschaftlich in seine Richtung krochen. Ein feuchtes, schmatzendes Geräusch, bevor es wieder monumental still wurde.


    Dann flammte schlagartig Licht auf. Es wurde nicht wirklich hell, sondern die Finsternis verwandelte sich in ein diffuses, schmieriges Grau, dass Sehen erlaubte.


    Vor ihm mitten im Raum hockte ein gewaltig fetter toter Mensch auf einem Stuhl. Der Kadaver lag mehr, als dass er saß. Sein Bauchumfang war gewaltig. Seine Haut hatte mittlerweile eine grün-graue Färbung angenommen. Seine Arme und Beine wirkten aufgrund seines Leibesumfangs viel zu klein für so einen mächtigen Körper. Ebenso der Kopf. Sämtliche Proportionen schienen aufgrund der Fettmaßen verschoben zu sein.


    Ein plötzliches glucksendes Geräusch ließ den Hexer irritiert innehalten.


    Der kahle Kopf mit den leeren Augenhöhlen und dem zu einem stummen Schrei geöffneten Mund rollte zur Seite, was den Magier alarmiert zusammenzucken ließ.


    Ohne jede Vorwarnung kam Leben in den gewaltigen Wanst des Toten. Kontraktionen durchzogen seinen Bauch als bewegten sich Fische oder Schlangen unter seiner aufgedunsenen Haut.


    Der Bauch schwoll auf eine unglaubliche Dicke an, als etwas mit einem Ratschen die Bauchdecke durchbrach. Wie ein einzelner Dorn starrte eine schwarze, gekrümmte Spitze, ähnlich einer Klaue, aus der Bauchdecke des Toten hervor. Die merkwürdige Klaue verharrte dort einen Sekundenbruchteil, ehe sie die Bauchdecke entlang runterglitt und mit einem saftigen "Flupp" wieder im Bauchraum verschwand.


    Es folgte erneut ein Moment der Stille, dann schoben sich langgliedrige, schlanke Finger durch den Öffnungsspalt der Bauchdecke. Die Finger waren so lang und schmal, dass sie bereits wie Waffen - ja wie Stilette aussahen.


    Unsicher tasteten die Finger den Rand der Bauchdecke ab. Ungelenke, abgehakte, groteske Bewegungen die den Fingern das Aussehen eines Insekts verliehen.


    Mit einem nassen Ratschen schoben sich die Hände ins Freie. Lange starke Finger. Kampfsportlerhände die die Bauchdecke komplett von innen zu einer gewaltigen Wunde aufrissen.


    Aus dem Bauchraum erhob sich ein Schleim- und Gewebeüberzogenes undefinierbares Etwas, fern an einen kleinen Menschen erinnernd. Das Ding setzte sich in Zeitlupe auf. Dabei gab es krächzende, leise Laute von sich. Es klang fast als brabbele es flüsternde Obszönitäten auf Demonai.


    Dort mitten in dem klaffenden Loch des Bauchraumes des Toten thronte es absolut reglos, so als wäre er überhaupt kein lebendiges Wesen. Der Gestank aus dem offenen Kadaver war unerträglich.


    Blitzartig schnellten zwei langen, spitzen Ohren nach vorne. Das Wesen schüttelte sie in einer schlackernden Bewegung und warf so einen Großteil der schleimigen Masse ab die sein Kopf überzog.


    Dunkelbraune, eiskalte Augen denen jedes Gefühl fehlte musterten den Magier, während Schleim, Gewebefetzen und geronnenes altes Blut ein gelbes Gesicht hinab liefen, sich an einem spitzen Goblinkinn sammelten und zähflüssig zu Boden tropften.


    "Kuck-Kuck Davy", gurrte Jozo.
    "Jozo", sagte Dave ruhig.


    Er ging auf den gelben Goblin zu um ihn zu berühren. Schlagartig platzte die Haut des Goblins komplett auf, schlangenartige Fortsätze bildeten sich bis der Mann nur noch aus einem Gewimmel von schwarzen Schlangen zu bestehen schien die kein Mensch festhalten konnte.


    Sie schossen an, um und über Dave vorbei, so dass diesem ganz schwindlig wurde. Dave konnte nicht einmal mehr sagen, wo überall diese eiskalten Schlangen über seine Haut hinweg gestrichen waren.


    Für einen Augenblick verharrte das Wesen und die Schlangen formten erneut sein Goblin-Antlitz.


    "Gucken, nicht anfassen!", gackerte es.


    In die reglosen Schlangen kam schlagartig wieder Bewegung. Sie knäulten sich vor Daves Augen zu einer gewaltigen Säule zusammen, wurde immer feiner und dichter fast wie ein schwarzer Schatten. Im selben Moment schossen sie in Richtung Decke davon und verschwanden in der alles verschlingenden Dunkelheit.


    Als Daves Blick sich von der Decke löste, war der Tote verschwunden. Nur eine ölige, talgige, schwarze Substanz war als Schmierspur auf dem Boden zurückgeblieben. Daves Blick folgte der Spur.


    Die Wand des kreisrunden Raumes war nun gespickt mit Türen und auf eine dieser Türen lief die schwarze Schleifspur zu. In einer einzigen schlagartigen Bewegung knallten die Türen auf. Die Spur führte hinter der besagten Tür weiter und verlor sich dort in der Dunkelheit.


    Dave folgte der Erinnerung.

  • Schwester


    Der gelbe Goblin sah sie nur für einen winzigen Augenblick, aber wusste sofort dass es Kari war. Er spürte wie siedend heiße Wut durch seinen ganzen Körper loderte. Das war nicht nur ein flüchtiger Eindruck, keine zufällig aufflammende Emotion, so etwas besaß er nicht.


    Er sah sie und er wollte ihren Schmerz. Er wollte sie leiden sehen, wollte ihren Schmerz unverfälscht fühlen. Der Ruck, der Widerstand der seinen Arm hochschießen würde, wenn er ihr das Messer zwischen die Rippen rammte.


    Das Leid genießen, wenn er die Klinge so brutal nach oben riss, dass sie Knochen und Sehnen von Kari durchtrennte und seine Schulter und Brust vor Anstrengung pochen ließ.


    Er würde ihr die Klinge so oft in den grünen, widerwärtigen Balg rammen, bis der Schmerz sogar in seine Kauleiste zog und seine Zähne vor Schmerzen schrien, weil er sie vor Genugtuung so fest aufeinander gebissen hatte.


    Kein Wort, er würde ihr kein einziges Wort gönnen - denn eines hatte sie immer gewollt - REDEN!


    Es schüttelte sich kurz wie ein nasser Hund um das Verlangen der Jagd zu vertreiben. Wenigstens für ein paar Stunden musste er sich gedulden. Tagsüber war er kein guter Jäger, der Tag war nicht seine Zeit. Dort schlief er meist und schöpfte Kraft für die Nacht. Oder er döste im süßen Rausch der Drogen vor sich hin und wartete auf die Dunkelheit.


    Kari. Jozo blinzelte, so einfach ließ sich dass Gefühl nicht abschütteln.
    Der gelbe Goblin legte die Ohren an und witterte mit halb geschlossenen Augen nach seiner Schwester.


    Der Geruch, es war als wäre alles was er über seine Schwester gewusst hatte, wieder da. Alles was in seinem Verstand übrig blieb, war ein Gefühl sie korrumpieren zu wollen, ihr zu schaden um gleichzeitig damit Arun zu verletzten. Alles was er jetzt zu tun hatte war klar. War schon immer klar gewesen, so zutiefst perfide, abartig und bösartig und so urvertraut - so... persönlich, dass es in ihm den Wunsch weckte sie aus ihrer Haut zu schälen wie eine überreife Furcht und sie sich als Trophäe selbst wie ein altes verdrecktes Kleid überzustreifen. Die Vorstellung allein jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken.


    Er witterte, sie war nah... war noch so nah...


    Jo schlackerte kurz unentschlossen mit den Ohren. Dann nahm er die Verfolgung.


    **


    Daves Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit und er folgte dem Erinnerungs-Jozo wie ein unsichtbarer Begleiter.


    Ein dumpfes, bassartiges, oszillierendes Stampfen erfüllte die Luft. Man spürte das Vibrieren bis in die Knochen. Dave schritt hinter Jo, vorbei an Statisten dieser Welt. Tote, ausgehungerte Fratzen mit leeren Mienen und gebrochenen Augen starrten ihn beim Vorbeigehen an.


    Dave fragte sich, welche Erinnerung diese Bilder widerspiegelten, als sich Jozo zu ihm umdrehte.


    Sabber glänzte auf seinen Lippen. Seine Zähne und Lippen waren verkrustet von getrocknetem Blut. Wohin Dave auch schaute, überall waren diese toten Gesichter. Schlagartig schossen blutrote Streifen durch die Luft, als würden sich Klauen ein Weg durch die Dunkelheit schlitzen. Als er hinschaute waren die Gesichter verschwunden. Die Dunkelheit verschluckte ihre Opfer und lichtete sich langsam wieder.


    Als er näher hinschaute, sah er ein Mädchen. Eine junge Goblinfrau. Sie stand allein in einer Art Keller, umringt von einem Berg faulender Kadaver die sie wie ein Käfig aus verwesendem Fleisch gefangen hielten.


    Das Bild flackerte kurz, dann stand Jozo vor ihr.
    Ihr Blick - sie erkannte ihn!


    Kari - eine unbeabsichtigte Information.


    "Wenn ich mache was Du willst Jojo, lässt Du mich dann gehen? Ich habe doch immer getan was Du wolltest... Bitte Jojo, Du bist krank. Ich helfe Dir versprochen, nur bitte lass mich frei. Ich liebe Dich doch... warum machst Du dass...", weinte die kleine Frau und streckte ihre Hände flehend nach ihm aus.


    In dem Moment stürzte er sich auf sie und hieb mit seiner schwarzen Klinge wie ein Wahnsinniger auf sie ein. Er schlitzte ihren Oberkörper in Stücke, so dass sie fast auseinandergerissen wurde. Selbst dort wo Dave stand, konnte er die knirschenden Laute hören, wenn die Klinge auf Knochen traf und diese nach kurzem Widerstand durchtrennte.


    Verzweifelt versuchte die Goblin sich mit in die Höhe gerissenen Armen vor dem Messer zu schützen, aber das war so unmöglich wie einen Waldbrand mit einer Tasse Tee zu löschen.


    Die kleine Frau ging wie in Zeitlupe in die Knie. Sie versuchte sich mit zerstörten Händen an Jozo festzuhalten. Unverständnis und Unglauben im Blick.


    Blutige Blasen traten bei jedem Atemzug aus ihrer zerstörten Kehle. Jo grabschte ihr in die Haare und schleuderte sie zu Boden wie eine zerstörte Puppe. Er setzte sich auf sie, presste sein Maul gegen ihre offene Kehle und atmete einige Male durch. Dann biss er so fest zu, dass man den Knorpel knacken hörte, die Zähne dabei wie ein Tier gebleckt. Der Körper der kleinen Frau zitterte noch eine Weile, dann lag sie still und die Dunkelheit verschlang sie.

  • Ennis Erste Jagd


    Sie liefen eine ganze Weile durch die Nacht. Die kleine Goblin folgte ihrem Kumpel auf dem Fuße. Jozo war von Kopf bis Fuß in seine Kampfkombo gehüllt und gab lautlos den Weg vor bis Enni stoppte, blitzschnell in eine Seitengasse abbog und die Verfolgung von einer Person aufnahm.


    Dave beobachtete das Geschehen und hoffte, dass diese kleine Frau nicht den gleichen Weg gehen musste, den zuvor die Schwester von Jozo gegangen war. Unsichtbar folgte er der Gedankenspur.


    "Mir nach, hier ist einer!", flüsterte die kleine Goblin.
    "Du hast einen erwischt! Hey ich bin stolz auf Dich. Bin gleich da, wobei lass uns was mit dem Drecksack spielen… Lust?", flüsterte Jozo.


    "Was soll ich tun?", fragte Enni.
    "Feuertaufe Kleines. Schlachte ihn ab", säuselte Jo.


    "Echt?", wisperte die kleine Frau und zuckte nervös mit den Ohren.
    "Ja", grinste Jozo über beide Ohren, "ich geb Dir Rückendeckung!"


    Enni war dem Typen lautlos gefolgt und nun sprang sie ihm einfach in die Knochen. Mit einem Brüllen drehte sich der Büttel um und erstarrte.

    `Eine winzige Goblin? Was bei Ainuwar ist das?´, schoss es dem Mann durch den Kopf.


    Unheimlich wie ein überirdisches Wesen sah die Goblin aus. Wie eine Mischung aus Kleinkind und Dämon. Mit einem Gesicht blasser als Enni starrte er binnen Sekunden der kleinen Goblin mit den hellen Haaren ins Gesicht und griff dann ohne zu zögern an.


    Er war kein Idiot, er war ein ausgebildeter Büttel und dieses Weib hatte ihn angegriffen.


    Er griff sofort nach seiner Waffe. Doch dieser Winzling von einer Frau stürzte sich bereits auf ihn und das unfassbar schnell. Sie machte irgendwas mit ihren Händen, dass der Fremde nur als verschwommene, blitzartige Bewegung sehen konnte.


    Richtig wahrnehmen konnte er es nicht. Kaum dass er das Schwert aus der Scheide gezogen hatte, hatte Enni bereits sein Handgelenk gepackt. Der Kerl versuchte das Schwert hochzureißen, aber die Frau war stärker als er vermutet hatte.


    Panisch griff er mit der freien Hand nach dem Arm von Enni. Er war immerhin fast einen Meter größer und sehr viel schwerer als diese Goblin-Furie vermutete er.


    Aber diese hatte den besseren Stand und die besseren Tricks. Dann plötzlich die Erkenntnis auf dem Gesicht des Mannes, er wurde mit nur einer Hand von dem Weib festgehalten. Wo war die andere Pfote?


    Als die Klinge in seinen Unterleib eindrang und mühelos Haut, Muskeln und Knochen durchtrennte, stockte dem Büttel der Atem.


    Zeitgleich wurde er von etwas anderem gepackt und nach hinten gerissen. Einen Sekundenbruchteil später, explodierte der Schmerz in seinem gesamten Körper und eine Klinge ragte vorne aus seiner Brust. Bewegungsunfähig erschlaffte er und ließ das Schwert fallen. Er keuchte schwer, während Enni die Klinge aus seinem Körper zog und die Klinge in seiner Brust mehrfach herumgedreht wurde um größtmöglichen Schaden anzurichten.


    Die kleine blasse Goblin starrte ihn an, während der Büttel zur Seite kippte und vor sich wie aus dem Nichts einen vermummten Goblin auftauchen sah. Nun wusste er wer ihn mit tödlicher Kraft ein Messer ins Kreuz gerammt hatte.


    Der Goblin riss den Büttel an sich.
    "Sieh zu und lerne Kleines", säuselte der Vermummte.


    Erneut wurde dem Büttel eine Klinge in den Leib gestochen. Immer und immer wieder und dass in einer grauenvollen, unglaublichen Geschwindigkeit mit fast maschineller Präzision.


    Das Messer des Goblins drang so tief in seinen Körper ein, dass er die Spitze über den Beckenknochen schaben fühlte.


    Vergeblich versuchte er ein letztes Mal Kontrolle über seinen Körper zu erlangen und die Arme nach dem zweiten Angreifer auszustrecken. Minimal konnte er wirklich die Arme heben, ehe er einen knochenbrechenden Faustschlag des Goblins ins Gesicht kassierte.


    Ein letztes Mal wurde die Klinge herausgezogen und der Goblin ließ ihn einfach fallen. Der Büttel schlug der Länge nach auf den Boden und lag nun wie er mit Entsetzen feststellte in den Fetzen seiner eigenen Eingeweide.


    Warmes Blut breitete sich unter ihm in einer großen Lache aus. Und bei all dem gab er keinen einzigen Laut von sich, da ihm sein Körper soweit überhaupt nicht mehr gehorchte.


    Er wollte nur noch in der Schwärze versinken, als er erneut im Genick gepackt und in die Höhe gerissen wurde. Der Kerl schälte ihm das Gesicht mit der Sorgfalt eines Chirurgen vom Knochen. Danach wischte der Goblin die blutverschmierte Klinge an den Haaren des Büttels ab.


    "Du bist schnell", freute sich die kleine Frau.
    "Übungssache. Du musst sorgfältig arbeiten, die Schnelligkeit kommt von alleine - wirst sehen", antwortete der Vermummte gut gelaunt.
    „Steck schnell die Gesichts-Schwarte ein, wir müssen weiter“, sagte die Kleine.
    "Gleich", antwortete der Vermummte.


    Ein letzter prüfender Blick aus kalten, dunkelbraunen Augen. Sein Schlächter grinste über beide Ohren lüftete kurz seinen Mundschutz und presste ihm dunkle, eisige Lippen auf seine nicht mehr vorhandenen und leckte ihm das Blut vom einstigen Gesicht.


    Der Kerl schien die Zunge über den Gaumen zu rollen und über den Geschmack auf seiner Zunge nachzudenken. Dann schüttelte sein Schlächter leicht den Kopf und ließ ihn erneut zu Boden stürzen.


    Mit Augen die er nicht mehr schließen konnte, sah der Büttel die Waffe die ihn getötet hatte. Die Klinge sah eigentlich überhaupt nicht aus wie Metall, schoss es dem Büttel wie irreal durch den Kopf.


    Sie war mattschwarz, wie die Vermummung seines Feindes und krumm wie eine Klaue. Dann sah der Büttel, wie der Goblin die Klinge wieder in seinem Ärmel verschwinden ließ, als wäre sie nie dagewesen.


    Das letzte was der Büttel in seinem Leben sah, war wie schwarze, schwere Arbeiterstiefel achtlos über ihn hinweg stiegen, gefolgt von kleinen hellgrünen Füßchen mit rot-lackierten Zehennägeln ehe beide in der Dunkelheit der Nacht verschwanden und die Finsternis sie verschluckte...

  • Obenza, einen halben Tag vor den Geschehnissen im obigen Beitrag.


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    Tagelang hatte Firxas sich um Normalität bemüht, nachdem er den sterbenden Söldner im Arm gehalten hatte, bis die letzten Lebensgeister aus ihm gewichen waren. Das Erlebnis war ihm ziemlich an die Nieren gegangen. Trotz mehrmaligen Waschens und Schrubbens waren noch immer die Flecken auf seinem ausgeblichenen schwarzen Oberteil zu sehen. Firxas hatte in den folgenden Tagen im Söldnerlager seinen Dienst verrichtet, ohne mit der Wimper zu zucken, hatte Wache geschoben, auf dem Exerzierplatz geübt, ein paar Landstreicher aus der Stadt gejagt und wie früher bei zwei öffentlichen Hinrichtungen für Ordnung gesorgt. Tagsüber konnte er das Erlebte gut verdrängen, indem er sich mit seiner Arbeit ablenkte, doch nachts wälzte er sich derart auf seiner Pritsche, dass seine Zimmergenossen ihn auf den Gang geworfen hatten. Sein Kommandant hatte ihm daraufhin einen Tag Urlaub mit Ausgang verordnet, obwohl Firxas gar keinen Urlaub wollte. Er glaubte nicht, dass ihm zusätzliche Ruhe gut tun würde.
    Aber es war nun einmal Befehl.


    Zerknautsch und mit dunklen Ringen unter den Augen schlenderte er in ziviler Kleidung durch die Stadt. Sein Ziel war das Hafenviertel, wo die gewaltigen Schiffe hinaus in die Mondlagune zogen und Shezem in Schwärmen durch die trübe Hafenbrühe glitten. Dort fand sich auch eine Zweigstelle des Hohen Gerichts, wo man Beschwerden und Meldungen von Verbrechen einreichen konnte.
    "Tag", sagte Firxas. "Ich will einen Mord in der Taverne zum Schluckspecht melden. Opfer ist ein Söldnerkamerad aus dem Lager hier bei Obenza, der Mörder wahrscheinlich ein gelbhäutiger Goblin. Wurde schon in der Taverne gemeldet, aber da hatte es keinen der Büttel interessiert."


    Auch dieser Büttel nickte gelangweilt. Irgendein fremder Söldner von außerhalb war von untergeordnetem Interesse und man merkte, dass das Hohe Gericht zu Obenza sich nicht wirklich zuständig dafür fühlte. Firxas ärgerte sich darüber. Der Söldner war sinnlos um sein Leben gebracht worden, von irgendeinem Irren, aus nichts als einer dummen Laune heraus. Es war gar kein übler Kerl gewesen, trotz seiner rauen Marotten. Dass sein Tod nun nur ein lästiger Eintrag sein sollte, schmerzte. Im Söldnerlager hatte die Meldung wenigstens für Furore gesorgt und dazu geführt, dass ein ganzer Trupp betrunkener Kameraden die Taverne auseinandergenommen hatte, was natürlich den Mörder auch nicht herbeigezaubert hatte. Das Randalieren war sofort bearbeitet worden und hatte zur Strafarbeit der Beteiligten geführt, aber den Tod ihres Kameraden hatte keiner der Büttel aufnehmen wollen, so dass Firxas beschlossen hatte, direkt vor Ort Meldung zu machen.


    Der Büttel verschwand einen Moment und kam dann wieder. "Es hat gerade keiner von den Gerichtsdienern Zeit." Das war ja nicht anders zu erwarten gewesen. "Ihr könnt die Details aber meinem Kollegen erzählen, der wird alles festhalten und weiterleiten."
    Firxas schnaufte. Der Kollege, ein schlanker Naridier mit kurzem roten Haar, kam bereits herbei, gab Firxas zur Begrüßung immerhin die Hand und nahm ihn mit in eine gerade unebnutzte Wachstube.


    "Ist nicht gerade der geeignete Ort", sagte er entschuldigend.
    "Schon in Ordnung. Ist ja auch nur ein Söldner."
    Der Büttel sah ihm in die Augen. Es war darin ein tiefes Verstehen zu erkennen, auch ohne, dass er es aussprach. Firxas setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und spürte, dass seine Trauer rauswollte. Er schluckte sie runter, so wie immer und stammelte die Ereignisse mechanisch herunter. Seine Augen brannten, aber er heulte nicht. Der Büttel gab ihm mit der Hand ein Zeichen, kurz zu warten und kam mit einer aus einem breiten Pfeifenkrautblatt gedrehten Rauchstange zurück. "Halt bloß die Klappe", flüsterte er, reichte sie Firxas und als sie in dessen Mund steckte, entzündete er sie.
    "Danke."


    Firxas blieb lange in der Wachstube. Auch der Büttel hatte angefangen zu qualmen. Hier herrschte zwar offensichtlich Rauchverbot, aber der Verstoß schien nicht sonderlich ungewöhnlich zu sein. Sie sprachen lange miteinander. Nicht nur über den Mord, sondern auch über viele andere Dinge. Der Büttel war früher auch Söldner gewesen, um Geld zu verdienen, damit er seiner Verlobten und sich ein Haus kaufen konnte. Sieben Kinder hatten sie geplant. Er hatte nach dem Hauskauf seinen Beruf an den Nagel gehängt und sich als Büttel verpflichtet, damit er nicht mehr von seiner Verlobten und ihren geplanten Kindern fort musste. Doch kaum hatte er den Kaufvertrag unterzeichnet, war sie von seinem Bruder schwanger geworden und zu diesem gezogen. Jetzt lebte der Büttel allein in einem für einen einzelnen Mann viel zu großen Haus, das zusehends verfiel. Anstatt zu jammern, witzelte er über seine Geschichte und machte sich über sich selbst lustig. Firxas`Mundwinkel zogen sich das erste Mal seit Tagen wieder zu einem Lächeln auseinander.


    "Ich muss Euch langsam rausschmeißen", endete der Büttel. "Sonst wirkt es langsam komisch, wenn wir zwei hier so lange allein sind."
    Firxas lächelte gequält.
    "Verstehe schon. Danke für die Rauchstange und alles."
    "Hättest du - ich darf doch du sagen? - Bock darauf, heute Abend bei mir zum Grillen vorbeizuschauen? Ich habe sonst nichts zu tun daheim und langweile mich nur. Ich kann ja auch nicht immer den Nachbarn fragen, ob er mir Gesellschaft leistet."
    "Äh, klar, gern!" Das war überraschend gekommen, aber alles andere als ungelegen. "Firxas", stellte der Tiefling sich vor.
    "Dimzel Rothain", entgegnete der Naridier grinsend. "Für meine Freunde Dim. Hier hast du meine Adresse. Bringst du Bier mit und ich organisiere den Braten?"
    Firxas nickte. Sie verabschiedeten sich mit einem festen Handschlag.


    Frohen Mutes schlenderte Firxas über den Fischmarkt, um sich die Zeit bis zum Dienstschluss von Dim zu vertreiben. Er freute sich auf einen unterhaltsamen Abend. Auch wenn der Naridier keinerlei Zeichen gegeben hatte, dass er an Firxas mehr als nur ein freundschaftliches Interesse hegte, hoffte Firxas im Stillen, dass der ihm vielleicht wenigstens ab und zu auf die Schulter klopfen oder ihn mit dem Ellbogen anstoßen würde. Firxas war in einer Stimmung, in der er etwas Nähe, und sei sie nur freundschaftlich, sehr dringend brauchte. Und selbst wenn ihm dies verwehrt bleiben würde, so war Dimzel doch scheinbar ein netter und unterhaltsamer Kerl.
    Firxas kaufte zwei kleine Fässer Bier, ein dunkles und ein helles, da er nicht wusste, was dem Naridier besser schmeckte und eine große Papiertüte mit getrockneten, gerösteten und gewürzten Barrakudastückchen zum Knabbern.


    Als es Abend wurde, wartete er wie vereinbart mit den Sachen im Garten. Das Gras war viel zu lang, die Sense lag mit anderen Gartengeräten voller Spinnenweben in einem Schuppen, nur der Weg zum Grillplatz war freigesenst. Da das Schloss des hölzernen Gartentors nicht funktionierte, war Firxas eingetreten und hatte schon einmal alles vorbereitet. Zwei Klappstühle standen an der Feuerstelle, auf dem dazugehörigen Klapptisch warteten die Bierfässer und in einem Blumentopf lagen die Fischstückchen.


    Firxas wartete.


    Die Sonne war schon längst untergegangen. Unruhig schlenderte er durch den Garten, dann den Weg vor dem Grundstück entlang.
    "Habt Ihr eine Ahnung, wo Dimzel bleibt?", fragte er den Nachbarn, einen verarmten Magier, der ebenfalls gerade Besuch von einem Kollegen hatte und zu dem Dim ein gutes Verhältnis zu haben schien.
    "Also eigentlich ist der pünktlich wie ein evalonisches Uhrwerk", sinnierte der. "Er muss aufgehalten worden sein ... oder es ist etwas passiert. Als er das letzte Mal zu spät kam, war er von einem Pferdekarren angefahren worden."
    Firxas machte sich sofort auf die Suche, die beiden Magier waren so freundlich, ihn zu begleiten. Sie folgten zunächst dem üblichen Heimweg des Naridiers von seiner Arbeitsstelle aus.


    Der Mond stand inzwischen hoch am Himmel, in der Ferne läutete dumpf die Tempelglocke. Ansonsten war es in diesem Viertel der Stadt still.


    Und dann fanden sie ihn.
    Ein Audruck tiefster Trauer und Resignation legte sich auf Firxas`Gesicht. Er fragte sich, ob er verflucht sei. Erst der Söldner, nun der Büttel. Das Gesicht hatte man Dimzel abgezogen und seine Eingeweide lagen über die Straße verteilt. Viel hatte Firxas sehen müssen auf den Schlachtfeldern Asamuras, doch so etwas war ihm noch nicht untergekommen, so viel sinnlose Bosheit. Er stand da, mit hängenden Schultern und starrte schweigend auf die verstümmelten Überreste des Ermordeten. Die lidlosen Augen in dem blutigen Knochengesicht starrten trüb ins Leere.
    "Aus dem Weg", brüllte der Magier und stieß Firxas grob zur Seite.
    "Hier könnt ihr nichts mehr machen", sagte Firxas. "Man müsste schon den Tod heilen können. Hier kann nur noch der Bestatter helfen."
    Der Magier funkelte ihn an. "Dimzel war ein guter Mann", sagte er, "einer der wenigen vernünftigen Nachbarn, die ich je hatte, auch wenn seine Brombeeren in meinen Garten gewuchert sind und sein Apfelbaum sein Laub in mein Grundstück abgeworfen hat. Ich werde nicht zulassen, dass er so endet!"
    "Aber was ..."
    "Ruhe, ich muss mich konzentrieren. Du bist doch kräftig.
    "Ja, Söldner und Kampfmagier."
    "Hervorragend! Sichere uns! Crize, du hilfst mir hier, das wird ein harter Brocken."


    Die beiden Magier räumten die Gedärme wieder an Ort und Stelle und zogen mit Kreide einen Kreis um die Leiche. Anschließend verzierten sie ihn mit irgendwelchen Runen und Symbolen. Firxas brauchte eine Weile, ehe er begriff. Die Magier saßen im Inneren des Kreises in jeweils einem kleinen zusätzlichen Kreis, brabbelten vor sich hin und versanken in Trance. Ein leuchtender Schleier manifestierte sich und legte sich wie ein Tuch über die Leiche, um dann mit ihr zu verschmelzen. Der Körper begann zu zucken. Die Finger ballten sich zur Faust, der Kiefer öffnete und schloss sich.
    Firxas wurde übel.
    Dimzel erbrach einen Schwall klumpigen Blutes, als er sich erhob. In der Pfütze lagen schaumige Lungenstückchen. Er zitterte unkontrolliert und versuchte, seinen heraushängenden Darm mit den Händen zurück in die Bauchhöle zu pressen.
    Auch Firxas musste kotzen.


    Die beiden Magier jedoch schienen jedoch genau zu wissen, was sie taten. Sie erwachten aus ihrer Trance, postierten sich rechts und links neben Dimzel und geleiteten ihn wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden durch die nächtlichen Straßen. Staksend und schwankend setzte der Tote einen Fuß vor den anderen. Sie begaben sich nicht, wie Firxas zunächst vermutet hatte, zurück zu dessen Haus, sondern zum Richtplatz, wo sie einen kürzlich Geräderten von seinem Rad holten.
    "Lass es dir schmecken", sagte der Nachbar und zu Firxas`Verblüffung begann Dim, sich die stinkenden Überreste in seinen Kiefer zu stopfen. Bald vergrößerte sich die klaffende Wunde in seinem Unterleib und der anschwellende Darm quoll wieder hervor. Firxas zog seinen Gürtel von der Hose und zog ihn Dim straff um den Bauch.
    "Was geht hier eigentlich vor sich?!"
    "Du warst Zeuge seiner Wiederauferstehung", erklärte der Magier feierlich. "Vor dir steht nun nicht mehr Dimzel, der naridische Büttel, sondern Dimzel, der Ghul! Dimzel, kannst du mich hören?"
    Der Leichnam hörte einen Moment auf zu essen und nickte.
    "Wer hat dir das nur angetan?", fragte Firxas, ohne mit einer Antwort zu rechnen. "Wer?" Doch Dim tauchte tatsächlich den Finger in das Blut seiner ersten Mahlzeit als Ghul und schrieb etwas auf das Straßenpflaster:


    Der gelbe Goblin.