DER GOBLIN-KOMPASS -- 202 n.d.A.

  • Der Goblin-Kompass


    Kap01


    Der fremde Kerl hatte am äußeren Eingangsbereich Kratzgeräusche gehört. Er war ein alter erfahrener Wächter. Er kannte das Geräusch. Früher hatten seine Leute das Geräusch oft hören müssen. Es waren Fremde, die über die Felsen schabten um sich einen Weg ins Innere der Höhlen zu suchen.


    Auf keinen Fall durften die Fremden ins Innere des Höhlensystems gelangen. Leise war er näher geschlichen, die ledrige Schutzkleidung ganz eng an den Körper gepresst, damit ihn kein Geräusch verriet. Nur wenige Meter trennten ihn von den Fremden. Er schaute auf sie hinab. Da hockten sie. Wahrscheinlich eine Vorhut für eine Armee. Sie durften zu ihrer Truppe nicht zurückkehren, das war ihm klar.


    Die Wache erhob ihren Speer und zielte auf den Rücken der kleinsten Frau. Diese sprach mit den Händen zu einem riesigen Kerl - einem Ork, nicht ahnend dass sie bald sterben würde – dachte der alte Kerl mit wettergegerbtem Gesicht.


    Doch zu seiner Überraschung beugte sich die Frau blitzartig vor, er erkannte einen anderen kleinen grünen Kerl. Der Riese schirmte die Frau ab und schon flog ein Messer in seine Richtung.


    Die Wache wurde quer vor die Brust getroffen, aufgeschlitzt und flog mehrere Schritt weit nach hinten, bevor sie auf den Boden aufschlug. Allerdings hatte er den Speer umklammern können. Steinsplitter schnitten dem Kerl beim Aufschlag in den Rücken. Langsam und stöhnend richtete sich der Mann wieder auf.
    Der Goblin sprang mit einem Satz den kleinen Felssims hoch, rannte los, riss einen Fuß nach vorne und trat mit aller Gewalt zu.


    Er zertrümmerte dem Angreifer mit einem Tritt das Knie. Aus der gleichen Bewegung heraus schwang er seinen Dolch und schlug nach dem Gesicht des Feindes.


    Dieser ließ sich nach hinten zurückfallen und wich so um Haaresbreite dem Schlag aus. Der Goblin setzte nach und schlug erneut zu. Diesmal verfehlte er sein Ziel nicht. Der Stahlschaft seines Dolches knallte in das Gesicht des Mannes und zerschmetterte ihm den Kiefer.


    Der plötzliche Kampflärm lockte weitere Wachen ins Freie auf die Felsen.
    Der Fels war zu klein für die Truppe.


    „Rückt eine Ebene nach unten ab. Gebt uns Rückendeckung“, befahl der Goblin.
    „Verstanden“, brüllte einer aus der Truppe und sie teilten sich auf.


    Zwei Mädels eins hochgewachsen, eines klein, beide flink, wendig und tödlich schlossen sich dem Goblin an um die Feinde zu beseitigen und den Weg für die Truppe frei zu räumen.


    Die Zwergin ließ sich auf ein Knie fallen und feuerte mit ihrer Armbrust. An dem ersten Gegner zischte der Beschuss vorbei und rettete ihm so das Leben. Die dahinter stehende Wache wurde tief in der Schulter getroffen und durch die Wucht umgeworfen.


    Die wendige Zwergin feuerte erneut in die Masse der Wachen. Der Beschuss krachte in der Brust einer Wache.


    Mit aufgerissenen Augen fasste sich der Mann an die blutende Wunde. Die Feinde waren mittlerweile zu nah, so schlug Lydia dem erstbesten Gegner die Armbrust mit Wucht ins Gesicht. Dann ließ sie die Waffe fallen und zog mit einer Hand ihr schmales Kurzschwert, die andere Hand schloss sich um ihren Dolch.


    Ein Truppenführer der Unbekannten kam auf Jeelen zugestürmt. Er schätze dass der Goblin eindeutig der Gefährlichste in der Truppe war. Dass hieß er hatte Erfahrung und er hielt perfekt die Balance. Verglichen mit seinem Speer erschien der Dolch lachhaft, aber in den Händen dieses grünen Kerls war er eine tödliche Waffe.


    Die beiden anderen Frauen waren sicher seine Untergebenen, genau wie der Rest der etwas abgerückt war. Es galt den Kopf der Schlange abzuschlagen und dies würde er tun.


    Der Goblin musste sich bücken um den Stich mit dem Speer zu entgehen. Er streifte dafür die Beine der Wache. Diese sprang ein Stück nach hinten um sich in Sicherheit zu bringen, nur um einen zweiten tödlichen Angriff von Jeelens Dolch zu entgehen.


    Lydia umkreiste Jeelen und die Wache halb, um in dessen Rücken zu gelangen.
    Der Goblin schlug erneut zu, Lydia sprang im selben Moment hoch um mit ihrem Sax einen Schlag auszuteilen. Ein Fauchen von Aino ließ beide zur Seite blicken. Sie rang mit einem der Kerle, gewann aber wieder die Oberhand.


    Die Unaufmerksamkeit reichte aus. Jeelens Dolch krachte mit Wucht in die Schläfe des Burschen und schickte ihn ins Jenseits. Beim Rückwärtsschwinger krachte der Dolch mit dem Knauf allerdings in die Seite seiner Kollegin.


    Aino keuchte vor Schmerz auf. Mit einem erneuten Sprung hastete sie aus der Reichweite des Goblins und rieb sich die Seite.


    Immer mehr der Fremden kamen aus den Gängen. Jeelen erteilte den Befehl zum Rückzug. Er beobachtete woher die Typen kamen und rannte direkt in einen Gang hinein, aus dem einige Feinde gekommen waren.


    „Mir nach“, brüllte er.
    „Ihm nach“, rief Aino hinterher.


    Hier würden sie sich tiefer in das Höhlensystem der Feinde zurückziehen. Und dort die Lage sondieren.


    Die gesamte Gruppe wandte sich um und folgte Jeelen in die dunklen Gänge. Die Wege waren schmal und aus schroffem Felsen. Lydia nahm Jeelens Hand, da man so gut wie nichts sah. Jedenfalls die anderen, sie als Zwergin hatte keine Probleme.


    Er umfasste ihr Handgelenk, so konnte er sie besser festhalten, damit er sie in der Finsternis nicht verlor. Sie rannten eine ganze Weile im halsbrecherischen Tempo bis sich schlagartig der Gang in einen riesigen Felsendom erweiterte. Die Höhle war so hoch, dass die Gruppe die Decke nicht sehen konnten.


    Abrupt blieben sie stehen. Die Wachen hatten sie vorerst abgehangen.


    Allerdings würden sie sich nicht lange abschütteln lassen. Es war ihr Reich, es gab in den Gängen auch keine Ausweichmöglichkeit. In dem Felsendom vor der Gruppe war das was anderes.


    Hier hatten die Burschen sicher eindeutig Heimvorteil. Jeelen hatte schon mehrfach gegen unbekannte Feinde kämpfen müssen. Ihnen jetzt im fast offenen Gelände gegenüber zu treten gefiel ihm überhaupt nicht.


    Er schaute sich suchend im Dom um. In der Ferne konnte er schemenhaft etwas ausmachen - Feuer? Licht das zu einem Ausgang führte?


    Pavo hatte sich bei beiden eingehakt. Er war in der Finsternis blind, er hatte nur ein Auge. Im Kampf müsste er sich hier auf sein Gehör verlassen und auf seine Begleiter.


    „Ich gehe mal ein Stück in die Höhle und gucke ob es einen sicheren Weg zur Durchquerung gibt. Kann ich Lydia mitnehmen?“, fragte Jeelen Aino höflich.


    Aino musterte den Goblin vor sich einen Moment reglos, ehe sie freundlich zustimmend nickte.
    „In Ordnung. Ihr erkundet den Weg als Vorhut, bei Zeichen rücken wir nach. Pavo und Wolfi ihr bildet die Nachhut. Das heißt für Dich Gasmi, wenn einer zurückbleibt oder Gefahr von hinten droht…“, erklärte Aino gerade.


    „Ich weiß!“, fiel ihr Gasmi direkt ins Wort, „aber Urako läuft neben mir, er ist anständig und denkt jetzt nicht an sowas. Glaube ich zumindest. Da droht mir nix von hinten! Ginge Euch auch gar nichts an“, sagte Gasmi mit Unschuldsmiene entwaffnend was alle losprusten ließ.


    „Eh ja, das war zwar anders gemeint, aber gut“, musste sich selbst Aino ein Grinsen verkneifen, „Rückt ab Leute!“


    „Ich gebe Dir ein Zeichen Aino. Behalte mich im Auge. Ich winke Dir zu wenn alles klar ist“, flüsterte Jeelen ihr zu.


    „Du guckst so giftig. Alles gut bei Dir?“, fragte Lydia und sicherte den ersten Abschnitt mit Waffe im Anschlag.
    „SICHER!“, teilte sie wie gewohnt mit.


    Jeelen rückte sofort nach auf die andere Seite und spähte um die Felsenecke. Dann rannte er in kurzen Schritten weiter und sicherte diesen Abschnitt.


    „SICHER!“, teilte er seiner Kameradin mit.
    „Alles gut“, knurrte Jeelen.
    „Klingt nur nicht so“, grinste Lydia.
    „Da hinten ist was – irgendwas Großes. Ich kann es nicht richtig erkennen. Meine Ohren sagen es bewegt sich abgehackt, ich glaube ein Tier“, warnte Jeelen mit leiser Stimme und deutete in die entsprechende Richtung.


    Es dauerte nicht lange, da hörten alle Krallen über Fels schaben, ein seltsames Geräusch wie von flatterndem Tuch – und schon glitten riesige Körper mit ledrigen Schwingen durch die Höhle. Jeelen duckte sich instinktiv zischte vor Wut. Dabei spannte er seine Beinmuskulatur bis zum Zerreißen an. Die unbekannten Viecher hatten sie entdeckt und kreisten über ihnen.


    „Nicht feuern, die Decke – Stalakmiten. Die pfählen uns sonst!“, warnte Lydia.
    „Die pfählen aber auch die Viecher“, warf Jeelen ein.
    „Halt die Klappe und mach die Biester kalt los Jeel!“, befahl Lydia.
    „Nichts lieber als das“, knurrte der Goblin.


    Kaum ausgesprochen, da schoss schon eines der Wesen im Sturzflug auf sie herab. Jeelen warf sich über Lydia, ging mit ihr zu Boden und gemeinsam entgingen sie so haarscharf den Klauen der Bestie.


    „Danke. Verdammt sind die schnell“, flüsterte Lydia.
    Noch ihren Gedanken nachhängend, rollte Jeelen sich bereits wieder auf die Beine und zog die Zwergin einfach mit hoch.


    „Besser aufpassen Süße“, flüsterte er ihr liebevoll zu.
    Ein weiteres der geflügelten Wesen brach aus der Formation aus, und warf einen Speer nach ihnen. Jeelen sprang hoch, trat nach rechts aus und riss den Körper nach links, um so in der Luft mit einer Drehung dem Speer zu entgehen und diesen zeitgleich weg zu kicken. Der Sperr wurde von seinen Kameraden abgelenkt und schoss ins schwarze Nichts der Höhle davon.


    Grollend kam der Goblin wieder auf die Füße. Sofort sprang er erneut hoch und schlug mit der Messer-Hand nach dem Flügelwesen. Dieses drehte rechtzeitig ab.


    Ein anderes Flügelwesen sank zeitgleich in Jeelens Rücken hinab und setzte seine Krallen ein. Dieses hinterließ einen drei tiefe blutige Schnitte auf dem Rücken des Goblins. Das große Wesen drehte ab und setzte erneut zu einem Angriff auf Jeelen an, die Krallen zum Zustoßen bereit.


    Lydia sah den Feind heran nahen und zischte Jeelen eine Warnung zu „RUNTER!“, rief sie so laut sie konnte. Jeelen reagierte gerade noch rechtzeitig und warf sich kurzerhand auf den Rücken und schlitzte mit seinem Dolch das Wesen der Länge nach auf, als es über ihn tödlich getroffen hinweg glitt.


    Der Goblin war außer sich vor Wut und war mit einem Satz wieder auf den Beinen. Wie wahnsinnig hüpfte er unter den fliegenden Wesen auf und ab, sprang und schlug mit dem Dolch nach ihnen.


    Die Wesen stachen mit ihren Krallen und Lanzen nach Jeelen und hinterließen auf seinem Rücken zahlreiche blutige Punkte. Der Goblin hinter ließ zahlreiche Stichwunden an ihren Beinen.


    Dann ein erneuter Satz, diesmal etwas mehr als zwei Meter hoch und auf einmal griffen die Krallen des Goblins nicht mehr ins Leere.


    Er bekam die äußerste Flügelspitze eines Angreifers zu fassen. In einem Sekundenbruchteil wickelte er den Flügelspitze knochenbrechend um die Hand und zerrte es mit aller Kraft auf den Boden.


    Kaum dass das Wesen auf dem Boden aufschlug, war Jeelen auch schon über ihm und jagte ihm mit zufriedenem Grinsen die Klinge in den Leib. Immer wieder stieß er zu. Das Wesen stieß grauenvolle Schreie aus.


    „Schrei nur!“, lachte Jeelen gehässig und rammte ihm tiefer die Klinge in den Leib.


    Lydia sprintete los und sprang dem sich windenden Feind mit voller Wucht ins Kreuz und brach ihm so das Rückgrat. Das Wesen schrie um Hilfe, es spürte seinen Körper unterhalb des Brustkorbes nicht mehr. Es spürte fast gar nichts mehr außer Schmerzen.


    Wie im Wahn hackten Lydia und Jeelen mit ihren Kampfmessern auf das Antlitz und den Hals des Wesens ein, zerfetzten dessen Gesicht und dessen Kehle. Lydia ergriff das Vieh an der Gurgel und schmiss es mit brachialer Gewalt in die Höhle hinein.


    „Gute Reise!“, rief Jeelen dem Vieh mit breitem Grinsen nach.
    „Das Ding sind wir los“, freute sich Lydia und knuffte den Goblin vergnügt.
    „Guck es Dir an! Die haben mich gestochen“, knurrte Jeelen und zeigte Lydia seine Wunden.
    „Dich haben sie wirklich gestochen“, antwortete Lydia grinsend und guckte die Wunden an.


    „Nichts schlimmes, das verarzte ich später“, grinste sie noch breiter.
    „Verarzten? Klar wann immer Du willst“, grinste Jeelen und schüttelte schmunzelnd den Kopf.


    Sie liefen ein ganzes Stück weiter, als Sonnenlicht die Höhlendecke durchbrach. Aino schloss zu ihnen auf, die Gruppe folgte in einigem Abstand.


    „Das sieht doch gut aus. Wir müssten hier irgendwo einen Aufstieg finden um das Höhlensystem zu verlassen“, sagte Aino an die Zwergin und den Goblin gewandt.


    „Ja auch vereinzelte Pflanzen sieht man, so weit kann ein Ausgang nicht entfernt sein, irgendwie müssen sie sich ja hier angesiedelt haben“, warf Lydia ein.
    „Jedenfalls wird unser Marsch hier etwas leichter allein schon durch das Licht“, sagte Jeelen und ging mit gezogener Waffe langsam vor, dicht gefolgt von Aino.


    „Hier scheinen sich noch ganz andere Wesen hin verirrt zu haben als wir. Schau Dir nur die gewaltigen Knochen an. Ob diese Flugwesen die Tiere verspeist haben?“, fragte Jeelen seine Kameradin.


    Gemeinsam untersuchten sie die Knochen. Die Bissspuren an den Überresten waren gewaltig, aber nicht nur das. Die Tiere waren nicht einfach erlegt worden, sie hatten auch Trümmerbrüche. Ob das vor oder nach dem Beuteschlagen gemacht worden war, konnte man so nicht erkennen, aber eine Vermutung lag nahe.


    „Ich glaube diese Flugwesen steigen nachts aus den Höhlen auf, eben genau durch diese runden Löcher die uns jetzt Licht spenden und schlagen dann draußen im Dschungel ihre Beute. Wenn sie zurückkehren mit ihren Opfern, lassen sie diese einfach in ihr Nest fallen. So werden die Brüche entstanden sein. Ob sie die Opfer vorher schon getötet haben, weiß ich nicht, aber so müssten sich die Tiere nicht mal anstrengen ihre Beute zu erlegen", warf Pavo ein.


    "Es sind Flugtiere und ein zappelndes Opfer trägt sich im Flug äußerst schlecht Pavo. Wie dem auch sei, wenn wir draußen im Freien sind, sollten wir besonders nachts vorsichtig sein. Vor allem dann wenn wir unter freiem Himmel kampieren müssen. Besser wäre es dann unter Bäumen oder Felsen Schutz zu suchen, sonst sind wir die nächsten Opfer die hier liegen“, erklärte Urako während er einen Knochen in den Händen drehte und dann wegwarf.
    „Puschel hat Recht!“, warf Gasmi mit felsenfester Überzeugung ein.


    „Ja ganz genau, sehe ich auch so. Urako hat Recht. Aber auch diese Hölzer so verrottet sie auch sind, wurden von Goblins, Zwergen oder Menschen oder wenigstens uns gleichenden Geschöpfen hierher gebracht. Sie hatten mal eine Funktion. Ein Zaun, eine Brücke, eine Absperrung? Ich weiß es nicht genau, aber irgendetwas in der Art wird es gewesen sein. Ob die Fremden von vorhin damit zu tun haben weiß ich nicht, aber ich vermute es. Vielleicht ist es ihr Versteck oder sogar ihre Räuberhöhle“, warf Anwolf ein und zuckte mit den Schultern.


    „Gut beobachtet“, stimmte Aino ihm zu und legte ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schulter.
    "Wer weiß wo die Schöpfer von dem Kram jetzt sind? Vielleicht sind das die abgenagten Knochen", grummelte Seddik.


    „Kommt – ab hier ist die Höhle übersichtlich, lasst uns lieber im Pulk zusammenbleiben. Jeelen Du hast die Führung wie immer“, befahl Aino.


    Geschlossen rückte die Gruppe ab und machte sich an den Aufstieg aus den Höhlenlöchern.


    ****


    Die Gruppe verließ das Höhlensystem und kam auf ein Hochplateau heraus. Die Abendsonne verschwand gerade hinter den Bergen und zauberte eine ganz besondere Farbe an den Himmel.


    „Lasst uns hier rasten. Auf dem Felsen können wir gut liegen und wir haben eine einmalige Aussicht, dass sollten wir auch ausnutzen und genießen“, sagte Jeelen und alle nickten beipflichtend.


    „Ja eben, Waldboden ist immer feucht und klamm, hier werden wir gut schlafen Schatz. Zudem kann sich hier kein Feind anschleichen, wir sehen wenn einer hier raufkraxelt. Du wählst wirklich die besten Plätze, das muss ich Dir lassen“, sagte Lydia, bereitete das Lager vor und legte sich gemütlich auf die Decke.


    „Schatz?“, grinste Pavo.
    „Sie meint mich Pavo“, grinste Jeelen zurück und legte sich ganz dicht hinter Lydia und wickelte sie so mit in seine Decke ein.


    „Es hat irgendwie etwas Unwirkliches der Sonnenuntergang – die Farben, die Stimmung die sie erzeugen – einfach herrlich“, sagte die Gasmi, suchte sich und Urako ebenfalls einen Ruheplatz und schmiegte dann seinen Bauch, eng an den Rücken von Puschel.


    Die anderen hatten es ihnen gleichgetan. Die schützenden Felsen im Rücken, gegen Wind und Wetter, den angenehmen trockenen Untergrund unter sich, das herrliche Naturschauspiel direkt vor Augen – ein ganz besonderer Ausklang des Tages. So lag die Gruppe lang aufgereiht da.


    Seddik schritt noch einmal sichernd das Lager mit Wolfi ab, ehe sie sich zu dem Rest der Truppe begaben. Sed übernahm die erste Wache. Sicher ist sicher dachte sich der Ork.


    ****


    Die Gruppe folgte Jeelen auf dem Fuße, als Scout hatte er hier das Kommando. Das sonst Aino der Boss war, war im Moment unbedeutend. Bedeutend war, Jeelens Erfahrung.
    Jeelen führte die Gruppe in den Wald hinein. Unter dem gewaltigen Blätterdach war es etwas angenehmer, da die Sonne sie nicht länger mit voller Wucht traf. Hier waren Pflanzen im Überfluss vorhanden. Gestaffelt nach allen Größen und Formen hatten sie jede noch so kleine Nische besetzt. Der ganze Wald wimmelte von Leben. Insekten krabbelten und schwirrten umher, größere Tiere hörte man oben in den Baumkronen und erhaschte man einen Blick auf den Himmel durch ein Loch im Blätterdach, sah man dort gigantische Vogelschwärme kreisen.


    Einen ausgebauten Weg gab es in dieser reinen, ursprünglichen Natur nicht. Die Truppe musste genau darauf achten wohin sie trat. Wurzeln, Steine und sonstige Hindernisse machten es ihnen nicht gerade leicht.


    Ab und an liefen sie unter so gigantischen Baumriesen her, dass kaum noch Tageslicht bis zum Boden durchdrang. An diesen Stellen ging Jeelen absichtlich langsam um so lange wie möglich etwas von der kühleren Finsternis zu haben. Die Gruppe blieb dicht zusammen und hielt wachsam die Augen auf.


    Lydia lief zwischen den Abschnitten hin und her. Sie schaute sich mit großen Augen und voller Begeisterung um.


    „Alles in Ordnung mit Dir?“, fragte Jeelen fürsorglich Lydia.
    „Ja danke der Nachfrage“, antwortete sie gut gelaunt.
    „Dann halt die Marschformation, Du gehörst zur Nachhut!“, stutzte er sie gleich zwei Sekunden später besorgt zu Recht, was den Rest wissend grinsen ließ.


    „Die zwei lieben sich“, grinste Pavo Aino an.
    „Genau wie Gasmi und Puschel, wir haben zwei Liebespaare“, freute sich Aino.


    "Drei Aino. Dave und Varmi sind ein Paar", erklärte Jeelen grinsend.
    "Quatsch. Die sind Freunde, die mögen sich halt", warf Lydia ein.
    „Die Zwei sind zusammen? Echt? Ist ein Ding“, grinste Aino breit.


    "Ja wirklich, Dave und Varmikan sind ein Liebespaar. Die sind echt zusammen. Achtet mal genau drauf. Wenn einer dem anderen was reicht, egal ob Tasse oder einen Stift, dann streicheln sie sich kurz mit den Fingern.


    Die stehen sehr nah zusammen, weit unterhalb der Köpertolleranzgrenze. Dave wird nicht grantig, was er sonst wird, wenn man ihm zu nah auf die Pelle rückt. Im Gegenteil, er entspannt sich, wenn sein Alb da ist. Varmi ebenso, ist Dave in der Nähe fühlt er sich sichtlich wohl.


    Sie gucken sich sehr oft an. Die quatschen mental. Wenn wir denken die arbeiten wortlos in der Schreibstube, reden die, ich schwöre es Euch.


    Der eine bringt dem anderen ständig Futter mit. Varmi bringt Dave Kaffee, Dave bringt Varmi Brote, die "füttern" sich. Die zeigen sich versteckt ihre Zuneigung.


    Die trinken aus einem Pott Kaffee!
    Hallo wenn das nicht schon allein Beweis genug ist!
    Dave säuft aus einer fremden Tasse!


    Die passen aufeinander auf, gucken ständig wo der andere ist. Und sie machen sich Geschenke. Dave würde jedem von uns was spendieren, er ist nie geizig. Genauso wenig wie Pavo auch oder unser Gasmi.


    Aber wer bringt Euch mal eben ein Pferd mit?
    Wer schenkt einem ein Pferd, weil man keins hat und reiten lernen soll?


    Ab und an fehlen beiden. Du findest die nicht Aino. Sie gehen getrennt und kommen getrennt zurück, aber nur einige Minuten und danach sind die beiden tiefenentspannt. Die sind intim miteinander. Warum verheimlichen die beiden dass?


    Haben die beiden Angst vor Konsequenzen? Gas und Urako sind auch zwei Kerle und lieben sich. Die beiden sind ein süßes Paar, und warum sollen wir Gas und seinem Puschel alles Glück wünschen und den beiden nicht? Die zwei sollten dazu stehen, dann hätten sie es leichter", grinste Jeelen.


    "Zu gönnen wäre es ihnen. Dave wird Schiss haben", kicherte Lydia.
    "Das Mama Aino böse wird?", kicherte Seddik.


    "Vor Mama Aino hat er keinen Schiss. Sondern vor Pavo. Auf Pavos Meinung gibt er sehr viel. Er macht zwar auch was Pavo gegen den Strich geht, aber dann heimlich. Vermutlich sowas wie das hier", warf Anwolf ein, was alle losprusten ließ.


    „Scheißt der mal so eben seinen Onkel an“, lachte Urako.
    „Hab ich doch gar nicht“, grinste Wolfi.


    „Und die beiden haben jetzt Zuhause sturmfreie Bude. Das hätte ich eher wissen sollen“, lachte Aino.


    „War vielleicht mit einer der Gründe, warum sie uns vor der Abreise garantiert nichts gesagt haben. Zudem muss Dave keinen Schiss vor mir haben. Ich passe doch immer auf ihn auf! Mir ist nur wichtig, dass er glücklich ist. Wenn er das mit dem Frostalben ist, dann sei es so. Nur sollte sich der Alb daneben benehmen, lernt mich der Alb kennen. Das schwöre ich“, warf Pavo ein.


    „Ja man muss wirklich vor Dir keinen Schiss haben“, flötete Anwolf.
    „Meine Rede, ich bin völlig harmlos“, grinste Pavo.
    „Der wird nicht mal rot dabei“, sagte Seddik, was die anderen wissend grinsen ließ.


    „Bei jeder Möglichkeit wird Wasser aufgefüllt. Ich denke jeder weiß es, aber ich weise nochmal darauf hin, Wasser ist das A und O in der Versorgung. Ohne Essen kommen wir aus, ohne Wasser sind wir aufgeschmissen“, erklärte Jeelen freundlich und wischte sich übers Gesicht.


    „Da sagst Du was Jeel. Ich kann mich auswringen, hat wer ein kühles Bier bei?“, fragte Gasmi grinsend in die Runde.
    „Oh ja – was kühles Helles würde ich auch gerne saufen“, stimmte Seddik gut gelaunt zu.


    „Wenn das so ist nehme ich auch eins“, warf Lydia ein und band sich ihre Haare mit einem Band zusammen.
    „Hier trink was“, sagte Jeelen freundlich und reichte der Zwergin seine Wasserflasche.
    „Danke lieb von Dir“, sagte sie und trank einen Schluck ehe sie die Flasche zurückreichte.


    „Klar“, grinste Jeelen und verstaute die Flasche wieder am Gürtel.
    „Sag nicht dass Du Bier in Deiner Feldfalsche hast“, stutzte Seddik.
    „Nein, hat er nicht. Ist vermutlich Schnaps“, antwortete Pavo trocken.


    „Ist es noch weit? Warum wandern wir eigentlich bei Tag?“, fragte Gasmi kichernd.
    „Damit wir besser sehen können!“, antwortete Seddik.
    „Wir sehen genauso gut bei Nacht, voll die Ausrede“, murrte Urako.
    „Genau“, pflichtete Gasmi bei und küsste Puschel.


    „Die Stille des Waldes…“, sagte Aino und schaute sich um.
    Lydia gesellte sich zu ihr.


    „Hat sie gerade was von Ruhe gefaselt?“, fragte der Wolfi.
    „Hat sie. Permanente Geräuschkulisse würde man bei einem Auftrag sagen. Stets ein Grund doppelt vorsichtig zu sein, weil diese Dauergeräusche auch genau jene Geräusche schlucken, die eine Gefahr ankündigen oder davor warnen. Andererseits tarnt sie auch zur Not uns“, erwiderte Gasmi freundlich.


    „Dann müssen wir die Augen überall haben“, sagte Anwolf wachsam.
    „In den Rücken fallen kann uns niemand“, sagte Lydia.


    „Aber von oben herab kann was fallen“, lachte Pavo, blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken um nach ganz oben in die Baumkronen zu spähen. Seddik packte den einäugigen Goblin am Handgelenk und zog ihn weiter.


    „Also ich brauche die Erfahrung nicht dass mir ein Riesenvogel in die Wolle kackt“, warf Anwolf ein, was die anderen auflachen ließ.


    Die Truppe drang weiter in den Wald vor. Es wurde zusehends düsterer bis sie plötzlich an einem flachen Fluss ankamen. Das Ufer war seicht und die Überquerung machte keinerlei Probleme. Dieser Pfad führte noch tiefer in noch dunklere Gebiete des Waldes.


    Jeelen kniete sich zum Wasser hinunter und machte Hände, Hals und Gesicht frisch. Direkt im Anschluss zog er einige Feldflaschen hervor um frisches Wasser aufzufüllen.


    Aino blieb im Fluss stehen und trank ausgiebig. Lydia wartete geduldig neben ihr ab und füllte ihre und Jeelens Wasserflaschen auf. Die anderen taten es ihr gleich, ehe sie gemeinsam weiter gingen.


    Die Gruppe ging tiefer in den dunklen Teil des Waldes hinein. Hier war das Klima um einiges erträglicher als noch auf der etwas offenen Ebene. Dafür tropfte Feuchtigkeit von den Blättern und ein leichter modriger Geruch hing in der Luft.


    Lydia gesellte sich kurz wieder zu Jeelen und knotete ihm die Wasserflaschen an seinen Gürtel.


    „Frischwasser für Dich“, flüstere sie ihm zu.
    „Danke“, raunte er, „die Nachhut ist hinten“, setzte er mit Grinsen nach.
    „Die Frau vermisst Dich eben Jeelen – wiedererwartend jeder Vernunft, aber es ist so“, grinste Aino rüber.


    Der Goblin mustere Aino aus zusammengekniffenen Augen und drohte ihr gespielt mit dem Zeigefinger, was Sed und Gas kichern ließ.


    „Versuch es erst gar nicht Jeel. Bevor Du nur dran denkst, hat Dich unser Boss schon filetiert“, grinste der Ork.
    „Nachhut pah! Aino geht auch vorne“, beharrte Lydia.
    „Aino könnte auch ohne das geringste Problem unsere Truppe allein verteidigen, vermutlich sogar ohne Waffen. Du weißt doch Befehl und Gehorsam, sind der Grundpfeiler jeder Gruppenarbeit“, antwortete Jeelen leise.


    „Dass DU darauf pochst und hinweist Jeel, das ist so schräg…“, lachte Aino.
    „Ja wie wenn Du auf Treue, Lieb und Glauben pochen würdest“, gab Jeelen zurück.


    „Falls wer einen Abgrund nachher sieht, bitte kurz Bescheid sagen“, knurrte Aino, was alle losprusten ließ.


    „Frieden“, schnurrte Jeelen und blinzelte Aino entwaffnend an.
    „Ach halt einfach die Fresse Grünhaut“, kicherte Aino und knuffte den Goblin gut gelaunt.


    Jeelen führte sie weiter Stunde um Stunde durch dunkles Waldgebiet. Ab und an war einer der gewaltigen Baumriesen umgestürzt und hatte so ein Stück Licht geschaffen, dass ihnen hier den Weg etwas erhellte.


    Mit jedem weiteren Schritt, hellte sich die Umgebung auf und der Untergrund stieg stetig an. Die Sonne durchbrach mittlerweile viel häufiger das Pflanzenmeer. Licht und Schatten warfen seltsame Muster, die es einem schwerer machten voranzukommen, da man den Boden noch besser im Auge behalten musste. Wasserplätschern gesellte sich zu der permanenten Geräuschkulisse der Tiere. Die Gruppe kämpfte sich ihren Weg über verknotete Wurzeln, dicke Baumstämme und loses Geröll, als der Wald sich schlagartig öffnete. Sie blickten auf den Urheber des Wassergeräuschs.


    „Es wird so langsam mal Zeit für eine Rast. Wir sind jetzt stundenlang gelaufen durch den fremden Wald. Das Wetter ist auch nicht das Beste für einen Dauermarsch, lasst uns einen Flecken für eine Pause suchen“, bat Pavo.


    „Noch nicht, gleich. Ich halte Ausschau nach einem geeigneten Rastplatz. Zudem wolltest Du ja hierher also reiß Dich zusammen“, antwortete Jeelen.


    "Wenn das meine Reise ist, wieso darf ich dann nicht das Tempo bestimmen?", fragte Pavo säuerlich.


    "Weil wir irgendwann ankommen wollen?", schlug Wolfi vor.
    "Zumindest da, wo wir sicher rasten können", fügte Jeelen an.


    Er wollte noch ein Stück weiter kommen bevor sie sich zur ersten Rast niederließen. Weiter folgte ihm die Gruppe. Sie liefen erneut durch dichten Wald, welcher ab und an von kleinen Seitenarmen des Stroms durchbrochen wurde. Generell war das Land üppig Grün, durchbrochen von Felsen und vielen Wasserquellen.


    An einer Stelle schritt die Gruppe direkt auf einen archäologischen Fund zu. Endlich das erste Anzeichen von Zivilisation.


    Ein Stück uralter Baukunst vermutlich der Ureinwohner. Davor war die Vegetation niedrig und auch Sonne erreichte den Platz.


    „Schaut Euch dass an!“, sagte Pavo begeistert.
    „Das sind nur Steine Pavo!“, stöhnte Seddik.
    Der Ork schüttelte über den einäugigen Goblin den Kopf.


    „Ja ich sehe es Seddik und es ist fantastisch. Es hat irgendetwas von… ich weiß nicht, es sieht vertraut aus. Und doch ist es auf seine eigene Art was Besonderes. Vielleicht liegt der Ursprung vieler Völker bei einem einzigen.


    Jedenfalls scheinen sich die Ureinwohner aneinander orientiert zu haben. Ich vermute alle Völker stammen von den Vorfahren der Goblins ab…“, warf Pavo grübelnd ein.


    „Was?!?“, fragte Seddik entgeistert.
    „Er meint, dass wir alles Nachkommen von Goblins sind“, erklärte Gasmi hilfreich.
    „Wohl degenerierte Goblins, sonst wär Seddik nicht so verformt“, lachte Jeelen.
    „Ich halte es für keine gute Idee einen Ork zu provozieren der dreimal so hoch und zehnmal so schwer ist wie Du“, flüsterte Lydia Jeelen zu.


    „Was erzählt der Knirps da?“, hakte Seddik nach.
    „Unwichtig Sed! Du kennst ihn doch, er schnattert immer irgendwas“, grinste Aino.
    „Ich schnattere immer irgendwas? Aha“, gab Jeelen fassungslos zurück.


    „Lasst mich nachdenken…“, sagte Pavo.
    „Bitte nicht…“, stöhnte Wolfi, was die anderen wissend grinsen ließ.


    „Sei leise Knirps. Wenn sich die Urvölker also in ihrer Kunst ausgetauscht haben, bedeutet dass - dass es zu Anfang nur ein Urvolk gab. Das hat sich dann in die heutigen verschiedenen Völker aufgeteilt. Man sieht das doch an den Ohren!


    Schaut auf die Ohren. Goblins haben spitze Ohren. Orks und Alben auch. Es sind unsere Nachfahren. Das ist meine These“, erklärte Pavo.


    „Ich finde die These an den Ohren herbeigezogen“, lachte Gasmi.
    „Ich auch! Denn unsere Ohren sind auch spitz. Von Tieflingen und Düsterlingen. Guck doch auf unsere Ohren!“, sagte Urako.
    „Puschel hat Recht!“, warf Gasmi ein, „spitze Ohren!“.


    „Woher kommen Zwerge und Menschen? Die haben runde Ohren!“, warf Jeelen ein.


    „Frag ihn doch nicht noch was! Er war mit seinem Vortrag fertig!“, schnauzte Anwolf.
    „Hups - entschuldige“, grinste Jeelen und kringelte sich vor Lachen.
    „Das ist eindeutig. Wenn die Orks und Alben Nachfahren der spitzohrigen Goblins sind, dann können Zwerge und Menschen nur Nachfahren der Alben sein. Sie sehen sich ja auch etwas ähnlich“, sinnierte Pavo.


    „Wir sehen uns ähnlich? Sehe ich aus wie ein Alb? Ich bin kein Nachfahre von irgendeinem Alben! Willst Du mich mit einem in der Nacht auf Lichtungen im Mondschein tanzenden Alben vergleichen?“, donnerte Lydia.
    „Das hat der Goblin gerade getan“, grinste Seddik fies.


    „Ihr Banausen! Das ist Wissenschaft. Jede Wissenschaft beginnt mit einer Vermutung“, erklärte Pavo gekränkt.


    „Schön Pavo. So hier ist ein guter Rastplatz Leute. Die Felsen und alten Mauersteine geben uns von der einen Seite Schutz, der Rest ist übersichtlich“, sagte Jeelen gut gelaunt als er den Platz betrachtete. Er suchte sich in der Sonne einen Platz und machte es sich gemütlich.


    „Das ist echt ein wunderschöner Fleck wenn man ihn so betrachtet. Sieht klasse aus“, warf Aino erfreut ein. Auch ihr gefiel der Platz und sie hockte sich gemütlich an einen Felsen.


    Der Rest der Truppe verteilte sich ebenfalls auf dem Platz, suchte sich ein gemütliches Fleckchen und ließ es sich gut gehen.


    Seddik klemmte sich direkt an Jeelens, Gasmis und Urakos Fersen und quetschte sich zwischen sie.


    „Ich darf doch?“, fragte er grinsend.
    „Klar komm her“, sagte Jeelen gut gelaunt.


    Die Mädels hockten sich gemütlich auf ein winziges Plateau zusammen und genossen die Aussicht, während sich die Jungs zusammensetzen, Proviant mampften und in der Sonne dösten.


    Seddik streckte sich lang aus, während Gasmi sich an Puschel anlehnte. Anwolf gesellte sich einige Minuten später dazu und lehnte sich auf der anderen Seite an Urako an und binnen Sekunden war er eingeschlafen. Urako schaute etwas erstaunt, ließ den Backfisch aber gewähren.


    „Aber hallo. Der war ja müde“, flüsterte Gasmi.
    „Der Kleine ist das Laufen nicht gewöhnt wie wir. Sogar noch weniger. Kennst ihn doch, nur keinen Schritt zu viel. Dann die Bruthitze hier noch, also lassen wir ihn was pennen“, flüstere Seedik zurück.


    Gasmi streckte sich ebenfalls lang aus. Anwolf rieb sich die Augen und sprang auf, so dass Jeelen und Seddik zusammenzuckten.


    „Wie lange hab ich geschlafen?“, fragte der junge Magier gähnend.
    „Keine Ahnung, hat keiner die Zeit gestoppt“, antwortete Urako grinsend.


    „Na dann ich geh mal die Nudel auswringen. Bis gleich“, sagte Wolfi und wollte sich auf den Weg machen.


    „Halt! Du bleibst in Sichtnähe, Du hältst Dich von irgendwelchen Eingängen fern, Du fasst nichts an was Du nicht kennst, und wenn was ist rufst Du uns sofort! Verstanden?“, sagte Seddik streng.


    „Wenn er Wasser wegbringen muss, muss er in Sichtnähe bleiben? Na na na“, lachte Urako sich schlapp.
    „Da ist wirklich was dran“, lachte Gasmi


    „Ja ja…“, antworte Anwolf grinsend und machte sich auf den Weg.
    „Ihr zwei seid gestört! Na hoffentlich hält er sich an das andere“, sagte Sed.
    „Mach Dir keine Sorgen“, sagte Jeelen und grinste aufmunternd.


    „Immer wenn Du sowas sagst Jeelen gibt’s Ärger. Du hast wen entführt oder schlimmeres. Du hast nicht zufällig ein Opfer geknebelt und gefesselt im Rucksack oder so?“, hakte der Ork nach.


    „Nein“, grinste Jeelen noch breiter.
    „Gut“, lachte Seddik.
    „Das Opfer liegt noch in der Transporttruhe im Luftschiff“, prustete Jeelen.
    „Wenn ich das einem glauben würde, dann Dir“, lachte Sed.


    ****


    Zwischen all dem Grün, zwischen all den Pflanzen war ein weiteres Lebewesen in unmittelbarer Nähe zugegen. Unbeweglich verharrte er ganz in ihrer Nähe und verließ sich wie so oft einfach auf sein Gehör und auf seine Nase. Belauschte ihre Gespräche, ihre Albernheiten und nahm jede noch so kleine Info die er verstand in sich auf.

    ****


    Nachdem sie ausgiebig gerastet und sich erholt hatten, machten sie sich wieder auf den Weg. Die Truppe folgte umgehend Jeelen, der wieder die Führung übernommen hatte. Erholt und ausgeruht schritten sie hinter ihm her.


    „Der Stein war schon was Außergewöhnliches“, sagte Pavo zu Aino.
    „Wir finden unterwegs bestimmt noch viele ungewöhnliche Steine. Vielleicht sogar so klein, dass wir einen mitnehmen könnten. Einfach mal abwarten, wäre ein tolles Andenken“, sagte Aino freundlich.


    „Weit kann es jedenfalls nicht mehr sein. Das sah aus wie ein Stück Tempelanlage oder eine Stadtmauer? Beides wäre möglich. Und wo so etwas steht muss in einigem Umkreis auch ein Gebäude dazu zu finden sein. Haltet die Augen nach weiteren Hinweisen offen“, bat Pavo.


    „Ich würde die Steine belassen wo sie sind, es sei denn es gehört zur zu Deiner Forschung. Es kann Unglück bringen, sie von ihrem Standort zu entfernen. Wer weiß wem sie gehörten oder noch gehören? Die Besitzer könnten es als Angriff sehen. Vielleicht stehlen wir einen Grenzstein oder ein religiöses Relikt? Sammelleidenschaft in allen Ehren, aber den Stein muss doch nur wieder ich schleppen! Lasst die Steine stehen, genießt so den Anblick und fertig. Dass muss reichen“, gebot Seddik.


    „Da hast Du vollkommen Recht. Wer eine Grenze unserer Zunft missachtet, wird auch hingerichtet. Wir schreiben auch nicht umsonst unsere Zinken an die Wände. Zudem kann man den Grenzstein zwar auf dem eigenen Land berühren und umstellen – vielleicht zur Reparatur oder etwas in der Art, aber ihn auch nur einen Millimeter auf das Nachbargrundstück zu verrücken oder falsch dort abzusetzen, kommt bestimmt einer Kriegerklärung gleich.


    Man hat damit ja fremdes Land als das eigene markiert. Und wer Grenzsteine hat, hat auch Grenzen. Sonst wären die Steine unnütz. Wir sollten keinen Kampf provozieren. Und sollte es dieses Volk schon lange nicht mehr geben, haben wir sie eben einfach trotzdem respektiert. Wie Seddik schon sagt, genießt mit den Augen nicht mit den Fingern. Was Ihr mitnehmen könnt ist die Erinnerung. Aber lasst die Exponate zurück.


    Wir werden sicher schon noch genug einstecken und mitnehmen müssen, was uns vielleicht in Schwierigkeiten bringt“, erläuterte Lydia.


    "Seddik und Lydia sind einer Meinung, ich fass es nicht", lachte Gasmi.
    "Ehrlich, notiere dass mal schnell", grinste Urako.
    „Ich habe einen persönlichen Sekretär – Puschel!“, grinste Gasmi.


    Der Wald lichtete sich weiter und war nun teilweise mit Geröll und anderen Felsen durchzogen.


    Das Wandern wurde dadurch nicht einfacher, denn hatten sie vorher auf glitschige und rutschige Steine zu achten, galt es hier nun sich nicht zu vertreten. Aber die Landschaft war nach wie vor herrlich, geradezu atemberaubend schön. Die Gruppe marschierte bei dem hellen und offenen Gebiet in lockerer Formation. Jeder war bester Stimmung und hatte gute Laune.


    Nicht nur die Umgebung, auch das Wetter trug dazu bei. Aino schaute über die Truppe. Alle waren in Ordnung, keiner machte einen erschöpften oder abgespannten Eindruck und sie schienen alle bester Dinge zu sein. Das gefiel ihr.


    Jeelen machte sich wirklich ausgezeichnet als Führer, sie war sehr stolz auf ihn. Auch wie er die Truppe leitete und sich dadurch jeder in seine vorbestimmte Aufgabe fügte, zeigte dass er sehr viel davon verstand mit Personen umzugehen und seine ihm Anvertrauten richtig einzuschätzen und zu führen. Denn nichts war schwieriger als einen solchen Mix an verschiedensten Personen unter einen Hut zu bekommen.


    Sogar Seddik - ebenfalls kein Untergebener von Jeel, sondern ein gleichrangiger Assassine, fügte sich in die Gruppe ein ohne dass es zu Stress, Streit oder Reibereien zwischen den beiden kam. Wobei die beiden sich Zuhause öfter angingen, nur um eine Viertelstunde später gemeinsam Bier zu saufen. Hier draußen schien es anders zu sein.


    Aino hatte sogar den Eindruck, als wäre Seddik ganz froh darüber, selber einmal nur wieder Befehlsempfänger zu sein und die Last der Verantwortung einem anderen überlassen zu können.
    Sogar Gasmi hielt sich mit seinen Hilfestellungen der Gruppe gegenüber zurück. Wobei Gasmis Hilfe für das Opfer seiner Hilfe meistens mit Ekel verbunden war. Gemeinsam liefen er und sein Schatz Urako nebeneinander und unterhielten sich leise.


    Aino schirmte kurz ihre Augen ab und überblickte die weitläufige Landschaft. Viele Steine sahen hier so aus, als wären sie auch einst Teil einer Tempelanlage gewesen. Ob das wirklich der Fall war, konnte sie nicht mehr sagen. Die Steine waren zu alt. Die Witterung hatte sich an ihnen zu schaffen gemacht und so war es der Phantasie des Betrachters überlassen, ob die Form der Felsen natürlichen Ursprungs war, oder ob ein Erbauer nachgeholfen hatte.


    Sie durchquerten einen kleinen dunklen Fluss, dessen Ufer felsiger Untergrund war. Dennoch war der Übergang leicht. Das Ufer war seicht und fest. Auch diese Ecke bot dem interessierten Betrachter viel was er genießen konnte. Felsformationen im Vordergrund mit wunderschönen Pflanzen und im Hintergrund bewaldete Gebirgszüge.


    Mit Leichtigkeit passierten die meisten der Truppe den felsigen Untergrund. Etwas mehr Anstrengung und Obacht erforderte es von Pavo. Er hatte mit den Felsen mehr zu kämpfen, da sein Alter bei der Kletterpartie ihren Tribut forderte. Nach einiger Zeit machte sich Müdigkeit und Hunger breit.


    „Na los weiter, mir nach!“, rief Jeelen allen zu und trieb sie weiter an.


    Der Goblin führte sie weiter selbstsicher durch die Felsschluchten und durch das unzugängliche Gelände. Er war von Zuhause untertage unwegsames Gelände gewöhnt und lief geschickt und trittsicher.


    „Er hat Recht. Hier ist eine Überquerung möglich“, stimmte Aino zu.
    „Mit ein bisschen Kletterpartie. Achtung vor den glitschigen Steinen. Sonst landet man in der Brühe“, sagte Seddik grinsend.


    „Wir haben es nicht eilig. Spricht nichts dagegen vorsichtig zu laufen. Ein Sturz ins Wasser wäre sicher nicht so schlimm wie auf so einen Felsen - man könnte sich alle Knochen brechen, oder was verstauchen wenn man sich in den Felsspalten vertritt“, sagte Pavo.


    „Keine Sorge ich bin an Deiner Seite und halte Dich zur Not fest“, antwortete Urako freundlich.
    „Danke“, grinste Pavo zu ihm rüber.


    Urako blieb an der Seite von Pavo bei ihrer Kletterpartie. Wartete auf ihn oder half wenn nötig. Die Gruppe erreichte das andere Ende des Felsplateaus unversehrt. Die ganze Gruppe bewegte sich geschickt, jedoch mit äußerster Vorsicht weiter, dabei wurden aus Minuten Stunden.


    „Leute wenn Ihr fertig seid, sagt was. Jeelen versuche einen Weg in etwas schattigeren oder wasserreichen Regionen zu finden. So wie am Rastplatz, dort war es angenehm. Das würde uns das Wandern hier ziemlich erleichtern. Wenn möglich wäre Gewässer in der Nähe immer von Vorteil“, schlug Aino mit ihrer sanften Stimme vor und alle nickten beipflichtend.


    „Wasser und Schatten sind nicht schlecht und vielleicht eine Pause?“, warf Pavo ein.
    „Wir könnten auch so langsam aber sicher Ausschau nach einem Nachtlager halten. Ich meine wird sind auf Mission nicht auf der Flucht. So könnten wir uns wirklich ein gutes Plätzchen suchen und es uns dort gemütlich machen. Was meint ihr?“, fragte Gasmi in die Runde.


    „Wie ekelhaft demokratisch – ich bin dafür!“, lachte Seddik.
    „War sowas von klar, erst maulen und dann direkt als erster dafür. Anders kennt man Dich nicht Ork. Wenn Du nix zu scheißern hast, bist Du krank“, lachte Lydia.
    „Boss ich wurde gekränkt!“, denunzierte Seddik Lydia.
    „Trag es mit Fassung“, lachte Aino.


    „Immer soll ich alles schleppen“, grinste Sed.
    „Warum auch nicht? Die Statur für einen guten Galeerensklaven hättest Du“, lachte Jeelen.


    „Der war fies aber gut“, prustete Pavo.
    „Ihr schreit förmlich nach Schläge“, knurrte Seddik.
    „Sag Deiner Frau sie soll uns schützen!“, pflaumte Pavo Jeelen an.
    „Lydia beschütze uns!“, jaulte Jeelen jämmerlich.
    "Wow! Die übliche Antwort ist doch "ich bin nicht verheiratet", lachte Seddik.
    "Genauso wenig wie Du Sed!", grinste Jeelen.
    „Ihr zwei Grünhäute schafft dass schon. Wenn Ihr Euch anstrengt habt Ihr vielleicht sogar eine Chance zu überleben“, prustete die Zwergin.


    „Was uns wieder zeigt wie wertvoll Beziehungen sind. Sie müssen um jeden Preis geschützt werden“, warf Pavo ein. Dabei kletterte er ächzend über die Felsen.


    "Erweiterung von Lebensgefahr? Lebensgefährte", lachte Jeelen.
    "Pass bloß auf Jeel", drohte Lydia gespielt.


    „War nur Spaß. Schatz hast Du was zu essen?“, bettelte Jeelen Lydia an.
    „Ja hier nimm“, sagte sie freundlich und gab ihm ein Stück Steinbrot.


    Der Goblin drehte es in den Fingern und drückte es dann Pavo in die Hand.


    "Was soll ich damit?", fragte der alte Goblin.
    "Keine Ahnung. Aber Du könntest damit anfangen herauszufinden aus was Steinbrot hergestellt ist. Ich meine welche Sorte von Steine", schlug Jeelen vor, was die Gruppe losprusten ließ.


    „Echt. Entschuldige bitte. Ich pack dann mal schnell 10 gebratene Hühnchen aus. Will einer Kartoffelsuppe? Kaltes Bier hab ich auch noch und Schnaps“, grummelte Lydia.
    „Was würde ich dafür geben, wenn Du das Zeug echt dabei hättest“, sagte Seddik sehnsüchtig und rieb sich den Bauch.


    „Nicht nur Du, ich auch. Ich hab Hunger wie ein Ghoul“, sagte Pavo müde „das mich wer ein Stück trägt kann ich wohl vergessen oder?“, fragte er unschuldig guckend in die Runde.


    „Ich mach das“, lachte Seddik und wurde als Dank von Pavo freundschaftlich geknufft. Seddik knuffte ihn zurück. Irritiert guckte der alte Goblin den Ork an und stellte fest dass ein Knuff von dem Kerl durch Mark und Bein ging.


    Jeelen führte die Gruppe in tiefere Regionen des Waldes hinein. Der gewünschte schattige Weg war kein Problem. Überall herrschte hier ein dichtes, dickes Blätterdach. Durchbrochen wurde das Grün von kleinen Bächen und mehr als einmal säumte ihr Weg ein Wasserbassin oder ein kleiner Wasserfall. Der Goblin lief etwas langsamer und zog die Ohren nach hinten. Pavo musterte Jeel und tat es ihm gleich.


    „Das ist eine sehr gute Idee Jeelen“, sagte Aino zustimmend.
    „Eben da hat sie Recht. Endlich was Schatten“, sagte Lydia freundlich.


    "Seid bitte leise Leute...", raunte Pavo warnend.
    „Eben. Wir werden verfolgt“, flüsterte Jeelen.


    Die Gruppe lief weiter und kam an einer kleinen Lichtung heraus. Jeelen führte die Gruppe ein Stück weiter, so dass sie die Lichtung gerade passiert hatten. Dort verharrten sie und warteten ab.


    Die Geister beobachteten aus der Deckung heraus eine Gruppe junger Männer. Die Truppe schien sich seitlich nähern zu wollen um sie einzukreisen. Dann durchbrachen sie mit kriegerischem Geschrei das Grün und stürzten sich im halsbrecherischen Wagemut auf die Truppe.


    Mit einem Satz stand einer der Gegner vor Jeelen und schlug mit einem Sperr nach dessen Torso. Durch den Schwung nach vorne gerissen kam er genau in Ainos Reichweite. Aino schlug dem Typen mit Gewalt die Handkante vor die Kehle. Grunzend ging dieser zu Boden. Aber so leicht schien der Feind nicht aufzugeben, denn nun grabschte er eines von Jeelens Beinen und versuchte sich verzweifelt festzuklammern.


    Aino trat ihm mit knochenbrechender Wucht ins Genick und man hörte es noch Meter entfernt splittern.


    Schon wurde Jeelen von hinten ergriffen und der Kerl nahm ihn in den Schwitzkasten. Mit ganzem Gewicht hängte er sich an Jeelen und versuchte diesen zu Fall zu bringen. Ein ohrenbetäubender Knall und der Kerl hing mit schlaffen Armen um seinen Hals wie ein Affenbaby.


    Als er nach vorne sackte sah Jeelen auf den blutigen Halsstumpf wo der Kopf hätte sein sollen. Lydia und Aino kickten zeitgleich den Typen von dem Goblin und halfen ihm auf.


    Wie aus dem Nichts tauchten hinter Urako und Gasmi zwei der Typen auf. Puschel beugte sich blitzartig vor und trat nach hinten aus. Der Tiefling erwischte einen der Burschen genau vor den Brustkorb und schleuderte ihn mit dem Tritt mehrere Meter weit in die Botanik.


    Zeitgleich versuchte der andere Kerl trotz des Trittes Urako zu packen. Kaum hatte der Feind ihn am Kragen gepackt, rammte ihm der Tiefling sein Nahkampfmesser mitten in die Fresse. Vor Ungläubigkeit und Schmerz aufbrüllend, stieß der Kerl den Tiefling von sich und stolperte einige Meter weit mit blutigem Gesicht in den Wald hinein.


    „Gasmi, rette mein Messer!“, brüllte Puschel, zog wütend seine Armbrust und setzte dem Kerl nach.


    Der Feind machte, dass er wegkam. Er stolperte, prallte gegen einen Baum, stolperte über einen Felsen und stürzte der Länge nach hin. Gasmi verfolgte Puschel und schob sich an ihm vorbei.


    „Bleib hinter mir, sonst kann ich Dich nicht beschützen!“, befahl der Düsterling und griff den gestürzten Feind an.


    Kaum über diesen trat er mit knochenbrechender Wucht auf den Kerl ein. Er trat den Typen komplett zusammen und trat ihm die Fresse schlichtweg zu Brei für den Angriff auf seinen Schatz.


    Direkt danach riss Gasmi das Messer aus der Matsche die einst ein Gesicht war und steckte es Urako mit einer geradezu anstößiger Geste in den Gürtel.


    Puschel mustere ihn für Sekunden perplex und wandte sich dann grinsend ab um zurück zur Gruppe zu sprinten.


    Kaum in der Nähe von Pavo und den Frauen angekommen, wollte ein weiterer Feind aus Rache für seinen Kameraden auf Urako und Gasmi losgehen und schlug mit einem Sperr nach ihnen.


    Lydia war mit einem Satz bei dem Burschen. Sie sprang in die Luft und entging so nicht nur dem Hieb des Stabes, sondern trat dem Kerl auch mitten ins Gesicht. Schon war die Zwergin bei ihrem Opfer. Drei in kürzester Zeit hintereinander folgende, brutale Hiebe prasselten auf den Kerl nieder. Der Bursche rührte sich nicht mehr. Dennoch beendete Anwolf dessen Leben mit einem raschen Schnitt über die Kehle.


    Ein weiterer Kerl kam aus dem Wald gerannt und hielt auf Lydia und Gasmi zu. Urako drehte sich ruckartig um und richtete sich zur vollen Größe auf und spreizte etwas die Flügel.


    Er machte ein paar Schritte auf den Gegner zu um sich zwischen ihn und seine Leute zu stellen. Die Muskeln aufs Äußerste angespannt und in Kampfhaltung fletschte der der Tiefling die Zähne. Der Typ kam schlagartig zum stehen und starrte hemmungslos zitternd auf den Tiefling vor ihm.

    Kaum einen Augenblick später bohrte sich ein Dolch in den Hals des Gegners und riss dessen Schlagadern auf.


    Noch ehe der Feind danach greifen konnte, riss Jeelen seine Armbrust hoch und feuerte mehrfach auf den Burschen. Mit zertrümmerten und durchlöcherten Schädel fiel der Feind ins Gebüsch. Jeelen grinste Urako an und der Puschel bedankte sich mit einem freundlichen Nicken.


    Urako schnappte sich Lydia und Gas und trabte mit ihnen sofort wieder rüber zu den anderen. Gemeinsam stellten sie sich Rücken an Rücken mit gezogenen Waffen, während alle argwöhnisch die Gegend um sie herum im Auge behielten.


    Woher diese Typen stammten konnte Jeelen nicht einordnen, aber sie schienen in keinster Weise ausgebildet oder organisiert zu sein. Sie erinnerten ihn an die Kinderbanden aus den Slums. Erneut suchte eine kleine Gruppe von Männern die Konfrontation mit ihnen. Vier Kerle sprinteten auf sie zu und versuchten an sie heranzukommen.


    Aino störte sich nicht im Geringsten daran.
    Sie wusste um das Können ihrer Truppe.


    ****


    Geradezu verzückt beobachteten zwei dunkelbraune, funkelnde Augen das Geschehen. Die Truppe arbeitete Hand in Hand und schlachtete gekonnt die Feinde ab – hochinteressant für ihn. Was er sah gefiel ihm, aber er hatte auch nichts anderes erwartet. Er witterte den Gestank von Adrenalin und Blut, genüsslich leckte er sich über die Lippen ehe er wieder die Augen schloss und mit dem Schwarz verschmolz.

    ****


    Die Typen hatten die Frauen ins Auge gefasst, schienen aber verunsichert, da diese in dieser seltsamen Form zusammenstanden. Der erste Kerl wagte einen Vorstoß und rückte an. Plötzlich zuckte der Mann erst zwei, dann dreimal zusammen. Entsetzt starrte er den jüngeren Goblin an. Dieser stand ihm seelenruhig gegenüber, ein weiteres seiner Wurfmesser in der Hand. Der Kerl öffnete den Mund wie zu einem lautlosen Schrei.


    In der Sekunde warf Jeelen das nächste Messer so schnell und hart, dass er noch als verschwommenes Etwas zu sehen war.


    Zitternd bohrte er sich in das Auge des Feindes. Der Kerl schlug der Länge nach auf den Waldboden auf, wo er zitternd liegen blieb. Ehe dieser begriffen hatte was mit ihm geschah, war Aino schon über ihm und trat ihm das Messer mit brachialer Wucht tiefer ins Auge, durch den Schädelknochen ins Hirn.


    Der Kerl blieb reglos liegen. Vor Wut brüllend stürmten nun die anderen beiden Männer zeitgleich auf Aino zu. Der Letzte wartete lieber lauernd ab.


    Aino trat dem ersten anrückenden Feind in die Kniekehle so dass er vornüber kippte. Beim Fallen griff sie dem Burschen mit einer Hand in die Haare, die andere Hand packte das Kinn. Mit einem Ruck riss Aino den Kopf des Burschen herum und brach ihm das Genick.


    Den zweiten Angreifer wehrte Sed mit einem seiner tödlichen Tritte ab. Der Ork kickte einen Seitwärtstritt nach oben und der harte Tritt erwischte den Gegner allein schon durch Seddiks Größe an der Stirn und ließ den Kopf seines Opfers mit einem Krachen in den Nacken knallen.


    Kaum dass der Kerl aufschlug war er auch schon in Ainos Reichweite. Ein blitzartiges Zustechen in dessen Hals und der Bursche wand sich am Boden wie eine Giftschlange.


    Seddik schritt schnell auf das Opfer zu und trat mit aller Wucht auf dessen Kopf, so dass dessen Schädel barst. Er sprintete zurück zu seinen Kameraden. Aino kam ebenfalls zurückgesprintet. Erneut nahmen alle Rücken-an-Rücken-Kampfhaltung ein und warteten argwöhnisch ab.


    „Danke gute Arbeit“, flüsterte Sed Aino zu.
    „Bitte“, grinste Aino.


    Der letzte der Vierertruppe schien hin und hergerissen zu sein. Plötzlich stürmte er los, blieb abrupt stehen und schleuderte sein Nahkampfmesser auf Pavo. Jeelen parierte die Waffe mühelos mit seinem eigenen Messer, so dass diese abgelenkt wurde.


    Zeitgleich warf Wolfi sein Messer. Dieses traf den Gegner mit einem „Klong“ und dem Griff vor die Rübe, fiel zu Boden und blieb mit der Klinge im Waldboden stecken.


    „Den kenn ich nicht“, zischte Seddik gespielt gekränkt, was die Gruppe losprusten ließ.

    Der Feind keuchte schmerzerfüllt auf, fasste sich an die pflaumengroße Beule, drehte sich schwankend um. Der Kerl war nicht dumm. Diese schräge Truppe war äußerst gefährlich wie er an seinen gefallenen Kameraden sah. Sie anzugreifen bedeutete den sicheren Tod.


    Aino schaute auf die gefallenen Burschen, sah dem letzten Gegner in die Augen und legte lächelnd den Kopf schief. Dem Typen war schlagartig klar geworden, dass jeder der diese Frau angriff, nicht mehr lange leben würde.


    Abrupt und schneller als es sich der Bursche selbst zugetraut hätte, drehte er sich um und suchte sein Heil in der Flucht. Wild rannte er davon um zwischen den dichten Bäumen und Sträuchern zu entkommen. Aino nahm sofort die Verfolgung auf.


    Der Kerl rannte um sein Leben und hastete wie von Sinnen durch das Unterholz. Zweige und Blätter klatschten in sein Gesicht, aber dass hielt ihn nicht auf. Er wollte nur dieser Frau entkommen.


    Sein Fuß verfing sich in einer schwarzen Liane. Voller Panik versuchte er sich frei zu zerren. Er kam auch für Sekunden frei, stolperte einige Schritte und verhedderte sich erneut. Er hatte unerträgliches Seitenstechen und war außer Atem. Nun verfing sich auch noch sein anderes Bein und rutschte mit der Liane unter eine Wurzel. Der Kerl starrte ungläubig auf die Pflanzen – so viel Pech konnte er doch nicht ausgerechnet jetzt haben. Er grunzte und zog – und die Liane zog sich fester.


    Ein Lianenstrang klatsche vor seine Rübe. Er hörte ein Krachen und drehte sich um. Was er sah waren keine Zweige, sondern er blickte in das Gesicht der kahlköpfigen Frau. Sie hatte ihn eingeholt und die verdammte Liane hielt ihn immer noch fest!


    Sofort war Aino über dem Feind, er schlug nach ihr. Geschickt wich sie den Schlägen ihres verzweifelten Gegners aus. Der Bursche versuchte die Frau abzuschütteln, aber auch das gelang ihm nicht und eine seiner Hände verfing sich in der schwarzen Liane.


    Erneut schlug er nach der Frau und zappelte wild um frei und wieder auf die Beine zu kommen. Die Almanin wehrte mit einer Hand den Schlag zur Seite ab. Die andere Hand schoss vor und versetzte ihm einen tödlichen Kehlstoß. Da kein weiterer Gegner mehr in Sicht war trottete Aino zurück zur Gruppe.


    „AUFBRUCH in Kampfformation! Jeelen, Lydia geht an Deiner Seite, sonst wird das nichts. Sed, Urako und Gas Ihr bildet die Nachhut, Pavo und Anwolf ab in die Gruppenmitte. Wir marschieren mit gezogenen Waffen bis wir einen geeigneten Rastplatz gefunden haben, den wir als Nachtlager sichern können. Auch wenn wir alle Feinde beseitigt haben, mein Gefühl sagt mir, dass war noch nicht alles. Abrücken“, befahl Aino und schaute Jeelen durchdringend an.


    Der Goblin senkte sofort gehorsam den Blick und nickte als Zeichen dass er den Befehl sofort umsetzten würde.


    "Ihr habt den Boss gehört, abrücken. Folgt mir", sagte er und gab den Weg vor.


    Die Gruppe folgte erneut Jeelen. Er übernahm mit Lydia gemeinsam die Führung. Beide schlichen Richtung Wald tiefer voran. Eine ganze Weile später, kamen sie an der Leiche des Typen vorbei, welcher eine Augenkorrektur verpasst bekommen hatte. Nun schlichen die beiden noch vorsichtiger vorne weg. Der Rest der Truppe tat es ihnen gleich.


    Sie liefen weiter bis sich der Tag dem Ende zu neigte. Jeelen wollte kein unnötiges Risiko eingehen und führte die Gruppe stetig voran. Das Licht dass langsam hinter dem Horizont verschwand warf zwischen den Bäumen lange Schatten und hüllte den Wald in eine seltsame Stimmung aus Schatten und Licht.


    Instinktiv rückte die Gruppe so eng wie möglich zusammen. Lydia ergriff Jeelens Hand, einfach um ihn noch näher bei sich zu haben. Auch Gas schloss so nah wie möglich zu Urako auf um ihm einen Arm um die Schulter zu legen. Pavo faste Anwolf in den Gürtel und ließ sich so von ihm durch das diffuse Licht führen.


    So liefen sie auch die ganze Nacht über weiter. Langsam aber stetig bahnten sie sich ihren Weg. Als die ersten Sonnenstrahlen den Wald beleuchteten und die Nebelschwaden langsam vom Boden aufzogen, hatten sie im Wald eine üppig grüne Lichtung erreicht. Hier konnte man das Umfeld wunderbar im Auge behalten, erkannte Jeelen. Er gab das Handzeichen zur Rast.


    „Nachtplatz. Die Nachtruhe verschieben wir auf den gesamten Vormittag. Bleibt nah bei einander und behaltet alles im Blick“, sagte Jeelen freundlich.


    „Oh ja der Fleck sieht nicht nur schön, sondern auch gemütlich aus“, sagte Lydia und lies sich mit einem Seufzen nieder. Binnen kürzester Zeit hatten sich jeder einen Platz gesucht und es sich gemütlich gemacht. Der Großteil der Gruppe war ruck-zuck eingeschlafen.


    ****


    Es war ein windiger Tag. Vor ihm lief die Truppe, verfolgt wurde sie in einigem Abstand von einer kleineren Gruppe der hier hausenden Piraten. Die Gruppe schien nicht über die Information zu verfügen, dass hier Piraten hausten. Er hielt sich genau in der Mitte, immer außer Sichtweite beider Parteien.


    Er musste die Truppe bewachen um seiner selbst willen. Allerdings durften sie noch nicht sterben. Ihren Verlust konnte er sich jetzt auf keinen Fall leisten. Er würde nicht riskieren dass diese Halsabschneider seinen Schäfchen zu nahe kamen. Es war seine Herde und er würde sie melken. Gedankenverloren schaute er zum Himmel auf. Wenn sich die dunklen Wolkenhaufen vor die Sonne schoben, wurde die Luft kalt und unfreundlich. Meist jedoch war sie hier klar und frisch.


    Die Piraten kamen seinen „Schäfchen“ zu nah. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Er ließ sich zurückfallen, ganz so als wäre er ein Nachzügler aus der Truppe die er bewachte.


    Sie entdeckten ihn schon aus großer Entfernung – eine dunkle Gestalt, die allein über eine Bergwiese stapfte. Sie beobachteten ihn, versuchten einige Informationen zu er schnüffeln. Wer war dieses potentielle Opfer? War er zu stark für einen Angriff? War die Gestalt verletzt?


    Die Statur verriet schon auf diese Entfernung dass es ein Kerl war. Klein, schlank und vor allem allein.


    Einer der Piraten wollte gerade etwas zu seinen beiden Kollegen sagen, als er bemerkte, dass er schon alleine war. Sein Kamerad war schon hinuntergelaufen um anzugreifen. Der Bursche konnte sich eines unguten Gefühls nicht erwehren, aber auch die Gier trieb ihn an seinem Kollegen zu folgen. Er stürmte wild den Abhang hinunter um diesen einzuholen.


    Als sie den Mann durch das Gebüsch betrachten, schaut er ihnen genau ins Gesicht. Das gefiel dem Burschen nicht. Eine universelle Regel besagt, Opfer die keine Angst zeigen – sind meist auch keine Opfer.


    Selbstsichere Beute verfügt meist über besondere, schwer einschätzbare Fähigkeiten oder Verteidigungsmöglichkeiten.


    Der kleine, dürre Kerl war scheinbar bei dem Gedanken an einen Kampf gegen sie beide nicht beunruhigt. Er bemerkte auch den anderen Piraten, drehte den Kopf schräg gelegt hin und her um die beiden Gegner im Auge zu behalten.


    Entschlossen trat er von den Bäumen zurück und hinaus auf die offene Wiese, wo Farne unter seinen Stiefeln knirschten. Der Bursche schien sich auf irgendeine Verteidigung einzurichten, aber er nahm keine Kampfhaltung oder Abwehrposition ein.


    Der Pirat stieß einen leisen, glucksenden Schrei in Richtung seines Kollegen aus, der kurz zurückschaute und dann versuchte den verhüllten Kerl von der anderen Seite her zu umkreisen. Ein weiterer Pirat erschien neben dem ersten. Ein ganz junger Kerl, dem gerade die ersten Barthaare wuchsen. Er stand zitternd neben dem ersten und fürchtete sich ebenso davor zu dem anderen zu laufen und dort zu bleiben. Der Junge war einfach zu unerfahren.


    Der vermummte Kerl beschrieb eine Vierteldrehung, so dass seine Schultern vom ersten Piraten abgewandt waren. Seine schutzlose Flanke befand sich genau vor dem zweiten Halsabschneider der ihn umkreiste.


    Plötzlich ertönte ein Zischen, und der erste Pirat ging instinktiv in Deckung. Ein Koniferenast hoch über seinem Kopf wurde vom Stamm abgetrennt und krachte schwer auf seinen Rücken. Der Junge neben ihm schmiss sich zu Boden und kauerte sich ängstlich zusammen.


    Der Pirat sprang nach hinten. Panisch schaute er sich um.


    „Was war das??? Bloß weg hier – es gibt genug andere Idioten die wir leichter ausnehmen können. Lassen wir den fremden Drecksack in Ruhe“, zischte er warnend dem Bengel zu.
    „Ein Zauberer???“, wisperte dieser.


    Als Antwort ertönte ein gackerndes Lachen, dass fast wie statisches Rauschen klang.


    Bevor die beiden weglaufen konnten, zischte etwas Hartes, Schlankes knapp an ihnen vorbei. Ein großes Stück Rinde platze von einem Baumstamm und fiel zu Boden. Der Vermummte bewegte sich auf den ersten Piraten zu, wobei sich etwas um seine Hand wickelte und wieder entrollte - ein ungefähr drei Meter langer, zweifingerbreiter "Faden" der sich hoch in die Luft reckte und irgendwie schwarz zu glühen schien.


    Der Pirat schluckte und erkannte jetzt die tödliche Waffe, eine Art magischer Peitsche. Kein Wunder dass der Bursche damit Äste von Bäumen schlagen konnte.


    Der Vermummte schmunzelte über die Dummheit des Burschen. Er besaß außergewöhnliche Fähigkeiten. Ein leichtes Anspannen der Muskeln um das Griffstück und die Peitsche reagierte sofort - die Welle der Kontraktion lief durch den gesamten "Faden" bis hin zur dünnen Peitschenspitze und verstärkte dabei die Bewegung.


    Bei einer Neigung von nur wenigen Grad am Körper konnte er voll ausgestreckt einen Bogen von etwas über drei Metern mit dieser Waffe schlagen. Seinen Arm dann mit in die Länge eingerechnet. Mit voller Wucht zugeschlagen, erreichte die Peitsche eine Geschwindigkeit von mehreren hundert Stundenkilometern.


    Wurde ein Opfer davon getroffen, reichte die kinetische Energie aus, um Fleisch zu durchtrennen, Knochen bersten zu lassen oder bei leichtem Schlag Gliedmaßen zu betäuben. Eine wundervolle Fernwaffe, besonders um sich unliebsame Gäste vom Hals zu halten.


    Der Pirat war in einer Gegend aufgewachsen wo es keine Artefakte gab oder wo Artefaktmagie unbekannt war. Es gab kaum Leute, die jemals so eine wundervolle Waffe zu Gesicht bekamen. Kluge Räuber handelten nicht unüberlegt. Langlebig war nur, wer sich nicht blindlings in Gefahr stürzte. Man musste auch wissen, wann ein Rückzug angebracht war. Und der Bursche wusste, dass es jetzt genau an der Zeit war, sich davonzumachen.


    Er durchschaute zwar die Peitschenverteidigung nicht genau, aber er wollte auch gar nicht erst warten, bis es ihm gelangt. Sein Kamerad war wohl zum selben Schluss gekommen und schlich mit gesenktem Kopf durch das Unterholz den bewaldeten Hang hinauf.


    Die beiden Kerle befanden sich gerade auf halbem Weg, als schriller Schrei ertönte. Der Schrei kam von dem Jungen. Beide Burschen richteten sich auf und schauten hinunter. Der Vermummte war ihnen bis zum Fuß des Abhangs gefolgt. Der Junge stand noch auf der anderen Seite der Wiese, abgeschnitten von seinen Kameraden.


    In Panik versuchte der Kurze im Zickzacklauf an dem Feind vorbeizukommen. Ein schnelles Zucken der Peitsche. Ein Knall, ein heftiger Aufschlag, ein gackerndes Lachen…


    Der Junge kam wieder zu sich, rappelte sich auf und stolperte davon.


    „Nimm den anderen Weg Du dummer Bengel“, schrie einer der Piraten. Doch der Junge ignorierte ihn, er war bemüht, geradewegs den Hügel zu erreichen und duckte sich, um einem erneuten Peitschenhieb auszuweichen. Der kleine, vermummte Kerl bewegte sich mit überraschendem Geschick zur Seite und zielte mit der Spitze auf den Jungen… und schlug zu.


    Dreck wirbelte in einer langen Linie auf, die Peitsche hatte ihr Opfer um Haaresbreite verfehlt.


    „Hupala, was ne Scheiße“, schnarrte der Vermummte mit heiserer Krächz-Stimme, während der zweite Pirat ohrenbetäubend eine Warnung brüllte. Entsetzt schaute der erste Pirat zu, wie dieser den Hang hinunter raste, genau auf den Vermummten zu.


    „Mach das nicht!“, brüllte der Kerl oben vom Abhang. Der Vermummte wich zurück.
    `Vielleicht hat Sniff doch Recht´, dachte der Bursche dann und folgte ihm, um ihm beim Angriff zu unterstützten.


    Der vor Angst völlig irre Junge lief hinter dem Vermummten hin und her. Der erste Pirat brach durch die Koniferen und brüllte den Vermummten aus voller Kehle an. Dann blieb er stehen. Keine zehn Meter vor ihm das vermummte, männliche Gift. Wütend riss er seine Armbrust heraus und zielte auf dessen Gesicht.


    Der Vermummte bewegte sich genau auf ihn zu. Der Pirat feuerte… mit einem Krachen traf ihn ein schwerer Peitschenhieb von der Seite und warf ihn um. Der Kerl versuchte aufzustehen, aber unerträgliche Schmerzen die seine ganze Seite hinab strahlen hielten ihn am Boden.


    Er versuchte es nochmal – ohne Erfolg.


    Zudem spürte er, dass seine Knie von der Wucht des Aufschlags ausgerenkt waren und unnatürlich standen seine Unterschenkel ab. Er schaute hoch.


    Der Vermummte kam langsam lachend auf ihn zu, der Anblick schien ihn zu amüsieren. Die dunklen Augen hinter dem Mundschutz warfen in den Augenwinkeln Lachfalten und kurz äffte er die verrenkte Haltung des Gefallenen nach.


    Die ungeheure Peitsche zuckte dabei bedrohlich. Der Pirat versuchte in Deckung zu kriechen. Der Vermummte teilte einen gezielten Schlag aus, die Wucht die den am Boden liegenden Kerl traf war so groß, dass der Mann in zwei Hälften gerissen wurde.


    Der Vermummte entfernte sich von seinem ersten Opfer. Der zweite Pirat – Sniff ging kreischend zum Angriff über. Der Junge zögerte kurz und schloss sich dann aber dem älteren Kameraden an.


    Die Geschwindigkeit der Peitschenhiebe war erstaunlich. Der Pirat beobachtete, wie der Junge in letzter Sekunde in die Luft sprang, um einen gezielten Hieb auszuweichen. Der Vermummte schien einen Moment verwirrt darüber zu sein. Binnen Sekunden darauf ließ allerdings ein dumpfes Krachen den Piraten zusammenzucken.


    Die Peitsche hatte mit aller Wucht auf Fleisch getroffen. Mit dem Rückholhieb hatte das vermummte Monstrum ihn genau im Kreuz erwischt. Er lag etwas abseits im Gestrüpp und der Feind ging entschlossen auf ihn zu.


    „Steh auf!“, brüllte der Pirat den Jungen an.


    Der Junge kam schlotternd wieder auf die Beine, wirkte aber sehr unsicher. Er stolperte und prallte gegen einen Felsen.


    "Ist Dir nicht gut?", gurrte der Vermummte vergnügt und lachte dann erneut sein irres Gelächter.


    Er hielt kurz inne, machte dann ein paar Schritte und spannte erneut die Muskeln an.
    Drei schwere Schläge gingen an der Stelle nieder, wo der Junge lag. Es klang als hätten sie Knochen und Muskeln zerfetzt.


    Die Pupillen des Piraten weiteten sich vor Zorn. Mit gezogenem Messer und einem schnellen Sprint rannte er auf den Vermummten zu. Der vermummte Kerl rollte sich mit den Reflexen einer Viper nach rechts ab um nicht aufgeschlitzt zu werden und schlug zeitgleich nach hinten aus. Er traf einen Busch und den Piraten gleich hinter sich und zerfetzte beide in tausend Teile.


    Der Vermummte überblickte den Kampfplatz und reckte dabei den Faden in die Höhe. Er dröselte sich binnen Sekunden in tausende, hauchfeine Fäden auf, formte sich neu – beruhigte sich und legte sich wie ein harmloses Armband und den Arm eines Mannes.


    Ein letztes prüfendes Lauschen, da er seinen Ohren mehr als den Augen traute… nein… die Gefahr für seine Schäfchen war vorüber, stelle er zufrieden fest. Er hatte gute Arbeit geleistet, ein bisschen trainiert und ganz nebenbei jede Menge Spaß gehabt. Sofort nahm er wieder die Verfolgung „seiner Herde“ auf und heftete sich in ausreichendem Sicherheitsabstand an ihre Fersen.

    ****


    „Aufgewacht und Bereitgemacht!“, rief Jeelen gut gelaunt.


    Die Pause am Felsen hatte allen gut getan. Einigen ganz besonders, wie er grinsend feststellte, als er Gasmi neben Urako aufwachen sah. Er selbst räumte sein Nachtlager und half dann direkt seiner Gefährtin ihre Sachen zu verstauen.


    Als die Gruppe sich abmarschbereit versammelt hatte, überblickte sie Jeelen noch einmal prüfend. Alle waren in Ordnung, alle waren ausgeschlafen. Besser konnte es nicht sein.


    „Auf geht’s“, gab Aino den Abmarschbefehl. Der Goblin setzte sich erneut an die Spitze der Truppe.


    Pavo gähnte und steckte sich eine Pfeife in den Mundwinkel und zog ein silbernes Feuerzeug hervor um sie anzustecken. Gasmi beobachtete ihn fasziniert bei seiner Bemühung. Die Flamme tanzte um das Kraut, doch es wollte nicht Feuer fangen.


    „Das Kraut will einfach nicht angehen“, beschwerte sich Pavo bei Aino und wollte die Pfeife einfach ausklopfen.
    „Das ist nass durch den Morgentau, was lässt Du die Scheiße auch draußen liegen? Außerdem unterlass den Mist. Rauchen im Wald? Hallo – fällt Dir dazu was ein?“, hakte Aino nach.


    „Mir fehlt der Kaffee, ich meine mein Tee! Kaffee trinke ich ja nicht mehr. Drum dacht ich ein Pfeifchen wäre gut“, gähnte Pavo.
    „Kaffee hab ich nicht, aber Bonbons wenn Du magst“, erwiderte Wolfi und reichte ihm eine kleine Tüte.
    „Kann ich die alle haben?“, fragte Pavo gut gelaunt.
    „Hast Du doch schon in der Pfote. Lass sie Dir schmecken“, antwortete Anwolf gelassen.


    Der Marsch dauerte bereits geraume Zeit. Jeelen blickte nach vorne. Ein ruhiger, dunkler Fluss teilte die Landschaft. Sie waren nah genug diese seltsamen gewaltigen Bäume von den anderen unterscheiden zu können. Es musste eine einheimische Spezies sein.


    Es waren majestätisch geschwungene Bäume, die sich erhoben wie Wächter die den Wald bewachten der sich dahinter ausbreitete.


    Von der anderen Seite her ertönte ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem Pfeifenden Geräusch, als hätte jemand einen Wasserkessel zu lange auf dem Herd stehen lassen.


    „RUNTER“, brüllten fast alle der Truppe zeitgleich bis auf Lydia die grimmig starrend ausmachen wollte, woher der Krach kam und was das überhaupt für Zeug war, dass ihn verursachte. Jeelen packte sie entgeistert am Arm und riss die Zwergin zu Boden.


    "Bist Du verrückt?", zischte er sie leise an, was Lydia breit grinsen ließ.
    "Sorge? Süß", kicherte sie.
    "Ja Lydia! Das sind Granaten! Wenn sie Dich treffen, bist Du ein Puzzle. Die Dinger zerfetzen Dich in tausend Teile. Bleib unten", warnte sie der Goblin.


    Die Gruppenmitglieder duckten sich, zogen die Köpfe ein und zogen ihre Waffen. Das Pfeifen wurde lauter und wuchs zu einem regelrechten Kreischen an. Dann eine kurze Pause, und dass Wasser vor ihnen explodierte in einer weißen Wolke, als eine Granate darin einschlug. Die Truppe duckte sich tief.


    „Zeit?“, zischte Aino.
    „Drei Minuten – maximal“, antwortete Jeelen.


    „Bereitmachen!“, befahl Aino über den Lärm des Feuers hinweg.
    „Ich bleib hier, ich mach mich zu nix bereit! Bin doch nicht irre?“, fauchte Anwolf.


    Ringsum explodierten nun die Granaten im Wasser und schickten weiße Fontänen in die Luft. Alle hielten die Köpfe gesenkt.


    „Haltet die Waffen trocken. Sobald wir am anderen Ufer sind, bleibt in Bewegung. Niemals anhalten“, befahl Jeelen. Die Truppe murmelte ihre Zustimmung und nickte.


    „Nein! Ich fühle mich unwohl!“, flüsterte Wolfi Jeelen zu.
    „Wolfi, das ist normal. Bleib hinter mir ich schütz Dich“, antwortete der Goblin leise.
    Jeelen sah Wolfi genau in die Augen. Der Kurze hat gewaltige Angst vor den Granaten.


    „Wer Euch erzählt, dass er keine Scheiß-Angst hat, ist verrückt. Glaubt niemals solchen Schwachsinn. Und wenn die Person doch so empfindet, dann lauft mit so einem Selbstmord-Kandidaten nicht mit“, erklärte er sachlich, damit sich keiner seiner Angst schämen musste. Wolfi knuffte ihn dankbar.


    Eine weitere Explosion wirbelte das Wasser vor ihnen auf und besprühte sie mit Gischt. Lydia fummelte grimmig an ihrer Armbrust. Jeelen beobachtete sie. Er strich ihr mit der Hand übers Gesicht.


    „Was machst Du denn da?“, flüstere er.
    „Ich hielt zurückschießen für angebracht!“, knurrte sie.
    „Genau, töte sie Lydia –töte sie alle!“, feuerte Anwolf sie an.


    „Sei leise Wolfi! Du musst die Angreifer sehen um zu treffen Süße. Die werfen nur in eine ungefähre Richtung. Die sind im Vorteil, lass den Kopf unten. Granaten sind Golbinzeug. Vertrau einem Goblin“, antwortete er ihr leise.


    "Es ist nicht Recht sich zu verstecken und dabei fliegenden Sprengstoff auf uns zu schleudern", flüsterte Lydia.
    „Eben!“, murrte Anwolf.
    "Mir gefällt das genauso wenig", wisperte Jeelen zurück.


    „Entfernung?“, hakte Aino nach und Jeelen wandte seine Aufmerksamkeit sofort dem Beschuss zu, hielt "seine Frau" aber am Arm fest und drückte sie ins Grün.


    „Sechzig Meter – zwei. Nein Korrektur – drei. DREI“, rief er Aino zu und hob drei Finger.


    „Sicher?“, hakte Aino nach.
    „Drei!“, bestätigte Jeelen.


    „Was denn drei? Ich verstehe das nicht. Was meint er denn mit drei? Und die Meter? Was ist 60 Meter lang? Diese abgehackten sehr unpräsizen Erklärungen machen mich ganz verrückt“, flüstere Wolfi durch den Wind und drückte sich neben Pavo ins Grün.


    Jeelen musterte den jungen Naridier wütend.


    „Du wechselst nicht noch mal ohne Befehl die Position, oder ich leg Dich übers Knie Bursche“, knurrte der Goblin.
    „Ja, verstanden“, kam die kleinlaute Antwort.


    „Die Erläuterung es befinden sich drei Grantatschleudern auf 60 Meter Entfernung“, erklärte Jeelen und wartete wie der Rest der Truppe den Zeitpunkt zum Vorrücken ab.


    Der Himmel war inzwischen bewölkt wie sie feststellten und dünner Regen rieselte in grauen Schleiern auf sie herab. Vielleicht waren es gerade mal 100 Meter bis zum anderen Ufer – ihr Glück dass die Granat-Geschütze nicht soweit reichten, die anderen leider schon.


    Grau-grün-schwarz erstreckte sich das andere Ufer mit den Riesenbäumen, bevor der unglaublich dichte Wald begann.


    Über dem Blätterdach erhob sich ein steiler Bergrücken, eingehüllt in Nebelschwaden. Jener Berg, der ihnen den ersten Abend so versüßt hatte auf dieser Welt. Vielleicht brachte ihnen dieses Bild genau jetzt Glück dachte Pavo.


    Das Granatfeuer wurde eingestellt. Eine Zeitlang herrschte unheimliche Stille. Durch den dünnen Wasserschleier bemerkte Jeelen plötzlich einen roten Blitz am Ufer. Dann einen zweiten, und einen dritten. Einen Augenblick lang herrschte erneut Stille.


    Dann ein neues Geräusch. Es war weicher, wie von einem Besenstiel der auf einem federgefülltem Kissen geschlagen wurde. Zuordnen konnte es keiner, es schien kurz im Blätterdach entstanden zu sein und war schon wieder verschwunden bevor sie es richtig erfassen konnten.


    „Es geht los Leute. Haltet Euch bereit…“, rief Jeelen.
    Ringsherum prasselten die Salven in unglaublicher Schussfolge. Im Wald ballerten irgendwelche Typen mit Armbrüsten aufeinander ein und befeuerten sich mit Granaten.


    Jeelen duckte sich, so tief er konnte, während er auf das Prasseln lauschte. Er war mehr als froh, dass sie noch auf der anderen Uferseite gewesen waren und der Fluss wie auch die Bäume einen schützenden Wall für sie bildeten.


    Unerwartet strich sengende Hitze über Jeelens Gesicht, ein Schuss hatte ihn knapp verfehlt. Gasmi in einiger Entfernung spuckte wütend aus. Jeelen packte seine Armbrust fester und rief sich selbst ins Gedächtnis, die Waffe über dem Kopf zu halten, falls er durchs Wasser ans andere Ufer watend musste.


    Rings um die Truppe zerfetzte das Zischen von Salven die Luft. Jeder hörte wie sie auf ihn zu- und an ihnen vorbeipfiffen. Es war surreal, fast wie in einem Alptraum.


    Wieder kurz dieses seltsame felderleichte Geräusch.


    Im gleichen Augenblick regnete es Männer. Sie fielen aus den Bäumen, durchlöchert, zerrissen und blutig, während andere wild und panisch wie aus dem nichts auftauchten, das Ufer hochrannten um aus ihrem Blickfeld zu verschwinden. Kurz ein schriller Schrei in ihrer Nähe und die Luft war für Sekunden voller Fleischfetzen.


    „Unsere Chance, raus hier – los los los“, befahl Jeelen und sprintete los. Seine Gruppe direkt im Schlepptau. Als sie das Ufer erreichten, sprang er hinab und gleich mit den Knöcheln im nassen Boden zu versinken. Das Wasser war dunkel, klar und eisig kalt.


    Jeelens Hose saugte sich augenblicklich voll und zog ihn nach unten. Den anderen erging es nicht besser. Sie stampften vorwärts, erfüllt von nervöser Erwartung, während sie auf einen brennenden Bolzen-Einschlag in ihre Körper warteten.


    Die Füße sanken tief in die Nässe, die an ihnen saugte wie Treibsand. Überall ringsherum waren nun Männer. Aber irgendetwas schien sich zwischen ihnen zu bewegen.


    Schnelle, huschende Bewegungen. Kaum zu fassen, kaum mit menschlichen Augen zu verfolgen. Wer zu nah an diesen Schatten geriet brach ohne Vorwarnung zusammen. Die Leiber der Feinde bildeten bereits in der Entfernung große nasse Klumpen im Grün.


    Pavo verlor das Gleichgewicht und stolperte ein paar Schritte vor, während er verzweifelt bemüht war, die Stiefel aus dem klammen Boden zu ziehen und unter den Körper zu bringen. Es gelang ihm nicht und er fiel mit dem Gesicht voran in den nassen Matsch. Dort lag er, und Wasser rauschte an ihm vorbei, eiskalt und blutig rot gefärbt.


    Für einen Augenblick erstarrte er, vergrub das Gesicht im Matsch und lauschte den Schreien und Schüssen rings umher. Etwas Schweres fiel auf seine Beine, und als er sich umdrehte sah er in ein entsetzlich verzerrtes Gesicht. Dort wo der Magen der Person sein musste, war jetzt bloß noch eine Masse an Blut und hervorquellendem Rot zu sehen.


    Emotionslos befreite sich der ehemalige Priester von dem Toten. Von den meisten Toten hatte man nichts zu befürchten. Es sei denn sie waren Krankheitsträger. Woran der Kerl gestorben war, war eindeutig.


    Im nächsten Augenblick ergriff ihn schon Jeelen, zog Pavo auf die Beine und rannte mit ihm los so schnell er konnte. Beinahe erstaunt war die Gruppe, dass es sie nicht erwischt hatte. Sie erreichten die schützenden Baumstämme und warfen sich dahinter in Deckung. Sie pressten sich dicht gegen das Holz, als plötzlich etwas vorbeizischte.


    Aus dem Augenwinkel dachte Aino für einige Sekunden so etwas wie eine schwarze, dünne Schlange gesehen zu haben und duckte sich tief. Keinen Moment zu spät. Schweres Abwehrfeuer erklang in aller nächster Nähe. Dann ein zischender Knall und Rindenstücke und Steinsplitter regneten auf die Almanin herab.


    Das Abwehrfeuer erstarb mit einem seltsamen abgehackten Gurgeln. Zwei Männer krochen ihnen über den nassen Boden entgegen. Stöhnten jämmerlich, oder riefen Namen die ihnen allein bekannt waren.


    Die Wunden die sie trugen waren nicht zuzuordnen. Abgeplatztes und aufgeplatztes Fleisch. Bei einigen offene Frakturen, die Knochen freigelegt von einer Gewalt die der Truppe unbekannt war. Allen Kerlen stand schieres Entsetzen ins Gesicht geschrieben.


    „KIGYO!!! Lauft, sie kommt!“, schrie einer der Kerle und reines Grauen sprach aus seinem Blick.


    „Kigyo? Was ist eine Kigyo?“, fragte Aino.
    "Keine Ahnung, noch nie davon gehört. Falls wir eines fangen könnten, sollten wir das Exponat aufs genau erforschen", antwortete Pavo an ihrer Seite.


    "Die Verletzungen? Kannst Du damit was anfangen?", hakte die Almanin nach.
    "Stumpfe Verletzungen. Extreme Gewalteinwirkung. Sehen aus wie von Stürzen, oder etwas das mit gleicher Wucht, Kraft und Geschwindigkeit zuschlägt. Müsste einen von ihnen genauer untersuchen", gab Pavo freundlich zurück.
    "Später Pavo, jetzt ist das zu gefährlich. Das Risiko ist mir die Antwort nicht wert", flüsterte die kahlköpfige Frau.


    Die Bäume schienen ihnen wirklich Glück zu bringen wie Aino dachte. Einige wütende Geschosse gingen in das Holz und verpufften so wirkungslos. Ein Boot mit stampfendem Dampfmotoren schoss heran und glitt ans Ufer. Einige Männer sprangen in Panik hinein.


    Jeelen riskierte einen Blick um den Stamm herum. Eine Handgranate flog wie in Zeitlupe zu dem Boot herüber, und ging mitten auf dem Deck runter. Sie zischte einen Augenblick lang vor sich hin, dann explodierte sie und sandte heißes Schrapnell in die Leiber der Insassen und tötete sie augenblicklich.


    Er duckte sich wieder und starrte zu Seddik rüber. Der Ork bemerkte den Blick von Jeelen und schüttelte den Kopf. Er hatte nicht geworfen.


    Ein Mann rannte zick-zack durch die Botanik und kam mit einem Sprung vor ihnen auf. Irgendwas Dunkles traf ihn mit peitschenartigem Knall ins Gesicht und er stürzte wie vom Blitz gefällt zu Boden. Die Hände zitternd vor die breiig-rote Masse gepresst die einmal sein Gesicht gewesen war.


    Dann rollte eine Reihe von schweren Explosionen über das Ufer, das feindliche Armbrustfeuer wurde schwächer genau wie die Rufe der Männer und erstarb dann.

    „Los schnappen wir uns einen und quetschen ihn aus!“, sagte Jeelen und in der schlagartigen Totenstille klangen seine Worte als hätte er gebrüllt.
    Aino grabschte ihm grob ins Genick, nahm den Goblin in den Schwitzkasten und hielt ihm mit der Hand felsenfest den Mund zu. Jeelen senkte beschwichtigend den Schädel und wehrte sich nicht. Das letzte was er gewollt hatte, war seine Truppe in Gefahr bringen.


    Angestrengt lauschten sie in die Stille. Eine Zeitlang hörten sie nichts, dann leise Schritte.


    Die Person lief ein Stück, blieb stehen und… witterte?


    Wer immer es war, schien wirklich in der Luft zu schnüffeln. Aino ließ Jeelen los und robbte blitzartig ein Stück von der Gruppe weg. Hinter einem Baumstamm richtete sie sich mit gezogener Armbrust auf. Sie waren hier nicht allein, aber wer immer das war hatte sie nicht angegriffen – im Gegenteil.


    Vielleicht interpretierte sie auch zu viel hinein und sie waren nur unbewusst zwischen die Fronten geraten. Die Almanin wischte sich übers Gesicht, schloss kurz die Augen, nahm all ihren Mut zusammen und machte sich bemerkbar.


    „Kigyo? Wer immer Du bist – Danke“, rief sie in den Wald hinein und wartete ab.


    Aino öffnete die Augen – sie spürte dass sie nicht mehr allein war. Jemand war ganz nah, zum greifen nah - irgendwo in unmittelbarer Nähe. Man spürte eine Aura der Gefahr, die von dieser Person ausging. Sie war in extremer Nähe aber sie sah die Person nicht.


    Die Almanin blickte sich um, das einzige was sie sah, waren schwarze glänzende Lianen die vom Baum herab rankten. Sie folgte ihrem Blick und schaute dann zum Himmel auf. Ein Schwarm bunter Vögel strich darüber hinweg in perfekter Formation.


    Dann ließ sie ihren Blick über die Toten schweifen, die vielen Männer die hier gestorben waren. Sie lagen in wildem Durcheinander auf dem Waldboden. Einige in seltsamen Verrenkungen oder Umarmungen, während das Blut aus grässlichen Wunden sickerte und sich mit dem Waldboden vermischte. Der Regen hatte mit Macht eingesetzt und prasselte auf das Blätterdach über ihnen allen ein. Der gesamte Wald glitzerte – Kigyo wollte sich scheinbar nicht zeigen.


    Die Gefahr von der angreifenden Gruppe war vorbei, sie pflasterten den nassen Waldboden als Leichen.


    Die Almanin ging zurück zu ihrer Gruppe und verpasste Jeelen einen freundschaftlichen Knuff vor die Schulter als Zeichen dass sie ihm nicht böse war.


    „Abrücken“, sagte Aino mit einem Gefühl dass sie nicht definieren konnte.


    # # #


    Varmikan betrat am Abend das Haus und schaute sich suchend um. Dave saß vor dem Kamin im Wohnzimmer und las irgendein Buch.


    „Hallo“, grüßte der Frostalb den Naridier und strich seinem Schatz über den Schädel.
    „Na Du? Alles klar? Wo warst Du? Zur Erinnerung - wir haben sturmfreie Bude“, grinste Dave breit.
    „Klingt ausgezeichnet. Für Dich Sternchen, habe ich Dir extra mitgebracht“, sagte Varmikan und reichte Dave eine Tüte getrockneter Pfirsiche.


    Dave riss die Packung auf, steckte die Nase in die Packung und atmete genüsslich den Duft der Pfirsiche ein, ehe er sich gleich mehrere in den Mund stopfte. Futternd fütterte er auch Varmi mit den Pfirsichen.


    „Ich liebe die Teile, die sind voll lecker“, mampfte Dave gut gelaunt.
    „Ich weiß, drum habe ich sie Dir mitgebracht. Wollen wir es uns oben bei Aino gemütlich machen? Da könnten wir auf ihrer großen Spielwiese spielen“, schlug Varmikan vor und nahm sich noch einen Pfirsich.


    „Du meinst im Bett von Aino? Warum nicht? Ist ja keiner da“, lachte Dave und grabschte Varmikan an der Hand.


    Mit ihm gemeinsam ging er nach oben und machte es sich dort im Bett von Aino gemütlich. Varmikan legte sich sofort dazu und nahm Dave in den Arm.


    „Rutsch runter, damit ich Dich in den Arm nehmen kann. Ich füttere Dich auch mit Pfirsichen“, kicherte Dave.
    „Von mir aus, ich wäre der Letzte der sich da sträubt“, stimmte der Frostalb zu und rutschte ein Stück nach unten.


    Dave machte es sich erneut neben Varmi gemütlich und legte seinem Schatz einen Arm um den Hals. Liebevoll kraulte er Varmikan den Schädel und fütterte ihn dabei mit Pfirsichen.


    „So ist es perfekt“, freute sich Varmikan und räkelte sich genüsslich.
    „Keiner zwingt uns, damit aufzuhören. Es sei denn die Pfirsiche gehen zu Neige, dann müssen wir auf was anderes Leckeres umsteigen“, antwortete Dave und küsste Varmikan liebevoll.


    „Was Du über Aino gesagt hast, hat mich echt traurig gemacht“, erklärte Varmikan nach einer Weile und nahm Daves freie Hand in seine.


    „Was hab ich gesagt?“, hakte Dave nach.
    „Mental gesagt, übermittelt. Ihre Herkunft. Was für Eltern. Denkt man so gar nicht. Aber wem sieht man seine Vergangenheit schon an“, sagte der Alb leise.
    „Wohl wahr, Danke“, gab Dave schlicht zurück und drückte Varmikan.


    „Was sie Dir bedeutet, kann ich mir vorstellen. Was Du und die anderen Geister ihr bedeuten, weiß ich. Ich habe sie einmal heimlich ausgelesen. Sie liebt Euch“, flüsterte Varmikan.


    „Nun sie bedeutet mir alles, wie eine große Schwester. Aino und ich sind zwei Seiten einer Münze. Sie ist die helle Seite und ich bin die dunkle Seite. Nicht nur von der Farbe her.


    Aino kämpft mit Waffen, damit nie wieder jemand von uns kämpfen muss.
    Ich kämpfe mit Plan, Intrige und dem Geist, weil ich den Kampf und die Herausforderung liebe.


    Wir beide leben also das gleiche Leben, nur aus einem anderen Grund. Uns beiden geht es nicht ums Töten, sondern meist um den Schutz von Personen die uns nahe stehen oder uns selbst. Letztendlich natürlich auch darum Geld zu verdienen.


    Sie ist einfach eine Gute, weißt Du? Manchmal ist sie so lieb, dass es schon an Dummheit grenzt“, grinste Dave verlegen.


    „Musst nicht verlegen sein, bei einem Kompliment. Wenn Du und Aino zwei Seiten einer Münze seid, was ist dann Pavo für Dich in Eurem Trio?“, fragte Varmikan neugierig.


    „Pavo? Pavo ist das Wichtigste. Pavo ist der Münzrand, er hält alles zusammen“, antwortete Dave gut gelaunt und strich Varmikan mit einem Finger über die Augenbraue, „Du bist verletzt“.


    „Nun ich habe meinen Job erledigt. Dabei bekomme ich ab und an eins auf die Fresse“, gab Varmikan zurück, was Dave losprusten ließ.


    „Wie würde Pavo jetzt sagen? Irrer! Lass mich das mal angucken“, bat Dave und tastete vorsichtig die Augenbraue von Varmi ab.
    „Macht es Spaß an mir rumzufummeln? Ich habe viel interessantere Gegenden am Körper wo Du fummeln könntest“, flötete Varmikan.


    „Wo Du hoffentlich nicht verletzt bist“, grinste Dave noch breiter.
    „Ich weiß nicht, bin mir nicht sicher. Willst Du nicht lieber nachsehen oder besser noch mich untersuchen?“, schlug Varmikan gespielt unschuldig vor.


    „Ja jetzt wo Du es sagst, ich glaube auch, dass ich auf Nummer sicher gehen sollte. "Wo genau tut´s denn weh?“, schnurrte Dave seinem Schatz ins Ohr.


    "Unten, ganz tief unten", grinste Varmi.
    "Dann lass mal den Doktor pusten", lachte Dave.


    # # #

  • Der Goblin-Kompass


    Kap02


    Zwei Stunden später saß Jeelen mit dem Rücken an einem Baumstamm gelehnt auf dem Boden. Pavo bandagierte einige der Truppe die leichte Streifschüsse abbekommen hatten.


    Zwischen zwei Bäumen hatten Seddik, Urako und Gasmi eine große Zeltplane gespannt und alle der Truppe saßen eng und gemütlich beisammen darunter. Selbst wer kurz mal aufstehen und sich die Beine vertreten musste, probierte unter dem behelfsmäßigem Dach zu bleiben.


    „Krankenschwester hierher“, rief Gasmi lachend.
    „Du bekommst gleich Schwester“, zischte Pavo als er sich neben Gasmi niederließ.


    „Pavo – wie redest Du mit einem Kameraden? Ich hab meinen rechten Arm verloren“, feixte Gasmi.
    „Ja ja – den findest Du wieder, wenn Du ihn hinter Deinem Rücken hervorholst“, antwortete Pavo.


    "Eine Wunderheilung", freute sich der Düsterling.
    „Gasmi, das ist echt nicht der Zeitpunkt für Deine Späßchen“, mahnte Pavo streng.
    Gas zuckte nur grinsend die Schultern.


    „Pavo Lagebericht“, forderte Aino.


    Die Almanin hatte offensichtlich Schwierigkeiten, mit ihrer Stimme den Wind und den auf sie einprasselnden Regen zu übertönen.


    „Alle Mann unversehrt und wohlauf. Gasmi hat nur einen minimalen Kratzer – er verlor den rechten Arm“, rief Pavo zu seiner Anführerin rüber.
    „WAS?!?“, hakte Aino baff nach.
    „Kleine Fleischwunde bei Gasmi“, brüllte Pavo grinsend rüber.


    Es grenzte wirklich an ein Wunder. Trotz des stürmischen Wetters und der tosenden Schlacht um sie herum war keiner schwer verletzt worden. Die Truppe richtete ihr Nachtlager ein.


    Jeelen legte sich zu Lydia und nahm sie in den Arm. So daliegend beobachtete er erneut die Truppe, während er kurz über Kigyo nachdachte.
    Gasmi wuselte auch umher und richtete ein Nachtlager für sich und Urako ein. So oft wie er es aber umbaute, würden sie noch lange nicht ruhen können, dachte Jeelen amüsiert.


    Gas besaß scheinbar unerschöpfliche Energien, die ihn den ganzen Tag antrieben. Seine Bewegungen waren flink, sein Lachen explosiv und wurde von noch schnelleren Bewegungen untermalt. Dabei hatte er eine drahtige, sportliche Figur.


    Das krasse Gegenbild in ihrer Gruppe war Dave. Bei ihm schien alles wie in Zeitlupe abzulaufen. Der Naridier besaß etwas Phlegmatisches. Er war ein Hüne von einem Kerl für Jeelen.


    Er war nicht immer die Ruhe in Person, dass wusste der Goblin. Wirklich wütend konnte der Naridier blitzartig umschlagen. Aber Dave war nicht hier und schlummerte wahrscheinlich in aller Seelenruhe Zuhause friedlich wie ein Baby.


    Gasmi lag einen Augenblick später neben Urako. Er hatte es endlich geschafft mit seinem Nachtlager zufrieden zu sein und schlief ebenfalls ein.


    Aino richtete sich auf die Nahverteidigung des Lagers ein und sprach sich mit Pavo ab. Am Tag hatte es fast ununterbrochen genieselt. Mit Einbruch der Dunkelheit wurde es allmählich kühler und der Regen hörte auf.


    Die Gruppe lag im Inneren dicht gedrängt, dass Stoffgewebe war zwar feucht, hielt aber die klamme Nässe draußen.


    ****


    Die Gestalt stand mitten in der Nacht im Dschungel. Er streckte sich, ein dumpfes Knurren entrang sich seiner Kehle. Er hatte einiges beim Kampf eingesteckt. Die Schmerzen verflogen bereits, nur hier und da noch ein unangenehmes Zerren. Seine momentane Aufgabe war ihr Schutz. Sein Schutz war die komplette Vernichtung der Feinde gewesen. Mit gespitzten Ohren und gebleckten Zähnen lauschte er nach der Gruppe. Die meisten schliefen, wie er an ihrem gleichmäßigen Atmen hörte. Zwei schoben Wache, wie er an ihrem Getuschel hörte. Schlagartig hellte sich seine Stimmung etwas auf. An seinem Gürtel hingen viele neue Ohren. Gut gelaunt kramte er ein Pflaster hervor, zog den Schutzstreifen ab und klebte es sich in den Nacken.

    ****


    Jeelen hatte wunderbar geschlafen. Allerdings vernahm er nun ein Geräusch und riss die Augen auf. Ein gehetztes Flüstern folgte, dann ein leises Lachen aus dem Wald.


    „Lydia wach auf!“, flüsterte Jeelen und rüttelte an seiner Partnerin.
    „Was ist denn los?“, fragte sie verschlafen.
    „Ich hab was gehört“, sagte der Goblin und schaute in die Finsternis.


    „Ja aber was denn?“, hakte sie nach und streichelte ihn beruhigend. Beide lagen schweigend im Zelt und lauschten. Draußen ging ein leichter Wind und raschelte in den Zweigen. Die nächtlichen Insekten summten immer noch ohne Pause.
    „Ich höre bloß Blätter im Wind. Du hast es Dir wahrscheinlich bloß…“, sagte sie.
    „Nein ich habe es mir nicht eingebildet“, flüsterte Jeelen.


    Das Flüstern hatte erneut eingesetzt, gefolgt von einem irren Kichern. Jeelen beugte sich vor und spähte durch die Plane nach draußen. Erkennen konnte er nichts. Das seltsame leise Kichern hielt an. Jeelen versuchte sich auf die Worte zu konzentrieren, doch das Flüstern war so undeutlich, dass er nichts verstand.


    „Ob es einer von unseren Leuten ist? Sollen wir nachsehen?“, fragte Lydia.
    „Nix, bist Du verrückt? Du gehst nicht aus dem Zelt“, beharrte Jeelen.
    „Wer hat Wache?“, fragte Lydia.
    „Aino und Pavo“, antwortete Jeelen.


    Das Flüstern wurde lauter. Die Stimmen erhoben sich zu einem hektischen, zischenden Geräusch und die Worte wurden noch unverständlicher. Dann weiteres Kichern, gefolgt von einem Lachen dass wie statisches Rauschen klang.


    „Meine Güte, das ist wirklich unheimlich“, flüstere Wolfi der jetzt auch aufgewacht war. Er versuchte zwar gleichgültig zu klingen, aber die Geräusche gingen an die Nerven. Er war trotz allem eben doch noch ein Kind.


    Anwolf schlug die Zeltplane zurück und starrte in die Finsternis. Erneut vernahmen sie die unterdrückten Stimmen.


    „Eh Du Wixxer, guck mal auf die Uhr! Halt die Fresse und verpiss Dich!“, rief Wolfi laut in den Wald und Jeelen schlug sich die Hand vors Gesicht.


    Augenblicklich verstummte das Flüstern. Stattdessen höre man nun Blätterrascheln, als würde sich jemand durchs Unterholz bewegen. Irgendjemand war dort draußen ohne Zweifel. Alle lauschten auf das sich entfernende Geräusch bis es verklang. Dann setzte das Flüstern wieder ein, diesmal weiter entfernt. Was immer es war – es schien sich vom Lager wegzubewegen.


    „Es entfernt sich von uns“, sagte Lydia.
    „Na bitte, ich hab es wohl verscheucht. Ich leg mich wieder schlafen“, sagte Anwolf.


    „Meint ihr nicht wir sollten nachsehen?“, fragte Lydia.
    „Nein! Du wirst garantiert nicht bei Nacht durch den Wald zu laufen, nach dem was wir erlebt haben. Es ist zu gefährlich“, sagte Jeelen.


    Lydia schüttelte den Kopf und nahm Jeelen wieder in die Arme. Müdigkeit machte sich bei dem Goblin breit. Jeelen legte sich wieder hin und es dauerte nicht lange bis er eingeschlafen war.


    Jeelen riss die Augen auf. Das Flüstern war wieder da, unmittelbar draußen vor dem dünnen Stoff des Zeltes. Was immer es war, es war zurückgekehrt und schien sich in ihrem Lager aufzuhalten. Jeelen war auf der Stelle hellwach und lauschte. Die Geräusche waren eine seltsame Mischung aus Flüstern und Lachen, es klang fast als würden sich mehrere Personen unterhalten.


    Die anderen waren ebenfalls wach und alle schauten sich mit einer Mischung aus Unbehagen und Angst an. Ein eisiger Schauer lief ihnen über den Rücken. Man spürte förmlich die Gefahr, die sich außerhalb des Zeltes zusammenbraute. Sie waren kilometertief im Wald, wer sollte ihnen gefolgt sein?


    Jeelen drehte seinen Kopf und starrte erneut hinaus in die Dunkelheit. Die Nacht war klar, der Mond stand tief über den Bäumen. Fahles Licht fiel durch das Blätterdach und tauchte die Lichtung in bleiche Helligkeit.


    Ein Schemen huschte durch sein Sichtfeld. Es war kaum mehr als ein Eindruck von etwas Hellem, das sich auf zwei Beinen gebeugt bewegte. Es war klein, die Statur eines Mannes. Jeelen zischte unwillkürlich auf.


    Langsam und lautlos zückte er seinen Dolch, küsste Lydia, schob sich vorwärts und huschte aus dem Zelt. Da auf der Lichtung stand ein Mann. Als er näher hinging sah Jeelen, dass der Mann tot war. Er war an einen Baum gefesselt die Augen nur noch leere Höhlen. Jemand hatte ihm die Augen aus dem Schädel geschält und die Kopf- und Gesichtshaut abgezogen.


    Hinter sich hörte Jeelen das wilde Rascheln von Zeltstoff als die Truppe zu ihm stürmte mit ihren Waffen im Anschlag.


    Irgendetwas Dunkles schoss aus der nächtlichen Schwärze heran, Jeelen ließ sich blitzartig nach hinten fallen. Dennoch traf ihn das Ding schwer an der Stirn, unmittelbar über den Augenbrauen. Er stöhnte kurz auf und fiel rücklings ohnmächtig zu Boden.


    ****


    Jeelen wachte auf und sah es war helllichter Tag.


    „Du hast eine mitbekommen“, sagte Lydia besorgt und gab ihm etwas zu trinken.
    „Was war es?“, fragte der Goblin nach und nahm dankbar das Getränk entgegen.
    „Scheinbar ist eine der Lianen vom Sturm zerrissen worden und Dir ist ein Strang genau vor die Stirn geschnipst“, erklärte die Zwergin.


    „Tsss! Na super – Millionen Goblins leben mit Lianen im Einklang - wem passiert sowas? MIR!“, grummelte Jeelen, was die Gruppe brüllend losprusten ließ. Der Schrecken der vergangenen Nacht war vergessen und sie hatten alle wieder blendende Laune.


    „Wir sollten dennoch einen Moment, vielleicht sogar einen Tag verweilen. Dann ist der Wald etwas abgetrocknet vom Regen letzte Nacht und wir sind ausgeruhter. Was meinst Du Jeel?“, sagte Lydia.


    „Mir gleich“, antwortete Jeelen leise und rieb sich die schmerzende Stirn, „andererseits einen Tag Pause könnten wir alle gebrauchen. Und würde sicher jedem gut tun“.


    „Ihr habt es gehört PAUSE für einen Tag. Lasst es Euch gutgehen, aber übertreibt es nicht und bleibt in der Nähe oder sagt Bescheid wenn ihr geht“, rief Aino in die Runde.


    "Lydia ich hätte gerne was zu essen“, sagte Jeelen zu der Zwergin.
    „Werde bloß nicht zu anspruchsvoll“, neckte sie ihn, während sie sich an ihn schmiegte und ihn sanft den Rücken kraulte.


    "Warum bekomme ich kein Schmerzmittel von Pavo?", flüsterte Jeelen.
    "Das habe ich Dir gerade zu trinken gegeben Grüner", kicherte Lydia.
    "Hunger habe ich trotzdem", wisperte der Goblin und drückte sich an die Zwergin.


    „Ausgerechnet jetzt musst Du mampfen“, kicherte sie.
    "Wieso ausgerechnet jetzt? Versteh ich nicht", grübelte er verdutzt.
    „Da gibt es nichts zu verstehen, ich ärgere Dich nur ein bisschen“, sagte die Zwergin herzlich und kramte ihm etwas zu Essen aus dem Rucksack.


    "Süßkuchen?", fragte sie liebevoll.
    "Perfekt", grinste Jeelen über beide Ohren.


    ****


    Stunden später wurde der Goblin vom Geruch nach gebratenem Fleisch geweckt. Seddik und Urako standen an einem Lagerfeuer und grillten ein Tier, das sie wohl erlegt hatten, während Jeelen schlief.


    "Komm her und iss was", sagte Seddik zu ihm.
    „Ja klar, gerne“, stimmte der Goblin hungrig zu.


    Seddik reichte ihm eine große Portion Fleisch. Gut gelaunt schnappte sich Jeelen sein Futter und stellte sich in die Nähe des Feuers, da es dort schön warm war. Genüsslich ließ ich sich seinen Fleischanteil schmecken. Aino unterhielt sich währenddessen kurz mit Pavo und gesellte sich dann zu Jeelen.


    „Alles gut mit Deiner Rübe?“, fragte sie und legte ihm einen Arm um die Schulter.
    „Ich denke schon. Seddik und Urako sind super Grillmeister“, grinste Jeel glücklich.
    „Du solltest Dich wieder anziehen, also rüsten“, grinste Aino ihn an.


    "Zum Schlafen ist das ungemütlich. Außerdem später, jetzt geht das nicht. Ich habe fettige Finger und hier ist warm genug. Ich ziehe mich gleich wieder an“, antwortete Jeelen schmatzend.


    „Kaum gehorcht er einmal, ist er gleich drauf wieder stur. Gibts doch nicht!“, warf Seddik gespielt verzweifelt ein, was die anderen erneut loslachen ließ.


    „Hör mal Freundchen ja? Ich sagte ich ziehe mich später an. Ich bin also nicht stur, ich gehorche doch! Nur halt… später“, lachte Jeelen.
    „Stur, sagte ich doch“, grinste Sed und biss geräuschvoll in einen Fleischbrocken.


    "Wenn er nicht will, dann mache ich es eben", stöhnte Aino und holte Jeelens Kleidung.
    „Wie zuerst?“, fragte sie und zeigte ihm die Klamotten.
    „Aber ich sagte gerade schon, ich ziehe mich später selber an, oder willst Du mir die Rüstung umschnallen? Also lass mich essen“, erklärte der Goblin mampfend.


    „Jeelen, das dauert zwei Sekunden, aber sich einen Pfeil einzufangen geht auch in zwei Sekunden. Zieh Dich an!", befahl Aino streng.
    „Moment ich hab fettige Finger“, gab Jeelen zurück.


    „Was ist mit seinen Fingern nun schon wieder los?“, fragte Gasmi, was die anderen loslachen ließ.


    „Wie ich sagte, sie sind fettig“, versuchte Jeelen ihm zu erklären.
    „Weil Du Fleisch frisst! Was denkst Du woher das Fett kommt?“, lachte Gasmi sich schlapp.


    "Gas, das weiß ich!", murrte der Goblin.
    „Was haben Dir Deine Eltern überhaupt beigebracht? Ehe Du gleich wieder stur wirst, helfe ich Dir“, warf Gasmi ein, packte Jeelens Hände mit stählernem Griff und leckte sie sauber.


    "Hab ich mal wieder einem Bruder geholfen. Fertig Jeel", grinste Gas.
    Der Goblin starrte zuerst auf seine Hände und dann Gasmi ins Gesicht.
    „Danke“, sagte er baff.


    „Jetzt weißt Du wie es geht, zukünftig machst Du Dich selbst sauber“, schlug Gas vor und widmete sich wieder seinem Essen.
    „Ehm ja, gute Idee. Das werde ich tun“, antwortete Jeelen ihm und zog schnell seine Rüstung an, was die anderen wissend grinsen ließ.


    "Ich bin froh, dass wir Dave Zuhause gelassen haben, bei dieser Umgebung hätte ich ihn ständig sauber machen müssen. Er wäre sonst krank geworden", lachte Gasmi.
    "Was erwartest Du Gasmi?", fragte Pavo grinsend.


    "Ein bisschen mehr Verständnis", grinste Gasmi breit.
    "Sag ihm das doch", gab Pavo zurück.


    "Ich? Nein, nein. Seddik macht das", kringelte sich Gas.
    "Wieso Seddik und nicht Urako? Meinst Du er hat besser Überlebenschancen als Du oder Puschel?", stichelte Jeelen.
    "Auf alle Fälle. Und falls nicht, ist das nicht schlimm. Den Verlust von Urako ertrage ich nicht. Darum wird Puschel nicht kämpfen. Sed behalte ich in guter Erinnerung", sagte Gas.


    "Wenn die beiden je aneinander geraten, werden wir wohl Seddik und Dave in guter Erinnerung behalten müssen. Ich glaube kaum, dass einer der beiden den anderen lebend davonkommen lässt. Zudem würde ich so einen Unfug nicht zulassen", warf Aino ein.


    "Gas spinnt, er weiß genau wie Dave und ich zueinander stehen. Wir sind Freunde, wir greifen uns nicht an. Zudem nicht jeder möchte eine Ganzkörperreinigung mit Spucke erdulden!", warf der Ork ein.


    "Genau das ist Dein Problem Seddik, achte mal mehr auf Deine Hygiene, dann findest Du auch eine Frau", sagte Gasmi gewichtig, was die anderen loslachen ließ.


    "Ja Seddik, wirklich!", grinste Pavo.
    "Du bist nicht besser Pavo. Du hast Dave auch nichts über Hygiene beigebracht. Das war ich! Wobei manchmal braucht man schon was Geduld mit ihm. Er redet mit mir manchmal nur über Laute. Menschen", verteidigte sich Gasmi.


    "Lass mich raten. Egal was Du ihm über Hygiene erzählst, seine Antwort ist ein genervtes Stöhnen", lachte Pavo, was den Rest der Gruppe ebenfalls losprusten ließ.


    "Genau wie bei Jeelen. Wie sagte Dave, man kann Jeel eine halbe Stunde zuhören und er schnattert ohne Ende. Seine Version der Antwort wäre ein kurzes ja oder nein", gibbelte Pavo.
    "Eh! Das nennt man Rapport. Wenn ich ihm Bericht erstatten soll, kann ich das nicht in einem Wort", schmollte der jüngere Goblin.
    "Doch das geht. Auftrag erledigt??? JA!", antwortete Aino was die Gruppe erneut loswiehern ließ.


    "Eben, Du musst ihm ja nicht vorher Dein ganzes Leben erläutern. Komisch ist nur, dass jeder Dave zu labert, dabei will er es nicht hören. Ich höre mir gerne alles an, aber mir sagt kaum einer was", gab Pavo zu bedenken.


    "Ohhhh", stöhnte die Gruppe synchron.


    "Ihr seid bekloppt", lachte der alte Goblin.
    "Runzel, wir erzählen Dir nur nix, weil Du schon alles weißt", warf Gasmi ein.
    "Das halte ich für ein Gerücht", lachte Lydia.


    ****


    Es dämmerte der Morgen, jeder reckte und strecke sich. Sie brachen Ihr Lager ab, jeder räumte seine Sachen ein und kurz darauf brach die Gruppe erneut auf.


    „Leute hier stimmt doch was nicht!“, warf Seddik ein. Sie marschierten schon eine ganze Weile.


    „Seddik…“, sagte Jeelen freundlich, als er es auch spürte. Etwas unheimliches Fremdes lag irgendwie in der Luft.


    „Fang nicht schon wieder an Sed“, seufzte Gasmi.
    „Warum nicht?“, knurrte Seddik und runzelte verärgert die Stirn.
    „Weil er sagte fang nicht schon wieder an!“, warf Urako ein.


    „Frag Jeelen er spürt es auch. Schaut Euch doch um! Dieser verdammte Wald ist eine Hölle, und wir wandern gemütlich hindurch, ohne auch nur von einem Moskito gestochen zu werden. Und da wollt ihr mir erklären alles sei in Ordnung?“, fauchte der Ork.


    „Vielleicht fliehen sie ja vor uns“, warf Gasmi ein.
    „Ja, weil wir so unappetitlich aussehen“, spöttelte Pavo, was Seddik breit grinsen ließ.


    „Alles ist hier unheimlich. Vorhin habe ich ein Netz gesehen mit riesigen Kokons. Darin war noch lebende Beute. Die Biester die das gebaut haben müssten noch hier sein, aber scheinbar sind auch die verschwunden was die Fußspuren am Waldboden verraten. Irgendetwas schützt uns!“, warf Aino ein.


    „Boss ein Zwerg prahlt nicht mit seiner Kraft, wenn Ork in der Nähe ist!“, zitierte Seddik.


    „Aha! Und was heißt das?“, fragte Wolfi.
    „Das sagt uns, dass es immer eine größere Bestie gibt Anwolf. Vielleicht hat Seddik Recht. Es beschützt uns nichts, sondern die „kleineren“ Raubtiere haben sich verzogen, weil ein riesiges Biest auf Jagd ist. Irgendwas muss doch hier sein. Es ist eine unheimliche Stimmung im Wald“, sagte Pavo sehr ernst.


    „Genau das meine ich. Wir werden nicht beschützt, wir werden gejagt. Von etwas sehr unerfreulichem vermute ich“, sagte Seddik.
    „Das beruhigt uns jetzt alle. Danke für die tolle Info Seddik“, murrte Wolfi und schaute sich unbehaglich um.


    „Was sagt uns Dein magischer Blick?“, grinste der Ork.
    „Nichts“, antwortete Wolfi und zuckte die Schultern.


    Gasmi schaute sich genervt um. Er ärgerte sich über die allgemeine Aufregung. Im Grunde wusste er, dass sie alle Recht hatten, auch er hatte längst begriffen, dass es ganz und gar kein Zufall sein konnte, dass sie bisher nicht ein einziges Mal in dem Wald angegriffen worden waren. Jegliches Leben in diesem Wald schien ihnen aus dem Weg zu gehen.


    „Leute kommt runter. Wir sind zu nervös, da passieren Flüchtigkeitsfehler. Vielleicht gibt es auch eine ganz einfache, normale Erklärung in Ordnung? Nach all dem was wir bis jetzt durchgestanden haben und auch gesehen haben, ist es doch echt kein Wunder, wenn wir anfangen bei etwas seltsamen Umständen sofort Gespenster zu sehen“, sagte Gasmi beruhigend.
    „Eben! Wir sind den vorherigen Trubel gewöhnt! Die jetzige Stille kommt uns im Vergleich nur so still vor“, pflichtete Puschel Gasmi bei.


    „Ich hoffe Du hast Recht“, pflichtete Wolfi Urako bei.


    „Kurz bevor Du zu mir aufgeschlossen hast, hab ich mir eingebildet, dass jemand etwas gerufen hat. Vielleicht war es auch eine Einbildung für einige Sekunden. Aber irgendwer rief nach mir… dachte ich zumindest“, sagte Jeelen verunsichert.


    „Das war keine Einbildung“, erwiderte Lydia.
    „Ich habe es auch gehört“, bestätigte Aino mit einem grimmigen Nicken um ihre Worte zu unterstreichen.
    „Solange nach mir keiner ruft, ist mir das Wurscht“, murmelte Anwolf.


    „Habt Ihr die Stimme erkannt?“, hakte Jeelen gleich klugerweise nach.
    "Nein", sagte Lydia entschuldigend.


    „Nein…“, sagte Pavo mit einem dünnen Lächeln, dass keinerlei Freude spiegelte, sondern die Gruppe mit Schrecken erfüllte.
    „Ich habe sie auch nicht erkannt“, sagte Jeelen und sein Blick bohrte sich in die Dunkelheit des Waldes.


    Die anderen folgten seinem Blick. Für einen Moment gaukelten ihre überreizten Nerven ihnen Dinge vor… Schatten und huschende, kriechende Bewegungen.


    Aber irgendetwas war dort. Es war zwar nicht zu sehen, aber es war dort, es war real.


    „Dann sind das keine Einbildungen. Vorhin sah ich was in der Dunkelheit, nur für einen winzigen Moment. Du hast es doch auch gesehen oder Gas? Es war ein Ding mit Mirnalinis Gesicht“, sagte Seddik verstört.
    „Verdammt ich weiß es nicht Sed, ich hab irgendetwas gesehen. Wer ist Mirnalini?“, hakte Gasmi nach.
    „Das war die erste Frau die ich für unsere Zunft umgelegt habe. Ich meine sie war es, es war ein Menschengesicht mit blonden Haaren“, sagte Seddik mit Wehmut in der Stimme und Aino legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter.
    „Warte mal Sed, das was ich gesehen hab, es war kein Mensch. Es war kleiner", erklärte Gasmi und hob im hilflosen Zorn die Hände.


    „Stress lässt einen auch oft Dinge sehen, die man gerne sehen möchte. Also das Unterbewusstsein um einen etwas zu beruhigen“, sagte Pavo.


    "Mein Unterbewusstsein scheint nicht zu wissen, dass mich sowas überhaupt nicht beruhigt!", gab Jeelen zu bedenken.


    „Ich bin froh, wenn wir hier endlich raus sind. Dieser ganze Wald scheint verhext zu sein“, sagte Lydia leise. Aber in der Stille des Waldes klang es immer noch viel zu laut.


    „Hier ist keine Magie gewirkt worden, kein Echo zu spüren“, sagte Wolfi schlicht.
    „Wir müssen vorsichtig sein“, sagte Aino und verstummte. Warnend hob sie die Hand.


    Die anderen hatten auch das Geräusch gehört. Es war nicht sehr laut, aber deutlich genug um es eindeutig zu hören. Und dass Geräusch war… falsch. Dieses seltsame Geräusch passte nicht in die Geräuschkulisse des Waldes. Eine Sekunde später hörten sie es erneut. Sie standen reglos da, jeder hatte die Hand auf seiner Waffe.


    Das Geräusch wiederholte sich nicht, aber irgendetwas hatte sich verändert.


    Schlagartig wusste Pavo was es war. Seit sie diesen Wald betreten hatten, war seine Geräuschkulisse gleich geblieben. Ein unablässiges, gleiches Lärmen und Toben, von Tausenden Tieren. Einzeln nicht wahr zu nehmende Laute, sondern ein Chor, zusammengefügt aus den unterschiedlichsten Kehlen. Jetzt war etwas da, dass diesen Herzschlag störte, ein Quell hektischer Unruhe, nicht sehr weit entfernt.


    „Es ist… ja es ist, als wäre etwas in den Wald eingedrungen, dass hier überhaupt nicht hergehört“, flüsterte Pavo.
    „Jemand… etwas kommt her“, zischte Jeelen, nachdem er kaum eine Sekunde lang mit schräggelegtem Kopf gelauscht hatte.


    „Es oder er wird es nicht wagen", knurrte Seddik.
    „Geh und sieh nach Jeelen“, befahl Aino.
    „Aber sei vorsichtig. Ganz gleich, wer es ist, was es ist – geh kein Risiko ein, hörst Du?“, fügte Lydia sicherheitshalber an.


    Der Goblin nickte und verschwand lautlos im Wald. Das Lärmen und Toben in der Finsternis hielt weiter an. Es kam nicht näher. Es dauerte fast zehn Minuten bis Jeelen zurückgekehrt war. Sie hatten einen Kreis gebildet und standen Rücken an Rücken mit gezogenen Waffen.


    "Mir nach Leute", sagte der Goblin und berührte Lydia kurz am Arm zur Begrüßung.
    „Dort“, Jeelen bog einen dornengespickten Zweig beiseite und deutete gleichzeitig mit zwei ausgestreckten Fingern nach vorne. Lydia drückte sich neben ihn und kniff angestrengt die Augen zusammen.


    Jeelen legte ihr behutsam die Hand auf die Schulter und drehte sie vorsichtig in die richtige Richtung. Jeelen fiel es immer noch schwer, in der fast vollkommenen Dunkelheit unter diesen Bäumen zu sehen, obwohl seine Augen Zeit genug gehabt hatten sich an das diffuse Licht zu gewöhnen. Den anderen erging es nicht besser. Lydia hatte keine Orientierungsprobleme, als sie endlich in die richtige Richtung blickte.


    „Das ist doch nicht möglich“, hauchte Lydia.
    „Was siehst Du?“, fragte Aino.
    „Es muss mehrere Gruppen der Piraten hier gegeben haben. Aber das ist es nicht“, flüsterte Jeelen.
    „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass sie wieder unsere Spur aufnehmen Schatz“, sagte Lydia.
    „Sie werden uns verfolgt haben, oder sind vielleicht nur zufällig auf unsere Spur gestoßen und haben uns dann aus Neugier aufgespürt“, warf Jeelen ein, was alle mit zustimmendem Nicken bestätigten. Die Erklärung klang logisch.


    „Ja aber das will ich Euch gar nicht zeigen. Kommt mit. Wir müssen nah ran“, erklärte Jeelen und ging zu den drei Personen rüber.
    Die Gruppe näherte sich den Gestalten. Verwesungsgeruch schlug ihnen entgegen, der Gestank von Blut und Tod. Die Toten standen aufrecht da, mitten in der Bewegung erstarrt wie bizarre lebensgroße Statuen. Gehalten wurden sie von dünnen Fäden.


    Jeelen warf einen Blick dorthin, wo die Gesichter der Menschen sein sollten.
    "Die Gesichter sind weg. Wie bei dem Kerl auf der Lichtung", flüsterte er.


    „Irgendwer hat ihnen die Gesichter abgeschnitten… hier… war ein Artefakt. Es war hier, ich weiß nicht was es war. Es ruht, aber es ist mächtig. Es war hier, ich bin mir sicher“, sagte Anwolf und schaute sich argwöhnisch um.


    „Was bei allen Höllen war es?“, fragte Gasmi.
    „Weiß ich nicht Gas“, antwortete Anwolf ehrlich.
    „Ist schon ein bisschen komisch, eine Waffe vielleicht?“, knurrte Seddik.
    „Keine Ahnung, sein Echo sieht finster aus, dunkel, schwarz, violett, es schläft nicht, es dämmert, mehr kann ich nicht sehen. Es ist nur ein Echo, ein Nachklang. Eine Erinnerung die ein Ort gespeichert hat, sozusagen. Sie verblasst schon, ich kann es kaum erkennen. Nur dass es wohl rund ist? Aber das kann vieles sein. Rund wie ein O, schwarz, violett. Wenn das Echo nicht schon zu sehr verblasst ist“, erklärte Anwolf.


    „Ist gut, gute Info trotz allem Wolfi“, sagte Lydia aufmunternd.
    „Es ist gefährlich, das fest“, antwortete Wolfi.


    „Da hat jemand gründliche und sehr gute Arbeit geleistet. Sehr saubere Schnittführung um das Gesicht so schonend wie möglich zu entfernen“, sagte Pavo mit routiniertem Blick.


    „Kein Kampf“, stellte Aino fest „sie müssen binnen Sekunden tot gewesen sein“, sagte die Almanin.
    „Was sie hier wohl gesucht haben?“, murmelte Gasmi.


    Der Düsterling fühlte sich unwohl, nicht nur durch den bloßen Anblick der Toten. Aino hatte Recht, es gab nicht die geringste Spur eines Kampfes. Die Piraten mussten binnen Sekunden gestorben sein.


    „Nun eine müßige Frage – Dich. Die Gruppe. Uns alle“, seufzte Pavo.


    Missmutig sah sich Aino um. Der Boden war nicht verwischt worden. Wer immer angegriffen hatte, war entweder geschwebt oder so leichtfüßig geschlichen wie ein Killer, ein Meister-Assassine. Leichtfüßig und tödlich wie eine Raubkatze oder ein Dämon.


    Die Almanin konnte keine Spur lesen. Jeelen erging es ebenso.
    Ihre Blicke trafen sich und beide zuckten die Schultern.


    „Ich kann auch nicht sagen woher der Angreifer kam oder was es war. Es hat keine Spuren hinterlassen. Ein Kollege, der einen Auftrag für die Priaten hat?“, fragte Jeelen beunruhigt.


    „Es muss extrem schnell passiert sein. Guckt mal die Waffe“, sagte Aino und deutete auf die Hand eines Piraten. Die Hand des Toten umklammerte immer noch den Griff seines Schwertes. Er war nicht einmal mehr dazu gekommen die Waffe zu nutzen.


    Lydia starrte auf die Waffe des Toten, runzelte die Stirn und trat auf sie zu.
    „NICHT!“, zischte Jeelen hastig. „Du stirbst wenn Du sie berührst!“


    Lydia erstarrte mitten in der Bewegung. Ihr Blick irrte zwischen Jeelens Gesicht, den aufrecht stehenden Leichen hin und her. Misstrauen und Schrecken spiegelten sich auf ihrem Gesicht wieder.


    "Wenn die Typen als Falle für ihre Kameraden präpariert sind, hat ein Kollege sie mit Kontaktgift versehen. Wer sie untersucht, wird sterben Lydia. So würde ich eine Falle aufstellen", ermahnte Jeelen sie.


    Der Goblin packte Lydia kurz entschlossen am Schlafittchen und zog sie zu sich in Sicherheit.


    „Er hat Recht! Finger davon! Was immer sie getötet hat, ist extrem gefährlich. Ich will Dich nicht als nächste Leiche sehe“, schalt Aino die Zwergin.


    „Verzeihung!“, sagte Lydia auf einmal geradezu kläglich, als ihr scheinbar selber bewusst wurde, in welche Gefahr sie sich begeben hatte ohne drüber nachzudenken.
    „Die Typen waren sicher nicht allein. Die Gruppen die bis jetzt angriffen, waren weitaus größer. Lasst uns schnellstmöglich abrücken“, befahl Jeelen.


    Pavo neben ihm hob kurz mahnend die Hand und legte den Kopf erneut schief.
    Dann hörten es Jeelen und die anderen auch.


    Ein leises metallisches Knistern.


    Der Ursprung der Geräusche war ein kleines, rechteckiges schwarzes Kästchen am Gürtel eines der Toten, auf dessen Seite ein grünes Schimmern aufgeflammt war.
    Jeelen streckte jetzt seinerseits die Hand danach aus, erinnerte sich aber schlagartig an die eigene Warnung an Lydia. Er führte die Bewegung nicht zu Ende, sondern drehte sich wie in Zeitlupe zur Gruppe um.


    Irgendetwas geschah und die Luft um die Toten verdunkelte sich.
    Schlagartig begriff der Goblin was geschah.


    „WEG HIER!“, brüllte Jeelen die anderen an.


    Ein düster-rotes Glühen vertrieb die Schwärze des Waldes, als die Gruppe herumfuhr und davon stürzte. Jeelen grabschte Lydia und Pavo und zerrte sie einfach mit sich.


    Mit jedem Schritt den sie taten nahm das Glühen des Kästchens an Leuchtkraft und Gewalt zu, steigerte sich von Rot zu Orange, dann zu Gelb…


    Aino ergriff die Hand von Gasmi und Urako und rannte wie von Furien gehetzt. Die ganze Gruppe rannte blindlings, nur fort, fort von den Toten. Aber die Explosion war schneller.


    Die Hitze folgte ihnen, schneller als sie überhaupt laufen konnten. Eine glühende Hand schien ihren Rücken zu streicheln. Aino schrie vor Schmerzen grauenvoll auf, ließ Gasmis Hand los und stürzte zu Boden. Die Luft um sie herum kochte. Feuer brannte in ihre Lungen. Die Gestalten der Toten lösten sich auf und zerfielen zu Asche, Flammen brüllten unmittelbar hinter ihnen auf, leckten knisternd an den Baumstämmen und am Geäst, versengten Blattwerk und Blüten.


    Aino schrie vor Angst. Urplötzlich war Urako vor ihr, riss sie ihn die Höhe. Sein Haar schwelte, sein Gesicht war verzerrt und Aino sah, wie sich seine Lippen bewegten, als er ihr irgendetwas zu rief. Die Worte gingen in einer erneuten Detonation unter. Urako rannte los und versetzte Gasmi einen freundschaftlichen Stoß als er zu ihm aufschloss, als Zeichen dass er Aino gerettet hatte.


    Die Gruppe rannte bis nicht nur der Wald, sondern auch ihre Lungen bestialisch brannten. Sie sprangen, rannten, hüpften, wichen aus - wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Der Brand breitete sich aus. Der Wald um sie herum verwandelte sich in eine Hölle aus Hitze und Lärm mit zuckenden roten und gelben Lichtblitzen.


    Pavo stürzte, Lydia fuhr herum, riss den alten Goblin vom Boden hoch und rannte mit ihm gemeinsam wie besessen weiter. Aber es schien erst anzufangen wie Jeelen voller Grauen feststellte.


    Nach der ersten und zweiten, folgte nun eine dritte Detonation. Das Feuer schien diese etwas weit entfernt im Wipfeldach ausgelöst zu haben. Der Wald erbebte wie unter einem Hammerschlag.


    Dem Krachen und Bersten des Feuers folgte ein schriller Chor panikerfüllter Tierlaute. Erneut tauchte grellrotes Licht den Himmel in Blut.


    „Es verbrennt den ganzen Wald!“, schrie Jeelen neben Lydia und Pavo.
    Pavos Antwort ging im Brüllen einer vierten, diesmal sehr viel näheren Explosion unter.


    Für einen Moment glaubten sie, den gesamten Wald unter ihren Füßen erbeben zu fühlen. Eine unsichtbare glühende Hand streichelte ihre Gesichter.


    Gehetzt sah sich Jeelen um. Wo die Nacht nicht von Flammenschein durchbrochen wurde, war die Dunkelheit vollkommen.


    „LYDIA!!! SCHAU DICH UM!!! SIEHST DU EINEN WEG?“, brüllte Jeelen so laut er konnte.


    Wie zur Antwort flammte ein Baum vom Wipfel bis zu den Wurzeln hinab auf und brannte sich für einen Moment als brüllende Feuersäule in die Nacht ehe er zerbarst.


    Jeelen hatte wie immer Recht, dachte Aino entsetzt. Irgendwer schien sie dermaßen aufhalten zu wollen, dass er dafür bereit war den ganzen Wald niederzubrennen.


    „DORTHIN!!!“, Lydia deutete genau in die Richtung, in der die vierte Explosion gerade hochgegangen war.


    Der Goblin rannte los, ohne den anderen Gelegenheit zum Widerspruch zu geben. Es war der schiere Wahnsinn – der Wald brannte und das Feuer nahm zu, in der Richtung in die sie Jeelen führte. Scheinbar führte er sie direkt in die tosende Flammenhölle.


    Aino erkannte die Logik hinter Jeelens Überlegung – ihre einzige Chance!!!


    Dort wo eine Bombe hochgegangen war – konnte es keine zweite mehr geben. Die erste Detonation hätte die zweite Sprengladung mit hochgejagt.


    Die anderen rannten noch schneller um etwas aufzuholen. Die Dunkelheit war mittlerweile vollends einen unruhigen Flackern von Rot und Orange gewichen. Der Wald war in Panik. Überall brannte es. Schatten huschten hin und her. Etwas Großes, Stachliges streifte Gasmis Wade und verschwand in kopfloser Flucht in die Nacht.


    Ein Blatt klatschte wie eine große nasse Hand in Seddiks Gesicht. Er schlug es zur Seite, sprang über ein mannsbreites Loch und kam federnd wieder auf. Ein brennender Ast löste sich aus dem Wipfeldach über ihren Köpfen, prallte dicht neben Aino auf und setzte den Boden in Brand. Aino versuchte die Flammen noch auszutreten die ihre Beine hochleckten, aber Seddik ergriff ihr Handgelenk und sprintete mit ihr weiter.


    Es war ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen den Tod.


    Ihr Sprint führte mittlerweile steil aufwärts. Ein Baum kam in Sicht, wie eine verknöcherte und verkohlte Hand reckte er sich gen Himmel.


    Jeelen gab immer noch die Führung. Mit einer Geschwindigkeit der man so einem kleinen Kerl gar nicht zugetraut hätte sprintete er den Abhang hinauf.


    Jeelen rannte mit einer enormen Schnelligkeit den vorgegebenen Pfad entlang. Er rannte immer weiter bis der Pfad schlagartig im Nichts endete und man in die Weiten des düsteren Himmels hinaus starrte.


    Noch zwei, drei der riesigen Sätze des Goblins… dann sprang Jeelen mit Pavo und Lydia an der Hand mit einem gewaltigen Satz genau in dieses Nichts.


    Die anderen folgten ihm in einigem Abstand auf dem Fuße.


    Aino umklammerte Seddiks Hand noch fester. Urako umklammerte die Hand von Gasmi und so sprang die Gruppe wie sie lebte – Hand in Hand in den Abgrund.


    Sturm umtoste sie und peitschte ihre Haare, als sie wie Steine ins Bodenlose stürzten. Einige Sekunden fielen sie noch die ihnen wie Stunden erschienen. Fielen so schnell dass sie Angst hatte jeden Moment auf felsigen Boden aufzuschlagen und zerschmettert zu werden…


    …und klatschten hart ins eiskalte Wasser.


    Das Wasser umfing sie mit eisiger Kälte. Klamme Finger griffen nach ihnen, zerrten sie erbarmungslos in die Tiefe, so dass ihnen die letzte Luft aus den Lungen gedrückt wurde. Lydia strampelte um ihr Leben, als sie von Jeelen gepackt und an die Wasseroberfläche gezogen wurde. Verzweifelt klammerte sie sich an dem Goblin fest.


    Mühsam und unerbittlich kämpfte sich Gruppe zurück die Wasseroberfläche. Dort verharrten sie eine Weile und starrten sich für einen Moment ungläubig an.


    „Leute… ich glaub das war eine Falle!“, sagte Wolfi, was alle prustend auflachen ließ.


    Gemeinsam schwammen sie zurück zum Festland, das nichts als schroffer Felsen hier unten war.


    „Woher wusstest Du dass hier Wasser ist?“, fragte Aino beim Schwimmen.
    „Ich? Ich bin zum ersten Mal hier Boss, ich bin auf gut Glück gesprungen“, antwortete Jeelen schwimmend.
    „Und wir hinterher…“, grunzte Seddik ungläubig was Jeelen loslachen ließ.
    „Man glaub doch nicht immer alles, er hat bestimmt Wasserrauschen gehört“, grinste Pavo.


    Jeelen sparte sich darauf jede Antwort.


    „Hätte ich das gewusst, hätte ich Puschel geschrien beim Sprung“, lachte Gasmi.
    Direkt vor ihnen war eine kleine Lagune und eine Höhle. Eine bessere Übernachtungsmöglichkeit gab es sicher nicht auf der ganzen Insel.


    Gemeinsam erklomm die Gruppe die Felsen und verzog sich ins Innere der Höhle.
    Jeelen begab sich mit den anderen in die Höhle. Der Eingang war groß und einladend vor allem nach dem sie im wahrsten Sinne des Wortes durchs Feuer gegangen waren.


    „Mir gefällt es hier. Die Höhle dürfte uns wirklich ausreichend Schutz bieten. Haben wir erst mal ein Lager aufgeschlagen, wird das hier richtig gemütlich, glaubt mir. Diejenigen die Wache schieben bleiben am Eingang. Die anderen schlafen drinnen“, befahl der Goblin, als er seinen Gepäck abstreifte und sich in der Höhle umsah. Endlich konnten sie ausruhen. Und vielleicht würden sie später die Höhle später noch erkunden.


    Dem Rest der Gruppe sagte die Höhle ebenfalls zu. Jeder war froh um die kühle Finsternis die sie hier umfing. Kaum ein Stück weit in die Höhle hineingegangen und hingesetzt, war der Großteil der Truppe auch schon eingeschlafen.


    ****


    Urako weckte Gasmi mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Er schaute sich verschwörerisch um und zwinkerte seinem Freund zu.


    „Hast Du Lust das Höhlensystem ein bisschen zu erforschen? Wir könnten uns auch ein lauschiges Plätzchen suchen“, schlug er gut gelaunt vor.
    „Na klar komm“, sagte Gas begeistert und reichte ihm die Hand.


    Nach einigen Minuten Fußweg in die Höhle hinein, bot sich Urako und Gasmi bereits ein atemberaubendes Bild. Stalakmiten und Stalaktiten verzierten die sandfarbenen Wände und hatten aus Kalkstein Gebilde erschaffen, die wie überdimensionale Torten aus Zuckerguss aussahen.


    „Schau Dir dass nur an. Das Naturschauspiel hält doch locker jedem Tempel mit, oder findest Du nicht auch?“, sagte Gasmi liebevoll und nahm Puschel bei der Hand.


    „Doch, dass sehe ich auch so, nur können wir jeden Tempel öfter aufsuchen als diese Höhle. Der Abstieg war mir doch etwas zu heiß, auch wenn ich es sonst gerne heiß habe“, grinste der Tiefling den Düsterling zweideutig an.


    „Da kann ich Dir nur beipflichten. Du ziehst Feuer magisch an Puschel. Die Anreise war mir auch zu heiß. Flammen dürfen nicht an meinem Hintern lecken… Du schon“, lachte Gasmi und ging gemeinsam mit seinem Kerl weiter in die Höhle hinein.


    „Hier hinten kann man es sich richtig gemütlich machen. Im Grunde könnte man hier sogar wohnen, wenn man sich mal den Platz anschaut“, sagte Urako gut gelaunt.


    „Oh ja, dass stimmt und auch die Gruppe hätte hier rasten können, aber jetzt ist es zu spät – jetzt ist dass unser geheimer Fleck“, antwortete Gasmi genauso begeistert wie sein Schatz und ging mit ihm weiter die verschlungenen Pfade der Tropfsteingrotte entlang.


    Schlagartig verbreiterte sich die Höhle nach einer weiteren Biegung zu einem Dom. Die Decke war schwefelgelb und die Stalaktiten die davon herabhingen, sahen aus wie zitronenfarbene Reißzähne. Der Boden in diesem Abschnitt der Höhle war mit Wasser bedeckt.


    "Schwefel, Salpeter und wir könnten Pulver kochen", grübelte Gasmi.
    "Witzbold", antwortete Urako.


    „Das nenne ich mal einen Ausblick. Sowas habe ich noch nicht gesehen. Los lass uns runter zum Wasser gehen Hase. Vielleicht ist es ja warm“, grinste Urako.
    „Warm vielleicht aber auch Schwefelgelb. Nachher färbt es ab“, lachte Gasmi.


    „Hase, ich werde Dich auch dann immer noch li... gerne haben, wenn Du die gesunde Hautfarbe einer frischen Zitrone hast“, prustete Urako.
    „Vergiss nicht, Du wirst nach dem Bad in der Käsesohle genauso aussehen wie ich“, grinste Gas zurück.


    „Das will ich schwer hoffen. Gehen wir eben im Partnerlook, gibt es was Schöneres?“, fragte Puschel mit einem liebevollen Zwinkern.
    „Nein – das gibt es nicht“, antwortete Gasmi zugetan und küsste Urako innig.


    Gemeinsam kletterten sie weiter durch das Labyrinth des Höhlensystems, bis sie an einer kleinen Grotte mit weißen Stalakmiten und glasklaren Wasser heraus kamen.


    „Schau Dir nur das Wasser an, wie klar und rein es ist“, sagte Gasmi und füllte gleich seine Wasserflasche auf. Dann ging er vorsichtig hinein und quiekte vergnügt und vor Kälte gleichermaßen auf.


    „Komm rein Puschel! Es ist wirklich wunderschön aber auch saumäßig kalt. Aber um den gröbsten Schmutz abzuwaschen ist es ausgezeichnet“, rief der Düsterling seinem Tiefling zu und tauchte einige Male schlotternd unter.


    „Eh! Warte auf mich mit der Badeaktion!“, rief Urako empört und flitze zu seinem Kerl ins Wasser.


    Auch die Grotte sah aus, als wäre sie ein Reißzahn starrendes Maul. Urako schmiegte sich an seinen Schatz und schaute gemeinsam mit ihm auf den Grund des Wassers. Überall lagen Tropfsteine im Wasser verteilt, die vermutlich durch ihr Eigengewicht abgebrochen waren.


    „Ich werde nachher einige einstecken. Für Pavo und Wolfi als Erinnerung. Und auch einige für uns. Ich hoffe sie halten auch bis wir wieder am Schiff sind“, flüsterte Urako Gasmi ins Ohr und tauchte ihn dann spielerisch unter.


    „Oh dass hast Du nicht umsonst getan“, lachte Gas und nahm die Verfolgung von Urako auf. Der Düsterling tauchte kurz ab, bekam Urakos Fußgelenk zu fassen und zerrte ihn mit Schwung ebenfalls ins Wasser. Mit einem Platschen ging Puschel unter und klammerte sich zärtlich an Gasmi fest.


    „Hallo mein Rettungsschwimmer“, grinste er ihn bereit an.
    „Hallo schöner Tiefling. Hier in See-Not geraten?“, fragte Gas schnurrend.


    „Ja ich hab echt nicht heißes zu Sehen. Bei mir liegt See-Not vor“, lachte Puschel.
    "Du bist bekloppt, ich liebe Dich", prustete Gasmi.


    Sie alberten rum, wuschen sich gegenseitig den Staub und den Schweiß von der beschwerlichen Reise vom Körper und planschten spielerisch in ihrem Naturpool umher. Als es ihnen langsam doch zu kalt wurde, tauchte Gasmi noch nach einigen Tropfsteinen und beide machten es sich am Rand des Wassers im Sand gemütlich.


    Eng aneinander gekuschelt trockneten sie dort etwas und trotteten dann zur Gruppe im Eingangsbereich der Höhle zurück.


    ****


    Die Gruppe hatte klug, schnell und umsichtig gehandelt. Das hatte ihnen das Leben gerettet. Keiner von ihnen war ernstlich verletzt oder gar umgekommen. Nicht auszudenken, was dann passiert wäre. In der Finsternis der Nacht brannte überall noch Feuer. Glut schwelte rot und drohend an allen Ecken und Kanten des Waldes.
    Glühend waren auch zwei Augen die voller Zorn in dieser Nacht brannten.


    Die Piraten wussten noch nicht, wen sie sich da zum Feind gemacht hatten. Den Angriff auf seine Schutzbefohlenen würde er nicht so einfach ohne weiteres auf sich sitzen lassen. Der Fehdehandschuh war geworfen.

    ****


    Aino wurde durch Geräusche geweckt. Irgendwer schien in der Höhle zu werkeln. Vermutlich Gasmi schoss es ihr durch den Kopf. Seddik konnte es nicht sein, dafür war es einfach viel zu früh und sie kannte ihre Gruppe ganz genau.


    Wenn er wo was kramte, dann glich die Geräuschkulisse einer fliehenden Armee, einschließlich deren Getrampel. Wenn er wollte konnte er leiser als jede Katze sein. Er konnte sich genau wie sie und jeder andere Geist lautlos bewegen, allerdings tat er dies nie wenn er seiner Meinung nach zu früh aufstehen musste. Dann musste der Ork scheinbar die ganze Welt an seinem vermeintlichen Unglück teilhaben lassen.


    Und Jeelen war es garantiert nicht, denn Jeel lag immer noch selig schlummernd neben Lydia. Ein wirklich guter Ausscheidungsgrund, warum er nicht in der Höhle Krach machen konnte.


    Aino legte sich auf die Seite und beobachtete Jeelen beim Schlafen. Eigentlich sah er nur wenn er schlief wirklich entspannt aus. Sonst hatte sein Blick selbst dann noch was Argwöhnisches wenn er lachte. Genau wie der von ihnen allen. Wer nicht ständig in Alarmbereitschaft war, war in ihrem Job sehr schnell sehr tot.


    Wie gut sie ihre Jungs kannte. Der Gedanke daran ließ sie schmunzeln, auch wenn ein Teil Wehmut dabei war. Nicht jedes Wissen über ihre Jungs und ihre Gruppe war positiv. Vieles war Leid, Schmerz, Angst oder Hoffnungslosigkeit.


    Seddik verfiel meist in eine Art „Schockstarre“ wenn er einen Heiler aufsuchte, selbst wenn er die Krankenstation von Pavo betrat.


    Welche Erinnerungen er daran hatte, wusste sie nicht, aber sie mussten grauenvoll sein. Meist mussten sie ihn „verarschen“ um ihn verarzten zu können. Der Preis dafür war, dass er mindestens 3 Tage schmollte und sie ignorierte. Selbst großzügige Fleischportionen zogen dann nicht mehr – dass hieß was. Irgendwann kam er an drückte sie und nuschelte „war gar nicht so schlimm“, aber die Show war jedes Mal die gleiche bei Seddik.


    Alle ihre "Geister" hatten die Mentalität eines Kampfhundes. Privat die Friedfertigkeit in Person, aber kaum im Dienst waren sie Bestien. In ihren Händen war schon die Speisekarte einer Taverne eine Waffe, die sie ohne zu zögern einem Gegner mit brachialer Gewalt in den Hals rammen würden, wenn sie es für nötig hielten.


    Seddik zog manchmal so um die Häuser, das sie befürchtete ihn nie wieder zu sehen. Pavo kam nie auf die Idee um Häuser zu ziehen.


    Welche Lasten Urako und Varmikan auf der Seele trugen, wusste sie noch nicht. Vielleicht würden sie es ihr eines Tages verraten.


    Sie liebte ihre Familie der Geister auf seltsame schräge Art. Sie waren wirklich eine eingeschworene Gemeinschaft. Dennoch hatte Aino Angst.


    Sie war nicht mehr die Jüngste. Musste sie ewig auf ihr Glück warten, oder gab es für sie einfach kein Glück? Wieder diese bohrende Frage.


    Nun gut, die Zeit die vergangen war zählte sie nicht mit. Auch wenn Pavo nicht maßgeblich älter war als sie, man sah ihm an, dass er dennoch älter war. Sobald man in sein Auge sah oder ihn eine längere Zeit musterte, wurde einem schlagartig klar, dass er nicht dem Alter entsprach dass er gelebt hatte.


    Für Goblins galt ein anderes Zeitmaß, aber Pavo war irgendwie anders. Sein Aussehen war alt und irgendwie alterslos zugleich. Seine Optik passte nicht zu dem Wissen was man in seinem Auge las. Passte nicht zu der wissenden, einfach vorhandenen Lebenserfahrung mit all den Dingen die er getan und erfahren hatte.


    Wie sehr er sie vermisst hatte, davon zeugte allein schon die Tatsache dass er sie geholt hatte, wo es möglich war. Als er das Haus gekauft hatte, war es ihr Haus geworden. Der alte Goblin hatte es einfach mit ihr geteilt. Ohne Grund, ohne Hintergedanken. Oder ohne die üblichen Hintergedanken. Seine Beweggründe verstand Aino oft nicht. Pavo dachte um zu viele Ecken, als dass man ihm immer folgen konnte.


    Wie hatte Dave einmal treffend gesagt?
    ES ÜBERLEBEN ALLE ODER KEINER!


    Bei seiner Vehemenz war dies schon mehr als eine reine Aussage.


    Es war eine Kampfansage an das Schicksal oder Ainuwar selbst. Wag Dich nur einen aus meiner Familie zu bedrohen und Du hast uns alle am Arsch - dass war Daves Motto.


    Auch wenn er sonst meist zugeknöpft war wie eine Auster. Bei guter Laune oder wenn er einen über den Durst getrunken hatte, konnte der Magier auch ganz anders sein. Und scheinbar hatte jetzt sogar Dave die endlich mal die Kurve bekommen und sein Glück gefunden. Aino freute sich für ihn, genau wie sie sich für Gas und Urako unendlich freute.


    Wenn sie sich je auf wen verlassen konnte, dann immer auf ihre Geister. Das sah sie schon daran, fiel ihr mit einem Lächeln ein, dass Lydia und Jeelen mit in der Höhle lagen, obwohl die zwei sicher gerne auf Tuchfühlung gegangen wären.


    Sie hätte für jeden genauso gehandelt, aber bei dieser Überlegung wurde ihr wieder schwer ums Herz.


    Die Wahl zum Verzicht hatte sich ihr nie gestellt. So langsam befürchtete sie, wurde sie sentimental. Ob es an ihrem Alter lag, dass sie so weich wurde, wusste sie nicht.


    Und wieder lag sie selber hier und ihr war immer alles vorbestimmt. Sie ärgerte sich maßlos nicht eine Wahl zu haben. Man konnte für andere nur auf etwas verzichten, wenn man es auch besaß.


    Eine seltsame Idee breitete sich in ihren Gedanken aus…
    Eine Erpressung an die Götter gleich…
    Sie kroch rüber zu Gasmi und tippte ihn mit dem Fingern im Nacken an.
    Der Düsterling grunzte kurz auf, hob den Kopf und sah sie an.


    „Guten Morgen“, flüsterte sie leise.
    „Dir auch. Was ist los?“, fragte er nach und schaute sich sichernd im Raum um.


    „Nichts ich möchte Dich um einen Gefallen bitten. Hör zu“, flüsterte Aino.
    „Natürlich, worum geht es?“, erwiderte Gasmi leise und rollte sich wieder zusammen. Musterte sie aber weiterhin mit aufmerksamem, wachem Blick.


    „Ich möchte ein Geschenk von Dir. Nicht jetzt… später. Viel später. Wenn Du es tun willst, oder die Erlaubnis dazu von Puschel erhältst. Um genau zu sein in einigen Jahren, wenn ich kein Glück habe…“, fing Aino an und wartete.
    „Erzähl weiter, was möchtest Du von mir?“, fragte er freundlich.


    „Wenn ich bis zu meinem 40. Geburtstag niemanden gefunden habe, würdest Du… also würdest Du es tun, damit ich es ein einziges Mal im Leben getan habe? Ich meine freiwillig und frei. Zwar nicht als Liebende, aber als Freunde“, sagte sie leise und starrte an die Höhlendecke.


    Gasmi gab einen Laut von sich, den sie zuerst nicht zuordnen konnte – bis sie begriff dass er in seinen Ärmel lachte. Irritiert schaute sie ihn an.


    „Gasmi? Was ist daran… bin ich in Deinen Augen abstoßend?“, schnauzte sie mit Tränen in den Augen.


    Sie schalt sich selber über ihren dummen Wunsch. Überhaupt so einen Plan ersonnen zu haben. Ruppig wollte sie aufstehen und nach draußen laufen, aber der Düsterling grabschte sie am Arm und hielt sie fest. Dann strich er ihr beruhigend über die Wange.


    „Dummkopf. Du bist nicht abstoßend, im Gegenteil Du bist ziemlich hübsch für einen Menschen Aino. Und dass Du mir so ein Angebot machst, ehrt mich. Aber wie stellst Du Dir das vor? Überlege mal wie das ablaufen würde zwischen uns, nur damit wir es getan haben. Die Idee ist genauso ekelerregend wie es klingt.


    Selbst wenn Puschel das erlauben würde, ICH will es nicht. Niemals. Nicht wegen Dir, sondern für ihn. Er ist mein Mann.


    Du würdest es danach bereuen. Das was Dir Dein Vater damals angetan hat, tust Du Dir dann selber an. Mit mir. Wenn Du es nicht bereust, ich auf alle Fälle.


    Du bist einer meiner besten Kumpel, auf eine Art auch meine Kleine und Du bist irgendwie meine Ma. Für uns alle bist Du die Rudelführerin. Ich fasse Dich nicht an.


    Nicht so.
    Niemals.


    Auch wenn ich den Wunsch irgendwie verstehe, aber der Wunsch ist eine Missgeburt aus einer Panikattacke heraus Aino ja? Stopf ihn dahin wo er herkam oder leg ihn am besten um.


    Ein Geschenk wäre das nicht für Dich, sondern eine Zumutung. Meine Antwort lautet NEIN Aino.


    Und die von fast jedem anderen hier lautet auch NEIN.
    Versuch es erst gar nicht. Ich würde dafür sorgen, dass die Antwort nein lauten wird um Dich vor Dir selber zu beschützen. Entspann Dich mal und wir lösen Dein Problem in Ordnung? Ich bin gut in Probleme lösen - wirst sehen", flüsterte Gasmi.
    Aino schniefte und wischte über ihre Nase.


    „Ich bin blöd“, sagte sie kleinlaut.
    „Ja ich weiß, ich auch oft genug. Kann schon gar nicht mehr zählen wie oft ich blöde war. Aber das ist egal. Ich höre?“, sagte Gasmi, setzte sich neben sie und legte ihr einen Arm um die Schulter.


    "Ich wollte doch nur... Hach egal ich meine wieso kann ich nicht einen Kerl finden?", wisperte Aino.


    "Du kannst jederzeit einen Kerl finden. Du musst dazu nur mal in eine Taverne gehen und Dich offen umschauen Aino. Oder vielleicht auf dem Markt mal gucken, wer denn zu Dir guckt. Das funktioniert. Ich begleite Dich, wenn Du willst. Heißt wir gehen gemeinsam hin, den Rest musst Du alleine schaffen", grinste Gasmi.
    „Du hast vollkommen Recht, wie immer – warum ich nicht gleich mache was Du sagst“, sagte sie freundlich.


    „Weil wir mitten im Nirgendwo sind auf Pavos Wunsch hin und es hier keine Tavernen gibt und weil Ihr selten meine Tipps annehmt“, lachte Gasmi leise.
    "Das stimmt, ab heute wird das anders", grinste Aino.

    „Pass auf, folgender Schlachtplan. Zuhause brezele Dich schön auf. Nicht wie zur Schlacht oder für den Endkampf. Sieh zu dass Du aussiehst wie immer nur ein bisschen aufgeschübst und ohne Kriegsbemalung. Zu krass kommt entweder nuttig rüber oder bettelnd, ich habs voll nötig. Wie Kerle deren Rasierwasser man 3 Kilometer gegen den Wind riecht, aber den Burschen noch nicht sieht. Eindeutig Notstand, Finger weg. Drum aufhübschen und wenn Du fertig bist nehmen die andere Jungs Bestand ab. Dann gehen wir los. Wirst sehen Aino, Dich bekommen wir schneller an den Mann als Du denkst", erklärte Gas aufmunternd.


    Aino legte sich wieder hin und rollte sich auf die Seite, legte ihren Kopf auf ihre Hände und schaute nun den Düsterling an.


    „Du siehst mehr als ein Kerl sonst sehen würde. Gerade ein Kerl“, grinste sie verlegen.


    „Kommt auf den Kerl an. Worauf willst Du hinaus?“, fragte er freundlich nach.
    „Auf nichts eigentlich. Kann ich Dir was anvertrauen? Aber Du darfst nicht lachen“, fragte sie und zog ihren Umhang bis über die Nase.


    „Du vertraust mir sonst auch alles an, also nur zu. Wegen dem Lachen, kommt drauf an was Du mir erzählst, wenn es so schräg ist dass ich lachen muss, kann ich nichts dafür. Aber ich verspreche mich zusammenzureißen. Erzähl einfach“, sagte Gasmi, legte sich neben Aino und nahm sie in die Arme.


    „Jeelen hat Lydia. Seddik seine Axt. Pavo sein Labor. Ich gönne Euch Euren Spaß - keine Frage. Ich hab Euch als Familie, das ist klar. Aber wen hab ich je als Gefährten gehabt? Wenn ich so darüber nachdenke, dann bin ich manchmal so traurig, dass ich nicht mal weinen kann, weil es mir einfach die Kehle zuschnürt. So als wäre es felsenfest in mein Schicksal eingemeißelt. Das ärgert mich so.


    Für Aino keinen Gefährten, keine Kinder, keine weitere Familie. Kein Mann an dem meine Geister rummäkeln könnten, keine Kinder mit denen ihr Blödsinn machen könnt. Kein Streit um eine Familienkutsche. Keine Hochzeit auf der ihr meine Trauzeugen wärt, nichts. Nicht mal ein Verlobungsring, oder ein Stück Hochzeitstorte, all das wird es nicht für mich geben.


    Ich gucke immer nur zu. Sozusagen, als hätten die Götter mir eine Bannmeile aufgedrängt, bis hierhin und nicht weiter. Gucken ja, besitzen nein.


    Warum soll ich dann davon wissen? Und warum kann man empfinden, lieben oder sich nach Liebe sehnen, wenn man doch keine bekommt? Das ist doch irgendwie perfide. Wenn ich etwas nicht haben kann und ich es nicht vermissen würde, wäre dem einfach so. Aber warum wünscht man es sich, wenn es das für einen nicht gibt Gasmi?“, fragte sie nach und drückte sich an ihren Kumpel.
    „Mach es einfach, ich sag nichts dazu“, flüsterte er ihr ins Ohr.
    „Was soll ich tun?“, fragte sie leise zurück. Er hob ihren Kopf an und wischte ihr über die Augen.


    „Oh“, sagte sie und wischte sich auch über die Augen.
    „Nichts oh. Du bist zwar „der Boss“, aber Du bist kein Ding – also wenn Du weinen musst, mach es“, sagte er leise, nahm sie wieder in die Arme.


    „Wenn Du es nicht bei mir oder einem von uns kannst, wo dann? Dann brauchen wir uns nicht Rudel nennen.


    Ob es so etwas wie Schicksal ist, kann ich Dir nicht sagen. Nur wenn es Schicksal wäre, wäre es wirklich widerlich. Jemanden mit etwas ködern, was er nicht erreichen darf oder kann. Wenn ich Dein Leben angucke bis Tag X – würde ich sogar sagen, Du hast Recht Aino. Wenn Du vorher nie einen Freund hattest, bei uns hattest Du das nicht, und nie haben wirst - wirst Du sogar sterben ohne je einen gehabt zu haben.


    Du wirst nie geliebt haben und nicht geliebt worden sein, was Liebe und Verlangen angeht.


    Glaubst Du diesen Götter-Quatsch? Ich glaube Götter sind wie jedes unsterbliche Wesen. Vielleicht bist Du sogar einer ihrer Lieblinge – aber das bringt keinem Lebenden Glück. Jene die leiden sind es angeblich. Warum lässt ein Gott "seine Kinder“ durch die Finsternis laufen, bis er oder sie meint jetzt können sie einen gebrauchen?


    Priester behaupten, Götter wollen das Ernste, Kriegerische und Fromme auf ihre Art verbinden. Natürlich findet jeder irgendwann und irgendwie zu einem Gott. Aber so schlicht mögen die Götter es bei ihrer Elite nicht. Ihnen reichen keine ernsten, frommen und tapferen Anhänger.


    Sie wollen es auffälliger, wollen es mit göttlicher Wucht um allen stets zu zeigen, dass sie wirklich existiert. So als wollten sie sich selbst ihre eigene Existenz beweisen.


    Deshalb stürzen sie einige ihrer Leute tief, damit sie alle Bitterkeit des Daseins erfahren. Bei der Gelegenheit pflanzt sie einem Hass, Grausamkeit und Wut ins Herz. Nähren den Keimling, bis sie irgendwann nach Dir rufen, Dir den Weg „der Errettung“ zeigen. Dann ist der Keimling längst ein gewaltiger Baum und Du tötest in ihrem Namen. Ihr seid nicht ihre Kinder, sondern ihre Spielzeuge. Nichts weiter.


    Meiner Meinung nach, sollten Göttern liebend und barmherzig sein. Sie sollten ein riesiges Rudel sein.


    Das Leben ist gnadenlos genug, sonst müsste es uns und unsere Tätigkeit nicht geben. Betrachte ich jetzt Dein Leid, sehe ich keine Gnade oder Barmherzigkeit. Im Gegenteil. Wenn die Götter wirklich dahinter stecken, sind sie eifersüchtig.


    Götter kennen keine Liebe, sonst gäbe es nicht so viel Leid auf der Welt. Du kannst jemanden mit einer Leidenschaft lieben, die Göttern fremd ist und Sterblichen vorbehalten ist.


    Warum ist Liebe der Priesterschaft verboten? Warum hat Pavo keine Frau? Der weltliche Grund ist ganz einfach - Geiz. Du sollst als Priester keine Ehe eingehen und keine Nachkommen zeugen damit Dein Besitz nach Deinem Tode vom Tempel geerbt wird. So ist es doch nicht wahr? Und der göttliche Grund?


    Ich denke nicht, dass Gefühle schaden können, egal was irgendwelche Götter-Regeln behaupten. Und egal was Pavo gelernt hat.


    Im Gegenteil, Gefühle bewahren vor Schaden oder dienen einem.
    Wie die Angst. Sie ist das älteste und stärkste Gefühl.


    Spürt man Angst, ist sie einem ein Freund. Sie warnt einen vor Gefahr. Verbreitet man Angst, ist sie ein mächtiger Verbündeter. Manchmal ist sie sogar mächtiger als Liebe.


    Wie viele Personen würden ihre bessere Hälfte bei Todesangst verraten und zurücklassen? Sehr viele. Das sagt mir, dass Angst ein mächtiges Instrument ist, über das wir verfügen.


    Liebe hingegen kann Schutz bedeuten oder völlige Hingabe an eine Person.
    Die Liebe muss nicht mit Lust oder Leidenschaft einhergehen.


    Diese Form der wahren Liebe stellt das Wohlergehen der geliebten Person über das eigene Wohlergehen. Man würde sein Leben für diese Person geben. Diese Liebe heißt Agape.


    Diese Form der Liebe empfinde ich für Dich.
    Keine andere Aino.


    Und keine Macht des Alls, nicht mal die Macht der Angst kann diese Liebe zerstören. Sie ist ein gewaltiger Schutzschild. Manchmal ist diese Art der Liebe gepaart mit Begehren und Leidenschaft, also die Personen sind bilden Liebespaar.


    Das verbindet uns nicht.


    Das verbindet mich ausschließlich mit Puschel. Niemanden sonst.
    Nur er hat das Recht mich anzufassen auf diese Art.


    Du empfindest dass ebenso wenig für mich, wie ich für Dich Aino. Sind wir da ehrlich. Ich habe diese Hälfte mit Puschel endlich neu gefunden, Du musst sie noch finden.


    Schau Liebe unterteilt sich in drei Formen.
    Agape, ist die selbstlose und fördernde Liebe. Nächstenliebe zählt ebenso zu Agape, sogar die Feindesliebe. Also genau jene Liebe die nur das Wohl des anderen im Blick hat.


    Eros, bezeichnet die sinnliche, erotische Liebe. Das Begehren der geliebten Person, den Wunsch nach Geliebt-Werden. Leidenschaft mit ihr auszuleben. Darunter versteht man sinnliche Liebesgefühle, wie Verliebtheit und natürlich die sexuelle Anziehung. Sie stehen in der Regel in Verbindung Eros oder Agape. Sie können aber auch durch die Wahrnehmung eines fremden Körpers ausgelöst werden oder ganz einfach durch den empfundenen Mangel an einem geliebten Gegenüber.


    Die Liebesempfindung steht in enger Verbindung mit der Sexualität, das heißt sexuellen Wünschen, Bedürfnissen und Handlungen.


    Philia, ist die Freundesliebe. Liebe auf Gegenseitigkeit, gegenseitige Anerkennung und gegenseitiges Verstehen. Die erste und letzte Form empfinde ich für Euch. Agape und Philia gehören Euch.


    Du sehnst Dich nach allem. Vielleicht missgönnen Dir die Götter es aus dem einfachen Grund, da sie so etwas nicht empfinden können. Vielleicht möchten sie nur selber geliebt und angebetet werden. Sprich das Einzige sein, was Dir etwas bedeutet.


    Denn wenn man ehrlich ist, wie viele Einsätze haben wir bestanden? Wie viele haben wir gemeistert, wo andere nicht mal zwei Schritte überlebt haben und wir haben es gerade gezogen? Wenn wir keine Profiliga sind, wer denn dann?


    Und wo starben einige von uns? Bei einem unbedeutenden Geplänkel. Das wäre meine Erklärung auf Deine Schicksalstheorie. Aber wir Düsterlinge haben für Glauben kein Gespür, drum urteile ich dort hart. Mein Glauben ist mein Rudel und mein Partner, das ist alles was ich brauche damit meine Welt perfekt ist“, erklärte Gasmi freundlich.


    „Und die weltliche? Ich mag es wenn Du so denkst, weißt Du das?“, sagte Aino.


    „Meine weltliche sieht natürlich anders aus. Die ist auch viel einfacher und logischer. Also wenn ich Menschen anziehend finden würde, und Dich schnucklig fände, würde ich Dich auch nicht ansprechen.


    Der Grund wären Deine "Leibwächter".


    Einer davon ein über 2 Meter hoher Ork, ein drahtiger Düsterling - dass bin ich, eine grimmige Zwergin, ein Goblin-Priester des Ainuwar, ein drahtiger Goblin und ein Almane der andere mit dem Blick erdolchen kann. Und neuerdings noch ein umwerfend gut aussehender Tiefling mit erstklassiger Figur und ein Frostalb.


    Du wanderst immer in der Mitte, flankiert von dem alten Knacker und dem Riesen Seddik. Also welcher Kerl, würde zu Dir hingehen und sagen dass er Dich attraktiv findet? Wer würde sich das wagen? Hm Aino? Antworte mal darauf“, grinste Gasmi.


    „Nun ich meinte ja auch privat. Nicht im Einsatz“, grinste sie zurück.
    „Wir sind gerade recht privat und wo bist Du? Bei mir, in meinen Armen. Sag alles nicht wahr?“, schmunzelte er.
    „Ja aber Du hast mich in die Arme genommen“, schalt sie ihn gespielt.


    „Natürlich hab ich dass, weil Du mich gebraucht hast. Ist nicht so mein Ding Dich hängen zu lassen. Du musst einfach mal ein bisschen mehr Mumm zeigen. Ich weiß, nichts ist schwieriger als über den eigenen Schatten zu springen, aber hier klopft keiner an die Tür.


    Wie gesagt, hübsch Dich auf, geh mal weg und zwar allein. Setz Dich in eine Taverne auf ein Bier an den Tresen. Und wenn Du niemanden für mehr kennenlernst, dann einfach nur zum Töttern. Da findet sich immer wer. Übung macht bekanntlich den Meister.


    Mein Angebot steht. Wenn Du Dich nicht gleich alleine traust, auch verständlich, gehst Du mit mir oder besser mit Lydia. Was vermutlich logischer wäre als in Begleitung eines Düsterlings. Nimm Lydia als Rückendeckung mit. Sie ist aber nur anwesend für Dein Gefühl.


    Wenn Du dann wen kennenlernst, lass es Dir gut gehen. Und mal ehrlich, wo hast Du bessere Chancen als in Shohiro? Die Leute sind nett, für jede Rasse und für jeden Geschmack ist was dabei. Setz Dich wenn wir Zuhause sind in eine Taverne“, schlug Gasmi vor.


    „Du hast Recht, Du hast wirklich Recht. Aber da hab ich noch ein Problem. Ich kann es mir nicht einfach gut gehen lassen“, erklärte sie so leise dass er sie fast nicht mehr hörte.
    „Und warum?“, hakte er nach.
    „Ich… ich habe noch nie, also ich habs mir noch nie gut gehen lassen. Verstehst Du? Ich weiß gar nicht was ich dann tun soll. Ich weiß nur, wenn Dir jemand die Entscheidung abnimmt endet es grauenvoll.


    Guck ich bin auch nicht mehr jung, kein Backfisch. Wenn ich doch jemanden finde, wird er sich vermutlich über mich lustig machen. Wird denken, dass mit mir was nicht stimmt. Eine gestandene Frau, aber niemals berührt? Nur von ihrem Vater geschändet.


    Vermutlich hat sie einen Knall oder sonst was wo man sich besser fernhält. Es sei denn Du würdest mir sagen, was ich tun soll. Einen Schlachtplan wie Du immer sagtst“, sagte sie.


    „Wenn dies jemand zu Dir sagt, sagst Du mir das und er zieht um. Einer von uns wird den Auftrag ganz diskret erledigen. Nächster Punkt. Du bist nicht unnormal. Das vergiss mal ganz schnell wieder.


    Einige haben bis zu einem gewissen Alter gar nicht den Blick dafür. Anderen bot sich nie die Chance. Wieder andere waren zu beschäftigt, weil sie was erreichen wollten oder sollten. Schule, büffeln, Studium, und und und. Manche Leute haben privat so viele Termine, die gehen morgens außer Haus und stürzen abends müde ins Bett. Für das Zwischen- und Miteinander bleibt ihnen da kein Platz.


    Sind das deshalb alles Perverslinge? Wohl kaum.


    Und gerade die Leute, die sich über solche Dinge lustig machen, es angeblich ständig und permanent tun, und anderen erzählen wollen wie es geht, was man darf und was man angeblich nicht darf – glaub mir, dass sind gerade die, die am wenigsten Erfahrung haben.


    Oder beim nächsten Heilerbesuch sich ihre eingefangenen Andenken heilen lassen müssen.


    Wenn Dich jemand wirklich mag, und es der Person um Dich geht, dann wird sie sich daran überhaupt nicht stören. Wenn es ihr nur um ihren Zeitvertreib geht, dann schon.


    Denn wenn jemand nur seinen Spaß will und sein Opfer der Begierde noch anlernen muss, dauert es zu lange. Von daher Du weißt doch was Du möchtest. Du möchtest einen Gefährten.


    Erstem stimmst Du zu, dem zweiten zeigst Du die kalte Schulter. Vor allem wegen Deiner Vergangenheit in Ordnung? Lass Dich nicht auf so einen Drecksack ein Aino. Du darst nur einen Gefährten akzeptieren, er muss Dich wollen.


    Thema sage mir wie es geht, da gibt es nichts zu sagen. Vermutlich weil jeder an anderen Dingen Spaß hat als Du, jeder hat ein anderes Empfinden. Ich kann Dir gerne Dinge zum Schutz beibringen.


    Aber was Dir gefällt und Dir richtig Spaß macht, musst Du selbst herausfinden. Keiner zwingt Dich bei einem Spiel bis zum Ende mitzuspielen, dass Dir zu blöde wird. Du kannst jederzeit Deine Klamotten packen und gehen. Da hast DU Aino, weniger Schwierigkeiten als so manch andere Frau. Denk mal darüber nach meine Kleine“, erläuterte Gasmi liebenswürdig.


    Aino schaute den Düsterling kurz an und drückte ihn dann fest.
    „Na siehst Du, Deine Panik ist unbegründet. Du bist eine hübsche Frau, wer Dich bekommt, kann sich glücklich schätzen“, raunte er ihr zu.


    „Danke, Du…ich… ach einfach Dankeschön für alles, Du weißt schon…“, sagte sie aufgeheitert und drückte ihn noch fester.


    „Du ich brauch die Rippen noch“, lachte Gasmi.
    „Verzeihung“, lachte Aino und ließ etwas los.


    # # #


    "Lass uns zum Nachtmarkt in Tazlogg gehen", schlug Varmikan vor.
    "Wohin willst Du?", hakte Dave nach, 'zum Nacktmarkt?'
    'Nacht... Dunkel Baby', übermittelte der Alb grinsend.
    "Ah... jetzt ja. Erzähl", bat Dave lachend.


    "Da gibt es nicht so viel zu erzählen. Ein Nachtmarkt ist ein Wochenmarkt der Abends oder Nachts seinen Betrieb aufnimmt. Ein Nachtmarkt kann mitten in der Stadt liegen, oder in den Randbezirken. Die normalen Märkte verkaufen meist Essen und Kleidung. Die in den Randbezirken verkaufen wirklich interessantes Zeug.


    Drogen jeder Art, Essen jeder Art, es gibt nichts was es nicht gibt. Entstanden sind sie wohl in den Rotlichtvierteln bei den Huren, die brauchen ja auch was zu Essen. Und so weitete sich das Angebot immer weiter aus.


    Ich wollte meinen Vorrat an Naschzeug aufstocken und schauen was sie sonst noch bieten. Komm mit Dave", sagte der Alb.


    "Klar, ich bin dabei. Ist doch eh keiner hier. Ich lass Fedor noch einmal raus, dann kann er nachher die Bude bewachen. Naschzeug? An was hast Du gedacht? Womit wollen wir uns die Freizeit versüßen?", fragte Dave neugierig.


    "Gucken was da ist. Und danach Spaß haben", freute sich Varmikan.
    "Klingt nach einem guten Plan", stimmte Dave zu.


    "Darfst Dir da was aussuchen Sternchen", bot Varmi an.
    "Danke", grinste Dave.


    **


    Der Frostalb und der Naridier hatten es sich nach ihrer Rückkehr unten im zweiten Keller in Varmikans Quartier gemütlich gemacht. Varmikan saß völlig nackt auf dem Bett. Ohne Robe sah man, wie schmächtig der Alb war.


    Der Frostalb hatte einen kleinen Tisch vor sich stehen, wo er jede Menge Pulver in einzelne Portionen unterteilte und in kleine Tüten abfüllte. Varmikan hatte die Augen halb geschlossen und im Mundwinkel eine Rauchstange. Der Alb bewegte sich im Schneckentempo.


    Neben ihm auf dem Bett lag Dave lang ausgestreckt, den Kopf auf den Oberschenkel des Alben abgelegt. Die Haare hatte er offen und sie flossen seinen Rücken hinab. In der Position wirkte der nackte Naridier wie ein exotisches Haustier des Alben. Dave war genauso breit und zugedröhnt wie Varmikan.


    Ab und an streichelte Varmikan Dave durch die Haare, wenn er eines der Päckchen fertig gepackt hatte. Oder er drückte dem Almanen die Rauchstange in den Mund, um ihn einen Zug nehmen zu lassen.


    "Wie lange brauchst Du noch?", fragte Dave leise.
    "Dauert noch", schmunzelte der Alb.
    "Beeil Dich", murmelte Dave.


    Varmikan streichelte den Naridier. Der Alb lutschte einen Finger nass, tunkte ihn in das Pulver und schob Dave den Finger in den Mund.


    "Entspann Dich Sternchen. Danach entspann mich", flüsterte Varmikan.
    Er packte Dave an der Kehle und zog ihn zu seinem Schritt.


    "Kümmere Dich drum, dann ist Dir nicht langweilig", flüsterte Varmi und widmete sich wieder seiner Arbeit.


    # # #

  • Der Goblin-Kompass


    Kap03


    Frühzeitig waren sie aufgebrochen und hatten ein gutes Stück zurückgelegt. Das Wetter spielte mit, die Wanderung ging leicht von statten und alle waren wieder bester Laune. So liefen sie Stunde um Stunde bis sie wieder eine Rast einlegten.


    Jeelen hatte einen guten Platz zum rasten gewählt, der relativ sicher und einfach zu bewachen war. Die anderen waren mehr als zufrieden mit seiner Führung. Sie genossen sie.


    So offen wie das Gebiet am kleinen Bach war, würde ihnen schnell auffallen wenn sich etwas oder jemand nähern wollte. Müde setzten sich alle für eine Pause hin. Da Lydia aufgrund ihrer Größe und Statur sonst von fast allem entlastet wurde, hielt es Gasmi für angebracht, sie sich um die Wasservorräte kümmern zu lassen.


    „Lydia sammele die Feldflaschen der Kollegen ein und füll sie mit Frischwasser auf“, wies er die Zwergin freundlich an.
    „Gute Idee“, pflichtete Urako bei.


    „Ich hoffe in der Nacht wird es erträglicher werden von den Temperaturen. Kaum ist es Tag, fängt man gleich wieder an zu schwitzen wie ein Vieh“, warf Anwolf ein und Pavo nickte zustimmend.


    „Eine grauenvolle Hitze“, stimmte der alte Goblin zu.
    „Ja ein Glück dass Du hierher wolltest“, murrte Seddik.



    ****


    Gasmi grabschte sich die Feldflaschen und gab sie Lydia. Die Zwergin schulterte die Flaschen und machte sich auf dem Weg zum Teich. Sie war ein ganzes Stück gelaufen, ehe Jeelen zu ihr aufschloss.


    „Hallo Süße“, grinste der Goblin und nahm ihr die Flaschen ab.
    „Hallo Grüner“, grinste sie zurück.


    Beide marschierten schweigend weiter, aufs Geradewohl Arm in Arm, einfach weil sie stumm die Nähe des anderen genossen. Irgendwann waren sie an einem kleinen See angekommen.


    „Sieht wunderschön aus nicht wahr?“, fragte Lydia.
    „Ja sieht es“, bestätigte Jeelen.


    Er spülte die Flaschen aus und füllte sie nach. Als die Aufgabe erledigt war, musterte er Lydia und grinste sie auffordernd an.


    „Na was denkst Du?“, grinste sie zurück.
    „Du und ich – planschen?“, kicherte Jeel.
    „Die anderen…“, wollte sie einwenden.
    „… sind weit genug weg Schatz“, schnurrte Jeelen, umarmte Lydia und küsste sie leidenschaftlich.


    „Na komm“, sagte Jeelen aufmunternd, packte sie am Oberarm und zerrte sie mit sich ins Wasser. Lydia klammerte sich an Jeelens Arm fest.
    „Jeel, nicht so tief rein latschen, ich kann nicht schwimmen!“, rief sie ihm zu.
    Als ihm selber das Wasser bis zur Brust reichte blieb Jeel stehen und drückte Lydia fest an sich. Lydia schmiegte sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Hals. So standen sie im Wasser, lautlos, Stirn an Stirn gelehnt und streichelten sie sich ausgiebig ohne auf die Zeit oder ihre Aufgabe zu achten.


    Die Hitze war drückend und so hatten sie erst gar nicht vor direkt wieder zurück zu den anderen zu gehen und ihren Badespaß aufzugeben. Sie rauften spielerisch im flachen Wasser, einem Ringkampf gleich. Tauchten sich gegenseitig unter und kicherten wie Backfische rum. Irgendwann war ihnen selbst das zu anstrengend. Sie blieben einfach im flachen Gewässer eine Zeit lang Arm in Arm liegen.


    „Wir sollten wieder zurück Jeelen“, sagte Lydia nach einer Weile und streckte sich ausgiebig.
    „Ich glaub da hast Du Recht“, stimmte der Goblin zu.


    Er half der Zwergin auf, grabschte sich die Feldflaschen und machte sich auf dem Rückweg. Lydia hielt sich ganz nah an seiner Seite, da es bereits dunkel geworden war.


    „Wo lang?“, fragte sie verunsichert. Sie konnte zwar sehen, aber nicht er den Weg finden.
    „Ich hab vorhin nicht auf den Weg geachtet. Du?“, fragte Jeelen ehrlich nach und schaute auf Lydia an.


    „Spinnst Du? Nein hätte ich sonst gefragt?“, antwortete die Zwergin.
    „Nein, auch wahr. Scheiße. Hier halt mal die Flaschen“, sagte der Goblin.


    Sie standen an einem Hang.
    „Na komm rauf da, müsste klappen“, schlug Jeelen vor und machte sich gleich an den Aufstieg. Bei jedem Schritt rutschten sie allerdings etwas herab. Lydia schaute verunsichert nach unten und lehnte sich dabei zu weit über die Schulter.


    Sie schlug einen halben Purzelbaum, mit lautem Gequietschte rutschte sie herunter und drehte sich dabei wie ein Kreisel. Sie prallte auf einen Schlammhügel und schlitterte von dort aus in eine Wasserrinne, wo die Zwergin drin stecken blieb.


    Jeelen hielt sich lachend den Bauch über die Showeinlage von Lydia und schwang sich dann selber über den Abhang. Er schlitterte zu ihr herunter und befreite sie aus dem Dreck.


    „Baby, Du machst Sachen“, sagte er immer noch prustend.
    Lydia musterte ihn streng, musste dann aber selber losprusten.


    „Da lang können wir nicht mehr zurück Grüner“, sagte sie nach einer Weile als sie sich beruhigt hatten.
    „Hast Recht“, stimmte er ihr dann ernst zu.


    Jeelen kletterte auf einem Baum um vielleicht von dort oben seine Leute wiederzufinden, aber Fehlanzeige. Er kletterte hinunter und gemeinsam mit Lydia machte er sich auf den Weg, in der Hoffnung die anderen zu finden.


    Durch seine Unaufmerksamkeit hatten sie die Gruppe verloren. Sie liefen einfach auf gut Glück los. Nach einer Weile waren sie in einer Art Marschland angekommen und hatten gut zu tun. Felsen, Wurzeln und andere Unebenheiten machten den Marsch zu einer Kletterpartie.


    Sie kletterten noch eine ganze Weile weiter, bis sich schließlich auch Mangrovenbäume im Morgengrauen lichteten und den Blick auf ein weites Meer freigaben. Hier bestand der Boden aus Sand durchgesetzt mit losem Gestein. Lydia hielt erstaunt inne und genoss einfach nur den Anblick des weiten Meeres.


    Jeelen sprang von den Luftwurzeln herunter in den Sand und half Lydia beim Herabklettern. Der Strand war etwas überspült so dass sie sich einen trockenen Felsen als Rastplatz suchten. Der Goblin machte es sich gemütlich auf dem warmen Felsen, rollte sich zusammen und döste vor sich hin. Lydia hingegen beobachtete gespannt die Wellen und die kleinen Tiere überall um sie herum.


    Nach einiger Zeit kletterte sie hinunter und sammelte einige Muscheln die sie im seichten Wasser fand. Jeelen beobachtete sie wachsam mit schärferem Blick als jeder Kettenhund und verfolgte jeden ihrer Schritte aufmerksam.


    „Eh! Wandere nicht zu weit raus. Das sieht nach Gezeitenzone aus, dass heißt bald steigt das Wasser und zwar so hoch bis zu den Kronen der Bäume. Also bleib hier in der Nähe des Felsens. Ich will nicht dass Dir was passiert in Ordnung?“, rief Jeelen ihr besorgt zu.
    „Mir passiert schon nichts Grüner, ich bleib ganz in Deiner Nähe“, rief sie gut gelaunt zurück und winkte.
    „Deine Nähe ist mir aber zu weit weg. Also beweg Dich wieder hierher. Die Muscheln sind hier genauso weiß wie dahinten. Sonst hol ich Dich“, rief er grinsend.


    „Pah. Geh los und suche leckere Krebse, ich hab Hunger“, rief Lydia.
    „Krebse? Warum nicht, heißt wenn ich welche finde. Fische wären auch nicht schlecht“, sagte Jeelen gut gelaunt.


    Er kletterte vom Felsen und ging in Richtung tieferes Gewässer. So wie er es sonst auch tat, so fischte er auch hier – er zückte eine Granate zündete sie an und warf sie ins Wasser.


    Kurz nach Detonation schwammen zig Fische mit dem Bauch nach oben.
    Lydia schaute kurz grinsend zu ihm rüber und drohte gespielt mit dem Zeigefinger.


    Er sammelte die Fische ein, spießte ihr Ende aufs Messer und zog seine Beute durchs Wasser zurück zum Felsen und kletterte wieder hinauf um auf Lydia zu warten. Sie hatte ihn beobachtet und folgte im kurzen Abstand. Sie gesellte sich zu Jeelen.


    „Guter Mann, hast Futter gefangen“, lobte sie und drückte sich neben ihn.
    Beide saßen aneinander gelehnt gut gelaunt auf dem Felsen und verspeisten den rohen Fisch.


    So einen schönen Morgen hatte Jeelen lange nicht mehr erlebt, trotz des Ärgers die Truppe verloren zu haben, fand er.
    Als sie fertig gegessen hatten nötigte Lydia Jeelen sich ihre gesammelten Muscheln anzugucken.


    Lydia verpackte ihre Schätze wieder in ihrer Umhängetasche. Sie streckte sich genüsslich mit gefülltem Bauch lang auf dem Felsen aus.


    „Gute Idee“, sagte Jeelen krabbelte zu Lydia rüber und schubste sie leicht an, in der Hoffnung sie würde ihm ein bisschen Platz machen und wäre bereit ihm ihre Gunst schenken.


    Lydia, zeigte ihm die kalte Schulter und ließ ihn abblitzen. Sie rührte sich keinen Millimeter und beobachtete ihn eine Weile aus halbgeschlossenen Augen. Sie schmunzelte innerlich über seinen Versuch auch noch genug Platz zu finden um sich ganz ausstrecken zu können. Sagen würde er nichts. Als er endlich eine gemütliche Position gefunden hatte legte er sich vorsichtig an sie gelehnt nieder. Er schlang seinen Arm um sie und nickte ein.


    Durch die Wärme der Sonne und die üppige Mahlzeit verschliefen beide einen Großteil des Tages oben auf dem schroffen Felsen.


    Lydia wachte als erste auf. Die Tageshitze war der abendlichen Kühle gewichen und ein leichter Wind fegte über sie und den Felsen hinweg. Er ließ sie frösteln. Sie kuschelte sich noch enger an Jeelen um sich an ihm zu wärmen und ihm zeitgleich auch Wärme zu spenden. Es war Zeit sich auf den Weg zu machen. Sie waren schon zu lange von ihrer Gruppe getrennt. Lydia rüttelte Jeelen wach. Der Goblin musterte sie eine Weile verschlafen.


    „Kalt hm?“, schnurrte Jeelen liebevoll, ehe er ihr sanft über den Körper strich.
    „Ja Schatz, ziemlich kalt sogar“, gestand sie bibbernd, umarmte ihn fest und wollte sich gegen ihn drücken.


    Der Goblin entwand sich ihr mit einer Halbdrehung und verpasste ihr verspielt einen Stoß mit dem Kopf in die Seite. „Raufen – los“, grunzte er.


    „Das hast Du nicht umsonst getan“, knurrte Lydia und verübte kleine spielerische Scheinangriffe auf ihn und musste dafür erneut einen Stieber von ihm einstecken. Sie rollte sich auf die Seite, als er erneut versuchte sie zu knuffen war sie gewappnet und kitzelte ihn durch.


    „Nein… bitte nicht… nicht dass“, japste er unter Lachanfällen und machte ergebene Bewegungen um sie zu besänftigen. Die Zwergin schaute ihn einen Moment herausfordernd an, dann antwortete sie mit der gleichen Geste und ließ von ihm ab.


    „Gnade?“, gurrte Jeelen fragend.
    „Gnade“, stimmte sie freundlich zu.
    „Komm her“, sagte er liebevoll und zog sie in seine Arme.


    Geraume Zeit später schaute Lydia in die Ferne. Dort sah sie eine Gruppe die sie beobachtete.


    „Wer sind die?“, fragte die Zwergin und Jeelen folgte ihrem Blick.
    „Weiß nicht“, antwortete der Goblin.


    Lydia beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Am Ton war nicht zu erkennen was er dachte. Das war selten bei ihm der Fall. Aber seine Ohrenspitzen zuckten. Ihm gefiel nicht was er sah, schloss sie daraus.


    „Lass uns gehen“, sagte er knapp. Jeelen schaute am Felsen herunter. Das Wasser war sehr hoch gestiegen, sie würden schwimmen müssen.


    Er stieg vorsichtig ins Wasser und half Lydia ebenfalls hinein. Er packte die Zwergin im Wasser und schwamm mit ihr zum Ufer und den Mangrovenbäumen mit ihren Riesenwurzeln zurück. Dort angekommen kletterten sie ins Wurzelwerk um sich auf den Weg zu machen.


    Lydia trottete ausgelaugt hinter Jeelen her und schaute dabei auf die Wurzeln um nicht zu stolpern. Der Wind pfiff immer noch und sie war klatschnass.


    Ständige Erschütterungen der Wurzeln verunsicherten sie, bis ihr einfiel dass Jeelen vermutlich einen seiner dummen Scherze machte und auf den Wurzeln umhersprang oder wippte.


    Wütend schaute sie auf und wollte den Goblin gerade zusammenstauchen, als sie sah dass er sich seitlich gestellt und seinen Dolch kampfbereit gezückt hatte. Angestrengt starrte er in die Ferne.


    „Grüner was…“ fragte Lydia.
    Aber Jeel unterbrach sie sofort mit einem gezischten „Schhhh“.


    Nervös starrte er weiter in die Ferne. Lydia tat es ihm gleich. Jetzt konnten beide die Gruppe Männer sehen. Piraten die sich hier ihr Versteck geschaffen hatten, der Kleidung nach zu urteilen.


    Jeelen kauerte sich kurz hin und ein Zittern ging durch seine Muskeln so sehr spannte er sich an. Lydia wusste was das bedeutete.


    „Jeel, das sind nur doch nur Piraten. Tu das bitte nicht. Lass sie uns umgehen“, flüsterte sie ihm zu. Sie wollte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter legen, hielt aber inne.
    „Jeelen?“ fragte sie nochmal nach.


    „Überleg mal was Du da sagst! Mindestens zwanzig Kerle hab ich gezählt – aber keine einzige Frau!!! Klingelts?“, fauchte der Goblin stinksauer.


    Verzweifelt ließ Lydia den Kopf hängen. Entsetzt schaute sie zu wie er die Luftwurzeln der Strecke nach hinunter raste, genau auf die ersten Typen zu.


    Diese blieben erst wie angewurzelt stehen, und wichen dann so schnell es ihnen möglich war zurück. Es war nicht schnell genug.


    Als Jeelen nah genug heran gesprintet war, sprang er mit einem gewaltigen Satz in die Gruppe der Piraten. Die Wurzeln erzitterten als er aufsetze, er trennte dem ersten Piraten mit nur einem brutalen Dolchhieb die Rübe ab. Schon war der erste Kopf in den Sumpf geflogen.


    Ein anderer Typ war total in Panik geraten und versuchte hinter Jeelens Klinge zurück zu seiner Gruppe zu kommen. Lydia sah ein kurzes Zucken von Jeelens Klinge und der junge Kerl flog der Länge nach seine Gedärme verteilend im hohen Bogen in den Morast.


    Ein Schuss und der Goblin zuckte knurrend zusammen. Er hatte einen Streifschuss an der Hüfte kassiert. Jeelen duckte sich tief und zog eines seiner Messer und warf es. Sein Feind parierte die Waffe mit seinem Armschild so dass diese abgelenkt wurde. Der Leader war gut, musste Jeelen eingestehen. Langsam kamen immer mehr der Burschen in ihre Nähe.


    „DER ZWERG IST EINE FRAU! Ich wusste es doch! Die Frau! Ich will die Frau! Der kommt hier nicht weg. Die Schlammzone überwindet der grüne Drecksack nicht“, brüllte der Anführer.


    Jeelen starrte Lydia an und dann die Gruppe. Er rannte zurück, grabschte seine Partnerin um die Hüfte, rannte ein kurzes Stück die Wurzeln entlang und legte dann alle Kraft die er hatte in einen gewaltigen Sprung und überwand so die Schlammzone.


    Keuchend und außer Atem kam er auf und musste einen Moment hocken bleiben, während Lydia ihm dankbar den Nacken küsste.


    „WAS??... das gibt’s doch nicht!“, hörte man den Anführer brüllen.
    „Ihnen nach! Der Erste der sie mir bringt bekommt sie als erstes nach mir!“, kreischte dieser kaum eine Sekunde später und man hörte wie sich die Gruppe brüllend und johlend in Bewegung setzte und durch den Schlamm platschend kämpfte.


    „Heilige Scheiße“, schluckte Lydia und starrte ängstlich auf Jeelen.
    Dieser war binnen einer Sekunde auf den Beinen, grabschte Lydia erneut und rannte wie besessen los.


    Der Weg, das Finden der eigenen Gruppe - alles bedeutungslos geworden.


    Einzige Ziel so viel Abstand wie nur möglich zwischen sich und die Piraten zu bringen. Vielleicht diese sogar abschütteln zu können.


    Jeelen rannte, sprang, kletterte, täuschte und tarnte was er konnte, bis es ihm und Lydia endlich in der Dämmerung gelungen war die Gruppe abzuschütteln. Er wagte nicht sofort eine Rast einzulegen, so marschierte er mit ihr auch in der Dunkelheit ein Stück weiter. Als sie rasteten schlief sie unruhig auf seinem Schoß ein, während er die Nacht über mit der Waffe im Anschlag Wache hielt.


    Die Morgendämmerung trug weit entfernten Lärm zu ihm. Lydia starrte ihn ängstlich an und drückte sich an ihn. Er schaute auf sie herab und strich ihr beruhigend über das Haar.


    „Bereit zu töten?“, fragte er liebevoll und zückte seinen Dolch.
    „Was? Wir die alle? Es sind zu viele Jeel…“, erklärte Lydia.


    „Genau darum geht’s… Hör mir jetzt genau zu. Ich bring Dich hier lebend und wohlbehalten raus. Egal was es mich kostet… ich schwöre es Dir Lydia. Ich hab Dich in die Scheiße geritten, ich hole Dich wieder raus. Das war meine Schuld, dass wollte ich nicht", flüsterte Jeelen.
    "Fang nicht so an Zilis. Wir beide sind schuld an dem Mist. Also wie gehen wir vor?", flüsterte Lydia zurück.


    „Ein Leben für ein Leben“, schwor Jeelen ihr.
    Ein Leben für ein Leben Jeel“, schwor Lydia ebenso.


    „Dann hör zu. Ich weiß Du machst den Job länger als ich, aber vertraue mir, in Ordnung? Planung ist das halbe Leben. Improvisieren die andere Hälfte. Wenn ich eins im Leben gelernt habe, dann dass – Du kannst nicht ewig weglaufen. Dein Feind findet Dich immer, egal wie gut Du Dich versteckst. Die Frage ist nur wann.


    Wenn Du verfolgt wirst, kannst Du nicht bis zur Erschöpfung weglaufen. Ich hab es versucht und Du hast mit Pavo meine Fresse genäht.


    Folgende Vorgehensweise bei so einem Fall. Du fliehst zwar, aber Du fliehst nur so weit, bis Du eine Gelegenheit hast den Feind zu töten oder seine Überzahl zu dezimieren. Du suchst eine passende Stelle für einen Hinterhalt. Bei einem Einzelfeind ist das einfach, wir bauen Fallen oder setzen auf einen Überraschungsangriff. Bei einer Gruppe wartest Du, bis der ganze Tross vorbeigezogen ist.

    Geholt wird immer der Letzte in der Marschkolone, damit Du in ihrem Rücken bist. Wenn möglich Lydia immer dem Feind in den Rücken fallen, es geht nicht um Ehre oder Anstand - vergiss mal diesen Mist, es geht um Dein nacktes Überleben. So kannst Du immer noch in die entgegengesetzte Richtung fliehen. Soweit verständlich?“, erläuterte Jeelen.


    „Ja alles verstanden. Aber Du bleibst doch an meiner Seite oder?“, hakte sie verunsichert nach.
    „Natürlich bleib ich dass, ich geb mein Bestes. Aber zur Not musst Du ohne mich überleben Schatz“, erklärte er fürsorglich.


    „Ich schwor das gleiche, ich lass Dich nicht zurück Jeel. Das fangen wir erst gar nicht an. Du hast mich schon oft rausgehauen und ich Dich genauso. Wir sind Partner, dass kommt von Paar“, beharrte Lydia, was Jeelen mit einem zärtlichen Knuff vor ihr Kinn beantwortete.


    „Wenn wir zu nah an den Feinden sind sprechen wir Lautsprache also wir grunzen zur Verständigung. Fingerzeichen könnten uns ebenfalls verraten. Ganze Anweisungen dauern einfach zu lang. Dass wird in der Natur von den anderen nicht als Gespräch oder humanoide Verständigung wahrgenommen. Die hören auf ein Gespräch, ob wir plappern“, erklärte Jeelen.


    „Ja stimmt, sie horchen ob wir reden. Wie funktioniert Lautsprache? Wie mache ich dass“, fragte Lydia.
    „Zuhören – phonetisch gesprochen klingt die universale Lautsprache vom Menschen so…
    Eh eh – heißt nein, eh hä – heißt ja, hmm… kurz betont – heißt ich weiß nicht. Das ist menschliche Lautsprache. Die nutzen wir, so hat es mir damals Jozo beigebracht und es hat immer funktioniert.


    Goblinlautsprache - Hhrrr lang gegrunzt, fast Knurrlaut – heißt vor dem Angriff, hier bin ich, wo bist Du? Doppelt und kurz zurück gegrunzt als Bestätigung wo Du bist. Rest bei Sichtkontakt Körpersprache, nicken, Kopfschütteln und so weiter. Mit ihm hab ich mich früher über Ohrzeichen verständigt, dass geht mit Dir leider nicht. Aber Du kannst meine Zeichen lesen, wenn ich Dir was sagen muss. Ohren normal gestellt, aber die Ohrspitzen Richtung Kopf gezogen – heißt denkt nach. Ohren angelegt, Angriffsbereit sein, ein Ohr erhoben – hör Dich um, mit den Ohren schlackern heißt – Erstaunen oder lautloses Lachen. Gibt noch viele mehr, aber das sind die wichtigsten“, erklärte Jeelen.


    „Ah ich verstehe was Du meinst, was man so selber unbewusst nebenbei mit Töne mitteilt und antwortet“, grinste Lydia.
    „Ganz genau“, bestätigte der Goblin, rückte ganz nah heran die Zwergin und umarmte sie.
    „Mhm“, schnurrte Jeelen ihr ins Ohr.


    Lydia kicherte auf und streichelte ihn.
    „Was heißt das?“, fragte sie gespielt unschuldig.
    „Ich find Dich lecker“, lachte Jeelen leise und heiser, ehe er wieder ernst wurde.


    Es wurde Zeit die Karten neu zu mischen und ihre Chancen zu erhöhen. Jeelen starrte Lydia kurz in die Augen, sie erwiderte entschlossen und grimmig seinen Blick. Jeelen biss sich auf die Zunge, tunkte seine Finger ins Blut und zog sie Lydia durchs Gesicht.


    „Blutstreifen. In Deinem Namen keine Geiseln, keine Gefangenen, nur Tote. Geschworen“, schnurrte er.


    Lydia musterte ihn kurz, dann folgte sie seinem Beispiel. Sie biss sich ebenfalls auf die Zunge und verpasste ihm mit ihren Fingern Blutstreifen.


    "Für Dich Grüner. Um Dein Leben zu schützen werde ich jeden töten. Geschworen", flüsterte sie.


    Beide Male hinterließen sie blutrote Streifen, dann erklärte Jeelen Lydia den Plan…


    ****


    Aino schaute sich suchend um. Lydia und Jeelen waren schon viel zu lange fort. So lange brauchte niemand um Wasser zu holen.


    „Da stimmt was nicht. Wir müssen die Beiden suchen. Und wenn die es sich irgendwo nur gemütlich gemacht haben und die Zeit verschwitzt haben, bekommt er einen Abriss der sich gewaschen hat! Er ist unser Führer, was denkt Jeel sich dabei?


    Wobei, ehrlich gesagt wäre ich schon froh, wenn den beiden nichts passiert ist. Das Jeelen so einfach wegbleibt ist nicht normal. Du kennst ihn. Er hat zwar immer eine große Fresse, aber so verantwortungslos war er nie. Vor allem niemals Lydia gegenüber“, wandte sich Aino besorgt an Pavo.


    „Ich verstehe was Du meinst. Am liebsten würdest Du den Kerl mit Anlauf in den Arsch treten, aber wenn Du ihn wohlbehalten zurückbekommst, ist das vergessen. Wer kennt sowas nicht?


    Die erste Wut wenn man sich sorgt. Vermutlich hat ihn der Hafer gestochen, wie man so sagt. Gasmi und Seddik werden die zwei schon aufspüren hab keine Sorge“, sagte Pavo zuversichtlich und ging sofort zu den beiden rüber.


    „Gas und Sed kommt mal bitte“, bat Aino freundlich. Lydia und Jeelen waren vom Wasserholen bis jetzt nicht zurückgekommen und Aino sorgte sich. Die beiden teilten die Sorge.


    „Wir werden die beiden schon aufspüren, keine Sorge. Lasst uns aber als Gruppe gemeinsam suchen. Nicht dass wir uns gegenseitig ebenfalls verlieren. Das ist zu gefährlich“, warf Seddik ein.


    Die Gruppe brach auf und ein gehöriger Fußmarsch wartete auf sie. Seddik und Gasmi hatten die Führung übernommen und folgten den Spuren von Jeelen und Lydia. Bis jetzt noch eine einfache Sache, da die beiden scheinbar auf alles geachtet hatten, nur nicht auf den Weg.


    „Die zwei waren ganz schön sorglos, schau Dir nur die Spuren an Gas“, sagte Seddik und deutete auf die Fußspuren die ihre beiden Kollegen hinterlassen hatten. Anhand dessen dass die Spuren kreuz und quer verliefen, konnte sie ablesen, dass sich die zwei geneckt hatten, und dann herumgeschlendert waren.


    „Dienstbeflissen sieht wirklich anders aus“, grinste Gasmi den Ork an, „wir ziehen ihnen die Ohren lang, sobald wir sie gefunden haben“.


    „Aber sowas von lang. Die zwei Trottel haben unsere Feldflaschen!“, warf Aino ein und Pavo nickte verstehend. Dass kam noch hinzu. Wasser galt es nun anders zu verwahren.


    „Herhören! Wir haben wie Ihr schon mitbekommen habt Lydia und Jeelen verloren, genau… darum ist es so angenehm leise“, lachte Aino.


    „Aber Spaß jetzt beiseite, die beiden haben auch unsere Feldflaschen – Wasser holen war der Auftrag. Wer also andere Flaschen dabei hat, Wasserflasche und und und… bitte bei nächster Gelegenheit mit Wasser füllen und Bescheid sagen. Die Sachen müssen zur Not für uns alle reichen“, sagte Aino in die Runde.


    „Ich hab noch einen Wasserschlauch und eine Weinflasche“, sagte Seddik und zeigte sie hoch.
    „Ich hab einen Henkelmann für Essen, darin könnten wir auch Wasser verwahren“, sagte Gasmi.
    „Ich hab meine Feldflasche nicht abgegeben, die war noch voll“, sagten Anwolf.


    „Gut das reicht vermutlich fürs Erste. Wir werden an jeder Möglichkeit trinken. Denkt in Eurem eigenen Interesse daran“, sagte Aino freundlich und die Gruppe nickte beipflichtend.


    Nach einer Weile hatten sie den Tümpel gefunden, in dem sich Lydia und Jeelen entspannt hatten. Wer wo im Schlamm gefaulenzt hatte, war deutlich an den Abdrücken zu sehen.


    „Wenn Du Dir die Abdrücke anguckst, lag da Lydia das Walross neben Jeelen der dürren Robbe“, lachte Gasmi und die Gruppe musste mit losprusten.


    „Das kannst Du wohl sagen. Walross ist noch nett, See-Elefant trifft es da ehr. Guck Dir den Unterschied mal an. Wobei die sich wohl eingesaut haben wie Sau“, grinste Urako, als er die Spuren ebenfalls untersuchte.


    „Du kannst drauf wetten, den mach ich auch nochmal richtig zur Sau. Ich sorge mich hier und Jeelen hat nichts anderes im Schädel als sich im nächsten Tümpel eine Fangopackung zu gönnen“, sagte Aino etwas zerknirscht.


    „Glaub mir, ärgern wollte er Dich sicher nicht. Soweit dachte er nicht und würde er nicht. Er kann Dich ziemlich gut leiden“, sagte Gasmi.
    „Das weiß ich doch und halte ich ihm auch nicht vor. Nur dass hätte echt nicht sein müssen. Na komm, je eher wir weitersuchen, je eher sind die zwei Banausen zurück“, sagte Aino freundlich und knuffte Gasmi.


    „Genau so sehe ich das auch. Kommt Leute“, sagte Seddik und übernahm wieder die Führung. Der Ork führte vor und zurück, nie den direkten Weg den man selber einschlagen würde, da er genau den Weg nahm, den die beiden Verlorenen ebenfalls gelaufen waren.


    Sie standen an einem Hang.


    „Hier sind die beiden rauf – wie es dann weitergeht, kann ich noch nicht sagen“, erklärte Seddik.


    „Na dann auf geht’s, hoch da!“, knurrte Wolfi wütend und machte sich daran den Hang zu erklimmen. Bei jedem Schritt rutschten er genauso ab wie zuvor Jeelen und Lydia.


    „Das gibt’s doch nicht. Wie ist der Goblin denn da hoch gekommen?“, fragte Anwolf verärgert und schaute über die Schulter.


    Er schlug einen Salto, rutschte herunter und drehte sich dabei wirbelnd um die eigene Achse. Der Almane prallte auf einen Schlammhügel und schlitterte von dort aus in eine Wasserrinne. Vor ihm hatte genau in der gleichen Rinne Lydia festgesteckt.


    Seddik, Gasmi und Pavo sprangen ihm hinterher.


    „Anwolf! Du hast die Spur von Lydia und Jeelen gefunden", freute sich Seddik.
    „Ich Glückspilz“, stöhnte Wolfi.


    Bei der Feststellung musste die ganze Gruppe lachen. Erneut machten sie sich auf den Weg und folgten der Spur von Jeelen und Lydia.


    „Meine Güte, sag mal was für ein Tempo legt Jeelen eigentlich vor?“, stöhnte Pavo.
    „Du siehst doch die Spuren. Hier hat es einen Kampf gegeben“, erklärte Seddik an der nächsten Passage und untersuchte die sterblichen Überreste eines in der Gegend verteilten Piraten.


    Seddik und Gasmi hatten eine ganze Zeit zu suchen, ehe sie die Anschluss-Spuren hinter der Schlammzone gefunden hatten. Und weiter ging die Verfolgungsjagd. Sie wollten auf keinen Fall die Spuren der beiden verlieren und liefen ebenfalls im Laufschritt. Seddik und Gasmi hatten die Nasen immer gen Boden gerichtet, die Führung gebend. Der Rest der Gruppe folgte und gab den beiden Deckung. Plötzlich und unerwartet standen sie in einer weitläufigen Gruppe der Piraten.

    „Wir brauchen einen von den Bastarden lebend, zwecks Verhörs. Wer immer die sind, es könnten noch mehr von denen irgendwo lauern. Aus irgendeinem Grund haben die sich hier eingenistet“, sagte Aino leise.


    „Genistet?“, fragte Gasmi, zappelte etwas hin und her und versuchte auf ein weiter entferntes Ziel einen Blick zu erhaschen.


    Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und knotete seine Habseligkeiten an Urakos Gürtel fest.


    „Schön drauf aufpassen Puschel. Dahinten läuft unser Informant“, sagte Gas und sprintete geduckt davon.


    „Hinterher!“, befahl Aino Seddik.
    „Schon dabei!“, gab dieser zurück und sprintete hinter dem Düsterling her.


    Überall zwischen den Bäumen waren einige Männer verborgen. Weit gefächert schienen sie die Gegend abzusuchen.


    `Verdammt´, knurrte Seddik innerlich auf, wobei er sich alle Mühe für den Feind unerkannt zu bleiben.


    Gasmi legte ein gewaltiges Tempo vor, aber wenn ihn einer einholen konnte dann Seddik. Gas blieb plötzlich stehen und nahm Kampfhaltung ein. Er war geradewegs einem anderen Feind bei seiner Verfolgungsjagd in die Arme gelaufen. Der Feind schleuderte direkt seinen Sperr in Richtung des Düsterlings.


    Gas ging einfach blitzartig in die Knie so dass der Sperr harmlos über ihn hinweg flog. Schneller als der Feind gucken konnte, riss Gasmi seine Armbrust heraus und feuerte. Der Kerl hatte nicht mal Zeit sich in das schützende Grün zu werfen. Der erste Schuss durchschlug seine Brust, der zweite traf ihn in den Hals.
    Gasmi bewunderte kurz sein Werk, als Seddik zu ihm aufschloss. Gas trat ganz nah an sein Opfer heran und bohrte mit seinen Fingern in dessen Augen rum und kicherte.


    „Lass den Mist!“, schnauzte Seddik und verpasste dem Düsterling eine Kopfnuss.
    „Nimm Deine Waffe und komm!“, befahl Sed leise.


    Gasmi gehorchte und schloss sich Seddik an. Gemeinsam trabten sie zurück zur Gruppe. Dort angekommen ging Seddik direkt zu Aino und erstattete Bericht darüber was er gesehen hatte. Es waren mehr von den Männern hier als er gedacht hatte.


    Aino und Pavo standen etwas abseits. Genau wie Gasmi und Seddik wurden sie von keiner weiteren Person im Moment angegriffen. Anwolf hatte sich schutzsuchend neben Urako gestellt. Wer gesehen hatte, mit welcher Leichtigkeit die Duos sich ihrer Gegner entledigt hatten, war klug genug einen sicheren Abstand zu ihnen einzuhalten.


    So schnell wie der Angriff gekommen war, genauso schnell hatten sich die Burschen zurückgezogen und waren verschwunden.


    „Verdammt, kein Informant“, knurrte Gasmi.
    „Das ist im Moment unwichtig, wir haben ihnen eine Lektion erteilt. So schnell fallen uns diese Bastarde nicht wieder an. Glaub es mir. Die überlegen sich jetzt zweimal ob sie uns oder einen aus unserer Gruppe angreifen. Trotzdem hab ich das ungute Gefühl, dass da noch mehr sind wo die anderen herkamen“, warf Aino ein.


    Erneut machte sich die Gruppe auf den Weg.


    ****


    Mit grimmigem Blick spähten zwei Augen aus dem mattgrünen Unterholz der Koniferen, die das Ufer des Flussbettes umgaben. Die Augen verfolgten jede Bewegung der Gruppe, die sich dort unten durch die offenen Wiesen wälzte.


    Der Blick verdunkelte sich zusehends, keine Frau war in der Gruppe zu erkennen. Das verhieß nichts Gutes. Eine Hand wurde durch das Gesicht gezogen, hinterließ blutrote Streifen und gab dem Gesicht einen noch unheimlicheren Ausdruck.


    Keine Gefangenen - Die Waffe wird gezogen um zu töten, versprachen die Blutstreifen, jedem der sie kannte und verstand.


    Leise glitt der grüne Körper durch den Farn, er schritt mit weit ausholenden, langsamen Bewegungen voran. Er blieb alle paar Schritte stehen und drehte den Kopf in alle Richtungen um die Feinde besser im Auge zu behalten. Flink wie ein Raubtier trotz seiner Statur nahm er alles auf was er sah. Er war ein intelligenter Mörder, auch wenn die meisten ihn aufgrund seiner Optik und Größe für schwach hielten.


    Unterschätzt zu werden, war schon immer ein immenser Vorteil gewesen. Aber hier ging es um mehr, um wesentlich mehr – um alles. Um das nackte Überleben an sich. Er beobachtete die Bewegungsabläufe der Typen und betrachtete jeden einzelnen von ihnen als mögliches Opfer.


    `Der Kerl da drüben ist zu aufmerksam. Er hat zwei fast erwachsene Backfische bei sich. Zu dritt zu stark, ein Angriff wäre zu gefährlich. Hm der junge Kerl da? Nein. Schade. Er gehört zur Gruppe der Spinner am Ufer – zu angriffslustig und waghalsig. Unmöglich sie heute zu töten. Anderes Mal hol ich Euch. Mal schauen, irgendwie müssen wir Euch doch ein bisschen dezimieren können, na kommt, einer von Euch muss doch dumm oder nachlässig sein, irgendwer müde…?´ , dachte er so bei sich.


    Langsam drehte er seinen Kopf ein wenig nach links, da er ein kaum wahrnehmbares Rascheln gehört hatte. Er suchte die Baumgrenze nach einem anderen Augenpaar ab. DA!


    Er stieß ein kurzes, kaum hörbares Grunzen aus. Sein dunkler Blick traf einen grünen anderen. Den seiner Partnerin.


    Der kleine Kerl zog sich ein Stück ins Grün zurück. In der Hand hielt er einen grausam aussehenden Dolch. Die Waffe war rasiermesserscharf und hatte schon viele Personen ins Jenseits befördert.


    Die beiden waren nicht nur Kollegen und Kameraden, sie bildeten ein Paar und hier mussten sie sich mehr denn je aufeinander verlassen. Er hatte seit Jahren nur für sich allein gekämpft, gejagt und getötet, doch nun spürte er im Unterbewusstsein ein neues Verantwortungsgefühl. Wieder kreuzten sich ihre Blicke, sie lächelte – er nickte ihr zu.


    `In den nächsten Minuten sind wir völlig aufeinander angewiesen, ich beschütz Dich meine Kleine´, dachte er und obwohl sie ihn nicht hören konnte schien sie sein Nicken zu verstehen.


    Er mochte sie und wie er die Zwergin mochte. Wobei mögen war untertrieben, er liebte sie. Je mehr sie zusammen unternahmen, je mehr Gefahren sie gemeistert hatten, je mehr fühlte er sich zu ihr hingezogen. Sie funktionieren gut als Paar, als Freunde und als mehr.


    Und gerade weil sie hier bei ihm an seiner Seite war, riskierte er nur ungern einen Angriff auf einen unbekannten Typen ohne diesen vorher genauestens taxiert zu haben. Doch heute und hier unten war er optimistisch.


    Er hatte gelernt, dass er mit ihr an der Seite oder als Köder oft extrem im Vorteil war. Wer nahm eine 110 cm Gegnerin von ihrer Statur schon ernst? Sie hielten sie für leichte Beute, verfolgten sie – nur um zu erkennen, dass aus ihnen die Beute geworden war.


    Sein Denkprozess hakte die Möglichkeiten der Jagd ab.

    `Ahhhhhh… na bitte! Der da. Der einzelne kleine Pisser, der den alten Mann ärgert. Er ist unaufmerksam – den werden wir töten ´. Er wählte lautlos sein Opfer und lotete dessen Schwachstellen präzise aus.


    Ein kurzes Zittern der Vorfreude aufs Töten ging durch seine Muskeln.
    `Gleich ist es soweit, bald sind wir nah genug´, gurrte er in Gedanken.


    Er hielt einen letzten Moment inne und richtet sich in dem hohen Farngestrüpp auf. Wieder schaut er seine Gefährtin an. Sie waren zu nah an ihrer Beute um sich zuzunicken, doch ein Blick genügte zur Rückversicherung.


    Während die Gruppe langsam gemütlich weiterzog und den Schlamm im Wasser aufwühlte, blieb der junge Kerl und der müde Alte zurück. `Perfekt´.


    Er prüfte die Umgebung instinktiv ein letztes Mal auf Gefahren. Die Gruppe bereits in einiger Entfernung sah nun, was den beiden anderen entging. Die Blicke der Typen folgten den Lichtreflexen, die sich auf den Körpern von zwei Leuten brachen die lautlos über den getrockneten Schlamm sprinteten.


    Der übermütige Backfisch bemerkte den Fremden erst, nachdem dessen schreckliche Waffe schon tiefe Wunden in seine Haut und Muskeln geschnitten hatte.


    Kreischend versucht er sich zu entwinden, er machte die unangenehme Erfahrung, wie sein eigenes Blut auf die Haut seines Bauches tropfte. Endlich kippte seine Starre und es dominierte nur noch die reine Angst vor diesem Gegner.
    Dem verschreckten Alten gelang vorerst die Flucht. Im Laufschritt eilte er davon und stieß dabei hohe, schrille Schreie aus. Die Gruppe antwortete mit wütendem Gebrüll. Aber sie konnten ihrem Kameraden nicht mehr helfen, denn die kleine Frau zog blitzartig ihre Armbrust und ballerte dem alten Mann eine volle Salve in den Rücken, so dass er mit dem Gesicht voran ins aufgewühlte Wasser stürzte.


    Der Backfisch starrte hilfesuchend zu seinen Leuten, aber keine Hilfe kam. Erneut starrte er den Angreifer an. Ein Kerl… ein Goblin???


    Er sah und roch sein eigenes Blut auf dem Dolch des Angreifers. In dem Moment griff das Pärchen erneut an. Sie schlitzte mit dem Messer zu. Der Arm schoss nach vorn und zerkratze die Haut des Burschen.


    Sobald der Goblin spürte wie die Klinge in die Haut eindrang, spannte er die Handmuskeln instinktiv an und trieb die Waffe tief ins Fleisch hinein. Auch Bizeps und Brustmuskeln spannte er bis zum äußersten an. Damit zog er den Dolch durch den Körper seines Opfers und riss eine meterlange Wunde.


    Der Kerl war wie betäubt. Der Schmerz des Dolches überwältigte ihn. Es erfolgte ein erneuter Angriff. Diesmal schlug er zurück. Tänzelnd wichen beide Gegner dem Gegenangriff aus. Der Goblin streckte den Arm vor und schlug nach ihm, als der Bursche zurücktaumelte in Abwehrhaltung. Erneuter Treffer. Der Junge war verwirrt. Das hier war kein Faustkampf oder normaler Messerkampf. Der Feind versuchte sich gar nicht festzuklammern oder ihn niederzuringen.


    Der Angriff des Typen bestand aus Vorschnellen, Zuschlagen und sofort Zurückziehen und dabei schnitt dieser verfluchte Dolch von dem Kerl durch Haut, Fleisch und Knochen. Der Typ wusste nicht was hier los war, außer dass die beiden Feinde wie ein Feind angriffen. Wenn der eine von rechts her ablenkte, schlug der andere von links her zu.


    Er versuchte das einzige was ihm jetzt noch einfiel – Flucht. Er drehte sich auf dem Absatz rum und rannte so schnell er konnte. Fast war er in der Mitte und erreichte eine Sand- und Salzbank. Seine Beine brachen durch die Salzkrusten des Sees. Er stolperte und sank bis zu den Knien ein. Stinkender, übelriechender Schlamm schwappte durch die Salzkruste an den Beinen des Backfischs empor.


    Er hatte den Hoffnungsschimmer dass ihm die beiden Wahnsinnigen hierhin nicht folgen würden, während der Schlamm sich an seine Beine festsaugte. Der Kerl planschte herum und schaute sich um. Die zwei waren verschwunden. Nur mühsam konnte er seine Beine bewegen. Ruhe. Es kehrte wirklich Ruhe ein. Minuten verstrichen ohne dass etwas geschah.


    Dann urplötzlich war der Kerl wieder da! Er sprang auf ein verlassenes Riesen-Nest und kauerte auf den meterhohen Bau aus getrocknetem Schlamm, nur wenige Meter von dem jungen Burschen entfernt. Die kleine Frau krabbelte auf ein benachbartes Nest hoch. Die beiden starrten ihn reglos und still an.


    Dann fing der Typ an zu grinsen. Durch blutrote Streifen bleckt er weiße Zähne, als fletsche er das Gebiss. Das Zeichen zum tödlichen Angriff.


    Die beiden traten vorsichtig von den Nestern herunter und näherten sich ihm von vorn, genau wissend, dass der Schlamm den Burschen festhielt. Der Goblin hielt kurz inne, die Frau sprintet los und sprang ihn an. Der junge Bursche erzitterte von der Wucht, während sie an seiner Schulter hing und mit dem Messer auf ihn einstach. Der Backfisch brüllte auf und versuchte sie abzuschütteln.


    Der tödliche Hieb stammte aber nicht von der Zwergin, sondern von dem Goblin der mit einem einzigen Satz bei ihm war. Der grauenvolle Dolch schlug er zu. Der Kerl trieb ihn tief in die Seite des Burschen und verhakte die Spitzen sorgsam zwischen dessen Rippen.
    Der Arm straffte sich unter der ungeheuren Spannung der zähen Oberarmmuskeln, der Schultern und des Rückens, die sich plötzlich und explosionsartig entlud.


    Der Dolch schnitt tief in den Körper des Burschen, angetrieben von der gebündelten Muskelkraft des Goblins.


    Mit einem grauenerregenden Ratschen bahnte sich die Waffe seitlich aus der Flanke durch den Bauch ihren Weg frei, vorbei an zerfetzten Rippenknochen.
    Schlug eine gewaltige, klaffende Wunde, riss Organe heraus, legte den Rest der Innereien frei.


    Der junge Kerl brach auf alle viere zusammen. Schock und Trauma lähmten ihn. Flehend schaute er zu den beiden hoch. In den Augen des Kerls nur hasserfüllte Genugtuung, der Blick der Frau nicht deutbar.


    Sie griff blitzartig zum Kampfmesser, bereit sich herabzubeugen um dem Opfer einen gnädigen Kehlschnitt zu setzen, doch ihr Arm wurde in einem Sekundenbruchteil abgefangen und festgehalten.


    „Nicht Schatz… nicht. Verboten, zu gefährlich“, erklärte er leise und ergriff ihr Kinn um sie mit sanftem Zwang zum Zuschauen zu zwingen.


    „Warum?", brachte sie nur kurz raus bevor er sie unterbrach.
    „Aus Vorsicht. Weil ich schon oft sah, wie vermeintlich tote Beute einem bei einem Gnadenstich mit rüber auf die andere Seite reißen wollte. Das würde jeder versuchen. Dein Hals ist dann in Reichweite seines Messers. Wir gewähren niemals Gnade. Sie kennen auch keine für uns“, erklärte er sanft.


    Der Typ starb langsam unter den Blicken der beiden Fremden die seine Gruppe vorher noch gejagt hatte. Sie warteten ab bis der Bursche sein Leben ausgehaucht hatte, dann raubten sie ihn aus und machten sich mit einem Sprint in den Wald davon.


    ****


    Sie waren lange gelaufen und gut vorangekommen. Um die Feinde abzuschütteln, lief er die ganze Zeit durch einen Fluss der sich durch den Wald schlängelte. Dies war zwar anstrengend, aber so hinterließen sie keine Fußspuren. Sie rasteten kurz und Jeelen schnappte sich eine der Spritzen von Lydia, während sie sich auf einen Felsen setzte.


    Eingehend untersuchte er die Spritze. Sie war rasiermesserscharf, logisch, sie diente als Feldbesteck und musste sofort einsatzbereit sein.


    „Was hast Du damit vor?“, hakte die Zwergin nach.
    „Wir müssen anfangen unserer Gruppe Zeichen zu hinterlassen. Sie müssen wissen dass wir noch leben. Wenn wir Glück haben folgen sie uns. Also für den Feind unsichtbar, für den Freund sichtbar. Zeit Botschaften zu senden, an beide Seiten“, grinste der Goblin.


    „Heißt was Jeel?“, fragte Lydia. Der Goblin steckte die Spritze in seinen Gürtel.
    „Wirst Du nachher sehen. Lass Dich überraschen“, sagte er freundlich.


    Beide brachen erneut auf und liefen weiter durch den Fluss. Stunden später legte er eine Pause ein. Er hatte einen guten Rastplatz entdeckt. So hatten sie unter einem umgestürzten Baum mit Moos und Wurzeln den Rest des Tages tief versteckt geruht.


    Er hatte gut geplant, dass musste sie ihm zugestehen. Er war wirklich ein Lauerjäger, eine Schlange. Zusammengerollt lag er Stunde um Stunde scheinbar teilnahmslos da, dennoch war er hoch konzentriert und jederzeit bereit tödlich zuzuschlagen.


    Die Gruppe war arglos an ihnen vorbeigezogen ohne dass sie die beiden bemerkt hatten. In einiger Entfernung hatten diese ihr Nachtlager aufgeschlagen.


    Die Dämmerung zog herauf und mit Einbruch der Nacht kam Bewegung in ihn. Sie hatte im Versteck zu bleiben, dass deutete er ihr mehr als deutlich an.


    Jeelen schlich lautlos davon und im großen Bogen um die Truppe herum. Er taxierte gekonnt ihre Schwachstellen aus. Jeel ließ sich alle Zeit der Welt. Die Nacht war jung. Er verharrte im Grün und schaute auf die Lichtung wo die Piraten schliefen.


    Er hatte kannte den Wachplan nach einiger Beobachtungszeit in- und auswendig. Er wusste wo wer heute Nacht seinen Ruheplatz eingenommen hatte. Die niedersten Ränge schliefen stets am Außenrand des Lagers. Bei einem Angriff würde es sie zuerst treffen. Sie waren entbehrlich.
    Je weiter man sich dem inneren Kern des Lagers näherte je höher war der Rang der dort ruhenden Burschen. So war es in jeder Gruppe, so war es auch beim Militär. Die Alphas sicherten sich immer die besten und sichersten Plätze.


    Als die Wache diesen Teil ihres Gebietes passiert hatte gab ihr Jeelen noch einige Minuten und schlich dann tief gebückt zu dem ersten Piraten, der in der Nähe der Gebüsche schlief.


    Ganz leise griff er dem Kerl von oben über das Maul um dieses so mit stahlhartem Griff zuzuhalten. Mit einem gekonnten Schnitt schlitze er dem kleinen Kerl die Kehle auf, nagelte ihn mit seinem Gewicht am Boden fest, solange dieser noch krampfhaft vor Schmerz zappelte um die Geräusche zu ersticken. Es ging sehr schnell, bald rührte sich der Bursche nicht mehr. Der Schnitt war äußerst tief und lang, so dass das Opfer schnell viel Blut verlor.


    Jeelen schaute sich um ob irgendwer wach geworden war oder etwas bemerkt hatte. Zu seiner Erleichterung war alles ruhig, also schlich er weiter zu seinem nächsten Opfer.


    Er schlich sich so leise wie möglich von rechts an den Schlafenden heran, da dort dessen blinde Seite war. Der Bursche hatte nur ein Auge. Sein Opfer bemerkte ihn nicht und schlief weiter.


    Jeelen beugte sich über ihn, packte den Piraten mit aller Gewalt in seinen Haarschopf und presste ihn brutal mit dem Gesicht in den Erdboden. Panisch versuchte der Bursche sich zu wehren, da er keine Luft mehr bekam. Er hatte mit dem Kopf auf den Armen geschlafen nun waren diese unter ihm selbst festgenagelt.


    Der Goblin grinste zähnebleckend bei den hilflosen Versuchen des Burschen sich zu befreien. Jeelen riss dessen Schädel mit einem Ruck nach links herum, so dass dieser immer noch nicht seinen Angreifer sehen konnte. Dabei verdrehte Jeel ihm das Genick so hart und so weit, dass es knirschend kurz vor dem Brechen stand.


    In dieser Position hielt er sein Opfer einige Zeit fest, bis dessen Körper durch die Verdrehung taub vor Schmerzen war. Er sah dass der Atem seines Opfers nur noch in kurzen Stößen kam. Sein Opfer versuchte zu schreien – aber aus seiner verdrehten Kehle kam kein Laut.


    Jeelen riss den Kopf von Typen mit einem gewaltigen Ruck in den Nacken. Dieser konnte seinen Peiniger durch den ganzen Dreck im Gesicht nicht sehen. Aber was nun folgen würde war ihm bewusst.


    „Nein bitte nicht - Gnade“, keuchte der junge Mann flehend.


    Jeelen ließen solche Worte kalt, er klatschte dem Burschen ein bekritzeltes, grünes Blatt ins Gesicht. Dann rammte er ihm die mitgebrachte Spritze ins gesunde Auge bis hoch ins Hirn. Jeel spürte wie sein Opfer noch einmal aufzuckte und dann erschlaffte. Seine Mission war erfüllt – Unruhe stiften.


    Jeel schlich zurück ins Versteck und legte sich dort schützend und wärmend über Lydia. Die Zwergin rollte sich dankbar unter ihm zusammen und schlief ein.
    Am darauf folgenden Morgen wurden Lydia und Jeelen durch lautes Wutgeheul geweckt. Piraten huschten Minuten später hin und her, jeder gab dem anderen weiter was sich über Nacht zugetragen hatte.


    Es hatte über Nacht einen Vorfall gegeben, indem zwei von ihnen ermorden worden waren. Einer von ihnen hatte sowas wie ein Stilett im Auge, dass eine eindeutige Botschaft an dem Schädel des Opfers fest tackerte – folgt uns und ihr folgt ihm!!!


    Die Gruppe reagierte bestürzt und verunsichert. Mitten in der Nacht war es den beiden trotz Wächter und Feuer gelungen zwei von ihnen unbemerkt aus ihrer Mitte zu holen.


    „Ich fass es nicht, dieses Miststück!“, brüllte der Anführer vor Wut zischend.
    „Was stehen wir hier noch rum. Das Pack ist nachher über alle Berge! Die haben schon die Nacht als Vorsprung!“, schnauzte der Anführer seine Leute an und stürmte los. Im Laufschritt folgte ihm seine Truppe während er weiter auf sie ein brüllte.


    Jeelen schaute auf Lydia runter und lächelte ihr aufmunternd zu.


    ****


    Sie waren ein ganzes Stück gewandert, ehe Seddik das Zeichen gab stehen zu bleiben. Hier hatte eindeutig etwas stattgefunden. Aber nach einem Kampf sah das Ganze nicht aus.


    „Seht Ihr diese Spuren? Die Gruppe ist in heller Aufregung hin und her gerannt. Die Spuren laufen auseinander und führen wieder zusammen. Die Leute scheinen hin- und her gerannt zu sein. Also muss etwas geschehen sein, dass sie sich gegenseitig informierten.


    Einer wird zum anderen gelaufen sein und es weiter gegeben haben. Man sieht es an den Fußspuren. Tiefe Abdrücke im Waldboden, ein Abbremsen – der Abdruck ist dann vorne tiefer im Boden als hinten und die Fußspuren der beiden Leute zeigen aufeinander. Sie stehen sich also von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Und dass findet man hier überall. Es muss sie also etwas in Aufruhr versetzt haben“, erklärte der Ork.


    „Was es gewesen ist, kannst Du diesen Spuren nicht entnehmen oder?“, fragte Aino freundlich nach.


    „Nein leider noch nicht. Aber überlasst Gasmi und mir die Führung, nicht dass Spuren zerstört werden. Was es auch wahr, wir finden es raus. Und falls nicht, ist es wichtig die Spuren von Lydia und Jeelen zu finden“, erklärte Seddik.


    Der Düsterling gesellte sich zu ihm und nickte zustimmend. Die beiden Kerle übernahmen die Führung, die restlichen Gruppenmitglieder folgten in einem kleinen Abstand um keine Spuren zu gefährden oder versehentlich zu verwischen.


    „Sie machen sich sehr gut“, lobte Aino das Verhalten von Seddik und Gasmi.
    „Sehe ich auch so. Sie wissen was sie tun“, antwortete Pavo.


    Hinter der nächsten Biegung, ein Stück abseits einer gewaltigen Wurzel, fanden sie die Ursache der Panik. Auf der Lichtung lag einer der Piraten. In einiger Entfernung lag ein zweiter. Beide tot. Seddik gab ihnen ein Zeichen näher zu treten. Die Gruppe umstellte den Piraten und der Ork zog dem Toten ein Zettel in Form eines Blattes vom Gesicht.


    „Folgt uns und ihr folgt ihm!!!“, las er laut vor.


    Pavo beugte sich hinab und zog mit einem widerlichen schmatzenden Geräusch den Gegenstand aus dem Auge, der den Zettel gehalten hatte.


    „Medizinisches Feldbesteck, einer meiner Spritzen. Lydia trug welche bei sich“, erklärte Pavo.


    Der alte Goblin gab mit einem Nicken die beiden Sachen an Aino weiter. Die Almanin schlug die Sachen in ein Tuch ein und verstaute sie in ihrem Rucksack.


    „Wir heben jeden Hinweis der beiden auf. Vielleicht steckt eine Chronologie dahinter. Oder wir können anhand der einzelnen Funde nachweisen, was nun wie geschah, oder ob es ihnen besser, schlechter oder gleichbleibend geht. Also bitte alles was ihr findet mir aushändigen.


    Nun zu unseren jetzigen Funden. Dieser Fund, kann nur eines heißen. Jeelen und Lydia sind noch am Leben. Er hat vermutlich die beiden Typen umgenietet um sich etwas Freiraum für die weitere Flucht zu erkämpfen, zeitgleich hat er uns eine Botschaft hinterlassen.


    Die auf dem Blatt gilt auf den ersten Blick eigentlich nur den Piraten. Eben die Botschaft die auf dem Blatt steht. Die zweite unausgesprochene Botschaft gilt uns. Sie heißt, einer von uns beiden – Lydia oder Jeelen, ist noch soweit fit dass er schreiben und töten kann. Die zweite Botschaft sagt uns noch etwas mehr, nämlich dass beide noch gesund sind und leben.


    Deine Spritze Pavo sagt uns übersetzt, guckt wir beide sind das – Lydia und Jeelen.
    Es gehörte zu meiner Ausrüstung – Lydia, mich gibt es noch.
    Meine Art zu töten, meine Handschrift – Jeelen, mich gibt es noch.


    Folglich lese ich daraus, dass beide noch am Leben sind und bis jetzt den Umständen entsprechend nicht schwer verletzt. Ich gehe davon aus, dass er uns sonst eine Botschaft hinterlassen hätte“, erklärte Aino.


    „Ja das hätte er auf alle Fälle versucht. Und wie man sieht versucht er jetzt auch sein Bestes uns zu informieren und die Burschen los zu werden“, fügte Gasmi an.


    Seddik und Gasmi suchten eine Weile die nähere Umgebung ab, bis sie die Spur von Jeelen und Lydia gefunden hatten. Die beiden hatten die riesige Wurzel als Unterschlupf genutzt. Erneut machte sich die Gruppe auf den Weg und nahm die Verfolgung der beiden verschollenen Kameraden auf.


    Vor ihnen tauchte eine Gruppe der Piraten auf. Zwei der hinteren Burschen wandten sich Aino zu. Offensichtlich hielten die beiden sie für den leichteren Gegner. Ein Irrtum, dennoch ließ Seddik ihnen keine Zeit festzustellen, wie gefährlich Aino sein konnte.


    Er sprang den ersten Burschen an, als er das Bein hob und mit einem übertriebenen großen Satz zu ihr springen wollte. Seddiks Bewegung kam völlig überraschend. Er packte den Piraten, zerrte ihn mit einem harten Ruck zu sich herunter und versetzte ihm einen Schlag mit der flachen Hand auf die Kehle. Noch während der Bursche neben ihm zusammenbrach, wirbelte er herum und ergriff den zweiten Kerl. Mit einem harten Ruck drückte er ihn gegen einen Felsen in der Nähe. Seddik hörte einen gurgelnden Schrei und sah etwas vom Felsen absplittern. Er ließ los und der Pirat taumelte zurück und stürzte dann benommen zu Boden. Gasmi war mit einem Satz bei dem Kerl und schnitt ihm die Kehle durch.


    Ein Geräusch hinter Seddik warnte ihn. Er fuhr herum, riss die Arme hoch und vollführte eine instinktive Ausweichbewegung zur Seite. Trotzdem wäre seine Reaktion beinahe zu spät gekommen, hätte der Kerl ihn angesprungen. Aber dieser versuchte entgegen aller Vernunft jetzt erst die Waffe zu ziehen. Kaum hatte der Kerl die Waffe nach langer Fummelei gezogen, trat sie ihm Seddik auch schon aus der Hand.


    Der Ork ergriff im selben Moment das verletzte Handgelenk des Burschen, riss ihn zu sich heran und rammte ihm das Knie in die Rippen. Der Pirat schrie vor Schmerz auf, die Wucht schleuderte ihn zu Boden und nahm dem Feind den Atem.


    Für einen Moment blieb der Bursche reglos liegen und betrachtete mit schmerzverzerrtem Gesicht den Ork. Als sich Seddik auf ihn zu bewegte, sprang der Kerl auf und stürmte ein Stück weit weg.


    Eindeutig hatte er genug von Seddiks Bearbeitung und wollte nur noch das Weite suchen. Er rannte an Pavo vorbei, der dem Typen ein Bein stellte, aber der Bursche sprang einfach darüber hinweg. Im selben Moment sprang auch Aino hoch und versetzte dem Piraten aus dem Sprung heraus einen Tritt, der ihm das Gefühl gab sein Wadenbein wäre gebrochen.


    Der Bursche schrie erneut auf, taumelte zur Seite und nutzte die Zeit, die Aino brauchte herumzuwirbeln, um sich eine neue Taktik zu überlegen. Der Körper des Piraten zitterte. Jeder Muskel tat ihm bereits weh und solche Gegner die sich so vehement wehrten und zusammenarbeiteten war er nicht gewohnt. Er wollte sich auf keinen weiteren Kampf mit ihnen einlassen. Er musste nur an Aino vorbei.


    Als er das nächste Mal heranstürmte, machte Aino erst gar nicht den Versuch auszuweichen, sondern empfing den Burschen mit einer blitzschnellen Kombination aus drei fast gleichzeitig erfolgten Hieben und Stößen, die der Pirat mit Mühe und Not abwehrte. Dann erwischte den Burschen ein brutaler Tritt am Knie, den er nicht kommen sah.


    Wie auch, Gasmi hatte zugetreten. Der Pirat schrie auf, Urako schoss an die Seite seines Schatzes, packte den Arm des Piraten und zerrte gleichzeitig mit aller Kraft das Kampfmesser aus dem Holster. Schon krachte der stählerne Knauf auf die Stirn des Kerls.


    Keuchend stieß der Bursche die Luft aus und seine Augen weiteten sich vor Schmerz. Puschel zerrte ihn nun zu sich heran und ließ dessen Körper über seine plötzlich eingeknickte Hüfte abrollen. Der Bursche verlor den Boden unter den Füßen, prallte mit brutaler Wucht mit dem Rücken auf den Felsen und man hörte sein Rückgrat brechen.


    Ein ohrenbetäubender Schrei durchzuckte den Dschungel. Nun war auch Aino mit einem Satz wieder bei dem Piraten. Ein seitlich geführter tödlicher Tritt vor den Schädel und der Bursche verstummte für immer.


    Die Almanin überschaute das Kampffeld und wandte sich dann an Anwolf.


    „Wolfi, kontaktiere Dave! Wir brauchen seine Hilfe. Sag ihm er soll sich das Blut von Lydia und Jeelen schnappen und die beiden suchen! Zusätzlich soll er sich das Blut von mir schnappen. Er soll mich suchen. Und von meiner Position aus, soll er Jeelen und Lydia suchen. Er soll sich einen markanten Punkt merken, wo sie zu finden sind. Wenn es keinen markanten Punkt gibt, dann soll er sich die Marschrichtung und ungefähre Entfernung merken. Leg los!“, befahl Aino.


    Anwolf nickte knapp zur Bestätigung und hockte sich im Schneidersitz auf den Boden. Die Gruppe versammelte sich schützend um den jungen Magier und schirmte ihn ab.


    Wolfi ließ sich in den Nexus fallen und versuchte Dave zu erreichen.
    Sein Onkel war da, zeitgleich war er wiederrum doch nicht da.
    Verwirrt verharrte Anwolf einen Moment.
    Er konnte die Präsenz von Dave fühlen, aber sie war mit irgendetwas vermischt, anders konnte es der junge Magier nicht beschreiben.


    Anwolf zögerte einen Moment, dann versuchte er trotz allem eine Kontaktaufnahme. Er fühlte für einige Sekunden Kontakt, ehe er dermaßen mental eine gelangt bekam, dass er schlagartig vom Nexus wieder im Diesseits war.


    Wolfi blinzelte erstaunt und fasste sich an seinen dröhnenden Schädel.


    „Kleiner was ist los?“, fragte Pavo besorgt.
    „Nichts“, gab Anwolf zurück.
    „Du hast Nasenbluten“, erklärte der alte Heiler und wischte Anwolf das Gesicht sauber.
    „Was ist passiert?“, fragte Aino.


    „Ich weiß es nicht“, antwortete Wolfi und wischte sich die Nase selber sauber.
    „Dir muss doch was passiert sein!“, beharrte Seddik.


    Wolfi nickte knapp, schüttelte dann den Kopf und bereute die Aktion sofort. Er sprang auf und übergab sich geräuschvoll ins nächste Gebüsch.


    „Hast Du Dave erreichen können?“, fragte Gasmi verwirrt.
    „Nein“, sagte Wolfi und wischte sich den Mund sauber.
    „Wolfi! Warum nicht? Was war los, berichte? Konntest Du ihn nicht erreichen, oder ist etwas mit Dave?“, hakte Pavo nach.
    „Ich konnte ihn nicht erreichen“, log Anwolf.
    Was immer mit seinem Onkel los war, oder er gerade getrieben hatte, würde er den anderen nicht auf die Nase binden. Zumal er es selbst nicht verstand.


    „Ich versuch es später nochmal“, sagte Wolfi ermattet.


    Die Gruppe schaute sich kurz rückversichernd an. Aino nickte zustimmend und legte Anwolf kurz die Hand auf die Schulter.


    „In Ordnung Wolfi. Wir gehen weiter“, befahl die Almanin.


    ****


    Der Morgen graute und Jeelen weckte Lydia.
    „Alles klar?“, fragte sie liebevoll nach.
    „Alles nicht Schatz“, grinste er schief, „aber mir geht’s etwas besser. Ich besorge Frühstück, verzieh Dich in den schützenden Farn. Danach wenn ich zurück bin, brechen wir auf“, sagte der Goblin und verschwand im Dschungel ohne die Antwort von Lydia abzuwarten. Sie tat wie ihr geheißen und drückte sich schützend wie ein Rehkitz in den Farn, dass die Rückkehr der Mutter abwartete. Sie war gerade erneut etwas eingenickt als Jeelen sie wecke.


    „Frühstück. Heute im Angebot Schlangen-Schnipsel“, schnurrte er und hielt ihr seine Beute hin. Lydia schälte sich aus dem Farn, umarmte Jeelen und drückte ihn.


    „Ich kann es nur wiederholen, guter Mann – besorgst immer Futter. Teil sie auf“, freute sich Lydia aufs Essen. Jeelen schnitt die Schlange in Fingerfutter-Größe und legte die Stücke in die Mitte.
    „Iss Schatz“, sagte er gut gelaunt und sie mampften genüsslich Schlangenfleisch.


    Ein langer Marsch und wieder wehte ihnen salzige Luft entgegen. Sie waren an einem anderen Teil der Küste angelangt.


    „Mehr Meer“, kommentierte Lydia und streckte sich.
    „Richtig“, sagte Jeelen und schlenderte zum Wasser runter.


    Ein Duo alter Fährtenleser der Piraten hatte ihre Spur gefunden. Sie saßen hinter dem Kamm einer blassgelben Düne und waren nicht zu sehen. Heute war ihr Tag so glaubten sie. Sie würden sich die Frau und die Belohnung von ihrem Anführer holen.


    Seit einer Stunde vor Sonnenaufgang beobachteten sie nun schon die beiden Gefährten, die langsam aber stetig ihrer Wege zogen. Sich zwar alle Mühe bei der Tarnung gaben und auch richtig gut dabei waren, aber eben nicht gut genug. Müdigkeit, Sorge und viele andere Faktoren mehr forderten ihren Tribut von dem Pärchen. Ihnen war es nur Recht, in wenigen Augenblicken würde die Frau ihnen gehören, dachten sich die beiden Kerle.


    Die beiden Piraten warteten auf den richtigen Moment, um über den Dünenkamm zu springen und das Duo anzugreifen.


    Lydia und Jeelen blieben vor dem Wasser stehen und schauten auf die glitzernden Wellen. Ein Stück watete er ins Wasser hinein, machte dann aber schleunigst dass er aus dem Wasser kam, als er in einiger Entfernung eine dunkle Masse sah, die durch die Wasseroberfläche stieß und zum Land hin glitt, wo sich die Wellen brachen.


    `JETZT´, dachten die Piraten und schossen aus ihrem Versteck mit gezogenen Waffen hervor.


    „Lauf“, brüllte Jeelen Lydia an und rannte mit ihr los. Die Piraten bewegten sich flink und auf diagonalem Weg über die Düne. Sie waren alte und scheinbar kluge Veteranen, was Überraschungsangriffe anging stellte Jeelen fest. Sie wollten sie beide oder zumindest ihn ins Meer treiben damit er keine Deckung im Kampf besaß.

    `Der schwarze Schatten´, schoss es Jeelen durch den Kopf und schlagartig hatte er wieder eine seiner krassen Ideen.


    „Renn weiter Süße, los!“, befahl er ihr und ging zum Angriff auf die beiden Piraten über. Ein kurzer Sprint und ein gewaltiger Sprung, schon war er bei ihnen auf der Düne. Er zückte sein Messer und schlug zu. Dem einen brachte er einen flachen aber schmerzhaften Schnitt auf der Oberlippe bei. Dann wirbelte er herum, schlug dem anderen Burschen die Faust in die Zähne und sprintete davon. Die Piraten nahmen wütend die Verfolgung auf.


    „Den haben wir gleich in die Enge getrieben. Er steht mit dem Rücken zum Wasser“, sagte einer der Piraten zu seinem Kumpel und sie holten schnell auf. Der Goblin platschte geräuschvoll ins Meer hinein.


    „Wir haben ihn“, grinste ein Pirat.


    Jeelen drehte sich um und lief parallel zum Strand durch die Brandung. Er kam an der vor Angst erstarrten Lydia vorbei und stieß sie im Laufen um. Die beiden Piraten schenkten ihr keine Beachtung, die Frau würden sie später einkassieren, sie verfolgten weiter den Goblin um ihn den Garaus zu machen.


    Bis auf wenige Meter waren sie an Jeelen herangekommen.
    `Gleich haben wir Dich´, dachte einer der Burschen.


    Plötzlich wurde Jeelen mit einem ungeheuren Schwung von den Füßen nach hinten gerissen und tauchte tief ins Wasser. Eine zweite, mächtige Explosion begrub ihn unter neuen Wassermassen und wirbelte ihn über den Meeresboden. Er bohrte seine Hände in einen braunen Klumpen Tang und hakte sich zusätzlich mit den Beinen fest. Er streckte den Kopf soweit er konnte nach oben. Es gelang ihm den Schädel aus dem Wasser zu heben. Er spuckte grünes Wasser und ein Maul voller salzigem Schlamm aus und öffnete die Augen knapp über der Wasseroberfläche.


    Warme Blutstropfen regneten um ihn herum auf das Wasser nieder. Er schaute sich um.


    Ein wundervoller, entsetzlicher Anblick.


    Ströme aus hellrotem, arteriellem Blut spritzten über das Meer. In der Brust des einen Burschen klaffte eine große Wunde, die den Blick auf gebrochene Rippen und zerrissene Eingeweide freigab.
    Ein gigantisches Maul schwang heimtückisch zur Seite und ein Pirat verschwand mit knochenbrechend in dem Rachen der Kreatur. Schon ergriff das Wasserungeheuer dass Bein des übriggebliebenen Piraten und wirbelte dessen Körper durchs Wasser. Jeelen kämpfte sich schleunigst an Land und blickte zurück. Der Pirat tauchte wieder auf, das linke Bein zuckte hilflos wie bei einem Spastiker.


    Das Seeungeheuer riss den Körper seines Opfers in die Höhe und schlug die gigantischen Zahnreihen in dessen Fleisch. Seine rechten Flossen richteten sich hoch auf, während es nach links abtauchte und sein Opfer mit in die Tiefe riss.


    Lydia war ebenfalls an den Strand zurückgekehrt. Sie und Jeelen eilten die Sanddüne hinauf und kuschelten sich dort eng aneinander. Sie überschüttete ihn mit Küssen. Sie war total stolz auf den Grünen.

    „Du dummer, blöder, wahnsinniger, irrer und verrückter Kerl!!! Was fällt Dir ein mich so zu erschrecken? Ich dachte… ich sag es nicht. Ich könnte Dich schlagen Jeelen Zilis! Du weißt nicht was Du getan hast“, schimpfte Lydia liebevoll und boxte Jeelen ehe sie ihn drückte.


    „Doch uns den Arsch gerettet. Erzähl, war es knapp?“, fragte er nach.
    „Oh ja Jeel. Du bist total bekloppt und gaga, weißt Du? Du hast das Riesenbiest geködert und die beiden Piraten in den Tod gelockt. Ganz schön clever. Genau hinter Euch schoss das Wesen aus dem Wasser und packte sich Deine beiden Verfolger. Ich dachte schon es hätte Dich auch erwischt. Ich hatte solche Angst“, sagte sie.


    „Geiler Plan hä?“, grinste er total erschöpft.
    „Von wegen geil, extrem gefährlich trifft es da eher“, schalt sie ihn.


    „Das Vieh hat mich mit der Bugwelle nur umgeschmissen, aber der Sog im Wasser war echt Scheiße. Ich dachte ich ersaufe, bis mir einfiel dass ich noch immer im flachen Wasser in Strandnähe war, ich musste nur die Rübe heben. Erste Panik halt, Wasser ist nicht so mein Kampfgebiet“, sagte er schaudernd.


    Lydia kramte Jeelens Hemd aus ihrer Tasche und zog es ihm über, bevor sie weiterzogen.


    ****


    Er war der Gruppe gefolgt. Zwei der Schäfchen waren aus der Herde ausgebrochen und der Rest machte sich auf die Suche nach den verlorenen Schäfchen. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht besser aufgepasst hatte. Er hätte dafür sorgen müssen, dass die Herde zusammen blieb. Er war nicht aufmerksam genug gewesen.


    Er erwachte früh und zog die morgendliche, kalte Luft ein die über den Strand aufstieg. Er saß oben in den Klippen in einer Art Felsnest.


    Er prüft witternd die Luft und drehte seinen Körper in Richtung Gruppe. Ein Lauschen – ja mit dem Rest seiner Herde war alles in Ordnung. Zum Glück. Er neigte sich in einem bestimmten Winkel und hielt sich mit drei Fingern am Rand des Nestes fest.
    Seine Peitsche wickelte sich um einen Felsvorsprung. Dann spannte er die Knie, Ellbogen und Handgelenke an, beugte sich vor und sprang vom Rand der Klippe in die Tiefe.


    Sein Körper fiel fünf Meter hinunter und gewann immer mehr an Schwung. Als es so aussah, als würde er in die Brandung stürzen, zog sich der Peitschen-Faden zusammen. Er hörte den Luftstrom, dessen Kraft ihn kurz nochmal in die Höhe trieb, dann neigte er den Körper und kam mit einem Satz auf dem Strand auf.


    Solche Momente waren ihm die liebsten, wo er einfach den Spaß an seiner außergewöhnlichen Waffe genoss.


    Das Licht der aufgehenden Sonne traf seinen Körper. Sein Kreislauf reagierte augenblicklich. Wohlig schnurrte er auf und Hunger machte sich breit. Er ging den Strand lang runter bis zur Wasserfläche und schaute einem gewaltigen Fisch bei dessen Runden zu. Er versuchte sich den Fisch zu schnappen und peitschte nach ihm. Der Fisch schoss davon.


    `Schnell – zu schnell´, dachte er.


    Er verstand sich darauf Geschwindigkeiten abzuschätzen. Er beobachtete den Fisch, der knapp unter der Wasseroberfläche schwammt. Dieser drehte sich und griff eine große Schule von Tintenfischen an. Hunderte von ihnen schossen aus dem Wasser, ihre zigarrenförmigen Körper sausten über die Oberfläche.


    Er duckte sich, als er von Donnerkeilen bombardiert wurde die am Strand landeten. Die meisten krochen zurück ins Wasser. Er wischte sich über das Gesicht und hob eines der Wesen auf.

    `Acht Tentakel´, zählte er gut gelaunt und stopfte sich das Wesen in den Mund.


    Er hoffte auf eine Wiederholung der angenehmen Erfahrung die er mit anderem Meeresgetier gemacht hatte. Krabbenfleisch liebte er. Er kaute probeweise auf der Kreatur herum. Doch er brach sich einen seiner Zähne ab. Plötzlich schoss eine Tintenwolke hervor, viel zu viel als dass er es einfach hätte in seinem Mund behalten oder schlucken können. Das blaue Zeug schoss ihm aus dem Mund und er saute sich komplett damit ein.


    Mit lautem Rotzen spuckte er den Tintenfisch wieder aus. Er ging zum Wasser und wusch sich das Gesicht sauber und musste dabei richtig schrubben um die Farbe abzubekommen.


    `Tintenfische von der Liste der essbaren Meerestiere streichen´, dachte er belustigt.


    Musste das Frühstück eben warten. Er wollte sich einen Überblick über seine Gruppe verschaffen. Er kletterte auf einen Dünenkamm und hielt Wache. Sie schienen nicht sonderlich aufmerksam, und achteten nicht auf die Gefahr im Wasser. So sah keine gute Organisation aus, dachte er grantig.


    Erneut ein Blick auf die Truppe, aber um sie wirklich bei Tag zu schützen verließ er sich wie immer auf seine Nase und sein Gehör. Er hörte gewaltige Leiber durch das Wasser pflügen. Viel zu nah, viel zu groß und viel zu gefährlich, als dass man so sorglos am Strand rumspringen sollte.


    Für ihn waren es im Moment „seine Leute“, nicht dass er sie noch als seine Familie oder überhaupt als Freunde betrachtete – so betrachtete er niemanden.


    Nur seine Artefaktwaffe.


    Sie gehörte zu ihm. Sein Unterbewusstsein sagte ihm, dass es keine bedeutsamen Verbindungen zwischen ihm und anderen Personen geben konnte. Erfahrungswerte die er in seinem Leben immer wieder gemacht hatte. Irgendwann wurden andere langweilig oder waren tot. Nun gut, weil er sie getötet hatte.


    Trotzdem hatte er irgendwie eine Beziehung auf Distanz zu ihnen aufgebaut. Sie waren seine Werkzeuge, sie gehörten ihm und noch brauchte er sie.
    Unsichtbar wie immer folgte er ihnen.


    # # # #


    Dave wälzte sich auf die Seite und tippte Varmikan an.
    „Aufwachen“, murmelte er.
    „Bin wach“, grinste der Alb.


    „Mitbekommen wer oder was uns vorhin mittendrin genervt hat?“, gähnte Dave.
    „Bei der Gedankenverschmelzung? Nein. Wer auch immer, er bekam von mir voll eine gelangt. Demnächst lieber wieder Kokon“, nuschelte Varmikan.
    „Abgemacht“, stimmte Dave zu und hob den Daumen.


    „Lust nach Skille zu reisen?“, fragte der Frostalb verschlafen.
    „Wo ist das“, flüsterte Dave.


    "Skille die Insel der Abtrünnigen. Sie liegt etwas oberhalb des Lichtalbenlandes. Nördlich von Falathri. Ich kann Dich zwar nicht mit nach Hause nehmen um Dir meine Ex-Heimat zu zeigen, aber dahin könnten wir reisen. Und dort gibt es einen riesigen Schwarzmarkt. Die Temperaturen sind allerdings nach meinem Geschmack, Du müsstest Dich warm anziehen“, erklärte Varmikan.


    „Warm anziehen ist kein Problem Klingenohr, ich bin dabei“, freute sich Dave.
    „Schön. Noch paar Stunden schlafen, Frühsport, Frühstück und Aufbruch?“, fragte Varmikan.
    „Abgemacht“, stimme Dave zu.


    # # # #

  • Der Goblin-Kompass


    Kap04


    An einem Stück Treibholz fand Gasmi zwei eingekratzte Initialen JL. Er rief Urako dazu und dieser nickte.


    Der Rest der Gruppe schaute sich ebenfalls die Buchstaben an.
    „Was bedeutet das?“, fragte Anwolf in die Runde, vor allem aber an Gasmi und Urako gerichtet. Er fuhr die eingeritzten Zeichen mit dem Finger nach.


    „Damit sagt uns Jeelen, dass sie noch leben. Er versucht die Verfolger abzuschütteln und zu töten, uns aber so Zeichen zu geben, dass wir die beiden finden und aufschließen können“, erklärte Gasmi freundlich.


    „Kluger Bursche“, grinste Wolfi.
    „Ein Goblin“, grinste Pavo breit.


    „Aus nichts das Beste machen. Und wir sollten machen dass wir hier weg kommen. Der Strand ist kein sicherer Ort“, sagte Aino mahnend.


    Nahe der Uferlinie zogen wieder gewaltige schwarze Schatten ihre Bahnen und warteten auf all jene die zu dumm oder zu leichtsinnig waren sich in die Wassernähe zu begeben.


    Ein Reh oder eine Antilope stand im flachen Wasser und verschaffte sich Kühlung, da die Hitze kaum zu ertragen war. Schon das minimale Geräusch reichte aus, die Schatten drehten bei und schossen in seine Richtung. Die Gruppe brüllte dem Wesen eine Warnung zu – doch zu spät.


    Aus dem Wasser schossen gewaltige Kiefer, denen eines Krokodils nicht unähnlich. Der gewaltige Beißapparat schlug mit ohrenbetäubendem Krachen zu, so dass für Sekunden nur noch die Füße des Tieres zu sehen waren und schon waren sie wieder in der Gischt des aufschäumenden Wassers verschwunden, so als wäre der Vorfall gerade nur ein Hirngespinst oder Einbildung gewesen. Die Gruppemitglieder schauten sich entsetzt und ratlos an.


    „Der Strand ist unpassierbar. Wir müssen einen anderen Weg nehmen Leute“, warf Pavo ein.


    „Nein! Dann verlieren wir die Spur der beiden. Wer weiß wann und ob wir diese dann wiederfinden. Jede Minute Verlust kann über Leben und Tod entscheiden“, warf Gasmi stur ein.
    „Richtig wir müssen irgendwie versuchen an den Wesen vorbei zu kommen“, schlug Urako vor.


    „Hey Pavo, rede mit ihnen, glaub mir die schwimmen in die andere Richtung was das Zeug hält“, warf Anwolf ein und bekam als Antwort eine Kopfnuss von Seddik.


    „Er hat Recht. Also zuhören. Wir brauchen eine Lösung. Wir müssen den Strand runter, ich hab noch nie einen meiner Leute zurückgelassen und ich werde auch Jeel und Lydia nicht zurücklassen. Wir folgen ihnen. Unser Problem, wir kommen an den Viechern nicht vorbei. Sie sind unter Wasser schneller als wir zu Fuß. Wie bekommen wir die Biester ins tiefe Wasser so dass wir an denen vorbei können ohne Gefahr zu laufen gefressen zu werden? Lösungsvorschläge“, forderte Aino.


    „Wir könnten eins mit Granaten bearbeiten. Wenn es verletzt ist und im Sterben liegt, kommen vielleicht seine Familiemitglieder um es fertig zu machen und aufzufressen – man kennt das ja von der eigenen Familie“, grinste Wolfi.


    „Ja oder wir werfen Dich als Köder ins Wasser!“, grummelte Seddik.
    „Das ist zwecklos, der wird uns zurück an den Strand gespuckt“, lachte Urako, was die anderen auch auflachen ließ.


    „Der Vorschlag von Wolfi ist gar nicht schlecht, wir brauchen einen Köder. Aber nicht einen von uns. Wir brauchen einen Köder, der schneller ist als die Viecher im Wasser. Er rennt einfach die Wasserlinie entlang – spricht durchs seichte Wasser. Die Viecher reagieren auf Geräusch und werden ihm folgen. Die anderen können gefahrlos nachrücken und rennen den Strand entlang runter außerhalb der Wasserlinie natürlich. Vielleicht so Mitte Strand? Ich hoffe das ist ausreichend vom Wasser entfernt“, schlug Gasmi vor.


    „Keiner ist so schnell wie diese Viecher Gasmi! Und wenn einer vor rennt sind die anderen nur ein paar Meter hinter ihm. Wie viel Vorsprung soll einer von uns schaffen?“, warf Seddik ein.


    „Ich bin schneller als die Viecher. Das ist gerade Strecke die Wasserlinie lang runter – dass pack ich“, antwortete Gasmi felsenfest überzeugt.
    „Oh nein, das wirst Du nicht! Vergiss das mal ganz schnell wieder!“, schnauzte Urako.


    „Wartet, nicht streiten. Überlegen wir logisch“, sagte Pavo.
    „Der wieder mit seiner Logik… wegen dem sind wir hier. Vermutlich auch wegen seiner Logik“, murmelte Anwolf.


    „Sei leise Wolfi. Der Vorschlag könnte klappen. Könnte wohlgemerkt. Also mach keinen auf dicke Hose Gasmi. Ich will Dich nicht als nächstes Appetithäppchen im Rachen von so einem Kroko verschwinden sehen. Wie schnell kannst Du rennen? Wie trainiert bist Du?“, fragte Pavo ernst.


    „Auf gerader, freier Strecke? Schneller als jeder Mensch, natürlich nur wenn ich mich nicht auf die Fresse lege“, sagte Gasmi fröhlich.
    „Was???!!!??? Verarscht Du uns jetzt oder was? Das ist jetzt echt ein schlechter Zeitpunkt für Witze! Ich werde nicht zulassen dass Du Dich in Gefahr bringst“, schnauzte Urako.


    „Puschel!“, setzte Gasmi an.
    „Nix Puschel!“, gab Urako zurück.


    „Das ist kein Scherz“, warf Aino ein.
    Urako guckte von Aino zu Gasmi und dann fragend zu Pavo. Dieser zuckte nur mit den Schultern. Urako nickte knapp und wischte sich übers Gesicht.


    „Nein, das erlaube ich nicht“, hielt Urako dagegen.
    „Wenn es Fakt ist machen wir es so. Wenn nicht… sags jetzt“, forderte Anwolf zum letzten Mal Vernunft von Gasmi, da er ihm nicht so ganz glaubte.


    Gasmi machte eine wegwerfende Handbewegung und ging zu der Stelle wo gerade der andere Tier ins Meer gezerrt worden war. Er lief bis zur Wasserlinie und planschte mit einem Fuß laut im Wasser herum.


    Die gewaltigen schwarzen Schatten die eben noch in seltsamen verschlungenen Mustern im Meer patrolliert hatten, drehten bei und schossen in seine Richtung. Gasmi schirmte die Augen mit der Hand ab und schaute aufs Meer.


    „Scheiße, dass hab ich vergessen – er sieht schlecht bei Helligkeit“, knurrte Aino.
    „Er rennt wie ein Windhund und sieht wie ein Maulwurf?“, fragte Wolfi ungläubig.


    „So gut wie ein Maulwurf sieht er bei Tag nicht“, antwortete Seddik ihm und starrte aufs Meer. Aus dem Augenwinkel sah Urako den Körperschatten eines Meeresungeheuers, das sich seitlich auf Gasmi zubewegte. Als die Schatten fast seinen Mann erreichten hatten brüllte er ohrenbetäubend auf…


    „ GASMI - LAUF!!!“


    Gas verschwendete keine Sekunde, machte auf dem Absatz kehrt und rannte los.
    Die schwarzen Schatten flankierten seinen Lauf, sofort zuzuschlagen sobald sich eine Möglichkeit bot.


    Der Düsterling schaute kurz über die Schulter und musterte sie, gegen das Licht konnte er sie im Auge behalten.


    „Scheiße, dieser verdammte Kerl! Er ist zu langsam sie sind auf gleicher Höhe mit ihm. Dein Mann ist wahnsinnig! Urako…“, warf Seddik ein, als Gasmi „KOMMT!“, brüllte und richtig lossprintete.


    Die Gruppe schaute Gas verblüfft hinterher, schneller hatte von ihnen noch niemand eine Person rennen sehen. Er sprintete dass wohl selbst ein Windhund Mühe gehabt hätte Schritt zu halten.


    Über ein Gewirr aus Treibholz machte er einen großen Satz und war fast aus ihrem Blickfeld hinter der nächsten Strandbiegung verschwunden.


    „Heilige Scheiße! Was nimmt der? Und habt Ihr nochwas davon?“, fragte Wolfi baff.


    „Er ist sein Gemüse auf“, sagte Seddik trocken und rannte Gasmi nach.
    „Los los los“, rief Aino und schloss mit den anderen zu Seddik auf.


    Die Gruppe rannte wie besessen dem Düsterling hinterher, stürzte regelrecht den Strand lang runter. Sie rannten so schnell, dass ihre Füße den Sand aufpeitschten. Eine Sandwolke wirbelte in ihre Gesichter und brannte beim Rennen in ihren Augen.


    Ein Kopf der mehr als einen Meter maß, erschien fauchend aus dem Wellenkamm. Danach folgten Hals und Schultern. Seddik und Urako stießen gleichzeitig einen Warnruf aus. Das Wesen beobachtete sie kurz, aber so wie die Gruppe rannte lohnte sich kein Angriff. Während es zurück in die Fluten sank, sprintete die Gruppe in den schützenden Wald.


    ****


    Besorgt um seine Schäfchen aber auch hochinteressiert hatte er die Standszenerie beobachtet. Was für eine gewaltige und atemberaubende Wasserkreatur. So ein Wesen hatte er zuvor noch nicht gesehen.


    Er würde es berühren und wenn sich ihm die Möglichkeit bot, würde er es verletzten oder töten. Damit es ihm gehörte. Soviel stand fest.


    Die anderen waren schon längst aus dem Blickfeld verschwunden, da ging er selbst vorsichtig zum Strand hinunter. Mit dem Peitschenfaden spielte er im Wasser und bewegte ihn wie einen Köder.


    Lange musste er nicht warten. Er war für die Wasserkreatur nicht riesig, im Gegenteil, er war klein – also eigentlich kein lohnender Happen. Die Kreatur schoss unter Wasser heran und durchbrach den Wellenkamm.


    Mit einem Grinsen auf dem Gesicht und einer peitschenden Bewegung zog er ihr die magische Peitsche brutal über das Kreuz, verharrte für einen Sekundenbruchteil und stürmte dann den Strand entlang davon. Nur minimal langsamer als Gasmi zuvor.


    Dem Seekrokodil war die Lust auf die Jagd vergangen.


    Heute waren nur seltsame Beutetiere unterwegs. Kleine seltsame Wesen die wie verrückt den Strand hinauf und hinab rannten und nun wurde es auch noch von einem gelben Biest geschlagen. Es verzog sich in tiefere Gewässer und versuchte sein Jagdglück dort.

    ****


    Aino keuchte erschöpft auf. Ihr Gegner hatte ihr nichts entgegenzusetzen und lag tot auf dem Boden. Aino tat, was getan werden musste. Seltsame Laute aus dem Dschungel drangen an ihre Ohren. Ruckartig drehte sich Aino um und starrte in die Richtung, aus welcher die Geräusche kamen.


    Irgendwer begab sich schnellen Schrittes durch den Wald, direkt auf sie zu.


    `Was ist das nun schon wieder? Besser nichts riskieren. Wer weiß wie der nächste Kampf ausgeht´, schoss es Aino durch den Kopf.


    Aino zog ihre Armbrust und stellte sich kampfbereit dem Geräusch entgegen. Wer oder was da auch aus dem Dschungel treten würde, Aino würde es mit gezückter Waffe empfangen.


    Die anderen hatten dem kurzen aber harten Intermezzo stillschweigend zugesehen. Aino hatten die Lage sofort im Griff gehabt und die Feinde teilweise in die Flucht geschlagen oder getötet.


    Sie mussten nicht helfend eingreifen oder Verletzte versorgen. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass es in ihr brodelte. Sie mussten wirklich einen dieser Typen lebend fangen, dachte die Almanin.


    Urako hatte einen der verletzten Piraten aus dem Gebüsch geangelt um ihn zu verhören.


    „Ich hab einen Lebenden der Burschen. Kommt her“, rief der Tiefling seinen Leuten zu.


    Während die anderen Gruppenmitglieder sich um die beiden versammelten, band Urako den Piraten sitzend an einem Baumstamm fest.


    „Jetzt verhören wir die Kröte. Wir müssen ihn zum reden bringen. Seid schön kreativ aber leg ihn nicht um. Wir müssen wissen wo die Tempelanlage ist und wo ihr Hauptquartier ist,“ erläuterte Pavo.


    „Na dann wollen wir mal“, sagte Anwolf.
    Er stellte sich vor den Piraten und wiederholte die Frage.


    „Wo ist der Tempel? Wo ist Euer Hauptquartier? REDE!“, befahl er schneidend.
    Der Pirat lachte nur und spukte ihnen vor die Füße.


    „Der will nicht“, sagte Gasmi freundlich.


    Wolfi ging auf den Burschen langsam zu und zückte seinen Dolch. Dann hockte er sich von den Gefangenen hin. Dieser wand sich um aus Anwolfs Umfeld zu kommen. Freundlich grinste er den Piraten an.


    „Du solltest uns antworten“, flötete Wolfi und tippte mit der Dolchspitze dem Piraten knapp unters Auge. Der Pirat begann zu zittern. Er hatte gesehen wozu die Bande fähig war.


    Anwolfs Miene nahm einen eiskalten Ausdruck an.


    „Rede“, zischte er.
    Er packte das Gesicht des Piraten so fest er konnte und bohrte ihm die Mittelfinger in die Augen. Danach schlug er ihm den Knauf des Dolches brutal ins Gesicht. Sein Opfer kreischte und zappelte wie wild. Bis sein Peiniger von ihm abließ.


    Anwolf wiederholte das Spiel von Frage und Schlag so oft, bis der Pirat endlich mit der Sprache herausrückte.


    „Wer hat den Höllenknirps erzogen?“, flüsterte Seddik Urako zu.
    „Vermutlich seine Eltern“, antwortete Urako.
    „Nettes Kind“, grinste Gasmi.


    Pavo, Aino schaute mit Genugtuung zu, wie Wolfis Überzeugungsarbeit gewirkt hatte. Der Knirps war wirklich ein harter Hund.


    Aber nicht immer leicht zu führen. Befehle stießen bei der Ulknudel schnell auf taube Ohren. Selbstbeherrschung war das oberste Ziel. Daran musste Anwolf noch einige Zeit hart arbeiten.


    Nun galt es erstmals die erhaltenen Informationen zu überprüfen. Und, sollten die Angaben korrekt sein, ihre Aufgabe zu erfüllen.


    ****


    Der Pirat hatte nicht nur die Gruppe, sondern auch ihn widererwartend informiert. Unauffällig hatte er in ihrer Nähe gesessen und dem Verhör beigewohnt und zugehört. Zu erkennen war er für andere Augen nicht.


    Die Gruppe zog weiter, also auch er. Hätte ein Gruppenmitglied sich in der Umgebung genauer umgesehen wäre ihm vielleicht der kleine schwarze Schatten aufgefallen der ganz in ihrer Nähe auf einem Ast saß und sie aufmerksam musterte. Geradezu widernatürlich anstarrte ohne jede Scheu.


    Dann nahm der schwarz Vermummte wieder die Verfolgung der Gruppe auf.

    ****


    „JEEL!!!“, stieß sie warnend aus und nickte Richtung Gruppe. Die Typen waren zurückgekehrt und versuchten sie nun einzukreisen. Warteten auf der einen Seite halb ausgefächert am Ufer, keiner wollte sich in die Gefahrenzone des Schlamms begeben.


    Jeelen sicherte kurz über die Schulter, ergriff Lydia und sprang mit mehreren gewaltigen Sätzen aus der Schlammzone heraus und rannte wie besessen auf der anderen Seite ins Unterholz. Er rannte noch ein gewaltiges Stück in den Wald, ehe er stehen blieb und Lydia vorsichtig losließ. Sollten die Gruppe erst mal über die Schlammbarriere kommen, dachte er und lief weiter.


    Gerade noch das Glück auf ihrer Seite, wandte sich das Blatt.
    Mit einem Klatschen landete Jeelen im Morast zwischen den Luftwurzeln der Bäume. Er hatte die Fläche für Boden gehalten, aber verfluchte Wasserlinsen hatten ihn getäuscht.


    Jeelen ruderte wie wild mit den Armen, bekam einige der Wurzeln zu fassen und hielt sich an ihnen fest. Er reckte den Kopf so weit nach oben aus dem zähen Morast wie er konnte und brüllte nach Lydia.


    Er zog sich mit aller Kraft die er hatte hoch, so gelang es ihm den Kopf ganz aus dem Morast zu heben. Aber der Sog war stark und er war mit Wucht in den Matsch hineingefallen.


    Lydia hatte das Schauspiel mit Verzweiflung beobachtet und eilte Jeelen zur Hilfe. Dort angekommen kletterte sie so weit hinab wie sie konnte. Hielt sich mit den Beinen an den Wurzeln fest und versuchte so Jeelen mit den Armen zu packen und herauszuziehen. Aber seine Haut war vom Schlamm so glitschig dass sie ihn nicht packen konnte.


    So langsam bekam Jeelen Panik wand sich hin und her und schlug um sich. Er zerteilte damit lediglich den Schlamm, wühlte ihn auf. Was ihn mehr einsinken ließ.


    Durch seine wütenden, ruckartigen Bewegungen renkte er sich die Hüfte aus und zischte grollend auf, was ihn noch weiter runter sinken ließ. Der verzweifelte Kampf erschöpfte ihn und er konnte kaum noch seinen Kopf aus dem erstickenden Schlamm heben.


    Er knurrte geradezu mitleiderregend auf, und bemühte sich den Morast unter seinem Kopf wegzuschaufeln. Hoffnungslos. Seine scharfen Krallen zerteilten lediglich den Schlamm ohne ihn wegzuschaffen, im Gegenteil er verflüssigte die Brühe noch mehr.


    Nichts funktionierte!
    Keine Erfahrung die ihm weiterhalf.
    Kein Element aus seinem gewaltigen Instinktrepertoire.
    Lydia brüllte auf ihn ein und riss ihn so aus seiner Panik.


    „Du triffst mich noch! Hör auf zu zappeln Du Trottel – bleib ruhig!“, brüllte Lydia ihn an und verpasste Jeelen eine schallende Ohrfeige.
    „Aufhören!!!“, brüllte sie ohrenbetäubend.


    „So kann ich Dich nicht packen. Du bist zu glitschig. Ich weiß eine Möglichkeit Jeelen, aber bleib ruhig und es ziemlich gefährlich. Ist aber unsere einzige Chance. Vertrau mir“, sagte sie und strich Jeelen übers Gesicht um ihn wenigstens dort vom Schlamm zu befreien.


    „Was hast Du vor?“, fragte er besorgt.
    „Wickele Dir irgendwie Deinen Gürtel um und ich zieh Dich raus. Du musst mithelfen. Zieh Dich an den Wurzeln hoch. Anders geht es nicht“, sagte sie bestimmt.
    „Nein Du verletzt Dich! Bist Du irre?“, fauchte Jeelen.


    Lydia schnallte ihren Gürtel ab und hielt ihn Jeelen vor die Nase.
    „BEWEG DICH JEELEN!!!“, bellte die kleine Frau ihn an.


    Lydia wickelte ein Ende um Jeelens Hand, zurrte ihren Gürtel so fest sie konnte und machte eine Schlaufe um ihre Hände. Sie stemmte ihre Beine mit aller Kraft gegen die Wurzeln und zog. Jeelen brüllte vor Schmerz auf, da er mit den Beinen tief im Morast steckte und in seiner Hüfte der Schmerz explodierte.


    Er zog sich aber selbst ebenfalls mit aller Macht an den Wurzeln hoch. Es klappte! Nach mehreren Anläufen war er endlich wieder frei. Total verdreckt und geschafft lag er neben Lydia auf dem Wurzelgewirr. Sie sah nicht besser aus, und fühlte sich auch nicht besser als Jeelen.


    Nach einigen Minuten der Erholung stupste er Lydia sanft an.
    „Danke Rotschopf“, sagte er verlegen.
    „Schon gut, nicht dafür Grüner. Lass uns endlich weiter gehen. Es wird schon dunkel. Und in der Nacht möchte ich hier nicht rumklettern. Wir brauchen einen Unterschlupf“, sagte Lydia freundlich, stand auf und reichte ihm eine Hand.


    Jeelen ergriff sie und zog sich mit ihrer Hilfe ächzend hoch.


    „Ich hielt das Grünfutter für Boden“, sagte Jeelen etwas betreten.
    „Ich auch“, sagte Lydia und strich ihm über den Arm. „Na komm“, sagte sie aufmunternd.


    Jeelen und Lydia machten sich gemeinsam auf den Weg. Als sie die Wurzeln im Mangrovenbereich und den Fluss hinter sich gelassen hatten, bewegten sie sich im Laufschritt durch den Dschungel um schneller voran zu kommen.


    Jeelen musste gewaltig die Zähne zusammenbeißen. Seine Hüfte wurde nicht besser. Im Gegenteil sie fühlte sich heiß und steif an. Lange würde er nicht mehr laufen können.


    Am späten Abend kamen beide auf trockenes Terrain.


    „Langsam jetzt, ich kann nicht mehr. Hier muss es was geben“, sagte er und blinzelte sie zuversichtlich an, obwohl er klatschnass geschwitzt und abgekämpft war. Lydia strich ihm besorgt über das Gesicht.


    „Du siehst schlimm aus Grüner. Eine trockene Höhle wäre gut. Wir brauchen morgen Wasser Schatz“, sagte Lydia besorgt und schüttelte ihre leeren Feldflaschen.
    „Ich kümmere mich drum“, sagte Jeelen und reichte ihr seine Falsche.
    „Nein, für Dich. Trink es aus und teile es nicht noch mit mir“, bat sie.


    „In Ordnung“, nickte er knapp und setzte sich unter einen der gewaltigen Bäume. Dort trank er in aller Ruhe dass Wasser, ließ aber trotzdem noch einen Schluck für Lydia drin.
    „Nimm jetzt oder ich schütte es weg“, sagte er.


    „Danke“, antwortete sie nahm den letzten Schluck und zog ihn dann in eine liegende Position. Diesmal schlief er mit seinem Kopf auf ihrem Schoß und sie hielt mit der Waffe im Anschlag Wache.


    Er hatte über Nacht Fieber bekommen. Das war schlecht… sehr schlecht sogar. Lydia wusste dass es Jeelen extrem mies gehen musste. Vielleicht könnte sie hier ein Nest bauen, einen Lagerplatz.


    `Hier kann ich ihn gut bewachen und zur Not beschützen´, dachte sie. Sie zerrte Jeelen zu einem Baum, unter dem sich ein Haufen abgefallener Zweige und Blätter als fertiges Lager anbot.


    Jeelen öffnete die Augen und sah sie an. Lydia war verwirrt, denn der Blick wirkte jetzt ruhig, stet und zeigt nicht mehr jene wahnsinnige Energie, an die sie gewöhnt war.


    Sie bewegte sein linkes Bein, er rührte sich weiterhin nicht. Sie glaubte zuversichtlich dass er schon am nächsten Tag wieder richtig laufen konnte, wenn nur sein Fieber sank. Vielleicht konnten sie sogar etwas erjagen. Lydia machte sich daran Jeelen vorsichtig weiter zu untersuchen. Die rechte Körperhälfte, beide Arme und sein Rumpf waren soweit unversehrt geblieben.


    Wie sie es von Gasmi einst gelernt hatte, suchte sie die Umgebung in kurzen Abständen immer nach Gefahren ab. Hier suchte sie das Tal mit den Augen nach möglichen Gefahrenquellen ab, konnte aber nichts erkennen. Sie schaute den Hang hinauf und schnüffelte – alles Sonderbare musste man Gasmis Meinung nach ergründen, aber in der Luft hing nur der Geruch nach verfaulenden Blättern der sich langsam verflüchtigte.


    Ihr Blick fiel wieder auf Jeelen. Sie wägt das Bedürfnis ab, sein verletztes Bein und seine ausgerenkte Hüfte zu pflegen gegen die Notwendigkeit ab, Nahrung und zwar am besten Fleisch für Jeelen zu besorgen. Jeelen hatte die Augen wieder geschlossen und war in einen ruhigen Schlaf gefallen. Lydia legt sich schützend und wärmend neben ihn.


    Jeelen hatte sich über Nacht nicht von der Stelle gerührt und schaute sie nun mit einem eigenartigen Blick an. Sein Gesichtsausdruck verwirrte Lydia zu tiefst. Die Pupillen waren geweitet, die Augen verrieten keinen Schmerz mehr.


    `Verdammt ich schaffe das nicht allein´ dachte die Zwergin verzweifelt.


    Sie zog los, nicht ohne ihn mit allem zuzudecken was sie an Kleidung und Decken in ihrem Gepäck finden konnte. Lydia ging eine Weile und fand dann eine kleine Lichtung mit Moosbeeren. Diese waren nicht nur äußerst nahrhaft, sie beschleunigten auch die Wundheilung. Lydia sammelte so viele wie möglich ein und stopfte sie in eine behelfsmäßige Tasche die sie aus ihrem Shirt geknotet hatte.


    Lydia war froh als sie zu dem provisorischen Lager mit etwas Nahrung zurückkehrte. Sie war bester Laune. Sie kniete sich vor Jeelen und legte ihm die gesammelten Beeren direkt hin.


    Einen Moment schaute er ihre Beeren-Ausbeute an, nahm eine winzige Portion davon, schluckte die Beeren mühsam herunter und schloss erneut die Augen. Lydia streichelte ihn behutsam. In ihr wuchs das Gefühl, es könnte doch noch alles gut werden.


    Die Typen die sie verfolgten waren Opportunisten. Die Gruppe hatte bemerkt, dass mit den beiden etwas nicht stimmte. Eine Einheit hätte sie niemals so nah herankommen lassen ohne anzugreifen. Sie hatten Jeelens Hinken bemerkt und da waren die beiden nun.


    Jeelen stand in Zeitlupe auf, jede Bewegung darauf ausgerichtet groß und gefährlich zu wirken. Auch Lydia nahm eine bedrohliche Haltung ein. Die Gruppe blieb stehen. Zwei Kerle traten den Rückzug an, doch der Anführer wich nicht vom Fleck.


    Ein heißer Schmerz durchfuhr Jeelens Hüfte und schoss sein Bein hinab. Es gab unter ihm nach, und er konnte sich gerade noch mit dem Arm abstützen, um nicht zu fallen. Die Bastarde hoben alle gleichzeitig die Köpfe, starrten die beiden an und rücken geschlossen vor.
    Lydia schrie Jeelen an, auf die Füße zu kommen und starrte dabei von der Gruppe zu ihrem Freund. Die Typen wurden langsamer, weiteten ihre Halbkreisformation aus und legten erneut an Tempo zu. Vielleicht noch 5 - 6 Meter entfernt von den beiden blieben sie stehen.


    Jeelen wusste dass er etwas unternehmen musste, bevor man ihnen den Fluchtweg abschneiden würde. Er biss die Zähne zusammen, beugte die Knie und machte einen energischen Schritt nach vorne. Die Typen rannten ein Stück zurück und flohen unter den Schutz der Bäume.


    Sie beobachteten den Goblin, dann rückten Sie erneut vor – Jeelen ebenfalls.
    Die Gruppe zog sich erneut zurück, aber nicht mehr so weit wie beim ersten Mal.


    Die Gegner waren nicht dumm. Jeelen wusste sie stellten ihn gerade nur auf die Probe wie groß seine Verletzungen wirklich waren. Die Tatsache dass er gehandikapt war, machte ihnen Mut an ihre Beute Lydia zukommen. Was die Schmierlappen vorhatten konnte er sich denken. Würde er versagen… nicht auszudenken.


    Er konnte es sich für Lydia nicht erlauben zu versagen.


    Die Gruppe näherte sich erneut mit hocherhobenen Köpfen und gezückten Messern.
    Ihre Augen waren auf Lydia gerichtet. Die Zwergin stand nur reglos da.


    Der Anführer der Gang vollführte einen Sprung und landete kurz vor Lydia.
    Ein weiterer Brocken kam angesprintet. Er schwang sein Messer vor und zurück um Jeelen zu einer Handlung zu provozieren und ihn so bewerten zu können. Zwei weitere Kerle rückten von der anderen Seite her auf sie zu.


    Jeelen war wütend und verwirrt. Er konnte mit seinen Verletzungen ihren Stützpunkt nicht an allen Seiten verteidigen. Zwar war er das was man einen Assassinnen nannte, aber verwundet war auch er mit so einer Situation überfordert.


    Gerade als der Brocken nach Lydia grabschen wollte, entfesselte diese ihren ganzen Zorn, brüllte mit grollender Stimme und machte kurze Angriffsschritte auf den Kerl zu. Die zwei anderen Kerle sprangen schnell zurück, der Brocken zuckte nur zusammen – ließ dafür aber Jeelen einen Moment aus den Augen.


    Dieser Augenblick reichte aus, ihm den Bewegungsspielraum für seine Klinge zu verschaffen. Sein Klingen-Arm schoss hervor und pfählte den Brocken. Die Klinge durchbrach dessen Brustkorb und drang tief darin ein, ehe Jeelen mit Gewalt nochmal zustieß und die Klinge weiter in den Feind trieb und diese um 180Grad herum riss.


    Der Typ spürte nur noch wie er in der Mitte zerfetzt wurde. Sein zerstörter Körper klatschte auf den Waldboden und Jeelen kickte ihn unter die Bäume zu den wartenden, entsetzten Kollegen des Brechers.


    Voller Ekel und Abscheu spritzte die Gruppe geradezu auseinander, ehe sie sich wieder sammelten und hasserfüllt zu Jeelen und Lydia rüber starrt.


    Jeelen betrachtete die Verwirrung, die er mit der Kickaktion unter ihnen ausgelöst hatte. Allerdings hatte er mehr damit zu kämpfen die Tatsache zu verbergen, dass sein Körper durch den Angriff und den Tritt völlig matt gesetzt war.


    Die ganze linke Seite war vom Schmerz, der sich vom Fußknöchel bis zur Hüfte zog, fast wie gelähmt. Jetzt konnte er weder sich noch seine Frau verteidigen. Das Fieber tat sein übriges. Jeelen war fertig, abgekämpft und am Ende seiner Kräfte.


    `Naja vielleicht war das auch nicht mehr nötig nach dieser Aktion und die Pisser hat der Mut verlassen´, schoss es Jeelen durch den Kopf.


    Und tatsächlich führte die Gruppe nach einer längeren Pause einen ungeordneten Rückzug hinter die Baumgrenze durch. Urplötzlich zerriss ein Schrei die Stille und Jeelen fuhr erschrocken zusammen.


    Lydia hüpfte zu Jeelen herüber und stieß dabei ein triumphierendes Geheul aus. Jeelen freute sich zwar auch trotz der Schmerzen, aber schüttelte über den Unfug nur den Kopf. Er schleppte sich zu dem improvisierten Lager zurück und ließ sich hineinfallen.


    Sein Waffenarm pochte fürchterlich, aber er nahm es kaum wahr. Er spürte nur eine absolute Kraftlosigkeit, eine große Leere. Er hatte die Schnauze voll.


    Zum ersten Mal im Leben fehlte ihm der innere Antrieb, die Motivation sich über seine Lage klarzuwerden und dann zu kämpfen. Er fühlte sich einfach nur müde, allein und nutzlos. Wie sollte er es allein schaffen seine Kleine zu beschützen? Miesgelaunt ließ er sich zu Boden sinken.


    Lydia kroch neben ihn und gurrte eine fröhliche Begrüßung.
    Am liebsten hätte er sie für ihren Unfug zurechtgestutzt. Aber als er sie so ansah musste er ebenfalls schmunzeln. Er schaute sich kurz um.


    Seine Muskeln zuckten krampfartig von der Überanstrengung zusammen. Derartiges Zittern führte innerhalb einer Stunde zur völligen Erschöpfung bei einem ausgehungerten Körper. Dann waren die Reserven des Körperhaushalts verbraucht und er würde erfrieren. Er wusste darum, aber er verschwieg es.


    Lydia starrte Jeelen an, sie schmiegte sich eng an seinen Körper. Auch wenn sie klein war, so würde ihre Wärme ihn ein paar Minuten länger warm halten.


    Jeelen war es im Moment egal, die Kälte betäubte seine Schmerzen und allmählich verschwand auch aus den anderen Gliedmaßen die Empfindung. Ein dumpfes, drückendes Gefühl des Versagens hüllte ihn ein.


    Er betrachtete extrem selten sein Leben im Rückblick, doch tief in seinem Unterbewusstsein wusste er dass er die große Aufgabe die er sich selber gestellt hatte nicht erfüllt hatte. Er hasste sich abgrundtief für sein Versagen.


    Er wusste dass sie allein keine Überlebenschancen in dieser gefährlichen Gegend hatten. Nicht in seinem Zustand. Jeelen hatte Kopfschmerzen. Seine Ohren taten ihm weh vom abgesackten Kreislauf, auch das Atmen schmerzte mittlerweile. Er schloss die Augen. Aber er konnte noch riechen.


    Es roch nach Kiefernnadeln, Laub… und nach stinkenden, ungewaschenen, verschwitzten Kerlen… Die Gruppe kam zurück…


    Jeelen konnte die verstreichende Zeit nicht mehr einschätzen.
    Eine Stunde?
    Ein halber Tag?


    Er hatte keine Vorstellung davon, wie lange er im Nest gelegen hatte. Es war jetzt Nacht, der Sichelmond warf sein schwaches Licht auf die Erde….


    Neben sich ganz eng an ihn gekuschelt lag Lydia. Sie hatte die Beine so eng wie möglich an den Körper gezogen, um den Wärmeverlust auf ein Minimum zu beschränken. Er rutschte etwas herunter, drückte seinen Körper gegen ihren um ihr das letzte bisschen Wärme zu geben dass er hatte…


    Sein Verstand war umwölkt. Er schloss fest die Augen, sah im Geist aber klare, leuchtende, Bilder die aufeinanderfolgten.


    …Ein tödlich verletzter Feind. Der massige Körper neigt sich und fällt schwer auf Lydia. Er versucht sie zu warnen, er brüllt so laut er kann, aber im Traum gibt es keine Laute…


    …Gerüche steigen auf und verwehren. Der Duft von warmen, gebratenen Fleisch Zuhause bei den Geistern in der Küche.
    Der Duft von Lydias Haaren - mehr als erfreulich.
    Noch besser ist der Duft von Lydias und seinem Quartier.
    Ihre gemeinsame Höhle. Es riecht nach ihr, nach Waffen und ihren Pflegemitteln, nach zig seltsamen Duftkerzen seiner kleinen Frau – Zuhause…


    Der angenehme Traum wurde durch den Gestank von ungewaschenen Männerkörpern zerstört. Er knurrte auf. Ob Traum oder Wirklichkeit, er wusste es nicht. Jeelen versuchte die Augen zu öffnen, doch um ihn herum war nur schwarze Kälte.


    Er hob den Kopf und zwang sich die Lider zu öffnen.
    Der Hass riss ihn letztendlich zurück in die Wirklichkeit.


    Er konnte sie sehen. Einst zwanzig an der Zahl – jetzt deutlich dezimiert. Ihre Gesichter leuchteten im Mondlicht und sie zeigten keinerlei Angst. Die Gruppe schlenderte im weiten Bogen um das Nest herum. Untersuchten ihre Sachen und machten es sich gemütlich.


    Jeelen versuchte sein Kampfmesser zu ziehen und die Waffenhand zu bewegen, aber die Feinde ignorierten ihn und seine schwache Drohung. In ihren Augen war er so gut wie tot.


    Einige der Typen stritten sich um die Überreste der Beerenmahlzeit und veranstalteten ein Tauziehen um die kleine Stofftasche in denen sie aufbewahrt waren.


    Jeelen konnte die Augen nicht offen halten, so sehr er sich anstrengte er hatte keine Kraft mehr. Er hasste ihren Gestank, ein Gestank der alles andere überlagerte und ihn zum würgen brachte.


    Die Kälte zog von seinen Beinen hoch in den Körper. Er begrüßt das Gefühl der Taubheit. Dort wo er lag war er dem Wind ausgesetzt und jede Windböe trieb die Taubheit weiter hinauf. Ein vages aber tiefsitzendes Gefühl der Resignation überwältigte seinen Geist.


    Eine Reihe niemals ausgesprochener Wünsche und Gedanken tanzen durch seinen Kopf. Er wurde immer ruhiger.


    `Egal. Es ist jetzt alles egal. Ich kann nichts mehr tun… ich will nur noch, dass es vorbei ist´.


    Er war gefangen in einem physischen und psychischen Schockzustand der seine körperliche Reaktion lähmte – die endgültige Hinnahme seines Versagens hatte dies ausgelöst.


    Er hatte versagt. Wie immer nur versagt.
    Er hatte versagt seine Familie zu schützen, seine Frau Lydia…
    Auf Versagen stand der Tod… und hier war er… ungewaschen, stinkend und in der Überzahl…


    Einer der Kerle stach ihn mit einem Messer.
    Die Spitze der Klinge bohrte sich in seine Haut.
    Eine winzige Schmerzbotschaft wanderte in sein Hirn.
    Er wachte auf, wurde etwas klarer und starrte den Typen an.


    Der junge Bursche starrt kurz zurück und beschloss dass Jeelen keine Gefahr darstellt.
    Er blieb stehen, näherte sich Jeelens Beinen und trat ihn gegen den Wadenmuskel.
    Plötzlich wurde er kühn und wagte sich das Messer in der Hand von Jeel zu untersuchen – die Waffe, die zu Bestzeiten Dutzende von anderen Leuten erlegt und abgestochen hatte.


    Jeelens Hirn meldete sich zurück und wurde noch wachsamer.


    Die Neugier schien den Typen zu überwältigen. Dann fiel sein gierig-geiler Blick auf Lydia.


    Er gab einen undefinierbaren Laut von sich, packt Lydia um den Hals, rieb sich an ihr und zuckt heftig. Er war so damit beschäftigt, sich mit der Frau vergnügen zu wollen, dass er nicht bemerkte wie Jeelen seinen Schädel hob, sich mit den Armen lautlos hochstemmt und ihn fixiert.


    Jeelens Körper schrie auf vor Schmerz. Er ignorierte es. Etwas Irrationales hat von ihm Besitz ergriffen. In seinem Hirn herrschte roter Alarmzustand. Mühsam stemmte er sich ganz hoch in eine aufrechte Position.


    Die Gruppe bemerkte die Bewegung. Von Angst überwältigt wich der kleine Wixxer zurück. Seine Augen waren auf Jeelen gerichtet, dabei verlagerte er sein Gewicht von einem Bein auf das andere vor Unbehagen.


    Jeelen taumelte in seine Richtung vorwärts. Soweit er konnte hob er die Waffe. Die Gruppe verfolgt seine Bewegungen aus sicherer Entfernung, außerhalb der Reichweiter der immer noch tödlich gefährlichen Stichwaffe.


    Die Gruppe wartete ab. Sie waren gewöhnt abzuwarten und zu bekommen was sie wollten. Diese Penner waren Experten wenn es ums Warten ging. In den letzten Minuten hatte er nur instinktiv gehandelt, aber nun war er wieder da.


    Er wusste, dass ihre Peiniger sie so nicht erreichen konnten, aber er wollte dennoch Lydia so lang wie möglich vor den Typen schützen. Er beschloss die letzte Waffe einzusetzen die man zog wenn nichts mehr funktionierte – Show.


    Er brüllte einen Kampfschrei so laut er konnte. Lauter als er je einen Drohlaut hervorgebracht hatte. Die kalte Luft dröhnte und rüttelte Nadeln von den Kiefernzweigen.


    Die Gruppe duckte sich schlagartig und wich ein kleines Stück zurück.


    Sie ließen sich zwar nicht täuschen, aber eines war jetzt geklärt. Keiner würde vorrücken. Sie wussten, der Irre würde mit letzter Kraft so viele von ihnen mit in den Tod reißen um die Frau zu schützen.


    Jeelen wusste, dass die Typen sich jetzt erst nähern würden wenn er wirklich tot war. Die Ungewissheit vielleicht doch noch von ihm aufgespießt zu werden wollte keiner eingehen. Das war seine Absicht. Er gab sich damit zufrieden, Lydia so lange zu schützen, wie noch Leben in ihm steckte.


    Erneut knurrte er wütend die Gruppe an, welche erneut zusammenzuckte.
    Die Klippe gegenüber warf ein Echo zurück.


    `Echo?´ schoss es Jeelen durch den Schädel.


    Ein weiteres Echo aus der anderen Gegenrichtung. Die Gruppe drehte sich um, zog sich aber dummerweise nicht zurück. Kein Echo, erneute Drohungen.
    Gebrüllte Drohungen aus verschiedenen Richtungen. Die Kerle schauen sich verunsichert um.


    Auch Jeelen stutzt. Er brüllt erneut. Jetzt in einer seltsamen Mischung aus Drohung und Gruß.


    Seine Botschaft wurde sofort beantwortet vom oberen Rande des Abhangs. Eine weibliche Stimme… die Stimme von Aino - seinem Boss!


    Die Gruppe der Halsabschneider starrte nach oben, schaut zu Aino, Pavo, Seddik, Urako, Gasmi und Anwolf auf.


    „Ja guckt nur ihr Wixxer. Das ist Euer Ende. Mich habt ihr am Arsch gekriegt, aber meinen Boss und meine Gefährten werden Euch zerfetzten“, giftete Jeelen heiser.


    Die Gruppe war mehr als nur nervös. Zwei große Kanten waren in der Truppe. Ein Ork und ein Tiefling. Eine Menschenfrau und ein junger Menschenmann, ein Düsterling und ein weiterer Goblin.


    Für diesen einen Goblin als Beute hatten sie schon mehrere Tage gebraucht, ehe dieser Kerl entkräftet von Angriff auf Flucht schaltete. Und nun von diesem zähen Hund – der Boss samt Truppe.


    Wer konnte ahnen über welche Macht und Fähigkeiten die Frau verfügte, wenn der Goblin vor ihr nur ein Handlanger war? Der Goblin zudem zu den Typen da oben so aufschaute und siegesgewiss giftete?


    Die Feinde oben am Abhang, ausgeruht, unverletzt und sehr sehr wütend. Die Frau davon die Anführerin der Truppe. Mit Schaudern das an Panik grenzte wurde Aino gemustert.


    Jeelen grinst zu seinen Leuten dankbar hoch und starrt dann die Gruppe herausfordernd an, er knurrte auf und schlug mit dem Messer in Richtung Gruppe als Herausforderung. Einige der Typen gaben auf und gaben sofort Fersengeld.


    Der Anführer jedoch hielt die Stellung und knirscht mit den Zähnen. Er wollte die Frau. Ewigkeiten hatte er keine Frau mehr gehabt, er war nicht bereit sie aufzugeben. Fünf seiner waagemutigen Kollegen schlossen sich ihm an.


    Aino starrte den Gruppenführer an und brüllt einen Schlachtruf. Ihre Leute antworteten und sie stimmen ein seltsames Duett an. Mit jedem Zyklus von Ruf und Gegenruf wurde das Brüllen der Geister lauter und lauter.


    Die meisten anderen der Gruppe hatten mittlerweile gemacht dass sie wegkamen. Dann Stille. Das Schlachtgebrüll hatte abrupt aufgehört.


    Jeelen mustere Aino eine Weile. Er war stolz auf seinen Boss und dankbar. Aino bog langsam die Knie und Fußgelenke, hielt für ein kurzes erwiderndes Nicken inne- und griff die sechs Leute unten an.


    Kaum unten aufgesetzt, sprangen die anderen Geister hinterher und gingen ebenfalls zum Angriff über. Der Ganganführer sprang in die Luft, wich dem zustechenden Kampfmesser von Aino geschickt aus und stürzte sich auf Pavo.


    Urako sprang direkt seitlich versetzt in die Bresche, stach zu… und traf den Kerl genau über dem Schwanzansatz.


    Ganganführer wie Puschel starrten beide zeitgleich baff auf die getroffene Stelle. Allerdings breitete sich auf dem Gesicht des Ganganführers Entsetzen aus, bei Urako ein breites Grinsen.


    Für Panik blieb dem Kerl aber keine Zeit mehr. Pavo hatte sich bereits herumgeworfen und rammte dem Typen seinen Kopf in die Eingeweide. Dieser versuchte verzweifelt nach Pavos Gesicht zu grabschen wurde aber von hinten ins Genick gegriffen und wie ein Karnickel weggezerrt.


    Seddik hatte ihn gekonnt erwischt und hob ihn am Hals hoch und schlug ihn dann mit brachialer Gewalt auf den Boden. Erneut grabsche der Ork zu, diesmal schloss er beide Hände um den Kopf des Angreifers und hämmerte dessen Schädel so lange auf die steinharte Erde bis dessen Körper erschlaffte.


    Einer der fünf Helferlein hatte sich angeschlichen und setzte zum Sprung in Urakos Kreis an.


    Gasmi drehte sich mit Schwung zu dem Kerl um, riss sein Messer heraus und pfählte ihn so im Sprung. Urako grabschte sich lachend den Typen, zerrte ihn von der Waffe herunter und schleuderte den Feind davon.


    „Und tschüss“, sagte der Tiefling.
    Urako und Gasmi grinsten sich zufrieden an.


    Jeelen wurde schwindelig. Vor seinen Augen verschwamm alles. Er ging in die Knie und umklammerte Lydia. Die Anstrengung des Kampfes hatte seine letzten Kraftreserven gefordert. Er hörte noch die Kampfgeräusche seiner Gefährten, hörte wie sie gekonnt den Rest der Truppe abschlachteten – das machte ihn glücklich.
    Dann fiel er in Schwärze.


    Die Gruppe holte die Flüchtenden ein und stellte diese zum Kampf. Aino drosch auf einen der Piraten ein und dieser wehrte sich einige Augenblicke lang überhaupt nicht, sondern kassierte einfach die Schläge. Dann erwachte der Kerl aus seiner Erstarrung und für die nächsten Augenblicke hatte Aino anderes zu tun, als auf ihre Gruppe zu achten.


    Sie spürte gleich, dass er viel stärker und geschickter war als der Pirat vor ihm. Aber der Bursche wehrte sich mit der Kraft und der Wut einer Wildkatze.


    Ainos Knie nagelte seine rechte Hand auf den Boden, so dass dieser seine Waffe nicht ziehen konnte, aber die andere Hand des Kerls schlug nach ihrem Gesicht, während er dabei wie von Sinnen mit den Beinen strampelte und Aino immer wieder die Knie in den Rücken stieß.


    Aino bäumte sich auf und versetzte dem Kerl einen brachialen Faustschlag gegen die Schläfe. Der Bursche schrie kurz auf und erschlaffte plötzlich.


    Urako sah einen Schatten auf sich zurasen, zog instinktiv den Kopf zwischen die Schultern und hob schützend die Hand vor das Gesicht. Trotzdem traf ihn der Tritt mit solcher Wucht, dass er stürzte und über den Boden rollte.


    Sein Angreifer setzte ihm sofort nach, trat erneut nach seinem Gesicht und stieß ein überraschtes Keuchen aus, als der Tiefling seinen Fuß packte und so wuchtig herumdrehte, dass er nun seinerseits das Gleichgewicht verlor. Noch im Fallen versuchte der Pirat seine Waffe zu ziehen, aber Urako ließ ihm keine Chance. Blitzschnell packte er seine Hand, verdrehte sie und brach ihm mit einem harten Ruck den Arm.
    Das Gesicht des Mannes verzerrte sich vor Schmerzen. Er krümmte sich und begann zu wimmern.


    Puschel drehte ihn grob auf den Rücken, schlug ihm die Faust unter das Kinn und hob in der gleichen Bewegung die Waffe auf, die er fallengelassen hatte. Der Kerl war bei Bewusstsein, schien aber schlagartig keine Kraft mehr zu haben. Denn als er versuchte sich aufzurichten, knickten seine Arme unter seinem Körpergewicht ein. Er fiel auf das Gesicht und schlug sich die Lippen blutig.


    „Aufstehen“, befahl Urako.


    Der Kerl stöhnte erneut, stemmte sich mühsam auf die Knie und Ellbogen hoch und sah ihn hasserfüllt an. Ein dünner Blutfaden sickerte aus seiner aufgeplatzten Lippe und zog eine rote Spur über sein Kinn.


    „Leck mich Du Arschloch“, stöhnte er.


    Urako packte mit der linken Hand sein Haar, riss den Kopf des Burschen in den Nacken und schlug ihm den Lauf der Armbrust ins Gesicht. Der Kerl schrie vor Schmerz auf, stürzte erneut zu Boden und verbarg das Gesicht zwischen den Händen.


    Anwolf überblickte die Szenerie. Alle Piraten waren tot und erledigt, bis auf den Burschen den Urako sich noch zur Brust nahm. Er sprintete zu seinem Kumpel und schloss sich ihm an.


    „Steh auf sagte ich“, wiederholte Urako.


    Dieses Mal gehorchte der Kerl sofort. Stöhnend stemmte er sich auf die Knie, blieb einen Moment reglos sitzen und stand dann vollends auf, als Puschel drohend die Hand hob. Das Gesicht des Kerls begann bereits anzuschwellen, wo ihn Urakos Schlag getroffen hatte. Aber der Ausdruck in seinen Augen war keine Furcht, sondern Hass. Ein so heftiger, ungezügelter Hass, dass Urako spontan zurück hasste.


    „Das wirst Du bereuen Du Drecksack. Ich werde Dich und Deine ganze Sippe vernichten, auslöschen und…“, geiferte er.


    Urako schlug nochmal zu. Der Pirat krümmte sich stöhnend, schlug die Hände gegen den Leib und sank ganz langsam vor Urako und Anwolf auf die Knie. Sein Gesicht wurde noch bleicher, als es ohnehin schon war.


    „Nun? Sollen wir weiter machen, oder beantwortest Du ein paar Fragen?“, hakte Urako nach.
    „Du kannst mich erschlagen wenn Du willst, aber von mir erfahrt ihr nichts“, keuchte der Kerl.


    Im gleichen Moment erscholl hinter ihnen ein schrilles, unglaublich zorniges Pfeifen und nahezu gleichzeitig keuchten Urako und Anwolf erschrocken auf und erstarrten einen Moment lang vor Schrecken.


    Ein gigantisches, schwarzes glänzendes Etwas stürzte auf sie zu, getragen von einem Doppel-Paar lächerlich dürrer Beine, weit ausgebreiteten Fangarmen und gierig geöffneten Insektenzangen. Aus dem Insektenmaul drangen pfeifende, schrille Töne, so hoch, dass es in den Ohren schmerzte.


    Einzig allein seine eigene Größe hinderte das Wesen daran, wie ein lebendes Geschoss direkt auf zu sie zuzurasen und über sie herzufallen. Es passte schlichtweg nicht durch die Bäume. Es zog und zerrte, dann endlich war es frei und sprang.


    Der Boden erzitterte, als es vor Urako und Anwolf landete. Seddik und Gasmi stürmten herbei und nutzen den Augenblick den das Wesen brauchte sich zu sammeln. Mit geballten Fäusten schlugen sie auf es ein. Aber auch das Insekt teilte aus, schlug im Fallen mit einer seiner Klauen zu. Urako kassierte einen Tritt des Insekts und taumelte ein Stück zurück.


    Für eine Sekunde hatten sie den Burschen aus den Augen gelassen, ein harter Schlag traf Urakos Handgelenk und lähmte es.


    Er schrie auf, ließ die Waffe fallen und konnte gerade noch die Hand hochreißen um zu verhindern dass der Pirat ihm mit einen Fausthieb ins Gesicht traf. Trotzdem stieß der Hieb ihn nach hinten und er verlor das Gleichgewicht. Er fiel auf die Knie und registrierte verwundert, dass der Pirat ihm nicht nachsetzte. Beinahe zu spät begriff er was das Zögern bedeutete.


    Die Insektenkreatur des Kerls griff mit schnappenden Beißzangen nach ihm. Urako reagierte im letzten Augenblick auf den Angriff des Biestes, duckte sich unter den gewaltigen Beißzangen hindurch, schlug zwei seiner vier Panzerarme beiseite und brach sich fast die Hand, als seine Faust auf den Schädel der Kreatur krachte.


    Dann fühlte er sich von fünf oder sechs unmenschlichen starken Händen gleichzeitig gepackt und zu Boden gerungen. Ein paar armlanger, rostbrauner Mandibeln schnappte vor seinem Gesicht auseinander und drängte auf seinen Hals herab.


    Das Killerinsekt führte den Angriff nie zu Ende.


    Anwolf sprang dem Wesen auf den Rücken, setzte die Repetierarmbrust auf dessen Schädel und riss den Abzug immer wieder durch. Das Brechen des Chitinpanzers klang wie zersplitterndes Glas.


    Der Pirat war auf die Knie gefallen und war dabei seine Waffe aufzuheben. Die Entfernung zwischen dem Kerl und den Zunftbruder betrug nicht einmal drei Schritte, aber Wolfi wusste, dass er es bis dahin nicht schaffen würde. Es war nicht mehr der Jugendliche der in ihm handelte, sondern seine reine Wut.


    Ohne wirklich zu denken, ließ er sich zur Seite fallen, rollte auf den verwundeten Piraten zu und über ihn hinweg. Seine Hand schoss zu seinem Dolch und riss es heraus.


    Der Kerl und er kamen im gleichen Moment auf die Knie und der Pirat feuerte im gleichen Moment seine Armbrust ab, in dem Anwolf seinen Dolch schleuderte. Es ging alles unglaublich schnell und es war entsetzlich.


    Wolfi sah keinen Blitz, er hörte nichts, spürte auch nichts und doch war es so, als jage eine unsichtbare Riesenfaust an ihm vorbei, so dicht und mit solcher ungeheuren Wucht, dass er den dazugehörigen brennenden Luftzug spürte.


    Die unsichtbare Faust traf aber nicht Anwolf, sondern dass schwerverletzte Rieseninsekt. Der Körper der halbtoten Kreatur wurde in die Höhe und herumgerissen. Gelbgrüne Flüssigkeit spritzte aus dem gebrochenen Panzer auf.


    Wolfi wandte den Blick ab und wartete darauf, dass der Pirat seine Armbrust ein erneutes Mal abfeuerte, um diesmal ihn zu töten. Aber der Pirat schoss nicht mehr. Der Pirat war tot. Wolfis Dolch hatte seine Kehle durchbohrt und ihn auf der Stelle getötet.


    Für die Dauer eines einzelnen, quälend langen Herzschlags blieb Anwolf einfach auf den Knien hocken.


    Er war trotz allem nur ein großes Kind. Er war reglos, unfähig sich zu bewegen oder irgendeinen klaren Gedanken zu fassen.


    Er hatte Zuhause den Tod in tausenden Gestalten erlebt und selbst bereits einmal den Tod in einem Auftrag ausgeführt, aber er hatte niemals ein solches Grauen verspürt, wie in diesem Moment als es ihn selbst beinahe erwischt hätte.


    Urako und Gasmi traten an Wolfi heran und umarmten ihn.


    „Hey Kleiner – Du hast mir das Leben gerettet“, sagte Urako freundlich.
    „Ohne Dich wäre mein Mann erschossen oder von dem Käfer gefressen worden. Danke Wolfi“, sagte der Düsterling ehrlichen Herzens und knuffte ihn.


    „Der hätte mich beinahe erledigt“, flüstere Anwolf tonlos.


    „So ist das Leben Kleiner. Er wollte Puschel und Dir ans Leder und dafür hat er den Preis gezahlt. Egal was er beinahe hätte, ist unwichtig. Er liegt da tot auf dem Boden und Puschel und Du Ihr lebt. Das ist alles was zählt“, sagte Gasmi.


    Aino schaute sich argwöhnisch um. Sie hatten Lydia und Jeelen zu sichern und zu versorgen und sie selbst mussten auch ihre Wunden behandeln. Aber sie hatten es geschafft. Sie hatten die Bastarde aufgerieben.


    „Sie sind alle tot. Hätten sie nicht meine Leute so heimtückisch angegriffen, wäre das alles nicht nötig gewesen. Aber sie haben ihren Tod selbst gewählt“, sagte Aino entschieden, während der Rest der Gruppe bei ihnen eintraf und sie sich alle wieder zusammenfanden.


    „Wir sind nicht hierhergekommen um anzugreifen oder sie zu töten. Sie haben uns grundlos angegriffen. Ich hätte Informationen von ihnen gewollt. Ich hätte gerne gewusst, woher sie kommen, warum sie tun was sie tun.


    Oder was sie hier überhaupt wirklich wollten. Aber das ist jetzt gleich. Ihr habt Lydia und Jeelen gerettet und diese Schweine die uns ständig auflauerten und nach dem Leben trachteten vernichtet. Was sollte mehr zählen?“, sagte Pavo.


    „Ich wollte von denen gar nichts wissen!
    Die gingen mir ständig auf die Eier, bedrohten uns, hätten beinahe Urako ermordet!


    Kapierst Du das nicht???


    Wissen, pah! Mir reicht dass Wissen, dass sie uns umbringen wollten. Das ist alles was ICH wissen muss! Ich bin froh dass sie alle tot sind! ALLE!“, brüllte Anwolf Pavo an.


    „Wolfi reg Dich ab und komm her“, bat Gasmi ruhig und wechselte kurz einen Blick mit Puschel.


    Der junge Naridier nuschelte sich etwas unverständlich in seinen kaum vorhandenen Bart und trollte sich zu dem gefallenen Piraten, den er mit seinem Dolch erledigt hatte und zog ihm die Waffe aus dem Hals.


    Anwolf starrte auf den Kerl hasserfüllt herab und trat ihn mit Wucht vor den Schädel. Erst einmal, dann zweimal, er schien nicht damit aufhören zu wollen. Pavo ging rüber, packte Anwolf am Arm und zerrte ihm von dem Kerl weg.


    „WAS?!?“, schnauzte ihn Wolfi an, „das ist alle Deine Schuld! Du wolltest hierher!“.


    Pavo verpasste Anwolf eine schallende Ohrfeige, packte ihn dann an den Armen und schüttelte ihn kurz.
    „Beruhige Dich und komm zu Dir! Hör auf damit. Das ist kein Spiel Anwolf, hast Du es begriffen ja? Ruhig jetzt. Na los komm mit“, sagte Pavo freundlich und zog Anwolf mit sich mit.


    Die Gruppe kehrte geschlossen zu Lydia und Jeelen zurück und Pavo machte sich daran die beiden Erst-zu-versorgen.


    „Wie geht es ihm?“, fragte Gasmi der sich zu Pavo gesellte. Die anderen gesellten sich ebenfalls dazu.


    „Besser. Er war kurz wach. Dass ist immer ein gutes Anzeichen. Sie hat weniger abbekommen und ist schon wieder ein bisschen auf den Beinen“, sagte Pavo freundlich.


    „Eine gute Nachricht. Wie kann ich helfen?“, fragte Urako.
    „Ich denke einige Tage ausreichend Schlaf, mit ausreichend Futter und guter Pflege und er ist wieder obenauf. Er kann einiges wegstecken, aber das war schon herbe“, sagte Pavo.


    ****


    Aino hatte neben Jeelen Platz genommen und hielt Wache. Gasmi gesellte sich zu ihr und drückte eine Wasserflasche in die Hand. Gas musterte ihren verletzten Kameraden und schüttelte ungläubig den Kopf.


    „Was ist los?“, fragte Aino leise.


    „Guck ihn Dir doch an. Total zerschlagen und fertig. Abgekämpft bis zum äußersten und müde bis auf die Knochen – eine Kampfsau, bis zum Schluss. Aber jetzt? Jetzt wo er hier liegt und versorgt ist, hat er aufgegeben. Schon seltsam. Er hat alles dafür gegeben um so weit zu kommen, um es wieder zu uns zu schaffen und nun ist er hier, hat es gepackt und jetzt? Er darf nicht aufgeben, er muss es schaffen“, flüsterte Gasmi.


    Die Gruppe rastete fast eine Woche, bis sie wieder marschbereit waren.


    Der frühe Morgen verhieß eine Wanderung endloser Minuten durch nichts als feuchten, grauen Dunst der sie so sehr einhüllte, dass selbst die Gestalten der anderen verschwommen als Schatten zu sehen waren. Dann hatten sie den Bereich der „gelandeten Wolken“ durchquert und vor ihnen lag der ausgestreckt der Tempelbereich. Dschungel und glanzvolle alte Ruinen lagen vor ihnen. Ein vergessenes Reich.


    Eine wilde Erregung ergriff von ihnen Besitz, als sie auf das wogende Meer aus grünem Dschungel und braunen Ruinen hinabblickten. Zum ersten Mal würden sie jetzt eine Tempelanlage betreten. Vielleicht sogar in einen Tempelteil hineingehen können um diesen zu erforschen.


    Pavos Gruppe war nicht die einzige, die nach Spuren der hier einst lebenden Völker Ausschau hielt. Pavo suchte Wissen, die Piraten suchten Schätze und vermutlich Streit und Kampf.


    Für einen Moment jedoch dachte Aino nicht an Kämpfe und Gefahren. Sie genoss einfach die Wanderung mit ihrer Gruppe, während sie unter dem grünen Blätterdach dahin schritten. Manchmal glaubte sie eine Bewegung über sich wahrzunehmen, aber es war immer viel zu schnell vorüber, als dass er sich sicher sein konnte.


    Dann plötzlich teilte sich das dichte grüne Blätterdach über Pavo und ein gewaltiger, peitschender Tentakel griff nach ihm. Mit einer einzigen, unvorstellbar schnellen Bewegung wickelte sich der Tentakel um Pavos Hals.


    Ein riesiges Maul kam in Sicht und der Tentakel versuchte den alten Goblin in die Höhe zu reißen. In einer noch schnelleren Bewegung griff Urako zu und cuttete den Tentakel durch.


    Der Tiefling zerfetzte mit seinem Kampfmesser den Strang und grün gefärbtes, zähes Pflanzenblut spritzte in einer Fontäne auf den Tiefling und den Goblin nieder. Der zerfetzte Stumpf des Tentakles zog sich mit einer hastigen Bewegung wieder in den Dschungel zurück.


    Einen Augenblick sahen sie das Wesen ganz. Es war ein riesiges, grün-buntes Etwas. Abgrundtief hässlich und faszinierend schön zugleich. Pavo konnte nicht sagen, ob es wirklich eine Pflanze oder ein Tier gewesen war, dass nur eine Pflanze imitierte. Er rieb sich seinen geschundenen Hals und umarmte Urako dankbar.


    „Danke Großer, Du hast mir das Leben gerettet“, sagte der alte Heiler.


    Lydia starrte dem Lebewesen ebenfalls nach und war damit beschäftigt, dass Gefühl der Übelkeit herunterzudrücken, dass ihren Magen gerade aufstieg.


    „Eine fleischfessende Pflanze… eine laufende fleischfressende Pflanze. Gut ich esse nie wieder Salat, dafür müsste sie mich doch verschonen oder?“, grübelte Wolfi.


    „Natürlich war es eine Fleischfressende Pflanzen oder sieht Pavo aus wie Dünger aus?“, knurrte Jeelen.
    „Du meinst Scheiße?“, grinste Anwolf.
    „Ich wusste doch, dass er mich an irgendwas erinnert…“, grübelte Seddik, was die anderen loslachen ließ.


    Gerade lachte und scherzte die Gruppe noch miteinander im Morgennebel, als ein Schrei von Urako die Stille zerriss…


    „GASMI IST WEG!!!“.


    ****

  • Der Goblin-Kompass


    Kap05


    Ein klein wenig war der Düsterling zurückgeblieben und hatte sich suchend im nebelverhangenen Dschungel umgesehen. Das war ihre Chance. Sofort hatte die Bande zugeschlagen, ihm einen Sack über den Kopf gestülpt, und ihn mit einem gezielten aber nicht zu festen Schlag das Licht ausgeknipst. Voller Vorfreude und unverhohlener Gier, schleppten sie ihr Opfer mit zur Tempelruine. Mal sehen was ihr Boss dazu sagen würde. Belohnungen konnte man immer gebrauchen. Und der gefährliche Düsterling war bestimmt eine Belohnung wert.


    Gasmi wachte auf und sein Schädel dröhnte. Er konnte die Spannung beinahe sehen, die sich mit einem Male ausbreitete. Aber der gefährliche Moment ging vorüber, ohne dass irgendetwas geschah. Eine Fremde trat zu ihren Begleitern, deutete mit einer komplizierten Handbewegung auf Gasmi und sagte ein Wort dass der Düsterling nicht verstand.


    Unter dem zerlumpten Gesindel löste es grölendes Gelächter aus. Mit einer herrischen Geste bestellte sie wohl etwas zu trinken, denn schon eilte ein willfähriges Helferlein herbei und reichte ihr einen Krug mit irgendeiner Flüssigkeit – vermutlich Alkohol.


    Die Frau leerte den Krug mit einem gewaltigen Zug. Gasmi atmete erleichtert auf, er hatte nicht vor sich mit diesem durch geknallten Pack zu prügeln, dafür waren es eindeutig zu viele und sein Schädel brummte wie ein Hornissennest.


    „Tue besser was sie von Dir verlangt“, sagte einer der Schleimbeutel in seiner Nähe.
    Gasmi verzichtete darauf dem Kerl überhaupt zu antworten.


    Der Düsterling war sich sicher, dass diese Bastarde ihn nicht so ohne weiteres gehen lassen würden. Aber er konnte auch nicht hier ewig sitzen bleiben. Wenn die Gruppe nicht schnellstens kam, würde er sich auf die Suche nach ihnen machen – schlimmstenfalls über einige Leiche der Fremden.


    Gasmi stand auf und wandte sich zu gehen. Die Gruppe hatte ihn weder gefesselt noch geknebelt. Ihnen schien es einfach Spaß zu machen, dass sie eine Person dingfest gemacht hatten und diese so verunsicherten. Vielleicht wollten sie auch einen Kampf heraufbeschwören.


    „Es ist gefährlich da draußen Schätzchen. Darf ich Dir meinen Schutz anbieten?“, fragte die Frau freundlich.


    Gasmi ignorierte sie. Alle seine Sinne waren bis zum Zerreißen angespannt. Der Düsterling wirkte äußerlich weiter ruhig, aber ihm entging nicht, der mindeste Laut in seiner Umgebung. Und es waren Geräusche die Bände sprachen.


    Als Gasmi den Steinbogen fast erreicht hatte, vertrat ihm einer von den Begleitern der Alten den Weg.


    „Hast Du nicht gehört, was Sagar gesagt hat?“, fragte er grinsend.
    „Doch, aber ich denke ich komme ganz gut allein zurecht. Gib den Weg frei“, sagte Gasmi.


    Der Typ grinste plötzlich noch eine Spur breiter.


    „Und wenn nicht?“, fragte er nach. Hinter sich hörte Gasmi Schritte. Das Gefühl von einer ganzen Gruppe von Kerlen die sich ihm näherten. In den Augäpfeln des Burschen vor ihm spiegelte sich das Blitzen von Metall.


    „Du solltest tun was Sagar Dir vorschlägt. Es sei denn, Du möchtest dass ich Dich vom Hals bis zu Deinem hübschen Hintern aufschlitze Schätzchen. Nun?“, fragte er lüstern.


    Gasmi zuckte gelangweilt die Schultern.


    „Klar warum nicht?“, antwortete er gleichgültig.


    Der Düsterling schlug zu, ehe der Mann überhaupt begriff, was geschah. Gasmis Handkante traf seinen Kehlkopf mit tödlicher Präzision und zermalmte ihn. Gleichzeitig fuhr Gasmi herum, riss das Bein hoch und verschaffte sich mit einem gewaltigen, ausholenden Tritt Luft.


    Gasmi traf die beiden Typen direkt hinter sich nicht, dass hatte er auch gar nicht gewollt. Aber die beiden Kerle brachten sich mit grotesken Hüpfern in Sicherheit und auch Sagar selbst, die nur wenig hinter ihnen stand, prallte mitten im Schritt zurück.


    Der Schock über Gasmis Wandel hielt nur einen Bruchteil einer Sekunde. Dann verzerrten sich die Gesichter der Feinde vor Hass.


    Einer der Typen riss ein Messer heraus und stürzte sich mit Schrei auf den Düsterling. Gasmi wich dem ersten Hieb aus, trat einen halben Schritt zur Seite und riss dann sein Bein hoch.


    Gasmis Fuß traf die Hand des Angreifers, prallte knallhart gegen das Handgelenk und plötzlich flog das Messer in einem hohen Bogen davon.


    Diesmal hielt das Schweigen etwas länger an. Der Bursche den er getreten hatte, schaute immer noch perplex seine leere Hand an.


    „Noch jemand Interesse an einem Tanz?“, fragte Gasmi leise.


    Keiner der Burschen reagierte und auch Sagar selbst blickte Gasmi nur mit einer Mischung aus Unglauben und langsam aufkeimender Wut an. Gasmi seinerseits fühlte sich nicht halb so sicher, wie er sich dem Anschein nach gab.


    Ob er es wirklich mit der Masse an Gegnern aufnehmen konnte, wusste er nicht. Aber er durfte weder Schwäche noch Furcht zeigen, sonst wäre es sofort aus.


    Sagar lächelte plötzlich, wenn auch auf eine sehr widerliche Art.


    „Sieh an, ein Bruder im Geiste. Warum hast Du das nicht gleich gesagt?“, gurrte sie. Dabei zog sie ganz langsam ihr Messer aus dem Gürtel.


    Gasmi wich zurück, bis er mit dem Rücken gegen eine Wand stieß. Sagar folgte dem Düsterling, machte aber keine Anstalten anzugreifen.


    „Wir haben keinen Streit, was soll das? Lass mich einfach gehen und die Sache ist erledigt. Ich will Dich nicht töten“, sagte Gasmi.


    Sagar schüttelte den Kopf.
    „Ich kann Dich nicht gehen lassen – nein“, sagte die Frau.


    Ihr Angriff kam so schnell, dass Gasmi ihn kaum sah. Sagars Messer zuckte in einer unglaublichen raschen, schlängelnden Bewegung vor, unterlief Gasmis Deckung und zog eine blutige Spur über seinen Oberschenkel.


    Gleichzeitig schlug sie mit der freien Hand nach Gasmis Kopf und zwang ihn so, in genau die Richtung zurückzuweichen, in der sie ihn haben wollte. Gasmi war klar welche Richtung das war – die der Begleiter, damit diese ihm in den Rücken fallen konnten.


    Der nächste Hieb traf ihn am Oberarm, nicht sehr tief, aber so schmerzhaft, dass Gasmi aufschrie und um ein Haar beinahe sein Gleichgewicht verloren hätte. Sagar lachte triumphierend auf und setzte ihm nach.


    Die Frau fiel auf ein Knie herab um zuzustoßen. Gasmi hingegen wich nicht weiter zurück, sondern trat ihr mit aller Kraft vors Schienbein und schlug mit der Handkante zu.


    Trotz ihres Fehlers besaß Sagar immer noch genug Geistesgegenwart den linken Arm schnell hochzureißen und Gasmis Handkantenschlag abzufangen. Dennoch war der Schlag so gewaltig, dass Sagar mit schrillem Schmerzlauf auf die Seite fiel und sich den Arm heulend an den Körper presste.


    Gasmi blieb keine Zeit sich darüber zu freuen, denn nun griffen die Kerle an. Der Kampf war aussichtslos, denn er war unbewaffnet und die Typen würden ihn sicher nicht noch einmal unterschätzen.


    Gasmi wehrte sich verbissen, konnte aber nicht verhindern, dass er zig Messercuts einstecken musste. Die Wunden waren nicht schwer, die Burschen wollten ihn nicht töten, jedenfalls nicht auf diese Art. Die Mistkerle hatten scheinbar ganz anderes im Sinn, aber die Wunden behinderten seine Bewegungen.


    Schon nach wenigen Augenblicken wurden er zurückgedrängt. Immer weiter drängten die Typen ihn in die Tempelanlage. Mit einem schmerzhaften Rums stieß Gasmi mit dem Rücken gegen die Überreste einer überwucherten Mauer.


    Es gab nichts mehr, wohin er sich hätte zurückziehen können. Gasmi hätte wohl kaum die nächsten zehn Sekunden überlebt. Einer der Männer schlug lachend mit dem Messer nach ihm, Gasmi zuckte reflexartig zurück und schlug mit dem Rücken erneut gegen den Pflanzenüberwucherten Mauerrest.


    ****


    In dem Moment sprang eine vermummte Gestalt mit einem Salto vor den Düsterling und landete krachend auf dem Boden. In der Sekunde wo sich der Vermummte wieder aufrichtete, brach die Hölle los. Der kleine Kerl reckte seinen Arm in die Luft und schleuderte scheinbar einen Blitz. Springend und hopsend bewegte er sich in einem tödlichen Tanz durch die Gruppe von Sagar.


    Mit einer Geschwindigkeit, die für das menschliche Auge nicht mehr nachzuvollziehen war, bewegte sich der Vermummte tanzend und schlachtend durch die Reihen seiner Feinde und seine Gestalt schien dabei regelrecht zu verschwimmen, während der Blitz wie in einer Art Bändertanz um ihn herumwirbelte und die Feinde regelrecht zerstückelte.


    Das graue Licht brach sich auf diesem seltsamen Blitz den er schleuderte. Er kämpfte und streckte die Feinde mit maschineller Präzision nieder.


    Gasmi kannte nur eine Person die so kämpfte wie ein Düsterling und dabei aussah, als ob sie tanzen würde... aber die Person gebot nicht über Magie!


    Aber die Bewegungen! Die Bewegungen kannte er seit 17 Jahren! Das konnte nicht sein!


    Ein Vorhang kränklichen Rots löste sich während dieses Tanzes von Gasmis Feinden, während der "Blitz" Fleisch und Knochen durchschnitt und alles in winzige Würfel zerlegte.


    Die vermummte Gestalt tanzte wie ein Wahnsinniger durch die Kadaver seiner gefällten Feinde, glitt durch einen Sturm aus Körpersäften dahin, und die saubere Form der Gegner wurde von dem blutigen Ansturm mit unnatürlicher Leichtigkeit in blutigen, bestialischen Fleisch- und Blut-Regen verwandelt.


    Nach Minuten sah die Tempelruine wie ein Blutbad aus. Von den Feinden war nichts übrig geblieben, ganz so, als wäre die Gruppe in einen Häcksler gestürzt.


    Der Vermummte hielt inne. Der "Blitz" wickelte sich um seinen Unterarm und verschwand damit unter dem Ärmel.


    Für einen Augenblick war Gasmi sprachlos.


    Der Vermummte kicherte leise, als Gasmi den zuckenden Fleischhaufen aus klumpigem, rötlichem Fleisch, Blut, Gedärme und Schleim anstarrte.


    Der Vermummte empfand Stolz auf seine Fähigkeiten, er war effektiv – äußerst effektiv und das gab ihm einen Kick. Eines der wenigen tieferen Gefühle, bei dem er wirkliche Genugtuung empfand war nach einem effektiv und brutal Mord und hier hatte er eine richtig Party mit Kigyo hingelegt.


    „Na das hat denen sicher ganz schön weh getan“, grinste Gasmi den Vermummten dankbar an.


    In der gleichen Sekunde war der Vermummte blitzartig bei ihm und knallte Gasmi den Schädel vor die Stirn. Gefällt und ohnmächtig ging der Düsterling zu Boden.


    "Dussliger Düsterling. Dussliger, dämlicher, dummer Depp von einem Düsterling!
    Man kann Dich keine zwei Sekunden aus den Augen lassen.
    Du darfst nicht sterben Gasmi. Niemand legt Dich um, ich passe schon auf Dich auf. Keine Bange, ich bin immer in Deiner Nähe.


    Naja fast immer. Also wenn ich Zeit hab, manchmal, hin und wieder. Aber ich bin da, wenn Du mich brauchst", säuselte der Vermummte und streichelte die riesige Beule, die sich auf Gasmis Stirn bildete.


    "Weißt Du, Du sollst doch mit eigenen Augen sehen, wie ich den Pinken aufschlitze, der es gewagt hat mich zu bestehlen. Ich will sehen wie das Licht in Deinen Augen bricht, wenn er stirbt und ich ihm sein Gesicht von den Knochen schäle. Das sollst Du sehen dürfen, Gasmi. Danach, schauen wir mal. Vielleicht wirst Du mein neues Nachthemd Gas", grinste der Vermummte.


    Er schnappte sich einen der herumliegenden, blutigen Fleischwürfel und lüftete seine Gesichtsvermummung und fing genüsslich an zu essen.


    "Hey hör zu, pass auf, hör hin. Wenn Du einverstanden bist, dass ich Dich ausweide - schweig. Ahhh ich wusste wir verstehen uns", lachte der Vermummte gut gelaunt und drückte Gas einen blutigen, schleimigen Kuss auf den Mund, ehe er sich wieder vermummte.


    "Los geht´s", flötete er im kindlichen Singsang.

    ****


    Irgendwann in der Nacht erwachte Gasmi für einen Augenblick. Er hatte geträumt, etwas Grauenhaftes und Entsetzliches wollte ihm etwas antun und schleppte ihn davon. Ein widerlicher Leib, grotesk, verdreht und verzerrt hatte nach ihm gegriffen und er hatte Angst gehabt.


    Ein seltsamer Traum. Er hatte entsetzlichen Durst, aber ihm fehlte selbst die Kraft sich über die Lippen zu lecken und er wachte auch nicht wirklich auf.


    Das Sonnenlicht spiegelte sich auf seinem Gesicht wieder und weckte ihn spät am nächsten Morgen.


    Gasmi ließ sich Zeit damit, völlig aus dem Schlaf in die Wirklichkeit hinüberzugleiten. Vorerst genoss er nur das wärmende Gefühl. Als er die Augen öffnete, sah er Urako, der neben ihm lag.


    Behutsam richtete sich Gasmi auf und stellte fest, dass er wieder bei der Gruppe war. Der Düsterling gab sich Mühe, so wenig Geräusche wie möglich zu machen, aber Urako wachte trotzdem auf.


    Puschel blinzelte, sah Gasmi einen Augenblick verstört an, und war dann von einem Herzschlag auf den anderen hellwach. Innig umarmte er seinen Schatz und deckte sein Gesicht mit Küssen ein. Dabei schmierte er sich selbst, dass ganze Gesicht blutig.


    „Da bist Du ja wieder Hase! Warum hast Du mich nicht geweckt als Du nach Hause gekommen bist? Ich hab Dich gar nicht kommen hören. Gut bei dem Tosen des Tropensturmes über Nacht. Du hättest mich wirklich wecken sollen“, schalt Urako Gasmi erneut liebevoll um ihn fest in die Arme zu schließen und an sich zu drücken.


    „Eh ja, dass hätte ich wirklich machen sollen, verzeih mir Puschel“, sagte Gasmi liebevoll. Ein heftiges Gefühl von Verwirrung überfiel den Düsterling. Wie war er zurückgekommen?


    War der Traum wo er geschleppt wurde, überhaupt ein Traum?
    Und das ganze Blut und der tanzende Vermummte, was war damit?
    Gasmi schluckte ängstlich und drückte sich fester an Puschel.


    Die Gruppe kaum einige Minuten später aufgewacht, begrüßte sie herzlich. Allen voran Aino, die sich genau wie Urako maßlos über die Rückkehr von Gasmi freute.


    „Schön dass Du wieder da bist, wir hatten uns so gesorgt“, sagte Aino während sie Gasmi feste drückte.


    „Ja finde ich auch. Der Sturm hat mich her geweht“, lachte Gasmi um seine Angst zu überspielen. Er war einfach froh wieder im Schoße und in der Sicherheit seines Rudels zu sein.


    ****


    Riggi stemmte die Hände auf die steinerne Bank und wollte sich hoch drücken, als er eine vermummte Gestalt aus dem Nichts des angrenzenden Dschungels auftauchen sah.


    Der Pirat fluchte und beobachtete unter hochgezogenen Augenbrauen die Person. Er drehte leicht den Kopf und sah seinen Partner langsam aufstehen, seine Sachen in die Hosentasche stopfen und Richtung Tempelinneres davongehen.


    Riggi rührte sich nicht. Dennoch, dass dieser Bastard hier rumschnüffelte machte ihn höchst misstrauisch.


    Sein Kollege war schon längst verschwunden, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung sah.


    Reggi betrachtete die Gestalt genauer, und sein Magen zog sich zusammen. Sie kratzten nur alten antiken Schrott von den Wänden und verkauften es an Bonzen, die dumm genug waren sich diesen Plunder in die Wohnung oder ins Haus zu hängen.


    Was wollte dieser kleine, vermummte Kerl? Nun vielleicht hatte einer der Oberen von ihnen Wind von der Sache bekommen. Und wenn man sah, was manch reicher Sack bereit war zu zahlen, sah sicher auch der eine oder andere Gangster seine Chance sich ein Stück vom Kuchen zu sichern.


    Vielleicht war dieser Typ genau aus diesem Grund hier.
    Riggi beobachtete weiter. Der Vermummte kam immer näher. Plötzlich und unvermittelt, dass Riggi geradezu aus seinen Gedanken gerissen wurde rief der Vermummte ihm etwas schnarrend zu.


    „Bleib wo Du bist, keine Bewegung!“, zischte der kleine Kerl.


    Riggi setzte sich auf die Bank zurück. Während er darauf wartete, dass der Vermummte zu ihm kam, beobachtete er unauffällig die Umgebung. Links von ihm erstreckten sich die ersten Ruinen der Tempelanlage die immer tiefer in den alten Gebäudekomplex hineinführten. Hier saß er im Vorhof, oder was davon nach all den Jahrhunderten davon übrig geblieben war auf einer steinernen Bank.


    Dann stand der Vermummte direkt vor ihm und schaute ihn von oben bis unten an. Die Ärmel seiner Kampf-Kombo waren hochgekrempelt. Die Haut des Vermummten war gelb, stellte Rigi erstaunt fest.


    Bei einer Frau hätte er die Haut vielleicht attraktiv gefunden, aber irgendetwas gab dem Vermummten eine Aura der Gefahr. In Riggi regte sich Unbehagen.


    „Wie geht’s denn so?“, fragte der Vermummte schnarrend mit lauerndem Unterton.
    „Ganz gut!“, antwortete Riggi und blinzelte zu dem Burschen hoch.


    „Hier draußen, soweit ab der Zivilisation. Zuhause bei Dir gibt es wohl keine Parkbänke nein?“, schnarrte der Vermummte mit seltsamen Unterton.


    „Ich wollte nur ein wenig frische Luft schnappen. Wir campen hier. Sie wissen schon, Reiselust“, grinste Riggi entwaffnend.
    Der Vermummte starrte ihn eigenartig an. Einen Augenblick herrschte Schweigen, keiner der beiden sagte etwas. Der Vermummte starrte nur.


    „Kann ich jetzt gehen?“, fragte Riggi höflich.
    Der Vermummte ignorierte die Frage. Riggi sah ihn genauer an. Irgendetwas stimmte mit dem Burschen nicht…


    „Wer war Dein Freund?“, fragte der Vermummte und riss Riggi so aus seinen Gedanken.
    „Wen meinen Sie?“, tat Riggi unschuldig.
    „Den Mann der ein Stück abseits von Dir gesessen hat“, säuselte der Vermummte.
    „Kenne ich nicht!“, antwortete Riggi mit entwaffnendem Lächeln.


    Der Vermummte gab ein seltsames Geräusch von sich. Riggi zuckte zusammen, zuerst konnte er nicht zuordnen was er da hörte, es klang nach einem statischen Rauschen – aber nein, der Bursche lachte so seltsam heiser.


    „Zufälle gibt es– herrlich. Da sitzt Du hier und rein zufällig sitzt im Nirgendwo im Dschungel neben Dir jemand auf der Parkbank und Du fragst nicht mal nach dessen Namen“, antwortete der Vermummte lachend.
    „Ich kenne ihn wirklich nicht“, verteidigte sich Riggi, dem langsam eine Gänsehaut über den Körper kroch.


    „Das glaube ich aber doch. Hat mich Dein Freund kommen sehen?“, fragte der Vermummte freundlich.
    „Nein der Mann hat Sie nicht gesehen. Ich bin zu den Ruinen zu Fuß gelaufen“, antwortete Riggi und diesmal log er nicht.


    „STEH AUF!“, knurrte der Vermummte.


    Riggi nickte. Er verspürte kein Bedürfnis sich mit diesem scheinbar durch geknallten Typen anzulegen. Er erhob sich langsam von der Steinbank.


    „Umdrehen, Beine spreizen, Hände auf die Banklehne, Kopf nach unten“, befahl der Vermummte. Riggi gehorchte, drehte sich langsam um und beugte sich über die hohe Rückenlehne der Bank. Er spürte wie er abgetastet wurde. Die Hände glitten über seine Taschen und filzten sie und leerten den Inhalt. Dann glitten die Hände seine Beine entlang, sein Messer wurde aus seinem Holster gezogen und ebenfalls eingesteckt.


    Die Hände strichen danach über seine Arme. Als sie seine nackten Handgelenke berührten, zuckte Riggi zusammen.


    „Angst?“, schnurrte die Stimme in sein Ohr.


    „Du stinkst nach Angst. Hast Du Schiss?“, kam die Frage erneut und die Stimme des Vermummten nahm einen seltsamen, fast kindlichen Ton an.
    „Ja“, flüsterte Riggi.


    Er stand immer noch über die Bank gebeugt und blickte auf die beiden gelben Hände, die ihn weiterhin abtasteten. Die Hände waren schmutzig… fleckig von… Blut?!?


    Überrascht riss Riggi den Kopf hoch und reckte den Hals, um nach hinten zu sehen.
    In diesem Moment packte ihn etwas und zwang seinen Kopf wieder nach unten.
    Hinter sich hörte er ein Kichern.


    „Sag mal hast Du Stoff dabei? Vielleicht in der Unterhose?“, fragte der Kerl leise.
    „Nein“, antwortete Riggi zitternd. Hinter ihm ertönte ein seltsames Geräusch.
    Machte der Typ etwa seine Hose auf, während er über der Bank gebeugt stand???


    „Was…?“, Riggi stemmt sich hoch und fuhr herum.


    Der Kerl starrte ihn an, als wollte er ihn fressen. Er hatte seine Vermummung hochgeschoben und Riggi sah die blutunterlaufenen, fast schwarzen Augen. Riggi trat einen Schritt von der Bank weg und beobachtete wie der Kerl die Augen für einen Moment nach oben verdrehte, bis nur noch das Weiße zu sehen war und über beide Ohren grinste.
    „Bei allem was…“, flüsterte Riggi und starrte mit offenen Mund auf den Goblin, der plötzlich ruckartig seinen Körper verdrehte und angriff. Voller Panik rannte Riggi los.


    Er bewegte sich so schnell er konnte, rannte über den Hang und brach durch die Bäume. Vor ihm tauchten die ersten Reliefsteine auf. Die Pflanzen waren noch nass vom Tau, Riggi spürte wie die Feuchtigkeit durch seine Schuhe und Hose drang. Gehetzt blickte er über die Schulter, der Goblin kam zielstrebig hinter ihm her, die schwarzen Dämonenaugen starr auf seine Beute fixiert.


    Riggi rannte zwischen den großen Steinen der Tempelanlage hindurch, über einen leeren gepflasterten Platz, bis der schwere Eingangsbogen zum Innenhof der Tempelanlage in Sicht kam. Riggi kletterte an der Seite hoch und schwang sich über den Bogen. Er verfing sich etwas mit der Jacke an einer scharfen Kante, und landete mit der Schulter voran auf der anderen Seite. Schwerfällig rannte er über das Pflaster.


    Riggi kannte sich hier aus, seine Leute hatten hier für Überraschungsfälle überall kleine Nettigkeiten versteckt. Wenn das kein Überraschungsfall war, wusste er auch nicht.


    Er hoffte inständig, die Nettigkeit wäre noch da, die er anstrebte. Er wurde nicht enttäuscht. Da war er, der silberne kleine Dolch unter einem Stück wuchernder Pflanze verborgen. Schwer atmend und dicht an den Boden gekauert wartete Riggi, während er den Blick langsam über den Platz schweifen ließ.


    Niemand zu sehen. Die alten Steine der teilweise zerstörten Tempelanlage standen krumm und schief im bleichen Licht, während vereinzelt Wolken über den Himmel trieben.


    Aus dem Augenwinkel erhaschte Riggi eine Bewegung. Ein kurzer Blick auf etwas, das zwischen den Steinen umher huschte, dann war es verschwunden.


    Langsam ging Riggi rückwärts, den Dolch kampfbereit erhoben. Da war die Bewegung wieder, erneut rasch und flüchtig, bloß ein schwarzer, verschwommener Schatten, der Riggi´s eigene Bewegungen nachzuahmen schien. Riggi blieb stehen und starrte angestrengt in die dunklen Schatten. Der Dolch in seiner Hand verlieh ihm ein wenig Mumm.


    Er neigte den Kopf zur Seite und spähte in die graue Dunkelheit des Zwielichts. Selbst wenn man genau hinsah, war aus der Sonne heraus nichts zu erkennen.
    „Ich hab einen Dolch, willst Du immer noch weitermachen?“, rief Riggi laut.


    Der Platz war weiterhin mucksmäuschenstill. Der Schmuggler zuckte zusammen und hätte beinahe seine Waffe fallen lassen. Eine Gestalt stand reglos auf der anderen Seite des Platzes und beobachtete ihn. Riggi beugte sich zitternd vor. Der irre Vermummte. Der Goblin mit den blutigen Händen.


    „Was willst Du?“, schrie Riggi.
    "Dich Ficken und Fressen", lachte der Vermummte.
    Der Pirat warf einen Blick zurück durch über den Bogen. Er drehte sich wieder zu der Gestalt um und bemerkte, dass sie näher gekommen war. Für einen Augenblick drohte Panik ihn zu überwältigen, er wünschte sich sehnlichst, er hätte sich nicht so weit von der Gruppe seiner Leute entfernt. Wieder schaute er zu der Gestalt hinüber. Sie war noch näher gekommen. Riggi wich einen Schritt zurück und die Gestalt trat einen Schritt vor.


    „Hör mal ich weiß nicht wer Du bist, aber ich rate Dir zu verschwinden!“, brüllte Riggi.


    Der Vermummte näherte sich unbeirrt weiter, folgte Riggi mit kurzen Bewegungen und ohne jedes Geräusch dabei zu verursachen. Er wurde immer schneller, bis er letztendlich rannte.


    Der Goblin huschte durch eine Lücke zwischen zwei gewaltigen Steinen und war mit einem Schlag im hellen Sonnenlicht zu sehen. Zum ersten Mal erkannte Riggi was da auf ihn zukam. Er sah vorbei an der Vermummung, an der Spezies, er sah für einen Moment was dieser Goblin wirklich war und was er vorhatte.


    Riggi schrie vor Entsetzen auf und wandte sich um zur Flucht.


    Hinter ihm erklang ein kurzes, leises Aufheulen und einige Sekunden später spürte Riggi einen stechenden Schmerz in der Schulter. Im Vorwärtsfallen stolperte er über einen Tempelstein und landete mit dem Gesicht voran in nasser Erde.


    Ein gewaltiges Gewicht drückte ihn nieder, und er spürte heißen Atem im Nacken.


    Riggi schloss die Augen und schlug nach hinten aus. Noch während er am Boden lag, verschwand das Gewicht von seinen Schultern. Riggi sprang auf und rannte los.


    Steine, Felsen und Pflanzen huschten vorüber, während er fieberhaft nach einer Stelle suchte, an der er sich verstecken konnte. Er gelangte auf einen Teil der Tempelanlage, auf dem es in einige Alkoven hinein ging.


    Er bewegte sich tiefer hinein in das Labyrinth aus kleinen Bauwerken. Dann duckte er sich und drückte sich zwischen zwei steinerne Götzenbilder hindurch. Hinter Riggi ertönte dumpfes Grollen und in seiner Nähe hörte er Schritte.


    Tief am Boden tastete er sich vorwärts, immer an der Wand des Tempelbauwerks entlang. Vor ihm erstreckten sich die ganze Anlage und der Dschungel. Riggi erreichte die Vorderseite des kleinen Bauwerks, wo im Zentrum eine schwere, zweiflügelige Metalltür eingelassen war.


    Erneut erklangen die Schritte zwischen den alten Ruinensteinen.
    Dieses Etwas, das die Gestalt eines Goblins hatte suchte nach ihm…


    Die Metalltür war scheinbar gesichert. Riggi konnte sie nicht aufzerren. Der Schmuggler legte widerwillig seinen Dolch auf den Boden und zerrte mit beiden Händen, zog so fest er nur konnte und irgendetwas klirrte laut auf. Riggi hielt den Atem an, zerrte stöhnend erneut und die Türflügel öffneten sich.


    Er grabschte sich den Dolch und hielt den Atem an. Die Schritte waren verklungen, als stünde das Etwas, dass ihn verfolgte irgendwo in der Nähe und lauschte.


    Ganz in der Nähe stand eine Schaufel und Riggi griff danach. Die Schritte setzten sich wieder in Bewegung. Langsam und dumpf näherten sie sich dem kleinen Gebäude.


    Der Wahnsinnige kam auf ihn zu! Riggi strecke den Dolch ein. Die Gestalt kam näher, der Pirat konnte bereits den Atem hören. Gleichmäßig, ruhig, so als hätte der Goblin keinerlei Anstrengung hinter sich gebracht.
    Tränen der Angst traten den jungen Mann in die Augen und eine Welle der Panik schien ihn zu überrollen.


    Er kämpfte das Verlangen nieder einfach aufzugeben. Riggi schlüpfte ins Innere des Alkoven, fand einen Balken und schob in hinter die Flügeltür um diese von innen zu versperren.


    Die Schritte waren fast an der Ecke seines kleines Zufluchtsortes, mit ein bisschen Glück würde die Sperre halten und diesen Wahnsinnigen daran hindern zu ihm reinzukommen.


    Im Inneren des Alkovens herrschte tiefste Dunkelheit. Nur ein dünner silberner Lichtstrahl fiel durch einen Spalt unter den beiden Türen hindurch. Riggi stand ganz still da und tastete blind umher. Langsam bewegte er sich vorwärts, bis er gegen etwas Hartes stieß. Er strich mit den Händen darüber und erkannte dass es ein Sarg war, der auf einem Steinsockel mitten im Raum stand.


    Riggi atmete tief durch in dem Versuch, seinen rasenden Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bekommen. Draußen bewegte sich etwas. Der Schmuggler hielt den Atem an und lauschte. Er hörte Schritte, die sich dem Eingang des Alkovens näherten. Die Schritte schienen für einen Augenblick zu verharren, dann entfernten sie sich entschlossen vor der Tür und bewegten sich in die andere Richtung, ganz so als hätte die Gestalt seine Fährte verloren.


    Der junge Pirat drückte sein Ohr gegen die Tür und hörte ein schnüffelndes, witterndes Geräusch, nur wenige Zentimeter von seinem Kopf entfernt. Er blickte nach unten zum Silberstreif unter der Tür und sah, dass sich im Sonnenlicht dort ein Schatten bewegte. Irgendetwas stand da draußen.


    Der Schatten bewegten sich von der Tür weg und verschwand ganz. Riggi hörte ein leises Scharren an der Mauer, dann wieder Stille.


    Scharf stieß er den Atem aus. Die Luft war kühl im Alkoven und roch nach Erde. Riggi wurde schlagartig bewusst, dass der Boden des Gebäudes aus Erde bestand. Wenn dieses Ding da draußen zu ihm wollte, konnte es sich unter der Tür hindurch zu ihm hinein graben.


    Immer noch Stille. Urplötzlich krachte ein schwerer Gegenstand gegen die Tür. Das Metall ächzte und wölbte sich in einer Längst-Linie nach innen, als wäre eine gewaltige Schlange dagegen gekracht. Der Balken hielt zum Glück. Der Pirat hielt die Hand vor dem Mund um sich am schreien zu hindern.


    Draußen hämmerte jetzt etwas synchron gegen die Tür. Die Schläge wurden immer brutaler und wütender.


    „Oh bitte hilf mir doch einer“, wimmerte Riggi panikerfüllt mit Tränen in den Augen.


    Das Hämmern draußen hielt an. Der obere Teil einer Türhälfte bog sich plötzlich mit metallischem Kreischen nach innen. Helles Sonnenlicht strömte ins Innere und bildete einen Fleck auf dem Boden. Das Licht verlosch unmittelbar, als eine Gestalt ihren gelben Kopf durch die Öffnung stecke.
    Zähnefletschend grinste sie den kleinen Piraten mit stechend schwarzen Augen an. Das Maul verzerrte sich noch weiter zu einem triumphierenden Grinsen als es den Bodenspalt entdeckte.


    Ein scheinbarer Tentakel schwärzer als die Nacht schob sich langsam unter dem Türschlitz durch.


    Riggi setzte sich den Dolch an den Hals. Er spürte das kalte Metall auf der Haut. Kein Vergleich zu der Berührung der zwei Hände vorhin… dann riss er den Dolch über seine Kehle.

    ****


    Die Gruppe hatte die weitläufige Tempelanlage erreicht. Noch waren sind im Außenbereich mit den vielen kleinen Reliefsteinen die überall verstreut herumlagen, umgestoßene Götzenbilder waren ebenso zu finden wie kleinere Gebäude, wozu immer diese gedient haben mochten.


    Gasmi suchte die weitere Umgebung nach Auffälligkeiten ab und entdeckte Kratzspuren die denen von Krallen glichen. Sie führten zu einem der kleineren Gebäude und verschwanden dann hinter einer Ecke.


    „Dem müssen wir auf den Grund gehen. Nicht dass eine Gefahr in unserem Rücken lauert“, teilte er der Gruppe mit.


    Schon machten sie sich geschlossen auf den Weg zu dem Gebäude. Dort angekommen, sahen sie dass die Tür durch Gewalteinwirkung verbogen und aus den Angeln gerissen war. Welche Kraft dies auch bewerkstelligt haben mochte, sie musste enorm gewesen sein, anhand der beiden gewaltigen Metalltüren die nun neben dem Alkoven lagen.


    Bestialischer Gestank schlug ihnen entgegen. Selbst Pavo dem sonst scheinbar kaum etwas ausmachte, schienen angesichts des Gestanks Mühe mit dem Atmen zu haben.


    Aino wartete, bis sich ihre Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. In der Mitte des Raumes stand ein großer, rechteckiger Sarg auf einem Sockel. Der Deckel war mit einer dicken Staubschicht bedenkt, doch man konnte noch erkennen, dass ein liegender Mann in den Stein gemeißelt war. Die Gestalt hatte die Augen geschlossen so als würde er friedlich schlafen.


    Aino näherte sich dem Sarkophag um einen Blick auf das Gesicht des Mannes zu werfen, als sie etwas hinter dem Sarg liegen sah. Sie spürte wie Übelkeit in ihr aufstieg.


    Da lag ein menschlicher Körper, scheinbar mit schwarzem Schleim oder Paste überzogen. Seine Beine hingen frei in der Luft, ein Stück über dem Boden. Ein Fuß war nackt, der andere steckte in einem blutigen Stiefel. Unter dem Toten hatte sich eine große Blutlache gebildet, die mit Dreck, Staub und einer schwarzen Masse festgebacken war. Seine Hose war aufgeschlitzt worden und jemand hatte sich eindeutig an ihm zu schaffen gemacht.


    Auch das Gesicht des schlafenden Mannes auf dem Sarkophag war blutverschmiert. Die Bauchhöhle des Toten war geöffnet, der Brustkorb aufgeschlitzt. Die Gedärme fehlten.


    Die Luft im Inneren des Alkovens stank entsetzlich nach Blut. Was von Hemd des Burschen übrig war, hing in Fetzen herab.


    „Meine Güte“, flüstere Aino.
    „Güte hat damit nichts zu tun“, murmelte Pavo.


    Hinter ihnen betrat Gasmi, Urako und Anwolf den Alkoven. Anwolf schlug sich die Hand vor den Mund und starrte voller Entsetzen auf den verstümmelten Toten.


    Wolfi stolperte rückwärts bis zum Eingang und fiel aufs Gras vor dem Alkhoven. Aino wandte sich wieder dem Toten zu und hörte wie sich Wolfi draußen würgend übergab, während Jeelen und Lydia ihn beruhigten und trösteten.


    Aino verzog das Gesicht und rieb sich den Magen.
    „Mir geht’s auch nicht besonders gut“, raunte sie Pavo, Urako und Gasmi zu.


    Pavo warf einen Blick auf den Toten und auf dessen geschundenen Körper. Er räusperte sich und starrte dann Aino an. Da sie nichts sagte, untersuchte der alte Goblin die Umgebung genauestens.


    „Keine Panik jetzt. Guckt rein nach den Fakten und nicht nach dem Ekel-Faktor“, bat Pavo und trat ganz nah an den toten Kerl.


    „Ich nehme an der hat Selbstmord begangen“, sagte Pavo, während Gasmi ihn verstört anglotzte.
    „Das ich da nicht gleich drauf gekommen bin, mit schwarzem Schleim am Boden geklebt und Blut besudelt hat er sich selbst ausgeweidet", kommentierte Aino Pavos Erklärung.


    „Danke Aino. Lacht nicht oder haltet mich nicht für verrückt. Kommt her und guckt es Euch selber an“, sagte Pavo und deutete auf den Leichnam.


    „Der Pirat hat Selbstmord begangen, er hat sich die Kehle durchgeschnitten. Der Schnitt ist ausgefranzt und unsauber geführt. Er hat es selbst getan, das war niemand der ihn tot sehen wollte.


    Das Blut ist alt, schwarz, verkrustet und ohne diesen Schleim.


    Seine Bauchwunde hingegen ist später zugefügt worden, als er schon tot war. Also wird er technisch Suizid begangen haben, dann kam offensichtlich jemand anderes hinzu und hat dies hier getan. Hat ihm hinten sein Loch gestopft und ihn vorne zeitgleich ausgeweidet. Und angefressen hat er ihn auch. Aus den Armen sind überall Stücke herausgebissen worden. Ganz eindeutig“, erklärte Pavo.


    Gasmi blinzelte Urako in Zeitlupe an und hackte sich bei Puschel unter. So kalt Pavos Art ab und an auch war, hier löste er damit einige Rätsel.


    „Die Mauern machen uns bestimmt etwas zu schaffen, es kann ewig dauern bis wir herausgefunden haben was das heißen oder bedeuten soll“, sagte Pavo.
    „Was denn? Was ist mit den Wänden? Ich verstehe das nicht“, warf Gasmi ein.


    „Sieh genau hin. Guckt Ihr beiden auch Aino und Urako, schaut genau hin. Sie sind mit irgendwelchen verrückten Zeichen beschmiert. So etwas hab ich noch nie gesehen. Vielleicht kann Wolfi uns hier weiterhelfen. Aber vorher müssen wir alles andere klären um ihm vielleicht mehr Chance zum enträtseln der Schrift zu geben“, erklärte Pavo.


    Aino trat zur Wand und stellte fest, dass Pavo Recht hatte. Sämtliche Wände waren mit merkwürdigen Kritzeleien und Schriftzeichen verschmiert, alles mit dickflüssiger, schwarzer Tinte gemalt. Sie beugte sich noch weiter vor, als ihre Neugier über den Ekel siegte.


    „Was ist das? Blut?“, fragte Aino.


    „Ich wünschte es wäre so, aber es scheint eine Mischung aus dem Blut und den Innereien des Burschen zu sein. Ich glaube die schwarze Paste besteht aus Blut und den pürierten Gedärmen des Opfers. Jemand hat seine Eingeweide samt Kacke püriert und an die Wand gekleistert um zu malen“, erläuterte Pavo.


    Gasmi drohten die Augen aus den Höhlen zu quellen und er schluckte mühsam.


    „Ich… ich… warte draußen“, sagte er und machte dass er schleunigst rauskam. Draußen hörte man ihn Wolfi beim Würgen und Kotzen unterstützen.


    Ungläubig wandte sich auch Urako der Wand zu und betrachtete die Schriftzeichen genauer. Er sah kleine Fleischbröckchen und anderes, was er lieber undefiniert lassen wollte. Alles klebte an der Wand vermischt mit dem Blut des Burschen.


    „Ich glaube mir wird schlecht“, erklärte Aino und hielt sich an Urako fest.
    „Ganz ruhig“, sagte der Tiefling und hielt Aino einen Moment fest, „atme durch den Mund – na komm. Dann geht’s wieder“.


    Aino schloss die Augen, folgte Urakos Rat und wartete bis das Gefühl brechen zu müssen verebbt war. Sie spürte wie Urako ihr die Hand auf die Schulter legte.


    „Alles in Ordnung Boss?“, fragte er geradezu fürsorglich, dass Aino fast geneigt war hochzugucken ob da wirklich der Tiefling stand. So besorgt kannte sie ihn nicht, aber sie war froh um seine Fürsorge.


    „Geht… geht schon wieder“, keuchte Aino und wische sich mit der Hand über den trockenen Mund.


    Aino hatte schon viele Gräueltaten gesehen und einige auch durchgeführt, aber das war eine ganz andere Nummer. Die Almanin räusperte sich und blickte auf.


    „Ich hab so was hab ich noch nie gesehen“, sagte Pavo.


    Aino starrte weiter die Zeichnungen an. Sie stellte sich den Killer vor, der hier gewesen war und mit den Gedärmen Fingermalfarbe gespielt hatte. Die Zeichnungen erstreckten sich über sämtliche vier Wände, und Aino musste sich einmal um die eigene Achse drehen um alles sehen zu können.


    In einer Ecke stand etwas dass sie nicht deuten konnte, aber die Schriftzeichen waren normal geläufiges Asameisch.
    „Was steht da?“, fragte Pavo Urako und Aino.


    „Sekunde...“, sagte der Tiefling und trat näher an die Zeichnung heran.


    "Mache mir ne Stola aus den Eingeweiden meiner Beute...“.


    „Hast Du so was schon mal gesehen Pavo?“, fragte Aino.
    „Nein noch nie. Niemals“, antwortete der alte Goblin.


    In dem Moment kamen Wolfi und Gasmi angerannt. Sie trugen einen Burschen, scheinbar war dieser ebenfalls tot oder in einer Toten ähnlichen Starre.


    „Dieser Typ, wir haben ihn gerade dahinten gefunden. Er ist ganz kalt und atmet nicht mehr“, erklärte Gasmi.


    Er klang etwas verunsichert. Dann sah die Gruppe auch warum. Der Kerl den sie gefunden hatten war blau-schwarz angelaufen.


    „Pavo komm bitte schnell her, wir brauchen hier Deine Hilfe!“, rief Wolfi.
    Pavo kam augenblicklich angeflitzt und stellte sich neben Anwolf.
    „Ja?“, fragte er besorgt nach.
    „Guck mal der Bursche wurde hier gefunden“, antwortete Wolfi.
    „Ja wir haben ihn da hinten bei den Steinen gefunden als wir die Gegend wässern wollten. Ich dachte zuerst er würde seinen Rausch ausschlafen. Dann hab ich sein Gesicht gesehen, es sah so merkwürdig aus…!“, erklärte Gasmi.
    "Blau-Schwarz halt", half Anwolf aus und deutete unnötiger Weise aufs Gesicht des Kerls.


    Pavo beugte sich herab und drückte die Fingerspitzen auf die Halsschlagader des Mannes. Als sie die Haut des vermeintlich Toten berührte, riss dieser die Augen auf.


    Er keuchte nur ein Wort „KIGYO“, als er tief Luft holte und dann nach Pavo grabschte.


    Verblüfft wollte Pavo zurückweichen, aber Anwolf war schneller. Mit einem erschrockenen Quieken, sprang Wolfi wie von der Tarantel gestochen auf und trat sofort reflexartig mit aller Gewalt zu. Er streckte den Kerl mit einem Genickbruch nieder.


    Alle Blicke wandten sich Anwolf zu.
    "Hab mich erschrocken", warf Wolfi kleinlaut ein und suchte hinter Gasmi Schutz.


    Aino sah ihn noch einen Moment scharf an, dann wandte sie sich umgehend Pavo zu.


    „Alles in Ordnung mit Dir?“, fragte die Almanin.
    „Ich glaube schon. Ich hab mich nur erschreckt“, sagte Pavo kleinlaut.
    "Ich doch mich auch", warf Wolfi ein.
    „Wow, das war echt unheimlich“, sagte Jeelen aufgeregt.


    Die Gruppe betrachtete erneut den Kerl. Sein Gesicht war zu einer Fratze verzerrt, die Zunge hing ihm aus dem Mund wie eine halb verschluckte Nacktschnecke. Er sah schmutzig aus, mit langen schwarzen Fingernägeln und fettigem Haar. Ein Mensch der hier wohl Jahrelang gehaust hatte unter unwürdigen Umständen.


    Pavo drehte den Kopf des Mannes hin und her.


    „Ich kann keine Verletzungen erkennen – außer den Genickbruch den Du ihm zugefügt hast um mich zu retten Wölfchen. Warum er so blau ist, weiß ich nicht. Dazu müsste ich ihn obduzieren“, erklärte der alte Heiler allen.


    „Obduzieren? Besser nicht. Er ist gestorben – fertig. Hör auf an der Blaubeere rumzufummeln, vielleicht hat er eine Krankheit oder Seuche!“, warnte Anwolf nervös.
    „Dafür flämme ich mir gleich die Hände ab, keine Sorge! Du hast ihn getragen Schlauberger“, erklärte Pavo grinsend und wollte etwas anfügen, als Jeelen ihn kurzerhand ins Genick griff und von dem Toten wegzerrte.


    "Wir haben Sterbebazillen an uns", lachte Gasmi und schnupperte an seinen Krallen.
    "Wieso hab ich überhaupt auf Dich gehört?", fragte Anwolf durch den Wind.
    "Weil ich Erfahrung habe und das jeder hier macht", grinste Gas.
    Seddik guckte total verstört auf die Aussage hin und schüttelte langsam den Kopf.
    "Anwolf hat Recht. Mir ist scheißegal an was der blaue Penner gestorben ist, aber Du nicht. Du bleibst da weg. Verstanden?“, fauchte Jeelen und hielt Pavo immer noch fest.


    „Las los!“, donnerte der alte Goblin, aber Jeelen überhörte ihn absichtlich.
    „Jeelen lass ihn los“, sagte Gasmi ganz leise.
    „Du sorgst Dich, aber reiß Dich zusammen. Komm, Du tust Pavo weh – lass los, hopp“, wiederholte Urako in ganz ruhigen Ton.


    Jeelen blinzelte kurz, ließ sofort Pavo los und trat einige Schritte zurück.
    "Tut mir leid, war nicht böse gemeint", entschuldige sich Jeel.
    "Schon gut, ich weiß doch Du hast es nur gut gemeint. Gehen wir", antwortete Pavo freundlich.


    Die Gruppe wandte sich um zu gehen, als sie neben dem blau-schwarz angelaufenen Kerl plötzlich Schriftzeichen auf dem Boden entdeckte. In säuberlicher kleiner Handschrift stand auf dem Pflaster des Tempelhofes geschrieben


    "Ihr Pisser kümmert Euch um Euren Scheiß!!!"


    Die Gruppenmitglieder schauten sich blass an und um.
    „Du hast Recht Pavo, was immer es ist – es ist gefährlich und ich glaube der Tanz hat gerade erst begonnen“, raunte Aino.


    ****


    Es war Nacht. Immer wenn er die Wahl hatte, wählte er die Nacht für seine Streifzüge. Die Gruppe war gut vorangekommen und bereits in den Tempel eingedrungen. Drinnen würde er erfahren, was sie herausgefunden oder bereits gefunden hatten.


    Aber auch hier waren sie nicht allein. Überall nahm er den Geruch von Piraten wahr, hörte ihr Flüstern, hörte ihr… Gekritzel?


    Irgendwer schien mit Kreide oder ähnlichem auf den Steinboden zu schreiben, wie man sonst an eine Tafel schrieb.


    Lautlos schlich er näher und spähte auf die Person. Tatsache, da hockte einer dieser Piraten, und kritzelte was das Zeug hielt in einer fremden Sprache auf den Boden.


    Er konnte nicht lesen was dort stand, aber scheinbar war es auch gar keine Sprache, sondern eine Abfolge von seltsamen Zeichnungen. Hunde schlugen plötzlich in der Nähe an. Eines der Tiere warf in panischer Angst den Kopf in den Nacken und gab einen seltsamen Schrei von sich. Kaum einige Sekunden später hatten sie sich von den Leinen gerissen und waren in den Urwald geflüchtet.


    Der Pirat welcher eben noch auf dem Boden seine Zeichen gekritzelt hatte hielt in der Bewegung inne. Zwar war es Nacht, aber ein Schatten schob sich vor das fahle Mondlicht das seinen Arbeitsplatz beleuchtet hatte. Langsam wie in Zeitlupe blickte der Mann auf und starrte auf einen Vermummten, der noch schwärzer als die Nacht gekleidet war. Gerade zu lässig rollte sich eine dunkle, violett-glimmende Peitsche vom Handgelenk des Vermummten. Wie ein Lebewesen, einer Schlange gleich zuckte sie in die Höhe.


    „Kigyo“, hauchte er und er fing hemmungslos an zu zittern.


    Die "Schlange" nahm eine S-Kurve an. Der Mann hatte sich so weit gefasst, dass er aufspringen und loslaufen konnte. Er rannte um sein Leben.


    Der Kerl schrie vor Angst und Schmerz als er einfach blindlings in den Dschungel rannte nur um von dem vermummten Ungeheuer nicht ermordet und gefressen zu werden, wie viele andere seiner Brüder. Dabei versuchte er noch schneller zu laufen.
    Der Vermummte brüllte. Das Brüllen war selbst unter dem Toben des Sturmes deutlich zu hören. Der Pirat geriet beim Laufen aus dem Takt und stolperte. Der Kerl nahm die Verfolgung auf. Der ungeheure Schwung der Bestie tat ihr Übriges. Und sie war schnell, unglaublich schnell.


    Der Mann schaffte es erneut auf die Beine und rannte. Irgendwo hinter ihm, mit entsetzlich wenig Abstand hinter ihm, rannte ein Dämon der sich wie ein noch finsterer Schatten in der Nacht abzeichnete. Auf einmal spürte er einen entsetzlichen Schlag und wurde von den Beinen gerissen. Die ungeheurere Wucht des Aufpralls schleuderte ihn nach vorne.


    Er kreischte vor Angst, flog in hohem Bogen in das Grünzeug und landete fast 10 Meter weit entfernt in einer Sandgrube. Er überschlug sich mehrfach, ehe er liegen blieb und hilflos zum Himmel starrte. Allerdings nur für Sekunden. Dann blickte er in das Antlitz seines Verfolgers.


    Der Vermummte zerrte sich den Gesichtsschutz runter und grinste ihn an. Er umschlang den Piraten mit der Peitsche.


    „Kigyo und ich möchten wissen, wo die Besucher sind. Welchen Eingang haben sie genommen Mensch?“, säuselte die Stimme, dabei packte sie mit aller Kraft zu.


    Ein grässlicher Ruck schien ihm die Arme aus den Gelenken zu reißen, dann folgte ein vibrierender Schmerz, der bis in seinen Rücken hinab jagte und dort explodierte, Lähmung und furchtbare Taubheit hinterlassend.


    Der Kerl brüllte erneut panisch auf, als er spürte wie die Kraft aus ihm entwich. Keuchend und halb besinnungslos vor Angst und Schmerz, klammerte sich der Kerl an der Peitsche fest und versuchte nicht das Bewusstsein zu verlieren. Er versuchte sich dem Feind zu entwinden, ein lächerlicher Versuch den der Goblin mit einer Art statischem Rauschen quittierte.


    Nein der Kerl rauschte oder fauchte nicht, er lachte!


    Der Bursche begriff mit einer nie dagewesenen Klarheit, dass seine Kräfte nicht reichen würden und er nur eine Chance hatte – wenn überhaupt. Er musste mit dem grauenvollen Dämon vor ihm kooperieren.


    Und so berichtete er wo er die Fremden hineingehen sah. Berichtete wer von seinen Leuten die Verfolgung aufgenommen hatte. Erzählte alles, bis ins kleinste Detail was er wusste und der gelbe Dämon hörte aufmerksam zu. Als er seinen Bericht beendet hatte, wartete der Kerl noch einige Sekunden ab.


    „Alles? Du hast mir alles erzählt?“, fragte er erneut mit seinem seltsam schnarrenden Unterton.


    „Ja Kigyo – alles“, hauchte der Mann.


    Plötzlich von einer Sekunde auf die andere, wurde er hoch in die Luft geschleudert. Der Bursche wirbelte wie ein Spielzeug durch die Luft und keuchte auf, er schien nur noch aus Schmerz zu bestehen. Dann stürzte er zu Boden, die Peitsche umwirbelte ihn. Das nächste was er spürte war ein entsetzlicher, paralysierender Schlag, dann versank sein Bewusstsein in blutgetränkten Nebel.


    Der Vermummte wandte es sich um und schoss auf den Tempel zu. In ausreichender Entfernung bremste er ab und rutschte noch ein Stück weiter durch das Unterholz. Bebend kam er zum Stehen, schnüffelte und witterte eine Weile.


    Er erhob sich aus dem Farn und streckte sich genüsslich. Der Tempeleingang ragte vor ihnen auf. Witternd er die moderige Luft ein und schloss die Augen.


    Ja hier war seine Herde vorbeigekommen. Aber sie mussten bereits ein gutes Stück hinter sich gebracht haben, denn er konnte sie nicht hören. Er lauschte kurz sichernd, dann schlüpfte er ebenfalls hinein und folgte ihrem Geruch.


    # # #


    Varmikan begab sich am Abend zu Dave in die Lese-Ecke und schaute auf den Einband von Daves Buch.


    „Pflichtlektüre“, sagte der Alb und nahm gegenüber von Dave Platz.
    „Stimmt“, pflichtete Dave bei, klappte das Buch zu und musterte Varmikan.
    „Hunger?“, fragte Varmikan freundlich.
    „Ja“, schmunzelte Dave.
    „Komm“, forderte Varmikan Dave gut gelaunt auf.


    Kaum draußen angekommen, zog Dave die Robe enger um sich. Varmikan musterte ihn kurz, ehe dem Frostalben einfiel, dass sein Begleiter wahrscheinlich fror. Varmi nickte Richtung Taverne und ging los. Dave blieb an seiner Seite.


    `Hand her´, übermittelte Varmikan gut gelaunt.


    Dave schob seine Hand in die des Frostalben, während Varmikan ihm zeitgleich etwas in die Hand drückte.


    `Für Dich Lieblingsmensch. Für nachher, bisschen Party´, übermittelte der Alb.
    `Was genau ist es?´, hakte Dave auf gleichem Weg nach, als der das kleine Päckchen befühlte.
    `Schnee – was sonst sollte Dir ein Frostalb schenken?´, lachte Varmikan mental.


    `Pur? Hast Du was zum Mischen da? Sonst müssen wir heute Abend in Pavos Heilstube stöbern gehen. Ich schaue nach was er Nettes da hat, Du stehst Schmiere´, gibbelte Dave.


    `Selbstverständlich verzehrfertiger Schnee´, antwortete Varmikan.
    `An alles gedacht´, freute sich Dave.


    `Logisch. Das Essen geht auf mich, Du suchst es aus. Du hast einen guten Geschmack bei Futter, muss ich Dir lassen. Was Du aussuchst schmeckt lecker. Und such unsere Getränke aus´, übermittelte Varmikan glücklich.


    `Dankeschön. Ist irgendwas Bestimmtes? Ein Geschenk, eine Einladung, was folgt dann?´, hakte der Naridier nach.
    `Nach dem Essen? Dachte das wäre klar. Du nutzt das Geschenk und ich nutze Dich´, lachte Varmikan.


    `Ich bin dabei. Wobei die Wortwahl hat was Abstoßendes´, erklärte Dave.
    `Abstoßend – klingt heiß. Darf ich Dich mal zeichnen?´, fragte Varmikan.


    `Nein?!? Nicht bevor Du mir erklärt hast, was Du damit meinst. Ein Bild pinseln, oder mir eine Narbe verpassen, die mich als Dein Eigentum markiert. Was meinst Du? Vorher gibt’s keine Antwort´, antwortete Dave perplex.


    `Dich markieren ist richtig. Aber nicht bleibend durch eine Narbe. Sondern durch eine Geste. Eine Geste die zeigt, dass Du mir gehörst´, erklärte Varmi gut gelaunt.
    `Ich will vorher wissen was, sonst nein´, hielt Dave dagegen.
    `Dann ist es keine komplette Subordination´, schmunzelte Varmikan.


    `Die bekommst Du auch nicht´, wehrte Dave ab.
    `Oh doch Dave, die bekomme ich. Das klingt für Dich nur beunruhigend, weil es Dir unbekannt ist. Lerne es kennen und Du lernst es lieben. Wir sind Gefährten, ich verspreche es Dir. Ich leite Dich gut, ich passe auf Dich auf. Du musst es nur wollen. Ein bisschen Partnerschaft geht genauso wenig wie ein bisschen schwanger. Also entweder willst Du, oder Du willst nicht. Wenn Du willst – füg Dich´, erklärte Varmikan mit einer Mischung aus Liebenswürdigkeit und Verstimmung.


    `Varmikan Du hast mir gesagt, eine Partnerschaft ist Geben und Nehmen. Warum ich mich Dir komplett unterwerfen soll, ist dann die Frage. Ich habe und hatte noch nie Lust auf Machtspielchen innerhalb einer Beziehung. Wie Du schon sagst, entweder Du willst, oder Du willst nicht´, gab Dave zurück und verbarrikadierte seine Gedanken und Gefühle.


    `Dave, lass das bitte! Wieso mauerst Du und verschließt Deine Gedanken? Es geht mir doch nicht um Macht! Es geht darum, dass jeder seinen angestammten Platz in einer Beziehung hat und diese Aufgabe erfüllt. Meine Aufgabe ist Dein Schutz und Deine Führung. Du kümmerst Dich um den familiären Teil. Du musst mich meine Aufgabe schon erfüllen lassen. Sei wieder zugänglich, na komm. Sei wieder gut mit mir´, übermittelte der Frostalb liebevoll und stupste Dave mental an.


    `Hey ich stups Dich solange bis Dir das auf die Nerven geht´, grinste Varmikan.
    `Ich merk das schon! Gut, abgemacht. Heißt das im Umkehrschluss, es geht Dir um mein Wohlbefinden und um meine Unversehrtheit? Die gewährleistet Du?´, fragte Dave skeptisch, übermittelte dem Frostalben aber zeitgleich seine positiven Gefühle für ihn.


    `Ganz genau, kurzum JA´, bestätigte Varmikan.
    `Und dann versorgst Du mich mit Schnee?´, lachte Dave mental.


    `Du bist lockerer drauf, Du fühlst Dich wohl, Du kannst besser quatschen, Du gehst beim Sex ab. Ist Wohlbefinden auf voller Spur´, bestätigte Varmikan schmunzelnd.
    `So betrachtet – Tatsache´, stimmte Dave baff zu.
    `Wieder gut?´, fragte Varmikan und strich mit seinen Gedankenfäden über die von Dave.
    `Allein dafür wäre es schon wieder gut – mental rumkuscheln ist geil´, lachte der Naridier und erwiderte die Geste.


    `Bist doch mein Bester, wieso denkst Du manchmal so einen Mist? Geh einfach mal grundsätzlich davon aus, dass ich Dein Bestes will. Dann vermeiden wir Streit´, erklärte der Frostalb und legte Dave einen Arm um die Hüfte.


    `Hast Recht. Wie wolltest Du mich zeichnen? Schmerzt es?´, hakte Dave nach.
    `Nein, Du musst nur etwas kurz erdulden und akzeptieren. Damit ist es besiegelt. Ich sag Dir nicht was – ich möchte dass Du ohne Vorwissen im vollen Vertrauen zustimmst. Sonst machen wir das nicht´, grinste Varmi.


    `Fies. Gut von mir aus, ich mache es´, stimmte Dave zu.
    `Du hast Schiss´, lachte Varmi.
    `Ja hab ich, ich mache es trotzdem. Du hast Dich ja auch allein aufs Pferd gesetzt, obwohl Du Schiss hattest. Und das mir zu Liebe´, prustete Dave.


    Die beiden kamen in der Taverne an, suchten sich einen gemütlichen Platz und Dave bestellte für sie Fleisch und Bier. Das Essen wurde schnell geliefert und sie ließen es sich schmecken. Für Außenstehende sah es so aus, als aßen sie schweigend, dabei unterhielten sich die beiden Magier mental.


    `Ich muss Dich dass jetzt mal fragen, warum stehst Du nicht offen dazu dass wir zusammen sind? Ist Dir das peinlich? Bei uns ist das gleichgültig wer sich findet. Zumal Männern und Magiern an sich in unserer Gesellschaft einen anderen Stellenwert haben. Also warum verschweigst Du es?´, fragte Varmikan mental und trank einen Schluck Bier.


    `Nein mir ist nichts peinlich Varmi. Ich habe nur Schiss, dass es dann kaputt geht. Immer wenn ich es mit einer Frau offiziell gemacht habe, ging es kurze Zeit danach in die Brüche. Immer bedeutet die beiden Beziehungen die ich vorher hatte. Zudem fürchte ich die Reaktion von Pavo´, antwortete Dave auf gleichem Weg, während er sein Fleisch aß.


    `Dave, zu Deiner Info, ich bin keine Frau. Zudem hast Du als Geistmagier doch völlig andere Möglichkeiten zu überprüfen wie jemand zu Dir steht. Ließ die Person aus. Unhöflich… möglicherweise, aber manchmal notwendig.


    Mit mir warst Du oft genug verbunden und wir waren mehrfach sogar Eins!
    Irgendwo einen Zweifel entdeckt?
    Misstrauen, Skrupel oder Bedenken meinerseits?


    Du genießt mit mir den Luxus zu WISSEN was ich für Dich fühle!


    Wissen Dave! Du weißt es, Du weißt um meine Gefühle für Dich, als wären es Deine eigenen Gefühle! Du musst weder vermuten, raten, noch hoffen. Du musst Dich nicht auf mein Wort verlassen oder Deine Intuition wie Puries das müssen.
    Nein, denn Du weißt es!


    Und Pavo wird nichts dagegen haben. Warum sollte er? Er ist Dein bester Freund. Meinst Du der hat was dagegen, wenn Du glücklich bist? Wohl kaum. Du bist ein Querdenker Sternchen. Aber hier passt das nicht und mir passt das nicht!´, übermittelte Varmikan zerknirscht.


    „Du hast völlig Recht, es tut mir leid Schatz. Mein Verhalten war töricht“, sagte Dave, beugte sich über den Tisch und küsste Varmikan lang und fest in aller Öffentlichkeit auf den Mund.
    „Schon gut“, flötete Varmikan verlegen und aß grinsend weiter.


    Varmikan aß einen Moment nachdenklich weiter und beobachtete Dave dabei mit Argusaugen. Der Naridier erwiderte den Blick und hob fragend eine Augenbraue. Varmi schob Dave die Hand rüber und hielt sie fordernd auf.


    `Ich habe nachgedacht. Gib mir bitte das Geschenk zurück´, bat Varmikan mental. Der Frostalb schaute Dave ernst an. Der Naridier erwiderte den Blick ebenso ernst.
    `In Ordnung´, antwortete Dave, kramte in seiner Tasche und drückte es Varmi in die Hand.


    `Kennst Du einen guten Heiler Sternchen?´, fragte Varmikan mental.
    `Pavo´, antwortete Dave auf gleichem Weg.


    `Nein nicht Pavo. Einen anderen Heiler. Einen der mich nicht kennt und die Infos die ich ihm zwangsläufig geben muss nicht gegen mich verwenden wird. Lass uns bitte hierbleiben und nicht nach Skille fahren in Ordnung? Das wäre mir wichtig Dave´, bat der Frostalb.
    `Selbstverständlich, was ist denn los?´, hakte Dave besorgt nach.


    `Dave ich muss von dem Naschzeug loskommen. Ich kann nicht mit Dir nach Skille reisen und mir dort neuen Scheiß kaufen. Ich hab Dich sogar in meinen Sumpf mit reingezogen. Ich bin Dein Mann, nicht Dein Dealer oder Dein Henker. Ich muss auf Dich aufpassen, damit Dir nichts passiert. Was mache ich hier eigentlich die ganze Zeit? Ich bringe Dich in Gefahr! Toller Gefährte bin ich. Ich muss von dem Scheiß weg´, flüsterte der Alb mental.


    `Warum nimmst Du es?´, fragte Dave.


    `Weil ich Eure Welt manchmal kaum ertrage. Ständig müde, ständig Kopfschmerzen, ständig Augenschmerzen, ständig alles überbelichtet, ständig Hautprobleme, ständig Kreislaufprobleme... jedenfalls sehr oft´, erklärte Varmi.
    `Auch Heimweh oder tatsächlicher, körperlicher Schmerz?´, fragte Dave liebevoll.


    Varmikan nickte stumm und zuckte dann die Achseln. Der Alb dachte einen Moment nach und teilte dann einfach offen seine Empfindungen mit Dave, da sie mental verbunden waren.


    `Vergleich - mach mal in Rakshanistan in der Wüste Urlaub im Hochsommer und geh raus zur Mittagszeit. So fühle ich mich fast jeden Tag. Ich nahm das meiste Naschzeug um nichts davon zu fühlen. Irgendwann hat sich das selbständig gemacht.


    Und jetzt wo ich darüber nachgedacht habe, wozu ich Dich beeinflusst habe und was ich heute für ein "Abendprogramm" geplant hatte, will ich das Zeug nicht mehr nehmen. Meine Aufgabe als Dein Mann ist Dein Schutz und Dein Wohlergehen. Ich hab mich beschissen und leichtsinnig verhalten, verzeih mir das. Ich will nicht dass Dir was passiert. Ich will Dich nicht verlieren. Drum fahren wir nicht nach Skille. Drum werden wir den Dreck nicht mehr nehmen. Beschlossene Sache, gibt keine Diskussion darüber´, versuchte Varmi zu erklären.


    `Gut. Ich liebe Dich auch und ich will Dich auch nicht verlieren. Ich finde dafür eine Lösung. Pavo wird Dir bei Deinen Problemen helfen und Du lässt Dir helfen Varmi. Beschlossene Sache´, schmunzelte Dave.


    `Es gibt eine Lösung für uns. Ein Dunkelstein würde mir helfen. Nur sind die extrem teuer, aber das ist nicht mal das Problem. Ich weiß nicht, wo wir einen herbekommen könnten´, erklärte Varmikan.
    `Mit Taler kann man alles lösen, jedenfalls solche Probleme. Ein Dunkelstein? Ich kümmere mich drum´, antwortete Dave aufmunternd.


    `Dankeschön´, bat Varmikan.


    `Woher stammen diese Steine? Von Deinem Volk? Dann müssten wir vielleicht doch nach Skille reisen. Ich werde aufpassen, dass Du keinen Unsinn kaufst, falls wir dahin reisen müssen. Und ich lass ebenfalls freiwillig die Finger davon, auch vom Rauchzeug´, teilte Dave mit Varmikan seine Überlegungen.


    `Danke Sternchen. Ja richtig Davy, sie stammen von unserem Volk. Ein magischer Dunkelstein ist eine Art Katalysator. Er entzieht Frostalben die überschüssige Sonnenenergie und bringt unseren Körper wieder in Ausgeglichenheit. Große Dunkelsteine werden in Dunkelkammern aufgestellt.


    Dunkelkammern sind Räume die von Magiern entwickelt wurden. Die Kammern sind vollständig abgedunkelt.


    Alternativ gibt es auch eine kleinere Dunkelsteine in Form von Halsschmuck. Die Kunst einen Dunkelstein zu schaffen, ist extrem kostspielig, weil nur Magier die notwendigen Kenntnisse für die Erschaffung eines Dunkelsteins besitzen. Daher ist dieser Halsschmuck sehr teuer und nur wenige Frostalben können sich diesen leisten. Wir könnten auch hier einen finden, an einem fremden Frostalben, der keine Probleme hat Tagsüber zu wandeln´, erklärte Varmi gedanklich.


    `Wie gesagt, ich kümmere mich drum, mach Dir keine Sorgen. Bleibt Dein Schmacht auf Naschzeug. Wenn Du das nicht mit meiner Hilfe packst, müssen wir Pavo mit ins Boot holen. Geht nicht anders. Normal klappt das aber auch über mentale Beeinflussung, wenn Du möchtest´, bot Dave an.


    Varmikan nickte zustimmend.


    `So machen wir das. Danke Sternchen´, grinste der Alb.
    `Bitte Klingenohr´, grinste Dave zurück.


    # # #


    Sie standen vor der Tür der Tempelanlage. Sie hatten den Innenhof durchquert und hier standen sie nun. Sie sahen erst jetzt, dass es unmittelbar neben dem ersten einen zweiten größeren Durchgang gab. Fragend runzelte Aino die Stirn und schaute Pavo an.


    „Wir sollten es wagen – wir müssen hinein, so oder so. Die ganze Anlage scheint so etwas wie ein Labyrinth zu sein. Oder ist so etwas geworden, durch eingestürzte und umgestürzte Steine und Bauten“, erklärte Jeelen freundlich.


    „Ja das sehe ich auch so. Los Leute einfach mir nach“, sagte Lydia gut gelaunt.


    Der Entdeckerdrang hatte von ihr Besitz ergriffen und nun wollte sich auch wissen was sich in dem Tempel befand. Aino gab die Vorhut und ließ es sich nicht nehmen die Tür zu öffnen.


    Sie betraten einen langen Gang. Dieser führte auf einen gewaltigen, gut zwanzig Meter messenden Balkon hinaus, der wie ein Vogelnest an die Flanke des Bauwerks angeklebt war. Ein Untier schien ein Drittel und den allergrößten Teil des brusthohen Steingeländers abgebissen zu haben. Der übrig gebliebene Rest war von einem Netzwerk von Löchern durchzogen, aber immer noch stabil genug ihr gemeinsames Gewicht zu tragen.


    Vom gegenüberliegenden Ende des Balkons aus führte eine kühn geschwungene Treppe zur Flanke eines anderen Gebäudeabschnitts. Und auf ihren untersten Stufen lag etwas sehr Merkwürdiges. Etwas dass man lieber nicht gesehen hätte.


    Es hatte ungefähr die Größe eines zwölfjährigen Kindes, war schwarz wie die Nacht und musste ein paar größenwahnsinnige Kakerlaken in seiner Ahnenreihe gehabt haben.


    Zwei seiner vier Hände umklammerten eine Art Schwert, was darauf schließen ließ, dass sein Charakter ungefähr seinem Aussehen entsprochen hatte – bevor ihm irgendwas das Genick gebrochen hatte.


    Daneben lag eine zweite, etwas kleinere Scheußlichkeit, die ein paar Arme und Beine weniger hatte, deren jetzt in anderthalb Metern Entfernung liegenden Mandibeln dafür aber wohl selbst Seddik Respekt eingeflößt hätten, wäre das Wesen noch am Leben.


    „Was sind das für Insekten? Und was machen sie hier?“, fragte Aino in die Runde.
    „Vielleicht sind sie die Ureinwohner dieser Stätte. Niemand hat gesagt, dass diese Ureinwohner oder Urvölker wirklich Humanoid sein müssen. Aber egal was oder wer sie sind, sie sehen unheimlich gefährlich aus. Wir sollten uns möglichst vor ihnen in Acht nehmen“, sagte Wolfi leise und alle nickten zustimmend.


    „Wirklich seltsam solche Geschöpfe und dann noch ausgerechnet hier. Gut ihre Anwesenheit könnte ich mir noch mit dem Dschungel erklären. Da lebt sicher einiges, was wir gar nicht kennenlernen wollen.


    Aber was mich beunruhigt ist die Tatsache, dass diese riesigen Insekten auch gewaltige Kraft gehabt haben müssen. Ihr wisst wie stark Ameisen angeblich sein sollen. Wer oder was hat den Riesenschaben das Genick gebrochen und ihnen diese messerscharfen Beißzangen aus dem Gesicht gerissen?", grübelte Lydia.
    "Wichtig ist doch nur, dass es irgendwer getan hat und sie tot sind", warf Wolfi grinsend ein.


    "Aber wer immer das getan hat, muss demnach gefährlicher sein, als die Monster-Schaben. Und was immer es ist, wir sollten uns davor hüten", warnte Jeelen.


    "Die Insekten sind sicher gefährlich und wir müssen aufpassen, von keinem der Biester erwischt zu werden. Aber wie Jeelen schon richtig sagt, wir sollten aber doppelt aufpassen, dass wir uns nicht versehentlich hier mit dem Kammerjäger anlegen Leute“, sagte Urako freundlich mahnend an alle gewandt und starrte die toten Tiere noch eine Weile an.


    Er versuchte vergeblich eine Antwort auf den unglaublichen Anblick zu finden. Einen Moment lang blickte er hilflos in die Gruppe, als ob jemand von ihnen urplötzlich eine Eingebung und die Antwort auf seine Frage hätte. Aber die anderen waren genauso ratlos wie Urako selbst.


    „Lasst uns weitergehen und haltet die Waffen schussbereit“, wies Aino die Gruppe an und ging mit gutem Beispiel voran.


    Jeelen und Gasmi übernahmen die Führung und führten die Gruppe tiefer in den Tempel hinein. Neben dem seltsamen Balkon, gab es zig Nischen und Schlupflöcher die in die Tiefe der Anlage führten.


    Die Wände waren reich verziert und es machte Spaß diese zu betrachten. Sie fühlten sich wie Entdecker einer alten versunkenen Welt.


    Das waren sie auch, nur waren sie hier nicht allein und sie waren nicht die ersten die den Platz entdeckt hatten. Die Gruppe marschierte noch eine Weile, bis sie in einen ehemals runden Raum kam, in dem die meisten Wände eingestürzt waren. Überall lagen Trümmer herum, Wasser hatte sich in Form eines kleinen Wasserfalls seinen Weg durch die Ruine gebahnt und eine grüne Götterstatue stand in einer Ecke. Das ganze verlieh dem Raum einen urtümlichen, wunderschönen Charme.


    „Guckt Euch dass nur an!“, sagte Pavo begeistert.


    Anwolf schloss zu ihm auf, dicht gefolgt von Urako. Pavo schaute sich um und versuchte etwas zu deuten. Auf einen Stein war ein Zeichen gemalt. Es war nicht einfach dahin geschmiert, sondern der Künstler hatte es mit äußerster Präzision auf den Stein gemalt.


    "Was ist das? Ich glaube so etwas habe ich schon einmal gesehen", grübelte der alte Goblin laut.


    "Ein Zeichen der Älteste, so nennt man sie. Eine sehr mächtige Schutzrune. Kurzum das ist ein Artefakt. Stell es Dir als eine Art Tür vor. Oder noch besser als einen magischen Türsteher. Sie hindert was auch immer am Betreten dieses Bereichs.


    Bekannt waren sie früher dafür vor "Plagegeistern" zu schützen. Vor allem sind sie dafür bekannt Dämonen-Schlangen zu schützen.


    Es gibt viele Mythen und Legenden in denen solche Schlangen vorkommen. Viele Leute waren Abergläubisch, oder sind es heute immer noch. Ich vermute, wer immer hier noch anwesend ist, egal ob Grabräuber oder Schmuggler, haben hier irgendwo Götzenbilder mit Schlangen gesehen. Die beiden Typen da draußen kamen ja auch nicht von ungefähr.


    Und wenn es hier in so einem Gebäude dunkel wird, da können einem die Sinne schon mal Streiche spielen. Da wird ein Regenwurm zur tonnenschweren Super-Schlange.


    Andererseits müssen wir uns fragen, wer hat den Burschen im Alkoven so zugerichtet und seine Kacke im Raum verteilt? Und wieso finden wir eine dermaßen mächtige Schutzrune?


    Es könnte sein, dass wir auf Feinde treffen, die nicht nur den Piraten Sorgen bereiten und Rätsel aufgeben, sondern auch uns.


    Sprich dass wir es hier mit Übernatürlichen Wesenheiten zu tun haben – kurzum – Dämonen oder Untoten in anderen Klassen als die gewöhnlichen kleinen Scheißer“, erklärte Anwolf fachmännisch, ganz entgegen seiner sonst so spontanen und frotzligen Art.


    „Dämonen? Ich möchte nichts mit Dämonen zu tun haben“, raunte Lydia.


    "Eine bodenlose Frechheit! Dann will ich nichts mehr mit Zwergen zu tun haben. Und Puschel auch nicht", beschwerte sich Gasmi.
    "Du warst sicher nicht gemeint", lachte Aino leise und knuffte Gasmi.
    "Will ich auch schwer hoffen", grinste Gas.
    „Naja sind wir ehrlich, wie der Kerl getötet wurde, das hat doch nichts „menschliches“ mehr gehabt. Ich meine jeder Büttel, Soldat und auch Assassine hat schon Gräueltaten gesehen.


    Aber danach mit den Eingeweiden noch Malen-nach-Zahlen zu spielen, dazu muss man schon jenseits von Gut und Böse sein. Ein Dämon wäre da vielleicht wirklich eine Möglichkeit. Was mich allerdings nicht gerade beruhigt“, warf Seddik ein.


    "Es muss kein Dämon sein. Dafür kann es auch eine ganz logische Erklärung geben, zum Beispiel abgrundtiefer Hass", schlug Pavo vor.


    "Naja aber wenn ich wen abgrundtief hassen würde, würde ich ihn vermutlich in der Stadt umbringen und nicht mitten im Urwald, wo ich nachher selber noch umkomme. Wer hasst denn so abgrundtief und unlogisch? Verwandte... vergesst meinen Einwand. Trotzdem bin ich der Meinung dass es keine normale Person ist, die hier ihr Unwesen treibt", sagte Anwolf und dachte angestrengt nach.


    „Das glaube ich auch nicht. Bleibt vorerst die Frage ob wir hinauf oder hinabsteigen wollen. Wir brauchen auch einen sicheren Rastplatz“, warf Urako ein.


    „Wir halten uns weiter auf dieser Ebene würde ich sagen“, warf Seddik ein.
    „Richtig, bleiben wir auf dieser Ebene oder versuchen wir sogar etwas höher zu bleiben. Schlangen an sich bevorzugen tiefe Verstecke. Und Wesen der Dunkelheit, suchen logischer weise auch die Dunkelheit. Aus dem Grund sollten wir vorerst versuchen hier unser Glück zu suchen“, warf Pavo in die Runde.


    „In Ordnung, dann machen wir es so“, beschloss Aino.


    Das war Pavos und Anwolfs Gebiet, Aino würde ihnen nicht in die Entscheidung reinreden. Wenn Pavo meinte, dass es besser so war und diese Schutzrune mächtig war, wären sie dumm nicht die Warnung zu beachten.


    Die Gruppe setzte sich erneut in Bewegung als sie eine dritte Gestalt zusammengesunken auf der Treppe fanden. Ebenso tot wie die beiden Insekten vorher.


    Nur war es kein Insekt, sondern eine Frau in Lederkleidung. In Ihrer Hand hielt sie einen Bogen. Sie blickten in die weit aufgerissenen, starren Augen eines allerhöchstens achtzehnjährigen, sehr hübschen Alben-Mädchens.


    Gasmi beugte sich hinab und konnte keine offensichtliche Verletzung erkennen.


    „Was immer es war, ihr Bogen hat sie nicht verraten. Die Waffe ist funktionstüchtig. Der Angreifer muss schnell gewesen sein“, teilte er der Gruppe mit.
    „Wie damals im Wald? Fass sie nicht an, guck ob sie die gleichen Anzeichen hat wie die Opfer im Wald damals“, bat Aino ihn freundlich.


    „Nein keine Sorge, irgendwas hat sie nur schneller erwischt als sie ihre Waffe hochreißen konnte. Aber diese komischen Spuren sind nicht auf der Frau“, sagte Gasmi freundlich.
    „Du hast Recht Gasmi, aber ihr solltet Euch DASS ansehen was Seddik und ich einen Alkoven weiter entdeckt haben Leute“, rief Urako ihnen zu.


    Die Gruppe folgte dem Ruf von Urako und Seddik. Ein niemals zuvor gekanntes Gruseln ergriff Aino, als sie die hängenden Säcke sah. Man konnte sich genau ausmalen, welchen Inhalt sie verbargen.


    Dass man nichts Genaues sah, machte die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Der Anblick erfüllte Aino mit schierem Entsetzen. Sie ging zu Pavo herüber und legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter.


    Es war nicht der Umstand, dass sie tot waren. Der Anblick des Todes in jeder nur vorstellbaren Form gehörte seit langer Zeit zu ihrem Leben. So war es in ihrem Clan. Er gehörte dazu wie die täglichen Mahlzeiten und die niemals endenden Aufträge oder Fehden.


    „Lass uns bitte von hier verschwinden“, hauchte sie.
    „Natürlich. Lasst uns gehen. Wer immer das getan hat, schien nicht die geringsten Skrupel zu kennen. Die kommende Nacht werden wir mit Wachen verbringen müssen. Du musst keine Angst haben“, flüsterte Pavo Aino zu, da der alte Heiler das Unbehagen der Almanin instinktiv spürte.


    Die Gruppe ging vorsichtig und äußerst wachsam weiter.


    ****


    Er hatte mehr Tote gesehen als so mancher General einer großen Armee, und nur die allerwenigsten davon waren auf natürliche Art gestorben. Er hatte selbst getötet, musste selbst töten.


    Egal ob Goblin, Mensch, Alb oder welche Lebensform auch immer. Egal ob Frauen, Alte und selbst Kinder – wenn er den Drang verspürte, dann jagte er.


    Man konnte auf so viele Weisen töten. Per eigener Hand, durch ein Wort zu viel oder sogar durch ein Wort zu wenig. Indem man einfach schwieg, wenn nur ein Wort das Leben des anderen retten würde. Mitleid, war ihm unbekannt.


    Er kannte all ihre Namen, kannte seine Herde sehr gut, kannte sie schon sehr lange. Er unterschied sie allerdings am Geruch- und am Gehörbild wie er es nannte.


    Ein schwaches Gefühl von Triumph breitete sich in ihm aus. Er hatte seine Herde gut beschützt und das kleine Alben-Miststück umgenietet. Allerdings hatte er wenig Grund, zu jubilieren. Statt der Befriedigung, die der Anblick des toten Mädchens in ihm hätte weiter wachrufen sollen, machte sich eine düstere Unruhe in ihm breit.


    Er witterte nach einer neuen Gefahr… nichts.


    Ohne dass er es genauer begründen konnte, hatte er plötzlich das Gefühl, nicht am Ende, sondern vielmehr am Anfang einer Suche zu sein. Er richtete sich lautlos auf. Noch schützte er seine Herde, noch. Allerdings war es jetzt nur noch eine Frage der Zeit, wann sie ihre Aufgabe erledigt hatten.


    Dann würde er sie erledigen.


    ****


    Vorsichtig gingen sie weiter. Jeelen und Aino gingen nun ungefähr hundert Schritt vor der Gruppe um den Weg nach Fallen oder einem möglichen Hinterhalt abzusuchen.


    Gasmi wurde bewusst bei der Gruppe gelassen. Beide Fährtenleser in Gefahr zu bringen, konnten sie sich nach dem letzten Fund nicht leisten.


    Jeder Gedanke an dass, was sie auf der anderen Seite der Tempelanlage antreffen mochten wurde bei Seite geschoben. Sie mussten ihre ganze Konzentration dafür aufwenden um schlichtweg einfach weiterzugehen.


    Was von unten betrachtet wie ein sanft geschwungener Bogen ausgesehen hatte, entpuppte sich bald als eine gewaltige Steigung, die all ihre Kraft verlangte. Solange es nur Stufen oder Trümmer waren, ging es noch. Aber an einigen Stellen war der Stein glatt wie Glas.


    Die Tiefe schien sie in sich hinab saugen zu wollen. Mit jedem Schritt, den sie weiter in den Tempel gingen, hatten sie mehr das Gefühl, die ganze gewaltige Konstruktion unter sich beben zu spüren.


    Natürlich waren sich die Gruppenmitglieder darüber im klaren, dass das unmöglich war, nichts als eine Sinnestäuschung die ihre überreizten Nerven verursachten. Das Wissen nutzte aber verdammt wenig, wenn über unter und neben einen Tonnen von uraltem Stein aufgeschichtet war. Wären sie nicht als Gruppe unterwegs gewesen, wäre sicher der eine oder andere bereits umgekehrt.


    Aber so quälten sie sich im Team immer weiter vorwärts, gaben sich gegenseitig Halt und Hilfe. Sie erreichten einen großen Raum, der mit goldenen Scheiben an der Seite verziert war.


    Während sich die Gruppe staunend umsah, kniete Jeelen nieder und untersuchte die Fußspuren, die der Staub akribisch konserviert hatte. Es waren die Spuren von menschlichen Füßen, aber auch die kleinerer, drahtiger Klauen, vermutlich Insektenbeine wie sie vorher die großen Biester gesehen hatten, schoss es dem Goblin durch den Kopf.


    Sie führten in gerader Linie zu einer von drei verschlossenen Türen in der gegenüberliegenden Wand. Ein weiteres Indiz für die Anwesenheit von Personen waren in den unteren Gefilden die brennenden Fackeln und Kerzen. Vermutlich hatten die Piraten diese entzündet, um sich sicherer zu fühlen und ihre Beute sichern zu können.


    Jeelen wollte weitergehen, aber Aino hielt ihn mit einer knappen Geste zurück und eilte an ihm vorbei. Jeelen widersprach nicht. Schweigend sah er zu, wie Aino die beiden Türen inspizierte zu denen keine Spuren führten, und vergeblich an den massiven Eisenplatten rüttelte ehe sie sich schließlich dem dritten Durchgang zuwandte und ihn ohne sichtliche Mühe aufschob.


    Dahinter kam ein schmaler, von Fackelschein erhellter Gang zum Vorschein. Jeelens Blick konnte einige Schritte weit hineingucken, denn der Gang war leicht gebogen.


    Abermals gebot Aino Jeelen und den anderen zurückzubleiben, trat durch die Tür und in den Gang hinaus. Ein ganz leises Raunen drang an ihr Ohr, wie das Geräusch von Wind, aber unendlich weit entfernt und diesmal war sich die Gruppe nicht ganz sicher, ob sie sich das Zittern des Bodens unter ihren Füßen wirklich nur einbildeten.


    Vor dem inneren Auge von Jeelen entstanden Visionen von aufschnappenden Falltüren, unter denen bodenlose Abgründe lauerten. Er versuchte die Visionen dorthin zurückzuscheuchen, woher sie gekommen waren.


    Lydia stellte sich an seine Seite und nahm ihn bei der Hand. Jeel fühlte sich spürbar wohler, als er Lydias Hand in seiner spürte. Es dauerte eine Weile dann war Aino zurück.


    „Das hier Leute ist nicht nur ein Tempel. Das ist eine unterirdische Stadt. Folgt mir, ihr werdet nicht glauben was ihr zu sehen bekommt“, sagte sie mit breitem Grinsen und übernahm die Führung.


    „Na hoffentlich finden wir da einen Hinweis“, maulte Wolfi, der das Laufen mittlerweile mehr als leid war.
    „Ganz bestimmt, aber allein der Anblick wird Euch gefallen“, muntere Aino den Backfisch und die Truppe auf.


    Gemeinsam ging sie diesmal mit Gasmi vor, führte die Gruppe durch ein steinernes Portal wo man schon gewaltige Feuerschalen lodern sah und führte sie hinaus auf einen Balkon, der den Anblick über die unterirdische Stadt freigab.


    Die Gruppe folgte auf dem Fuße und starrte gebannt hinunter auf die sich unter ihnen ausbreitende Stadt.


    „Das sieht fantastisch aus. Wer rechnet denn hier mit sowas?“ sagte Pavo begeistert.


    „Ja das stimmt. Wirklich ein wunderschöner Ausblick. Kann man einfach nicht anders sagen. Wir müssen die Stadt erkunden. Da gibt es sicher einige Hinweise. Aber wir müssen auch vorsichtig sein. Die Feuer wird jemand entzündet haben. Und diese Stadt wird seine Heimat sein. Wir müssen aufpassen“, sagte Gasmi und schaute Aino abwartend an.


    „Ja“, bestätigte diese kurz und grinste.


    Gasmi stellte sich neben Aino und deutete auf das höchste Gebäude der unterirdischen Stadt.


    „Guck mal da nach oben. Dieses seltsame Gebilde, dieses Ei – es leuchtet auch. Aber scheinbar nicht durch Feuer, sondern durch etwas ganz anderes. Oder es wird im Inneren erhellt. Das muss einen Grund haben und den sollten wir herausfinden. Was meinst Du?“, fragte der Düsterling nach.
    „Ja sicher. Wovon es erhellt wird kann ich von hier aus nicht erkennen, das ist für mich einfach zu weit weg“, sagte Aino mit verlegenem Schulterzucken.


    „Das kann keiner von hier aus erkennen, finden wir es einfach raus“, sagte Seddik freundlich.
    „Genau! Lasst uns die Stadt erkunden“, fügte Wolfi an und lehnte sich müde gegen Urako.


    „Na dann Aufbruch Ihr Lieben“, grinste Aino.


    Sie marschierten los und begaben sich an den Abstieg. Der Weg nahm kein Ende. Aino verlor das Zeitgefühl, irgendwo in einem der endlosen Gänge. Sie wusste nicht mehr, ob es eine Stunde war, wenige Augenblicke oder eine Ewigkeit die sie sich an den Abstieg gemacht hatten.


    Das dumpfe Rauschen und Brausen begleitete die Gruppe weiterhin. In diesem Augenblick erinnerte es Aino an den Atem einer Kreatur. Dann war der Abstieg geschafft und sie standen auf einem der Hauptwege der unterirdischen Stadt.


    Alle vier-, fünfhundert Schritte gelangten sie an eine Tür, als hätten die Erbauer schon damals genauestens geplant und wollten die Stadt in passende Distrikte oder Sektionen einteilen. Es gab auch noch andere Einbuchtungen, scheinbar auch Türen ausnahmslos auf der linken Seite.


    Wie kleine Wartehallen waren sie in den Stein eingelassen. Jeelen untersuchte eine neugierig, aber Lydia legte ihm eine Hand auf den Rücken und führte ihn weiter.


    Im Moment waren sie hier Eindringlinge und keine erbetenen Gäste. Man konnte nicht vorsichtig genug sein. Wer wusste was passieren würde, sollte man einen Stollen oder eine der Türen zu früh aufbrechen. Die Gruppe marschierte geschlossen weiter.


    Dann fanden sie erneut zwei Tote. Sie waren durch eine Tür getreten, wie immer als erstes hier Aino und Gasmi, gefolgt vom Rest der Gruppe.


    Auf einer Stufe lag ein Kerl - ein Alb. Gasmi war mit zwei, drei schnellen Schritten bei der reglosen Gestalt um sie rasch aber gründlich zu untersuchen.


    „Komm da weg“, rief Urako besorgt.


    Wenn er jemals einen Toten gesehen hatte, dann diesen. Trotzdem wartete er geduldig, bis Gasmi sich mit zufriedenem Nicken aufrichtete und ihm mit Gesten zu verstehen gab, dass keine Gefahr bestand.


    Der Tiefling ging zu ihm rüber und beugte sich ebenfalls über den Toten. Der Kerl war alt, so alt dass er hätte sein Vater sein können. Sein im Tode bleich gewordenes Gesicht war von tiefen Linien durchzogen, ohne dadurch direkt hässlich zu wirken. Aber es waren die Augen die beunruhigend waren. In seinen erloschenen Augen schien noch ein Ausdruck ungläubigen Schreckens zu stehen.
    Seine rechte Hand umklammerte immer noch sein Schwert, wie es die Gruppe bei der Toten draußen gesehen hatte.


    Der Leichnam verströmte einen ganz sachten, aber unangenehmen Geruch. Unter dem Kopf war ein hässlicher, braunroter Fleck, ebenso wie auf der Stufe darunter, der nächsten und der übernächsten.


    Gasmis Blick folgte der Spur, bis sie sich im Staub des weiteren Ganges verlor.


    „Vermutlich war das Mädchen draußen raus gerannt um nachzusehen was los war, während der Alte zurückkehrte um was zu tun? Hilfe zu holen vielleicht? Kameraden zu warnen? Was immer hier eindrang hat sie eingeholt und sie sich gepackt“, überlegte Gasmi laut.


    „Vielleicht ist er in der braunen Brühe auch ausgerutscht und hat sich den Schädel aufgeschlagen. Er hat es eilig gehabt, zu eilig und kam so zu Tode. Alben eben, die sind doch eh was tollpatschig.


    Wenn ihr wüsstet was das Weißwürstchen Varmikan schon alles verschüttet hat in der Schreibstube, echt unglaublich. Von Kaffee bis zur Tinte, war alles dabei“, murmelte Wolfi, dem diese Möglichkeit viel besser gefiel, als die eines heimlichen schleichenden Mörders.


    "Weißwürstchen", prustete Seddik gut gelaunt bei dem Kommentar von Anwolf.
    "Geradeaus laufen können sie Wolfi, meistens jedenfalls", lachte Lydia leise.


    Pavo gesellte sich zu Gasmi und untersuchte nun seinerseits den Toten. Er drehte ihn vorsichtig um, und inspizierte alles ganz genau.


    „Ich glaube nicht Wolfi. Er ist nicht ausgerutscht. Er hat Wundmale hinten am Genick. Die Waffe muss sehr scharf und spitz gewesen sein, wie von einer großen Katze. Aber dagegen sprechen die Spuren im braunen Zeug guckt nur, dass sind keine Katzenspuren“, sagte Pavo.


    Jeelen hockte sich neben Pavo und schaute auf die leichten Spuren im brauen Sud und im Staub.


    „Kaum Bodenberührung, vermutlich Stiefel. Ein Assassine und verdammt guter. Der Zahn könnte auch eine Waffe sein. Jemand der einen großen Zahn als Dolch benutzt. Dann hat der Angreifer zweimal zugeschlagen. Ein weiteres Zeichen dafür, dass es einer aus unserer Zunft ist. Erster tödlicher Schlag, zweiter Schlag nachgesetzt zur Absicherung, dass das Opfer wirklich tot ist“, erklärte Jeelen.


    Alle Blicke wandten sich nun Wolfi zu. Wenn einer vielleicht Licht ins Dunkel bringen konnte dann er. Sie alle hatten die Rune gesehen und ganz so nutzlos schien sie ihnen nun doch nicht zu sein. Aber irgendwie war eine Wesenheit oder eine Person genau daran vorbeigeschlüpft.


    Wolfi hielt sich an Seddik fest und ließ sich in den Nexus fallen. Der große Ork stützte den jungen Magier, während Anwolf die Leiche mental abtastete. Einen Augenblick später war Anwolf wieder im Diesseits und musterte die Gruppe.


    „Das Artefakt aus dem Wald war hier. Dieses schwarz-violette O. Es war kurz wach. Die Waffe, also die Waffe die aussieht wie ein Zahn habe ich nicht gesehen. Von der Körperhöhe her muss der Träger des Artefakts ungefähr die Größe von Jeelen oder Lydia haben. Es ist kein Mensch. Falls es ein Mensch ist, ist der Assassine ein Kleinkind.


    Das Artefakt ist mächtig, man kann es nicht aufspüren, wenn es ruht. Hier ist aber auch andere Magie gewirkt, uralt, fremd, neutral solange man nicht... keine Ahnung. Vermutlich sich an die Regeln hält, wie immer die aussehen. Ich kann es nicht entziffern, es ist undeutlich wie hinter dichtem Nebel. Uralte Echos.


    Lasst uns in eines der Häuser gehen. Vielleicht haben wir von einem Dach aus eine gute Übersicht über die Stadt. Vielleicht sehen wir von oben auch unseren Widersacher durch die Häuser streifen“, schlug Wolfi vor.


    Seddik rieb sich bei der neuen Information den Nacken. Es mit übersinnlichen Wesen zu tun zu bekommen, die er nicht mit purer Gewalt bekämpfen konnte, machte ihm innerlich doch arg zu schaffen.


    Um sich etwas abzulenken schaute er sich einfach in der Gegend um. Das Nützliche mit dem Praktischen verbinden dachte er noch gerade bei sich, als er nach einem etwas höheren Haus Ausschau hielt, von dessen Dach aus sie die Stadt gut überblicken konnten.


    „Dort das Haus macht einen guten Eindruck. Hoch und weitläufig, da haben wir alle oben gut Platz“, schlug der Ork vor und Aino nickte zufrieden.
    „Dann nichts wie rein“, sagte Jeelen.


    Die Gruppe machte sich unter Führung von Seddik direkt auf den Weg. Seddik und Urako traten die Tür ein, schauten sich kurz sichernd um, ehe sie die Treppe des Hauses nahmen und hoch bis zum Dach liefen.


    Scheinbar war hier alles aus Lehm gefertigt, sogar die Stufen und das Innere des Hauses. Urako war zuerst auf dem Dach und ihm stockte der Atem. Vor sich sah er eine Bewegung auf dem Dach. Jemand rannte davon. Die Gestalt war kaum mehr als ein undeutlicher Schatten, klein, gebeugt, und rasend schnell.


    Die Gestalt hielt am Rand des Daches inne und drehte sich kurz um. Ein schwarz-violetter Blitz zischte auf. Die Peitsche zuckte einen Millimeter an Urakos Gesicht vorbei. Er spürte die kinetische Energie die ihm beinahe das Gesicht zerfetzt hätte.


    Urako erstarrte und sah alles wie in Zeitlupe. Die kleine Gestalt stieß einen durchdringenden, wütenden Schrei aus. Sie reckte den Arm hoch und der "Blitz" wickelte sich um ein gelbes Handgelenk!


    Dann wandte sich die vermummte Gestalt ab und rannte in perfekter Balance am Rand des Daches entlang. Als sie am Ende angekommen war, sprang sie, ohne auch nur einen Sekundenbruchteil zu zögern in die Tiefe.


    Sie schien einen Augenblick in der Luft zu schweben, bevor sie außer Sicht verschwand und stürzte.


    Vier Stockwerke tief. Von unten ertönte ein tiefes Stöhnen. Jemand schlug auf den Boden und versuchte wegzukriechen. Urako schüttelte seine Starre ab und rannte zurück.


    Es war Seddik.


    „Oh nein“, schrie Urako, rannte zu seinem Kollegen und hockte sich vor ihm auf die Knie. Quer über Seddiks Brust verlief ein tiefer Schnitt, von der rechten Schulter bis zur linken unteren Seite des Brustkorbs. Ein weiterer Schnitt verlief über seinen Oberarm und endete kurz unterhalb des Ellbogens.


    Aino kam angesprintet, hockte sich neben Urako mit dankbarem Nicken und untersuchte Seddik mit. Seddiks Rüstung war zerfetzt, Blut vermischte sich mit dem Staub der Luft und bildete seltsame Linien auf seiner weißen Haut.


    „Das Ding ist weg – es war zu schnell. Oben hat es mir fast das Gesicht gespalten mit einem Blitz“, entschuldigte sich Urako.
    "Das ist doch nicht Deine Schuld", sagte Seddik matt.


    „Pavo!“, brüllte der Tiefling und die alte Heiler erschien umgehend.
    „Bin schon da Urako“, sagte er.


    Wenn die anderen rannten konnte er meist nicht mithalten. Er war einfach zu klein und alt. Pavo kümmerte sich sofort um Seddik, säuberte seine Wunden und untersuchte sie dann eingehend.


    Seddik stöhnte dabei auf.


    „Verdammte Scheiße“, knurrte er, dabei sah er ehr zornig als schmerzverzerrt aus. Ein gutes Zeichen fand Urako. Das hieß für ihn, sein Kumpel war viel zu wütend um ernsthaft verletzt zu sein oder gar zu sterben.


    „Ich hätten diesen kleinen Wichser fangen müssen. Ich schwörs, ich hatte das Ding an einem seiner gelben Arme packen sollen, ich hätte den Zwerg den Arsch aufreißen sollen, ich hätte ihn…“, knurrte Urako, als ihn Aino unterbrach.


    "Gelbe Arme?!?", fragte Aino perplex.


    "Ja der Blitz, dieses seltsame Ding hat sich um einen gelben Arm gewickelt. Das Handgelenk war gelb. Wobei nicht richtig gelb. Es hatte Flecken...", grübelte Urako angestrengt nach und dann fiel es ihm selbst wie Schuppen aus den Haaren.


    "Das Gebäck...", keuchte er leise und starrte Gasmi an.
    Gasmi schüttelte langsam den Kopf.
    "Er gebietet nicht über Magie Puschel", warf Gas ein.


    "Welche Farbe hatte das Blitz-Dings?", fragte Anwolf Urako.
    "Es war schwarz-violett. Es hat sich um seinen Handgelenk gewickelt", erklärte Urako gewichtig. Alle Aufmerksamkeit war auf ihn gerichtet, er war der wichtigste Augenzeuge.


    Und irgendwie redete er gerne mit Anwolf. Warum auch immer, der junge Magier schien zu ihm aufzusehen. Wenn es gefährlich wurde, suchte er meist bei ihm Schutz.


    Auch jetzt hörte Anwolf ihm aufmerksam zu und im Gegensatz zu den anderen, machte er bei Urako niemals irgendwelche frechen Faxen. Warum das so war, wusste Urako nicht.


    "Ein Armband, schwarz-violett. Das ein Blitz ist. Das ist das Artefakt was wir suchen. Wer immer es trägt, muss nicht über Magie gebieten Gasmi. Das Artefakt selbst trägt alle Magie in sich die es braucht. Es ist eine Waffe, Urako hat es eindeutig erkannt. Wer ist der Gelbe? Wenn er so gefährlich ist, wie ihr vermutet, ist er jetzt mit dieser Waffe weitaus gefährlicher", erklärte Wolfi und musterte besorgt Urako. Aber zum Glück hatte der Tiefling keine Verletzung davon getragen.


    Mittlerweile standen die anderen der Gruppe auch um sie herum.


    „Wie ist das passiert?“, hakte Aino besorgt nach und legte Seddik eine Hand auf die Schulter.


    „Wir wollten hoch aufs Dach. Urako war ziemlich flott oben. Zum Glück, als plötzlich was von oben vom Dach fiel. Es war so eine kleine Gestalt. Ich bin zurückgerannt um nachzusehen und sie ging sofort auf mich los.


    Das Ding griff mich an und schlug mit einem Blitz wie eine Peitsche nach mir. Ich hab es geschafft mich zur Seite zu drehen auf es zu. Ich habe es mit Wucht ins Kreuz getreten. Da hat sich das Biest herumgeworfen und nach mir geschlagen und mich voll erwischt. Also so“, sagte Seddik und zeichnete in der Luft den Schlag nach.


    „In dem Moment bekam es einen weiteren Tritt von mir, aber ich traf es nicht. Es war sehr schnell auf den Beinen und sprintete davon. Es verschwand weiter hinten in einer Seitengasse. Als ich es sah, war die Gestalt komplett in mattschwarzer Kombo gehüllt. Von der Gestalt her vermute ich das es ein Goblin war. Wenn es der Goblin war... haben wir ein Problem Leute.


    Unheimlich war, dort in der Seitengasse habe ich die Gestalt dann so seltsam flüstern hören. Ob es der Vermummte war, sprich das Gebäck, weiß ich nicht. Aber irgendwer schien dort zu flüstern. Wenn ich mich nicht irre waren es vielleicht sogar zwei Leute die flüsterten“, erklärte Seddik.


    „Ein Wispern? Ein Flüstern und ein seltsames Lachen? Ein ähnliches Flüstern – vielleicht sogar das gleiche, haben wir im Dschungel gehört, in der Nacht nach dem Angriff der Piraten. In der Nacht bevor Kigyo die Männer demontierte und sich nicht zeigte“, erklärte Jeelen sehr ernst.


    "Wartet - wenn es Kigyo ist, kann es nicht der "Butterkeks" sein. Sagt nicht von der Sorte gibt es zwei. Vielleicht ein Goblin der ähnlich gestrickt ist wie das Gebäck? Wieso sollte er sich Kigyo nennen? Keks war extrem selbstverliebt, er würde sich nicht umtaufen.


    Er trug seine Bezeichnung wie einen Herrschaftstitel - DER GELBE GOBLIN!


    Das Wesen kam von oben vom Dach. Ich habe es dort gesehen. Es sah aus wie ein Affe. Also fast wie ein Affe. Jeelen hat von unten auf es geschossen. Es flüchtete und sprang vom Dach herunter“, teilte Lydia der Gruppe mit.


    Seddik rollte sich zur Seite, stöhnte erneut auf und stand wackelig auf.


    „Du solltest Dich nicht bewegen. Warte doch einen Moment“, schalt Pavo ihn.
    „Ich hab keine Lust mehr auf dem Boden zu hocken, das ist alles. Mir fehlt nichts weiter, keine Bange. Den Rest hast Du doch schon versorgt“, sagte der Ork freundlich.


    „Du siehst aus wie eine der alten Leichen, die Ghule. Du weißt schon, die Dinger die wieder zum Leben erwachen“, sagte Jeelen freundlich.
    „Danke Jeel. Ich mag Dich auch unheimlich gerne“, antwortete Seddik.


    „Du musst herausfinden, was oder was das gewesen ist Wolfi“, sagte Aino und Urako nickte zustimmend.


    "Soll ich Dave kontaktieren?", fragte Anwolf verunsichert.
    "Was ist los? Hattet Ihr Streit?", fragte Urako.
    "Nein, ich konnte ihn nicht erreichen. Er war da und wiederum doch nicht. Ich kann es nicht erklären, da ich es selber nicht begriffen habe", antwortete Wolfi und zuckte die Schultern.


    "Hier wirst Du vermutlich noch mehr Schwierigkeiten haben Dave zu erreichen, wenn hier Magie wirkt. Untersuch die Stelle wo der Vermummte aufgekommen ist. Vielleicht spürst Du etwas", schlug Aino vor.


    Anwolf nickte gehorsam, ging direkt vor das Haus, suchte die Gegend ab und untersuchte dann die Stelle, wo der Vermummte auf den Boden gesprungen war.


    „Vier Stockwerke, das Wesen sprang einfach herunter, griff Urako und Seddik an und rannte dann weg. Seine Fußabdrücke sind eindeutig zu sehen, aber keine Hände. Er ist nur auf den Füßen gelandet? Wer springt so?“, grübelte Wolfi laut vor sich hin und deutete Richtung Dach.


    „Ich gehe nochmal rauf“, sagte Urako ruhig. Auch wenn er so aufgewühlt war wie die andere, er wollte durch seine ruhige Art die Gruppe beruhigen, was ihm auch größtenteils gelang.


    „Wir begleiten Dich“, sagte Gasmi und ging mit Puschel Seite an Seite nach oben. Ob das kleine Biest zurückkommen würde wusste man nicht, und er wollte Puschel nicht einfach einer Gefahr überlassen. Egal wer der Vermummte war, er würde Urako mit Klauen und Zähnen verteidigen. Und sollte es wirklich Butterkeks sein, würde er Urako mit seinem Leben vor Jo verteidigen. Gas hoffte, dass er sich in der Tempelanlage bei dieser Sagar geirrt hatte. Aber alles was die anderen zu Tage förderten an Ermittlung, ließ eigentlich nur eine Schlussfolgerung zu - Butterkeks war hier. Und er war im Besitz einer Waffe, die ihn noch gefährlicher machte, als er ohnehin schon war.


    Gasmi dachte angestrengt nach. Dachte an die Zeit mit seinem alten Gefährten zurück, überlegte wann er ihn je so eine Waffe schwingen sah - niemals.
    Aber dann fiel ihm schlagartig ein, dass Jozo stets ein dunkles, Metallarmband trug, dass er niemals ablegte!


    Er trug es immer, ganz so, als wäre es ein Teil seines Körpers. So, dass Gasmi es nicht einmal mehr als Schmuck wahrgenommen hatte. Gas packte Urako am Arm und hielt ihn felsenfest fest.


    "Puschel, Jozo ist hier. Wenn der Vermummte Dich angreift, flieh! Versprich mir das! Ich werde Dich beschützen, ich schwöre es Dir", flüsterte Gasmi eindringlich.
    Urako hob fragend eine Augenbraue und ignorierte die Aufforderung. Egal was sein Hase da für einen Unsinn forderte, er würde sich ganz sicher nicht verkriechen, während das wahnsinnige Stück Gebäck versuchte seinen Mann zu ermorden!


    Die Gruppe versammelte sich oben auf dem Dach des Hauses.


    „Sobald ihr was seht, sagt umgehend Bescheid!“, rief Aino ihnen zu.
    „Wird gemacht Chefin!“, rief Urako zurück und ging weiter die einzelnen Straßenzüge durch.


    „Wonach genau halten wir Ausschau?“, fragte Lydia und überprüfte die andere Seite.
    „Alles Auffällige. Egal was – melde es“, antwortete Jeelen.


    „Ich hab ein Plakat entdeckt. Auf 2 Uhr – so 50 Grad abgewinkelt. Ich weiß nicht was das sein soll, ein Drache, eine Schlange? Guck“, sagte Pavo und auf die besagte Stelle.


    „Das ist nicht nur eine Schlange Pavo, das ist eine Dämonen-Schlange. Guck Dir ihren Rachen an, aber viel wichtiger ist der Schwanz“, sagte Wolfi.
    „Jau der Schwanz ist immer wichtig“, sagte Urako trocken, was alle auf dem Dach losprusten ließ.


    „Den meinte ich jetzt nicht, Danke“, lachte Wolfi, „ich meinte ihr Ende. Das ist kein einfaches Schlangenende sondern hat eine Pieke wie ein Teufel. Hier hat irgendwer seine Kollegen oder Freunde warnen wollen.


    Eine Schlange ist hier unterwegs, die nicht von dieser Welt ist. Sie ist dämonischer Art und ich glaube sogar behaupten zu können, dass das Bild mit Blut gemalt wurde“, erklärte Wolfi.


    „Ja das kann gut sein. Wie die Zeichnungen in dem Alkoven. Für uns ergab das keinen Sinn, es klang nur wie eine Kampfansage. Irgendwas mit Stola aus Eingeweiden – so als ob jemand Blutrache begehen will, oder eine perverse Party plant. Was alles passen würde auf die Person die wir vermuten“, sagte Pavo und starrte auf das Plakat.


    „Wie ging der Spruch?“, fragte Wolfi und suchte wieder die andere Seite der Stadt ab.
    "Irgendwie er wollte sich eine Stola aus Eingeweiden machen. Keine Ahnung so in der Art, ganz wirr", erklärte Pavo.


    ****


    Die Gruppe machte sich wieder auf den Weg. Aber weit kamen sie nicht. Urplötzlich flammte oben neben dem „Ei“ etwas gleißend hell auf und ein Lichtstrahl schoss die Straße entlang herunter und versengte den Boden mit einer gewaltigen Brandspur.


    Die Gruppe konnte sich so gerade noch rechtzeitig in einen der Alkoven retten. Nun verstanden sie auch schlagartig, wofür diese Aussparungen gedacht waren. Es waren Sicherheitsbereiche, für diese seltsame Verteidigungsanlage.


    In dunklen Runen stand etwas auf der Wand im hinteren Teil. Aino deutete sofort drauf. Wolfi eilte sofort darauf zu, da dies sein Part war. Er brauchte eine Weile bis er in der Dunkelheit die Runen entziffert hatte, aber dann war es auch soweit.


    „Hier steht in Demonai folgendes:


    "Die brennende Scheibe, jene die das Licht des Wissens bringt, die Schatten verschlingt und alles verteidigt, wird alle Feinde zerschmettern – auf immer da, sei das Volk der Lichtalben“, las Anwolf laut vor, als ein erneuter Lichtstrahl die Straße samt Bodenbelag förmlich in Brand setzte.


    „Das sind Brandspiegel! Das ist es. Dass muss unsere Lösung sein. Wir müssen irgendwie an diese Scheibe gelangen die diese Strahlen verursacht. Einer eine Idee wie wir das anstellen sollen?“, fragte Pavo in die Runde.


    „Ich glaube uns bleibt nichts anderes übrig, als von Alkoven zu Alkoven zu sprinten in den Zwischenräumen bevor sie erneut feuert“, warf Aino ein.


    Die Gruppe nickte zustimmend. Dass der Beschuss ohne Grund aufhören würde, davon ging keiner der Truppe aus.


    Kaum vorgeschlagen setzten sie Ainos Vorschlag in die Tat um. Sie zählten den Abstand der Sekunden, die die Scheibe brauchte um erneut zu feuern. War ein Lichtstrahl an ihnen vorbeigedonnert, sprintete die Gruppe los, bis zum nächsten Alkoven und suchte dort Schutz.


    Dies wiederholten sie einige Male, bis sie am oberen Ende der Straße eine Querstraße erreicht hatten. Der Beschuss hörte ohne Vorankündigung einfach auf.


    Aber auch so ging der Weg vor ihnen nicht weiter. Ein gutes Dutzend ausnahmslos sehr großer Gestalten blockierte die Gasse, angeführt von einem wahren Riesen, der sich lässig auf eine fast mannsgroße Keule stützte. Sein Gesicht sah aus, als wäre es vor nicht langer Zeit mit genau dieser Keule kollidiert.


    Ainos Hand schloss sich fest um den Griff ihrer Armbrust.


    „Sag was Du willst, aber die Statur, der Blick, die ganze Art – dass ist ein Troll-Mischling“, raunte Pavo Aino zu.
    „Dann sei bloß still. Du weißt was sonst passiert. Du kennst Dich. Lass mich das machen!“, zischte Aino Pavo zu.


    „Wenn Ihr fertig seid, wäre es wirklich großzügig, würdet Ihr mir einen Teil Eurer kostbaren Aufmerksamkeit schenken“, mischte sich die dröhnende Stimme des blauen Hünen ein.


    „Falls ich die Herrschaften nicht bei einer wichtigen Unterredung störe – heißt dass“, grinste er Wolfi an.


    Aino schaute von dem Giganten zu Anwolf und fragte sich, wie dieser es geschafft haben konnte, die Aufmerksamkeit des Troll-Mischlings auf sich zu lenken, ohne überhaupt nur den kleinsten Finger gerührt zu haben.


    Aino trat dem Giganten einen Schritt entgegen. Der Halb-Troll musterte sie kühl, aber in seinen Augen stand ein Glitzern, dass der Gruppe überhaupt nicht gefiel. In Gedanken wog Jeelen die Chancen ab, mit einem raschen Schritt bei dem Hünen zu sein und im den Kopf mit der eigenen Keule vom Hals zu schlagen. Das Ergebnis zu dem er kam, besserte seine Laune nicht im Geringsten.


    „Halloooo“, grüßte der Riese Aino und starrte nach unten.


    „Ich nehme an Du möchtest etwas kaufen kleine Frau“, lachte der Troll-Mischling und setzte seine gewaltige Körperfülle in Bewegung und walzte ein Stück auf Aino zu.


    Die Keule schwang er sich dabei über die Schulter als wäre sie gewichtslos.

    „Wer sind die anderen Galgenvögel in Deiner Begleitung? Möchtest Du Dich nicht vorstellen?“, fragte er auffordernd.


    „Soll ich ihm den Kopf pürieren?“, fragte Wolf seelenruhig.


    Aino fuhr erschrocken zusammen. Windel-Willi von Hohenfelde hatte so laut gesprochen, dass der Halb-Troll schon taub sein musste, um seine Worte nicht zu verstehen, und tatsächlich sah er auch auf und musterte Wolfi mit einem sehr sonderbaren, halb abschätzenden, halb beinahe mitleidigem Blick.


    Auf seinen Zügen erschien ein Ausdruck schlecht menschlich-nachgeahmter Überraschung.


    „Oha“, sagte er belustigt, „das Ding kann ja sprechen“.


    Er schob Aino mit einer achtlosen Bewegung zur Seite, wechselte seine Keule von der rechten auf die linke Schulter und kam mit gemächlichen Schritten näher.
    Aino sah, dass der Halb-Troll wirklich ein gewaltiges Stück größer als Seddik war. Außerdem stank er zum Gotterbarmen, dass ihr kotzübel wurde.


    Pavo faste sich mit einer Geste der Hilflosigkeit an die Stirn und Gasmi legte ihm einen Arm um die Schulter.


    Zwei Schritte vor Anwolf und Urako blieb der Halb-Troll stehen, machte eine übertriebene tiefe Verbeugung und rammte seine Keule in den Boden, um sich wieder darauf abzustützen.


    „Nun wer seid Ihr?“, fragte er spöttisch.


    „Wir sind nur Reisende die sich die Stadt angucken. Wir möchten Euch nichts tun, wir möchten nur in die Stadt. Das ist alles“, erklärte Gasmi freundlich.


    Etwas an seinen Worten schien die Gruppe über alle Maße zu amüsieren, denn die ganze Bande brach in dröhnendes Gelächter aus, bis der Troll-Mischling mit einer herrischen Handbewegung für Ruhe sorgte.


    „Oh Ihr wollt also NUR in die Stadt“, sagte er grinsend.
    „Ja, genauso ist es“, bestätigte Aino.
    „Soll ich nun, oder soll ich nicht?“, fragte Anwolf mürrisch.


    Der Halb-Troll runzelte die Stirn, blickte einen Moment auf Wolfi herab und seufzte hörbar.


    „Dein Begleiter vergisst seine guten Manieren“, grummelte er.
    Die Worte galten eindeutig Aino, aber er sah Anwolf dabei unverwandt an.


    „Still jetzt Anwolf“, sagte Aino schneidend und fuhr zu dem Halb-Troll gewandt fort, „verzeiht meinem Begleiter. Wir sind fremd hier und kennen weder Eure Sitten noch Bräuche. Zudem ist er noch jung, ein Kind. Wenn wir Eurer Gebiet verletzt haben tut uns das Leid“.


    „Das habt ihr tatsächlich“, sagte der Halb-Troll ungerührt, „aber mit einer Entschuldigung fürchte ich, ist es nicht abgetan kleine Frau“.


    „Ich weiß, Ihr verlangt sicher Wegezoll. Viel habe ich nicht, aber ich bin bereit Euch diesen Talerbeutel zu geben“, sagte Aino höflich und zog den Beutel heraus.
    „Das ist alles was ich habe. Nimm es und lass uns in Frieden ziehen“, sagte die Almanin.


    Der Halb-Troll riss ihr den Beutel aus der Hand und stopfte ihn in seine Tasche, dabei machte er sich nicht einmal die Mühe hinein zu sehen.


    „Das ist großzügig, aber ich fürchte… es reicht nicht ganz“, sagte er spöttisch.


    „Mehr haben wir aber nicht!“, antwortete Aino fest, „Du kannst es natürlich auch auf einen Kampf ankommen lassen – den Du auch sicher gegen mich gewinnen würdest, aber mehr habe ich dann trotzdem nicht was Du mir abknöpfen könntest. Und die Möglichkeit, dass Du selber dabei stirbst ist auch nicht zu verachten“.


    „Ja vermutlich würden einige Deiner Leute sterben, aber Du als Erster“, sagte Anwolf lächelnd.


    Aino hätte am liebsten mit den Augen gerollt und Anwolf gewürgt, aber das hob sie sich für später auf. Ihre Hand kroch zu ihrer Armbrust. Normalerweise würde sie eine Repetierarmbrust nie gegen eine „unbewaffnete“ Person einsetzen.


    Und im Grunde war dies der Halb-Troll auch, der Kerl hatte nur einen Knüppel. Aber wer den Kerl sah, wusste einfach über welche gewaltigen Körperkräfte er verfügte und wie wenig Skrupel.


    Und zudem, wozu waren gute Vorsätze da, wenn nicht um gebrochen zu werden?


    Der Halb-Troll starrte Aino mit offenem Mund an und schien nicht genau zu wissen, ob er nun wütend werden oder erneut in Gelächter ausbrechen sollte.


    „Du hast Mut kleine Frau“, sagte er schließlich, „das gefällt mir… aber Dein Ton passt mir überhaupt nicht Kleine“.


    Aino schwieg. Sie wusste, dass sie den Halb-Troll nicht weiter provozieren durfte. Glaubte dieser erst vor seinen Leuten das Gesicht zu verlieren, dann hatte er keine andere Wahl mehr als sie alle zu töten.


    „Du hast also kein Geld“, fuhr der Halb-Troll fort. Seine Augen wurden schmal.
    „Das ist echt bedauerlich. Aber wenn ich den dreisten Bengel betrachte, dann gibt es vielleicht noch eine andere Möglichkeit, wie Du bezahlen kannst“, kicherte er anzüglich. Dabei hob er den Arm und streckte die Hand nach Anwolf aus.


    Aino knurrte so drohend auf, dass der Halb-Troll die Bewegung lieber nicht zu Ende führte.


    „Tu es besser nicht“, sagte Aino gelassen.
    „Falls doch, werde ich Dich in Sekunden in Stücke reißen. Niemand fasst den Jungen an, niemand!“, sagte sie mit tödlicher Ruhe.


    Es wurde still.


    Die Männer des Halb-Trolls hatten jedes Wort gehört und Aino sah, wie die Mauer aus Gestalten ganz langsam näher kam. Und auch hinter ihnen waren jetzt Geräusche. Sie waren eingekreist.


    „Du machst es mir wirklich schwer kleine Frau“, sagte der Halb-Troll drohend.
    „So? Nun an mir liegt das nicht“, sagte Aino.
    „Vielleicht hätte ich mich damit zufrieden gegeben, mich ein paar Stunden mit dem Knirps zu amüsieren“, grinste sie der Gigant an.


    „Glaub dem Typen kein Wort, er würde uns alle umbringen“, knurrte Lydia.
    Der Gigant drehte betont langsam den Kopf zu ihr.


    „Wer sprach von umbringen? Vielleicht reicht es mir ja ihm die Hände abzuschneiden und sie ihn auffressen zu lassen. Groß genug scheint seine Fresse dafür zu sein…“


    Irgendetwas zischte dicht über Ainos Kopf durch die Luft, riss eine dünne, blutige Spur in das Gesicht des Halb-Trolls als es dieses streifte und schlug dann mit ohrenbetäubendem Knall vor dessen Brust.


    Der Gigant keuchte, taumelte einen halben Schritt zurück und brach in die Knie. Seine Hände umklammerten seinen aufgebrochenen Brustkorb.


    „DIE KIGYO!!!“, brüllte jemand.


    In der schmalen Gasse brach die Hölle los. Plötzlich war die Luft voller sirrender, tödlicher Geschosse aus Repetierarmbrüsten, und ebenso plötzlich begannen die Männer des Halb-Trolls durcheinander zu schreien und zu laufen.


    Ein zweiter und ein dritter Schmuggler fiel durch einen der Peitschenhiebe. Und irgendetwas sirrte mit einem ekelhaften Geräusch an Ainos Ohr vorbei und schlug Funken aus der Wand vor der sie stand.


    Die Almanin ließ sich blitzartig zur Seite fallen, kam mit einer Rolle wieder auf die Füße und sah gerade noch, wie der Halb-Troll seine Keule hochriss und mit einem urgewaltigen Schrei auf eine kleine vermummte Gestalt losging, die wie ein Dämon aus der Nacht urplötzlich vor ihm aufgetaucht war.


    Er führte den Hieb niemals zu Ende.


    Der "Blitz" zuckte scheinbar aus dem Arm des Vermummten, umwickelte den Hünen binnen eines Sekundenbruchteils wie von Geisterhand und schnürte ihn zusammen. In der Aufrollbewegung riss, raspelte und häckselte der Blitz den Halb-Troll in tausend winzig kleine Stücke, die nach allen Seiten davon spritzten.


    Der Vermummte stand auf einmal Urako gegenüber und bezog Stellung. Puschel zückte sein Kampfmesser und schlug zu. Die Klinge prallte gegen das Armband und glitt ab. Seinerseits zuckte nun eine mattschwarze Klinge so schnell vor, dass Urako kaum reagieren konnte.


    Der Hieb verfehlte bewusst sein Ziel, und Urakos Kopf blieb wo er war, aber die Wucht des Schlages traf seine Waffenhand und ließ Puschel zurücktaumeln. Der Tiefling ging in die Knie.


    Seine Hand war gelähmt, er hielt das Messer noch fest, aber er hatte nicht mehr die Kraft es einzusetzen.


    Es war Gasmi der ihn rettete. Die Düsterling sprang mit einem gewaltigen Satz auf den Rücken des Vermummten, verschränkte die Fäuste über dem Kopf und ließ sie mit Wucht auf den Nacken des Feindes krachten.


    Einen Sekundenbruchteil stand der Vermummte noch da, wie ein groteskes Pferd, auf dem ein noch seltsamerer Reiter hockte, dann schleuderte sich der Vermummte nach vorne und Gasmi kugelte hilflos davon, während der Vermummte schwankend Fersengeld gab und zwischen die Schmuggler flüchtete.


    Die Gasse hatte sich in einen Hexenkessel verwandelt. Die Schmuggler die nicht beim ersten Bolzenhagel ums Leben gekommen waren, wehrten sich jetzt verzweifelt und erstaunlich gut. Aber es nützte alles nichts.


    Der Vermummte kam wieder richtig zu sich und er war wütend.


    Wie ein Berserker wütete der Vermummte mit seiner Peitsche unter den Piraten. So gnadenlos wie er den Kampf führte, konnte er nur noch einige Augenblicke dauern.


    Von der Streitmacht des Halb-Trolls war nicht einmal mehr die Hälfte am Leben und der Vermummte drosch auf den Rest der Schmuggler ein, dass es nur eine Frage der Zeit war bis der Letzte von ihnen gefallen war.


    Aino richtete die Armbrust auf den Vermummten. Aber Seddik war wieder auf den Beinen, grabschte sie und rannte los. Die Gruppe folgte ihnen in wilder Flucht.


    Aino stürmte voran, feuerte auf eine Wand und diese zerplatze wie unter einem Hammerschlag. Grellweiße Flammen schossen in die Höhe und verwandelten die Gasse in eine Flammenhölle.


    Die Almanin hetzte weiter, atmete noch einmal tief ein und sprang mit einem gewaltigen Satz durch die Flammenwand hinein in das Gebäude.


    Sie ließen den beißenden Rauch auf der Straße hinter sich und näherten sich der gegenüberliegenden Tür. Beinahe wäre Aino durch morschen Dielen gebrochen in dem Haus, aber Urako und Gasmi griffen beherzt zu und konnten sie so gerade noch vor einem Absturz bewahren.


    Wäre sie hinabgestürzt, wäre sie sicher umgekommen – so schlug sich Aino zum Glück nur das Knie auf.


    Hastig stürmten sie weiter. Eine nächste Tür! Urako trat sie blindlings ein und feuerte in den Raum. Grelles Licht und kleine, gelborangene Flammenzungen leckten nach ihm, als er den Rest der Tür mit der Schulter beiseite stieß.


    Vor ihm erstreckte sich ein niedriger, ruhiger Gang. Aino drehte sich um als sie ein Geräusch hörte, dass nicht in das Prasseln der Flammen gehörte. Sie sah irgendetwas glitzern, eine Klaue???... und erkannte im allerletzten Moment dass es Jeelen war, der ungeschickt durch die Bresche im Mauerwerk hineinkroch. In seiner Hand hielt er ein zappelndes Etwas, dass Aino nach einigen Augenblicken als einen der Piraten erkannte.


    Mit einem Satz war er bei Aino und der ramponierte Schmuggler schrie auf, als Jeelen ihn auf den Boden knallte.


    „Unser Informant Boss“, sagte Jeelen freundlich.
    „Gut gemacht Jeel“, erwiderte Aino freundlich und wandte sich dann an den Schmuggler.
    „Auf die Füße mit Dir, oder Du bereust es“, knurrte die Almanin.


    Jeelen half dem Burschen nach, indem er ihm einen brutalen Tritt ins Kreuz verpasste. Der Bursche versuchte vergeblich aufzustehen und Jeelen trat erneut zu. Der Kerl kassierte diesmal einen Tritt, der ihn meterweit durch den Gang taumeln ließ.


    „Hörst Du jetzt auf“, raunte Aino ihm zu. Langsam kam die Hitze auch hier näher.
    „Ja doch… lauf“, rief Jeelen.


    Die Gruppe sprintete erneut los, während Aino nicht vergaß auch den Piraten am Arm zu grabschen und brutal hinter sich her zu zerren. Sie rannten einfach den vorgegebenen Gassen folgend, als das Labyrinth aus staubigen Gassen wie abgeschnitten aufhörte und sie in einem Kanal standen.


    Sanft plätscherte das Wasser dahin und es war so sauber, dass sie direkt wussten, dies konnte kein Abwasserkanal sein. Dies musste die uralte Wasserversorgung der Stadt gewesen sein.


    Aino stieß den Piraten grob von sich in Richtung Jeelen. Dieser hatte den Burschen gefangen, dieser sollte sich weiter mit ihm abgeben und dafür sorgen dass er nicht floh.


    Aino hielt nach möglichen Gefahren Ausschau. Aber hier schien es wirklich keine zu geben. Entgegen der oberen Etagen, war dies hier ein friedlicher und beschaulicher Ort.


    „Hier haben wir erst einmal einen Moment Ruhe“, schnaufte Lydia und schaute sich ebenfalls gebannt um.


    „Ja und zu allem sieht es wirklich auch noch wunderschön aus. Kein Wunder dass die Schmuggler sich hier eingenistet haben. Sie werden die ganzen Schätze ernten und verhökern. Dass sie den Ort damit zerstören scheint ihnen völlig gleichgültig zu sein. Viele Personen würden sicher gerne so einen Ort besichtigen“, warf Pavo ein.


    „Da hast Du wohl Recht Pavo. Es ist schade darum, aber es gibt halt immer wieder Leute, die sich so etwas nur für sich allein in ihr Haus stellen, anstatt es mit anderen zu teilen. So ist das nun mal“, sagte Wolfi freundlich.


    Die Gruppe setzte ihren Weg durch das kleine Kanalbett fort und kam in einen Nebenraum heraus, der von einer gewaltigen Statue verziert wurde. Scheinbar war dies eine Art Altarraum.


    Die Statue war ebenfalls mit Runen verziert. Pavo und Anwolf gingen nach vorne um diese zu inspizieren.


    „Der Bursche hält in den Händen so etwas wie eine Scheibe. Allerdings eine blaue“, warf Pavo ein.
    „Ja stimmt, ich schaue was da steht“, sagte Anwolf und machte sich daran die Runen zu übersetzten. Er umrundete die große Statue und schaute sie sehr aufmerksam an. Jedes Detail konnte von größter Wichtigkeit sein.


    Als er die Runen übersetzt hatte, wandte er sich an die Gruppe.


    „Leute, diese Figur hält die Scheibe der Nacht. Laut der Inschrift auf Demonai steht sie steht für Vergessen, Schlaf und Vernichtung. Ihr Gegenstück haben wir schon kennengelernt, die Scheibe des Lichts.


    Wir müssen das Gegenstück finden, dann haben wir vermutlich die Plakette, denn hier steht ferner geschrieben:


    "Wenn sich das Dunkel endlich wieder mit dem Lichte vereint, wird wunderbares Wissen offenbart werden“.


    "Vermutlich stehen die beiden Scheiben dann jeweils für ein Albenvolk?
    Die Lichtscheibe für die Lichtalben und Nachtscheibe für die Frostalben?


    Varmikan liebt die Nacht, er ist doch sozusagen "nachtaktiv".
    Waren die Lichtalben und Frostalben einmal ein gemeinsames Volk, dass sich zerstritten hat?", fragte Anwolf in die Runde.


    "Laut den Gelehrten waren sie das einst Anwolf. Du hast korrekt vermutet. Aber dass sie sich jemals wieder als ein Volk vereinen, glaube ich kaum. Und wenn wird dies nicht an den Lichtalben scheitern.


    Sie mögen zwar für uns manchmal seltsam handeln, aber sie sind der Wissenschaft und dem Leben zugetan. Ich glaube kaum, dass sie ihren frostalbischen Verwandten weiter feindlich gegenüberstehen würden, wenn die Frostalben wirklich Frieden wollten.


    Die Frostalben sind die Aggressoren. Denkt an die Arashi, denkt an ihre Denk- und Handelsweise. Sie stehen jeder anderen Spezies feindlich gegenüber. Es sind wahre Rassisten. Ein etwas gemäßigtes Exemplar haben wir ja nun in den eigenen Reihen. Aber vermutlich würde er uns über ihre Geschichte keine Auskunft erteilen. Dave vielleicht.


    Davy kann Varmikan nach der Scheibe befragen. Ob er davon schon einmal hörte und was es mit dieser Legende oder dem Mythos auf sich hat", antwortete Pavo.

    Der alte Golbin ging zurück und nahm der Götterstatue die dunkle Scheibe aus den Händen.


    ****


    Dieser saudumme Düsterling! Und erst dieser kleine Hosenscheißer von einem Almanen, er schien kein Gespür für Gefahr zu haben. Null.


    So war ihm nichts anderes übrig geblieben, als den Erstschlag gegen den stinkenden Hünen auszuführen. Und wie der Kerl gestunken hatte! Er war fast geruchsblind geworden und hätte er bereits was gegessen gehabt, hätte er kotzen müssen.


    Er rieb sich den schmerzenden Nacken, wo ihm der Düsterling eine verpasst hatte.


    Dann folgte er der Geruchsspur seiner Leute. Zielstrebig nahm er die Verfolgung auf. Blieb ab und an nur kurz stehen um zu wittern, ehe er weiterging, die geborstene Mauer des Hauses passierte und den Gang nahm, den die Gruppe vor ihm eingeschlagen hatte.


    Auch hier folgte er ihnen sicheren Schrittes, bis er ans Wasser kam.
    Der Vermummte stockte.
    Wasser… damit hatte er nicht gerechnet.
    Er schaute den Kanal auf und ab und hielt den Schädel hoch erhoben ob er etwas so wahrnehmen konnte. Nichts.


    „Verfluchte Scheiße, nein!!!“, grollte er wütend. Wasser verwischte jede Geruchsspur. Er konnte sie doch nicht so kurz vor dem Ziel verloren haben!


    Nervös nagte er an seinen Fingerknöcheln, bis er ein Lachen in weiter Ferne hörte. Ein breites, zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.


    „Na bitte… geht doch“, säuselte er im kindlichen Singsang und nahm sofort die Verfolgung auf.


    ****


    Aino baute sich demonstrativ vor dem Gefangenen auf. Urako tat es ihr gleich. Aino beugte sich herunter, grabschte dem Kerl in die nun struppig-staubigen, blonden Haare und riss ihn daran hoch.


    Der Kerl weinte und schlug um sich, dabei versuchte er an Ainos Armen Halt zu finden. Die Almanin schüttelte ihn einmal brutal durch und schleppte ihn an den Haaren zurück zu den anderen.


    „Hier plaudern wir ausführlich“, sagte sie geradezu liebenswürdig.
    Die Gruppe versammelte sich um Aino und den Gefangenen.


    „Soll ich ihn verhören Aino?", fragte Wolfi.
    „Nein, Du hast schon genug geholfen vorhin Wolfi“, sagte Aino.
    „Naja ich dachte er lässt sich einschüchtern“, sagte Anwolf freundlich grinsend, was den Rest der Truppe auflachen ließ.


    "Von Dir? Man Du bist ne Marke Wolfi. Du siehst aus wie ein Spargel und forderst einen Schrank heraus, bei dem selbst ich geschluckt hätte", prustete Seddik.
    "Aber Selbstvertrauen hat er", grinste Gasmi.
    "Also herausfordern wollte ich ihn nicht, nur provozieren", grinste Wolfi entwaffnend.
    "Leider hat das auch sehr gut funktioniert, Du Blödmann!", antwortete Lydia kopfschüttelnd.


    „Wer bist Du?“, fragte Aino und verpasste dem Gefangenen einen Fausthieb.
    Der Kerl zuckte vor Schmerz und Angst zusammen.


    Die Gruppe machte ihm gehörig Angst, nun da er gefangen war und nicht mehr aus dem Hinterhalt mit seinen Kollegen agieren konnte. Auch sein gigantischer Anführer war tot.


    Die Kigyo hatte ihn geholt. Er hätte es wissen müssen. Sie waren in ihrem Tempel, was hatten sie erwartet? Jedenfalls glauben sie alle daran, dass es der Tempel von Kigyo war. Woher der Name kam, wer ihn zuerst gehört und in seiner Gruppe ausgesprochen hatte, wusste der Mann schon gar nicht mehr. Er wusste nur eins, wurde der Name warnend gerufen, musste man laufen was die Beine hergaben oder man war tot.


    Es war unheimlich wie die Gruppe auf ihn herab starrte.


    „Wo sind die anderen von Dir? Und wo ist die Scheibe? Die des Lichts? Jene Scheibe die das Alarmsystem steuert?“, fragte Aino und schlug den Kerl erneut.


    Der Bursche wimmerte hilflos, wagte aber nicht zu schreien aus Angst sie dadurch zu schlimmeren Handlungen zu provozieren.


    „Alle weg“, sagte er knapp, und dann begann er zu erzählen. Erzählte Aino genau wo diese Scheibe zu finden war.


    `Keine weiteren Fragen? Gut...´ Jeelen wartete.
    „Er gehört Dir Jeel“, sagte Aino wohl wissend um das Schicksal des Kerls. Wobei Kerl? Es war ein Feind, nicht mehr.


    Blitzartig trat der Goblin einen Schritt vor und hatte sich vor den Feind gekluckt. Jeelen knallte sein Kampfmesser mit dem Griff auf den Boden, zeitgleich grabschte er dem Gefangenen an den Hinterkopf, hämmerte dessen Schädel so auf die Messerklinge, dass die Klinge der Gänze nach in das Auge eindrang.


    Der Kerl hatte nicht mal mehr die Zeit erschrocken Luft zu holen, bevor ihm die Klinge ins Hirn drang und er tot zusammensackte. Das ganze erfolgte so blitzartig, dass man es im Grunde nur zweimal knallen gehört hatte. Einmal das Messer auf dem Boden, einmal der Knall des Schädels.


    Jeelen reinigte in aller Seelenruhe sein Messer an dem Toten und schaute Aino freundlich abwartend an. Diese nickte knapp anerkennend.


    „Abrücken Leute. Und haltet die Augen offen! Seid vorsichtig. Bleibt so nah wie möglich zusammen!“, befahl Aino besorgt.


    ****


    Informiert wurden aber nicht nur Aino und ihre Truppe durch den Schmuggler.
    Er war ihnen auf den Fersen.


    Sein erster Schritt hinein in den Hauptraum war nichts als eine Enttäuschung. Er hatte keine Vorstellung von dem gehabt, was ihn erwarten würde, irgendetwas Gigantisches und Gefährliches vielleicht.


    Aber als er nach wenigen Schritten stehenblieb und sich umsah, fand er sich in einer nicht besonders großen Kammer wieder, mit einer knöcheltiefen Staubschicht am Boden. Verwirrt aber dennoch auf alle nur denkbaren bösen Überraschungen gefasst folgte er weiter der Gruppe.


    ****

  • Der Goblin-Kompass


    Kap06


    Die Gruppe marschierte unaufhörlich weiter, den Weg den ihnen der kleine Pirat verraten hatte. Gelogen haben konnte der Bursche nicht. Weder wurden sie angegriffen, noch wurden sie aufgehalten.


    Eine ähnliche Situation hatten sie bereits einmal im Wald erlebt, aber hier hing keine Bedrohung in der Luft. Jedenfalls war keine zu spüren. Was man allerdings in einem Tempel spüren würde, sollte eine Bedrohung vorliegen wusste Aino auch nicht.


    Sie kamen an eine Treppe die sich nach oben schraubte. Was am oberen Ende auf sie wartete konnte keiner wissen, aber es sollte die Sonnenscheibe sein.


    Vielleicht wartete auch Schlimmeres, als das was sie bereits gesehen hatte. Es gab nur eine Möglichkeit, genau das herauszufinden. Aino schaute nach oben und beorderte mit einem Wink Urako und Gasmi an ihre Seite.


    Die Treppe schien endlos zu sein. Schon nach wenigen Augenblicken begann der Boden in einer Art staubigem Dunst zu verschwinden, während die Wände leicht leuchteten. Es schien sich um phosphoreszierende Pflanzen zu handeln. Dieses seltsame Glimmen schien total harmlos zu sein, verursachte bei Aino aber ein seltsames, unbehagliches Gefühl.


    Als die Gruppe meinte, dass die Treppe geradewegs in die Unendlichkeit führen würde und sie so lange laufen mussten, bis sie vor Erschöpfung oder Durst starben ohne jemals irgendwo angekommen zu sein, kamen sie an der letzten Stufe an.


    Sie fanden sich in einem großen würfelförmigen Raum wieder, dem eine Mauerabgrenzung fehlte. Dann spürten sie den Luftzug, ganz sacht, wie das Streicheln einer kühlen Hand auf der Haut. Er kam von rechts, und als sie sich in diese Richtung wandten, sahen sie einen schwachen Lichtschimmer.


    Behutsam bewegten sie sich darauf zu und gelangten an eine weitere nicht gänzlich verschlossene Tür.


    Ainos Finger zitterten, als sie die Hand danach ausstreckte und sie öffnete, obwohl kein Grund zur Furcht bestand. Es war die Aufregung. Plötzlich standen sie auf einer Art Balkon. In der Mitte war eine grauenvolle Fallgrube zu sehen, diese war mit mörderischen Pfeilspitzen gespickt.


    Auf einer Seite sah man eine stilisierte Sonnenscheibe, aber genau gegenüber sah man erneut so etwas wie einen Altar.


    Flankiert von zwei Götzenbildern und bewacht von einem geflügelten Dämon hing in einer goldenen Öffnung – einem Tor gleich - die Sonnenscheibe.


    Ohne zu zögern oder nur zu zaudern, schritt Pavo unbeirrt auf die Scheibe zu und zog sie vorsichtig von der Halterung. Die Gruppe hielt gespannt die Luft an.


    Der alte Goblin drehte und betrachtete die wundervolle Scheibe in seinen Händen. Sie schien aus purem Gold gefertigt worden zu sein.


    „Na dann wollen wir mal…“, sagte Pavo mit einer Stimme die den anderen Ehrfurcht aber auch Angstschweiß auf die Stirn trieb.


    Wolfi reichte ihm die dunkle Nachtscheibe und legte sie vorsichtig auf die Sonnenscheibe. Zuerst geschah überhaupt nichts.


    Doch dann fingen die Scheiben an zu glühen. Sie kamen langsam in Bewegung und rotierten gegeneinander. Die Geschwindigkeit nahm immer mehr zu – bis kaum noch etwas zu sehen war als eine gleißend-glühende Helligkeit die in Pavos Händen lag.


    Die Helligkeit nahm noch weiter zu, steigerte sich so weit, dass jeder einzelne der Gruppe die Augen schließen musste und dennoch war es selbst mit geschlossenen Augenliedern taghell.


    Noch schneller, noch intensiver rotierte die Scheibe, schien dadurch selber zu schmelzen und neue Form anzunehmen. In der Mitte bildete sich ein dunkles Loch. Die Scheibe wurde langsamer, die Helligkeit ließ nach und an ihrer Stelle traten nun bunte Farben.


    Langsamer immer langsamer wurde die Scheibe und erstarrte. Dafür zog sie nun das Licht der Umgebung in sich hinein, es wurde zusehends immer dunkler und in der Mitte glomm ein Licht auf.


    Die Gruppe versammelte sich um Pavo, der die wunderbare Scheibe ehrfurchtsvoll in der Hand hielt. Es war die vereinte Scheibe von Tag und Nacht, hell und dunkel, aber es war auch scheinbar viel mehr als eine Scheibe. Es schien als wäre es so etwas wie eine mobile Karte, oder vielleicht sogar eine unbekannte Waffe.



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    „Wer rechnet von Alben mit so etwas? Vor allem mit so etwas wunderschönem? Darf ich sie mal halten?“, fragte Lydia freundlich.


    „Ja natürlich. Aber sei bitte vorsichtig damit“, antwortete Pavo und legte Lydia die Scheibe in die Hände.


    Die Zwergin schaute sich die Scheibe genau an und dann in die Mitte – in das was die Scheibe durch Projektion scheinbar anzeigte.


    „Ich… es… heftig – es ist einfach – ohne Worte“, sagte Lydia. Entgegen ihrer sonst so frechen Schnauze fehlten ihr wirklich mal die Worte.


    Vorsichtig gab sie die Scheibe an Jeelen weiter, der sie ebenfalls betrachtete und Lydia dann küsste.


    „Es sieht aus, als zeigt sie einen Sternenhimmel um sich zu orientieren. Und Worte zeigt sie. Schaut mal hin. Manchmal fliegen Buchstaben wie lange Fäden vorbei. Aber die Sprache kann ich nicht entziffern“, sagte er und reichte die Scheibe an Anwolf weiter, damit er sie für alle hielt.


    „Demonai Jeel, die Sprache der Magie. Vielleicht ist es auch eine Art Kalender? Etwas das bestimmte Tage der Alben markiert, weil dort bestimmte Zeremonien abgehalten wurden, vor langer Zeit. Vielleicht kann man mit der Scheibe zu diesen Zeit etwas Besonders bewirken.


    Varmikan soll sie sich anschauen und uns erzählen was er darüber weiß. Falls er etwas darüber weiß", grinste Wolfi.


    "Wie dem auch sei, egal was diese Scheibe wirklich ist, wir werden sie behalten", flüsterte Pavo. Der alte Goblin nahm Anwolf die Scheibe vorsichtig aus der Hand.
    Irgendwie war einem danach in der Gegenwart dieser Scheibe zu flüstern, als sei es eine heilige Reliquie.


    Vorsichtig schlug Pavo sie in ein sauberes Tuch ein und verpackte sie gut. Unterhalb der Halterung der Scheibe entdeckte er eine Aussparung und in ihr ruhte dass, wofür sie eigentlich den ganzen Weg auf sich genommen hatten - der Goblin-Kompass.


    Pavo starrte auf den Kompass, den die entfernte Scheibe erst freigegeben hatte. Ein Tempel in dem Relikte zweier Albenvölker und der von Goblins vereint waren? Angeblich zeigte einem der Kompass den Weg der Unsterblichkeit auf.


    Der alte Heiler nahm das Relikt seines Volkes andächtig aus seinem Versteck.


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    Pavo drehte den Kompass um und schaute auf die Schriftzeichen.
    "Was steht da?", fragte der alte Goblin Anwolf.


    Anwolf stellte sich neben ihn.


    "Der Weg zur Unsterblichkeit führt über den Pfad des liebenden Herzens.
    Du wirst gelebt haben, wenn Du geliebt hast.
    Du wirst unsterblich, wenn zu Deinen Füßen Deine Kinder spielen".


    Wolfi las die Inschrift noch einmal nach und nickte dann bestätigend.
    "Genau was ich vorlas, steht dort", bestätigte der junge Magier.


    Der alte Goblin ließ sich zu Boden plumpsen und schaute den Kompass anklagend an.


    Seine Hand krallte sich um den Goblin-Kompass in stiller Wut. Jeelen musterte Pavo. Er hockte sich neben den alten Mann und legte ihm einen Arm um die Schulter. Anwolf hockte sich auf die andere Seite und schaute Pavo abwartend an.


    "Vielleicht ist das ein Rätsel. Wenn Du es löst Pavo, könnte es uns den Weg vorgeben auf... naja was auch immer Unsterblichkeit verleiht. Und die Scheibe ist vielleicht der Schlüssel dazu", flüsterte Jeelen.


    "Nein. Das ist weder ein Rätsel noch eine Metapher Jeel. Das ist Fakt. Wir leben in unseren Kindern weiter, das ist wohl die einzige Unsterblichkeit die man erlangen kann. Wenn es danach geht habe ich auf voller Linie versagt", antwortete Pavo und drückte Jeelen den Kompass in die Hand.


    "Na ich auch. Jeder aus unsere Gruppe, oder wer von uns wird je Kinder haben? Wolfi vielleicht, er ist noch jung genug nicht die gleichen Fehler zu machen wie wir.
    Im Gegensatz zu allen anderen hast Du es aber versucht Pavo.


    Und allein das ehrt Dich. Immerhin hast Du hier diese Scheibe gefunden. Was es damit auf sich hat, muss noch ergründet werden, nicht wahr? Und so wie sich die helle Scheibe mit der dunklen zu einer neuen Einheit verbunden hat, so kam Varmikan in unsere Gruppe.


    Wenn das nichts für uns alle heißt. Für ihn wie für uns. Und wenn nicht, nun dann erleben wir gemeinsam ein neues Abenteuer. Und dass schweißt auch zusammen, so wie sich die beiden Scheiben zusammengeschweißt haben.


    Also lass den Kopf nicht hängen Pavo. Wenn Du hier nicht die Antwort findest, dann woanders. Vielleicht in Deinem Labor", versuchte Jeelen Pavo aufzumuntern.


    "Natürlich!", grinste Pavo auf einmal.
    "Eine Idee?", hakte Jeelen nach.


    "Nö", lachte der alte Goblin, was die Gruppe ebenfalls losprusten ließ.



    Ende