• Auf dem Palastgelände des Großherzogs befanden sich mehrere Heilstuben. Für jede soziale Schicht und jedes Fachgebiet gab es Spezialisten. Es gab Heiler für das Gesinde und Heiler für den Adel, erfahrene Feldscher für die Gardisten und heilkundige Hebammen für die Frauen und Kleinkinder. Für die Familie des Ducs de Souvagne stand Benito zur Verfügung, ein extrem fähiger, aber auch etwas gewöhnungsbedürftiger Mann. Gelegentlich kümmerte er sich auch um nahestehende Personen der großherzoglichen Familie, wie deren Leibdiener, wenn man diese aus besonderer Sorge zu ihm persönlich schickte.


    Ciel de Souvagne hatte Nathan stets wegen jedem noch so kleinen Schnupfen zu Benito geschickt und nie zu einem anderen Medicus. So ging Nathan auch diesmal zu ihm, auch ohne die Anweisung seines neuen Herrn erhalten zu haben. Er dachte nicht weiter nach, als seine Füße ihn dorthin trugen, sondern handelte aus Gewohnheit. Erst, als er an die Tür von Benitos Heilstube klopfte, fiel ihm ein, dass er vielleicht besser nur zum Gesindeheiler hätte gehen sollen. Weder hatte er eine Anweisung erhalten, den großen Benito höchstelbst zu behelligen, noch war er sonderlich krank. Tee und Fieberumschläge konnte ihm auch jeder andere Heiler verordnen, dazu brauchte es nicht solch eine Koryphäe.


    Doch es war zu spät - Nathan hatte schon geklopft. Er hoffte, dass niemand die Tür öffnen würde, damit er schnell wieder verschwinden und einen gewöhnlichen Heiler aufsuchen konnte, anstatt den unheimlichen Benito.

  • Benito


    Benito hatte es sich gerade mit einer Tasse Tee gemütlich gemacht, als es an der Tür klopfte. Er wuchtete sich wieder aus dem Stuhl hoch, ging raschen Schrittes zur Tür und öffnete diese mit reichlich Schwung. Mit ernster Miene starrte er nach draußen.


    "Bei Ainuwar das sieht wirklich grauenvoll aus", sagte der Heiler mit Unheil verkündender Miene, "es wird sicher nachher ein Unwetter geben. Schau Dir nur den Himmel an. Aber nun komm erstmal herein und berichte mir von Deinem Problem".

  • Nathan rutschte das Herz in die Hose, als Benito ihn mit Grabesmiene anstarrte und ihm sagte, dass es grauenvoll aussehen würde. Dass er nur das Wetter gemeint hatte, kam in Nathans Bewusstsein erst sehr viel später an und genügte nicht mehr, um ihn zu beruhigen.


    "Ich, ich, ich hab Fieber", piepste er.

  • Benito


    Der Heiler führte den leicht verwirrten Nathan in seine Heilstube. Das anstehende Unwetter schien ihn zusätzlich zu beunruhigen, was Benito nachvollziehen konnte. Akribisch untersuchte Benito Nathan von Kopf bis Fuß, bis zu seiner wirklich verwundeten Stelle.


    Benito hatte als Heiler schon ganz andere Dinge als einen wunden Hintern nach einem übertriebenen Liebesspiel gesehen.


    "Du kannst Dich wieder anziehen. Dein Rektum ist wund und stark entzündet. Bei einem Liebesspiel auf diese Art und Weise, solltest Du Dich entsprechend vorbereiten, damit es nicht auf diese Weise ausgeht. Du hättest Dich dabei auch schwer verletzen können. Ich werde Dir einen Fieber senkenden Tee mitgeben und Salbe, mit der Du Dich einreiben wirst. In einigen Tagen wirst Du wieder richtig sitzen können und die Sache wird ausgestanden sein", sagte Benito aufmunternd.


    Der Heiler verließ einen Moment lang den Raum, den Nathan dazu nutzen konnte sich anzuziehen. Benito kehrte mit dem versprochenen Tee und der Salbe zurück.


    "Gute Besserung und verzichte bitte in der Zeit Deiner Genesung auf Beischlaf", riet ihm Ben und reichte ihm den Tee wie auch die Salbe.

  • Kaum hatte Benito den Raum verlassen, hatte Nathan sich in Windeseile wieder angezogen. Mit klopfendem Herzen stand er hinter dem Stuhl, den er als Barriere zwischen sich und Benito platziert hatte.


    "Da-da-danke", sagte Nathan, als Benito ihm die Dose mit der Salbe und die Papiertüte mit dem Tee über den Stuhl hinweg überreichte. Er war froh, dass die Heilung trotz des heftigen Ziepens offenbar nur wenige Tage in Anspruch nehmen würde und es nichts Schwerwiegendes war. Auch wenn Fabien ihn im Brief eindringlich vor Robere gewarnt hatte, zeigte das doch, dass es alles halb so schlimm war. Vielleicht hatte Nathan einfach wieder zu viel rumgejammert, so dass Fabien so in Sorge war. Er hatte es mit seinem selbstmitleidigen Gejammer schlimmer aussehen lassen, als es letztlich war. Er musste weniger wehleidig sein und sich in Zukunft mehr zusammenreißen. Und sich das nächste Mal nicht so blöd anstellen.


    "Tschüss!" Nathan umklammerte die Habseligkeiten und flüchtete mit schnellen Minischritten aus dem Krankenzimmer.


    In seiner Kammer fand er zu seiner riesengroßen Freude einen weiteren Brief von Fabien.

  • << Der Schwarze Skorpion


    Nathan war erschrocken, als ausgerechnet Roberes Kommandant ihn ansprach. Er fürchtete schon, jetzt gewaltige Schelte dafür zu bekommen, dass der Gardist wegen ihm so hatte leiden müssen. Boldiszàr betrachtete Nathan in der Tat ziemlich feindselig, während er mit ihm redete, tat ihm aber nichts und verschwand dann wieder. Er hatte ihm nur ausgerichtet, dass Nathan noch einmal zu Benito zur Nachuntersuchung gehen sollte.


    Ganz zaghaft klopfte Nathan nun mit dem Fingerknöchel des Zeigefingers an die Tür und hoffte, dass der Heiler es nicht hörte, damit er guten Gewissens wieder verschwinden konnte.

  • Benito


    Der Heiler öffnete Nathan die Tür und zog ihn in die Heilstube.


    "Die Kollegen von Robere haben ihn hierher gebracht und für seine Versorgung bezahlt. Meinen Anteil von 200 Kronen habe ich abgezogen. Hier sind Deine 800 Kronen Nathan. Es ist eine schöne Wiedergutmachung die Robere damit geleistet hat. Kaufe Dir davon, was immer Du benötigst und pass zukünftig besser auf Dich auf mein Freund", sagte Benito und legte Nathan den Geldbeutel in die Hand.


    Er nickte dem jungen Leibdiener noch einmal zu, ehe er sich wieder an seine Arbeit begab.