• Sattele das Huhn



    Gregoire ging zurück zu seinem Quartier. Heute war er froh über seine royale Ausbildung, keiner sah seinem Gesicht eine Regung, geschweige denn seine Gedanken an. Eine lebende Maske die wie aus Stein gehauen schien bar jeder Emotion. Unter der Maske sah es allerdings anders aus. Am liebsten hätte er seine beiden Brüder eigenhändig erwürgt.


    Den Gedanken schob er so schnell beiseite wie er ihm gekommen war. Er war normalerweise keine gewalttätiger Mensch, aber heute musste er sich schwer zusammenreißen. Unterwegs fragte er sich, wann der Schulterschluss zwischen Dreux und Ciel stattgefunden hatte. Wann und wo war der Riss zwischen ihnen entstanden, dass die beiden auf der einen Seite standen, während er allein auf der anderen Seite verblieb?


    Greg zündete sich die nächste Rauchstange an und konnte schon gar nicht mehr sagen, wie viele Rauchstangen er auf dem Weg zu seinem Quartier geraucht hatte. Es spielte auch keine Rolle, eine reine Nebensächlichkeit.


    Ehveros!
    Die Abspaltung musste in Ehveros stattgefunden haben, schlussfolgerte Gregoire.


    Während Dreux sich geschickt um seine Pflicht gedrückt hatte und gemeinsam mit Ciel in die Fremde zog, war er Zuhause zurückgeblieben und hatte die Amtsgeschäfte geführt. Dreux stöhnte die ganze Zeit über sein Amt als Duc, er hatte es ausgeführt ohne zu klagen. Gedankt hatte es ihm niemand, nein nun wurde ihm dafür eine Quittung präsentiert, mit der er niemals gerechnet hatte. Er war außen vor und er wusste nicht wie er darauf reagieren sollte.


    Konfliktpotential gegenüber Fremden besaß er ausreichend, aber gegenüber seiner eigenen Familie kaum.
    Ja alles hatte einen Grund, da lagen Dreux und Ciel schon richtig. Und wie sagte Brandur? Die Blutnekromantie war ein Geschenk Ainuwars. Vielleicht nicht nur die Blutnekromantie, sondern auch sein Verlobter Linhard.


    Lin würde wissen, was in so einem Fall zu tun wäre. Wie kam man zurück ins Rennen, aus dem man ausgeschlossen wurde? Und wie hing man dann die anderen ab, wenn man als Schlusslicht aufgeholt hatte? Fragen um die er sich vorher keine Gedanken gemacht hatte. Er hatte keineswegs vor, die gleichen Register zu ziehen wie die Familie seines Verlobten. Aber Lin war das Sippenoberhaupt über drei Familien und eine Sippe davon waren knallharte Taktiker. Er benötigte den Rat eines Wigbergs.


    Gregoire betrat sein Quartier, schüttelte nur kurz den Kopf, als Zerbino ihm seine Schuhe abstreifen wollte und wandte sich umgehend an Lin.


    „Sattele das Huhn, wir fliegen zum Meer. Keine Rückfragen Lin – komm. Bis später Brandur“, sagte Gregoire und zog Linhard direkt mit sich.
    „Bis später Brandur, wir sprechen nach unserer Rückkehr miteinander“, verabschiedete sich Lin.


    Gemeinsam gingen sie zum Stall, wo eine Bucht für Auqila geräumt worden war. Das große Drachenhuhn beäugte sie skeptisch, bis sie Linhard erkannte. Lin ergriff Aquila am Schnabel, zog ihren Kopf herunter und streichelte ihren kleinen Kamm. Das Geschöpf schloss halb die Augen und gab leise gurgelnde Geräusche von sich. Einen Moment verharrten sie so, dann machte sich Linhard daran, sein Drachenhuhn zu satteln.


    Da es sich um ein Flugreittier handelte überprüfte er dreifach alle Gurte, immerhin reiste Gregoire mit ihm. Eine halbe Stunde später waren sie mit dem Drachenhuhn in der Luft und flogen Richtung Cantillion. Die beiden Reiter waren mit Gurten an ihr Reittier gesichert und Greg hate hinter Linhard Platz genommen.


    Die eisige Luft ließ zwar unaufhörlich seine Augen tränen, aber die kalte Luft kühlte sein aufgebrachtes Gemüt. Lin grinste ihn über die Schulter an und klopfte Aquila auf den Hals. Das Drachenhuhn schien den Ausflug genau wie ihre Reiter zu genießen. Linhard landete mit dem großen Geschöpf am menschenleeren Strand. Er schnallte zuerst Greg und dann sich selbst ab, bevor sie es sich im Sand gemütlich machten.


    Greg setzte sich auf einen großen Baumstumpf der vor Ewigkeiten angespült worden war. Alt, verblichen und knorrig – so kam er sich selbst gerade vor. Linhard gesellte sich zu ihm, rutschte nah auf und nahm ihn mit unter seinen Umhang.


    „Gute Wahl, wer sollte uns hier hören. Wie ist das Gespräch verlaufen?“, fragte Linhard und zog Greg an sich.
    „Bescheiden. Die Antwort ist und bleibt NEIN. Dies wurde mir in aller Deutlichkeit gesagt.


    Ciels Antwort.
    Es sind dieselben Wünsche wie immer - reine Eigensucht. Der persönliche Wunsch, einen schmerzlichen Verlust auszugleichen. Das ist nicht das, wofür die Bluthexerei entwickelt wurde. Wofür sie bluten. Die Bluthexer unterstehen der Krone. All ihr handeln richtet sich danach, was gut für den Duc und dessen unmittelbare Familie ist, denn sie sind Souvagne. Brandur, und sei er ein noch so guter Mensch gewesen, ist nicht Souvagne. Mehr kann ich ihm unter den gegeneben Umständen nicht erklären. Um es so zu veranschaulichen, dass er begreift, bräuchte ich deine Erlaubnis. Und Du bräuchtest Gregoires Schwur, zu schweigen. Er müsste auf etwas schwören, das ihm mehr als heilig ist, damit der Schwur nie gebrochen wird. Auf das Leben seiner ungeborenen Kinder.


    Das war seine Bedingung um mir sein Nein zu erläutern. Dreux bestand darauf, dass ich schwören solle. Ich lehnte ab, denn ob ich nun das Nein verstehe oder nicht, es bleibt bestehen. Und ich werde keinen Schwur leisten, den ich nicht halten werde – vor allem nicht auf das Leben meiner Kinder. Dreux wollte in seiner Funktion als Duc daraufhin alleine mit Ciel seinem Magier reden. Ich durfte draußen warten, wie ein Bittsteller bei einer Audienz Linhard…


    Richtig erkannt Lin, wir sitzen hier am Strand, da es hier garantiert keine unliebsamen Zuhörer gibt.
    Ich bin durcheinander und ich muss mit Dir offen sprechen. Ich sorge mich, was dort hinter den Kulissen geschieht. Dieser Alastair hatte Recht. Wo versteckt man etwas am Besten vor einem Betroffenen? Direkt vor seiner Nase. Was sich direkt in meiner unmittelbaren Umgebung zusammengebraut hat, habe ich nicht kommen sehen Lin“, erzählte Greg und lehnte sich an Linhard an.


    „Erzähl Greg, ich höre Dir zu. Gemeinsam finden wir eine Lösung und falls nicht, ich kenne genug Leute die Lösungen schaffen…“, schmunzelte Lin.


    „Ich darf jetzt vor meinen Brüdern nicht klein beigeben. Ebenso wäre Rückzug genau die falsche Taktik, dies hatte Ciel mir vor Augen geführt. Wieso soll ich freiwillig das Schlachtfeld räumen? Ich habe den Hof nicht zum Schlachtfeld gemacht!


    Aber eines muss ich Ciel zugestehen, er war klug, er war geradezu gerissen!
    Als Bastard und Nullnummer in der Thronfolge hat er sich geschickt an den neuen Duc herangewanzt und schon vorher haben sich die beiden prächtig verstanden.


    Zu allem Überfluss hat uns Vater noch ein Furisto-Lehen zugeteilt. Eine noble Geste, die sich für mich allerdings nicht mehr rechnet. Rein vom Amt und Titel her schon. Aber sobald der Duc etwas anderes befiehlt, habe ich dies umzusetzen.


    Und wie die zukünftigen Entscheidungen von Dreux aussehen werden ist klar – pro Ciel, contra Greg.


    Zudem sind die beiden Lehen genau seitenverkehrt verteilt. Momentan hätte ich einen Vorteil daraus schlagen können, wäre ich Furisto von Neu-Souvagne. Die alten Marquis stehen treu und eisern zu ihrem Duc. Die neuen Marquis hätten über Dich in erster Linie treu zu mir gestanden. Dass hoffe ich jedenfalls. Allerdings mache ich mir keine Hoffnungen, dass Vater die Einteilung aufhebt oder abändert. Gerade in der jetzigen Situation nicht. Vater ist zwar milde, aber solche Machtverschiebungen oder Anwandlungen sieht er sofort. Maximilien wird nicht dulden, dass sich Neu-Souvagne durch einen internen Streit abspaltete, bevor es überhaupt richtig eingegliedert worden ist.


    Ich selbst wünsche das ebenfalls nicht, aber nun fühle ich mich auf verlorenem Posten. Er bin direkt meinem Bruder Dreux unterstellt, mit der alten Herrengarde unter mir die nur für den Duc und Souvagne sprechen. Auf der anderen Seite steht Ciel, der dafür sorgen wird, dass Du und Deine Sippe auf Spur bleiben. Du wirst dem Duc und Souvagne über mich stellen. Der Treueschwur galt dem Duc, der Krone und somit Souvagne selbst.


    Auf Einzelpersonen wird keine Rücksicht genommen und ich bin nichts anderes als eine Einzelperson.
    Ich bin weder Kronprinz, noch der Duc, noch bin ich in irgendeiner Position derer man bedarf.


    Es sei denn man betrachtet den Furisto als mehr als ein reines Ehrenamt. Die Marquis in Alt-Souvagne wissen was sie tun und ich bin die Zwischenstelle vor dem Duc, um diesen von seiner Arbeit zu entlasten. Darauf wird es letztendlich hinaus laufen. Ich hasse solche Machtspielchen.


    Ich hatte angenommen, dass Vater Ciel und mir diesen Posten gegeben hatte, damit wir einander weiterhin nahestehen würden. Einst war ich stolz auf unseren Zusammenhalt gewesen, den es eigentlich noch immer gibt. Der Preis dafür ist, dass ich mich damit abfinde, nicht über alles informiert zu werden. Scheinbar gehen mich manche Staatsgeschäfte nichts mehr an.


    Was eine weitere Frage aufwirft. Wenn es mich nichts angeht, dann bin ich ebenfalls nicht relevant für Souvagne.
    Und wer nicht relevant für Souvagne ist, wird weder mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geheilt sprich gerettet, noch wiederbelebt.


    Dreux und Ciel redeten eine ganze Weile allein. Als die Besprechung der beiden endete, kam Ciel heraus auf den Flur und teilte mir mit, dass sie Ihre Entscheidung aufrecht erhalten und die Antwort weiterhin nein lauten würde. Leider war ich in dem Moment ehrlich, was ich nun bedauere.


    Ich hätte schweigen müssen. Ich sagte ihm, was ich davon hielt, dass er sich mit Dreux verbündete und ich mich wie ein Außenstehender fühlen würde. Die Antwort von ihm war, dass ich mich durch meine Entscheidung nicht schwören zu wollen, ausgeschlossen hätte. Das ist aber so nicht richtig, denn sie lehnten meine Bitte ja bereits vorher ab und verlangten danach den Schwur um mir ihre Ablehnung verdeutlichen zu können.


    Also tat ich was ich vorher noch nicht getan hatte, ich log ihm ins Gesicht. Ich wandte die Taktik an, die man bei so einer Situation auf dem Schlachtfeld ebenfalls anwenden würde – kurzzeitiger Rückzug. Eine verlorene Schlacht ist kein verlorener Krieg. Ciel unterstellte mir, dass ich an Dich alles weitertragen würde.


    Ferner wies er mich darauf hin, dass ich Dich gefragt hätte, wem Deine Loyalität gilt. Und genau dies sollte ich mich nun ebenfalls fragen. Hinterfragt habe ich meine Handlung nicht, dass stimmt. Aber haben Ciel und Dreux ihre Handlung hinterfragt?


    Natürlich muss sich Dreux als Duc nicht vor mir rechtfertigen, er rechtfertigt sich vor niemandem. Dennoch hätte ich mich über eine Erklärung gefreut. Und vielleicht hätten sie sogar ihren Schwur erhalten, hätte ich über die Hintergrundinformation verfügt. Ich glaube allerdings, es hätte gar keine Information gegeben. Oder sie wäre lapidar ausgefallen, die Entscheidung liegt immer noch beim Duc.


    Die beiden kennen mich so gut wie ich sie kenne – oder dachte sie zu kennen. Sie wussten, dass ich mich verweigern würde, etwas zu beschwören, was ich nicht einhalte. Sie wollten mir damit schlichtweg zeigen, auf welchem Posten ich stehe. Das haben sie geschafft.


    Es schmerzt mich, dass ich für Dich keine bessere Nachricht habe. Aber Ciel und Dreux haben dazu ihre vorgefasste Meinung. Ich kann gerne noch einmal mit Vater darüber sprechen, sobald er zurück ist. Aber mache Dir da bitte keine großen Hoffnungen. Falls er nicht auf den Thron zurückkehrt, liegen die Chancen bei null für Brandurs Wiederbelebung“, erklärte Greg und starrte grimmig aufs Meer.


    „So traurig die Nachricht auch ist, sie hat auch etwas Gutes. Du weißt jetzt woran Du mit Deinen Geschwistern bist. Allerdings lass es nicht zu einer offenen Feindschaft kommen, sonst bist Du ganz draußen und davon hast Du noch weniger. Du hast für mich gefragt, sie haben Nein gesagt. Damit muss ich leben.


    Aber es hat ja die Möglichkeit bestanden, dass sie sich anders entscheiden. Es hat nicht sollen sein, wie man so sagt. Dafür bist Du nun eine Nummer schlauer, vermutlich schlauer als Dir lieb ist. Wir können uns nicht zusammenschließen und offen unter Deinem Banner gegen Dreux vorgehen.


    Du als Furisto mit den vier Marquis im Nacken die gegen den Duc aufbegehren, dass wäre Hochverrat. Wir würden allesamt auf dem Block landen. Du eventuell nicht, aber stattdessen wärst Du dann den Rest Deines Lebens irgendwo Gefangener.


    Ich verstehe nur zu gut, warum Du den Strand für unseren Plausch ausgewählt hast. Falls Du in sagen wir mal einem halben Jahr immer noch solche Gedanken hast, dann verrate ich Dir hier am Strand die Lösung – ganz ohne rollende Köpfe. Vorher nicht.


    Denn solltest Du Dich mit Deinen Brüdern wieder versöhnen und Dir rutscht so etwas raus, dann hast nicht nur Du ein Problem. Also Danke für Deine Mühe Verrill, aber lass die Sache nun auf sich beruhen. Ich werde Brandurs Anwesenheit genießen, so lange sie möglich ist. Danach werde ich eine Lösung auf meine Art finden. Eventuell könnte er als Geist mit einem Nekromanten aus unserer Familie in Naridien wohnen bleiben oder grenznah sich ein Haus zur Souvagne suchen. Mir fällt schon was ein. Trotzdem Danke.


    Denk an was Schönes, zum Beispiel an unsere Hochzeit und an Deinen Umzug. Direkt nach der Hochzeit ziehen wir in mein Herrenhaus, der Abstand zu Dreux und Ciel wird Dir gut tun. Das Du nicht schwören wolltest, heißt Du hättest mir alles brühwarm erzählt. Das haben Deine Brüder vermutet“, antwortete Lin grinsend.


    „So ist es ja auch“, lachte Greg was auch Linhard loswiehern ließ.