• Taktvoll - 170 n.d.A.


    "Ihr hättet ein wenig taktvoller sein können", schalt mich Leon und ich musterte ihn perplex.
    "Taktvoll wobei?", fragte ich, obwohl ich mir ganz genau denken konnte was er meinte.


    "Dabei wen Ihr küsst Hoheit", erinnerte mich Leon und bedachte mich mit einem milden Blick, der mich wütender machte als jede Anklage.
    "So? Uns war nicht geläufig, dass dies in Eure Zuständigkeit fallen würde", gab ich mit eisernem Gesicht zurück und hoffte, dass ich dabei nicht rot angelaufen war wie eine Fleischtomate.


    Leon trat an mich heran und zwar so nah, dass wir uns berührten. Er ergriff mich am Kinn und hob meinen Kopf, so dass ich gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen.


    "Alles was Eure Herrlichkeit betrifft, gehört zu meinen Pflichten.
    Ihr seid der Duc Maximilien Rivenet de Souvagne, der einzige überlebende männliche de Souvagne!
    Jede Handlung von Euch betrifft mich und Euer Land, denn Ihr seid Souvagne!
    Alle Tätigkeiten Majestät, jedes von Euch gesprochene Wort, jeder von Euch erteilte Befehl, jede Handlung sowie jeder Kuss", erklärte Leon ruhig und seine grauen Augen bohrten sich in meine.


    "Wir sind Souvagne und wir befinden uns in unserem Palast Leon", erinnerte ich ihn, in der Hoffnung so den Streit beenden zu können, den ich gerade durch meine schnippische Antwort vom Zaun gebrochen hatte. Ich hatte wie üblich die Rechnung ohne Leon gemacht.


    "Tadellos erkannt Eure Hoheit, Ihr seid im Palast. Jede Eurer Handlungen wir beobachtet, was Ihr tut, wie Ihr es tut, vor allem mit wem Ihr es tut. Wem gehört Eure Gunst? Wen meidet Ihr? Wie kann man als Einzelner daraus einen Vorteil ziehen?


    All solche Informationen werden weitergetragen, manchmal bis an fremde Höfe. Es werden sich Menschen über Euch ein Urteil bilden, die Ihr noch nie im Leben getroffen habt. Und solltet Ihr Interesse an einer Person zwecks Ehe hegen, solltet Ihr einen Ruf haben, der Eurer Person gerecht wird Majestät", erklärte Leon.


    Schlagartig fühlte ich mich wie ein Junge, der bei einer Dummheit oder schlimmer noch mit der Hand in der Hose erwischt worden war. Die Hand meines Leibdieners und Mentors an meinem Kinn verstärkte das Gefühl zusätzlich und ich spürte wie ich wirklich rot anlief.


    "Es geht die Leute einen Kericht an, wen ich küsse. Was schert es sie?", gab ich zurück.


    "Das habe ich Euch gerade erläutert, es schert sie, weil sie es vielleicht gegen Euch verwenden wollen. Verzeiht mir diesen Einwand Eure Hoheit, aber Politik ist manchmal ein tödliches Intrigenspiel. Meine Vermutung Eure Familie betreffend sind Euch bekannt.


    Womit sich manche Adlige die Zeit vertreiben, ist kein Spaß. Sie tragen ihre Familienfehden gerne auf dem Rücken anderer aus, vor allem wenn die Rücken mächtig genug sind, ganze Nationen zu vernichten. Wo wäre man sicherer, welcher Partner wäre besser für einen Streich gegen Feinde geignet?


    Wieso sollte man einen Bündnispartner für sich gewinnen, wenn man ihm ein Bündnis abpressen kann und ihn in der Hand hat? Ihr müsst Eure Unabhängigkeit und Stärke stets bewahren Maximilien, dazu gehört auch, nachzudenken. Ihr müsst vor jeder Eurer Handlung und Entscheidung nachdenken - immer. Denn eines Tages bin ich nicht mehr an Eurer Seite um Euch zu beraten und zu beschützen", sagte er im sanften Tonfall und ließ ebenso mein Kinn los.


    Die Erläuterung holte mich schlagartig auf den Boden der Tatsachen zurück. Allein bei dem Gedanken daran, Leon verlieren zu können, krampfte sich mein Herz zusammen.


    "Du hast Recht, ich habe nicht nachgedacht, für einen winzigen Moment habe ich mich einfach meinem Gefühl hingegeben. Gefühle sind menschlich und ich bin es auch", gab ich leise zu bedenken.
    "Nein als Duc bist Du weit mehr als das, privat ist das etwas anderes. Von allem was ich Dir beigebracht habe musst Du Dir eines immer vor Augen führen, einer wird Dich immer beobachten, nichts bleibt an einem Hof geheim, auch den Hofdamen rund um Deine Mutter nicht.


    Du musst Deine Augen überall haben und dies geht wesentlich leichter, wenn Du Dich selbst unter Kontrolle hast und weißt was Du tust", schmunzelte Leon.


    "Du bist nicht gerade das, was man unter einem gewöhnlichen Leibdiener versteht Leon, einen Leibdiener stellt man sich wirklich anders vor", antwortete ich ihm.


    "Das heißt was?", hakte er nach.
    "Das heißt Danke", gab ich freundlich zurück.