Süßes Gift - Die letzten Jahre vor dem Fall

  • :birthday: Alles Gute zum Geburtstag, lieber Davy! :skorpion:


    Süßes Gift
    - Die letzten Jahre vor dem Fall -
    Prolog
    204 nach der Asche, ehemalige Feuerinsel Firasani


    Bellamy atmete beim Gehen tief durch und ließ die frische Seeluft durch seine nikotingeschwärzten Lungen strömen. Unter seinen Stiefeln knirschte der schwarze Sand, als er über die von aller Zivilisation leergefegte Insel wanderte. Was er hier suchte, waren nicht die Schätze der besiegten Farisin. Bellamy war auf der Suche nach sich selbst.
    Der Krieg war längst vorbei, die gewaltsam entfesselten Wassermassen zur Ruhe gekommen. Bellamy hatte Prince Ciel gebeten, ihn hernach noch einmal auf den in der Azursee liegenden Archipel aus Vulkaninseln zu fliegen. Sein Herr hatte der Bitte stattgegeben, ihn mit seinem Cockatrice persönlich auf der südlichen, kleineren der beiden Hauptinseln abgesetzt und war dann wieder abgeflogen, um sich den gesprengten Krater anzusehen. Das Meer hatte das Loch inzwischen vollständig geflutet, der Sog war zur Ruhe gekommen und das Zentrum des Kraters bildete nun ein dunkelblauer See von ungeahnter Tiefe. Aus Seen wie diesen wob man Legenden.
    Bellamy jedoch war der Kratersee egal, ihn rief etwas anderes zurück und es hatte seinen Grund, warum er auf der südlichen, unauffälligeren Insel für sich allein gelassen werden wollte.
    Einsam wanderte der ehemalige Palaisin zwischen Palmen, die leise im warmen Wind raschelten. Kokosnüsse lagen wie Findlinge im Unterholz verstreut. Diese Insel gehörte nun seinem kleinen Bruder Boldiszàr als Entschädigung für die Verbrechen, die in der Vergangenheit an ihrer Familie begangen worden waren. Bellamy hatte ein unbeschränktes Recht, die Insel zu betreten und es sich auf ihr gemütlich zu machen. Genau das hatte er für den halben Tag vor, der ihm zur Verfügung stand, ehe Ciel ihn wieder abholen würde. Mit der auf einem Klemmbrett festgemachten Karte in der Hand, die sein Schwager Silvano ihm überlassen hatte und einem Rucksack mit Essen und Getränken und einem Schlafsack wanderte Bellamy durch das tropische Paradies. Bellamy hätte auch ein Haus bauen können, wäre ihm danach gewesen, ohne dass Boldiszàr auch nur hätte die Einzelheiten wissen wollen, um es ihm zu erlauben, doch er wollte einfach nur für sich sein und das Bewusstsein genießen, einen Ort gefunden zu haben, den er zu Hause nennen konnte. Nicht nur ein Grundstück, wie den Rübenhof, sondern ein Stück Land, das als Lehen bewirtschaftet werden konnte. Berzan Ile hatten sie ihr Reich genannt, nach ihrem gefallenen Vater. Und wie sehr der Name dieser Insel passte!
    Bemerkenswert waren die Strände der Vulkaninsel, schwarz wie das Haar der Familie Bovier, die Azursee so blau wie ihre stechend hellen Augen. Bellamy hatte sich informiert, Vulkanasche war ein hervorragender Nährboden für Wein. Das warme Klima würde sein Übriges tun, um reiche Ernten zu ermöglichen. Die Farisin waren zu dumm gewesen, dergleichen für sich zu nutzen, alles, was sie getan hatten, war zu brüten, Magmaskulpturen formen und wieder zu brüten. Das machte es für die neuen Eigentümer des Archipels nun einfach, es gab wenig abzureißen und viel Platz, um sich auszubreiten.
    Hin und wieder hielt Bellamy inne, markierte etwas auf der Karte und schrieb seine Gedanken dazu an den Rand. Seine Handschrift war grauenhaft und er musste jeden Buchstaben einzeln setzen, damit man sie später noch entziffern konnte. Seine Hände hatten in seinem Leben anderes getan, als sich um solche Feinheiten zu kümmern. Sie schwangen Schwert und stießen die Hellebarde, sie packten zu, verdrehten und würgten. Den Federkiel hielten sie selten und noch nie zuvor hatte er einen Füllfederhalter benutzt, wie Ciel ihm einen geschenkt hatte, damit er ordentlich festhalten konnte, was er wollte. Ein einfacher Bleistift wäre Bellamy lieber gewesen, aber er wusste die Geste zu schätzen und so würde er den Füllfederhalter verwenden, bis die Asche ihn verklebte oder die Tuschekapsel leer war.
    Weiter ging es.
    Neben der Vorfreude, hier zu wohnen oder zumindest ein Ferienhaus hier zu haben, spielte auch ein wenig Nostalgie in die einsame Wanderung mit hinein. Damals, als die drei Schwesternschiffe Choucas, Mouette und Cygnus die Segel gesetzt und einen Teil der Besatzung inmitten des Schlachtgetümmels zurückgelassen hatten, war Bellamy zurückgeblieben. Und doch war er nicht allein gewesen. Er hatte Sherkal bei sich und, den blau leuchtenden Geist seines Vaters.
    Berzan Bovier.
    Er war all die Zeit über bei seinem Sohn geblieben, während er festsaß, so lange, bis der nekromantische Zauber sich gelöst hatte und der Geist verschwunden war. Die Wanderung auf familieneigenem Grund und Boden, wo Bellamy so wertvolle Zeit mit seinem Vater verbracht hatte, gab ihm das Gefühl, seine abgerissenen und verrotteten Wurzeln wieder zu spüren.
    Und als hätte Ainuwar seine Gedanken gelesen, entdeckte Bellamy in der heranziehenden Dämmerung ein blaues Geisterleuchten. Wie eine Irrlichterschlange kurvte es zwischen den Palmen. Als es sich näherte, wurde seine Gestalt deutlich sichtbar. Bellamy grinste breit. Berzan flog dort, suchend nach seinem Sohn. Wenn da nicht Prince Ciel seiner Seele gelauscht hatte und nicht den Worten, als Bellamy um die Reise gebeten hatte.
    Der Geist war da, richtete sich auf und nahm eine stabile menschliche Form an. »Tag, Sohn«, grunzte Berzan und seine Augen waren wie blaue Leuchtfeuer.
    »Abend, Papa.« Die Augen seines Sohnes leuchteten kaum weniger vor lauter Freude. Vater und Sohn grinsten über beide Ohren.
    »Als ich dich das letzte Mal in die Arme nehmen konnte, da warst du so.« Berzan zeigte in Höhe seines Schlüsselbeins. »Und acht Jahre alt. Boldi war vier und so hier. Ihr wart miniklein, mit Pausbäckchen, weil Mariette euch zu gut bekocht hat. Richtig niedlich saht ihr zwei aus. Und jetzt schau dich an, eine Kante von einem Mann.« Berzan betrachtete seinen ältesten Sohn voller Stolz. »Es ist merkwürdig, den Unterschied zu früher zu sehen, ohne die Jahre dazwischen erlebt zu haben. Vom Kind zum Veteran. Nur fünfunddreißig Jahre sind es letzten Endes, sie sind so rasch vorbei, doch die Welt verändert sich so rasant, dass wir kaum schritthalten können. Als ich so alt war wie du, da war ich gestorben.« Wehmütig schnaufte der Geist.
    »Ich werde hoffentlich noch ein paar Jahre mehr haben«, antwortete Bellamy und rang sich ein Grinsen ab. »Warst du schon immer so grenzenlos optimistisch?«
    »Klar. Brummi war der Kosename, den meine Frau mir gab, zu etwas anderem hat es nicht gereicht.«
    »Erzähle mir von euch«, bat Bellamy. »Warum warst du immer so brummig?«
    »Ich war nicht immer brummig«, antwortete Berzan. »Nur meistens. Und vor allem bei meiner Frau. Bevor ich Vater wurde, hasste ich so ziemlich jeden, außer meinen besten Freund, meinen Merci. Wenn ich jemanden nicht hasste, sondern nur ignorierte, konnte der sich schon glücklich schätzen. Ich konnte ein ziemlicher Arsch sein. Kurz gesagt, ich war ein Griesgram und Menschenhasser. Die lange Version ist komplizierter. Willst du sie trotzdem hören?«
    »Klar, Papa. Wir haben Zeit.« Bellamy setzte sich gemütlich in den schwarzen Sand, der von der Sonne warm war und sah seinen Vater aufmerksam an.
    Und so begann Berzan seinem Sohn die Geschichte zu erzählen von den wenigen Jahren, die sie als Familie gehabt hatten, ehe Verrat und Tod sie auseinanderrissen.

  • Veränderung
    Jahr 155 nach der Asche


    »Beginnen wir in dem Jahr, als die Lawine ihren Anfang nahm. Ganz harmlos fing es an, mit einem winzigen Steinchen, das alles ins Rollen brachte. Ich war damals knackige 36 Jahre jung und so gut aussehend wie du. Schwarzes Haar, das ich als kurzen Hahnenkamm trug und so stechend blaue Augen, wie es sie nur in unserer Familie gibt. Du hast sie geerbt und Boldiszàr hat sie geerbt, was mich sehr stolz macht. Und ich erbte sie damals von meinem Großvater und so weiter, genau wie das schwarze Rabenhaar. Außerdem war ich unverheiratet und ganz in meinem Auftrag als Agent der Autarkie aufblühend.
    Viele von uns waren Solo. Wer keine Familie hat, kann sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren und richtig gut werden. Aus dem Grund landeten vor allem Junggesellen bei uns. Zu den Agenten der Autarkie kamen nur die Besten und darum war es bei den meisten von uns so, dass sie erst sehr spät unter die Haube kamen. Ich für meinen Teil gehörte zu jenen, die entschlossen waren, das Kapitel Hochzeit in ihrer Biografie einfach zu umschiffen. Ich wollte nicht heiraten und noch weniger wollte ich Kinder in die Welt setzen. Veränderungen waren etwas, das ich nicht mochte, weder privat noch beruflich. Meine Aufgabe als Agent war es, dafür zu sorgen, dass alles in Souvagne so blieb, wie es war: keine Volksaufstände, keine Bildung von Parallelgesellschaften oder Untergrundorganisationen und so weiter. Die Sicherung der Ordnung bedeutet die Sicherung des Friedens. Wächter des Friedens, so hätte man uns auch nennen können, wären wir offen in Erscheinung getreten, doch wir ermittelten verdeckt. Trotz unserer noblen wie ehrenwerten Aufgabe, führten wir am Ende der in Gang gebrachten Lawine das Schwert gegen die eigenen Landsleute - und gegen die Krone, die zu schützen wir geschworen hatten.
    Doch noch war es nicht so weit, noch lange nicht.
    Es war alles in Butter, von der Tatsache abgesehen, dass mein bester Freund und Kollege Mercer Desnoyer mir eine Einladung zu seiner Hochzeit überreicht hatte. Mercer Desnoyer wollte heiraten! Das saß. Das war absolut nicht lustig und erst Recht kein Grund ihm zu gratulieren. Sogar heute als Geist nehme ich ihm das noch krumm, weil ich ab dato nicht mehr die Nummer eins in seinem Leben war. Degradiert zur Nummer zwei von irgendeiner Frau, deren Namen ich nicht mal richtig aussprechen konnte: Genevre. Hätte sie nicht ausgerechnet meinen Mercer verführt, hätte ich sie vielleicht ganz in Ordnung gefunden. Sie war intelligent und selbstbewusst, sicher auch ganz hübsch, wenn man auf langbeinige blonde Frauen steht. Ich jedoch sah in ihr nur Konkurrenz. Und mein Mercer war schwer in sie verliebt.
    Er deckte sich noch mehr als sonst mit exquisiter Kleidung ein, besuchte täglich das Badehaus, ließ sich dort rasieren, das Haar machen und seine Hände und Füße maniküren.
    »Damit es ordentlich wird«, sagte er immer. Mercer war wirklich unwahrscheinlich eitel, was nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass er mit dem Schwert umzugehen wusste. Jeden Morgen wendete er anderthalb Stunden dafür auf, sich zurechtzumachen, wozu die Auswahl der Gewandung genau so wie das sorgfältige Schminken seines Gesichts gehörte. Wenn man ihn sah, ohne ihn zu kennen, glaubte man unweigerlich, einen Adligen aus bestem Hause vor sich zu haben, dabei war Mercer von genau so einfacher Abstammung wie ich. Jedenfalls wusste er jeden Monat sehr genau, was er von seinem Geld als Nächstes kaufen sollte.
    Und ich?
    Nachdem ich mich mit der hochwertigsten Ausrüstung eingedeckt hatte, die ein Agent sich nur wünschen kann, wusste ich mit meinem Geld nicht mehr, wohin. Man verdient gut in meinem Beruf, aber da man ständig unterwegs ist, machen langfristige Anschaffungen, wie Mercers gigantische Kleiderkammer, in meinen Augen wenig Sinn. Was also mit der ganzen Kohle tun? Bislang hatte ich sie einfach angehäuft und war glücklich gewesen, doch nun, da Mercer, wie es mir vorkam, nur noch mit seiner Verlobten herumhing, fühlte ich mich überflüssig und begann, mir Gedanken um solche Dinge zu machen.
    »Geh doch ins Freudenhaus«, empfahl mir ein Kamerad von den Agenten der Autarkie.
    »Versaufe das Geld doch einfach«, sagte ein anderer.
    »Geh doch mal auf ein Pferderennen und versuch dich im Wetteinsatz«, tönte ein weiterer.
    »Spende es für einen guten Zweck, wenn du es nicht brauchst«, empfahl irgendein verbohrter Gutmensch. Ja klar, ich arbeitete und riskierte meinen Arsch dafür, dass andere in meinem Wohlstand schwelgten. So weit kam es noch.
    Was würdest du tun, Bellamy? Was würdest du machen mit so viel Geld, wenn in deinem Privatleben plötzlich so ein Loch klafft, wo vorher dein bester Freund war?
    Ich kam auf eine vermutlich völlig andere Idee als du und die meisten anderen. Ich besuchte exquisite Restaurants und probierte mich im Laufe der Zeit durch alle Menüs. Und daran gewöhnte ich mich. Normales Essen schmeckte mir bald nicht mehr, ich wollte nur noch die Besten aller Gaumenfreuden. An meinen sonst üblichen Haferbrei zum Frühstück kam ich nicht mehr heran, er musste mit Mandelsplittern, Vanillemilch und in Honig gedünsteten Äpfeln serviert werden, dazu eine Prise Zimt und frisch geriebene Kokosflocken. So speiste sonst nur der Hochadel, denn Kokosnüsse mussten aus Ledwick bezogen werden und Vanille über die Naridier, mit denen wir im Krieg lagen. Beim Mittagessen sah es nicht anders aus. Ich würde morden für einen sanft gegrillten Langustenschwanz auf Orangen, garniert mit Gurkenblüten und Holunderblütenessig, dazu die zarten Spitzen von grünem Spargel als Beilage serviert. Bis zu meinem Lebensende blieb das mein Lieblinsessen.
    Als ich es das erste Mal probierte, war ich vollkommen hin und weg. Ich verlangte, den Koch zu sehen, der diese Gaumenfreude zubereitet hatte. Zu meiner Überraschung war es kein Koch, sondern eine Köchin. Mariette sah aus, wie man sich eine gute Köchin vorstellt, größer als ich - was keine Kunst war - und doppelt so schwer - wo einiges dazugehört, denn ich war ziemlich bullig. Ihre volle Wangen strahlten rot in dem hübschen Gesicht. Das lange dunkle Haar trug sie zu einem großen Knoten geflochten, den sie mit essbaren Blüten schmückte, so als sei sie selbst ein Leckerbissen, der nur darauf wartete, vernascht zu werden. Der Duft der Küche umwehte sie wie ein Parfum. Und da geschah es. Ich, Berzan, der keine Veränderungen mochte, wusste auf einmal, dass dies die Frau war, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Sie war es. Und nebenbei - ganz zufällig natürlich - würde Mercer sehen, dass er nicht der Einzige war, der heiraten konnte. Das konnte ich genau so gut.
    Damit hätte es gut sein können, doch das war es nicht.

  • Eintracht mal anders


    Nach der Hochzeit kaufte ich uns ein Häuslein. Es war klein, da ich ja ohnehin selten dort sein würde, besaß aber eine gigantische Küche für Mariette. Dazu gab es zwei Speisekammern und einen Weinkeller, während der Wohnbereich in Anbetracht meines Wohlstandes winzig war und lediglich ein kleines Wohnzimmer umfasste und ein Schlafzimmer, in das kaum mehr als ein Bett und ein Schrank für jeden hineinpasste. In meinen Augen reichte das vollkommen zu.
    Ich lud Mercer zu uns nach Hause ein, um den Einzug zu feiern. Logisch, dass ich ihn einlud, meinen Besten. Der Beste war er immer noch und nichts auf der Welt hätte etwas daran ändern können, nicht einmal der Umstand, dass er inzwischen geheiratet hatte.
    Er schleppte Genevre mit, doch das war kein Problem. Ich gab ihr die Aufgabe, Mariette zu helfen, die wieder fleißig am Kochen war. Während Mariette und Genevre in der Küche standen und über ihre Weiberthemen quatschten, saßen Mercer und ich bei Langustenschwanz, Kerzenschein und einem Glas lieblichen Weißwein am Tisch beisammen und ließen es uns gut gehen. Mercer hatte das Kinn in die Hände gestützt und blinzelte glücklich in den Kerzenschein. Seine Wangen waren unter der Schminke vom Wein sanft gerötet. Wir beide hatten einen herrlich entspannten Abend, beide blendende Laune und blödelten über dies und das herum. Über etwas Sinnvolles konnten wir uns zu Hause kaum unterhalten, da unsere Frauen nicht wissen durften, welchen Beruf wir wirklich hatten, offiziell waren wir einfache Büttel. Das schränkte die Gesprächsthemen ziemlich ein und gegenüber Mariette war ich extrem verschwiegen, um sie nicht durch falsches Wissen zu gefährden. Dass Mercer und ich gemeinsam speisten und uns so gut verstanden, während die Frauen uns bekochten, hat Mariette mir, glaube ich, übel genommen.
    Die zwei Frauen ließen sich, nachdem sie uns zwei doppelte Portionen Blanc-manger zum Nachtisch serviert hatten, nicht mehr blicken. Mercer wurde unruhig und verkündete zeitiger als sonst, dass er langsam aufbrechen müsse. Vermutlich ließ Genevre ihn sonst nicht mehr ran, warum sonst sollte er sich sonst von ihr unter Druck setzen lassen. Nun gut. Ärgerlich, aber seine Sache. Ich verabschiedete ihn mit viel Tamtam an der Tür. Vom Weißwein hatten wir beide ordentlich einen sitzen und der Abschied verlief entsprechend überschwänglich, mit vielem Schulterklopfen, Tätscheln und Grinsen. Als Mercer sich schließlich umdrehte, um zu gehen, klatschte ich ihm kräftig auf den Arsch, ehe ich die Tür schloss und mich wieder ins Haus verkrümelte.
    In dem Moment, als ich mich von der Tür abwandte, stand plötzlich Mariette vor mir, die dicken Ärmchen über ihren Brüsten verschränkt. Grimmig starrte sie mich an und ich starrte zurück, streitlustig, nicht gewillt, mir den Abend von einem Anflug weibischer Launenhaftigkeit versauen zu lassen.
    »Was?«, blaffte ich.
    »Mein lieber Berzan«, begann sie ganz ruhig. »Sei so gut und höre mir zur Abwechslung einmal aufmerksam zu. Ich habe bereits gestern angefangen, das Essen für heute vorzubereiten.«
    Anhand ihrer Stimmlage schlussfolgerte ich, dass es eine lange Predigt werden würde. »Das weiß ich doch zu schätzen«, sagte ich, um sie aufzuhalten.
    Doch sie fuhr unbeirrt fort. »Heute Morgen bin ich drei Stunden eher aufgestanden als du und habe die Küche vorbereitet und nebenbei noch Frühstück für uns gemacht. Ich dachte, wir essen gemütlich zu zweit, aber du hast dir deinen Teller geholt und bist damit wieder im Bett verschwunden. Den schmutzigen Teller durfte ich mir anschließend vom Nachttisch abholen, weil du wieder eingeschlafen warst.«
    »Ich hatte eine anstrengende Woche hinter mir! Du hast ja keine Ahnung, wie ...«
    »Ich wusch danach, ohne zu klagen, das Geschirr vom Frühstück ab, während ich schon die Soße für das Mittagessen vorbereitete, damit sie noch durchziehen konnte. Ich habe die insgesamt aufgewendeten Stunden nicht gezählt, doch da du mir aufgetragen hattest, vier Portionen vorzubereiten, habe ich sehr lange gebraucht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits vermutet, dass du sicher Besuch erwartest, auch wenn du mir nichts dazu gesagt hattest. Ich dachte zwar, wir würden deine wenigen freien Tage zu zweit genießen und eine Art Flitterwochen haben, damit wir uns einander widmen und uns besser kennenlernen können, aber sei es drum. Ich möchte ja nicht der Hausdrache sein, der zwischen dir und deinem besten Freund steht. Darum sagte ich dazu nichts. Doch anstatt dass wir uns dann, wie ich dachte, zu viert an den Tisch setzten und gemeinsam aßen, habt ihr uns Frauen in die Küche geschickt und jeder zwei Portionen verdrückt. Wir durften uns mit Brot und dem Braten vom Vortag begnügen, den ich uns noch einmal warm gemacht habe.«
    »Mariette ...«
    »Verrate mir bitte eines«, fuhr sie ruhig fort. »Warum hast du eigentlich nicht deinen Mercer geheiratet?«
    Das saß. Das konnte so nicht stehenbleiben! »Weil Mercer leider schon verheiratet ist«, entgegnete ich grantig.
    Natürlich war das Blödsinn. Ich kannte Mercer seit gefühlten hundert Jahren und genau so lange waren wir miteinander befreundet. Warum eine harmonische Freundschaft in eine komplizierte Ehe verwandeln? Man sollte nichts reparieren, das nicht kaputt ist.
    Mariette aber verschlug es nach dieser Ansage die Sprache. Sie drehte sich wortlos um und verschwand in der Küche. Und dort weinte sie. Hilflos warf ich die Arme in die Luft und ließ sie wieder fallen.
    Da ich nicht wusste, was ich machen sollte, trottete ich im Dunkeln am Strand entlang hinüber zu Mercer, der ganz in der Nähe wohnte, und übernachtete bei ihm. Seine Frau schlief auf dem Sofa, weil wir im Bett bei einer Flasche Wein Karten spielten. Danach schliefen wir besoffen ein, nebeneinander auf den verstreuten Karten in Mercers Ehebett liegend, geröstete Kartoffelecken überall im Bett verstreut. Der Anblick war vermutlich allzu einträchtig. Und so kam es, dass wir beide gleichzeitig unseren ersten Ehekrach hatten.
    Ich vermute, wir waren nicht die besten Ehemänner. Aber dafür waren wir verdammt gute Freunde, mein Mercer und ich. Nur leider öffnete meine Unfähigkeit, ein guter Mann zu sein, einem weitaus größeren Unglück Tür und Tor.

  • Wie Hund und Kater
    Jahr 157 nach der Asche.


    Das Jahr begann zunächst wie die beiden Ehejahre davor. Mariette und ich hatten uns wieder mal gestritten und Mercer war noch immer mein Bester. Der Ritt auf Arbeit war lang und das Gespräch eine willkommene Beschäftigung. Jeder von uns ritt ein Schlachtross, dass nicht besser zu uns hätte passen können: Mercer einen weißen Schimmel mit wallender Mähne, ich einen Rappen, dessen Mähne so kurz geschnitten war, dass sie wie bei einem Wildpferd nach oben stand. Damit hatten mein Pferd und ich die gleiche Frisur. Den Schweif hatte ich ihm bis auf die Rute hinunter abgeschnitten und zu einer kurzen Wurst zusammengeflochten, damit er nicht rumnervte. Müßig zu erwähnen, dass Mercers Pferd einen eigenen Stallknecht hatte, der sich um seine Gesundheit und sein Erscheinungsbild kümmerte und ihm den wallenden Schweif und die üppige Mähne täglich kämmte und frisierte.
    »Was hätte ich den sonst machen sollen?«, fragte ich mürrisch, während wir uns über den Streit unterhielten.
    »Wenn sie weinend aus dem Raum geht, dann erwartet sie, dass du hinter ihr her gehst. Dann nimmst du sie tröstend in den Arm. Zunächst wird sie besonders heftig weinen, damit du sie noch mehr tröstest, vielleicht noch einmal kurz zanken und anschließend beginnt sie, sich zu beruhigen. Das ist schon alles, was du hättest tun sollen.«
    Stolz schritt sein weißes Ross auf schlanken Beinen einher, während mein bulliger Hengst mit seinem Getrampel eher an ein zu großes Wildschwein erinnerte. Aber das arme Tier musste auch mich tragen und im Gegensatz zum schlanken, langbeinigen Mercer war ich nicht gerade ein Leichtgewicht.
    »Also wenn ich aus der Tür gehe und hinter mir die Tür zu mache, heißt das bei mir, ich will allein sein«, grübelte ich laut.
    »Du bist jemand, der sehr direkt denkt. Das kann Segen sein oder Fluch. Da, wo ich um hundert Ecken denke, findest du für komplizierte Probleme einfache Lösungen. Aber was im Einsatz funktioniert, funktioniert nicht automatisch im normalen Zusammenleben. Das macht uns beide im privaten Rahmen manchmal zu anstrengenden Zeitgenossen.«
    »Ich finde uns nicht anstrengend. Ich lasse dich einfach labern, höre zu und irgendwann sage ich meine Meinung. Entweder du nimmst sie an oder nicht. Fertig. Wo, bitte, ist das anstrengend? Noch harmonischer geht es doch gar nicht.«
    »Im Einsatz ergänzen wir beide uns in der Tat hervorragend. Aber in einer Familie gelten andere Regeln. Hast du es einmal damit versucht, sie nach einem Streit so richtig zu verwöhnen?«
    »Wie, verwöhnen«, fragte ich schockiert, doch mir schwante, worauf er hinauswollte.
    »Jetzt sag mir nicht, dass ihr nicht miteinander schlaft«, fragte Mercer nicht minder entsetzt zurück.
    Ich blickte ihn von der Seite an. »Warum sollten wir?«
    Auf diese Frage wusste er keine Antwort, die irgendeinen Sinn in meiner Welt ergeben hätte. Ich hatte Mariette schließlich nicht geheiratet, um jemanden zu haben, den ich ohne großen Aufwand jeden Tag ficken konnte. Mal ehrlich, wenn es danach gehen würde, hätte ich mir täglich eine Dirne mieten können, Geld genug dafür hatte ich. Jedoch mangelte es mir an dem entsprechenden Bedarf.
    Mercer versuchte, mir seine Ansicht über einen Umweg begreiflich zu machen. »Sieh mal, Mariette möchte sich von ihrem Mann begehrt fühlen. Jede Frau in einer gesunden Ehe möchte das. Es bedeutet doch umgekehrt auch, dass sie dich anziehend findet, was doch auch ein Kompliment für dich ist. Wenn du nicht mit ihr schlafen möchtest, glaubt sie, dass du sie hässlich findest oder dass du eine andere hast. Es macht sie traurig, wütend und es macht ihr vielleicht sogar Angst, dass du sie fallen lässt.«
    »Meine Güte«, ächzte ich. »Ich wollte sie heiraten, nicht ficken. Am Ende wird sie noch schwanger!«
    »Das ist doch nun wirklich kein Grund. Ihr müsst einfach aufpassen.«
    »Das ist mir aber zu umständlich«, entgegnete ich ziemlich grantig. Mich nervte diese Diskussion langsam. Es war, als würde ein Hund versuchen, einem Kater seine Sicht zu erklären. Beide hatten in ihrer Welt recht und doch würden sie nie einander verstehen. So abgehoben wie Mercer auch aussehen mochte mit seinen teuren Klamotten und seiner auffälligen Schminke, was seine Weltsicht betraf, war er völlig normal. Was mich anbelangte, so war es genau umgekehrt. Ich wirkte äußerlich ausgesprochen bodenständig, lebte jedoch mit dem ständigen Gefühl, auf Asamura falsch gelandet zu sein. Vielleicht hätte ich eher auf einen der beiden Monde gehört. Niemand verstand mich, nicht einmal mein bester Freund.
    Mercer schaute nachdenklich in die Ferne und schaffte es, selbst bei einer so beiläufigen Handlung hervorragend auszusehen. »Wir sind beide nicht mehr die Jüngsten, Berzan, und unsere Frauen sind kaum jünger als wir. Hast du daran mal gedacht? Irgendwann ist der Ofen aus, wie man so schön sagt. Dann ist die Chance, für die nächste Generation zu sorgen, ein für alle Mal vertan. Darum würde ich es mir an deiner Stelle gut überlegen, ob ihr wirklich nicht miteinander schlafen wollt.«
    »Will ich aber nicht. Habt ihr zwei euch abgesprochen, du und Mariette? Sie nervt mich auch ständig, weil sie sich ein Baby wünscht, und versucht mich andauernd zu knutschen. Sie soll aufhören, mich zu belagern. Ich habe uns ein hübsches Häuslein gekauft, ihr eine riesengroße Küche geschenkt und zwei Speisekammern, irgendwann ist auch mal genug. Sie sollte glücklich sein mit dem, was sie hat. Andere Männer schlagen ihre Frauen, das steht ihnen vom Gesetz her zu. Nichts dergleichen mache ich. Sie hat ihre Ruhe und ihre Küche und wenn ihr das Kochen mal zu langweilig wird, hat sie draußen noch den Kräutergarten, die Gemüsebeete und die Blumen. Sie kann den ganzen Tag machen, was sie will und ich störe sie nicht dabei. Also soll sie mich bitte auch nicht stören und mich mein Leben führen lassen, ist das so schwer zu begreifen?«
    Mercer versank für den Rest des Ritts in Schweigen.

  • Aus zwei mach drei


    Im Hauptquartier wartete eine böse Überraschung auf mich.
    Die Überraschung wartete in Gestalt eines jungen Mannes vor Mercers Schreibstube. Mercer war, wie du weißt, das Oberhaupt der Agenten der Autarkie und ich war seine rechte Hand. Wir verbrachten daher recht viel Zeit im Innendienst. Die Überraschung glubschte mich mit grünen Mädchenaugen an und klimperte nervös mit zwei Fächern von dichten Wimpern. In den Händen knetete er eine weinrote Samtmütze und war in dem Versuch, einen guten Eindruck zu erwecken, auf ungeschickte Weise aufgetakelt. Rote Samtmützen und gestreifte Pluderhosen würde nicht einmal mehr mein Vater tragen, so lange waren die schon aus der Mode. Zu unserer Zeit trug man enge Kniebundhosen, einfarbig, wohlgemerkt und darunter weiße Beinlinge. Dazu wählte man einen elegant geschnittenen Mantel und nicht so einen Sack mit Pelzbesatz, von dem man auf den ersten Blick sah, dass es gefärbtes Kaninchen war.
    »Monsieur Desnoyer? Pascal Macault ist mein Name, ich bin froh, dass es geklappt hat. Vielen Dank für die Chance, ich werde Euch nicht enttäuschen.« Er streckte mir die Hand entgegen und klimperte mich an. Ich wies mit dem Kopf in Richtung von Mercer, der neben mir stand. Ich war sicher, dass er sich bei dem Anblick dieser modischen Kakophonie in inneren Qualen wand. Im Hintergrund feixten ein paar Kameraden.
    Mercer nahm mit ausdruckslosem Gesicht Pascals Hand und drückte zu. Es knackte, gleichzeitig ging unser Neuzugang ein Stück in die Knie. Den Aufschrei konnte er sich gerade noch verkneifen.
    »Mein Beileid«, sagte ich.
    »Das macht doch nichts«, gab Pascal mit einem tapferen Lächeln von sich.
    Ich sah ihn verständnislos an. »Ich meinte Mercer.«
    Mercer schmunzelte nun freundlich und stieß mich mit dem Ellbogen an. »Na, na. Auch du hast mal neu angefangen. Pascal ist ab heute unser Kamerad.«
    »Also ich bilde den nicht aus. Das kannst du mal schön vergessen. Wie du weißt, habe ich gerade ganz andere Sorgen, als mich mit einem Frischling zu plagen.«
    Mercer lächelte mit strahlend weißen Zähnen. »Aber ich werde das tun.«
    »Du? Na bitte, wenn du meinst. Wer hat uns den Kerl überhaupt aufs Auge gedrückt?«, fragte ich, ohne mich darum zu scheren, dass Pascal mithören konnte. »Derjenige muss uns hassen, über sehr viel Einfluss verfügen oder verdammt viel Kohle haben.«
    »Die letzten beiden Dinge, Einfluss und Geld. Ein Freund von den Himmelsaugen ist ein Verwandter von Pascal. Ich bin ihm noch einen kleinen, das heißt großen Gefallen schuldig. Außerdem spiele ich mit dem Gedanken, eine Schneiderei zu eröffnen. So oft wie ich bei meinem Schneider bin, lohnt es sich langsam, das alles selber hochzuziehen. Dafür braucht es aber ein gewisses Startkapital.«
    »Du hast Eier, hier so rumzuposaunen, dass du bestochen wurdest. Der Kerl hat nicht mal die Mindestgröße«, murrte ich und musterte Pascal.
    »Er liegt laut des Heilers, der die Musterung durchgeführt hat, darüber. Misstraust du etwa dem Wort eines Medicus? Und falls jemand doch noch einmal genauer nachmessen sollte, kann der gute Mann sich schließlich auch mal vermessen haben. Es ist ja nur für drei Jahre«, versuchte mich Mercer zu beruhigen. »Danach bekommt Pascal einen Partner zugewiesen und geht wieder seiner Wege. Bis dahin sind wir zu dritt, mein lieber Berzan.« Er legte kumpelhaft den Arm nicht etwa um mich, sondern um Pascal. »Berzan meint es nicht so.«
    »Doch, tue ich«, antwortete ich streitlustig. »Schau dir das Würstchen doch mal an, der überlebt den ersten Einsatz nicht! Mit deinem sogenannten Gefallen bringst du ihn um. Da wird dein Himmelsauge sich aber freuen.«
    »Alles eine Frage der Übung, er hatte vermutlich einfach nicht den optimalen Mentor. Ich habe schon ganz andere Leute hinbekommen. Wir müssen ihn ein wenig mehr striezen als die anderen. Gib ihm eine Chance, dann muss ich es dir nicht befehlen, hm?«, flötete Mercer und zog mit Pascal ab, um den Schriftkram fertig zu machen.
    Ich starrte den beiden wütend hinterher und bekam eine erste Ahnung davon, wie Mariette sich wohl fühlen musste, wenn ich mit Mercer abzog und sie allein zurückließ. Ich war so wütend, dass ich meine Karten herauszog und für den Rest des Tages in meiner Schreibstube Patiencen legte, anstatt zu arbeiten.

  • Die Potenzierung aller Unfähigkeit


    Mercers Voraussage bewahrheitete sich nicht. Egal, wie sehr wir in striezten, Pascal war und blieb eine Niete. Bei so einem verantwortungsvollen Beruf, wie dem unseren, war das nicht so witzig, wie es sich vielleicht anhört. Pascal war eine wunderbare Veranschaulichung dessen, was Korruption anzurichten vermag, das wandelnde Paradebeispiel und obendrein gefährdete er durch seine Stümperhaftigkeit die Sicherheit von Souvagne. Ja, mein bester Freund Mercer war korrupt, da lässt sich nichts beschönigen. So ein ausschweifender Lebensstil wollte ja auch bezahlt werden. Wir bekamen zwar einen Sold, der sich sehen lassen konnte, aber alles hatte seine Grenzen und mit Geld konnte Mercer bei aller Intelligenz leider überhaupt nicht umgehen. Egal wie groß die Summe war, die er zur Verfügung hatte, er verprasste alles. Ich hatte schon vor Jahren aufgehört, ihm Geld zu borgen, da er es mir nie zurückzahlen konnte und ich das Gefühl hatte, ihm damit mehr zu schaden, als zu helfen, da sein Schuldenberg umso weiter wuchs. Als ich anfing, ihm bei seiner privaten Buchführung zu helfen, wurde es etwas besser. Wir fanden eine Strategie, wie er sich im Verlauf der nächsten zehn Jahre systematisch aus seinen Schulden herausarbeiten konnte, wenn er sich streng daran hielt. Damit das gewährleistet war, musste ich allerdings wöchentlich in seine Finanzen Einsicht nehmen, sonst fing er wieder an, zu schludern. Er vertraute mir jedoch so weit, dass er das zuließ, wofür ich ihm dankbar war. Niemand sieht seinen besten Freund gern in so einem Zustand. Ich lud ihn darüber hinaus oft zum gemeinsamen Abendbrot ein, damit er trotz verordneter Sparsamkeit regelmäßig was Ordentliches zwischen die Zähne bekam.
    Eines Abends war es wieder mal so weit. Mercer hatte durchklingen lassen, dass sein Magen so leer war wie sein Geldbeutel, also klopfte ich abends an seiner Haustür. Er öffnete und schenkte mir ein strahlend weißes Lächeln, dezent umrahmt von rosèfarbenem Lippenstift.
    »Mercimaus«, schnurrte ich.
    »Berzibär«, antwortete er zuckersüß.
    Das war unser übliches Begrüßungsritual, das wir eingeführt hatten, nachdem Mariette mir vorgeschlagen hatte, doch lieber Mercer zu heiraten. Wir nahmen sie damit hinter ihrem Rücken ein wenig auf die Schippe. Ich machte keine Anstalten, sein Haus zu betreten oder Pascal, der neugierig schaute, wer da war, zu begrüßen. Leider sah die Ausbildung vor, dass er bei seinem Mentor wohnen musste.
    »Kommst du rüber, Mercer? Mariette hat was Feines für uns gekocht.«
    »Klar, gern. Was gibt es denn Schönes?«
    »Schwarze Bandnudeln. Aber der dahinten«, ich nickte in Pascals Richtung, »bleibt hier. Wir gehen schließlich nicht dienstlich essen, sondern privat.«
    Normalerweise griff Mercer nun nach seinem Mantel, gab seiner Frau einen Abschiedskuss und begleitete mich. Doch heute sah Mercer mich nur lange an. »Es ist nicht fair, ihn auszuschließen«, sagte er leise.
    »Och komm«, murrte ich spielerisch und rempelte ihn mit der Schulter an. »Zieh die Jacke an, Zicke.«
    »Berzan.« Mercer lächelte nicht. Sein ernster Blick war ein stummer Befehl, das Rumblödeln nun zu unterlassen. »Pascal ist neu, aber er kennt seinen Platz. Kein Grund, ihm bei jeder Gelegenheit seine Grenzen vor Augen zu führen. Genug ist genug.«
    »Jetzt mal Klartext«, brummte ich. »Ich habe als dein Kumpel fast nichts mehr von dir, seit du diesen Knilch da auszubilden versuchst. Wir sind nie allein, dauernd ist er dabei! Immer heißt es nur: Pascal schau mal hier und Pascal lerne da. Pascal, Pascal, Pascal. Ich kann es nicht mehr hören!«
    »So ist es Vorschrift«, erinnerte mich Mercer.
    »Ja und? Seit wann scheren dich Vorschriften? Du bist der Anführer der Agenten der Autarkie! Wer sollte dich verpfeifen? Niemand im Dienst war je auch nur halb so korrupt wie du. Und jetzt lässt du den Moralapostel raushängen? Aber bitte, wenn Pascal dir so viel bedeutet, dann mache ich ab heute auch nur noch Dienst nach Vorschrift. Ich hole dich pünktlich zum Einsatz ab und danach mache ich Feierabend. Allein. Keine Vermischung von Berufsleben und Privatleben mehr. Schönen Abend noch.«
    Durch den warmen Sommerabend marschierte ich allein über den Strand nach Hause, wo wir hätten zu zweit gehen sollen. Voller Hass kickte ich einen Stein ins Meer.
    »Du siehst fertig aus«, fand Mariette zu Hause. »Was soll ich kochen? Einen schönen Langustenschwanz für die Nerven?«
    Die Frage war lieb gemeint. Aber ich war nicht gewillt, zuzugeben, wie sehr ich verletzt war. Ohne sie auch nur anzusehen, drängelte ich mich an ihr vorbei. »Lass mich in Ruhe. Ich will nichts essen.«
    Eigentlich wollte ich allein sein, um ihr nicht von dem Streit mit Mercer erzählen zu müssen. Aber die Aussage war für sie, die ich wegen ihrer Kochkünste geheiratet hatte, ein Schlag ins Gesicht. Ihre Kochkünste waren alles, womit sie mein Interesse an ihr zu wecken vermochte und nun scheinbar nicht einmal mehr das. Wie sehr muss ich sie an diesem Abend verletzt haben. Während ich mich ins Bett legte, hörte ich, wie sie in die Küche ging. Sie weinte allein und ich lag genau so allein in unserem Ehebett, quer über beide Hälften, damit sie nicht auf die Idee kam, sich dazu zu legen. In dieser Nacht schlief sie in der Küche auf der Eckbank.
    Und Mercer und Pascal? Keine Ahnung, was die beiden trieben, während meine Wut heiß und nass in mein Kopfkissen rann. Ich malte mir in meiner grottenschlechten Laune aus, wie sie zusammen Karten spielten, lachten, ein leckeres Weinchen tranken, all die Dinge, die ich sonst mit Mercer getan hatte. Wahrscheinlich machten sie sich auch über mich lustig, so wie ich über Mariette.
    In meinem selbstgerechten Zorn beschloss ich, mich krankschreiben zu lassen, für einen richtig großen Zeitraum. Dabei kam ich mir unwahrscheinlich überlegen vor. Sollte Mercer allein mit seinem heißgeliebten Pascal zurechtkommen. Er würde schon sehen, was er davon hatte, seinen besten Freund hängen zu lassen und sich stattdessen in seiner Freizeit mit diesem Milchbubi abzugeben. Um sein Essen sollte er sich gefälligst künftig auch selber kümmern, genau wie um seine scheiß Finanzen. Basta.
    In Wahrheit wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er nun an der Tür klopfte und mich ruhig fragte, ob wir nicht noch einmal miteinander über alles reden wöllten. Dass es das doch nicht wert sei. Ich hätte sofort ja gesagt. Aber er tat es nicht. Hatte ich selbst nicht gesagt, wenn ich wegging, dann wollte ich auch wirklich allein gelassen werden? Nun lag ich hier und wünschte das Gegenteil, zu stolz, die paar Meter zu seinem Haus zu gehen, mich bei ihm zu entschuldigen und es wenigstens einmal zu versuchen, mit Pascal auszukommen. Ich blieb allein, zu stolz, zuzugeben, dass ich überreagiert hatte. Zu verbittert, meine Eifersucht ein zu gestehen.
    Die Rechnung kam einige Wochen später. Während ich, noch immer krankgeschrieben, meine Tage auf der Strandliege unter dem Sonnenschirm verbrachte und mich von Mariette mit Fruchtcocktails verwöhnen ließ, erreichte mich ein Eilbote.
    Notfall, sofort melden im Hauptquartier.

  • Das Anhängsel


    Dort erwartete mich nicht Mercer in der Schreibstube, sondern seine Vertretung, ein Agent namens Quennel Perreault. Es handelte sich hierbei um jemanden, der es schaffte, auf jeden unsympathisch zu wirken, was ihn aus meiner menschenverachtenden Sicht wieder sympathisch machte. So war ich vermutlich der einzige Agent der Autarkie, der den arroganten Quennel gut leiden konnte. Aber er machte gute Arbeit, das hatte auch Mercer erkannt und wenn wir beide ausfielen, stand Quennel daher an dritter Stelle bereit. Vielleicht spielte auch mit hinein, dass, wo Mercer seine blonde Mähne züchtete, Quennel sich in braune Locken hüllte, die denen meines besten Freundes in Volumen und Länge kaum nachstanden. Dazu trug er einen dunklen Dreitagebart.
    »Mercer hatte leider einen Dienstunfall«, erklärte er, während er mit seinen Papieren herumnestelte. »Pascal hat einen Fehler gemacht, das kommt in der Ausbildungszeit vor, und das hat Mercer einige Knochen gebrochen. Es kam bei einer Festnahme zu einer unnötigen Eskalation, in Folge derer Mercer mit einer Kutsche kollidiert ist.«
    »Autsch.«
    »Ja, wir sind alle nicht gerade begeistert. Die Frage ist nun, was wir mit Pascal machen. Ich weiß, dass du mit ihm nicht gut zurechtkommst, aber vielleicht kannst du mir jemanden benennen, der sich um seine Ausbildung kümmert, bis Mercer wieder auf dem Damm ist.«
    »Du meinst jemanden, der sich nicht von seiner Amateurhaftigkeit die Knochen brechen lässt?«
    Quennel grinste gequält. »Der Notfall ist nicht, dass Mercer ausgeschieden ist, der Notfall ist, dass wir nicht wissen, wohin mit Pascal, damit er möglichst wenig Schaden anrichtet. Schadensbegrenzung. Wie benötigen ein Gegengewicht, wenn man so will.«
    »Das Gegengewicht müsste Kompetenz im gottgleichen Übermaß aufweisen. Nicht mal Mercer war diesem Stümper gewachsen. Am Ende bringt Pascal noch jemanden um. Was soll`s, gib ihn mir. Ich kümmere mich um das PP, das Pascal-Problem.«
    Fragend hob Quennel die Brauen, so dass seine Stirn Falten schlug. »Sicher?«
    »Es reicht doch, wenn ich es einmal sage, oder? Irgendwo ist es meine Schuld, dass Mercer so verletzt wurde. Wäre ich an seiner Seite gewesen, um ihm gegen seinen Lehrling beizustehen, wäre das nicht passiert. Pascal nun nicht auf die anderen loszulassen, sondern mich ihm eigenhändig zu stellen ist das Mindeste, was ich tun kann, um das wieder gut zu machen. Wo ist Mercer nun?«
    »Er liegt im Haus der Heilung. Es wird einige Wochen dauern. Momentan darf er allerdings keinen Besuch empfangen.«
    »Alles klar. Und w ist der Trottel?«
    »Ich schicke ihn zu dir in die Schreibstube. Du kannst schon einmal vorgehen, ich hole ihn.«
    Und so nahm meine Arbeit wieder auf und ging die letzten Berichte durch, bis es leise klopfte.
    Abends musste ich Pascal entsprechend der Vorschriften leider mit nach Hause nehmen.
    Doch als er zum Schlafengehen nur seine Unterhose trug und so gerade von der Waschschüssel im Hinterhof wieder reinkam, starrte ich ihn lange an.
    Der Milchbubi sah ohne seine alberne Kleidung auf einmal gar nicht mehr so knabenhaft aus. Sie hatten sich bei der Musterung nicht vermessen. Der Mann war tatsächlich so groß, wie er es sein musste, hatte aber aufgrund des merkwürdigen Schnittes seiner Kleidung deutlich kleiner gewirkt. Statt des ungelenken jungen Burschen stand nun ein gestandener Mann vor mir, bis auf den letzten Muskel austrainiert. An seinem Körperbau sah ich, dass er die beste Veranlagung dazu hatte, ein richtiges Muskelpaket zu werden, wenn er nur mehr essen würde. Für seinen Körperbau wirkte er untergewichtig. Die Wandlung, die er mit seinen unpassenden Klamotten verursacht hatte, war erstaunlich.
    Auf mein unangemessen langes Starren reagierte er mit Unsicherheit. »Nicht gut?«, fragte er.
    »Eher zu gut.«
    »Für Eifersucht gibt es keinen Anlass«, sagte er freundlich. »Von mir geht keine Gefahr aus. Ich dränge mich doch nicht in eure Ehe.«
    Ich fragte mich, ob er meine Aussage bewusst auf diese Weise interpretiert hatte. Gemeint hatte ich etwas anderes.
    Aber seine Aussage brachte mich auf eine, wie ich meinte, gute Idee. Sie hatte nichts mit seiner Ausbildung zu tun, vielmehr fand ich, dass er sich revanchieren könnte dafür, dass ich mich um ihn kümmerte.
    Nachdem ich ihm meinen Vorschlag unterbreitet hatte, nickte er, erstaunlich gelassen.
    Wir nahmen Mariette in die Mitte. Sie lag auf dem Rücken und wir an beiden Seiten. Obwohl es meine Frau war, überließ ich Pascal die Führung. Er schien zu wissen, was er tat. Der Umstand sorgte bei mir erneut für Verwunderung, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass jemand wie er so viel Erfahrung vorweisen konnte, noch dazu in seinem jungen Alter. Oder war ich einfach so schlecht? Keine Ahnung. Mit seinen Fingern brachte er Mariette jedenfalls bald außer Atem und mich außer Fassung. Sie machte ein Holkreuz vor Lust und ihr fleischiger Körper erbebte zwischen uns, während Pascals Finger tanzten. Ihr langgezogener Lustschrei hallte durch das gesamte Haus. Offenbar war es bitter nötig gewesen.
    »Dein Part«, forderte er mich mit einem Schmunzeln auf.
    Ich starrte ihn einen Moment an, dann stellte ich mich meinem Schicksal. Einmal musste schließlich das erste Mal sein und ich wollte vor dem Knilch nicht als Versager dastehen. Mariette empfing mich mit roten Apfelbäckchen und einem strahlenden Lächeln in ihren Armen, als ich mich über sie beugte. Sie küsste mich, während ich versuchte, mit meiner Hüfte Stellung zu beziehen. Ich setzte an - und kam nicht rein. Was ich auch versuchte, ich fand einfach keinen Weg!
    Pascal beobachtete eine Weile mein hilfloses Rumgestocher. Dann umfasste er kurzerhand meinen Schaft und bog ihn in einen anderen Winkel. Ich schob erneut, aber in meiner Nervosität und Unerfahrenheit wollte es noch immer nicht gelingen. Mein Schwanz kam mir auf einmal unwahrscheinlich dick vor für diese zarte Öffnung. Spätestens jetzt wusste er endgültig, dass ich noch Jungfrau war.
    Ich kapitulierte. »Mach du«, keuchte ich und wollte den Platz räumen, damit er Mariette ihren sehnlichsten Wunsch erfüllte.
    Pascal hielt mich jedoch am Arm fest, bevor ich zwischen ihren Beinen hervorsteigen konnte und sah mich ernst an. »Es ist deine Frau, Berzan. Sie zu entjungfern gebührt dir. Es muss dir nicht peinlich sein. Ich kann dir anders helfen. Darf ich?«
    Ich nickte, ohne zu wissen, was er vorhatte. Er half mir völlig anders, als ich erwartet hatte, indem er hinter mich stieg, meinen Schwanz erneut umfasste und ihn an der glitschigen, aber scheinbar verschlossenen Öffnung ansetzte. Dann schob er mit seiner Hüfte von hinten gegen meine, um die Kraft zu steuern, die mich langsam in Mariettes Unterleib hineinzwängen sollte. Sein harter Schwanz lag unterhalb von meinem Hintern und schob sich in die Falte zwischen Bein und Sack. Mit dem Bauch schob er gegen meinen Steiß und Mariettes Fleisch glitt langsam um meine Spitze herum. Lustvoll stöhnte sie auf, spreizte die Beine noch weiter und das vordere Stück meines Schwanzes war mit einem Ruck in ihr. Mit vorsichtigen Hüftstößen arbeitete Pascal mich tiefer hinein, bis ihre feuchten Schamlippen meinen Bauch küssten. Wie glücklich Mariette aussah!
    »Den Rest schaffst du allein«, sagte Pascal leise und gab mich frei.
    In der Regel sah mein Feierabend seit diesem Abend so aus: Mariette empfing mich mit einem Kuss an der Tür. Dann bekam auch Pascal von ihr sein Begrüßungsküsschen. Sie führte uns beide in die Küche, wo sie alles schön gemacht hatte. Pascal tat, was mir schwer fiel, er lobte wortreich, wie viel Mühe sie sich für uns gegeben hatte, wie köstlich ihr Essen sei und wie schön sie heute wieder aussah.
    Während ich schweigend aß, plauderte er mit ihr, erzählte ihr erfundene Anekdoten von der Arbeit und war allgemein eine heitere und charmante Erscheinung. Es war phänomenal, was für Lügen er sich aus dem Ärmel schütteln konnte. Das war fast schon unheimlich. Während ich stets geschwiegen hatte, um ja nichts Falsches zu sagen und Mariette unter meiner vermeintlichen Mürrischkeit litt, war Pascal das Gegenteil. Er gab ihr all die Aufmerksamkeit und Zuwendung, zu der ich nicht fähig war, sei es am Esstisch oder zu dritt im Bett. Seitdem Pascal bei uns wohnte, besserte sich auch das Verhältnis von Mariette und mir. Sie konnte wieder lachen und ich kam wieder gern nach Hause, weil mich keine Gewitterwolke erwartete, sondern ihr strahlendes Lächeln und natürlich ein Pascal, der mir half, wo immer ich ihn brauchte.
    Mariette war glücklich. Endlich bekam sie all das, was sie verdiente.
    Mariette und ich gewöhnten uns an Pascals Anwesenheit, an seine Hilfsbereitschaft und sein freundliches Gemüt. Nichts schien ihn je außer Fassung zu bringen. Der Feierabend war auf einmal etwas, auf das ich mich freute: Gemeinsames Abendessen, dann ein oder zwei Stunden, in denen jeder etwas für sich allein war. Mariette machte den Abwasch und ich gammelte faul im Liegestuhl an unserem persönlichen Streifen Strand herum, während Pascal ihr in der Küche half. Das kannte sie gar nicht. Danach ging er meist noch eine Runde am Strand spazieren oder schwimmen. Sie putzte irgendwas und ich gammelte weiter, umschwirrt von Fledermäusen und weißen Motten, die sich an unseren Laternen versammelten. Zur Schlafenszeit trafen wir drei uns dann wieder im Haus. Wenn Pascal sich zu uns ins Schlafzimmer gesellte und die Atmosphäre mit seiner charmanten Art auflockerte, hatten wir richtig viel Spaß. Und so aufgelockert klappte es bald auch zwischen Mariette und mir im Bett.
    Dann geschah etwas, das sonst gar nicht meine Art ist: Als Mercer wieder gesund war, ärgerte ich mich. Der Tag, an dem er wieder seinen Dienst antreten konnte, war der Tag, an dem wir plötzlich wieder zu zweit sein sollten. Pascal kehrte zu seinem Ausbilder zurück.
    Abends ritt ich nach Hause und war den ganzen Weg über allein. Kein Knilch an meiner Seite. Am Esstisch herrschte Totenstille. Und als er abends nicht mit uns im Bett lag, verging mir jedwede Lust. Ich hatte das Gefühl, dass es scheiße werden würde und mit dem unerschütterlichen Wissen, sowieso zu versagen, blieb mein Schwanz lieber gleich schlaff, ehe er sich blamieren konnte. Ich drehte mich zur einen Seite hin, Mariette zur anderen. Und während sie hinter mir lautlos weinte, stand ich wieder auf, setzte mich in die leere Küche und brütete finster vor mich hin, ehe ich mich auf meinem Liegestuhl am Strand schlafen legte.

  • Pläne
    Jahr 158 nach der Asche.


    Es gab Dinge, die besprach Mercer nur mit mir allein, ohne die Anwesenheit von Pascal. Dazu gehörte, was wir bisher herausgefunden hatten über das oberste Himmelsauge, Magistral Parcival de Coubertin. Dass er mit mir darüber unter vier Augen sprechen wollte, machte er mir deutlich mit dem entsprechenden, unbeschrifteten Ordner in den Händen und einem bedeutsamen Blick.
    Ich saß jedoch gerade in unserer Schreibstube mit Pascal zusammen am Schreibtisch, wo er unter meinen aufmerksamen Augen einige Formulare vorbereiten sollte. Ich bedeutete Mercer, noch einen Moment zu warten.
    Mercer blieb stehen und ließ seinen Blick an mir hinabschweifen. »Berzan, auf ein Wort.«
    »Gleich.«
    Er wartete noch länger, ich beobachtete Pascal beim Schreiben und half ihm mit einer schier unglaublichen Geduld, wenn er nicht weiterwusste oder etwas erklärt haben wollte.
    »Berzan ...«
    »Moment noch.«
    Lang und breit erläuterte ich Pascal die Gesetzesgrundlage für die Eintragung, die er gerade vornahm.
    »Berzan, komm jetzt!«
    Verärgert schob ich die Verfassung von Souvagne von mir fort, erhob mich und folgte unserem Anführer in meine Schreibstube.
    »Schön, dass du dich endlich mit Pascal angefreundet hast«, sprach er und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Misstrauisch beäugte ich ihn. »Was soll der vorwurfsvolle Blick?« Als er nicht gleich antwortete, zog mein Mund sich zu einem breiten Grinsen auseinander. »Eifersüchtig?«
    »Irritiert. Du hockst nur noch bei ihm, vernachlässigst deine eigene Arbeit und machst dafür meine und seine. Ich möchte gern hören, was das soll.«
    »Kaum gesund, schon suchst du wieder Streit«, grollte ich.
    Er schüttelte die blonde Lockenmähne. »Nein, ich möchte wissen, was los ist.«
    »Gut, ich sage es dir. Ich habe mich an Pascals Anwesenheit gewöhnt, während ich deine Vertretung gemimt habe. Gib mir noch ein wenig Zeit, dann bin ich wieder ganz der Alte. Zufrieden?«
    »Berzan.« Mercer sah mich unter seinen getuschten Wimpern ernst an. »Zeit ist das, was wir nicht haben.« Er schlug den Ordner auf, den er mir die ganze Zeit schon hatte zeigen wollen. »Irgendwo muss es eine undichte Stelle bei den Agenten geben. Unser Kamerad Quennel hat mir Informationen übermittelt, dass man uns bei den Himmelsaugen inzwischen misstraut. Er kann nicht sagen, woher die Himmelsaugen Wind davon bekommen haben, dass wir gegen sie ermitteln, aber dass sie es tun, ist offensichtlich. Schau.« Er ging mit mir Quennels neueste Berichte durch.
    »Oh Mann«, knurrte ich. »Wenn das so weitergeht, heißt es bald, Agenten versus Himmelsaugen. Wir sollten überlegen, die Krone zu informieren.«
    In dem Moment ging die Tür auf. Hatte Mercer sie nicht abgeschlossen? Ihm schien das selbe durch den Kopf zu gehen, da er verwundert eine seiner nachgezogenen Brauen hob, als Pascal eintrat.
    »Oh, ihr seid mitten in einer Besprechung«, stellte er unschuldig fest. »Ich wollte Berzan etwas fragen.« Er zog sich einen Stuhl zu mir heran. Ich konnte seine Körperwärme spüren und die Empfindung blieb nicht ohne Wirkung.
    »Raus!«, schnauzte Mercer.
    Pascal hob die Hände in einer entwaffnenden Geste und trollte sich, wobei er hinter sich die Tür zuzog.
    Mercer schloss sie erneut ab, prüfte, ob sie diesmal auch wirklich zu war und setzte sich wieder zu mir. Er warf einen kritischen Blick auf die himmelwärts gerichtete Beule zwischen meinen Beinen und setzte sich bequem hin. »Berzan, seit wann belügen wir einander?«
    »Ich habe dich nicht belogen, aber ich muss dir auch nicht alles sagen, ja? Aber meinetwegen, ich erzähle dir von den letzten Wochen und danach lässt du mich mit dem Thema in Ruhe, in Ordnung?«
    »Einverstanden.«
    »Schön. Es ist ganz simpel. Pascal hat mir im Bett ein wenig bei Mariette geholfen. Du weißt, was sie sich wünschte und worauf ich nie Bock hatte. Ich habe mich in der Zwischenzeit dermaßen daran gewöhnt, dass er mir Schützenhilfe gibt, dass ich nicht mehr kann, seit er fort ist. Mariette und ich liegen tatenlos nebeneinander und auch sonst ist nichts mehr wie zuvor. Er fehlt. Er war das Salz in der Suppe, seine Anwesenheit hat alle Knoten gelöst. Und nun? Mariette kann nicht mehr lächeln und ich nicht mehr ficken. Mein Schwanz hat sich gerade daran erinnert, wie viel Spaß wir zu dritt hatten.«
    Mercer sah mich mit einem Mal sehr sanft an. »Ist dir je der Gedanke gekommen, dass es vielleicht gar nicht seine Anwesenheit war, die dir half - sondern er selbst als Mensch?«
    Ich starrte die gegenüberliegende Wand an, ohne zu antworten.
    »Vermisst du ihn?«, fragte Mercer. »Oder vermisst du, dass es mit ihm gemeinsam mit Mariette klappte? Das solltest du dich fragen.«
    Nachdenklich wiegte ich den Kopf. »Lass uns erstmal weiter die Sache mit den Himmelsaugen durchgehen, das ist wichtiger.«

  • Überraschung
    Jahr 160 nach der Asche.


    Pascal hatte seine erste Zwischenprüfung mit viel Ach und Krach bestanden. Das Kontrollkomitee hatte alle Augen zugedrückt und vermutlich war dafür wieder eine dicke Stange Geld geflossen. Mercer hatte ihn indes noch immer nicht in seine Gedanken eingeweiht. Niemanden. Wir zwei allein planten und bereiteten alles für den Fall der Fälle vor - den Fall der Himmelsaugen. Unsere Männer würden wir erst im letzten Moment informieren, da wir nicht wussten, durch wen die Informationen durchgesickert waren, dass wir überhaupt in diese Richtung ermittelten.
    Ich war auf dem Weg, um Pascal zu gratulieren. Er wollte mich zum Dank für die viele Hilfe auf ein Eis einladen, unwahrscheinlich teuer im Sommer, da es nur beim Hochadel Eiskeller gab, die regelmäßig mit Eis aus dem Hochgebirge befüllt wurden. Er wartete schon vor dem unsäglich teuren Restaurant. Er empfing mich mit einem Lächeln und sah mich dabei unter seinen natürlichen langen Wimpern hervor an. Ich umarmte ihn für diesen feierlichen Anlass.
    »Glückwunsch, Kleiner«, brummte ich und hielt ihn fest. »Ich bin stolz auf dich.« Dass er ein Stümper war und der Posten eigentlich vollkommen unverdient, ließ ich unter den Tisch fallen. So etwas schmierte man niemandem aufs Brot, der gerade freudestrahlender und glücklicher Absolvent einer schwierigen Prüfung war.
    Die Umarmung dauerte länger, als sie sollte. Weil es mir leidtat, ihn von mir fortzuschieben gab es für ihn einen Schmatz auf die glühende Wange, ehe ich mich entwand und er mich zu unserem reservierten Tisch führte.
    Es gab gefrorene Vanillemilch, schaumig geschlagen und mit Schokoladenstreuseln und Krokant serviert. Bemerkenswert war der Umstand, dass wir beide uns einen Eisbecher teilten.
    Kritisch beäugte er den Berg in der gläsernen Schüssel. »Eigentlich hatte ich zwei Portionen bestellt.«
    »Das sind zwei Portionen. Der hat uns ja auch zwei Löffel hingelegt. Scheint ein Liebeseisbecher zu sein. Na dann, Mahlzeit.« Ich hatte damit kein Problem.
    »Hat Mariette die Geburt gut überstanden?«, erkundigte er sich.
    »Sie ist noch schwach, aber eine Amme geht ihr zur Hand. Ist ein Junge geworden, ein kleiner Bellamy. Ich wusste gar nicht, dass Babys so klein sind.«
    Glücklich dachte ich an meinen neugeborenen Sohn, an das winzige Gesichtchen, das schon zur selben Mimik fähig war, wie ein Erwachsener. Dachte an den kleinen zahnlosen Mund und den weichen Flaum auf deinem Köpfchen.
    Pascal lachte leise, als er meinen verträumten Blick sah. »Na dann, herzlichen Glückwunsch zum Stammhalter. Eigentlich müsstest du mich einladen und nicht ich dich.«
    »Das hatte ich vor. Wann hast du wieder Zeit?«
    »Für dich immer, Berzan.« Und damit legte er seinen Arm um mich und küsste mich auf den Mund.
    Dass wir all die Zeit über einen seichten Flirt am Laufen hatten, war kein Geheimnis gewesen. Dass er diesen nun konsequent weiterführte, überraschte mich allerdings. Aber es war mir nicht unangenehm. Wir saßen Stunden im Restaurant, tranken den ein oder anderen Wein und probierten uns durch das exquisite Menü. Ich erwischte mich dabei, wie ich Zeit schund. Er war nun kein Auszubildender mehr und wohnte nicht länger bei Mercer. Wo er nun wohnte, wusste ich daher nicht, aber ich wusste, dass ich nicht wollte, dass er dorthin ging. Wir küssten und kuschelten. Und beim Schmusen strich er mir beiläufig über den Schritt.
    »Du kennst ihn doch«, raunte ich zwischen zwei Küssen und mein Schwanz streckte sich in seine Richtung. »Fass zu.«
    Und das tat er. Unter dem Tisch öffnete er meine Hose und befreite meine Erektion aus ihrem Stoffgefängnis. Langsam und fest massierte er ihn mir. Willenlos ließ ich meinen Kopf in seine Halsbeuge sinken und schloss die Augen. Eine Schwanzmassage in der Öffentlichkeit. Das war Adrenalin und Geilheit in einem, eine äußerst heftige Mischung.
    An diesem Abend ging ich nicht allein nach Hause, sondern überhaupt nicht. Pascal und ich nahmen uns ein Zimmer. Weil er gemerkt hatte, wie geil mich ein wenig Nervenkitzel machte, ließ er die Tür nur angelehnt. Wir pellten uns gegenseitig aus der Kleidung. Mit geschickten Fingern führte er meine Pranke zwischen seine Beine. Ich traute mich und fasste nun auch vorsichtig sein bestes Stück an. Hart, ganz heiß und mit einer samtenen Haut schob er sich in meine Hand hinein. Haarlos. Im Gegensatz zu mir war Pascal zwischen den Beinen rasiert. Ich ließ meine Finger um seinen Schwanz und seine weichen Hoden gleiten, während er zärtlich an meiner Kehle knabberte. Als ich ihn genug erkundet hatte, schwang er sein Bein über mich, so dass er auf mir saß. Zittrig betastete ich seinen Schließmuskel, der sich für mich öffnete und von ganz allein um meinen Finger glitt. Auf und ab rutschte Pascal mit seinem Hintern, ohne dass ich meine Hand bewegen musste. Pascal räkelte sich, während er sich an meinem Finger befriedigte. Er schnaufte leise, ehe er die Hüfte hob, so dass mein Finger herausrutschte und er sich stattdessen nun auf meinen Schaft niedersinken ließ. Ganz langsam, bis ich in ihm war. Genau so langsam begann er mich zu reiten, während wir uns umarmten. Seine Finger krallten sich in meine Rückenmuskulatur und sein Schwanz rieb sich an meinem Bauch. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich diesen Schwanz auf andere Weise spüren wollte. Bevor ich kam oder er, stieg er von mir herunter, zog mich auf die Matratze und legte sich hinter mich. Er fasste um mich herum, seine Finger umschlossen erneut meinen harten Schwanz. Als er in mich eindrang, schob ich mich ihm willig entgegen. Ich war Wachs in seinen Händen.
    Verdammt, ging es mir durch den Kopf, Mercer hatte Recht.
    Ich feuerte aus allen Rohren. Ich wollte nichts anderes mehr, als in Pascals Armen zu liegen und nie wieder aufzustehen. Wir liebten uns die ganze Nacht und es blieb nicht bei dieser einen.
    Zu Wachs war ich wahrlich geworden. Und wie es die Naturgesetze verlangten, wurde ich in der wachsenden Hitze zunächst zu einem formbaren Klumpen, ehe ich dazu bestimmt war, im Feuer zu verbrennen.

  • Salzige See
    Jahr 164 nach der Asche.


    Rückblickend frage ich mich, ob ich weniger manipulierbar gewesen wäre, wenn Mariette im Bett mehr Initiative ergriffen hätte. Ich war jemand, der dahingehend Führung benötigte, jemanden, der meine Passivität für sich nutzte, um einfach all das mit mir zu machen, worauf er Lust hatte. Wie mit einer lebenden Fickpuppe. Wenn sie sich einfach mal auf mich drauf gesetzt und mich zugeritten hätte, oder mir mit einem Finger im Hintern herumgespielt hätte, bis ich vor Erregung um Erlösung flehte, wäre es anders gekommen? Doch Mariette war Jungfrau, als wir heirateten. Wo hätte sie es lernen sollen, einen schwierigen Partner wie mich anzuheizen, bis er vor Lust sabberte? Wo, wenn nicht bei mir? Doch sie war weder selbstbewusst genug dafür, sich einfach zu holen, was sie brauchte, noch wusste sie, wie sie das hätte tun sollen. Und da sie so wenig bis gar nichts von mir zurückbekam trotz aller Bemühungen, wo lag da ihre Motivation? Den Vergleich gegen meinen leidenschaftlichen Liebhaber konnte die arme Mariette nur verlieren. Und Pascal wusste, wie man selbst einem so passiven und mürrischen Kerl wie mir die Sahne aus den übervollen Eiern molk.
    Wir stritten nie, jeden sich anbahnenden Streit ließ er gekonnt ins Leere laufen. Ich verband mit seiner Gesellschaft nur Angenehmes, ganz im Gegensatz zu Mariette, die mir von Tag zu Tag wieder langweiliger und übellauniger vorkam. Pascal hingegen gab sich zuckersüß, turtelte auch nach Monaten noch, als wären wir frisch verliebt und ließ sich stets etwas Neues einfallen, um mich alten Griesgram zu überraschen. Graue Routine kam keine auf. Ich brauchte Pascal nur zu sehen und bekam ein stahlhartes Rohr, was Mercer anfangs noch lustig fand, doch später machte er sich Sorgen.
    Als er mir eines Tages erklärte, dass ich süchtig nach Pascal sei und mein Familienleben, anstatt es zu reparieren, nur noch mehr ruinierte, zuckte ich nur gelangweilt mit den Schultern. Damals hielt ich seinen wohlgemeinten Rat für blanke Eifersucht. Für Mariettes Einsamkeit war ich blind. Sie suchte Trost in ihrer Rolle als Mutter und das kam unserem erstegeborenen Sohn zugute. Sie war die liebevollste und fürsorglichste Mama, die man sich nur vorstellen kann. Traurig war nur, dass sie im Prinzip alleinerziehend war, weil ich meine Zeit nur noch Pascal widmete.
    In seiner Loyalität mir gegenüber sorgte Mercer dafür, dass Pascal nach seiner Ausbildung zu uns ins Team kam und wir fortan zu dritt arbeiteten. Fortan grillten wir zu dritt am Strand. Genau das, was Mercer sich von Anfang an gewünscht hatte. Aber war es wirklich das Gleiche? Irgendwie schien er bekümmert. Der Kerl konnte sich einfach nicht entscheiden, was er wollte.
    Du, mein kleiner Bellamy, warst schon fast vier und spieltest im Sand, während wir dort saßen, angelten und uns einen Fisch nach dem anderen grillten. Dabei ließen wir es uns mit einem Bierchen gut gehen, manchmal auch mit zweien oder dreien. Dabei redeten wir viel über den Dienst und weil es nun nicht mehr anders möglich war, wurde auch Pascal in unsere Gedanken eingeweiht, was die Himmelsaugen betraf.
    »Man kann es drehen und wenden, wie man will, ich traue Parcival nicht«, meinte Mercer eines schönen Sommerabends.
    Ich war gerade dabei, unser kleines Bierfass mit einem Zapfhahn zu versehen. »Das liegt an seinem Walrossbart. Wer traut auch einem Walross? Mal im Ernst. Das mit der Duchesse stinkt hinten und vorne. Inzwischen haben wir genügend Beweise zusammen, dass zwischen den beiden was läuft. Wir sollten uns vielleicht doch langsam an den Duc wenden.«
    Pascal war gerade dabei, einen kleinen Fisch zu filetieren, den er aus dem Wasser gezogen hatte. »Aber selbst wenn es so wäre«, überlegte er, ohne aufzusehen, »was geht uns das an? Das ist eine Sache zwischen dem Duc und seiner Frau. Das wird einvernehmlich sein. Alain Etienne ist schließlich auch kein unbeschriebenes Blatt. Beim Adel ist so etwas völlig normal.«
    »Sie könnte ihm einen Kuckuck ins Nest setzen«, gab Mercer zu bedenken. »Das ist dann nicht mehr nur Privatsache, sondern betrifft den Staat, da es dort um einen potenziellen Erben geht.«
    »Richtig«, bestätigte ich. »Ich verstehe nicht, wie du das so locker sehen kannst, Pascal.«
    »Hm, vielleicht, weil mein Geliebter auch nicht gerade für seine Treue bekannt ist? Ich lebe in einer Beziehung, die auf Untreue fußt. Was ist denn anders als bei der großherzoglichen Familie?«
    »Ach was«, gurrte ich und zapfte das erste Bier. »Und falls du das Gefühl hast, musst du mich eben heiraten. Dann ist es auch keine Untreue mehr, wenn wir beide zu zweit Spaß haben, sondern ganz offiziell.«
    Der verpackte Antrag war gar nicht so weit hergeholt. Je besser es mir mit Pascal gefiel, umso weniger hatte ich Lust auf Mariette. Sie war eigentlich nur noch dazu da, sich um meinen Haushalt, meinen Sohn und um mein Essen zu kümmern, während Pascal derjenige war, den ich aus ganzem Herzen liebte. Ja, ich liebte ihn, meinen süßen kleinen Stümper. Da er inzwischen dauerhaft bei uns wohnte, fand ich unser Haus sowieso langsam zu klein und hatte längst beschlossen, dass ein Größeres her musste. Und Mercer träumte noch immer von seiner Schneiderei und hatte, da ich nicht aufgepasst hatte auf ihn, einen noch größeren Riesenhaufen an Schulden angehäuft. Korrupt war er schon immer gewesen, aber in seiner Not nahm es Ausmaße an, die man auch als jemand wie wir getrost als unmoralisch bezeichnen durfte. Iich war inzwischen kein deut besser. Ihm ging es um Kohle und mir inzwischen auch, weil Mariette erneut schwanger war. In das Haus, was für zwei gereicht hätte, passten nie und nimmer fünf Personen und die Hochzeit mit Pascal wollte ich ausschweifend feiern.
    »Würdest du das denn wirklich wollen?«, fragte Pascal und umarmte mich von hinten. »Mich heiraten?«
    Mercer funkte dazwischen. »Hinsetzen, jeder auf seinen Stuhl«, donnerte er und wir gehorchten. »Es muss doch möglich sein, dass ihr mal eine Stunde am Stück die Finger voneinander lasst! Wir reden gerade dienstlich. Wenn das nicht funktioniert, bekommt Pascal einen anderen Partner zugewiesen. Ich habe mir das jetzt lange genug angetan. Deine Arbeitsleistung, Berzan, hat sich durch seine sogenannte Zuarbeit auch nicht zum Besseren entwickelt.«
    »Schon gut«, brummte ich beschwichtigend. »Du hast ja Recht, Mercimaus. Du hast immer Recht. Sei wieder lieb mit mir, ja?«
    Mit Mercer zu streiten, das mochte ich gar nicht. Ich konnte streiten bis aufs Blut. Aber mit Mercimaus, meinem Besten, meinem Gutsten? Das war für mich unerträglich.
    »Nein, ich habe keineswegs immer Recht«, keifte er, kein bisschen ruhiger. »Und wenn ich etwas falsch einschätze, dann erwarte ich, dass du mich darauf hinweist. So haben wir gearbeitet, so will ich wieder arbeiten. Es ist nicht unser Auftrag, uns gegenseitig nach dem Mund zu reden, sondern die Dinge kritisch zu hinterfragen. Das funktioniert aber nicht, wenn es nur einer tut, wo es drei tun müssten!«
    »Du warst schon immer der Kopf«, erklärte ich. »Und ich der Hitzkopf. Wenn es kompliziert wurde, war es dein Part, alles aufzudröseln und mein Part, es aufs wesentliche runterzubrechen und zu handeln. Du bist der Denker von uns beiden.«
    »Absolut richtig. Und weil du deinen Part nicht erfüllst, als jener, der auch mal einen Punkt setzt, zerbreche ich mir vergebens den Kopf, was wir nun wegen Parcival unternehmen. Sollten wir das überhaupt tun oder einfach alles auf sich beruhen lassen? Wie groß ist das Risiko wirklich? Unsere Aufgabe ist es, die Krone zu schützen, nicht, ihre Mitglieder auszuhorchen und gegeneinander auszuspielen. Genau das aber könnte geschehen, wenn wir der Duchesse Untreue attestieren. Man könnte meinen, wir treiben bewusst einen Keil in die großherzogliche Familie. Machen wir damit am Ende alles noch schlimmer, wenn wir uns in Dinge einmischen, die nicht einmal einen Agenten der Autarkie etwas angehen - das intimste Privatleben der Krone? Sind für solche Aufgaben nicht ganz andere Stellen zuständig? Berzan, bitte, lass mich nicht noch länger hängen!«, flehte er mich an. »Ich bin pleite und meine Frau erwartet ein Kind, genau wie deine. Ich bin am Ende und muss mich neben meinen Finanzen und unseren Aufträgen noch mit den Himmelsaugen auseinandersetzen! Es wird zu viel, Berzan, es bricht alles auseinander!«
    »Hey.« Ich legte meine Hand auf seine Schulter. »Du bist ja völlig fertig.« Erst jetzt fiel mir auf, wie abgekämpft und erschöpft er aussah. Lila Augenringe schimmerten unter seiner weißen Schminke hindurch. Von wegen nur Eifersucht. Mein Mercer war völlig ausgebrannt, weil er zu all seinem persönlichen Ärger auch noch meine und Pascals Arbeit mit erledigte. Er war völlig überarbeitet und stand am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ich sah, wie sich etwas seinen Weg bahnen wollte. »Pascal, geh schon mal nach Hause«, befahl ich, ohne meinen Liebhaber anzusehen. Mein Blick galt nur noch meinem Besten.
    Pascal musterte uns beide. »Wieso?«
    »Weil ich es sage. Abmarsch.«
    Das war die Eigenschaft, die Mercer so an mir schätzte. Die er manchmal brauchte, so wie ich seine wohlüberlegten Gedanken. Ja, wir brauchten uns gegenseitig, als Kameraden wie als Freunde.
    Pascal trat gegen das Tischbein, es knickte ein. Bierfass und Abendbrot fielen in den Sand, das Bier lief zischend zu einer schaumigen Pfütze auseinander. »Wünsche guten Appetit.«
    Damit marschierte Pascal nach Hause. Er hatte sichergestellt, dass wir es uns hier nicht gar zu gemütlich werden ließen.
    Als er fort war, zog ich mich aus. »Lass uns eine Runde schwimmen.«
    Es war keine Frage, ich sah, dass er es brauchte. Mercer riss sich zusammen, so gut er noch konnte, entkleidete sich und folgte mir ins Meer. Warm empfing uns die Azursee in den Sommernächten, fast wie eine Badewanne. Während wir schwammen und die Sonne rosa Lichtspiele über die Wellen tanzen ließ, ließ er seine Tränen laufen. Niemand hätte sagen können, dass er es tat, denn sein Gesicht war beim Schwimmen ja ohnehin voller Wasser und die Augen gerötet. Das Plätschern übertönte jedes Geräusch. So weinte er immer und ich hielt ein wenig Abstand, blieb aber bei ihm. Ja, Bellamy, die Azursee ist voll von Mercers Tränen. Ist es nicht seltsam, dass sein Sohn später Seemann wurde, so als würde er spüren, wer ihn vom Ozean aus rief?

  • Am Ende aller Träume


    Das traurige Ende der Geschichte im Jahr 168 nach der Asche kennst du. Mercer hatte von Anfang an recht mit seinen Befürchtungen. Die Duchesse hatte nicht nur mindestens zwei Liebhaber, sie plante einen Mordanschlag auf ihren Mann. Wir hatten jedoch keine Gelegenheit mehr, den Duc darüber zu informieren, denn als wir an diesem Punkt unserer Ermittlungen angelangt waren, warnte die undichte Stelle seine Herrin. Die Duchesse holte zum vernichtenden Gegenschlag aus und hetzte uns die Himmelsaugen wegen Hochverrats auf den Hals. Unser letzter Versuch, mit dem Leben davonzukommen und Duc Alain Etienne de Souvagne zu warnen, mündete in einem kollektiven Sturm aller Agenten der Autarkie gleichzeitig auf den Palast. Und dort starben wir.
    Darum möchte ich meine Geschichte beenden, bevor wir in dieser Zeit angelangten.
    Im Jahr 164 nach der Asche, einige Monate vor der Geburt deines kleinen Bruders, stimmte irgendetwas mit Pascal nicht. Es hatte nichts mit unserer kurzen Auseinandersetzung wegen Mercer zu tun, zumindest fiel es zeitlich nicht zusammen. Es fing an, als ich ihn noch einmal deutlicher wegen unserer Hochzeit fragte. Ich wollte ihn so gern heiraten. Wir passten so gut zusammen und sogar Mariette war endlich glücklich. Doch als ich ihn das fragte, wurde er komisch. Er sagte, er müsse nachdenken und damit verschwand er. Er verschwand nicht einfach in ein anderes Zimmer oder aus dem Haus, er verschwand aus unserem Leben! Ohne seine Sachen zu packen, ohne irgendwem Bescheid zu sagen oder auch nur einen Zettel zu hinterlassen. Was habe ich mir die Augen ausgeheult. Über Monate! Ich war sicher, dass ihm etwas passiert sein müsse, denn was hatte er für einen Grund, einfach unterzutauchen?
    Nach einem halben Jahr der Trauer bat Mercer mich um ein Gespräch. Wir hatten natürlich täglich miteinander gesprochen, schon allein wegen unserer Arbeit. Aber Gespräche mit dem Thema Gefühle hatte ich abgeblockt. Ich wollte ihn nicht volljammern oder wie eine Flasche dastehen. Ein Jahr brauchte er, um mich davon zu überzeugen, mit ihm über alles zu reden.
    »Das Leben geht weiter«, sagte er, legte den Arm um mich und drückte mich.
    »Nicht das von Pascal«, erwiderte ich tonlos.
    Er hielt mein Kinn mit Daumen und Zeigefinger fest und drückte meinen Kopf ein Stück nach oben, so dass ich ihn ansehen musste. »Aber deins und das von deiner Familie. Mariette ist mit dem zweiten Kind schwanger. Willst du dich wirklich aufgeben und weiter so hängen lassen? Deine Familie braucht dich mehr denn je. Und ich brauche dich auch. Ich möchte sehen, dass du wieder lächelst. Wenn für sonst niemanden, nicht einmal für deine Familie, lächelst du vielleicht wenigstens für mich?«
    Und wie er das so sagte und mein Kinn festhielt und wir uns so nahe waren, zogen meine Mundwinkel sich wie von selbst auseinander.
    »Ich gebe nicht auf, ich mache weiter. Für dich und für unsere Familien. Heute Abend angeln und grillen am Strand?«
    Bei aller Sehnsucht hatte das Verschwinden von Pascal auch seine gute Seite. Es gab mir die Chance, meine Fixierung auf ihn zu lösen und mich wieder ganz auf Mercer und meine Familie zu konzentrieren. Wir verbrachten die Abende nun zu sechst am Strand. Mein Bester und ich, unsere Frauen und die drei Kinder. Die zwei Kleinen, Boldiszàr und Delancy, bauten Sandburgen. Und du, der Große, bautest kleine Katapulte, die du mit Steinen beladen hast, um sie zu zerstören. Du hast gemeint, wenn du mit Katapulten angreifst, konnte ich nicht meckern, weil du dich dazu im Gras einer Düne verstecken konntest. In Wahrheit meckerte ich nicht, weil ich es lustig fand. Mariette sah das anders, weil sie es nicht ertragen konnte, wenn ihr kleiner Boldi weinte, was dieser natürlich bei jeder Gelegenheit ausnutzte. So hat sie ihn zu einer ziemlichen Heulsuse erzogen. Er war das Nesthäkchen und wenngleich er die blauen Augen und das schwarze Haar von mir geerbt hatte, so besaß er das Gesicht seiner Mutter mit einer dicken, nach oben zeigenden Nase, die in dem Alter noch wie ein süßes Stupsnäslein aussah. Mariette fand das süß, aber du hast ihm immer gesagt, er hätte eine Schweinenase. Ich denke, du warst einfach eifersüchtig und hast darum gern provoziert und dir auf deine Weise Aufmerksamkeit gesichert. Die zwei Kleinen waren genau gleich alt und haben lieber zusammen gespielt als mit dir und klein Boldi brauchte nur zu Krähen, dann kam Mariette angerauscht, um ihn zu herzen. Du bist daher immer ein wenig im Nachteil gewesen. Dafür hatte ich mir vorgenommen, mit dir Kämpfen zu üben, wenn du alt genug wärst.
    Mit diesem Bild vor Augen, wie wir da zu sechst am Strand grillten, den Sonnenuntergang über den Bergen genießend, während die Wälder schon im Schatten lagen und der Strand und das Meer noch lange in voller Sonne lagen, möchte ich meine Geschichte beenden. Denn das ist die Zeit, an die du so gern zurückdenkst. Bewahre sie in deinem Herzen. Es war eine gute Zeit, auf ihre Weise.«

  • Verrat


    »Und Pascal kam nie mehr zurück?«, fragte Bellamy.
    Inzwischen war es fast nacht geworden. Während die Sonne in der Heimat seiner Kindheit über den Bergen unter- und über dem Meer aufgegangen war, hing es bei der Insel davon ab, auf welcher Seite man sich befand. Momentan saßen sie so, dass sie aufs Meer im Westen blickten, wo die Sonne noch immer unterging. Man sah sie nicht mehr, aber ein roter Streifen lag noch über der Azursee.
    »Hm, ich wollte die Geschichte eigentlich für dich gut enden lassen. Aber wenn du es unbedingt wissen möchtest, werde ich noch ein wenig mehr erzählen. Gut war die Zeit vor dem Ende allerdings nicht mehr. Doch, Pascal kam zurück, einige Wochen, bevor der Sturm auf den Palast stattfand. Ich entdeckte ihn durch Zufall. Er begleitete einen Tross souvagnischer Söldner, die gerade aus Naridien heimkehrten. Offiziell hat Souvagne sich nie am Krieg der anderen Großherzogtümer gegen Naridien beteiligt. Wir haben sie finanziell unterstützt, ja, aber keine Truppen entsandt. Das heiß aber nicht, dass nicht doch hier und da einige der Meinung waren, Erfahrungen im Auslandseinsatz sammeln zu müssen, wenn sie eine militärische Karriere einschlagen wollten. Von den Rakshanern war damals in unserer Ecke noch keine Rede, blieb also nur Naridien. Und in der Tat machten sich solche Erfahrungen gut in der Biografie.
    Inmitten des Lumpenpacks, von denen gut ein Drittel sichtbar verwundet war, sah ich ihn marschieren, abgekämpft, in einem rostigen Kettenhemd mit einem wappenlosen Waffenrock darüber, der wohl mal weiß gewesen war, nun aber braun, grün und schwarz vor Dreck starrte. Auf dem Rücken trug er einen Schild. Sein Zopf war verfilzt. Hätte ich ihn nur flüchtig gekannt, dann wäre mir nicht im Traum eingefallen, dass dieser Mann mein Pascal sein könnte, doch wir waren einander sehr vertraut. So eilte ich zu ihm und zog ihn aus dem Tross heraus beiseite. Ihm war das sichtlich unangenehm, aber ich schob das auf die Nähe zu seinen Kameraden und nahm ihn ein Stück abseits, wo man uns nicht sah.
    »Warst du in Naridien?«, fragte ich, drückte und küsste ihn.
    Sehr angespannt war mein Pascal, als ich zärtlich zu ihm war. Er erwiderte es mit einem harten Kuss, wie um mich ruhig zu stellen und trat einen Schritt von mir zurück. Nun ja, vielleicht saßen die Eindrücke noch zu tief und wer konnte schon sagen, was er alles gesehen, erlebt und getan hatte?
    »Ja, ich war offensichtlich in Naridien.«
    Sein Gesicht war breit geworden und seine ganze Statur hatte sich verändert. Die meisten nahmen im Krieg ab, aber er hatte es geschafft, zuzunehmen. Wenn es nicht so krank klingen würde, würde ich fast sagen, ihm hatte der Krieg gut getan. Er war darin zum Manne geworden. Nicht nur, dass er sehr viel älter und erwachsener wirkte, mehr als die vier Jahre, die er verschwunden war, auch sein Auftreten war anders.
    »Aber warum?«, hakte ich nach.
    Er schwieg und schüttelte kurz den Kopf. Ich würde von ihm keine Antwort erhalten. Gut, vielleicht hatte er einen Sonderauftrag der Krone, schließlich war er noch immer Agent im Dienst. Auch wenn selbst Mercer als sein Vorgesetzter keine Ahnung davon gehabt hatte, wo er sich herumtrieb, stand immer noch die Möglichkeit im Raum, dass die Krone ihn auf direktem Wege geschickt hatte. Und letztlich war es auch so, denn all die Jahre arbeitete er für die Duchesse.
    Ich rückte ihm wieder auf die Pelle, ungeachtet dessen, dass er mir deutlich zeigte, dass er es nicht wünschte. Es war mir egal, ihm war mein Leid schließlich auch egal gewesen. Ich legte vorsichtig meine Arme um ihn, zog ihn an mich und drückte seinen Kopf in meine Halsbeuge. Ein Gerangel wünschte er nicht und so ließ er es klaglos mit sich machen. Ich hielt mit der einen Hand seinen Kopf fest, mit der anderen streichelte ich sein Gesicht. Der Rest war eingepackt. Eine Zeitlang genoss ich es einfach, ihn wieder zu spüren, da ich mir die Antwort auf meine Frage denken konnte.
    »Wirst du wieder bei uns einziehen, Pascal?«
    Er richtete sich auf und vermied es nach wie vor, mir ins Gesicht zu sehen. Erneut schüttelte er den Kopf. »Es ist vorbei, Berzan. Frag nicht, nimm es hin.«
    Es tat nicht so weh, wie es hätte noch vor vier Jahren getan.
    »Schenk mir eine letzte Nacht. Dann lasse ich dich ziehen und deinen Weg ohne mich weitergehen, ohne zu versuchen, dir zu folgen.«
    Die Frage war dreist, nachdem ich gerade einen Korb bekommen hatte. Ich rechnete nicht mit einer positiven Antwort. Doch zu meiner Überraschung nickte er.
    »Keine Nacht, ein paar Stunden. Jetzt. Danach muss ich gehen.«
    Er meldete sich beim Anführer des Trosses ab und wir gingen zu zweit in ein Badehaus. Er verweigerte es, mit mir an den Strand zu gehen. Vermutlich weckte das zu viele Erinnerungen, an die er nicht zurückdenken wollte. Warum er sich so von der schönen Zeit abkapselte, war mir ein Rätsel, doch ich hatte es zu akzeptieren. Im Badehaus unterzog er sich erst einmal einer Vorwäsche, weil er so verdreckt war, dass er unseren Zuber eingesaut hätte. Wir sanken gegenübersitzend in das warme, duftende Wasser. Bei der Gelegenheit sah ich die Blessuren an seinem Körper. Das ständige Tragen der Rüstung hatte Blutergüsse verursacht, an einer Schulter auch ein offenes Geschwür. Ihm fehlten zudem alle Zehennägel.
    Die Badehäuser hatten bisweilen einen anrüchigen Ruf. In Souvagne gibt es, wie du weißt, offiziell keine Prostitution. Aber als Agent weiß man es natürlich besser und je nach Badehaus konnte man auf Nachfrage auch die ein oder andere Massage erhalten, wenn man es geschickt anstellte, bekannt war und ein gutes Trinkgeld springen ließ. Doch Pascal schenkte weder den männlichen noch den weiblichen Mitarbeitern auch nur einen Blick. Es schien, als würde er keinen einzigen Menschen mehr anschauen wollen oder können. Er blickte überall hin, nur nicht auf eine Person. Einer der Mitarbeiter legte ein Brett quer über unseren Zuber und stellte uns Essen und Getränke darauf. Wir nahmen die Mahlzeit zu uns und das Brett wurde wieder weggeräumt. Danach schloss Pascal die Augen. Ich rückte auf seine Seite und nahm ihn in den Arm, so dass sein Kopf bequem an meiner Schulter ruhte. Es dauerte nur wenige Minuten, dann war er eingeschlafen.
    Ich hatte damit gerechnet, dass er bei lauten Geräuschen hochschrecken und sich panisch umschauen würde, doch das geschah nicht. Sein Kopf konnte Krieg und Frieden scheinbar hervorragend trennen. Er wusste, hier konnte ihm nichts geschehen und das Bewusstsein drang bis in seinen Schlaf. Hut ab, das konnten nur wenige. Selbst ich hatte manchmal Alpträume von meinen Einsätzen und das war mit dem Einsatz an einer Front nicht zu vergleichen. Schließlich hatte ich zumindest einen sicheren Feierabend. Die Zeiten, in denen es hart auf hart kamen, waren kalkulierbar.
    »Warum fragst du nach einer letzten Nacht?«, erkundigte er sich schließlich.
    »Weil es vielleicht wirklich die letzte Gelegenheit in diesem Leben sein wird, dich im Arm zu halten.« Es war mir ein inneres Bedürfnis, von ihm vernünftig Abschied zu nehmen, da die nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit bestand, dass ich drauf ging. Ihn in den Armen halten und mit dem ganzen Körper spüren. So gern wollte ich mit ihm über alles sprechen, mir den ganzen Ballast von der Seele reden.
    Er hob den Kopf und sah mich an. Wie verhärmt er vom Krieg auch aussah, er hatte noch immer seine wunderschönen grünen Mädchenaugen. Seine Wimpern hoben sich langsam und er sah mir das erste Mal wieder in die Augen. »Gefahr?«
    »Gefahr.
    Seine Hand wanderte zwischen meine Beine, ich drehte mich zu ihm herum und wir feierten unser Wiedersehen.
    Als wir anschließend noch Arm in Arm kuschelten, erzählte ich, was in Kürze geschehen würde. Mercers Plan und auch Pascal würde dabei sein, jetzt, wo er zurück war. Das sicherte er mir zu, er würde uns nicht hängen lassen, ganz egal, ob wir privat fortan getrennte Wege gingen. Und damit besiegelte ich unser aller Ende.
    Die undichte Stelle bei den Agenten der Autarkie war niemand anders als mein zuckersüßer Pascal, der sich in mein Leben gemogelt hatte, um an Mercers Pläne und Ermittlungsfortschritte heranzukommen. Und ich war der Trottel, der ihm alles ausplauderte. Ich war derjenige, der in seiner Blindheit unser aller Untergang besiegelte.«

  • Epilog


    Mürrisch rieb Berzan seine geisterhaften Haare und blaue Funken entluden sich. Er hatte seinem Sohn eine Geschichte mit glücklichem Ausgang erzählen wollen, aber Bellamy in seiner Neugier auf die Zeit, an die er sich nicht erinnerte, hatte auch noch das unsägliche Kapitel von Pascals Rückkehr hören wollen.
    Bellamy knuffte seinen Vater aufmunternd, ohne dass seine Faust ihn berührte. Das Blau leuchtete an dieser Stelle hell auf. »Wir wissen inzwischen, dass er nicht die einzige undichte Stelle gewesen war«, erklärte er, um seinen Berzan zu trösten und das Gewicht der Schuld ein wenig zu mindern.
    »Ach nein?«
    »Die zweite undichte Stelle war Agent Quennel Perreault. Ein Doppelagent, der sowohl für die Himmelsaugen als auch für die Agenten der Autarkie arbeitete und doch in Wahrheit nur für sich selbst. Er ist der Vater eines unehelichen Sohnes der Duchesse. Das bedeutet also, selbst wenn du standhaft geblieben und nicht auf Pascals Maskerade hereingefallen wärst, wären die gleichen Ereignisse ins Rollen gekommen. Es hätte nur ein wenig länger gedauert.«
    »Mercer hatte mich vor meiner Pascal-Sucht gewarnt, hätte ich nur auf ihn gehört, auf meine Mercimaus«, grummelte Berzan. »Er war eindeutig der Denker von uns beiden.«
    Wie er so von seinem besten Freund sprach, grinste Bellamy den Geist an. »Hand aufs Herz, Papa. Was lief zwischen dir und Mercer wirklich?«
    Die Augen des Geists zuckten zu ihm herüber und wieder weg. Dann lächelte er. »Das, mein lieber Bellamy, ist eine eigene Geschichte.«

  • Huhu Baxi,


    vielen lieben Dank, für die wundervolle Story :):):)
    Du hast die Freundschaft von Berzan und Mercer sehr schön eingefangen, ebenso die unterschwellige Art wie sie beide zueinander standen.


    Berührt hat mich besonders Mercers Angewohnheit im Wasser, also beim Schwimmen in der Azursee zu weinen. Das Vano dann Seemann wurde, bzw. Berzan darauf hinweist, ist ein sehr tiefer Zusammenhang. Dieser ist Vano nicht einmal bekannt.


    Besonders gefallen hat mir zudem der ausführliche Blick auf Bellys und Boldis Mama :) Die komplizierte Ehe von Berzan und Mariette hast Du sehr schön erfasst. Man leidet mit ihr und man leidet mit beiden.


    Vielen lieben Dank für das wunderbare Geburtstagsgeschenk.
    🤗🤗🤩🤩😀😀