Der Fall der Raubvögel [Oneshot]

  • Der Fall der Raubvögel


    Zwei Jahre vor den Ereignissen im RPG „Von Blut, Sold und Liebe“...


    Der herrliche Duft des Whiskeys durchströmte die Luft des Büros, deren Wände Farael viel zu oft gesehen hatte. Und länger, als ihm lieb war. Umso schöner war es, sich einmal innerhalb dieses Raumes entspannen zu können. Sonst saß er nur den Großteil des Tages an dem vermaledeiten Tisch, beantwortete irgendwelche Briefe und segnete Bedarf für das Lager ab. Wenn man ihm gesagt hätte, das der Job des Kommandanten zum Großteil aus solchen Arbeiten bestehen würde, hätte er sofort abgelehnt. Aber so saß er in diesem Raum Tag für Tag fest, statt mit seinen Männern zu trainieren. Oder zu saufen.


    „Hey! Du bist schon wieder in Gedanken versunken“, ertönte schließlich eine helle Stimme, gefolgt von einem Kichern. Farael blickte auf und sah auf der anderen Seite des Schreibtisches Ciriel, eine junge Lichtalbin. Sie klebte ihm schon seit ein paar Monaten an den Fersen. Als sie in die Kompanie gekommen war, wurde sie geprüft und als eine ausgezeichnete Bogenschützin eingestuft. Doch hatte sie darauf bestanden, ausschließlich mit Farael zu trainieren. Etwas, was ihn anfangs misstrauisch werden ließ, doch gewährte er ihr den Wunsch, um sie persönlich in Augenschein zu nehmen. Das sie sich bewiesen hatte, zeigte sich allein in ihrer Anwesenheit in seinem Büro. Ganz zu schweigen von dem edlen Whiskey den Farael mit Ciriel teilte.


    Farael begann zu grinsen, als er sein Glas hob und der jungen Frau zuprostete, die erwiderte und einen Schluck des Getränkes nahm. „Entschuldige, ich hatte Arbeit im Kopf. Das ist tatsächlich das erste Mal seit langem, dass ich mal ein wenig Ruhe finde. Kommst du mit den Männern zurecht, die ich dir zugewiesen habe?“ Ciriel hatte sich zur besten Bogenschützin der Kompanie gemausert und Farael hatte keine andere Wahl, als ihr die Kontrolle über die Fernkämpfer zu geben.


    Sie winkte bei seiner Frage spielerisch ab und lachte dabei. „Die Nasen? Zwar kotzt es sie an, dass sie den Befehlen einer Frau folgen müssen, aber sie behandeln mich trotzdem gut. Nicht, dass sie eine Wahl hätten. Jetzt entspanne dich aber mal gefälligst, schließlich hast du mal frei. Hast du keine Idee was du mit der Freizeit anstellst?“


    „Du meinst außer jemanden einzustellen, der sich um den Papierkram kümmert? Nein, nicht wirklich. Eigentlich wollte ich schon lange einmal wieder nach Obenza. Meine Eltern besuchen. Ich frage mich, wie es ihnen gerade ergeht“, merkte Farael an und musste schließlich auch an seine Eltern denken. Allem voran seine Mutter, die sich immer häufiger in Schwierigkeiten zu begeben wusste. Farael konnte schon gar nicht mehr zählen, wie oft er Geld abzweigen musste, um Lösegeld für sie zu bezahlen. „Aber ich denke das muss halt mal eine Weile warten. Ich werde hier wohl erst einmal nicht wegkommen.“


    Mit einem lasziven Lächeln auf den Lippen stellte Ciriel ihr Glas auf den Schreibtisch und erhob sich. Mit fragenden Blick betrachtete Farael ihr Tun, als sie um den Schreibtisch ging und sich vor ihn stellte. „Sollten wir dann nicht schauen, dass die Zeit ein wenig angenehmer wird?“, fragte sie, als sie sich zu Farael hinunterbeugen wollte. Dieser legte ihr jedoch die flache Hand auf's Brustbein und hielt sie ein Stück von sich fern.


    „Was denkst du, was das werden soll?“, fragte Farael ohne jede Regung in seiner Miene.


    Augenblicklich erstarrte Ciriel, die sich scheinbar ertappt fühlte. Doch sie fing sich schnell wieder und antwortet spitzzüngig: „Nunja, ich weiß doch wie du dich am besten entspannen kannst.“ Das konnte Farael nicht einmal verneinen. Ciriel war ihm nicht nur persönlich näher gekommen, sondern auch bereits mehrere Male auf eine recht besondere Art und Weise. Hin und wieder schliefen sie miteinander, jedoch ging es fast immer von Farael aus. Auf keinen Fall sollte Ciriel diese Art von Macht über ihn haben.


    „Das muss aber nicht heißen, dass ich immer und überall Lust drauf habe.“ Farael konnte beinahe detailgenau erkennen, wie die Lust aus Ciriels Augen verschwand und stattdessen Röte der Scham in ihre Wangen stieg. Sofort richtete sie sich auf und trat einen Schritt zurück. Auch wenn sie eine sehr attraktive Albin und er ihr nicht abgeneigt war, beließ er ihr Verhältnis auf eine gewisse Distanz. Zwar waren sie aneinander interessiert – aber meist nur des Sexes Willen. Zumindest für Farael war es nicht mehr, als eine sinnliche und lockere Beziehung. Manchmal meinte er, in ihren Augen zu sehen, wie sie sich nach mehr sehnte. Doch dem konnte er keinesfalls nachkommen. Manchmal hatte es bedeutet, sie zurückweisen zu müssen.


    „Tut mir leid“, hauchte sie, während sie auf dem Absatz kehrt machte und den Raum mit eiligen Schritten verließ. Farael seufzte hingegen und trank sein Glas Whiskey mit einem Schluck. Vermutlich hätte er es ihr schonender beibringen sollen. Sie würde es aber sicher verstehen und wieder zur Vernunft kommen. Letzten Endes tat sie das immer. Auch wenn sie ein paar Tage geknickt war.


    Doch darüber wollte sich Farael nicht den Kopf zerbrechen. Es gab viele andere Dinge, um die er sich zu kümmern hatte und eine junge Frau die mehr als nur Sex und nette Gespräche von ihm wollte, gehörte definitiv nicht dazu.


    Mit ruhigen Schritten verließ Farael sein Büro. Seine Gedanken kreisten noch für einen Moment um Ciriel, auch wenn er mit sich kämpfte eben das nicht zu tun. Schlimm genug waren schon die Probleme im Lager selbst, dann schlug er sich auch noch mit einer jungen Frau herum, die sich ihn verguckt hatte.


    Plötzlich ertönte das Horn des Lagers und seine Gedanken wurden abrupt unterbrochen. Überrumpelt wollte sich Farael in Bewegung setzen, da hörte er ein Zischen. Wie aus dem Nichts wurde er zurückgeschleudert, als ein Geschoss das Dach des Verwaltungsgebäudes durchschlug und vor ihm den Boden zertrümmerte. Erschrocken ging Farael zu Boden. Seine Ohren klingelten. die Welt um ihn drehte sich. Angestrengt versuchte er sich zu orientieren. Schmerzen im Hinterkopf. Lag er auf dem Boden?


    Erst als er sein Körpergefühl zurückerlangte, spürte Farael das Holz unter sich. Mit Mühe schüttelte er sich den Schock aus den Kopf und erlangte die Kontrolle über seine Sinne zurück. Ferne Kampfgeräusche drangen an sein Gehör. Schreie, durchtränkt mit aufeinandertreffendem Metall. „Was bei Ardemia passiert hier?“ Mit Mühe erhob sich Farael vom Boden und richtete sich auf. Für einen Augenblick musste er sich an der Wand abstützen, ehe er sein Gleichgewicht schließlich zurückerlangte.


    Hastig zog Farael sein Schwert, spurtete an dem Loch vorbei, direkt in Richtung Ausgang. Der beißende Geruch von Feuer drang in seine Nase, als er zur Tür in den Hof gelangte. Wer zur Hölle griff sie an? Mit Schwung öffnete er die Tür und trat hinaus. Seine Augen erblickten sein Lager, in welchem wie aus dem Nichts eine blutrünstige Schlacht entbrannt war. Das Tor stand offen. Männer in pechschwarzen Rüstungen kämpften gegen seine Soldaten. Auf den Mauern waren seine Bogenschützen, auseinandergetrieben durch Chaos und heranstürmende Angreifer. Schon im nächsten Moment kam einer von den Angreifern auf ihn losgestürmt.


    Knapp entging Farael der Klinge des Zweihandschwertkämpfers, der im nächsten Moment den Ellenbogen Faraels zur spüren bekam. Damit war er aus dem Gleichgewicht gebracht. Für Farael ein leichtes Opfer, dessen Magen sogleich von Faraels Klinge durchbohrt wurde. Blut hustend ging der Widersacher zu Boden. Einer der unbedeutenden Frontkämpfer. Doch eben jene setzten seiner Kompanie zu. Sie waren mindestens zwei zu ein unterlegen! Wie sind sie überhaupt hineingekommen?!


    Zeit zum Nachdenken blieb nicht. Faraels Söldner waren unorganisiert im Chaos zerstoben und der Übermacht des Feindes ausgesetzt. Wenn er nicht sofort Ordnung hinein brachte, hatten sie gar keine Chance. Jedoch schien die Situation aussichtslos. Der Kampf war so überraschend vom Zaun gebrochen worden. Mit schnelle Schritten eilte er den nahegelegene Männern zur Hilfe. Vor ihm zwei Einhandschwertkämpfer mit Schild. Sie bedrängte einen einzelnen Mann, mit nicht mehr bewaffnet als einem Kurzschwert. Sie rechneten nicht mit einem Angriff von der Seite und es war ein leichtes, dem Ersten in die Flanke zu fallen und dessen Kopf von seinen Schultern zu trennen. Völlig perplex drehte sich sein Kamerad zu ihm um, jedoch ohne seine Deckung nach vorn fallen zu lassen. Für Faraels Söldner gab es kein Durchkommen. Sein Schlag wurde durch das Schild abgewehrt, doch zu seinem Glück konnte sich sein Gegner nur auf einen Feind konzentrieren. So stach Farael von der Seite zu, erledigte den Feind und ermöglichte seinem Kameraden einen Moment der Pause.


    „Was zur Hölle ist passiert?!“, brüllte Farael seinem Söldner zu, der schwer keuchend vor ihm stand.


    „Keine Ahnung. Irgendjemand hat das Tor geöffnet, dann flog ein verschissener Stein über die Palisade und dann das Horn“, antwortete dieser. Die Information war zumindest ein Anfang.


    „Helfe so vielen wie möglich! Sammelt und formiert euch! Los!“ Sofort rannte der Söldner los, um den Befehl umzusetzen. Sein Weg war jedoch kurz, als ein Pfeil seinen Rücken durchbohrte und er zu Boden fiel. Farael drehte auf der Stelle um und blickte auf die Palisade. Feindliche Bogenschützen hatten sich Zugang verschafft und beschossen seine Söldner. Von den Schützen seiner Kompanie war nichts mehr zu sehen. Die meisten lagen tot am Boden. Faraels Reihen waren deutlich ausgedünnt worden. Zumindest was die Fernkämpfer betraf. Seine Männer im Hof hielten sich wacker, wenn auch gegen eine Übermacht, die von Moment zu Moment größer wurde.


    Plötzlich wieder ein Zischen in der Luft. Faraels Blick richtete sich nach oben. Mehrere brennende Geschosse flogen in hohem Bogen auf das Lager zu. Sie wirkten nicht gezielt. Sie sollten einfach nur so viel Kollateralschaden wie möglich verursachen! Diese verdammten Schweine! Diese Schlacht konnte nicht gewonnen werden. Dessen war sich Farael spätestens sicher, als mehrere Geschosse Männer und Gebäude gleichermaßen zermalmten. Das durfte nicht wahr sein. Wer sind diese Hurensöhne?


    Farael blickte auf die Mauer. Die Bogenschützen pickten sich gezielt wehrlose Männer heraus. Dem musste Farael Einhalt gebieten. Doch zuerst musste er den Befehl geben, der ihn am meisten schmerzte. Er eilte zu einem Podest im Hof. Es war bereits mit Leichen gespickt und das Ausmaß der Schlacht wurde immer klarer, je länger sie andauerte. Mit Mühe kletterte er auf das Podest. Ein plötzlicher Schmerz ließ ihn nach vorn fallen, direkt mit dem Gesicht auf einer der Leichen. Pochende Hitze breitete sich von seinem unteren Rücken aus, die mit jedem Schlag sich einem immensen Schmerz näherte. Doch er konnte jetzt nicht aufgeben. Seine Männern kämpften bis zum Tod und das musste er verhindern!


    Unter den Schmerzen richtete sich Farael wieder auf und schnellte vor zu der Glocke, die auf dem Podest war. Seine Hand führ um das Seil an der Glocke. Drei Mal kräftig zog er daran, worauf drei Mal hintereinander ein schriller Glockenklang ertönte. Der Befehl zum Rückzug und zum Evakuieren. Faraels Blick glitt über den Hof. Viel zum Evakuieren hatte er nicht mehr. In binnen kürzester Zeit waren seine Männer dezimiert worden und vom Feind drangen immer mehr durch das offen stehende Tor. Es war nur eine Frage der Zeit. Jedoch konnten sich seine Söldner nicht zurückziehen, wenn sie unter dem Feuer der Bogenschützen standen. Es blieb ihm keine Wahl.


    Eilig spurtete er los, seine Füßen trugen ihn so schnell wie möglich über den Innenhof. Vorbei an seinen Soldaten die sich zurückziehen wollten. Vorbei an Leichen, Blut und Gestank von brennendem Fleisch. Nahezu jedes Gebäude im Lager stand nun in Flammen. Vor Faraels Augen brannte alles nieder, was er sich mit seiner Kompanie aufgebaut hatte. Und auch wenn es viel zu spät war, so wollte Farael das Bestmögliche tun, um den Rest seiner Männer zu retten und ihren Rückzug zu decken. Zum Glück hatte er für den Fall der Fälle einen Fluchttunnel über die Baracken hinaus in die Wälder anlegen lassen. Das war ihre einzige Chance.


    Nebenbei wich Farael Pfeilen aus und den Hieben, die von der Seite kommen wollten. Sein Herz schlug wild. Den Augenblick nahm er quälend langsam wahr, obwohl es nur wenige Sekunden waren. Schließlich erreichte er die Treppen auf die Palisade. Nur Wenige hatten sich offenbar auf ihn konzentriert. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, die fliehenden Söldner zu töten. Was ihre Unachtsamkeit war, stellte Faraels Glück dar.


    Denn kaum war er auf der Palisade angekommen, verschwamm seine Wahrnehmung. Etwas geschah mit ihm. Hass, Zorn und Trauer übermannten Farael. Sie legten sich wie ein Schleier auf seine Sinne und die Erinnerungen wurden undeutlich. Er spürte, wie er sich bewegte. Wie Schreie um ihn herum ertönten und Befehle gebrüllt worden. Das Einzige was er sah war rot. Er dachte nicht. Er fühlte nicht. Farael handelte.


    Im nächsten Moment wachte er daraus auf. Sein Atem ging schnell. Sein Körper schmerzte. Seine Rüstung war blutdurchtränkt, während mehrere Pfeile aus seinem Leib ragten. Zahlreiche Schnittwunden zierten seinen Körper. Und doch fühlte er sich stärker denn je. Er stand auf der Palisade, sein Schwert zitterte, während sein gesamter Körper erbebte. Dann drehte er sich um und blickte hinter sich.


    Sein Pfad war gepflastert von entstellten und abgeschlachteten Körpern. Den Schrecken in ihren Gesichtern gemeißelt, waren es sicher mehr als ein paar dutzend Männer. Farael blickte auf sich hinab. Der Großteil des Blutes war nicht sein Eigenes.


    Faraels Gedanken wurden jäh beendet, als er weitere Männer des Feindes auf die Mauer strömen sah. Sie formierten sich und wollten ihn einengen. Sein Blick ging nach unten in den Hof, in dem kaum noch einer seiner Männer stand. Die letzten zogen sich in diesem Moment in die Baracken zurück. Die Aufmerksamkeit jedes feindlichen Soldaten galt nun Farael. Mit dem Blut was an Körper und Schwert klebte, konnte man es ihnen nicht einmal verübeln.


    Mit ihren Belangen konnte er sich nicht befassen – geschweige denn gegen sie kämpfen. Faraels Blick schaute auf die Baracken. Dann auf den Hof vor sich. Nur wenige Sekunden, dann waren sie bei ihm. Die einzige Chance ein Fahnenmast, an dem die Flagge der Raubvögel hing. Faraels einzige Chance zu entkommen. Ohne weiter nachzudenken sprang er mit Kraft in Richtung der stählernen Rettung.


    Noch im Flug hörte er wüstes Schimpfen und Fluchen. Hinter ihm flogen Wurfmesser, ein paar Pfeile obendrein. Dann der dumpfe Schlag gegen die Fahnenstange. Sofort schossen seine Hände nach vorn, umklammerten die Stange. Mit schwindender Kraft hielt sich Farael fest. Jedes Abrutschen wäre tödlich gewesen. Doch er schaffte es.


    Gegen jeden Drang seines Körpers bewusstlos zu werden, behauptete sich Farael tapfer. Ihm war jedoch klar, dass jede verschwendete Sekunde sein Todesurteil sein würde.


    Fersengeld zu geben, war Faraels nächste Handlung. Zwischen Leben und Tod standen nicht mehr als 150 Meter. Mit einem unmenschlichen Schrei preschte Farael nach vorn. Jeglichen Schmerz musste er abschütteln! Er konnte nicht aufgeben! Die Rufe und Stiefelschritte hinter ihm wurden leiser. Sein Blick geriet in einen Tunnel. Dessen Ende war die offene Tür. Das einzige Licht in diesem Schlund, aus dessen Wände einige Hände gierig nach ihm greifen wollten und es doch nicht schafften.


    Nur noch wenige Meter! Bald geschafft! Er würde überleben! Plötzlich ein Luftzug. Ein verhängnisvolles Schimmern. Das Blatt einer Axt das auf seine Beine geschwungen wurde. Mit einem schnellen Satz entging er dem Verlust seiner Beine. Doch die Landung hatte er nicht eingeplant. Kaum hatte er den Axtkämpfer an sich vorbeiziehen sehen, küsste sein Körper den Boden. Jeder Pfeil, der in ihm steckte, brach ab und riss die Wunden weiter auf. Die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst und für einen Moment sah er schwarz vor Augen. Hinter ihm ein tiefes und bedrohliches Lachen.


    Wieder ein Luftzug. Die Sinne kehrten zu Farael zurück. Der Boden unter ihm wurde erschüttert von der riesigen Axt, der er mit einer Rolle auf den Rücken nur knapp entgangen war. Darauf erblickte er den Hünen eines Kämpfers. Die Rüstung pechschwarz, an ihm herab hing ein schwarzer Umhang. Wüsste Farael es nicht besser, hätte er diese Gestalt als den Tod höchstpersönlich bezeichnet. Dessen höhnisches Grinsen in seinem kantigen Gesicht. Zahlreiche Narben verzierten seine Züge obendrein. Mit jedem Augenblick den Farael ihn sah, kroch die Angst in ihm hoch.


    Aus Panik griff er in den Dreck neben sich und schleuderte eine gute Ladung davon in das Gesicht des Glatzkopfes. Dieser taumelte kurz zurück. Farael hatte sich einmal mehr eine Chance erkauft. Vermutlich seine Letzte, wenn er nicht sofort aufstand.


    Genau diesem Instinkt kam er sofort nach. Eilig sprang er auf seine Beine und tat die letzten Schritte in die Baracke. Der letzte Blick den er nach draußen warf, zeigte ihm das wutentbrannte Gesicht des Kämpfers. „Kleine Made!“, brüllte der Kahlkopf. Hinter ihm versammelten sich seine Verbündeten. Farael hingegen bedachte den kommenden Tod mit seinem charmantesten Lächeln, ehe er die Tür zuschlug und mit dem Riegel verbarrikadierte.


    Dumpf hörte Farael von draußen die Schreie und Rufe der feindlichen Soldaten. Dann schwere Stiefel auf der Holztreppe vor den Baracken. Vorsichtig trat Farael einige Schritte von der Tür zurück. Zu seinem Glück hatte er diesen Instinkt gehabt. Im nächsten Momente wurde das Holz der Tür in Zwei geteilt. Das Schimmern der Axtschneide hatte die Tür durchbrochen. Dann zog sie sich zurück. Nur um erneut die Tür zu durchschlagen. „Du willst echt nicht aufgeben, was?“, rief Farael nach draußen. Von dort hörte er ein Grunzen, ehe die Axt ein drittes Mal die Tür durchschlug. Beinahe wäre sie aus den Angeln gehoben worden. Beste Zeit um endgültig zu fliehen.


    Vorbei an Betten, Truhen und Gerümpel durchquerte Farael die Baracken in die hinteren Teile. Auf dem Weg fanden sich Leichen von einen Soldaten, aber auch einige der Schwarzen. Am hinteren Teil angekommen, hörte Farael die Tür hinter sich aufbrechen. Ein Blick über die Schulter zeigte, wie sich die riesige Gestalt durch den Türrahmen kämpfte. Somit galt es, keine Zeit zu verlieren.


    Schnell verließ Farael den Raum durch die hintere Tür. „Farael?“, ertönte eine unsichere Stimme, kaum als er den Raum betreten und den Riegel davor geschoben hatte. Vor ihm stand Bolgur, neben einem kläglichen Haufen Söldner. Einige von ihnen waren verletzt. Teilweise schwer. „Du hast überlebt? Wir dachten, du hättest es nicht geschafft“, erklärte der Norkara mit bröckelnder Stimme.


    Farael versuchte die Situation zu erfassen. Wie es der Notfallplan vorgesehen hatte, hatten die Überlebenden den Fluchttunnel bereits geöffnet und jeden Wertgegenstand aus der Waffenkammer zusammengetragen. „Keine Zeit zum Reden. Schnappt euch die Verletzten und dann weg hier. Wir sprengen den Tunnel hinter uns.“ Sofort nickten alle auf den Befehl hin, nahmen sich Verletzte und Wertgegenstände gleichermaßen. Hinter ihnen hackte jene Axt in die Tür, die Farael bereits kennenlernen durfte.


    Dank der Routine und des Trainings seiner Männer waren sie schnell in dem Tunnel verschwunden. Farael hatte ihn weit graben lassen, weswegen sie sich auf einen kleinen Fußmarsch vorbereiten mussten. Der Ausgang lag mitten in den Wäldern zwischen Shohiro und Obenza. Doch ehe sie weiterziehen konnten, nahmen Bolgur und Farael zwei Paneelen von den Tunnelwänden, welche am Eingang lagen. Der Rest zog bereits weiter. Hinter den Holzplatten verbargen sich Aussparungen, in denen zwei Fässer standen. Spezielle Anfertigungen von Bomben mit Zeitzünder, extra von Goblins entwerfen und bauen lassen.


    Kurzerhand entzündeten sie zwei Fackeln, die an den Wandhalterungen angebracht waren. Am oberen Absatz der Treppe konnte Farael das Splittern der Tür vernehmen. Umso schneller agierten Bolgur und Farael, entfernten die Schutzkappe der Lunten und steckten diese an. Das bedrohliche Zischen ertönte. Oben sprang die Tür aus den Angeln. Nun hieß es laufen!


    Es brauchte nur wenige Sekunden, um in sichere Entfernung zu kommen. Ein letztes Mal drehte sich Farael um und erblickte einen gewaltigen Schatten, der sich zwischen den Fässern zu befinden schien. Er hielt inne und bewegte sich nicht. Offenbar erkannte der Hüne die Lage und drehte augenblicklich um. Kaum waren seine Füße aus Faraels Blickfeld verschwunden, explodierten die Fässer mit gewaltiger Wucht. Der gesamte Tunnel bebte und warf die Söldnertruppe zu Boden. Hinter ihnen grollte die Erde. Die Stützen brachen zusammen. Erde begrub den Tunneleingang, während ihnen eine Welle aus Staub und Erdfetzen entgegenschlug.


    Das Klingeln in Faraels Ohren bestätigen den Erfolg des Planes. Es blieben keine Zweifel daran, dass sie ihrem Feind die Verfolgung unmöglich gemacht hatten. Mühevoll rappelten sich die Söldner wieder auf. Staub hatte sich in Faraels Lunge abgesetzt. Unter schmerzhaften Husten beförderte sein Körper diesen heraus. Die Söldner schauten sich gegenseitig an, nickten einstimmig und setzten ihren Weg fort.


    Minuten vergingen, ehe das Gehör Faraels zurückkehrte. Offenbar war dies auch der Fall für die restlichen Überlebenden, welche sich mit trockener und bedrückter Stimme unterhielten. Farael hingegen blieb schweigsam. Der Schock und das Adrenalin verebbten aus seinem Körper. Dabei wurde ihm immer mehr bewusst, wie schwer verletzt er war. Schmerzen durchzuckten seinen Körper, doch versuchte er sie gut wie möglich niederzukämpfen. Auf ihrem Weg ließ er seine größten Wunde von Bolgur verbinden. Es sollte den Weg zum Heiler nicht ersparen, aber zumindest verblutete er auf diese Weise nicht.


    „Wie viele von uns haben überlebt?“, durchbrach Farael schließlich die Stille zwischen Bolgur und sich. Der Norkara hingegen schien zu zögern, ehe er antwortete. Das Erste, was Farael von ihm zu hören bekam, war ein leises Seufzen.


    „Elf von uns. Dich und mich eingeschlossen. Sascha, Viktor, Anna, Paulus, äh, Franziskus, Sebille, Rafael, Isabell und Georg. Naja, und wir beide“, war die trockene Erwiderung Bolgurs. Für einen Moment meinte Farael ein leichtes Schluchzen zu hören.


    „Was ist mit Ciriel?“


    Bolgur schüttelte mit dem Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich habe sie seit Beginn des Angriffs nicht gesehen. Niemand hat das. Tut mir leid Farael.“


    „Ist schon in Ordnung.“ Und dennoch hinterließ der Gedanke Unwohlsein bei Farael. Gezwungenermaßen musste er an seine Begegnung mit ihr zurückdenken, bevor der Angriff stattgefunden hatte. Auch wenn er ein lockeres Verhältnis mit ihr hatte, riss ihr Verschwinden eine Trauer in ihm auf, mit der er nicht gerechnet hatte. Doch mit ihr auch das Bewusstsein, was eigentlich passiert war. Was dieser Tag für seine Kompanie bedeutete. Für ihn selbst. Er war nicht mehr länger Kommandant seiner eigenen Kompanie. Von dieser war nicht mehr als der klägliche Rest von elf Leuten übrig geblieben.


    Wie ein Hammer traf ihn das ganze Ausmaß der Schlacht. Unangenehmes Schweigen setzte sich in die Gruppe, nachdem die Geschehnisse jedem richtig ins Bewusstsein kamen. Ein paar von ihnen brachen in stille Tränen aus. Sie hatten in binnen weniger Minuten alles verloren, was sie sich aufgebaut hatten. Trotz jeder Vorbereitung und jedes Kampfgeistes. Auf diesem Wege kamen sie bald am Ende des Tunnels an, traten hinaus in das Mondlicht, welches sich durch die Blätter der Bäume über ihnen brach.


    Am Horizont, selbst durch den Wald hindurch, erblickten sie das lodernde Feuer, welches ihre einstige Heimat verzehrte. Eine gewaltige Rauchsäule zog sich in den Himmel und trug die Seelen ihrer gefallenen Kameraden in den Himmel. Es war ein schwarzer Tag in der Geschichte der Überlebenden. Die Raubvögel sind vom Antlitz Asamuras getilgt worden.


    Am Ende dieser Nacht kämpften sich die Verletzten nach Obenza. Dort ließen sie sich behandeln, verkauften die geretteten Wertsachen und teilten das Geld auf. Darauf gingen sie getrennte Wege, deren Ursprung sie jedoch alle verband. Nicht selten fand man einen von ihnen betrunken in den Tavernen vor. Die Nachwirkungen des Vorfalls überlebten letzten Endes nur Farael und Bolgur. Der Rest starb wegen des Alkohols, weil er sich der Kriminalität verschrieben hatte oder auf der Suche nach Halt im obenzischen Söldnerlager meldete. Jene, die den Halt im Söldnerdasein gesucht hatten, starben noch in ihren ersten Einsätzen. Die einzige Ausnahme blieb Bolgur, der sich behaupten konnte. Farael hingegen verschwand in der Bevölkerung Obenzas.