Komm, süsser Tod

  • Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten Emilia an der Nase, als sie aus ihrem Schlaf erwachte. Das Fenster über ihrem Kopf stand leicht geöffnet, doch weder hörte sie das fröhliche Zwitschern der Vögel, noch das geschäftige Rumoren der hauseigenen Köchin. Etwas Anderes hatte sie aus ihren Träumen gerissen und es schwebte noch immer in der Luft. Verschlafen setzte sie sich auf und schob sich beiläufig die braunen Locken aus dem blassen Gesicht. Sie konnte das frische Brot riechen und die Feuchtigkeit des vergangenen Regens. Die Gerüche bahnten sich ihren Weg durch das Haus, machten keinen Halt vor Türen oder Fenstern, zwängten sich durch jede Ritze und jeden Spalt, schlängelten sich die Treppen hinauf und erquickten die junge Frau, welche sie alle tief in ihre Lunge inhalierte.


    Abrupt hielt Emilia in ihrem Schnuppern inne, als sie realisierte, was sie geweckt hatte. Ihr Blick glitt drei Meter nach unten, wo sich die Tür befand, welche in den Flur und in den Rest des geräumigen Hauses führte. Ihr Vater hatte für sie das Zimmer mit vielen Klettermöglichkeiten ausgestattet. Dazu gehörten auch Liegeflächen, die horizontal in verschiedenen Höhen wie eine Treppe an der runden Wand des Türmchens befestigt waren. Geschickt, doch um einiges vorsichtiger und langsamer als in ihren Katzengestalten kletterte und sprang sie schliesslich, bis sie festen Boden unter den nackten Füssen hatte. Ihre Zehen gruben sich in den flauschigen Teppich. Sie liebte alles, was sich besonders anfühlte und einen kurzen Moment gab sie sich dem Gefühl hin und stellte sich das Alpaka vor, das die Wolle einmal getragen haben mochte. Als Kind hatte sie oftmals ihre Nase hineingesteckt, um die Duftnoten besser unterscheiden zu können.


    Heute hatte sie jedoch keine Zeit für solche Dinge. In ihrem weiten Nachthemd tapste sie zur massiven Tür, um sie vorsichtig zu öffnen. Die Klinke fühlte sich kalt und abweisend unter ihren Fingern an, doch Emilia liess sich nicht beirren.
    Die Laternen waren über Nacht heruntergebrannt, doch die junge Frau meinte noch den Geruch der kokelnden Dochte erahnen zu können.
    Ihre Augen hatten sich schnell an die Dunkelheit des Flurs gewöhnt. Auch hier waren Teppiche ausgelegt, die ihre Schritte abfederten. Rechts war das Bad, welches ihr alleine gehörte. Daneben das Schlafzimmer ihrer Zofe. Gisela mochte noch tief und fest schlafen, sie war keine Frühaufsteherin und es war kein Licht unter dem Türspalt zu erkennen.
    Jetzt bog der Flur um die Ecke, kein Teppich dämpfte mehr ihre Schritte, der Vater hatte das nicht gewollt, stattdessen schmückten Hirschgeweihe die kahlen Wände.


    Der Geruch, der sie aus dem Schlaf gerissen hatte, wurde plötzlich intensiver. Er roch süsslich und zugleich so bekannt. Ihre Sinne sogen ihn in sich auf, versuchten ihn einzuordnen. Emilia spürte verwundert ihr inneres Raubtier nahe an der Oberfläche kratzen, und verscheuchte es mit einem unwilligen Kopfschütteln, so dass ihre Locken flogen.
    Sie verlangsamte und blieb unschlüssig kurz vor dem Schlafgemach stehen. Wie gerne hätte sie jetzt gehorcht, ob ihr Herr Papa sich gerade unruhig in seinen Bettlaken wälzte, oder ob er sich bereits anzog, um den Tag zu begrüssen.
    Vielleicht pfiff er in diesem Moment bereits eine fröhliche Melodie?
    Emilia verneinte sich selbst.
    Nein, sie hatte ihn noch nie pfeifen gesehen im Gegensatz zum Knecht oder den Mägden. So etwas gehörte sich nicht für einen adligen Herrn. Trotzdem gefiel ihr der einfache Gedanke daran.
    Plötzlich jedoch konzentrierte sie sich wieder auf die Duftnoten. Eine unbekannte war dabei, eine, welche sie in diesem Haus noch nie zuvor gerochen hatte. Und sie hatte eine sehr gute Erinnerung.
    Und auch dieser süssliche Geruch, war irgendwie beunruhigend.
    Mutig trat sie vor, und klopfte beherzt an die Eichentür. Eine Antwort konnte sie kaum erwarten, und so öffnete sie nach einer kurzen Pause die Pforte.


    Was sich ihr darbot, liess sie zurückschrecken. Emilia stiess einen Schrei aus, den sie selbst nicht hören konnte und doch war sie sich sicher, dass er durch das ganze Haus dringen musste. Es war jedoch nicht das Bild des Todes, das sie stolpern liess, es war der alles übertönende Geruch des Blutes.
    Ihre Augen huschten wie von Sinnen über das Bildnis, vermochten sich an keinem Detail festzuhalten. Rosen, überall Rosen. Mit spitzen Dornen rankten sie sich um den Körper ihres Vaters, setzten sich an der Decke und am Boden fort. Sie bildeten Spiralen und Ringe, verliefen sich im Nichts, um an einem anderen Ort neu zu erblühen. Und mitten drin lag ihr geliebter Herr Papa. So friedlich, als würde er nur schlafen.
    Doch vergeblich suchten ihre scharfen Augen nach einem Puls, nach der sanften Hebung seines Brustkorbs unter dem Nachthemd. Als sie einen Schritt vortreten wollte, berührten ihre nackten Füsse eine der roten Rosen. Die klebrige Flüssigkeit färbte ihre Zehen und hinterliess Spuren, als sie sich abwandte und zur Tür hinausstolperte.


    Und dieser Geruch!
    Emilia presste sich verzweifelt die Hände auf Nase und Mund. Sie konnte ihren Vater überall riechen. Sein Duft schien in jede Pore ihres Körpers überzugehen, nachdem er bereits das gesamte Haus erfüllt hatte.
    Luft, sie brauchte frische Luft!
    Sie bemerkte nicht die Diener, welche von ihrem Schrei angelockt, zum Zimmer ihres Vaters stürmten.
    Endlich hatte sie die Treppe bewältigt und öffnete schwungvoll die Hintertür, welche in eine schmale Gasse führte und schnappte wie eine ertrinkende nach Luft. Sofort verflüchtigte sich der süsslicheiserne Geschmack in ihrem Mund, doch das Bild in ihrem Kopf blieb bestehen.


    Seltsamerweise fühlte sie zwar Trauer und Entsetzen, doch auch eine morbide Faszination hatte sich ihrer bemächtigt. Wer auch immer dies getan hatte, ihr Vater lag in Würde in seinem Bett.
    Bestürzt über ihre eigenen Gedanken, atmete sie tief ein und schloss die Augen. Das Gesicht ihres lächelnden Herrn Papas löste einzelne Tränen aus, welche ihr ungehindert über die Wangen liefen.
    Konzentriere dich auf den Moment, lass alles zurück, sonst fällst du in ein tiefes Loch und kommst nicht mehr heraus!, flüsterte ihre Vernunft.


    Emilia lehnte sich an die kalte Mauerwand und spürte den rauen Stein unter ihren weichen Fingern. Um im selben Augenblick roch sie es wieder. Da war eine unbekannte Person in ihrem Haus gewesen, und es war dieselbe, die ihren Vater getötet hatte.
    Der Gedanke jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
    Als sie sich darauf konzentrierte, erkannte sie den Rosenduft wieder, gepaart mit einer Note aus Schweiss und dem Blut ihres Herrn Papa.
    Ohne zu überlegen stiess sich Emilia von der Mauer ab und folgte dem Duft durch die Strassen.


    Erst nach einigen Stunden des Herumirrens musste sie sich eingestehen, dass sie die Spur verloren hatte in der Menschenmenge, die sich nun auf den Strassen ansammelte und ihren Geschäften nachging.
    Einer der besorgten Knechte fand sie schliesslich weinend und verschmutzt an einer Ecke und führte sie nach Hause. Man war sich einig, dass die junge Frau Ruhe benötigte. Sie war schon immer ein verwirrtes und unstetes Kind gewesen und der Tod des Vaters würde sich noch mehr aus der Bahn reissen.
    Hoffentlich nähme sich bald ein mitfühlender Ehrenmann ihrer an, denn wer sollte sonst das Grundstück verwalten und die Löhne auszahlen?

  • Am Abend von Dimicus' Vergiftung, auf dem Wege zum Gasthaus...


    Diese verdammte Schlange!, fluchte Dimicus noch immer in sich hinein, während ihm noch das Brennen des Giftes in seinen Lungen verfolgte. Zum Glück half die malerisch ruhige Nacht, die ihn außerhalb des Gasthauses empfangen hatte. Die kühle Luft vertrieb sogleich das unangenehme Gefühl in seinen Atemwegen. Tief atmete er ein, ehe er sich im langsamen Schritt also vom Bordell wegbewegte. Der Aufruhr und Krach des Etablissements wich der Stille des nächtlichen Drakensteins, die sich wie ein Schleier über dessen Straßen gelegt hatte. Auch aus diesem Grund liebte er es einfach, seine Kunst nachts zu vollführen. So viel Zeit und Ruhe, um sich den wahren Sinnlichkeiten des Lebens zu widmen, die der allgemein Pöbel unter dem Saufen in einem Bordell verstand. Doch noch umso mehr schätzte er die Stille, da er mit seinen Werken nun einmal laut werden musste. Wie sonst würde er wohl seine Kunst in das angemessene Licht rücken können, nicht wahr?


    Im gleichmäßigen und zeitgleich eleganten Schritt ging der junge Mann über die Straßen, seine Kapuze war tief ins Gesicht gezogen und dennoch beobachteten seine Augen jede Ecke. In einer Stadt wie Drakensetin war man vor nächtlichen Übergriffen nie geschützt und wer wäre er, würde er sich von einem schmutzigen Schläger erwischen und ausrauben lassen? Doch sein Weg schien ruhig, nichts war auffällig und er konnte seines Weges ziehen. Zumindest konnte man davon ausgehen, denn schon bald durchbrach etwas seine innere Ruhe, zwar noch vermischt mit dem Zorne gegenüber Malik, aber dennoch eiskalt und berechnend. Er spürte etwas ... ein seltsames Gefühl des Beobachtetwerdens. Es wirkte beinahe so, als ob ihn jemand oder etwas verfolgte, doch er konnte nichts ausmachen. Nur dieses seltsame Gefühl im Rücken, dass er verfolgt würde und die Quelle nicht ausmachen konnte. Seine Sinne fokussierten sich nun völlig auf seine Umgebung, zuvor nur halbherzig bei dieser, aufgrund seines gedanklichen Treibens. Leises Tapsen? Etwas was ihn verfolgte? Er lief langsamer, doch neben seinen Fußschritten hörte er niemanden mehr durch die Straßen eilen, geschweige denn sah er jemanden. Doch er wurde dieses Gefühl einfach nicht los und er wusste, dass er sich darauf verlassen konnte.


    Zuerst versuchte er es weiterhin damit, genau seine Umgebung zu beobachten, doch sie schien eher ihn zu beobachten. Seine Miene verzog sich nicht einmal, als er abrupt stehen blieb, genau mitten auf der Straße. Doch mitten dort befand sich rechts noch eine Gasse, kaum so gut beleuchtet wie die Straße. Finsternis verbarg sich in ihr und von seiner Position aus vermochte er nicht auszumachen, was sich dort zu verstecken versuchte. Seine rechte Hand glitt unter seinen Mantel, griff zwei seiner Wurfmesser. Er hielt inne, achtete auf seinen Augenwinkel und jäh in jenem Moment in dem er etwas huschen sah, blitzten seine beiden Wurfdolche im Dunkel der Nacht auf, durchbrachen die Stille mit einem Surren, doch am Ziel ihres Weges hörte man ein metallisches Klirren. Sie waren auf dem Boden aufgekommen und hatten nichts getroffen. Was es wohl war? Mit einem leicht enttäuschten Seufzer machte er kehrt, schritt auf die Stelle zu und sammelte seine Wurfdolche ein, welche er dank des tanzenden Lichtes auf dem schimmernden Metall wiedererkennen konnte. Nur zu schade, er hätte nur zu gern ein weiteres Kunstwerk geschaffen, wieder getötet um dieser Stadt den wahren Wert der Kunst zu zeigen. Just in diesem Moment hatte er es sich gewünscht, dass es zumindest jemand versucht hätte. Augenblicklich verstaute er seine beiden Wurfgeschosse wieder an ihren angestammten Plätzen, ehe er sich wieder der Straße zuwandte, seinem eigentlichem Ziel widemend. Für den Moment fühlte er sich auch nicht mehr beobachtet, noch immer war niemand auf den Straßen zu sehen.


    In den nächsten Momenten erreichte er auch schon das Gasthaus, in dem er schon seit geraumer Zeite nächtigte und es nun gegen eine billige Absteige eintauschen musste. Noch immer konnte er es nicht fassen, wie er durch eine Schlange hereingelegt wurde. Umso schlechter stimmte es seine Stimmung, als er sein gesamtes Hab und Gut, welches er in dem Gasthaus gelagert hatte, einpacken musste. Beinahe wie einen Umzug kam es ihm vor, als er voll beladen vor dem Wirt stand, seine Miete auslöste und schließlich zurück in die Kälte der Nacht schritt. Jene Nacht, an dem seine Klingen und Pinsel nicht den süßlichen Geschmack des Blutes kosten durften. Sein Weg führte ihn wieder durch die Straßen, anfangs vollkommen unbehelligt, jedoch tauchte schon sehr bald wieder dieses Gefühl auf. Doch konnte er nicht so einfach stoppen, seine Hände waren voll mit seiner Staffelei, Utensilien und seinem Gepäck. Notfalls würde er es fallen lassen, doch hoffte er, dass es nicht so weit kommen musste.

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  • Vier Wochen waren seit dem plötzlichen Ableben ihres Vaters vergangen. In dieser Zeit war viel geschehen.
    Nachdem sich die Nachricht seines Todes wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, immerhin war er ein aufsteigender Politiker gewesen, und bekannt wurde, dass er eine Tochter im heiratsfähigen Alter zurückliess, war das Interesse an Emilia Katharina von Kreuzenstein im Handumdrehen gestiegen.
    Nachdem sie zwei Verlobungsanträge von Familien niederer Abstammung erhalten hatte, noch lange bevor die Trauerphase beendet war, nahm sie die Hilfe ihres Onkels seitens der verstorbenen Stiefmutter gerne an. Obwohl sie ihm zuvor noch niemals persönlich begegnet war, hoffte sie darauf, dass er ihr Leben wieder in einen geregelten Verlauf bringen würde.
    Dankbar versenkte sie sich in ihrem eigenen Kummer, während Alfonso eifrig ihr Haushaltsvermögen verwaltete soweit es ihm erlaubt war. Immer häufiger kam auch sein Sohn Wilfried zu Besuch, um Emilia den Hof zu machen. Der Jüngling hielt wenig von der Taubstummen, wie er sie immer nannte, doch Alfonso überhörte alle Widerworte und versprach ihm das grosszügige Anwesen und das Ansehen der Familie von Kreuzenstein.
    So kam es, dass bereits Hochzeitspläne geschmiedet wurden, von denen die zukünftige Braut selbst noch keinen blassen Schimmer hatte.


    In der Zeit nach dem Tod ihres Herrn Papa hatte Emilia sich weder aus dem Haus begeben, noch hatte sie sich mehr als wenige Male verwandelt. Der Sinn ihres Lebens war mit einem Schlag verschwunden. Sie hatte nie etwas Anderes gekannt, als seinen Wünschen genügen zu wollen und nach seiner Aufmerksamkeit zu lechzen. die Welt ausserhalb des Hauses war ihr fremd, genauso wie die Lebewesen, die sie bevölkerten.
    Und obwohl sie nun die Möglichkeit gehabt hätte, ihrem goldenen Käfig zu entfliehen, hielten ihre Angst und Benommenheit sie davon ab. Sogar ihre Neugierde schien zusammen mit ihren Verwandlungen in den Hintergrund getreten zu sein, was die Zofe Gisela als Einzige mit beunruhigter Sorge zur Kenntnis nahm.
    Nachdem alle Überredungskünste wenig einbrachten, fasste sie den Entschluss, noch einen letzten Versuch zu unternehmen. Als abends sowohl Alfonso als auch seine Familie abgerauscht waren – sie hatten sich dreister Weise bereits das Studierzimmer und den Salon zu eigen gemacht – schleuste sie eine Maus in das Schlafgemach ihrer Herrin.
    Als sie am nächsten Morgen die Zimmertüre öffnete, blickte ihr Emilia zwar so traurig wie immer entgegen, doch die Maus war verschwunden.


    Emilia warf einen Blick aus dem Fenster über ihrem Haupt. Das zaghafte Leuchten der Sterne wies sie daraufhin, dass es Zeit war für einen Nachtspaziergang.
    Seit Gisela ihren kätzischen Spieltrieb mit einer kleinen, unschuldigen Maus zu neuem Leben erweckt hatte, schlich sie regelmässig nachts durchs Haus, um auf Jagd zu gehen. Nicht selten gingen dabei Vasen zu Bruch oder die teuren Antiquitäten erlitten Kratzspuren.
    Diese Nacht jedoch wollte sie mehr sehen. Sie spürte langsam, wie bei jeder Wandlung neue Energie in ihren Körper zurückkehrte und ihre Neugierde sich zu regen begann.
    Das schlechte Gewissen darüber, entgegen dem Willen ihres verstorbenen Vaters zu handeln, liess sie in ihrer menschlichen Gestalt zurück.
    Es war das dritte Mal, dass sie sich aus dem gewohnten Heim hinausbegab, um sich von den neuartigen Gerüchen der Nebengassen betören zu lassen.
    So kam es, dass nicht nur Dimicus die Schönheit der Nacht genoss, sondern auch die dunkel getigerte Katze mit den weissen Samtpfötchen durch die Gassen tapste.


    Emilia war noch nicht weit gekommen, als das Huschen einer Ratte ihre Aufmerksamkeit erregte. Sofort waren ihre Jagdinstinkte geweckt und in der Deckung der Hauswand pirschte sie sich an ihr Opfer heran. Obwohl ihre Ohren den Dienst verweigerten, waren sie trotzdem nach vorne gestellt, und drückten eine erwartungsvolle Haltung aus.
    Der Schwanz zuckte knapp über dem Boden nervös herum. Doch genau diese Bewegung war es wohl, welche die Ratte warnte. Das Tierchen stürzte davon, und Emilia hinterher. Einige Laternen erleuchteten die Strassen, doch auch das Licht der Sterne hätte ausgereicht, um ihr mit den scharfen Augen den Weg für die Verfolgungsjagd zu weisen. Schon nach einem kurzen Spurt pochte ihr Herz und der Atem ging rasch, denn sie war sich die rasante Bewegung nicht gewohnt.
    Im nächsten Moment huschte die Ratte durch einen Schlitz zwischen Tür und Wand und war verschwunden. Emilia konnte gerade noch ausweichen, sonst wäre sie mit ihrem zarten Katzenkörper dagegen geprallt. Voller Tatendrang und nicht bereit so leicht aufzugeben, versuchten ihre grünen Augen etwas durch den Spalt hindurch zu erkennen. Doch die völlige Dunkelheit vermochte auch ihr Blick nicht zu durchdringen. So duckte sie sich schliesslich vor die Haustüre, und steckte ihre weisse Pfote hindurch, um auf der anderen Seite die Ratte zu ertasten. Ihr Po war in die Höhe gereckt und der Schweif peitschte unruhig durch die Luft. So völlig in ihrem Element, vergass sie sogar auf die Umgebung zu achten, weshalb sie vor Schreck erstarrte, als ein dunkler Schatten am Rande ihres Gesichtsfeldes auftauchte.


    Nur zwei minzgrüne Punkte leuchteten wie Smaragde, als sie sich in die Ecke duckte, und so der Aufmerksamkeit des Menschen entging, der an dem Eingang vorbeischritt. Selbst die fette Ratte war vergessen, als sie plötzlich seinen Geruch in der Nase hatte.
    Unter tausend anderen hätte sie ihn wiedererkannt. Eine Mischung aus verschiedenen Duftnoten, die in keiner Weise zueinander passen wollte: Die körpereigenen männlichen Ausdünstungen vermischten sich mit einem intensiven Farbgeruch, wurden begleitet von einer süsslich metallischen Essenz von Blut und abgerundet von dem sanften Aroma frischer Rosen.
    Sie beobachtete angespannt, wie er die Strasse entlangging. Emilia wurde unruhig. Was sollte sie tun?


    Die menschliche Vernunft riet ihr, sich bedeckt zu halten und schnellstmöglich nach Hause zu fliehen – dieser Mann war eindeutig gefährlich!
    Doch in Katzengestalt hatte sie nicht die Oberhand, weshalb die Neugier siegte und sie dem Mann spielerisch hinterhertänzelte. Geschickt duckte sie sich in Hauseingänge und dunkle Gassen, um nicht bemerkt zu werden. Da sie selbst jedoch ihre eigenen Schritte nicht hörte, hatte sie auch nie gelernt perfekt zu schleichen, weswegen immer wieder das leise Tapsen ihrer Pfoten zu hören war, das vor Allem einem geübten Ohr auffallen konnte.
    Als er plötzlich mitten in der Strasse stehenblieb, versteckte sich Emilia schnell hinter einem Müllsack, der neben einer Haustür zum Abholen bereitstand. Der Geruch von gammelndem Fleisch liess sie ihr Näschen krausziehen.
    Im nächsten Moment vergass sie jedoch diese Belanglosigkeit, als der Kerl auf einmal zu einer Seitengasse herumschnellte. Die Bewegungen waren fliessend und zeugten davon, dass er nicht zum ersten Mal mit den Messern zielte. Emilia konnte den Aufprall der Messer nicht hören, sah aber eine pummelige kleine Gestalt davonhuschen. Somit hatte er ihr Abendessen endgültig vergrault.


    Im Schein der Laternen konnte sie seine angespannte Haltung erkennen. Emilia stutzte. Er erinnerte sie an ihre Beute, wenn sie spürte, dass die Katze nicht weit sein konnte. Sogleich waren alle Ängste wie weggeblasen und sie fühlte sich als Jägerin, die ihre Maus in die Enge trieb. So „jagte“ sie ihn also durch die Strassen, folgte ihm immer in einigen Metern Abstand und genoss das Spiel, welches es für sie darstellte. Als er schliesslich in einem Gasthaus verschwand und ihr die Tür vor der Nase zugeknallt wurde, blieb sie enttäuscht zurück.
    Unschlüssig setzte sie sich hin und beobachtete die Strasse, die so menschenleer war. Sie hatte noch keine Lust, nach Hause zurückzukehren, weswegen sie anfing, in aller Gründlichkeit ihr Fell zu pflegen. Selbst die Öhrchen entgingen der Säuberungskation nicht.


    Als die Tür schwungvoll aufgestossen wurde, bekam sie das im ersten Moment nicht einmal mit, denn die Geräusche der Gäste drangen nicht zu ihr vor.
    Es war der Geruch, der sie wie magisch anzog. So verfolgte sie ihn wiederrum durch Drakenstein. Ihr Blick blieb an dem seltsamen Holzgestell hängen, das er über der Schulter trug, sowie einer vollgestopften Tasche. Was darin wohl alles verborgen war?
    Vor Allem der Farbgeruch hatte stark zugenommen.
    Während sie noch so in ihre Überlegungen versunken war, blieb die Gestalt vor einem lottrig anmutenden Haus stehen. Es entsprach so gar nicht den Vorstellungen eines gemütlichen Heims, wie es Emilia von Kindheit an kannte.
    Er blickte sich suchend um, erwartete er jemanden?


    Die Katze stand an einer Ecke und in ihre Beobachtungen vertieft.
    Plötzlich traf sie ein fieser Fusstritt in die Seite und gleich darauf folgten wütende Flüche, welche Emilia jedoch nicht hören konnte, als der Betrunkene über die Katze stolperte und sich dabei den Kopf an der Wand stiess.
    Sie hingegen war so sehr erschrocken, dass sie ein ängstliches Aufjaulen von sich gab und gleich darauf einen empörten Katzenbuckel machte. Der Betrunkene verfluchte das Mistvieh und torkelte dann zielstrebig auf die Spelunke zu, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen. Emilias Puls raste, ihr Körper war gespannt wie eine Bogensehne und trotzdem funkelte sie ihm wütend hinterher, weil sie ihr Fell gleich noch einmal vom Schmutz sauber lecken müsste.

  • Dimicus verließ am nächsten das Bordell, um die Vorbereitungen für den Mord an der Schlange zu treffen...


    So war es also gekommen, er als Verbündeter einer dahergelaufenen Bordellmutter, welche ihre Konkurrenz mit seiner Hilfe ausschalten und die eigene Macht festigen wollte. Es war nichts ungewöhnliches für dieses Metier, doch ärgerte sich der junge Künstler maßlos darüber, in welchen Umständen er für sie arbeitete. Doch zumindest war er sich sicher, dass er seine Kunst ausüben konnte. Einem Liebchen, welchem man zu lang keine Aufmerksamkeit schenkt, fühlt sich vernachlässigt. Also warum nicht die Gelegenheit nutzen und zumindest einen Teil seines Seins weiter erfüllen?


    Im Geiste ging er seinen Plan durch, als er über die belebten und sonnigen Straßen Drakensteins lief. Es war um die Mittagszeit sehr viel los, verschiedene Völker waren zu sehen, auch wenn der Großteil aus Almanen wie er bestimmt. Seine Blicke schweiften über die verschiedenen Wesen der Straßen, er betrachtete sie, während seine ersten Schritte ihn schon in die Richtung seines ersten Teilzieles brachten. Seine Ohren vernahmen verschiedenste Stimmen, Schreie, Rufe, Gespräche. Kinder, Alte, Frauen und Männer. Sie sind alle seine Zuschauer, seine unfreiwilligen Anhänger und Betrachter seiner Kunst. Man redet nicht viel darüber, aber es ist dennoch jedem bewusst. Genau wie er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit genoss, ahnten sie nicht einmal im Ansatz wer sich dort neben ihnen bewegte. Bei diesem Gedanken umspielte ein Lächeln seine Lippen.
    Beinahe bei dem Bordell der Konkurrenz angekommen, erweckten jedoch ein paar gewechselte Worte zwischen zwei Männern seine Aufmerksamkeit. "- Konkurrenz zum Rosendämonen.", bekam er das Ende des Satzes mit. "Bist du dir sicher? Wenn dieser Typ mit seinen grausamen Spielchen umherstreift, dazu noch der Rosendämon. In welchen Zeiten leben wir? Man ist ja gar nicht mehr sicher." Der andere nickte darauf nur mit einem zustimmenden Summen seiner Stimme. Darauf wechselten sie auch schon das Thema, Belanglosigkeiten des Lebens. Doch was hatte er da gehört? Konkurrenz? Irgendwann sollte er dem nachgehen. Es ist schon allein eine Beleidigung für ihn, wenn man ihn zum Kontrast zu einem anderen stellt.


    Jedoch galten jetzt schon andere Prioritäten und er musste seinen Auftrag fertigstellen, ehe er sich darum kümmern konnte. Inzwischen war er bei dem besagten Bordell angekommen, sein Blick ruhte auf das Gecshäft, welches eine direkte Gefahr für Maliks Geschäft darstellte. Ruhig lehnte er sich in einem Schatten gegenüber des Hauses, beobachtete genau, wer den Laden betrat und wie der allgemeine Verkehr war. Dabei konnte er mit großer Sicherheit ermitteln, dass er nicht offiziell geöffnet war. Hauptsächlich gingen nur bullige Männer ein und aus, genau so wie leichtbekleidete Damen, die aber Besorgungen zu machen schienen. Er würde es am Tage machen, er hatte auch schon eine Idee wie genau. Die Konkurrenz die von Malik ausging war nicht zu unterschätzen und ihm würde sicherlich Einlass gewährt werden, wenn er ein entsprechendes Angebot zu ihrer Eliminierung darbieten würde. Die armen Tröpfe würden nicht wissen, wie um sie geschieht, wenn er erst einmal drinnen war. An musste jedoch betrachten, dass Dimicus nur seinem Ziel nahekommen und es in ein wahres Meisterwerk verwandeln würde. Für die Ablenkung oder Ruhe musste er sich im gegebenen Zeitpunkt etwas einfallen lassen.


    Nach nun nicht mehr als fünf Minuten seiner kurzen Beobachtungen löste er sich wieder, doch fühlte er sich ein erneutes Mal beobachtet. So wie am Abend zuvor, hatte er das Gefühl, dass ein feines Paar Augen auf ihm ruhten. Er schaute sich um, doch die Menschen gingen ihren normalen Tätigkeiten auf, zwischen ihnen einfache Tiere. Hunde, Katzen, Hühner. Nichts unübliches. Scheinbar drehte er durch, zumindest hatte er das Gefühl, so wie er sich beinahe schon regelrecht verfolgt fühlte. Tief atmetete er durch und ging lieber den Rest seines Weges zu einem Alchemisten nach, noch ein Gegengift besorgen, zum Glück hatte er Malik als Schlange sehen und somit ihre Art bestimmen können. Er wusste, welches Gegengift er nehmen müsse. Mit etwas mehr Vorsicht und Scharfsinn bewegte er sich weiter durch die Straßen, spürte Blicke an ihm haften, welche ihm Unwohlsein über den Rücken jagten. Er versuchte Gassen und eher unübliche Wege wie Pfade zu nutzen, aber es verschwindete einfach nicht. Was war es?! Die Frage machte ihn mehr als verrückt. Warum empfand er etwas so Extremes? Sein Blick folgte und suchte, doch fand nichts. Es war wohl wirklich um ihn geschehen. Mit einem genervtem Seufzer beschleunigte er einfach seine Schritte, kam alsbald auch bei einem Alchemisten an und besorgte das Gegengift.


    Doch sein Weg führte ihn nicht direkt wieder zurück, sondern in einer der Gassen duch die er gekommen war. Stattdessen sie jedoch vollständig zu durchqueren, lehnte er sich dort an der Wand, sein Gefühl des Beobachtetwerdens verschwand nicht einfach, es blieb. Nun wartete er, was passieren würde. Einer seiner Hände verschwand unter seinem Mantel, umschloss bereits einen Wurfdolch. Für einen Moment warten und schauen was passieren würde...

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  • Am nächsten Tag hätte Emilia gerne bis nach dem Mittag geschlafen, doch das liess ihre Tante Lucinda nicht zu. Befehlsgewohnt stürmte sie gegen neun Uhr ins Zimmer der jungen Frau, reagierte jedoch gleich etwas beherrschter, als die junge Löwin sie von ihrem Schlafplatz herunter faul anblinzelte.
    «Emilia, du weisst doch, dass dein Onkel es nicht gutheisst, wenn du dich als Tier herumtreibst», befand sie denn auch, jedoch nicht ohne die Grosskatze dabei argwöhnisch zu beobachten.


    «Heute kommt doch unser charmanter Wilfried zu Besuch. Du solltest dich auf das gemeinsame Mahl vorbereiten. Und lass dir von deiner Zofe das Haar machen, beim letzten Mal hatte die Frisur grosse Ähnlichkeit mit einem Heuhaufen. Dabei meint es dein Onkel doch so gut mit dir. Etwas mehr Mühe könntest du dir da schon geben. Hach, dein Herr Papa, Ainuwar habe ihn selig, liess einfach die Zügel zu sehr durchhängen. Ich verstehe, da dass du als einziges Kind eine besondere Stellung bei ihm einnahmst, doch damit muss nun Schluss sein. Deine Mutter hat dir nun auch nicht gerade die besten Gene weitervererbt. Wenn es wenigstens richtige Magie wäre, dann könnten man dich auf eine Akademie schicken. So bleibt nur das reiche Erbe, um den Zukünftigen zu entschädigen, denn mit der Schönheit ist es auch nicht weit hergeholt.
    Und dann noch
    ein taubstummes Kind. Ich frage mich ja, welche göttliche Ungunst die Familie auf sich geladen hat, um auf diese Weise bestraft zu werden»
    , betreten verfiel sie in ein Schweigen.


    Sie sprach oftmals darauf los ohne sich im ersten Moment bewusst zu sein, dass die Angesprochene ihre Worte nicht hören konnte. Im Nachhinein bedankte sie sich jedoch im Stillen dafür, denn sie ahnte, dass die Löwin nicht so friedlich geblieben wäre, hätte sie auch nur die Hälfte davon verstanden.
    Trotzdem konnte Emilia die Bedeutung der Worte anhand ihrer verächtlichen und empörten Gestik erahnen. Ihre Lippen verzogen sich beim Reden zu einem hämischen Lächeln, so als würde sie der reichen Familie dieses Unglück gönnen, aus dem sie nun ihrerseits zu profitieren gedachte.
    Gleichzeitig sprach aus ihrer herrischen Haltung die Aufforderung, dass endlich Bewegung in das Mädchen kommen sollte. Auch das Lippenlesen war dem tauben Mädchen nicht fremd, doch fiel ihr dieses in menschlicher Gestalt um einiges leichter.


    Emilia konnte es nicht lassen, sich auf ihrem erhöhten Schlafplatz genüsslich zu räkeln, und dabei die Krallen auszufahren. Lucinda schnappte wie ein Fisch nach Luft, als die scharfen Klauen über die Wand schabten und ein hässliches Geräusch absorbierten. Die Löwin öffnete nun demonstrativ ihr mit tödlichen Waffen besetztes Maul, und gab ein ausgiebiges Gähnen von sich, das einen tiefen Einblick in ihren Rachen zuliess. Als sie gleich darauf Lucinda mit wachem Blick taxierte und Anstalten machte, sich zu erheben, war die Tante schnell verschwunden, um ihren Platz der eifrigen Gisela zu überlassen, welche sich vornahm, das volle Haar ihrer Herrin zu einer fantastischen Frisur zu drapieren.


    Drei Stunden später langweilte sich Emilia sich bereits zwischen den Gängen. Da sie weder sprach noch hören konnte, unterliess es die Verwandtschaft, sie in die Gespräche einzubeziehen. Anfangs hatte Wilfried aus Höflichkeit einige freundliche Floskeln zu ihrer Haarpracht und dem Kleid abgegeben, doch dann hatte er sich zusammen mit seinem Vater Alfonso politischen Themen zugewandt.
    Emilia beobachtete die Gespräche nicht aus Interesse, sondern aus Höflichkeit. Der Herr Papa hatte viel Wert darauf gelegt, dass sie sich am Tisch anständig verhielt. Dies beinhaltete weder, dass sie verträumt durch die Gegend blickte, noch dass sie ihre Nasenflügel blähte, um mehr von den Gerüchen einzufangen, welche sie immerzu umgaben.
    Stattdessen haftete ihre Aufmerksamkeit an den Lippen ihres Onkels Alfonso, der sich gerade über den Hochadel ausliess, der die gutbürgerlichen Familien von oben herab behandelte. Beim Sprechen formten sich seine wollüstigen Lippen immer wieder zu neuen Formen. Seine Mundwinkel hingen dabei herunter, was ahnen liess, dass er wütend war. Emilia bemerkte auch die feine Spucke, welche sich wie ein Sprühregen beim Reden auf seinen Teller verteilte. Fasziniert beobachtete sie, wie eines der Tröpfchen an seiner Unterlippe hängen blieb.
    Die Bedeutung seiner Lippenbewegungen verschwanden vor ihren Augen, nachdem sie sich nicht mehr darauf konzentrierte, die Worte zu verstehen.


    Nach dem Dessert entschuldigte sich Emilia mit einem Knicks, um die Toilette aufzusuchen. Auf dem Rückweg blieb sie stehen, als sie bemerkte, dass jemand die Hintertüre offenstehen gelassen hatte.
    Als der Geruch der Freiheit in ihre Nase drang, blickte sie nicht zurück, als sie durch die Tür hinausschlüpfte, und sie leise hinter sich schloss.
    Sie würde nur kurz einen Spaziergang unternehmen, etwas frische Luft schnappen. Ihre Verwandten würden gar nicht bemerken, dass sie fehlte.

    Bald schon mischte sie sich unter die anderen Menschen. Doch es erschreckte sie jedes Mal, wenn sie versehentlich angerempelt wurde, weswegen sie sich schliesslich lieber etwas abseits bewegte. Das dunkelblaue Kleid, das sowohl ihrer Figur als auch ihren Augen schmeichelte, zierte bereits ein verstaubter Saum. Auch ihr streng hochgestecktes Haar löste sich zunehmend und so fielen ihr einige der kakaobraunen Locken ins Gesicht.
    Irgendwann bemerkte Emilia irritiert, dass sie sich in den Nebengassen verlaufen hatte. Suchend blickte sie sich um und entdeckte einen Mann, der sich vor ihr mit sicheren Schritten durch die Strasse bewegte. Das teure Kleid, welches ihre Tante ihr aufgedrängt hatte, hinderte sie daran, sich zu verwandeln, denn sie hätte es zurücklassen müssen. So versuchte sie sich so unsichtbar wie möglich zu halten, und folgte dem Menschen in grossem Abstand.
    Sie war so darauf fokussiert, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, dass sie den feinen Geruch nicht bemerkte, der von ihm ausging und in ihr alle Alarmglocken hätten wecken müssen. In tierischer Form wäre ihr dieses wesentliche Detail bestimmt nicht entgangen.


    Gerade als die Strasse wieder etwas belebter wurde, schwenkte der Unbekannte in eine andere Gasse ab. Emilia wollte daran vorbeigehen, denn nun würde sie auch wieder alleine zurechtkommen, als ihr ein Luftzug seinen Geruch direkt in die Nase wehte. Abrupt blieb sie stehen und wandte sich um.
    Wo wollte er hin? War er vielleicht auf dem Weg zu seinem nächsten Opfer?
    Emilia betrat unsicher die Strasse. Jetzt, wo sie sich auf den Geruch konzentrierte, hätte sie ihn überall wiedererkannt. Wieder lösten die Duftnoten Erinnerungen und Bilder in ihr aus, die sie taumeln liessen. Das viele Blut von ihrem Herrn Papa…


    Und als sie aufblickte, sah sie ihn. Wie hatte sie ihn bloss übersehen können!
    Doch er war gut getarnt, in seinen dunklen Mantel gekleidet, und verborgen im Schatten an die Mauer gelehnt. Einen Moment schien Emilia wie erstarrt. Doch dann regte sich ihre menschliche Angst und damit der Fluchtinstinkt. Sie meinte etwas Silbernes aufblitzen zu sehen zwischen den Falten der Bekleidung, was den Ausschlag gab. Auf dem Absatz machte sie kehrt, raffte ihr langes Kleid und rannte los.

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  • Damit hatte sich sein Bauchgefühl doch bewiesen. Nicht lang stand er im Schatten der Gasse, als eine Person eben jene betrat. Aus dem Augenwinkel schien sie weiblich zu sein und er reagierte zuerst gar nicht weiter, bis sie erstarrte. Noch hielt er inne, wartete wie ein Jäger auf den richtigen Moment und wägte feinstens ab, wann er zuschlagen sollte und ob dies überhaupt nötig war. Doch als er die schlagartigen Bewegungen aus seinem Augenwinkel wahrnahm, eine braune Mähne die im Winde zu fliegen schien, schritt er zur Tat. Mit schneller Eleganz blitzte das Metall unter seinem Mantel hervor, ein Surren ertönte und schon im nächsten Moment traf ein Wurfdolch die Wade der jungen Frau, welche sofort nach vorn überfiel. Erwischt. Wieder ein perfekt geworfener Dolch. Es fühlte sich gut an, einen Pinselstrich so präzise führen zu können.


    Doch nun galt es keine Zeit zu verlieren, als sich schon seine Füße von dem Stein der Straße abstießen, er lospurtete, um die junge Frau zu erreichen, ehe sie noch auf dumme Gedanken kam. Sie war ihm einige Erklärungen schuldig und schon allein ihre Flucht hatte sie mehr als verraten. Seine schnellen Schritte hallten in der Gasse, kamen ihr immer näher und für sie musste es sich anfühlen, als ob ihr Tod an sie herannahen würde. Schon im Lauf hatte er seinen Dolch gezogen, brachte sich schließlich neben sie und warf sie grob auf den Rücken, noch weiter in den Schatten der Gasse und somit geschützt vor jedem fremden Blick.
    Sein rechtes Knie legte sich auf ihr Brustbein, womit er ohne Weiteres ihre Armung kontrollieren konnte, wenn er es denn wollte. Sie war ihm ausgeliefert, sein linkes Knie hatte fest ihren Arm im Griff und sein Dolch wollte gerade zu ihrer Kehle schnellen, ehe er innehielte. Seine Augen, weiterhin verborgen unter der Kapuze, fixierten die ihren, er sah die Angst und Panik in ihr. Ihr Duft schien ... animalisch, beinahe wie der Geruch einer Katze. Weiter sah er ihre Züge an, musterte sie genau. Irgendwoher kannte er sie, doch er konnte sie nicht richtig zuordnen. Wie ein zerlaufenes Bild mutete etwas in ihm die Identität dieser jungen Frau an, doch er wusste jetzt schon, dass es nicht seiner Kunst wäre, sie zu töten. Etwas hinderte ihn daran, doch er wusste nicht was. Er kannte sie, doch nur woher?
    Noch ehe er eine Antwort auf diese Frage kannte, hatte er bereits seinen Dolch wieder weggesteckt. Seine Griffe lösten sich, als es ihm schließlich einfiel. Sein Mund formte die Worte: "Emilia Katharina von Kreuzenstein, Tochter des Frederick von Kreuzenstein, welcher dem Rosendämon zum Opfer gefallen ist." Sein Mund war deutlich unter der Kapuze zu sehen, doch der Rest blieb im Schatten eben jener. Sie war die Tochter seines letzten Opfers, jene die er gut versteckt hatte und über welche kaum etwas bekannt schien. Sie war hier, allein, draußen? Er hatte seine Hausaufgaben gemacht und die Freunde des Vaters ausgefragt, sich sogar bei ihrem Vater selbst eingeschlichen, als enger Vertrauter. Einmal hatte er sie gesehen. Ein schüchternes Mädchen, sie hatte nicht viel gesprochen und doch hatte sie schon immer einen gewissen Anmut an sich.
    Jetzt lag sie vor ihm, von ihm verwundet. Seine Beute welche im normalen Falle nun die süße Trauer des Todes ereilte, um die wahre Schönheit ihres Seins erreichen zu können. Doch mit ihr hatte er nicht gerechnet. Sie konnte ihn schlecht kennen, geschweige denn seine geheime Identität. Wieso also war sie es, die ihn verfolgte? Hatte sie sich einfach für ihn interessiert? Er wusste nicht was, aber dieses Mädchen löste etwas in ihm aus, auch wenn man es ihm nicht ansehen konnte. Ihm war es nie untergekommen, Verwandschaft eines seiner Opfer zu treffen, geschweige denn direkt eines der Kinder. "Heute ist Euer Glückstag.", sprach er ruhig, ließ sich nichts von der Unsicherheit anmerken, welche ihn gerade im Inneren zu plagen schien. Stattdessen griff er an den noch immer in ihrer Wade steckenden Wurfdolch und zog ihn mit einem galanten Zug aus ihrem Bein. Kaum eine Sekunde später hatte er bereits den Verband in der Hand, umwickelte damit die frische Wunde der jungen Frau. Er stoppte ohne Weiteres die Blutung, während er ihre Blicke auf sich spürte.
    Warum tat er das? Wieso tötete er sie nicht einfach? Doch dieser Blick in ihre Augen verrieten ihm etwas, was ihm Angst bereitete. Etwas, dass tief in ihr schlummerte und Schmerz, den sie durchgemacht haben musste.


    Als Letztes zog er schließlich ein kleines Bündel an Kräutern aus einer seiner Taschen, betrachtete es. "Warum verfolgt Ihr mich? Was bringt es Euch?", stellte er offen die Frage, nichtsahnend um ihre Einschränkung. "Außer Verletzungen und vielleicht sogar den Tod werdet Ihr nichts finde, dass müsste Euch doch sicherlich bewusst sein, oder?" Beinahe als ob nichts geschehen wäre, hielt er ihr das Kräuterbündel hin, welches sie kauen sollte. Es würde den Schmerz wesentlich erträglicher machen. "Was erwartet Ihr Euch davon, ausgerechnet mir zu folgen?", stellte er abschließend, während er mittlerweile ganz von ihr abgelassen und sich neben sie gehockt hatte.

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  • Der Schmerz bohrte sich wie ein fieser Stachel in ihre Wade und liess sie taumeln. Emilias erschrockener Schrei verhallte ungehört in der Seitengasse, als sie hart zu Boden stürzte und der Aufprall ihr die Luft aus den Lungen presste. Sich der Gefahr bewusst, versuchte sie sich ungelenk aufzurappeln, doch bei dem Versuch das Bein zu belasten, wurde ihr schwindlig. Im nächsten Moment sah sie bereits einen Schatten auf sich zu schnellen, der sie unsanft herumriss und auf den Rücken warf wie einen wehrlosen Käfer. Der Angreifer schien geübt in seinem Tun, denn sogleich fixierte er sie geschickt am Boden. Emilia versuchte sich verzweifelt aus dem Griff zu entwinden, dachte sie doch, dem Tod ins Auge zu blicken.


    Ihr Herz pochte wie wild und die Furcht stand ihr ins Gesicht geschrieben. Doch erst, als sie das metallische Funkeln des Dolches in seiner Hand bemerkte, löste dies ihre Urinstinkte aus. In ihrem Innern tobte die Löwin bereits, da sie nicht herausgelassen wurde, um zu kämpfen, während die Hauskatze sich in den hintersten Winkel ihres Seins zurückzog und die Vernunft ziemlich unglaubwürdig versuchte, das Raubtier zu beruhigen.
    Emilia spürte im selben Moment ein bekanntes Kribbeln unter ihrer Haut, als würden tausende Ameisen darunter herumkrabbeln.
    Die Gestaltwandlerin wusste, was nun folgen würde und es erfüllte sie mit Angst, denn ihre Instinkte übernahmen offensichtlich das Kommando, was zu unvorhersehbaren Taten führen konnte.
    Ihre Pupillen weiteten sich in der Dunkelheit katzenartig, ein erstes Anzeichen der sich aufdrängenden Verwandlung wie auch die geblähten Nasenflügel. Als nächstes würde sich ihr Körper vom Rücken her mit Fell überziehen, und gleichzeitig Krallen, Zähne, Ohren und Schwanz ausbilden, bevor dann auch das Skelett seine Figur verändern würde. Normalerweise geschah dies alles gemächlicher, entspannter und schmerzloser, doch in dieser tödlichen Situation pumpte ihr Herz das Adrenalin durch jede Pore ihres Körpers, was den Vorgang um ein Vielfaches beschleunigte.


    Dann jedoch zögerte der Fremde und der Dolch verschwand aus ihrem Sichtfeld, noch bevor sie mit der scharfen Klinge ein weiteres Mal in Berührung kam.
    Sein Blick bohrte sich in den ihren und dann bewegten sich seine Lippen: „…Tochter des Frederick von Kreuzenstein, welcher dem Rosendämon zum Opfer gefallen ist.“
    Die ersten Worte entgingen ihr, doch dann zuckte Emilia zusammen, als sie den Sinn erfasste. Gleichzeitig wurde sie sich aber auch bewusst, dass er noch nicht vorhatte, sie zu töten. Sogleich begann die Vernunft einen Ringkampf mit dem Beschützerinstinkt, und ging dabei siegesreich hervor. Unmerklich bildeten sich die Pupillen zurück und das Kribbeln liess nach, ohne jedoch gänzlich zu verschwinden.


    Woher kannte er sie?
    Emilia konnte sein Gesicht unter der Kapuze nicht erkennen, denn es lag völlig im Dunkeln. Die Form seines Kinns und die fein geschwungenen Lippen kamen ihr vage bekannt vor, doch sie konnte sich nicht entsinnen woher. Dies war ein befremdliches Gefühl für Emilia, denn sie besass eine hervorragende Erinnerungsgabe. Es musste an seinem Geruch liegen, welcher die Bilder an den Tod ihres Vaters hervorrief, und somit alle anderen Erinnerungen überschattete.


    Während sie sich zu erinnern versuchte, starrte sie ihn weiterhin gebannt an. Sie machte sich Nichts vor. Dieser Mann würde sie vermutlich ohne mit der Wimper zu zucken töten.
    Schliesslich wusste sie, wer er war und welcher Mörder konnte schon eine Zeugin gebrauchen? Aber… konnte er überhaupt von ihrem Wissen erfahren haben? Sie hatte Niemanden davon unterrichtet.
    Emilia verwünschte sich selbst. Nun würde dieser Schuft ungestraft davonkommen. Ob er mit ihrem Körper auch ein solches Kunstwerk erschaffen würde?
    Einen kurzen Moment fühlte Emilia Enttäuschung darüber, dass sie es nicht mitansehen könnte.


    „Heute ist Euer Glückstag“, verrieten ihr da seine Lippenbewegungen.
    Nun, so würde ich das nicht gerade nennen, hätte ihm Emilia gerne geantwortet, schnappte stattdessen aber bloss nach Luft, als er den Dolch in einer geschmeidigen Bewegung aus der Wunde zog. Sofort quoll der dunkelrote Lebenssaft hervor und befleckte die Unter- und Überröcke, welche von der ruppigen Behandlung bereits arg in Mitleidenschaft gezogen worden waren.
    Meine Tante wird mich köpfen, wenn es dieser Kerl nicht vorher schon tut, schoss es der jungen Frau durch den Kopf.


    Sie zuckte zusammen, als sie die um einiges sanftere Berührung an ihrem Bein wahrnahm, das nun mit einem Verband versorgt wurde. Trotzdem musste sie dem Impuls widerstehen, sich ihm zu entziehen, denn ihr Fluchtinstinkt war noch lange nicht einfach verschwunden.
    Schliesslich zog er sich zu ihrer Überraschung etwas zurück und stöberte in seiner Tasche, um dann ein Kräuterbündel hervorzukramen und es ihr entgegenzuhalten.
    Die ersten Worte entgingen ihrer Aufmerksamkeit, doch die weiteren Fragen liessen sie erahnen, was er von ihr wissen wollte.
    Ihr fiel auf, dass es nicht schwer war, seinen Worten zu folgen, trotz der prekären Situation. Er hatte eine deutliche Aussprache, was das Lippenlesen erleichterte. Es waren Momente wie diese, wo sich Emilia fragte, wie die Stimme wohl klingen mochte.
    Fühlte sie sich rau an, wie die Rinde der alten Eiche, auf die sie vor einigen Nächten geklettert war? Oder flüssig und umschmeichelnd wie das Wasser, mit dem sie sich täglich wusch? Oder klang sie gar fröhlich und flatterhaft, wie es die Vögel waren, wenn sie morgens auf den Gibeln herumscharwenzelten und den Tag begrüssten?


    Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als er sich bewegte und sich neben ihr niederliess. Das Kräuterbündel beachtete sie aus Misstrauen nicht weiter, stattdessen setzte sie sich auf und zog reflexartig ihre Knie an den Körper heran. Erst als auch ihre Knöchel züchtig unter dem Saum versteckt waren, umschlang sie die Beine schützend mit ihren Armen. Dabei spürte sie das Pochen der Wunde schmerzhaft, als würde der Dolch erneut nach ihr stechen.
    Nachdem die Vernunft langsam wieder obsiegte und das Kribbeln verschwand, trat die Angst von Neuem hervor.
    Was sollte sie dem Mörder ihres Vaters antworten? Dass sie wusste, wer er war und was er getan hatte? Oder dass sie ihm nur zufällig über den Weg gelaufen war? Und überhaupt, wie sollte sie sich ihm verständlich machen?


    Emilia begann plötzlich am ganzen Körper zu zittern. Sie verstand die Welt nicht mehr. Kurz zuvor wollte er sie töten, sie hatte den verräterischen Glanz in seinen Augen gesehen, und nun sass er fromm wie ein Schaf neben ihr. Wolf im Schafspelz traf es wohl besser.
    Er hatte Recht, was hatte sie sich nur dabei gedacht, diesem Mann zu folgen. Hatte sie ihn überwältigen wollen?
    Obwohl… eigentlich hatte sie ja gar nicht gewusst, dass ausgerechnet ER sie aus dem Strassenlabyrinth hätte führen sollen, nachdem sie sich darin verlaufen hatte.


    Emilia versuchte erst gar nicht, Worte mit ihrem Mund zu formen, denn sie wollte sich nicht noch weiter entblössen. Ihre Finger tasteten vorsichtig über ihr Gewand, ohne dabei den Blick von ihrem Gegenüber zu wenden. Trotzdem bemerkte sie sogleich die angespannte Haltung, in welche er verfiel. Sofort hielt sie inne und bedeutete ihm, selbst nachzusehen. Er würde nichts anderes vorfinden, als ein vielfach gefaltetes und bereits teilweise beschriebenes Blatt Pergament, sowie einen frisch zugespitzten Kohlestift.


    Nachdem sie somit ihre Utensilien dem überraschten Angreifer vergegenwärtigt hatte, fing sie auch sogleich unter seinem Blick zu schreiben an. Noch etwas unsicher und mit fahriger Schrift begann sie ihre Erklärung mit den Worten „ich habe mich verlaufen“.
    Unsicher blickte sie zu ihrem Peiniger hinüber, der nicht sehr überzogen zu sein schien. Emilia hatte beschlossen, nichts von ihrem Wissen über seine Identität preiszugeben, denn damit hätte sie ihr Schicksal unweigerlich selbst besiegelt. Stattdessen liess sie weitere Wahrheiten einfliessen.
    Umso mehr sie schrieb von ihrer Flucht vor dem bedrückenden Mittagessen, über die Abhängigkeit zu ihrer Verwandtschaft und den Avancen Wilfrieds, bis hin zu der plötzlichen Beengtheit der Villa, desto mehr hatte sie das Gefühl, eine riesige Last loszuwerden. Der Kohlestift kritzelte nun schwungvoll über das Papier und füllte es mit emotionsgeladenen Worten.
    Der neutrale Zuhörer beziehungsweise Leser bewirkte einen weiteren Strom von Tränen, die jedoch eine Erleichterung für Emilia darstellten und als das Kratzen des Stifts schliesslich verstummte, waren die salzigen Spuren beinahe wieder getrocknet.

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  • Dieses junge Frau, beinahe wie ein verlorenes Mädchen wirkend, schien sehr besonders zu sein. Ihre Art ihm zu entgegnen, war sehr sonderbar und Dimicus musste sich eingestehen, dass er anfangs nicht ganz verstehen konnte. Seine Hand ruhte weiter mit dem Kräuterbündel in der Luft, stets ihr entgegengestreckt, um sein Angebot weiter aufrecht zu erhalten. "Ihr solltet es nehmen, es lindert die Schmerzen.", fügte er an, doch sie schien ganz in ihrem Kopf versunken zu sein, genau so wie die Angst in ihren Augen mehr als eindeutig zu sehen war. Es passte gar nicht wie sie da saß, verängstigt und wie ein kleines Kind verloren. Am hellichten Tage, wie sie da saß, im Hintergrund der Krach der Stadt und wie dieser in der engen Gasse widerhallte.


    Ruhig blieb er dort also sitzen, beobachtete sie und er musste zugeben, dass er mit dieser Situation vollkommen überfordert war. Dieses Mädchen ... diese Frau ... sie hatte etwas äußerst schuld- und sühnefreies an sich. Ihr Anblick jagte dem Auftragsmörder eine Gänsehaut über den Rücken, was sonst nur die wenigsten Dinge schafften. Irgendwas an ihr schaffte es, nicht daran zu denken, sie in einer seiner Kunstwerke zu verwandeln. Ganz im Gegenteil, sie löste in ihm etwas aus, was er noch nicht definieren konnte, andere aber definitiv als einen Beschützerinstinkt bezeichnen würden. Was war das, was hatte sie für eine Bedeutung? Dieses verdammte, junge Gesicht, welches die Tochter eines seiner Opfer war. Warum verfolgte ihn es so sehr, warum konnte er sein Werk nicht vollenden? Kaum hörbar und für sie nicht sichtbar seufzte er, als er sie weiter beobachtete.


    Sie hatte sich in eine schützende und wärmende Position begeben, zögerte einen Moment und genau für diesen Moment wurde die Stille und die Untätigkeit eine Qual des Wartens für Dimicus. Schließlich bewegten sich aber ihre Hände, sie wollte nach etwas in ihren Taschen greifen, doch seine Instinkte setzen ein und er spannte sich vollkommen automatisch an. Würde sie eine Waffe ziehen und sich wehren wollen? Wäre sie wirklich SO naiv? Unmöglich, selbst für ihr Auftreten. Doch über ihre Mimik und Gestik verstand, dass eben dies nicht ihre Absicht war. Ganz im Gegenteil, sie deutete auf ihre Tasche. Seine Hände griffen vorsichtig hinein und wider Erwarten zog er etwas hervor, womit er nicht rechnete. Einen Notizblock mit einem Kohlestift, Schreibutensilien, wie man sie in Professionen wie die seinen trug. Oder eben als Forscher oder aber als ... natürlich. Das ergab Sinn. Sie musste taub sein und dementsprechend stumm, doch wie hatte sie seine Worte verstehen können? Ihre Augen waren kurzzeitig auf seine Lippen fixiert, eine deutliche Antwort auf seine Frage. Verstehe. Du hörst nicht, kannst aber dennoch verstehen. Ohne weitere Bedenken händigte er ihr das Notizbuch und den Stift aus, ließ sie ohne Umschweife gewähren.


    Ihre ersten Worte waren jene, dass sie sich verlaufen hätte. Genau diesen Eindruck hatte sie auch gemacht. Mit einem Nicken bestätigte er sein Verständnis für ihre Situation, reichte ihr schließlich das Notizbuch zurück und schon im nächsten Moment konnte er den Stift wild und aufgeregt über das Papier streichen hören, ihre Augen waren wie gebannt auf ihr Schreiben fixiert und es schien beinahe so, als ob sie sich darin verlor. Dimicus konnte beinahe meinen, wäre er in diesem Moment aufgestanden und gegangen, sie hätte es nicht mitbekommen. Doch ihr Auftreten und ihre Augen zogen ihn in ihren Bann, gespannt beobachtete er sie, wie sie dort scheinbar ihre Lebensgeschichte niederschrieb. Die von ihr ausgehende Faszination brach nicht ab, ihr Antlitz und ihre Wirkung auf ihn verfehlte nicht. Interessiert folgten seine Augen immer wieder ihre Hand, versuchten einen Blick in ihre zu erlangen, doch ihr aufgeregtes Schreiben brach nicht ab und ließ ihm keine Chance. Einige Minuten vergingen und das Schaben des Papieres erstarb, schließlich reichte sie ihm ihr Notizbuch, welches er mit einem dankenden Nicken entgegen nahm und schließlich zu lesen begann.


    In diesen hastig geschriebenen Zeilen stand so viel von ihr, ihre Gedanken, die Geschehnisse der letzten Tage und schließlich auch, wie sie hier gelandet war. Hin und wieder blickte er auf, in ihre Augen, überprüfte genau ihre Reaktionen. Was er dort zu lesen bekam, welche Auswirkungen es hatte, was er einst getan hatte. Es war beinahe eine bloße Ironie, dass ausgrechnet sie ihm über den Weg gelaufen war. Das Schicksal meinte es nicht all zu gut mit ihm, oder vielleicht doch? Er wusste es nicht und vorsichtig streckte er erneut die Hand aus, die Handfläche leer und offen. Seine Position nicht verändernd, bat er wortlos um den Stift in ihrer Hand. Ohne Umschweife bekam er diesen und er begann zu schreiben: "Dieses Schicksal scheint vollkommen grausam und nicht Eures Standes angemessen. Ich weiß wer Ihr seid und was Euch vor einiger Zeit geschehen ist. Doch mich wundert es, dass man Euch nicht zutraut, Euer Erbe und die Geschäfte Eures Vaters selbst zu verwalten." Ein aufmerksamer Blick folgte schließlich nach oben, inspizierte ihre Aufmerksamkeit auf ihn. "Doch so wie hier sitzt, vor mir und völlig schutzlos, was macht ihr wiederum hier draußen? Natürlich erklärtet ihr mir das in Eurer Schrift, doch ohne Bewaffnung, nicht einmal einen Dolch durch die Straßen Drakensteins zu wandeln, ist ein gefährliches Unterfangen." Wie ironisch seine Worte doch waren. "Seid ehrlich mit mir. Wisst Ihr wer ich bin und was ich tue bzw. getan habe? Was Euch erwarten könnte?" Mit diesen letzten Worten reichte er ihr das Notizbuch und den Stift zurück, erwartungsvoll auf ihre Antwort gespannt. In ihren Augen hatte er in ihren Blicken etwas gesehen, etwas wissendes, aber für ihn weiterhin undefiniertes.

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  • Während Emilia schrieb, schien die Welt um sie herum zu verschwimmen. Nur am Rande nahm sie wahr, dass der Fremde sie beobachtete. Trotzdem war sie sich seiner Anwesenheit bewusst. Einerseits ängstigte sie seine Präsenz, denn sie spürte die Gefahr, die von ihm ausging. Andererseits hatte sich schon lange niemand mehr außer aus reinen Höflichkeitsfloskeln heraus, über längere Zeit mit ihr unterhalten. Alle sprachen zwar über sie, aber kaum jemand mit ihr.
    Und nachdem er nun so gelassen neben ihr am Boden hockte, schwand langsam ihre Furcht.
    Seine Haltung war so harmlos, dass sie sogar einen Moment lang daran zweifelte, ob wirklich dieser Mann ihren Herrn Papa getötet haben konnte.
    Nur das Vertrauen in ihren Geruchssinn liess sie weiterhin daran festhalten. Und natürlich war auch sein Verhalten ein Indiz darauf, dass er zumindest kein unbescholtener Bürger war. Sonst hätte er sie wohl kaum ohne einen triftigen Grund mit einem Dolch angegriffen.


    Beobachtete man Emilia eingehender, so stellte man schnell fest, dass ihre Gefühle gleich einem offenen Buch, für jeden sichtbar in ihrem Gesicht und ihrer Haltung zu lesen waren.
    Auch wenn sie versuchte, nur das Nötigste festzuhalten, sprach ihr Körper Bände. Beim Gedanken an ihren Vater huschte ein trauriges Lächeln über ihr Antlitz. Schrieb sie über ihre Verwandtschaft sprachen Verachtung und Wut aus ihren Augen. Und wenn der Stift von der eingefädelten Hochzeit kritzelte, schien sie hilflos in sich zusammen zu sinken.
    Wo sie anfangs noch Dankbarkeit empfunden und sich gefreut hatte, dass ihr Onkel ihr behilflich war, alle Angelegenheiten zu regeln, fühlte sie sich nun nutzlos, ausgeschlossen und überflüssig. Alle hatten sie die junge Frau anfangs umgarnt, bemuttert und getröstet, bis Emilia innerhalb weniger Wochen ahnungslos aus der Abhängigkeit zu ihrem Vater heraus übergangslos unter die Fittiche ihres Onkels geraten war.


    Trotzdem verhielt sich die junge Frau höflich gegenüber ihrer Verwandtschaft, denn sie glaubte, dass ihr Vater nichts Anderes von ihr erwartet hätte. Immerhin war auch ihr Onkel ein Geschäftsmann. Und Wilfried war schliesslich auch keine schlechte Partie. Obwohl sie keine besonderen Empfindungen für ihn hegte, wollte sie ihm eine gute Ehefrau abgeben und sich in ihr Schicksal fügen.
    Und natürlich wollte die Verwandtschaft nur das Beste für sie. Wie hätte sie denn auch alleine den Haushalt führen und die Angestellten halten können?
    So blieb schliesslich alles beim Alten… zumindest ansatzweise.


    Als sie aufblickte, trafen sich ihre Blicke. Emilia errötete und wandte schnell die Augen ab.
    Hatte er sie die ganze Zeit über auf diese Weise angestarrt?
    Sie vermochte seinen Blick nicht zu deuten und befürchtete, dass es an ihrem furchtbaren Aussehen liegen musste. Daran war er jedoch nicht ganz unbeteiligt.
    Sie strich sich die Locken aus dem Gesicht, welche sich gänzlich aus der drapierten Frisur befreit hatten und schob ihm dann das Notizbuch zu. Dabei konnte Emilia sich jedoch nicht erwehren, ihn beim Lesen zu beobachten.
    Sie machte sich innerlich darauf gefasst, dass er sie verspotten würde, wie es ihre Tante manchmal tat, wenn sie glaubte, dass Emilia es nicht bemerkte.


    Um sich etwas abzulenken, griff sie nun doch noch nach den Kräutern. Sich plötzlich des Beines wieder bewusst, schien der Schmerz auch sogleich zurückzukehren. Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse und begann vertrauensvoll auf den Kräutern herum zu kauen. Der Gedanke, dass es vielleicht ein Gift oder Ähnliches sein könnte, kam ihr in diesem Moment nicht mehr in den Sinn. Ihre Zähne färbten sich grünlich, doch davon bemerkte sie Nichts.


    Im Gegensatz zu ihr selbst, war die Miene des Fremden eine undurchsichtige Maske. Die Kapuze verbarg seine Züge zusätzlich, so dass Emilia schliesslich nervös auf ihrer Unterlippe kaute, bis er fertig gelesen hatte. Kurz darauf hielt er ihr die offene Handfläche entgegen und erhielt von Emilia auch sogleich den Stift. Sie wollte ihm sagen, dass er auch gerne sprechen dürfte, denn sie mochte die Bewegungen seiner fein geschwungenen Lippen. Gleichzeitig war sie gespannt auf seine Handschrift, denn auch diese sagte viel über einen Menschen aus.
    Er begann auch ohne Umschweife zu schreiben, und füllte das Pergament mit dynamisch eleganten Buchstaben. Fasziniert beobachtete Emilia seine Handbewegungen.


    Erst als er ihr das Notizheft zurückreichte, blickte sie auf. Seine Augen waren erwartungsvoll auf die junge Frau gerichtet. Vor lauter Nervosität musste sie heftig schlucken, wobei sie versehentlich die übrigen Kräuter mit verschlang und nur knapp einen Hustenanfall unterdrücken konnte.
    Peinlich berührt starrte sie auf die Worte und wieder drohten Tränen ihr die Sicht zu nehmen.
    Dieser unbekannte Mann schrieb, dass er ihr zutraute, den Haushalt alleine weiterzuführen. Noch niemals hatte jemand so etwas zu ihr gesagt, ob es nun die Wahrheit war oder völlig übertrieben.
    Als sie weiterlas, zog sie unwillkürlich ihre Beine wieder an.


    Nun, tatsächlich trug sie keine Waffe bei sich. Bis anhin hatte sie auch nicht gewusst, dass sich solche Gefahren in den Strassen verbargen. Als Katze wurde sie meistens übersehen, gestreichelt oder auch mal verscheucht, aber niemals hatte jemand einen Dolch nach ihr geworfen.
    Dass es ein gefährliches Unterfangen ist, weiss ich nun auch, schrieb sie und warf ihm einen unsicheren Blick zu.
    Ist es denn die übliche Begrüssung unter Bürgern Drakensteins, als Erstes die Waffen für sich sprechen zu lassen? Wie bereits beschrieben, war es nicht meine Absicht, in dieser Strasse zu stranden. Ich habe mich verlaufen, als ich Abstand suchte von der Familie. Diese Stadt ist für mich noch immer Neuland.


    Die nächste Frage liess sie stocken. Ehrlichkeit verlangte er von ihr. Sie zögerte. Plötzlich war die Furcht wieder da und klammerte sich eisig an ihr fest.
    Ihr kommt mir bekannt vor, doch ich weiss weder Euren Namen, noch kenne ich Eure Taten. Was mich erwarten könnte, darauf habt Ihr mir wohl bereits einen Vorgeschmack hinterlassen.
    Obwohl die geschriebenen Worte es nicht vermuten liessen, stockte ihr der Atem und das Herz pochte in ihrer Brust.
    Ihr angespannter Körper, als auch der plötzliche Schreck in ihren Augen, vermochten nicht zu verbergen, dass die Frage sie ängstigte.
    Um ihn abzulenken griff sie deshalb zum Stift und begann ihm mit Fragen auf den Leib zu rücken, bevor er sich dazu entschliessen konnte, weitere Antworten aus ihr heraus zu kitzeln.
    Da Ihr meinen Namen zu kennen scheint, wäre es nur gerecht, mir auch den Euren zu nennen.
    Ihr Herr Papa wäre bestimmt nicht glücklich gewesen über ihre dreist anmutenden Worte, doch sie bezweifelte, dass er jemals geahnt hatte, in was für eine Lage sie geraten würde. Womöglich hätte er ja ein Auge zugedrückt, wenn es um Leib und Leben ginge.
    Warum versteckt ihr euch in düsteren Gassen und hinter dunklen Kapuzen? Man könnte meinen, Ihr hättet etwas zu verbergen oder Ihr wäret ein Räuber wie in den Büchern. Doch gleichzeitig habt Ihr eine feine Schrift, so könnt Ihr unmöglich ein gewöhnlicher Strassendieb sein.


    Werde ich heute sterben?
    Die Buchstaben purzelten wie von selbst auf das Papier und standen im stillen Raum. Emilia hielt den Atem an.
    Seit dem Versterben ihres Herrn Papas hatte sie sich öfters Gedanken über den Tod gemacht. Und seit dem sie die Stadt des nachts erkundete, verspürte sie die Sehnsucht, mehr zu erleben, bevor auch sie dieses Schicksal einiges Tages ereilen sollte.
    Wer hätte geahnt, dass es so rasch zuschlagen würde?
    Ich würde gerne einmal bei stürmischem Wetter durch einen Wald laufen, kritzelte sie auf das Blatt, und begann mit verträumtem Blick wippende Tannen in das Notizheft zu zeichnen. Dabei lächelte sie still vor sich hin, und schien die Umgebung einmal mehr zu vergessen.
    Weisst Du, wie es dort riecht?, folgte die unverblümte und neugierige letzte Frage, wobei sie unbewusst in das vertrauliche Du überwechselte.

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  • Stets spürte er die Augen der jungen Frau auf sich, während seine Worte auf das Papier flossen und aus diesem grunde wusste er, dass sie es war, die ihn verfolgt und heimgesucht hatte. Seine Paranoia war unbegründet, schließlich schien sie vollkommen unbewaffnet und harmlos. Er fragte sich, wie sie es so allein und umherstreifend ohne einen Kratzer bis zum ihm geschafft hatte. Letztendlich würden sie die meisten Männer als Frischfleisch zum Fangen betrachten und es kam nicht selten vor, dass plötzlich eine Frau in den Straßen Drakensteins verschwand, wenn sie vollkommen schutzlos war, verstand sich. Natürlich hatte der Künstler auch dazu beigetragen, dass die Straßen sich etwas mehr leerten, doch er tötete stilvoll in den Schlafzimmern und Gemächern seiner Kunstwerke. Keine Vergewaltigungen, kein Sex, kein niederes Treiben. Nur die pure Gewalt seiner Fähigkeiten.


    Die Emotionen Emilias, ihr Gesicht wie sie in die verschiedensten Stimmungen zu wechseln schien, als sie ihre Worte niedergeschrieben hatte. Es war wahnsinnig spannend, ihre Regungen zu sehen und zu interpretieren, diese junge Frau, sie hatte etwas an sich ... er konnte es sich nicht erklären. Zumal sie noch mutig war, die meisten hätten schon bei seinen Taten erneut versucht zu flüchten, ihn zu überwältigen oder zumindest nach lautstark nach Hilfe gerufen. Doch Emilia behielt trotz ihrer Furcht die Fassung, auch wenn sie wohl am liebsten etwas gegen die vorherrschende Situation getan hätte. Doch, um es genauer zu betrachten, was hatte dieses Geschöpf zu verlieren, wenn er erblickte was ihre Geschichte war. Maßgeblich hatte er dazu beigetragen, wenn er es so sah. Unmut machte sich in ihm breit, gar Mitgefühl? Das konnte nicht sein, äußerst unwahrscheinlich war es noch obendrein. Stattdessen konzentrierte er sich lieber voll und ganz auf das aktuelle Geschehen und beobachtete diese junge Frau genauestens, als sie ihre Antworten niederschrieb.


    Es weckte ein großes Interesse in ihm, wie sie es tat. Vollkommen gedankenversunken und konzentriert ging sie ihrer Arbeit nach, sie wirkte wie er, wenn er malte. Wirkte er so, wenn er sich seinen Meisterwerken widmete? Dieses Feingefühl, die Emotion in den Augen und dann doch dieses ungebändigte Feuer in den Augen. Wunderschöne, minzgrüne Augen, die in diesem Moment einen solchen Ausdruck zum Tragen brachten, als wenn es nur im Angesichte seiner selbst war und er seinem neuen Werk den Dolch durch die Kehle trieb. Für einen Moment schloss er die Augen und genoss dieses Bild, doch fing sich schnell wieder, er musste sich konzentrieren. Genau schaute er, wie schnell sie schrieb und welche Gestik sie an den Tag legen würde, wenn sie es schrieb. Es würde ihm helfen, Lügen genauer erkennen zu können und abschätzen, welche geschriebenen Worte der Wahrheit entsprachen. Somit wartete er also geduldig neben Emilia, deren Worte in Form von Tinte aus das Papier flossen. Zwei Mal erkannte er, dass sie für einen ganz kurzen Moment innehielt und überlegte, ihre Mimik unsicher wurde. Momente der Lügen. Er lächelte nur etwas unter seiner Kapuze.


    Letztendlich erstummte abermals der Stift auf dem Papier und er bekam das Notizbuch gereicht, worauf er sofort zu lesen begann. Seine Augen fixierten sich fest auf das Papier, zählten genau ab wann sie was geschrieben hatte. Es war eine höchst anstrengende Aufgabe und so verlor er sich darin, in diesem Moment hätte sie ihn vermutlich sogar überraschend überwältigen können, wenn sie es gewollt hätte. Doch nach ein wenig Zeit, erkannte er die Dinge, bei denen sie gelogen hatte. Sowohl über das warum sie in dieser Gasse landete, als auch über den Fakt, dass sie mehr über ihn wusste, als sie zugeben wollte. Naives Mädchen, aber du hast es versucht. Ein letztes Mal blickte er zu ihr auf, musterte sie und genau in diesem Moment wusste er, was er ihr auf ihre Fragen antworten würde.


    Der Künstler ließ sich den Stift geben, begann schließlich zu schreiben: "Es ist nicht die erste Wahl jemanden mit Waffen zu bedrohen oder als Begrüßung anzugreifen, allerdings müsst Ihr ... musst du bedenken, dass man hier sich schnell verfolgt fühlt und die Straßen unsicher sind. Lieber greift man zuerst zur Waffe, als zuerst zu sterben." Ein weiterer Blick nach oben musterte Emilia. Die bekam ein Lächeln unter der Kapuze heraus geschenkt. "Wenn du dich verlaufen hast, sollte ich dich besser zurückbringen und du etwas aus deinem Schicksal machen, statt dich diesem zu beugen. Ansonsten könnte jeder, selbst die Namenlosen wie mich, eine entscheidendere Rolle in deinem Leben spielen als du selbst. Menschen wie ich verstecken sich nicht, doch sie müssen vorsichtig sein, weil es zahlreiche böse Kreaturen und Wesen gibt, die jemandem wie mir ans Leder wollen. Mein Leder ist mir kostbar."


    Zu guter letzt kam er bei ihren letzten Worten und Fragen an, sah die verspielten Zeichnungen von Tannen in dem Notizbuch. Sie war unschuldig und aus diesem Grunde in den Augen des Mörders so sonderbar. Jedes seines Meisterwerke hatte immer einen bewegten Hintergrund, doch ihr ist nur Schlimmes widerfahren, sie hat es aber nicht verursacht. "Du wirst nicht sterben, nicht durch meine Hand.", schrieb er. Sein Innerstes rebellierte, dieses wandelnde Kunstwerk zu verfeinern, er musste herausfinden warum. "Doch ich kann dir sagen, wie die Tannen duften. Eine Mischung aus frischem Holz, gepaart mit taufrischer Nässe. Ein herrlicher Duft. Du solltest das nicht verpassen." Leise seufzte er auf, als er sich an deine Zeit im Wald zurück erinnerte, der Duft der Bäume wenn es regnete. Vermutlich hatte sie noch nie etwas derartiges erlebt. Es war eine Schande für ihn, dass die meisten Städte so sind und groß werden, vor allem die Adligen. Mit einem leichten Kopfschütteln diesbezüglich reichte er ihr das Buch zurück, lächelte dann aber in einem ungewöhnlich warmen Lächeln.


    Kurze Zeit beobachtete er sie, als sie seine Antwort zu lesen begann, wie ihrer Augen über das Papier huschten und die darauf geschriebenen Worte verstanden. Doch nur kurze Zeit nutzte er die Ruhe um dies zu tun, als er sich schließlich wieder erhob und für einen kurzen Moment seine Ausrüstung unter dem Mantel hervorzublitzen schien. Die lederne Rüstung, die Dolche und die Taschen. Mit Feingefühl achtete er darauf, es alles wieder zurecht zu ziehen, ehe er sich einmal von Emilia wegbewegte, sie aus den Augen ließ. Sein Blick schweifte über die Straße, um genau zu sein zu dem Ausgang der Gasse. Etwas sagte ihm, dass die Situation nicht stimmte. Doch vorerst sagte er nichts, ließ es so wirken und Emilia schreiben.


    Seine Schritte glitten ruhig und langsam vor der jungen Frau entlang, als er sich ein wenig bewegte, um seine Umgebung genau im Blicke zu behalten. Mit dem Auge eines Malers, mit dessen er auf die Richtigkeit der Pinselstriche achtete, so beobachtete seine Augen jetzt Schatten und Bewegungen die nicht hierher gehörten. Tatsächlich fiel ihm etwas auf, etwas sich zu nähern schien. Zwei Personen, Männer, aus der Entfernung mit Stadtwachen. Ihre Stimmen hallten in der Gasse entlang, sie sprachen etwas von einem vermissten Mädchen. Braunes Haar, minzgrüne Augen. Sein Gesicht verzog sich nicht, doch er wusste, wenn er hier mit ihr gesehen würde, wie sie verletzt wurde, man würde ihn sofort verhaften wollen.


    Sofort machte der junge Mann kehrt, ging direkt zu Emilia, die noch beschäftigt schien. Er stellte sich direkt vor sie, berührte sie sanft am Knie um auf sich aufmerksam zu machen. "Wir müssen weg.", sagte er, ihm durchaus bewusst wie sie ihn vorher hatte verstehen können. "Wenn du nicht wieder eingesperrt und ich nicht Ärger bekommen will, müssen wir weg." Damit reichte er ihr die Hand, er hasste es dies tun zu müssen. Zumal er hätte einfach verschwindne können, doch er musste dabei an sie und ihrem Schicksal denken. Welche frevelhaften Tölpel würden solch ein Mädchen einfach einsperren, die Kunst die sie selbst war, der Öffentlichkeit vorenthalten. Somit bot er seine Hand dar, als Geste der Hilfe und hoffentlich war sie bereit, diese auch anzunehmen.

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  • Nun war es an Emilia, ihn genau zu beobachten. Er war vertieft in ihre Buchstaben und Emilia fragte sich unwillkürlich, ob er ihre Schrift so schlecht entziffern konnte. Er schien mit den Gedanken weit fort zu sein, doch als er aufblickte, meinte sie ein wissendes Lächeln zu erkennen.
    Er begann auch sogleich zu schreiben und ihre Fragen zu beantworten, jedoch nicht alle, wie sie kurz darauf feststellen musste.
    Offensichtlich wollte er ihr seinen Namen nicht preisgeben.
    Nun gut, dann werde ich ihm eben selbst einen Namen geben!, dachte sich Emilia und beschloss, den Fremden gedanklich Nolwar zu nennen, angelehnt an Noldil und Ainuwar.
    Gierig huschte ihr Blick über seine Worte, auch wenn sie nicht sicher war, ob sie alle Antworten wissen wollte.
    Als sie las, kniff sie die Augen etwas zusammen, und eine feine Falte bildete sich zwischen ihren Augen, als sie über das Geschriebene nachdachte.
    Sie musste ihm Recht geben.Tatsächlich hatte sie ihn verfolgt, zwar nicht auf dieselbe Weise, wie beim letzten Mal, denn heute war sie nicht über seine Person im Bilde gewesen.
    Trotzdem nahm sie ihm die Ausrede nicht ab. Sie wusste seine Anspannung ja schliesslich besser einzuordnen.


    Die weiteren Worte verwirrten sie.
    Was sollte sie denn anderes aus ihrem Leben machen, als das, was sie bisher getan hatte? Nun gut, irgendwann würde sie bestimmt Kinder bekommen und somit einen Erben ins Haus bringen. Das war die Aufgabe einer Frau. Zudem würde sie hübsch aussehen bei den Festlichkeiten und die Diener auf Trab halten, so dass sie ihre Aufgaben zur Zufriedenheit des Gatten erfüllten mochten. Was meinte er denn?
    Zahlreiche böse Kreaturen und Wesen?
    Emilia blickte ihn ungläubig an. Meinte er das ernst?
    Und sie hatte gedacht, sich bereits jetzt in grosser Gefahr zu befinden. Er musste die Welt noch so viel besser kennen als sie selbst!
    Als sie seine weiteren Worte las, entspannte sie sich. Auch wenn es natürlich sein konnte, dass er sie belog, wollte sie nur allzu gerne glauben, dass sie ihr Leben noch weiter geniessen dürfte. Als er dann noch vom Wald und den Tannen schrieb, trat wieder der verträumte Ausdruck in ihr Gesicht. Du solltest das nicht verpassen…
    Sie wollte gerade die Frage aufschreiben, welches denn der kürzeste und sicherste Weg dorthin wäre, denn sie malte sich bereits aus, wie sie ihre Krallen an den Tannen wetzen würde, als er plötzlich völlig unerwartet hochsprang. Sie hatte seinen beobachtenden Blick nicht bemerkt, so vertieft war sie in die Buchstaben.


    Irritiert blickten ihre Augen ihm hinterher und vor Schreck hatte sie den Kohlestift fallen gelassen, so dass er über den Boden davonrollte. Sie folgte seinem Blick, konnte aus ihrer Position jedoch nichts erkennen.
    Wollte er verschwinden? Sie einfach hier zurücklassen?
    Gerade erst hatte er doch noch von den Gefahren erzählt, die es hier gab. Vielleicht wollte er sie bloss nicht selbst töten, sondern abwarten, bis ein anderer dies übernähme.
    Völlig unerwartet wandte er sich jedoch um, und kehrte zurück. Sie hatte unterdessen ihr Notizheft wieder in das Gewand gleiten lassen und tastete am Boden nach dem verlorenen Stift. Er berührte ihr Knie und sie merkte auf, nicht ohne dabei das Bein unwillkürlich anzuziehen. Er überrumpelte sie mit den Worten und sie verstand ihren Sinn nicht, so dass sie nur fragend zu ihm aufblickte.
    Bevor er jedoch das Gesagte wiederholen und sie seinen Lippenbewegungen folgen konnte, nahm auch Emlia die Bewegungen in ihrem Sichtfeld wahr.
    Sie bemerkte, wie der Fremde ihr die Hand entgegenreckte und nach kurzem Zögern griff sie danach und liess sich von ihm auf die Beine helfen.


    Im selben Moment sah sie die vier Gestalten und erkannte in zweien davon ihren Onkel und den zukünftigen Ehegatten.
    Erschrocken und überrascht zugleich starrte sie die beiden an, und vergass dabei, ihr Bein zu schonen. Sogleich schoss der Schmerz hinein und sie drohte einzuknicken, nur ein unwillkürlicher Griff nach dem Mann neben ihr hielt sie vom Sturz ab. Sie spürte seine Arme, die sie reflexartig auffingen und einen Augenblick fühlte sie sich wie in einem Märchen, wo der Prinz die Prinzessin rettete.
    Kurz darauf standen die vier Männer bei ihnen. Ihre Blicke waren ganz unterschiedlich zu deuten. Die Wachen schienen erleichtert, die junge Frau aufgefunden zu haben, und so bald den wohlverdienten Feierabend mit einem Krug Met zu geniessen. Die Umstände schienen ihnen nicht wichtig zu sein, und nachdem die junge Frau offensichtlich keine Angstschreie von sich gab, vermuteten sie auch keine Gefahr in dem Burschen, der sie stützte.


    Ähnlich ging es auch ihrem Onkel. Erleichtert darüber, dass sie aufgefunden worden war, denn sonst wäre das Erbe für seinen Sohn verloren, lächelte er einen Moment selig. Im nächsten Augenblick begann er jedoch auch schon mit Emilia zu schimpfen, weil sie einfach davongelaufen war. Diese war froh, dass sie die Schmach wenigstens nicht mit anhören musste und drückte sich instinktiv mehr an den stützenden Arm an ihrer Seite. Nachdem ihr Onkel sie genug getadelt und ihr Hausarrest aufgebrummt hatte, wandte er sich gönnerhaft an den Retter, denn auch er hatte nur beobachten können, wie dieser seiner Nichte auf die Beine half.
    „Wie kann ich Ihnen bloss danken, dass sie das Mädchen gefunden haben! Das törichte Kind hat sich wohl verlaufen. Wer weiss, wo sie sich überall herumgetrieben hat, so wie sie aussieht“, sein Blick blieb dabei auf ihrem schmutzigen Kleid und den zerzausten Haaren haften.
    „Wenn Sie mögen, lade ich Sie gerne einmal zu einem Mittagessen ein. Nein, das ist keine Frage, sondern eine ausdrückliche Bitte. Wir sind so froh, dass es unserer Emilia gut geht, dafür sollen Sie wenigstens mit einem ausgiebigen Mahl und einem Becher bestem Wein verdankt werden!“, er klatschte dem Mann mit einem Grinsen die Hand auf die Schulter und war zufrieden mit sich, weil er sich so einen teuren Finderlohn sparen konnte.


    Nur Wilfried starrte Dimicus misstrauisch an und seine Augen waren kalt. Er traute dem Kerl nicht über den Weg und hielt ihn für einen Vagabunden. Seinen Vater hielt er für leichtgläubig. Im Grunde war es ihm egal, was mit Emilia geschah. Doch da sie ihm bereits versprochen wurde und er sie als sein Eigentum betrachtete, wollte er sie nicht beschmutzt sehen. Und ausserdem hing ja auch noch eine grosse Erbschaft an ihr. Besitzergreifend fasste er deswegen nach Emilia und zog sie von dem Mann weg.
    „Wir brauchen Eure Hilfe nun nicht mehr!“, meinte er nur befehlsgewohnt.
    „Komm Liebste, lass uns nach Hause gehen. Dort wirst du ein feines Bad erhalten und etwas zu Essen, du siehst hungrig aus!“, ein Lächeln umschmeichelte seine Lippen, das jedoch seine Augen nicht erreichte. Als er bemerkte, wie Emilia stolperte, hob er sie kurzerhand schwungvoll hoch und schritt mit ihr von Dannen. Ihr Blick blieb dabei an ihrer unwirklichen Begegnung hängen, bis er ausser Sichtweite war.
    „Du hast Recht, Wilfried. Es ist besser, wir machen uns auf den Heimweg. Deine Mutter sorgt sich bestimmt um uns. Ich danke Ihnen meine Herren!“, den Wachen drückte er je eine Münze in die Hand, bevor er sich noch einmal an Dimicus wandte: „Noch einmal meinen Dank. Kommen Sie doch Morgenabend zum Essen vorbei. Unsere Köchin ist auf almanisches Essen spezialisiert, die Goblinküche ist ja manchmal sehr eigen. Ich erwarte Sie um 19 Uhr beim Anwesen der Familie Kreuzenstein in der Arkadenstrasse“, damit rauschte er auch schon den beiden hinterher, die es bereits zur Strasse geschafft hatten, wo eine eiligst herbeigeorderte Kutsche bereits wartete.

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  • Mit diesen Reaktionen seitens der offensichtlichen Verwandschaft Emilias hatte der junge Künstler nicht gerechnet. Ganz im Gegenteil. Ihre Mimik, zumindest die des Redners und der Wachen ließen keine Frage offen, dass sie ihn als Bedrohung wahrnahmen. Zum Glück, denn das Mädchen hatte zu lang gezögert und er hätte sich einer gefährlichen Flucht hingeben müssen. Doch dieser Fall trat schließlich nicht ein. Somit blieb er geschont, doch was er als Nächstes erleben sollte, ließ ihn einfach nur leicht ratlos zurück.
    Sie hatte seine Hand gegriffen und tatsächlich seine Hilfe annehmen wollen, doch noch bevor überhaupt ein Wort gesprochen wurde, so schien Emilia vollkommen unruhig und noch in diesem Moment belastete sie ihr Bein. Noch aus dem Augenwinkel bemerkte er ihre wankende Bewegung, sein Arm glitt um sie, um den drohenden Sturz und somit eine weitere Verletzung zu vermeiden. Ein unaufälliger Blick glitt zu ihr hinüber, sie schien nicht gerade glücklich über die plötzliche Begegnung zu sein. Ihr Unwohlsein und die Überraschung waren fast gar nicht zu übersehen, so wunderte er sich über die plötzliche Härte, mit denen die Verwandtschaft mit ihr sprach.
    Nicht dass es ihn etwas anging, doch er nahm mehr an ihrem Leid teil, als alle Anwesenden wohl vermuteten. Vermutlich war er der Grund, weshalb sie mit diesen Menschen etwas zu tun haben musste, die sie förmlich bevormundeten und wie ein Tier zu ihren Eigentum zu machen schienen. In seiner Annahme bestätigt fühlte er sich schließlich noch, als sich Emilia noch mehr an seinen Arm anschmiegte, beinahe schützend seine Nähe suchte, als die nahezu elterlichen Worte über sie niedergingen. Mit ihr musste der Reichtum der Familie bestimmt werden und somit wurde sie zu einem Spielball herrischer Verwandter.
    Dimicus wusste nicht warum, aber als er in dieser Situation steckte, vollkommen zwischen zwei Fronten stehend, hätte er sich beinahe vor Emilia gestellt, schützend. Dieser Drang in ihm ... es machte ihn wahnsinnig. Diese Frau, unbedarft und naiv, löste etwas Unbekanntes in ihm aus. Wieso tat sie das, sie hatte keinerlei Bedeutung für ihn. Doch stand sie da, ließ die Schmach über sich ergehen, während sie sich an ihn drückte, an ihren Peniger. Er verstand es nicht, seine Gedanken konnte er dazu nicht einordnen, somit tat er, was er am besten konnte: sich nichts anmerken lassen und die Fremden reden lassen.
    Seine Miene, ob er die Kapuze abgesetzt hätte oder nicht, verzog sich kein einziges Stück. Sein Ausdruck schien einfach nur konzentriert, aber auch leicht distanziert, selbst als einer der Männer sich ihm näherte und ihn direkt ansprach. Das Lob das er bekam, wenn sie wussten. Es war beinahe eine Beleidigung für Emilia, dass sie ihn dafür lobten, dass er sie "gefunden", verletzt und schließlich sich mit ihr unterhalten hatte, während sie in Angst war, die er verursacht hatte. Mit einem Nicken und einem freundlichen Lächeln welches aus der Kapuze hervorblitzte sprach er: "Habt Dank, natürlich nehme ich diese Einladung sehr gern an." Doch schon im nächsten Moment wurde der Augenblick zerrissen, als ein weiterer Mann dessen name Wilfried zu sein schien, sich Emilia einfach wie eine Puppe griff und weghievte. Die Augen der jungen Frau betrachteten ihn, in ihnen lag etwas, was er nicht definieren konnte.
    Dieser unhöfliche Flegel, welcher mit Sicherheit nicht einmal den Sinn der Kunst verstand, zog von dannen, während der vorherige Sprecher nochmals mit Dank an ihn wandte. Dieses Mal bestätigte der junge Mann allerdings einfach nur mit einem Nicken, abwägend ob er dies wirklich in Kauf nehmen sollte, zu einem Tatort zurückzukehren. Ein Fehler den viele Kriminelle machten, doch er war sich sicher, nicht so naiv wie der Pöbel zu sein. Ein wenig musste er sich herausputzen, sich Gesellschaftstauglich machen wie einst an dem Tage, als er mit dem Vater am Tische gegessen hatte. Ein unnatürlicher Drang zwang ihn, herauszufinden was es mit diesen Menschen und schließlich mit Emilia wirklich auf sich hatte. Er musste extrem vorsichtig sein, doch zuvor wartete Malik auf ihn und ein Auftrag, der etwas Größeres für diese Stadt bedeuten würde...


    Am nächsten Tage, abends...


    Nackt fühlte er sich, wenn man es so ausdrücken mochte. Er verachtete die Sitte und die Eitelkeit des Adels, doch waren sie notwendige Dinge die er hatte lernen müssen, um in höheren Kreisen nicht aufzufallen. Somit wusste er auch, wie er sich zu kleiden hatte, wie er zu wirken hatte wenn er sich in ein Adelshaus einschlich. Oder zumindest in die Häuser gehobener Menschen. Klientel, welches er meist seinem Portfolio hinzufügte. Doch leider erforderte es ein gewisses Maß der Anpassung, weswegen er nicht wie üblich Rüstung und Mantel trug. Stattdessen hatte er sich ein aus Seide gefertigtes, schwarzes Hemd angezogen, darüber eine Weste aus feinstem Leder, verziert mit diversen Ornamenten die sich über die Oberfläche rankten. Seine Hose bestand aus gefüttertem Leder, welches blutrot eingefärbt wurde. Das ganze rundeten noch edle lederne Schuhe ab. All das verlieh ihm den Gesamteindruck eines jungen Adligen, ja beinahe eines Prinzen. Sein Körper war rein und ein Parfüm mit Rosenduft erfrischte die Luft um ihn herum. Seine Haare waren nicht wild zersaust wie sonst, sondern gepflegt nach hinten gelegt und das überschüssige Haar zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Das Einzige, was allerdings niemand ahnen konnte, waren seine beiden Dolche, welche versteckt unter seiner Weste ihren Platz gefunden hatten. Ganz wehrlos würde er nicht umherstreifen, vor allem in diesem Aufzug.
    Er selbst wusste nicht was ihn an seinem Ziel erwarten würde, als er durch die von Straßenlaternen beleuchteten Gassen spazierte, direkt auf das Haus der Familie von Kreuzenstein zu. Nicht einmal im Geringsten ahnte er oder wusste er, was er überhaupt damit erreichen würde, sich dorthin zurück zu bewegen. Eine Falle konnte es nicht sein, niemand hatte ihn bemerkt und als man sein Werk bemerkt hatte, war er bereits verschwunden. Vielleicht einfach nur das Erfüllen einer höflichen Floskel? Vermutlich. Doch es gab nur einen Weg es herauszufinden und wenn sich doch etwas anbahnen sollte, würde er sicherlich nicht nein zu einem Familienportrait sagen. Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Grinsen bei der Vorstellung, eine neue Herausforderung seines Genies wäre es.
    Fragen über Fragen begannen sich aber noch auf seiner Anreise in seinem Kopf zu sammeln. Was tun, wenn...? Bei Angriffen seitens der Familie musste er schnell die Initiative ergreifen und fliehen. Bei Verdacht auf das Wissen um seine Identität musste er sofort handeln und jeden ausschalten. Bei Fragen bezüglich seiner Person musste er die richtigen Antworten parat haben. Oder besser gesagt, die richtigen Lügen. In seinem Kopf setzte sich ein Plan nach dem anderen fest, um mit jeder erdenklichen Situation fertig werden zu können. Er hoffte bereit zu sein, doch Hoffnung war nicht angebracht. Denn er besaß das Wissen, die Situationen komplett unter Kontrolle haben zu können.
    Es verging kaum mehr Zeit, als er sich schließlich dem Anwesen der Familie näherte. Imposant war es durchaus, groß und hübsch verziert. Seiner Meinung nach fehlten hier und dort Rosen, doch auch ein wenig rote Farbe hätte dem Haus nie geschadet. Auf jeden Fall trat er schon bald an die Tür des stattlichen Hauses heran, kurz nachdem er ein paar Stufen vor dem Haus genommen hatte. Nun stand er dort, an einer großen Tür die zum Klopfen einlud. Dieser Einladung widerstand er auch nicht lang, als er seine Hand zu einer Faust formte und bestimmt an die Tür klopfte. Mehrere Sekunden vergingen, in denen das Echo des Klopfens erstarb, ehe sich Schritte von der anderen Seite näherten, zwei Schlösser entriegelt und schließlich die Tür geöffnet wurde. Vor ihm stand eine junge Frau in der Bekleidung eines Dienstmädchens, welche ihn sofort mit höfischem Knicks und einer freundlichen Stimme fragte: "Was ist Euer Wunsch, mein Herr?" Er musterte sie einmal, doch antwortete fast ohne Umschweife: "Ich wurde zum Essen der Familie Kreuzenstein eingeladen, aufgrund meines Fundes von Emilias in den Straßen von Drakenstein." Für einen Moment schien das Mädchen zu überlegen, doch im nächsten Moment erreichte sie wohl die Erinnerungen, als sie zur Seite trat und schließlich erwiderte: "Natürlich! Bitte trete ein und wartet hier, ich hole den Hausherren um Euch zu empfangen." Mit einer leichten Verneigung gegenüber der Maid trat er ein, während sie die Tür hinter ihm verschloss und schließlich in die Richtung von mehreren Stimmen verschwand, den jungen Künstler allein zurücklassend. Dieser wiederum blickte sich um und betrachtete die Dekoration des Eingangsbereiches, die Gemälde und das Porzellan. Die Malerei hatte keinerlei Klasse, doch die Vasen gefielen ihm. Doch natürlich harrte er vollkommen ruhig aus und wartete, bis man ihn empfangen würde.

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  • Erst als sie zu Hause ankamen, Emilia auffällig vorsichtig aus der Kutsche stieg und dabei ihren Rock mit einer Hand etwas hochzog, um nicht darüber zu stolpern, bemerkte als Erste ihre Tante Lucinda die Beinverletzung. Erschrocken schlug sie die Hände vor den Mund, um gleich darauf nach der Zofe Gisela zu rufen und sie anzuweisen eine Heilerin herbei zu beordern und ein warmes Bad einzulassen.
    Eine Stunde später hatte Emilia sich reingewaschen und wurde von Madame Luna versorgt.
    „Es ist keine tiefe Wunde, und mit Hilfe des Umschlags und diesen stärkenden Kräutern wird sie schnell verheilen. Doch es scheint, als ob das Mädchen angegriffen wurde, denn so eine Messerwunde entsteht nicht durch einen einfachen Sturz. Sie sollte ein paar Tage ruhen, um sich auch seelisch von dem Schock erholen zu können. Ausserdem empfehle ich ihr abends etwa einen halben Becher von diesem Saft gemischt mit Wasser zu trinken. Er wirkt beruhigend, damit wird sie besser schlafen können.“
    Sie sprach ihre Worte sowohl an die Tante, als auch an Emilia, welche sich jedoch kaum mehr konzentrieren mochte. Sie war froh, als Madame Luna sich endlich verabschiedete, nachdem sie ihr einen halben Becher von der grünlichen Flüssigkeit eingeflösst hatte, und vernahm ihre letzten Worte nicht mehr, welche sie mit ernstem Blick an den beiden Frauen verdeutlichte.
    „Nehmt nicht mehr als den halben Becher am Tag, sonst könnten Nebenwirkungen auftreten, die von schlechten Träumen bis hin zu Halluzinationen führen. Nun gehabt euch wohl, und wenn die Wunde sich verschlimmern sollte, könnt ihr mich jeder Zeit rufen.“
    Lucinda drückte ihr einige Münzen in die Hand und noch während sie die Heilerin zur Tür geleitete, versank Emilia in einem traumlosen Schlaf.


    Am nächsten Tag erwartete ihr Onkel einen Bericht über die Geschehnisse. Der Kräuterumschlag und der Saft taten ihre Wirkung und Emilia fühlte sich so gestärkt, dass sie sich schriftlich mitteilen konnte.
    Kurz überlegte sie den Verwandten von ihrem Verdacht zu berichten, dass der kommende Besucher der Mörder ihres Vaters sei. Sie stellte sich bereits vor, wie man ihn festnehmen und für seine Tat bestrafen würde, was tatsächlich ein befriedigender Gedanke war.
    Aber man würde natürlich Beweise von ihr fordern, doch diese fehlten. Sie konnte wohl kaum behaupten, dass sie seinen Geruch wiedererkannte. Sie seufzte, was ihre Tante Lucinda als Erschöpfung auffasste.
    „Alfonso, du solltest sie nicht so quälen. Madame Luna erteilte dem Kind Bettruhe. Wenn du sie heute Abend wirklich beim Mahl dabeihaben möchtest, sollte sie nun etwas schlafen.“
    Der Onkel wollte dem bereits zustimmen, doch da mischte sich Wilfried ein, der bis anhin mit mahlenden Zähnen still verharrt hatte.
    „Nein, sie wird uns jetzt davon erzählen. Wer weiss, vielleicht wurde sie noch weiter geschändet und davon möchte ich Kenntnis haben!“, bestimmt schob er Emilia Stift und Pergament zu.
    Diese hatte den Wortwechsel nicht mitverfolgt, noch immer überlegte sie fieberhaft, was sie schreiben sollte.


    Ich habe mich in den Strassen verlaufen, als ich frische Luft schnappen wollte. Dabei bin ich wohl in die unsicheren Gassen gelangt, wo mir ein Bettler aufgelauert hat. Er hat mich angeschrien, doch ich habe seine Worte nicht verstanden und wollte fliehen. Da hat er mich mit dem Messer angegriffen. Ich hatte bereits mit meinem Leben abgeschlossen, doch da tauchte Er auf. Der Bettler ist bei seinem Anblick geflohen. Er hat mir auf die Beine geholfen, und in diesem Moment seid glücklicherweise ihr beiden mit den Wachen aufgetaucht.


    Wilfrieds Augen funkelten noch immer misstrauisch, doch Alfonso tätschelte ihm beruhigend den Arm und entliess dann Emilia, um ihre Mittagsruhe einzuhalten.
    Nach dem Gespräch fühlte Emilia sich unruhig, weshalb sie den bereits bereitstehenden Becher mit dem Saft in einem Zug leerte. Kurz darauf liess sie sich in ihr Bett fallen, um etwas Energie zu tanken, bevor sie sich für den abendlichen Besuch herrichten musste.


    Es war bereits nach 19 Uhr, als Gisela noch immer mit den Haaren ihrer Herrin kämpfte. Die schokoladenbraunen Locken wollten sich einfach nicht zu dem strengen Knoten binden lassen, den die Zofe vorgesehen hatte. Schlussendlich entschied sie sich für einen fülligen Haarzopf, welcher der jungen Frau über den Rücken fiel.
    Passend zum tannenfarbenen Kleid und den Augen flocht sie grüne und silberne Seidenbänder mit hinein. Emilia betrachtete sich im Spiegel und war mit ihrem Anblick zufrieden.


    Als sie zum Speisezimmer gelangte, hielt sie kurz vor der Tür inne. Einen Moment hielt sie den Atem an. Heute Abend würde sie dem Mörder in die Augen sehen, sie würde am gleichen Tisch mit ihm sitzen, und ihm ihr Lächeln schenken müssen.
    Jetzt, in ihrer gewohnten Umgebung, wo sie sich ihres verstorbenen Vaters viel bewusster war und sich nicht mehr an der Schwelle des Todes glaubte, erschien ihr dies als Frevel und Ungeheuerlichkeit.
    Nervös verkrampften sich ihre Finger im Kleid, das ihren Oberkörper vorteilhaft betonte, um dann in weiten Falten über ihre Hüften zu wallen und ihre Beine vor neugierigen Augen verdeckte.
    Dank einem Schmerzmittel nahm sie die Wunde gar nicht mehr wahr und schaffte es schliesslich mit straffem Rücken und höflich gesenktem Blick den Raum zu betreten.


    Die Versammelten standen beisammen und nippten an ihren Gläsern. Als Wilfried sie bemerkte, steuerte er auch gleich zielstrebig auf sie zu. Erst jetzt wagte Emilia den Blick zu heben, als ihr zukünftiger Gatte sie auch bereits ankündigte und dem Besucher vorstellte.
    Emilia wusste nicht, welchen Rang der Besucher bekleidete, ob ein kleiner Knicks ihrerseits oder ein Handkuss seinerseits angemessen war. Doch der Gedanke gefiel ihr nicht, weshalb sie genug Abstand hielt und ihm bloss förmlich zunickte.
    Sogleich nahm sie jedoch seinen Geruch wahr und ihr Körper versteifte sich, obwohl das Rosenparfüm seinen Eigenduft hauptsächlich übertönte.
    Den Verwandten schien dies nicht aufzufallen und sogleich geleiteten sie den Gast zum Tisch. Alfonso sass wie selbstverständlich am Ende des Tisches. Zu seiner Linken an die lange Seite setzte sich seine Frau Lucinda, ihr gegenüber wurde dem Gast ein Platz geboten, zur Rechten des Gastgebers. Wilfried missfiel die Tischordnung, doch er wagte nicht zu widersprechen und setzte sich neben den Besucher, während Emilia ihrem Zukünftigen gegenüber Platz nahm.


    Da sie wusste, das nicht von ihr erwartet wurde, am Gespräch teilzunehmen, liess sie den Blick gesenkt und starrte auf ihre gefalteten Hände, welche in ihrem Schoss lagen.
    Erst als ihre Tante Lucinda sie unwillig in die Seite stiess, schreckte sie hoch und blickte entschuldigend in die Runde. Aller Augen waren auf sie gerichtet.
    Da bemerkte sie, wie der Gast den Mund bewegte, und sich offensichtlich an sie wandte. Emilias Aufmerksamkeit blieb jedoch nicht an seinen fein geschwungenen Lippen hängen, stattdessen wanderte ihr Blick höher und starrte unverwandt in das junge Gesicht, welches von tiefblauen Augen dominiert wurde.
    Vehement drangen plötzlich Erinnerungen in ihr Bewusstsein, die sein Geruch bis anhin überdeckt hatte. Schlagartig wusste Emilia, dass sie diese Augen bereits einmal gesehen hatte, hier in diesem Haus, vertieft in ein Schachspiel mit ihrem Herrn Papa. Nur enge Bekanntschaften kamen in den Genuss, das Studier- und Spielzimmer ihres Vaters zu betreten.
    Ihre Hände ballten sich verborgen unter dem Tisch zu Fäusten, während in ihrem Inneren etwas zerbrach.
    Nicht einmal den engsten Freunden konnte man noch vertrauen. Das hatte ihren Vater das Leben gekostet.


    Als sie nicht antwortete, übernahm es ihre Tante Lucinda, dem Mann die Antwort zu geben, nach der er fragte. Er war gezwungen, seinen Blick abzuwenden, doch bestimmt hatte er die Anspannung in ihrer Miene wahrgenommen, das wütende Funkeln in ihren Augen.
    Emilia war versucht aufzuspringen, doch sie wagte es nicht.
    Was hatte er vor? Warum war er der Einladung gefolgt? Wollte er nun auch ihren Onkel um den Finger wickeln, und ihn dasselbe Schicksal ereilen lassen?
    Das Abendessen wurde zu einem Akt der Unerträglichkeit für die junge Frau. Die Männer schienen sich gut zu unterhalten, Alfonso bombardierte den Fremden mit Fragen zu seiner Abstammung, seinem Beruf, seiner Herkunft sowie seinen Ideen für die Zukunft. Und natürlich wurden auch die politischen Interessen diskutiert.
    Wilfried hingegen stellte misstrauische Fragen, versuchte den Besucher stets zu übertrumpfen und gab damit an, wie gross die Liebe zwischen ihm und Emilia sei und er sich bereits darauf freue, sie zu ehelichen.

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  • Seine neugierigen Augen blickten umher, als sich Dimicus noch näher die Einrichtung ansah, ihre Eleganz in sich aufnahm. Ein eigenes Haus, wenn er es so betrachtete, wäre vielleicht gar keine schlechte Idee. Allerdings bestünde die Gefahr der Entdeckung bei einem festen Wohnsitz nur noch weiter, als es ihm lieb war. Für seinen Geschmack brauchte er etwas ländliches, kleines, doch war die Stadt sein Zuhause und nur hier konnte er ohne große Mühen sein Werk verrichten. Zu schade wäre es, würde sich selbst an die Ländlichkeit verlieren und sein Lebenswerk verlangsamen.
    Mit diesen Gedanken, der Eingebung weiter vorerst auf das Bordell auszuweichen, beließ er es auch dabei. Allerdings tat er die Überlegung, diesen Gedankengang später fortzusetzen und eine optimale Lösung zu finden. Letztendlich wurde er auch schon abgeholt, von dem Hausherren persönlich. Ein Mann schritt zu ihm, aus der Richtung der Stimmen kommend, und deutete eine leichte Verneigung an, die Dimicus selbstverständlich erwiderte. "Willkommen im Hause der Familie Kreuzenstein, edler Herr. Es ist mir und unseren Gästen eine Ehre, den Retter unserer Emilia bei uns zu empfangen. Würdet Ihr mir bitte folgen, Herr ... ?" Auf diese Frage hatte der junge Mann gewartet und schließlich setzte er ein höfliches Lächeln auf und erwiderte: "Mein Name ist Valerius Feldweber. Die Ehre ist ganz meinerseits, so geht voran."
    Nach der Begrüßung schließlich wurde Dimicus voran geführt, durch reichlich dekorierte Flure, die einige Türen in die verschiedensten Richtungen boten. Alles Räume die er einst schon kannte und natürlich hätte er gewusst, wohin er gehen musste. Doch alles musste stimmen, er durfte keinen Fehler machen. Jedes Detail könnte ihn verraten, wenn die Pinselstriche seiner Regungen nur ansatzweise nicht im rechten Licht standen.
    Vorerst wortlos schritten die beiden Männer in ihrem Weg voran, um schließlich in dem gut eingerichteten Esszimmer des Hauses, dass für Festlichkeiten aller Arten bedacht werden konnte. Hier hatten sich die verschiedensten Menschen versammelt, offensichtlich nahe Verwandte, Bedienstete oder nahstehende Freunde. Noch konnte der Künstler nicht einschätzen, wie dieses Essen verlaufen oder diese Menschen von ihrer Mentalität her sein konnten. Doch die ersten Eindrücke genügten, um allein schon ein sehr versteiftes, wenn nicht sogar erzwungenes Familienbilde zu erkennen, dass für die Anwesenden vielleicht nicht einmal als solches empfunden wurde.
    Nach und nach wurde er jeder einzelnen Person in diesem Raume vorgstellt. Sei es der zukünftige und recht arrogant wirkende Wilfried, der der zukünftige Gatte Emilias war. Oder besser gesagt, derjenige der sich den Reichtum der Familie erschleichen wollte. Darauf die Frau des Onkels Alfonso, jener der ihn abgeholt hatte, Lucinda. Sie wirkten recht freundlich und gaben sich Mühe, diesen Anschein auch zu wahren. Fraglich blieb natürlich, ob dieser entsprechend echt und nur ein Vorhang war. Weitere Beobachtungen musste er tätigen, etwas stimmte nicht und er spürte es.
    Im nächsten, darauffolgenden Moment schon trat Emilia hinein. Sie hatte sich für diesen Anlass hübsch gemacht – oder wurde hübsch gemacht. So wie sie schon beim Betreten des Raumes wirkte, so merkte Dimicus sofort dass sie sich unwohl fühlte. Etwas stimmte nicht, ihre Haltung schien verkrampft, ihr Geist abwesend. Sie war versunken in ihren Gedanken, doch er wusste noch nicht ganz, wie er dies zu deuten hatte. So wie er sie erlebt hatte, zuvor in der Gasse, war sie ein aifgewecktes Mädchen, dass allerdings zu sehr in sich eingepfercht wurde. Sie wirkte ohnehin dennoch elegant und ihr Aussehen untermalte diese Schönheit auf eine besondere Weise, für einen Moment musste Dimicus tatsächlich daran denken, in ihr einen gewissen felinen Anmut zu entdecken.
    Daraus machte er sich allerdings nicht viel und die bereits vorherigen Gespräche, welche hätten nicht unbedeutender sein können, endeten abrupt. Die Bewohner und er selbst wurden dazu angewiesen, sich an den Tisch zu platzieren, welcher Bitte der junge Mann natürlich sofort nachkam, schon allein seiner Manieren wegen. Nebenbei nippte er nun noch an dem ihm gereichten Wein, welchen er als exzellenten Tropfen bezeichnen konnte, er sich schließlich gegenüber der Frau des Hausherren setzte. Zu seiner Rechten saß Wilfried, der zukünftige Gatte und diesem gegenüber schließlich Emilia, welche nicht betretener wirken konnte.
    "Wir haben uns heute hier zusammengefunden, um den Mann zu danken, welcher Emilia vor größerem Übel gerettet und sich um sie gekümmert hatte. Darf ich vorstellen, Valerius Feldweber." Der Blick des sich erhobenen Onkels lag plötzlich auf Dimicus, welcher sich natürlich auch erhob, weil er angesprochen wurde. In diesem Moment verneigte er sich schließlich vor allen Anwesenden und sprach: "Auch mir ist es eine Freude an diesem Abend mit Eurer Familie, mit euch allen in diesem Raume speisen zu dürfen. Doch dankt mir nicht zu viel, ich habe nur eine Tat vollbracht, die jeder pflichtbewusste Bürger getan hätte." Höfliches Lächeln ging durch den Raum, als die Weingläser erhoben und getrunken wurde. Dabei fiel der Blick des Künstlers auf Emilia, die unglücklicher und verkrampfter nicht wirken konnte.
    Allmählich wurde das Essen serviert und mehr Getränken fanden ihren Weg auf den Tisch, begleitet von einer vorrübergehenden Ruhe, die allerdings Dimicus durchbrach: "Emilia, ich kann mir vorstellen, dass Ihr Euch nicht gern an die Geschehnisse zurück erinnern möchtet. Doch sagt mir, wie ergeht es Euch mittlerweile?" Stille trat abermals ein, doch diese war unangenehm. Die junge Frau war mehr als bedacht darauf, auf ihren Schoß zu blicken. Vollkommen betreten und scheinbar nicht an diesem Ereignis teilnehmen wollend. Nur ein Anstoßen von Lucindas holte sie auf den Gedanken, die blickte auf und schließlich auch ihn an. Ihr Gesicht zeigte plötzlich Regungen. Wut und Anspannung dominierten ihr Gesicht. Als Antwort und Bestätigung seiner Vermutung reichte es ihm abermals. Sie verhielt sich nicht so, wegen dem was in der Gasse geschah. Sonst hätte sie sich vollkommen anders in dem damaligen Moment verhalten. Sie wusste es. Nun wusste er, dass sie es wusste.
    Um schließlich aber diese peinliche Stille zu durchbrechen, erhob schließlich Lucinda wieder das Wort, um für Emilia seine Frage zu beantworten: "Unsere Emilia ist leider etwas schüchtern, dass dürft Ihr ihr nicht verübeln. Seit dem Tod ihres Vaters ist sie leider sehr mitgenommen. Allerdings geht es ihrer Wunde soweit gut, sie ist versorgt und dürfte keine weiteren Probleme bereiten." Mit einem bestätigendem Nicken und dankbarem Lächeln nahm Dimicus diese Antwort an. "Ich habe davon gehört, der Rosendämon soll ihn geholt haben. Eine Schande. Doch ich bin mir sicher, dass ich von fähigen Frauen und Männern umgeben bin, um das Erbe fortzuführen. Nun denn, lasset uns speisen, wenn mir erlaubt ist, dies so zu sagen."
    Sofort erhielt er Zustimmung, während die köstlichen Speisen serviert wurden und die Feierlichkeiten zu seinen Ehren begannen. Niemand hatte bemerkt, wie er bei der Erwähnung seines für ihn geschaffenen Namens leicht die Oberlippe aufwärts verzog. Gänsehaut hatte ihn dabei begleitet, es war solch ein schönes Gefühl, an sein Kunstwerk zurückzudenken. Während er sich also auftischte und die servierte Speise, Schweinsbraten mit Kartoffeln und Gemüse, mehr als genoss, begannen die üblichen Tischgepräche. Natürlich war er derjenige, der zuerst gefragt wurde.
    Die ersten Fragen gingen von Alfonso aus. Woher er stamme, wer er eigentlich genau sei und was er eigentlich täte. "Nicht weit von Drakenstein liegt die Länderei Rabental, wenn Ihr sie kennt. Meine Familie dort waren leider nur einfache Leute, doch sie hatten viel Herzblut hinein gesteckt um mich zu erziehen." Düster erinnerte er sich an die Ereignisse von damals, schluckte aber Emotionalität diesbezüglich herunter. Man merkte ihm keinen Deut an, wie empfindlich er bei dem Thema war, genau so wenig wie er die ganze Zeit zu lügen begann. "Früh zog ich selbst aus, um mein eigenes Glück zu finden und bin schließlich in Drakenstein eingekehrt. Dort suchte ich mir einen Lehrmeister für die Weberei und lernte das Handwerk. Ich hatte wohl, in aller größter Bescheidenheit, ein natürliches Talent dafür. So führte eines zum anderen. Heute verkaufe ich Gewänder und Stoffe, ein sehr profitables Geschäft. Damit habe ich mir auch mein Vermögen verdient und bin aktuell auch darauf aus, einen größeren Laden zu eröffnen. Doch bis dahin muss noch ein wenig Zeit vergehen."
    Die darauffolgenden Themen wurden allerdings fader und wesentlich uninteressanter. Über Politik unterhielt er sich nicht viel, hatte auch nicht viel Ahnung, Zwischendrin bekam er immer sehr seltsame Fragen seitens Wilfried, welche er immer und immer wieder in einer anderen Weise stellte. Doch der junge Mann blieb gelassen, beantwortete selbst diese souverän und meist sogar machte er mehr als deutlich, dass sein Genie diesen Mann überragte. Egal wie arrogant sein Auftreten, oder wie frevelhaft die Fragen seinerseits wurden. Letztendlich musste er immer wieder auf Emilia ausweichen, so sehr wie er sie darstellte, war sie nicht mehr als ein Objekt zum präsentieren für ihn.
    Nach einigen weiteren Minuten fehlte ihm die Herausforderung in den Gesprächen, der Sinngehalt, allerdings bemerkte er auch das stets wachsende Unbehagen seitens Emilia. Ob er vielleicht sie bewegen kann, diesen Raum zu verlassen? Sich mit ihm zu unterhalten? Das galt es herauszufinden und zudem hatte er eine plötzliche Eingebung, sein Sinn nach seiner Erinnerung umschlang ihn plötzlich. Wie von einem plötzlichen Drang gestochen, fragte er den Hausherren nach dem Klosett. Nach einer kurzen Wegbeschreibung erhob sich der junge Mann, beinahe wie hypnotisiert folgte er seinen Schritten.
    Seine Füße führten ihn hinaus aus dem Esszimmer, doch stattdessen zu dem beschriebenen Klosett zu gehen, führte sein Weg ihn nach oben, wie aus seinen Erinnerungen damals geführt, stand er vor dem Ziel seiner Begierden. Die hölzerne Tür gab nach und vor ihm erstreckte sich das Schlafzimmer Fredericks vor ihm, worauf er eintrat und sich vor dem stattlichen Doppelbett stellte. Sein Blick war nicht erfüllt von dem Bilde, sondern seine Erinnerungen legten sich über seine Sicht, sein Meisterwerk wurde in seinen Erinnerungen wieder wach. Er wusste, dass er nicht lang verweilen konnte, doch für diesen einen Augenblick genoss er es.

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  • Tante Lucinda, welche viel Wert auf gute Stoffe legte, interessierte sich für Dimicus‘ Zukunftspläne. Sie versicherte ihm, dass sie zu seiner Stammkundschaft gehören würde, falls er ein Geschäft in ihrer Nähe eröffnen sollte.
    „Sie wissen ja, Kleider machen Leute. Deshalb achte ich immer darauf, dass meine Liebsten nur die besten Gewänder tragen. Und auch unsere Dienerschaft soll solide Kleidung tragen. Aufs Ganze gesehen käme es uns teuer zu stehen, müssten wir ihnen jede Woche neue Arbeitsgewänder kaufen.“
    Sie schien geradezu verzaubert von dem jungen, gutaussehenden Mann, der sich äusserst gut zu benehmen wusste. Lucinda nahm sich vor, den Kontakt aufrecht zu erhalten und ihn öfters einzuladen. Zufrieden registrierte sie, dass Emilia sich nicht für ihn erwärmen konnte.
    Gut so, schliesslich soll das Mädchen meinen Wilfried heiraten!


    Nachdem Dimicus den Raum verlassen hatte, herrschte ein kurzer Augenblick der Stille.
    „Was für ein charmanter Junge. So gut erzogen und seine Gewandung spricht für seinen erlesenen Geschmack“, zwitscherte Lucinda über den Tisch hinweg.
    „Was für ein Glück, dass ausgerechnet er unsere Emilia gefunden hat. Nicht auszudenken, wenn es irgendein Halunke gewesen wäre.“
    Das Gespräch perlte an der jungen Frau ab. Vorsichtig öffnete sie ihre Finger und bemerkte die Abdrücke der Nägel, die sich in ihre Handfläche gebohrt hatten.
    Noch immer überlegte sie der Frage nach, was Valerius, wie er genannt wurde, hier zu suchen hatte. Seit sie herausgefunden hatte, dass er ein Bekannter ihres Vaters war, hatte er ihre Sympathie komplett verloren, wenn man dies denn so nennen konnte.
    Doch warum hatte er ihren Herrn Papa getötet? Waren sie in Streit geraten? Ging es um Geld? Doch die ganzen Rosen…
    Emilia erstarrte, als sie an Geschichten dachte, welche ihre Zofe ihr erzählt hatte. Angeblich war ein Mörder in der Stadt unterwegs. Bis jetzt hatte sie nicht darüber nachgedacht, doch offensichtlich war Valerius der Rosendämon.
    Wegen ihrer Taubheit verpasste die junge Frau oft Neuigkeiten, doch bis anhin hatte es sie auch nie interessiert. Sie war in ihrem goldenen Käfig und was draussen geschah, kümmerte sie nicht. Doch nun hatte jemand einen Schnitt durch ihr Leben gezogen, der die Linie zwischen Drinnen und Draussen verwischen liess. Sie musste unbedingt mit ihrer Zofe reden. Gisela war die beste Wahl, wenn man über Klatsch und Tratsch im Haus und in der Stadt Bescheid wissen wollte.


    Das Mahl war bereits beim Nachtisch angelangt. Emilia zückte Pergament und Stift, um sich vom Tisch entfernen zu können.


    Entschuldigt mich, ich möchte mich in mein Gemach zurückziehen. Ich fühle mich unwohl und die Ereignisse plagen mich noch immer. Etwas Ruhe wird meine Beschwerden lindern. Richtet unserem Gast meinen Dank aus.


    Onkel Alfonso nickte ihr bestätigend zu, worauf Emilia sich vom Tisch erhob und gerade zu aus dem Raum stürzte.
    Sie atmete erleichtert auf, als sie die Treppe zu den Gemächern hochstieg. Nun würde sie erst einmal mit Gisela einige Worte austauschen und danach würde sie etwas von dem Schlummertrunk zu sich nehmen und schlafen. Sie fühlte sich erschöpft.
    Als sie durch den Flur lief, stellten sich ihr plötzlich die Nackenhaare auf. Als sie an der Verzweigung angelangte, die zum Gemach ihres Vaters führte, bemerkte sie, dass seine Türe ein Stück offenstand.
    Konnte er es wirklich wagen..?!
    Sie schritt auf die Tür zu und trat ein. Er schien so in seinen Erinnerungen zu schwelgen, dass er sie zuerst gar nicht bemerkte. Seine verträumten Augen sagten alles aus, was Emilia bereits geahnt hatte. Auch Emilia wurde in ihren Gedanken zurückgeworfen zu dem Moment, als sie den Toten gefunden hatte. Sein blasses Gesicht, umrahmt von Rosen.
    Warum musste ihr Vater sterben? War er bloss ein zufälliges Opfer?


    In diesem Augenblick erfasste Valerius sie und seine dunklen Augen schienen sie zu fixieren. Emilia bemerkte die Wut und Verzweiflung gleichsam in ihrem Körper entflammen.
    Dies war der Mensch, den ihr Vater in den letzten Sekunden seines Lebens gesehen hatte. Dies war der Mensch, der ihn ihr entrissen hatte. Der Mensch, dem es offensichtlich Freude bereitet hatte, ein Leben zu nehmen und die Angehörigen mit einem "Kunstwerk" zu verhöhnen. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie Wilfried heiraten sollte und ihr Dasein aus den Fugen gerissen wurde.
    In zwei Schritten stand sie vor ihm, hob in katzenhafter Schnelligkeit ihre rechte Hand und schlug damit nach seiner Wange.



    Kurze Zeit später war Emilia wieder in ihrem Zimmer. Sie war so aufgebracht, dass sie selbst Gisela nicht mehr sehen wollte. Stattdessen füllte sie sich den Becher grosszügig mit der Flüssigkeit, welche die Heilerin ihr gegeben hatte. Ihren Rat, davon nicht mehr als einmal täglich zu trinken, schlug sie in den Wind und stürzte das Gebräu in einem Zuge hinunter. Dann warf sie sich mit tränenüberströmtem Gesicht in ihre Bettlaken und versank daraufhin in einem unruhigen Schlaf…



    Nachdem Emilia aus dem Saal getürmt war, folgte ihr Wilfried mit der Behauptung, selbst die Toilette aufsuchen zu müssen. Nachdem der Gast jedoch nicht im unteren Klo aufzufinden war, beschlich ihn das Misstrauen aufs Neue.
    Wusste ich doch, dass mit dem Kerl etwas nicht stimmt. Wahrscheinlich steigt er meiner Emilia nach!
    Mit grossen Schritten stieg er die Treppe hinauf, um nach Valerius zu suchen und ihn zur Rede zu stellen, falls er ihn tatsächlich im oberen Stockwerk antreffen sollte.
    Wilfried hatte sich vorgenommen, diesen Emporkömmling loszuwerden. Er hatte gesehen, wie seine Mutter bereits jetzt von ihm schwärmte, und wenn er nicht aufpasste, würde auch seine Zukünftige ihm verfallen.
    Und keinesfalls wollte er sich Hörner aufsetzen lassen!
    Die Eifersucht gehörte zu Wilfried wie auch seine besitzergreifende Ader. Er hatte sich in die Sache verbissen und wie ein räudiger Köter würde er nicht loslassen, bevor sein Ziel erreicht war und die Gefahr beseitigt. Er spürte förmlich, dass mit Flaverius etwas nicht stimmte, konnte es jedoch nicht zuordnen.


    Im Gegensatz zu Emilia hatte Wilfried sich nicht bloss mit Klatsch und Tratsch aufgehalten, um dem Rosendämon auf den Grund zu gehen. Er hatte bereits aus verschiedenen geheimen Quellen gegen viel Geld aufgeschnappt, dass der Dämon nicht bloss ein Zufallsmörder war, weswegen er auch der Meinung war, dass sein Verwandter Frederick von Kreuzenstein Feinde besass die ihn tot sehen wollten.
    Wilfried nahm sich vor, mehr über Valerius zu erfahren, vielleicht würde er bald das nächste Opfer des Rosendämons sein, falls er es schaffte, diesen aufzuspüren und ihn für seine eigenen Zwecke anzuheuern.

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  • Das einstige Bild hatte sich vor seinen Augen ausgebreitet, wie Frederick von Kreuzenstein dort lag, gehüllt in einem Bett aus Rosen. Ein wahres Kunstwerk war es und noch dazu die feinste Art seiner Malerei. Zumindest in Dimicus' Augen stellte dieses Werk, welches vor nicht mehr als einem Monat seiner Vorstellung fand, das größte seiner Zunft da. Immer weiter und größer wurde seine Arbeit und dementsprechend nutzte er die Zeit.
    Damals hatte er für Emilias Vater eine besondere Planung angewandt, eine Planung die ihn beinahe mehr als zwölf Stunden für seine Arbeit bescherte. Bis heute kam niemand auf die Idee, dass die Figur Valerius, ein einst treuer Freund des Vaters, nicht mehr als der zu fleischgewordene Rosendämon geworden war. Seine Augen strahlten bei den Gedanken und seine Erinnerungen waren einfach schön.
    Doch schon von Weitem hörte er die Schritte, vorsichtige Schritte und er wusste auch sofort, zu wem sie gehörten. Grazile Füße tapsten über den Boden und keine Sekunde später ging die Tür ein weiteres Stück auf, Emilia war eingetreten und sein Plan hat funktioniert. Die junge Frau wusste es, von Anfang an. Wie hatte er nur dieses Detail übersehen können? Spielte es überhaupt noch eine Rolle? Sein Kopf und somit Blick wandte sich ihr zu. Seine Augen musterten sie, doch sein Gesicht zeigte keinerlei Regung.
    Der wütende Blick und die bittere Verzweiflung standen ihr förmlich in das Gesicht geschrieben. Er wusste was sie tun wollte, hielt still und ließ die schallende Ohrfeige über sich ergehen. Das Brennen durchzog sein Gesicht, seine Mimik blieb aber unverändert, während die Röte in seine Wange aufstieg. Ein leichtes Lächeln überzog seine Lippen und gerade in dem Moment als die junge Frau aus dem Zimmer stürmen wollte, ergriff er ihren Arm, hielt sie an Ort und Stelle fest.
    Unschuldig und auf den Hinweis, dass er unbewaffnet war, hob er schließlich beide Hände nach oben, deutete an unbewaffnet zu sein. Zumindest lag keinerlei Bewaffnung in seiner Hand. Vorsichtig und langsam zog er unter seiner Weste, um genau zu sein aus der Innentasche ein Stück Papier hervor, dazu einen Kohlestift. Er wusste, dass er ihre volle Aufmerksamkeit hatte, genau so wie er keinerlei Zeit verschwenden durfte. Ganz im Gegenteil, die anderen Gäste würden sich bestimmt bald wundern wo er blieb und somit galt es, schnell zu handeln.
    Elegant und schnell begann sein Stift über das Papier zu streichen, sprach die Wahrheiten aus und die Worte, die er an Emilia richten wollte. Ihm war es bewusst, dass seine Worte für sie unglaubwürdig scheinen musste, klar sogar als Beleidgung. Auf einer seltsamen Art und Weise allerdings verband ihn etwas mit dieser jungen Frau. Ihr Schicksal, ihre Unschuld, ihr Auftreten und ihr Fluch. Alles Dinge die er verstehen konnte. Es war nicht nur sie, die ihre Eltern auf eine grausame Art und Weise verloren hatte, nicht ihr Schicksal das hätte untröstlicher nicht sein können. Schließlich faltete er das Papier zusammen und drückte es ihr in die Hand. Genau wissend, dass sie es nicht sofort lesen oder gar dazu neigen würde, es zu zerreißen. Doch sie würde diesem Drang widerstehen und es lesen. Seine Worte waren mehr als deutlich und erklärend...


    Liebe Emilia,


    der Blick den du mir gerade schenktest, sagte alles aus, was du mir zuvor verschwiegen hast. Du wusstest warum ich hier bin, du wusstest warum ich so blickte, du wusstest wer ich bin. Doch dies tut nichts weiter zur Sachen, denn ich weiß genau das Gleiche über dich. Du hast gesehen wie grausam diese Welt ist und noch heute erfährt dir Leid und Ungerechtigkeit. Ein Zustand, welcher normal für diese Welt erscheint.
    Dein Vater, Frederick, er war ein guter Mann, aber beileibe nicht so aufrichtig wie du ihn kanntest. Es gab eine Menge Gründe warum ihn so einige Menschen, tot sehen wollten. Du hast nicht viel von deinem Herrn Papa erlebt. Sklavenhandel, organsiertes Verbrechen, Mord und Aufbegehren gegen das Gesetz. Viele wünschten sich seinen Tod, sowohl Konkurrenten als auch rechtschaffene Männer, man konnte ihm nur nichts nachweisen. Man hat gesucht und nie etwas gefunden.
    Es wäre eine Frage der Zeit gewesen, bis ihn jemand getötet hätte. So war es besser, dass ich derjenige war. Durch mich hat sein Tod Schönheit und Denkwürdigkeit erlangt, er ist als ein Meisterwerk meiner Kunst wieder aufgeblüht. Im Herzen jeder, die ihn haben betrachten können. Einschließlich dir. Wir beide sollten uns einig sein, dass dieser Anblick definitiv für dich hätte nicht schöner sein können, als wenn er nur stumpf im Schlaf abgeschlachtet worden wäre. So oder so hätte er auf diese Weise enden müssen, nur mein Genie war es, dass ihm vor dem hässlichen Akt bewahrte. Diese Welt ist nicht fair und ich weiß was du durch machst, kann es verstehen. So behalte seine abschließende Schönheit in dir, wie er hätte einfach nur friedlich schlafen können.


    Sie war so schnell und wortlos verschwunden, wie sie gekommen war. Doch ihre Mimik hatte genug gesprochen. Es würde nur eine Frage der Zeit sein, bis sie ihn entweder verriet oder auf ihn zukäme. Für beide Fälle hatte er weit genug vorausgeplant, denn mittlerweile wusste er nun genauer, was es mit den Leuten auf sich hatte. Diese musste er mit Vorsicht behandeln, auch wenn sie gegen seinen Geist wohl nicht viel ausrichten konnten.
    Schnell musste er sich schließlich wieder nach unten begeben, sein Fehlen war wohl durchaus schon zu lang und mit Sicherheit würde zumindest Wilfried Verdacht schöpfen. Dieser arrogante Mann war nicht mehr, als eine wandelnder Fehlschlag der Kunst. Das merkte er ihm an.
    Wie als er vom Teufel sprach, war er gerade bei der Treppe angelangt und Wilfried auf dem Wege. Noch durch einen kleinen Spalt an der Treppe konnte er den herannahenden Mann erkennen, wodurch der Künstler schnell handeln musste. Seine rechte Hand wanderte zu einem nahegelegenen Türknauf, öffnete damit die Tür und glitt in den Raum hinein, während er die Tür leise hinter sich schloss.
    Die schweren Schritte erklommen die Treppe, sein Atem war ruhig und unter seiner Weste zog er einen Dolch hervor, nur für den Fall. Vor ihm war nur Dunkelheit, nur vage Konturen konnte er in der Dunkelheit ausmachen, etwa die eines Tisches, eines einzelnene Bettes oder ein paar kleinerer Dekorationen. Offenbar ein Gästezimmer.
    Die Schritte zogen an der Tür vorbei, seine Gelegenheit war gekommen, als er den Dolch wieder zurück an seinen angestammten Platz zurücksteckte. Leise öffnete er wieder die Tür, glitt hinaus und sah noch, wie Wilfried um eine Ecke verschwand. Leise wie eine Katze schloss er den Eingang zum Gästezimmer hinter sich und schlich die Treppe hinab. Seine Füße trugen ihn zurück in das Speisezimmer, in vorläufige Sicherheit.
    Somit verging eine weitere Stunde, die er mit den Menschen Emilias Familie verbrachte, weiter speiste und trank. Auf ihre Nachfrage hin, warum er solange gebraucht hatte, erklärte er schlichtweg, dass er ein wenig frische Luft schnappen wollte. Die meisten schienen damit zufrieden gewesen zu sein, nur Wilfried nicht.
    Schließlich verabschiedeten sie sich alle, Lucinda sprach eine weitere Einladung aus und Dimicus verließ daraufhin das Haus. Ein kurzer Blick zurück, er wusste das diese Nacht noch nicht vorbei sein würde. Mit seiner gewohnten Eleganz folgte er seinen Füßen durch die Nachtluft, sein Ziel war nicht zurück ins Bordell, sondern einfach nur geduldig zu warten.

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  • Die Ereignisse des Vortages und die Erinnerungen, welche der heutige Abend in ihr aufgewirbelt hatten, liessen ihre Albträume wahr werden.
    Sie träumte davon aufzuwachen, ein kaltes Messer an ihrer Kehle und das gehässige Grinsen von Valerius über ihrem Gesicht. Seine Lippen formten sich zu Worten und im Traum war es ihr, als könnte sie seine heuchlerische Stimme hören: „Du wirst wie die schönste aller Rosen erblühen, wenn ich mit meinem Kunstwerk fertig bin!“
    Dann bewegte sich seine Hand und sie meinte den Fluss des Blutes an ihrem Körper zu spüren. Warm und dickflüssig umgab es sie, überschwemmte schliesslich das ganze Zimmer und sie sah weisse Blüten darin schwimmen, wie Seerosen auf einem Teich.
    An der Tür stand ihr Vater, streckte seine Hand nach ihr aus. Um seinen Körper schlangen sich Dornenranken und die scharfen Stacheln rissen seine Haut auf.
    „Emilia, hilf mir! Räche mich, damit ich Frieden finden kann“, formte sein Mund die Worte. Die junge Frau wollte nach ihm rufen, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Sie war stumm.


    Dann bemerkte sie plötzlich eine Gestalt über sich. Es war Valerius. Emilia spürte Hass in sich aufwallen, als er ihr vom Fenster her ein schmieriges Lächeln schenkte, bevor er mit einem eleganten Sprung in die Nacht hinaus verschwand.
    „Nein!“, schrie sie, doch nur ein dunkles Knurren erfüllte ihren Brustkorb und brach sich Bahn nach Aussen.
    Die junge Frau war nun eine Löwin, die sich mit behänden Sprüngen von Liegefläche zu Liegefläche weiter der Wand entlang bewegte, auf das offenstehende Fenster zu. Sie meinte Valerius‘ Geruch in der Nase zu haben, als sie mit den kräftigen Pranken auf dem Dach aufkam. Es war eine düstere Nacht, dicke Wolken verhängten das Sternenzelt und selbst der Mond versteckte sich lieber. Doch der vage Schein einiger Laternen unten auf der Strasse reichte aus, um dem Raubtier die Sicht zu ermöglichen.
    Emilia wusste nicht, ob sie in einem Traum oder der Wirklichkeit gefangen war, denn beides verschwamm ineinander, war nicht zu unterscheiden. Die Heilerin hatte nicht umsonst eine Warnung ausgesprochen und so zeigten sich nun die Nebenwirkungen von ihrem Gebräu.


    Überall zuckten Gespenster, formten sich zu gefährlichen Bestien und immerfort hörte sie das hämische Lachen des Mörders in ihren Ohren. Rosenranken wucherten aus den Dächern heraus, streckten ihre Arme nach ihr aus und griffen nach ihr.
    So jagte die Löwin über die Dächer der Stadt, ungesehen von ihren Bewohnern, da sich die meisten bereits zu Bett begeben hatten oder den dunklen Schatten als ein Trugbild abtaten, das so schnell verschwand, wie es aufgetaucht war.
    Plötzlich sprang eine aufgescheuchte Katze vor der Löwin aus der Dunkelheit hervor. Sie war gross wie ein Bär, und ihre Zähne lang wie Dolche. Emilia wollte der Halluzination entweichen, doch dabei löste sich ein Ziegel und das schwere Raubtier verlor den Halt. Ihre Krallen glitten an der Dachrinne ab und die Löwin fiel in die Tiefe. Obwohl sie nicht geübt war, landete sie auf allen Vieren, auch wenn es ihr einen Moment den Atem verschlug.


    Im nächsten Augenblick zuckte sie herum, als sich ein Schatten am Rande ihres Sichtfeldes bewegte. Jäh befand sie sich nicht mehr in einer düsteren Gasse, in welcher es von Abfällen und toten Ratten stank, nein, sie stand wieder im Zimmer ihres Vaters und vor ihr – Valerius.
    Er hatte wieder seinen düsteren Mantel an, der dieses Mal vor Dreck starrte und in schlechtem Zustand war. Auch seine Haltung war gebückt, doch Emilia schob es darauf zurück, dass er ängstlich vor ihr zurückwich, bis er mit dem Rücken zur Wand stand.
    Ein leises Knurren drang aus ihrer Kehle, das sich mehr und mehr zu einem bedrohlichen Grollen entwickelte, bis es einem durch Mark und Bein gehen mochte.
    Die Raubkatze spürte das Vibrieren ihres Körpers, sie zog die Lefzen hoch und enblösste zwei kräftige Kiefer, gesäumt von tödlichen Waffen.


    Valerius zitterte inzwischen wie Espenlaub und hob ihr abwehrend die Hände entgegen. Sein Geruch erfüllte ihre Sinne und überall schossen die Rosenranken aus den Wänden und dem Boden hervor, gerade so, wie sie auch das Zimmer ihres Vaters bedeckt hatten.
    Und da stand er plötzlich neben ihr, seine Bitte auf den Lippen: „Tu es mein Kind! Räche mich, damit ich Frieden finden kann.“
    Als Emilia ihre Muskeln spannte und zum Sprung ansetzte, konnte sie den Stolz in seinen Augen aufleuchten sehen.
    Das heuchlerische Lächeln unter der Kapuze verschwand, als das Gewicht der sandfarbenen Löwin gegen den schmächtigen Mann prallte und die Krallen sich in seine Brust bohrten. Mit Genugtuung erkannte sie die Todesangst in seinem Blick und weidete sich an dem Geschmack des Blutes, als sie ihre Fänge in seinem Hals versenkte. Das Gefühl einer erfolgreichen Jagd erfüllte jeden Teil ihres Seins und endlich schien der Blutrausch gestillt, als nur noch eine leere Hülle unter ihren Pfoten lag. Emilia fühlte sich so frei und unbeschwert wie noch nie in ihrem Leben. Warum war sie doch nicht eher durch die Stadt gepirscht?


    Als sie eine Bewegung vom anderen Ende der Gasse erahnte, schrak sie hoch. Noch ein letztes Mal wollte sie sich an dem Anblick des Toten ergötzen, blickte in seine braunen Augen – und erstarrte.
    Im selben Moment erklang in ihrem Kopf ein bösartiges Lachen: „Du wirst dieses Werk niemals vollenden!“
    Wie aus dem Nichts schossen weitere Ranken hervor, griffen nach ihrem Körper und wollten sie erdrücken. Emilia schien keine Luft mehr zu bekommen, sie keuchte unter der Anstrengung sich loszureissen. Als sie es schaffte, verlor sie keine Zeit mehr. Mit kräftigen Sätzen schaffte sie es auf ein tiefer gelegenes Dach und rannte, was ihr Körper hergab. Ihr Herz pochte in der Brust und die Lungen wollten unter der Anstrengung beinahe bersten. Doch der Blickt der braunen Augen trieb sie immer weiter…




    Als Emilia am Morgen zu sich kam, lag sie nackt auf der obersten Liege, direkt unter dem Fenster. Ihr Kopf pochte und jeder Muskel ihres Körpers begehrte unter der kleinsten Bewegung auf. Sie hatte einen grässlichen Geschmack in ihrem Mund, konnte sich aber nur an Schemen erinnern. Ein Glücksgefühl erfüllte sie, als sie daran dachte, wie die Welt unter ihren Pfoten verschwamm, als sie unter dem Nachthimmel dahingeflogen war. Was für ein schöner Traum! Doch der Trank hat es trotzdem in sich...
    Am späteren Morgen klopfte Gisela an ihre Tür, um ihr bei der Morgentoilette behilflich zu sein. Verwundert klaubte sie ihr einige Fusel aus den zerzausten Haaren.
    „Ihr solltet nicht so nah am Fenster schlafen, ihr werdet euch erkälten“, warnte sie die junge Frau.


    Als Emilia am Frühstückstisch erschien, bemerkten die Verwandten sie gar nicht. Sie waren offensichtlich in eine spannende Diskussion vertieft.
    Tante Lucinda klärte sie schliesslich voller Elan darüber auf, während Emilia sich ächzend auf den Stuhl fallen liess.
    „Ein grosser Hund hat wohl einen Bettler angefallen und getötet! Alles voller Blut. Ein Morgenwächter hat ihn gefunden bei seinem Rundgang. Zum Glück war es nur einer vom Gesindel, doch man weiss ja nie, wo so ein Vieh sich überall rumtreibt! Wir sollten nachts die Türen verschliessen.“
    Bloss die Tatsache, dass es sich bei dem Opfer um einen blossen Bettler handelte, liess das Geschehen nach wenigen Tagen wieder in Vergessenheit geraten.

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  • Hingegen jeder seiner Erwatungen ging der Plan Dimicus' nicht auf. Aus einem ihm unbekannten Grund hatte er sich verschätzt, so dachte er Emilia würde auf ihn reagieren, ihn aufsuchen. Sie hatte ihn schon zuvor durch Menschenmassen hindurch ausfindig gemacht, so hätte es für sie kein Problem dargestellt, ihn in der ruhigen Nacht auszumachen. Ihre Fähigkeiten bewunderte er, auch wenn er sich an sich fragte, woher sie dieses feine Gespür hatte.
    So trugen ihn also seine Füße durch die Nacht, die Straßen waren leer und nur in der Nähe von Wirtshäusern waren Menschen versammelt, die die friedliche Stille zu unterbrechen wussten. Bewusst mied er aber diese Treffpunkte der Bewohner Drakensteins, eher wollte er seine Ruhe haben und den Spaziergang genießen. Seine Augen und Ohren waren stets offen und hielten Ausschau nach Anzeichen, die ihm Emilia verraten, oder eventuelle Gefahren mitteilen würden. Außer einem Trapsen in der Ferne war nichts zu vernehmen, doch dieses Geräusch bereitete ihm Unbehagen. Etwas stimmte nicht.
    Mitten in eine dunkle Gasse bog er ein, stets auf seine Schritte bedacht und darauf achtend, in keine Falle zu tappen. Aus dem Augenwinkel sah er sich etwas bewegen, oder besser jemanden, ein Bettler der dort schlief. Nicht ungewöhnliches in dieser Stadt, so waren Obdachlose und Bettler ein kein ungewöhnlicher Anblick, auch wenn sie wenn möglich in eher uneinsehbare Orte zusammengepfercht wurden. Meistens Vertreter der verschiedensten Völker die in der Stadt ihr Glück, stattdessen aber Elend und Armut gefunden hatten.
    Kaum hatte er den Bettler passiert und war um die nächste Ecke gebogen, hörte er ein dumpfes Auschlagen von etwas, dass von den Wänden um ihn herum widerhallte. Ein Brüllen ging durch die Gassen, es hörte sich tief an, animalisch, gefährlich. Was war das? Im nächsten Moment hörte man eine zittrige Stimme schreien: "Bitte nicht! HILFE! NEI-" Ein lauter Schlag war zu vernehmen, etwas wurde zu Boden geworfen, gefolgt von einem schmatzenden Geräusch gerissenen Fleisches, welches von einem Gurgeln begleitet wurde. Dieses Gurgeln ... so hörte es sich an, wenn jemand mit einem Kehlenschnitt verzweifelt zu atmen versuchte. Doch das war kein Schnitt, sondern ein Riss.
    Instinktiv zog Dimicus seinen Dolch unter der Weste hervor, presste sich an die Wand und lehnte sich um die Ecke. Sein Blick ragte um die Ecke, allerdings konnte er aufgrund der Dunkelheit kaum etwas erkennen. Nur wie sich ein großer, muskulöser Körper erhob, elegant und grazil wie der einer Katze. Unter den Tatzen war ein Körper zu sehen, der des Bettlers, welcher nur schlaff und leblos unter den Krallen der Großkatze wirkte. Wie kam eine Löwin in diese Gefilde? Von solchen Tieren hatte er zwar gelesen, aber sie waren doch gar nicht heimisch hier!
    In seinem Kopf ratterte es, der Anblick dieser scheußlichen Frevelei vor ihm bereitete ihm Unbehagen, genau so wie die Löwin an sich. Sollte er warten, bis sie weg war und den Toten in etwas Schönes verwandeln? Doch er hatte kaum Zeit, noch die Werkzeuge dabei. Die Gefahr von diesem Tier gerissen zu werden, bestand auch noch maßgeblich. Was sollte er tun? Seine Hand verkrampfte sich um seinen Dolch, sein Verstand siegte, wenn auch gegen den Willen seines Schönheitsideals. Tut mir leid, aber du wirst als unbedeutendes Nichts in die Stadtgeschichte eingehen. Leise steckte er seinen Dolch weg, hielt sich an der Ecke und beschleunigte seine Schritte, desto weiter er sich von dem Ort des Geschehens entfernen konnte. Seinen Sinn für die Kunst verurteilte diese Handlung, wie konnte er so eine einfache Möglichkeit nur auslassen? Unwohlsein war die Folge, doch er hätte genau so gut sterben können, argumentierte er mit sich selbst. Besser dieses Mal es auszulassen, als nie wieder seine Fähigkeiten zur Geltung kommen lassen zu können. Doch noch immer plagte ihn zudem die Frage, woher eine Löwin in diese Stadt gefunden haben könnte. Soweit er wusste, war kein Zirkus oder eine Schaustellertruppe unterwegs. Das könnte nur eines bedeuten ... wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, hatte er entweder ein sehr großes Problem oder aber der größte Zufall suchte ihn heim. Es würde sich zeigen.


    Eine Woche später...


    Seitdem Aufeinandertreffen mit der Löwin und schließlich gesehen mit Emilia in ihrem angetrauten Heim, hatte Dimicus nicht mehr von ihr oder der Familie etwas zu hören bekommen. Weder eine weitere Einladung, noch ein sonstiges Schreiben. Inzwischen war er sich sicher, dass sein Plan nicht richtig kalkuliert war und er nicht aufging. Dennoch konnte er sich frei bewegen und zeigen, was zumindest darauf hindeutete, dass ihn Emilia nicht verraten hatte. Worüber sie wohl nachdachte oder sogar zögerte, ihn erneut aufzusuchen? Ihr letztes Treffen war kein Zufall, sie hatte ihn eindeutig verfolgt und er wusste, dass sie es ein weiteres Mal ohne Probleme konnte.
    Stattdessen aber geschah nichts, zumindest nichts was mit ihr zu tun hatte. Seine Zusammenarbeit mit Malik fruchtete allmählich und in diesem Bereich kam er wunderbar voran. Er hatte eine andere Leinwand für seine Kunst gefunden, sie sah Malik äußerst ähnlich, weswegen er sie kurzerhand in ein wundervolles Kunstwerk verwandelt hatte, welches bereits über Gerüchte und Sagen durch das Volk Drakensteins getragen wurde. Die Wirkung um Angst, Schrecken und Aufmerksamkeit verfehlte nicht ihre Wirkung, so hatte er sein Kunstwerk auf offener Straße bei Nacht vollbracht, mit größter Sorgfalt verstand es sich.
    Mittlerweile war er zu seinem Tagewerk zurückkehrt, es war am hellichten Tage, als er eines seiner normaleren, aber wesentlich langweiligeren Gemälde unter dem Arm trug, eingewickelt in Stoff zum Schutze des wertvollen Bildes. Er hatte sich aus dem Bordell verabschiedet, Malik bereitete einige andere Dinge für ihren nächsten Schritt vor, während er seine gemalte Kunst weiter in die Häuser der adligen Bürger brachte.
    Der Kunsthändler seines Vertrauens störte sich gar nicht mehr daran, dass Dimicus vermummt und meist eher anonym seine Werke an ihn verkaufte, so war dieser meist eher dankbar, dass dieser solche Gemälde bekommen konnte. Dem jungen Mann war klar, dass das Gold welches er erhielt, nicht einmal dem Bruchteil des Betrages entsprach, zu welchem er das Gemälde später weiterverkaufte. Doch den Künstler kümmerte dies nicht, es war ja nur ein kleiner Nebenverdienst und für ihn eher nur ein entspannender Akt, als wirkliche Arbeit.
    Daraufhin kam er allerdings den schöneren Dingen nach, als er sich vom Marktplatz schließlich entfernte, seine Wege ihn in ein etwas abgelegeneres Stadtgebiet führten, genauer zu den eher einfacheren und teilweise verlassenen Häusern. Lang war er nicht mehr dazu gekommen, reguläre Aufträge anzunehmen und so erfreute es seine Seele, als er schließlich wieder zu einem seiner angestammten Plätze zurückkehrte, an jenen Platz, an den verzweifelte Geister sein Genie baten, ihre Erinnerungen mit der Schönheit seiner Werke zu bereichern. Sie ihn dafür bezahlten, sein Herzblut in etwas fließen zu lassen, welches ihn und seine Klienten gleichermaßen erfüllte.
    Nahe eines alten Hauses hatte er sich platziert, den Punkt seiner Begierde im Auge und doch auf die Umgebung eher achtend. Immer wartete er, bevor er sich seinen Auftrag nahm, um sicher zu gehen nicht in eine Falle oder eben unerwünschten Zeugen über den Weg zu laufen. Einige Momente vergingen also und als er sich schließlich sicher war, stiße er sich von der Wand ab, an der er zuvor lehnte und pendelte herüber zu dem alten, verlassenen Steinhaus. An der Mauer, an der Außenseite hinter einigen Büschen, da wurde er fündig. Mit Fingerspitzengefühl schob er die Steine weg, offenbarte einen Hohlraum mit einem Säckel darin. Seine Hand griff hinein, holte es heraus und schob den Stein wieder an seine angestammte Stelle. Schnell verbarg er den Leinensäckel unter seinem Umhang und zog von dannen, nur um später in aller Ruhe alles lesen zu können.
    Denn kurze Zeit später hielt er in einem sehr angesehenen Gasthaus an, nahm dort Platz und bestellte sich Speis und Trank. Eberbraten sollte es dieses mal sein, allerdings mit Traubensaft, keinen Wein. Ganz normal zog er den Brief hervor, welchen er schon vorher aus dem Säckeln entnommen hatte, faltete ihn auf und begann zu lesen. Seine Lippen verzogen sich sofort zu einem Grinsen, als er sah, von wem der Auftrag kam. Um genau zu sein, war es sehr belustigend, denn sein Ziel war jemand, den er ganz gut kannte: Valerius Feldweber. Sein Auftraggeber war nur noch leichter zu durchschauen, als zuvor gedacht: Wilhelm, Emilias zukünftiger Gatte.
    Die Summe für den Auftrag schien stattlich und die Anweisungen klar, möglichst öffentlich und präsent. So sollte es sein, doch nicht Valerius würde sterben müssen. Wilhelm wusste gar nicht, worauf er sich eingelassen hatte. Doch diesen Mann sich einfach anzunehmen wäre zu leicht, zu stillos, zu langweilig. Wieso nicht ein Spiel daraus machen, doch dafür musste sich Dimicus etwas einfallen lassen, eine Heausforderung und Spaß zugleich.
    So speiste der Künstler in aller Ruhe, er seine georderten Dinge forderte und sich erhob, seine Schritte führten ihn wieder hinaus auf die belebten Straßen, zwischen die Menschen und unter seine Kapuze. Jetzt brauchte er einen fähigen Handwerker, einer völlig anderen Zunft, doch dazu musste er sich Informationen beschaffen. So führte ihn sein weiterer Weg über die Straßen, sein nächstes Teilziel ausmachend.

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  • Tatsächlich war keine weitere Einladung zu Valerius gelangt, da Wilfried den Boten seiner Mutter abgefangen hatte. Er ärgerte sich über das Gesülze, das Lucinda dem jungen Mann schrieb und verbrannte den Brief. Stattdessen verfasste er ein neues Exemplar, das jedoch nicht an Valerius, sondern an jemand anderen ging – an den Rosendämon.
    Er hatte es endlich geschafft, gegen Drohungen und einige Münzen von den Wegen zu erfahren, auf denen man dem Auftragsmörder Botschaften zukommen lassen konnte. Also hatte er ihm einen grosszügigen Vorschuss zukommen lassen und versprach noch einmal das Doppelte drauf zu legen, wenn dieser Gockel Valerius zur Strecke gebracht würde.


    Für Emilia war die Woche nur zäh vorübergegangen. Seit dem Vorfall mit dem Bettler fürchtete ihre Tante Lucinda um das Wohl ihrer Familie und niemand konnte ungesehen das Haus verlassen. Ausserdem hatte sie wieder Versuche angestellt, die Nichte mit ihrem Sohn Wilfried zu verkuppeln und so vermochte sich Emilia kaum den familiären Abenden zu entziehen, welche Lucinda geschickt einfädelte. Tatsächlich gab sich Wilfried äusserst charmant und wirkte sehr selbstzufrieden. Emilia versuchte sich mit ihrem Schicksal anzufreunden, den jungen Mann zu heiraten, auch wenn er nicht ihre erste Wahl gewesen wäre. Sein gieriger Blick gefiel ihr nicht, doch ansonsten verhielt er sich die meiste Zeit tadellos.
    Immerhin lenkten sie die Gesellschaftsanlässe vom Tod ihres Vaters ab. Zumindest bis zu jenem Abend…


    Emilia war müde und erleichtert, dass sich Wilfried und Onkel Alfonso früher von den Frauen verabschiedeten, da sie sich zu einer Runde unter Freunden begeben wollten. Schliesslich entschuldigte sich auch die junge Frau von ihrer Tante unter dem Vorwand, ein literarisches Werk von Daedalus Humpertson fertig studieren zu wollen, was Lucinda bloss mit einem gnädigen Nicken quittierte.


    Obwohl Emilia erschöpft war, denn das ständige Lächeln und das Auftragen von poetischen Versen zur Zufriedenheit ihrer Tante waren ermüdend, begann sie in ihrem Zimmer trotzdem wie ein Löwe im Käfig herum zu gehen. Seit dem Tod ihres Herrn Papa hatte sie angefangen, abends regelmässig in Katzengestalt über die Dächer und durch die Gassen zu streifen, doch die langen Abende der letzten Woche mit der Familie hatten ihren Tribut gefordert und Emilia war oftmals direkt eingeschlafen, auch wenn es sie nach der Nachtluft gelüstete.
    Wenn Lucinda bemerkte, dass die Gestaltwandlerin Nachtwanderungen unternahm, würde sie sofort veranlassen, das Fenster abzuriegeln und nachts ihre Zimmertüre verschliessen lassen, dessen war sich Emilia bewusst.


    So liess sie sich mit einem Seufzer auf ihr Bett fallen, und griff nach den Werken von Daedalus Humpertson. Dabei stiess sie die geschnitzte Holzfigur einer kleinen Katze um, welche Frederik ihr einmal geschenkt hatte, und sie purzelte von der Kommode herunter.
    Während Emilia sich danach bückte, nahm sie einen hellen Schatten unter ihrem Bett wahr. Verdutzt liess sie sich auf die Knie gleiten und fasste nach dem Pergament. Das hatte sie doch glatt aus ihren Gedanken verdrängt…


    Ihr Blick huschte über die schnell geschriebenen Zeilen und ihre Augen weiteten sich vor Schreck, Abneigung, Zorn und schliesslich Verachtung.
    Was behauptete Valerius da?
    Sie hatte sich also verraten und er wusste nun, dass sie es wusste. War sie in Gefahr?
    Natürlich war sie das, schliesslich konnte sie ihn jeder Zeit an die Wachen verraten!
    Sie kannte sein Gesicht, seinen Namen… doch tat sie das wirklich oder hatte er auch da gelogen. Denkbar wäre es.


    Doch die ersten Zeilen schienen ihr belanglos im Gegensatz zu den Worten, die darauffolgten. Welche Anmaßung!
    Wie konnte er es bloss wagen, ihren toten Herrn Papa in den Schmutz zu ziehen! Und kurz darauf zuzugeben, dass er ihn umgebracht hatte und es keine Sekunde lang zu bereuen schien. Nein, er masste sich sogar an, gerecht gehandelt zu haben! Doch kein Mensch und kein anderes Wesen ausser Ainuwar sollte darüber entscheiden, wann das Leben zu verlöschen hatte. Und erst Recht kein selbstgerechter und überheblicher Meuchelmörder!
    Tränen der Wut und Trauer gleichermassen stiegen Emilia in die Augen. Selbst wenn dieser Mann die Wahrheit sagte in Bezug auf die Machenschaften ihres Vaters, was er natürlich nicht tat, war es pure Arroganz seinen Tod durch die Schönheit seiner Art gerechtfertigen zu wollen!


    Emilia zerriss den Brief in vier Teile und liess sie ungeachtet zu Boden rieseln.
    Sie würde die Wachen alarmieren, damit sie den Mörder verhaften und hängen konnten, wie es bei Mord üblich war. Und sie würde dabeistehen und zusehen, wie er seine letzten röchelnden Atemzüge tat. Doch vorher… wollte sie einige Antworten erhalten!


    Eine Stunde später hatte sie sich aus dem Haus geschlichen und bewegte sich durch die Strassen.
    In der Hand hielt sie einen Brief, den sie bei dem Haus abgeben wollte, vor dem sie Valerius bereits einmal begegnet war.


    Glaubt nicht, dass ich Euer heuchlerisches Tun jemals gutheissen oder gar bewundern würde. Einen Menschen zu töten hat Nichts mit Kunst zu tun, denn es ist verabscheuungswürdig.
    Ihr habt meinen Vater in den Schmutz gezogen und solange Ihr keine Beweise für Eure Anschuldigungen vorweisen könnt, werdet Ihr nie sicher sein, dass nicht die Wachen Euch in Eurem Heim erwarten. Solltet Ihr jedoch Recht behalten, sollt Ihr aus der Stadt verschwinden und ich werde Euch vergessen.
    Trefft mich in zwei Tagen zur frühen Abendstund vor dem güldenen Eber und bringt Eure Beweise mit.


    Ihr wirkliches Vorhaben verschwieg sie in dem Schreiben.
    Bei der zwielichtigen Taverne angekommen, übergab sie den Brief einer der Hübschlerinnen, welche ihr für eine Münze versicherte, ihn dem jungen Mann zu übergeben.
    Emilia entfernte sich in eine verlassene Gasse, um schnell aus ihren Kleidern zu schlüpfen, diese zu einem Bündel zu packen und sie in einer Nische zu verstecken. Dann wandelte sie sich.


    Bald darauf hatte sich die süsse Tigerkatze mit ihrem verspielten Auftreten und einem hungrigen Miauen den Zugang zur Küche erschlichen, wo die pummelige Köchin ihr ein Schälchen mit Milch hinstellte. Als diese sich wieder mit ihren Töpfen und Kellen beschäftigte, huschte Emilia durch eine Tür hindurch und gelangte in die Taverne, die jegliche Gelüste befriedigte.
    Sie liess sich von ihrem Geruch leiten und erreichte schliesslich die Schlafgemächer, wo sie sich in Reichweite von Valerius Zimmer positionierte, um auf sein Kommen zu warten.
    Sobald er auftauchte, würde sie auch ihn wiederum um den Finger wickeln und dann aus nächster Nähe seine Reaktion auf ihren Brief zu sehen bekommen. Erst dann könnte sie ihr weiteres Vorgehen planen…

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  • Mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen und einem Stück Papier, welches seine "anonyme" Bestellung zur Abholung berechtigte, schlenderte Dimicus wieder zurück zum Etablissement Maliks, seiner aktuellen Wohnstätte. Immer noch eine Schande in seinen Augen, doch aus seinen Raum dort wurde immer mehr etwas. Was man nicht gerade von dem Bordell sagen konnte, doch das waren nicht die Belange des Künstlers.
    Die inzwischen in die Dunkelheit getauchten Straßen fühlten sich wie sein eigentliches Zuhause an, nur teilweise erhellt von dem silbrigen Schein des Mondes und den Straßenlaternen, die die sonstige Fonsternis zu vertreiben versuchten. Wenn er sie nur löschen und somit die Wege in die Melodie des Mondes tauchen könnte. Welch schöner Anblick wäre das gewesen?
    Leicht verträumt von dieser Vorstellung näherte sich der junge Mann wieder seinem zweckmäßigen Heim, bereits in der Nähe verdichtete sich der Verkehr von vorwiegend männlichen Bürgern, die ihre Lust zu befriedigen ersuchten. Die Kapuze tief in das Gesicht gezogen, schritt er elegant und doch zugleich unscheinbar durch die Mengen, an übel riechenden Männern und Trunkenbolden vorbei. Die Mädchen waren bemitleidenswert, wenn sie solche Männer bedienen mussten.
    Zum Glück schlängelte er sich einfach hindurch, durch die Vordertür und schließlich auf den direkten Wege zur Treppe. Kurz davor wurde er jedoch aufgehalten, einer der Matronen des Hauses hielt ihn auf. "Herr, ich habe etwas von euch.", ertönte es von der an ihn herangetreten Frau. Sein ruhiger und zugleich kühler Blick ruhte auf ihr, sie zuckte etwas zurück, riss sich aber schnell zusammen und reichte ihm einen Brief. Eine Augenbraue erhob sich, als er den Brief betrachtete und schließlich entgegennahm. "Von wem kam er?", fragte er fordernd, worauf sofort eine auf Emilia passende Beschreibung folgte. "Interessant. Danke Liebes.", sagte er dann plötzlich, wie ausgewechselt, vollkommen zuckersüß. Er wusste, sie hatte etwas vor und auch er war nicht ganz untätig gewesen, was Emilia betraf.
    Damit nahm er sich den Brief und schritt nach oben, doch ehe er seine Tür erreichen konnte, machte er eine ungewöhnluche Entdeckung. Genau vor seiner Tür saß eine Katze. Dunklebraunes Fell, schwarze Streifen, unglaublich anmutig. Als sich das Köpfchen des kleinen Wesens zu ihm regte, erkannte er die grünen Augen der Katze, die ihn an etwas erinnerten, doch er konnte nicht sagen an was. Doch wer würde er sein, solch einem edlen Wesen dem Zugang zu einem Raum dessen Wahl zu verwehren?
    Mit einem sanften Lächeln und dem Zurückziehen seiner Kapuze begrüßte er das Tier, streichelte es kurz über den Kopf um schließlich die Tür zu seinem Raum zu öffnen. Dieser hatte sich stark verändert, dass innerhalb der kürzesten Zeit. In seinem Raum waren die Wände mit von ihm gemalten, edlen Bildern verschönert, eine Ecke hatte die Widmung der Bedeutung seiner Kunst bekommen, als er sie zu seinem persönlichen Atelier verwandelt hatte. Zahlreiche leere Leinwände, seine geliebte Staffelei und dazu Malutensilien, die nicht hätten zahlreicher sein können. Dazu das Bett, dass er noch immer austauschen wollte, sowie der Tisch samt Stühle. Doch das brauchte seine Zeit, so war er kein Schreinermeister, um dieses Werk vollbringen zu können.
    Die kleine Katze hatte ihn begleitet, scheinbar führte ihre Neugierde und der Entdeckerdrang dazu, sich hier wohlzufühlen, vielleicht täuschte sich der Künstler auch nur, im Lesen von Tieren war er noch nie wirklich gut. Vollkommen gelassen und entspannt streifte er sich seinen Mantel ab, unter dem seine lederne Rüstung und seine zahlreichen Wurfmesser, sowie seine zwei Dolche zum Vorschein kamen. Diese Waffen legte er allerdings auch ab, auf die Kommode neben dem Bett, ehe er auf jenes Platz nahm und den Brief zu lesen begann. Zuerst vollkommen konzentriert, schließlich aber vollkommen erleichtert und weiterhin ausgelassen.
    "Ach, Emilia. Du hast eine interessante Ansicht auf die Dinge, wie sie funktionieren könnten aber nicht werden." Für einen Moment legte er den Brief beiseite, zückte sein Notizbuch und schien darin etwas lesen zu wollen. Mehrere Seiten durchblätterte er und las sehr aufmerksam etwas nach. "Ich verstehe." Ohne groß auf die Katze oder ihre Taten geachtet zu haben, aber noch wissend, dass sie im Raum war, erhob sich der junge Mann und schritt zur Tür herüber, schloss sie ab. Das Gleiche passierte mit dem Fenster und es gab kein Entkommen mehr aus dem Raum. "Dir ist bewusst, dass der Zufall zu groß ist, dass dein Brief und eine Tigerkatze zum selben Zeitpunkt hier auftaucht? Mit weißen Pfoten, schwarzen Streifen und braunen Fell. Dazu unvergleichlich die Augen."
    Nun fixierte er die Katze in dem Raum, ein wissender Blick strafte die junge Katzendame. Ein sanftes Lächeln umspielte schließlich seine Lippen, eher weiter zu sprechen begann: "Wusstest du, dass einige eurer Bediensteten viel zu neugierig und gesprächig zugleich sind? Sie haben Dinge gesehen, die sie nicht hätten sehen und erst recht nicht an mich weitergeben sollen. Doch für die richtige Menge an Geld gibt jeder gern den nötigen Pinselstrich zu dem Gesamtbild hinzu." Seine Worte waren langsam, bedacht und deutlich gesprochen, so dass Emilia sie exakt verfolgen konnte. "Du willst Beweise?", fuhr er fort, erwartete aber keine Antwort. Stattdessen erhob er sich, öffnete die Kommode und zog einige Pergamente hervor. Verträge, Handelsnachweise, Briefe und Seiten aus Tagebüchern kamen zum Vorschein, in denen die meisten Machenschaften von Frederick von Kreuzenstein belegt und beschrieben waren.
    Namen, Wohnorte und bestellte "Ware" von Klienten, sowie die Preise dazu. Drohbriefe, Gedanken Fredericks aus seinen Tagebüchern, Handelsbriefe, alles war dabei um die Unterstellungen zu stützen, auf die Dimicus zuvor in seinen Recherchen gestoßen war. All dies breitete er auf seinem Bett aus, ermöglichte Emilia selbst in Katzengestalt die Einsicht. Doch noch im selben Moment zückte er einen Stif und ein Blatt Pergament, auf welchem er schrieb: "Lass uns reden. Verwandel dich zurück und lass uns wie erwachsene Menschen sein. Solltest du versuchen dich zur Löwin zu verwandeln und mich zerfleischen zu wollen, wie du es dem armen Bettler angetan hast, bist du sehr schnell tot. Mach keine Dummheiten Emilia. Ich werde dir nichts tun." Dieses Blatt legte er dazu, eindeutig lesbar für die junge Frau.

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