Kapitel 03 - Die dritte Form

  • Die dritte Form



    Er war dem Tod schon tausendmal begegnet. Er hatte Eingeweide aus noch lebenden Körpern gerissen. Er hatte gejagt, er hatte gefressen, er hatte gelebt. Aber diesmal wurde der Jäger zum Gejagten und er hatte Angst.


    Wenn es soweit sein würde, wollte er nicht mit Angst im Blick diese Welt verlassen…
    Er würde kämpfen... so wie er es immer getan hatte...


    Sein Körper meldete sich langsam zurück. Er fühlte sich als hätten tausende Explosionen in seinem Körper stattgefunden und seine Gelenke schmerzten höllisch von der Überanstrengung.


    Jeder andere hätte in dem Moment seine Beute fallen lassen oder sie den Feinden entgegen geschleudert. Die Bestie tat nichts dergleichen. Das Einzige was sie tat war, die langen Eckzähne aus dem Hals seines Opfers zu ziehen. Die Beute hielt er wie ein Schutzschild vor seinen Körper.


    Inständig und lautlos flehte er um den Beistand des Ältesten.


    Er konnte ihn doch nicht gesegnet haben, damit er in der Gosse starb. Er hatte so vieles von dem Ältesten nicht verstanden und doch war er seiner Lehre willfährig gefolgt, hatte alles in Kauf genommen nur um weiter töten zu können - auf einer höheren Ebene töten zu dürfen, dachte er zähnefletschend und schob Nathan schützend hinter sich.


    Er hatte sein lautloses Gebet noch nicht beendet, da verkrampfte sich sein Körper in einer plötzlichen inneren Erschütterung. Irgendwelche Mächte zwangen ihm eine Verwandlung auf. Zwang ihm Verrenkungen auf, die für einen menschlichen Körper undenkbar und unerträglich waren.


    Er spürte wie seine Knochen brachen, sich umgestalteten, neue Form annahmen, heilten. Er starrte sich selbst in einer Pfütze mit matten Augen entgegen. Er öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei, als er sah was mit ihm geschah.


    Langsam aber sicher breitete sich anderes Fleisch auf ihm aus. Wie ein wuchernder Pilz überzog es ihn, drang in seinen Körper ein, in die Knochen, verbreiteten sich Adern, Sehnen und Organe die er nicht hätte haben dürfen.


    Er riss das Maul auf, stöhnte aus einer fremdartigen Kehle, während sich durch seine Kiefer noch gewaltigere Reißzähne als seine ursprünglichen ihren Weg bahnten. Ein grauenerregender Laut. Er hatte fast eine Fledermaus artige Gestalt, wie er beiläufig trotz aller Schmerzen zur Kenntnis nahm.


    Das Wesen betrachtete sich mit einem starren, fixierenden Blick ehe es an sich selbst herunter schaute. Fassungslos starrte es auf seine sich verfärbende Haut.


    Es folgte erneut ein Moment der Stille, dann hob das Wesen seine langgliedrige, Finger vor seine Augen. So lang und schmal, dass allein die Finger ohne Krallen schon wie Waffen, ja wie Stilette erschienen. Krallen von gewaltigem Ausmaß.


    Unsicher tastete sich das Fledermausgeschöpf ab. Ungelenke, abgehakte, groteske Bewegungen die den überlangen Fingern schon das seltsam-zitternde Aussehen eines Insekts verliehen. Seiner Kehle entrann ein Keuchen, ein Schnauben voller Glück.

    Ein weiterer Krampf, schlimmer als die vorherigen erschütterten seinen Körper und zwangen ihn fast zu Boden. Ein einzelnes "Horn" durchbrach seinen Brustkorb. Wie ein kleiner Speer, der von innen nach außen schoss, stand er einen Moment aufrecht da, dann platzte er auf und ein schwarzes Büschel Fell legte sich an seinen Körper an.


    Einige Sekunden herrschte Ruhe, dann schlagartig Tausende, Millionen, Milliarden dieser Speerstiche. Schlagartig schossen sie empor, breiteten sich über seinen ganzen Oberkörper aus, schienen das Fledermauswesen komplett bedecken zu wollen und diese Vermutung sollte stimmen.


    Einem unsichtbaren Zeichen gehorchend platzten alle Hornspeere auf und das Fell legte sich in einer grauenvollen Synchronie gleichzeitig auf seinem Oberkörper an. Dazwischen die inzwischen dunkel verfärbte ledrige Haut. Das Letzte was man bei der Verwandlung sah war, wie ihm gewaltige Ohren und ein Nasenblatt wuchsen, die sich wie Blätter entrollten.


    Die Verwandlung hatte nur einen Augenblick gedauert, aber dem Wesen erschien es wie eine Ewigkeit. Es blieb noch einen Moment lang geschwächt hocken, dann richtete es sich langsam zur vollen Höhe auf. Urplötzlich hob es die Hände und tastete seinen ganzen Körper ab, als könnte er seine eigene neue Existenz nicht begreifen. Verletzte sich selbst, mit rasiermesserscharfen Krallen die nun seine Hände waren.


    Glück… unendliches, unbeschreibliches Glück.


    Statt vor einem vermeintlichen Menschen, standen seine Feinde nun schlagartig vor einer gewaltigen Kreatur. Die Arme wie bei einem Riesenaffen, hingen fast bis auf den Boden und waren mit gewaltigen Klauen ausgestattet.


    Es bewegte sich nicht.
    Es schien nur auf sie herab zu starren.


    Man hörte das nervöse Atmen der Panther und dass rasselnde Atmen der Kreatur. Vorsichtig gingen die Kopfgeldjäger einige Schritte zurück um Sicherheitsabstand zu halten.


    Wie in Zeitlupe schauten die Panther zur der Kreatur auf. Von den Krallen hoch zu den Knien. Zum gewaltigen und dennoch dürren Leib. Und starrten dann voller Entsetzen in fast über zwei Meter Höhe in ein Fledermausgesicht.


    Das Wesen lächelte grotesk. Vielmehr fletschte es die Zähne, was wohl sein Lächeln darstellen sollte. Die Augen verengte es zu schmale Schlitze. Das Wesen bäumte sich auf, den hasserfüllten Blick nicht von den Panthern abwendend und brüllte ohrenbetäubend.


    Die Krallen schabten kurz über den Boden – in dem Moment sprangen die Panther beiseite. Nur ihre guten Reflexe hatten sie vor der Attacke geschützt. Wo sie gerade noch standen donnerten die Krallen wie Stillette in den Boden.


    „Hilfe!“, kreischte einer der Panther auf, während der Rest wie besessen losrannte.


    Die Pranke von Archibald verfehlte den kreischenden Panther nur knapp und hinterließ drei gewaltige blutige Schnitte auf dessen Rücken. Nun übermannte auch ihn die Panik und er rannte los wie von der Tarantel gestochen. Das Wesen nahm sofort die Verfolgung auf. Die Panther rannten wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt waren. Und hinter dem seltsamen, brutalen Schauspiel dieser Verfolgungsjagd lief Nathan seinem Archibald hinterher.


    Der Fledermaus-Koloss direkt hinter ihnen, seine schweren Schritte ließen den Boden erzittern, seinen heißen Atmen in ihrem Nacken. Sie erreichten die Tür eines Wachhauses, welche sich zum Glück gleich einen Spalt öffnete und hinter ihnen sofort wieder schloss.


    Kaum auf der anderen Seite erzitterte Wache in ihren Grundfesten und Putz rieselte von der Decke, als das Wesen in der Hoffnung sie noch zu erwischen gegen die Tür gesprungen war. Vor dem Spion sahen sie für einen Augenblick nur ein reizzahnstarrenden Maul. Das Wesen fixierte sie blutunterlaufenen Augen. Der Blick der Bestie hatte nichts Menschliches mehr an sich.


    Die Panther wussten, würde einer in die Nähe des Türschlitzes kommen, gleichgültig wie schmal der Schlitz war, die Bestie würde den Unglücklichen durch Öffnung zerren, wie eine Katze einen Vogel durch die Gitterstäbe des Käfigs.


    "Eine Maus jagt ein Rudel Katzen...", lachte die Bestie draußen vor der Tür.


    Sie verpasste der Tür einen brachialen Hieb, ehe sie in der Dunkelheit der Nacht mit ihrem kleinen Gefährten verschwand.