Reinigung
Silvano saß am Kartentisch, ihm direkt gegenüber saß Francois. Der Schiffsheiler hatte alle möglichen Utensilien auf dem schweren Tisch abgestellt, den Boldi seinerzeit bei ihrem ersten Treffen wie ein Spielzeug durch die Gegend geschleudert hatte. Heute stand der Tisch unverrückbar wieder dort, wo er üblicherweise stand und bot durch sein Eigengewicht Vano Halt. Er stützte sich mit dem linken Arm schwer auf dem Tisch ab, während sich seine rechte Hand an den Tischrand klammerte. Er hatte dabei so fest zugepackt, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
Boldi schaute auf den Rücken seines Mannes. Vano war weder geschminkt noch zurecht gemacht, er trug nur einfache Unterkleidung in Form von Unterhemd und Unterhose. Seine dunkelblonden, schulterlangen Haare hatte er lieblos zu einem Zopf nach hinten gebunden. Der Schiffsheiler war so nah vor das Gesicht von Mancini gebeugt, dass er ihn hätte küssen können. Aber das lag weder im Interesse des Heilers, noch von Mancini.
Über seine Gläser schaute der Heiler hochkonzentriert Silvano ins Gesicht. Mit einer Hand hielt er seinen Kapitän am Kinn fest und drehte je nach Bedarf Vanos Kopf in die passende Richtung. Die andere Hand werkelte herum und hielt etwas, das Boldi bei seinem Eintritt in die Kajüte nicht erkennen konnte.
Mancini war durchgeschwitzt und Boldi sah wie er sich ab und an versteifte und mit dem Kiefer mahlte, nur gelegentlich stahl sich ein winziger Schmerzlaut aus seiner Kehle. Boldi grüßte die beiden und Francois grüßte mit einem freundlichen Blick über seine Brille hinweg, der ein Schmunzeln folgte. Boldiszar bezog hinter dem Heiler Stellung und schaute, was dieser dort mit seinem Mann trieb. Francois warf eine lange, metallene Pinzette in eine Schale. Scheinbar waren sie soweit fertig, wie die blutigen Wattebäusche in der Schale auf dem Tisch verkündeten. Mit einem langen Wattestäbchen dass in einer Flüssigkeit getränkt war, reinigte Francois Vano das zerstörte Auge und die Narbe darunter.
Bei dem Anblick verstand Boldiszar schlagartig, warum sein Mann bis auf das Hemd durchgeschwitzt war. Francois ließ von Mancini ab und drehte dessen Kopf etwas hin und her um sein Werk zu betrachten. Der Heiler nickte zufrieden und spachtelte mit einem anderen Stäbchen großzügig Heilsalbe auf die wunden Stellen.
„Schminke Dich bitte nur bis zum Jochbein, falls Du Dich unbedingt schminken musst Vano. Am Wangenknochen ist Schluss mit der Schminkerei, ich möchte Dir nicht jedes Mal entzündete Schminkreste aus der Augenhöhle entfernen müssen.
Denk an Deine Gesundheit, dort schaut garantiert niemand nach ob Du ansatzfrei geschminkt bist“, erläuterte Francois, tupfte die überschüssige Salbe ab und setzte seinem Kapitän die Augenklappe auf.
„Das passiert nicht beim Schminken, sondern beim Abschminken Fran“, antwortete Silvano matt. Mancini gönnte sich einen großzügigen Schluck Rum, den er auf Ex herunter kippte.
„Dir fehlt die halbe Gesichtshälfte in der Wahrnehmung und das Räumliche Sehen. Schlimmstenfalls reibst Du Dir die Schminke in die Augenhöhle. Folglich keine Schminke auf die leere Augenhöhle und beim Abschminken bitte vom Auge weg die Schminke wegstreichen. Sollte doch es doch einmal ins Auge gehen, fummele nicht selbst daran herum, sondern komm direkt zu mir. So der Patient gehört Dir Boldi, kümmere Dich ein bisschen um ihn“, sagte Francois und räumte geflissentlich sein Besteck zusammen.
„Danke für Deine Hilfe. Ich halte mich zukünftig dran“, murrte Mancini und trank noch ein Glas Rum auf Ex aus.
„Das sagst Du jedes Mal Vano, aber jetzt hast Du ja einen Aufpasser und Mitbewohner, er wird ein Auge auf Dich haben“, gab Francois zurück und schloss seinen Ärztekoffer mit einem Klacken, „bis heute Abend“.
„Bis heute Abend und Danke Fran“, gab Mancini zurück und nahm die Hand von Boldi.