Der stählerne Wal - Standalone

  • Der stählerne Wal


    Die Segel knarrten im Wind, die Choucas glitt über die Wellen dahin, dem Vogel gleich nachdem sie benannt wurde. Klein, listig und clever. So klein war die Choucas allerdings nicht, sie hielt sich mit ihren 60 Metern gut im Wind und machte 8 Knoten. Die Sonne brannte auf das Deck herab, während der Ruderer den Kurs hielt und sich die Mannschaft mit einem Lied die Zeit vertrieb, wie auch die Arbeit erleichterte. Silvano stand mit Francois gemeinsam an der Verschanzung, beide genossen den Blick auf die See, eine Rauchstange und ihr Gespräch, als ein Ruf die gemütliche Stimmung zerriss.


    „Wal voraus!“, bellte der Matrose im Krähennest.


    Silvano und Francois schmissen synchron ihre Rauchstangen ins Meer und griffen zu ihren Fernrohren. Von Wal war nichts zu sehen, aber das musste nichts bedeuten. Der Mann oben im Krähennest hatte einen wesentlich weiteren Sichtradius, als sie vom Deck aus. Allerdings musste das Tier irgendwann wieder auftauchen und dann würden sie es am Blas erkennen und der Wal würde damit auch seine Art verraten. Bartenwale besaßen zwei Blaslöcher und erzeugen meist V-förmigen Blas, Zahnwale besaßen nur ein Blasloch. Und bei den Melonenköpfigen Zahnwalen war der Blas um etwa 45° nach links vorne geneigt. So waren sie leicht am Blas zu identifizieren. Die komprimierte, ausgeatmete Luft einiger, riesiger Wale erreichte angeblich sogar bis zu 12 Meter. Aber solche Geschöpfe lebten nicht in der Azursee.


    „Art?“, bellte Mancini nach oben zum Krähennest.
    „Noch kein Blas Käptn! Tier ist umme 15 Meter! Dicht unter der Wasseroberfläche, genau auf 12 Uhr!“, erstattete der Matrose Bericht.


    „Das lohnt sich“, grinste Francois.
    „Und ob sich das lohnt“, stimmte Mancini zu und wandte sich an die Mannschaft.


    „Alle Mann auf Gefechtsstation, Skorpione feuerbereit, Front-Harpune laden und feuerbereit! Kurs beibehalten! Volle Segel!“, donnerte er und die Mannschaft kam wie ein Bienenschwarm sofort den Befehlen nach.


    Mancini gab dem Ruderer ein Zeichen, dass er das Steuer übernahm. Die Mannschaft kletterte flink und sicher in der Takelage umher, um volle Segel zu setzen. Kaum gesetzt schoss die Choucas mit 12 Knoten hinter dem Wal her.


    „Käptn am Steuer!“, donnerte der erste Offizier der neben dem Steuerrad Position während der Schicht bezogen hatte, die Ablöse kundgebend.


    „WAL TAUCHT AUF OHNE BLAS!“, kam der Ruf aus dem Krähennest mit entsprechendem Fingerzeig.
    „Was?“, fragte der erste Offizier Jaques Philipp de Dusolier.


    „Raus aus den Segeln!“, donnerte Mancini und drehte zu dem Tier etwas bei, auch dieser Befehl wurde sofort umgesetzt.
    „Kadaver?“, fragte er nach oben in den Ausguck.


    Der Mann starrte ins Wasser, zückte sein Fernrohr, starrte erneut und starrte dann zu seinem Kapitän herunter.


    „Status Mann!“, donnerte Mancini nach oben.
    „Käptn, das glaubste nich… das Vieh ist aus Metall!“, rief der Matrose nach unten, als die ersten Matrosen vorne am Bug nervös wurden.


    „Metall?“, hakte Jaques nach.
    „Goblinscheiß?“, fragte Mancini zurück.


    „Es ist aufgetaucht Käptn, das Ding ist echt aus Metall!“, schrie einer der Matrosen.
    „Bestätige Sichtung! Wal aus Metall, Stahl möglicherweise, ein mutmaßliches Konstrukt Käptn“, rief der zweite Offizier nach hinten.


    „Harpunieren!“, befahl Mancini ohne zu zögern.


    Der Matrose an der gewaltigen Bordharpune zielte umgehend und schoss. Die Harpune schoss wie ein silberner Blitz davon und in Windelseile wickelte sich das Seil ab, dass sie mit dem Schiff verband. Es gab ein grauenvolles kratzendes Geräusch von Metall das über über Metall schabte, dann zog sich das Tau straff.


    „Treffer!“, brüllte der Matrose und die Mannschaft brach in Jubel aus.


    „Wal dreht bei, backbord 20 Grad!“, rief der zweite Offizier von vorne.
    „Bestätige Käptn, dreht bei – 20 Grad backbord!“, kam der Ruf aus dem Krähennest.


    „Breitseite Backbord, selbstständiges Feuern auf Sicht!“, donnerte Mancini und riss die Choucas nach links herum um der Bewegung des Wals zu folgen.


    Die Wellen wurden von einem seltsamen, metallenen Kamm durchbrochen, als der stählerne Wal ganz an die Oberfläche kam. Sein gewaltiger Nasendorn richtete sich auf die Choucas aus. In dem Moment donnerten die Skorpione auf der linken Seite der Choucas los und hinterließen eine Reihe gewaltiger Lanzen in dem stählernen Leib des unbekannten Ungetüms. Der Wal seinerseits nahm Fahrt auf und schoss auf die Choucas zu.


    „20 Meter bis Einschlag!“, bellte es aus dem Krähennest.
    „Sichern!“, donnerte Mancini als Antwort.


    Jeder Mann an Bord, band sich sofort am Schiff selbst fest. Der Wal schoss weiter auf die Chouas zu, als sich sein stählerner Nasendorn in die Flanke des Schiffes bohren wollte, riss Mancini so weit das Steuer herum, dass sich die Choucas bedrohlich Richtung Wasserlinie neigte.


    In einer fast tänzerisch anmutenden Bewegung wich das Schiff dem Dorn durch eine Seitwärtsdrehung aus, so dass der Wal knapp das Heck verfehlte. Der Wal tauchte auf der rechten Seite auf, während sich die Chouas wieder erhob und zur vollen Höhe aufrichtete. Zeitgleich feuerten die Skorpione steuerbord eine volle Breitseite in den Wal. Erneut schwenkte die Choucas herum, so dass sich die beiden Kontrahenten im Wasser für einen Moment gegenüberstanden. Dann tauchte der stählerne Wal ab.


    „Wal zieht unter die Madame Käptn! Tauchtiefe 5 Meter, sinkt weiter! Denke der will uns rammen!“, brüllte es aus dem Krähennest.


    „Position?“, bellte Mancini.
    „Bug!“, donnerte der zweite Offizier als Antwort.


    „Unter uns?“, brüllte Mancini.
    „Nein, Wal kommend!“, teilte der zweite Offizier mit.


    „Anker bereit machen!“, donnerte Mancini und nicht nur einer der Mannschaft schaute seinen Kapitän verdutzt an, trotz allem wurde auch dieser Befehl sofort umgesetzt.


    „Anker bereit!“, kam es vom Bug.
    „Wal schiebt sich frontal unter uns!“, warnte der zweite Offizier.


    „ANKER FÄLLT! Anker kappen! Harpune kappen!“, befahl Mancini brüllend.
    „Anker fällt! Anker und Harpune gekappt!“, kam die Bestätigung.


    Mit einem Rauschen donnerte der tonnenschwere Anker herab und man hörte oben auf der Choucas so etwas wie einen Untersee-Gongschlag, während das gewaltige Tau des Ankers an Bord gekappt wurde.


    „Das dürfte für Kopfschmerzen gesorgt haben!“, grinste Mancini.
    „Und eine Delle, sowie es klang“, grinste Jaques zurück.


    Mancini drehte mit der Choucas bei und schoss mit ihr über die Wellenkämme davon.