Davet und Vano - Schuld und Unschuld 204 n.d.A.

  • Davet und Vano - Schuld und Unschuld
    (Auszug - Blutrote See - Kap. 24 - Neujahr 204)



    Davets Gesicht sprach Bände, allen voran die Zornesfalte die sich zwischen seine Augenbrauen gegraben hatte, als er zurückkehrte.


    Eigentlich wollte er sich von Rene und Frederic verabschieden, folglich suchte er das Raucherzimmer im Anwesen der Dusoliers auf. Oder besser gesagt, Davet hatte es vor. Aber das was er aus dem Raucherzimmer von Frederic und Rene hörte, ließ ihn zuerst stocken und danach umgehend zu Silvano und Boldi zurückkehren.


    Silvano ging Davet entgegen und legte ihm einen Arm um die Hüfte.


    "Was ist los?", fragte Mancini besorgt.
    "Frederic und Rene erzählten im Raucherzimmer in großer Runde, ich wäre schuld an Deinem Zustand", knurrte Davet.
    "Bitte?", hakte Vano nach.


    "Das Schlimme daran ist, sie haben Recht!", knurrte Davet, ehe er den Blick losreißen konnte und es wagte Vano ins Gesicht zu schauen. Silvano erwiderte nichts auf die Aussage, sondern strich ihm nur beruhigend über den Rücken.


    "Du! Du bist der Einzige der dazu ein Recht hat, mir vorzuhalten dass ich nicht zurück gekommen bin. Du und sonst keiner! Was wissen die anderen schon? Nichts! Sie alle wissen überhaupt nichts! Was stellen die sich hier alle vor? Ich schlug die Augen auf, wrang mit die Haare aus und dachte "hübsch hier in Rakshanistan? Bleibe ich mal die nächsten 14 Jahre"?


    Das sah etwas anders aus. Die erste Zeit nachdem ich aufgewacht bin, habe ich überhaupt nichts mitbekommen. Ich war im Delirium, ich war weder tot noch lebendig. Das einzige was ich wahrgenommen habe und woran ich mich bis heute erinnere sind unvorstellbare Schmerzen. Schmerzen in meinem Körperinneren, von denen ich dachte sie bringen mich um und oft genug habe ich mir gewünscht, sie täten es endlich!


    Wer ich war, wo ich war, all das hätte ich Dir nicht beantwortet können. Ich existierte und ich hatte Schmerzen die mir alles raubten. Einzig und allein Deinen Namen wussten Tara und die anderen. Weil ich ständig nach Dir gebrüllt habe. Wie andere Schwerverwundete nach ihrer Mutter brüllen, habe ich nach Dir gebrüllt. Darum dachten sie zuerst Vano... das ist der Name meiner Mutter.


    Erst als ich die Besinnung wiedererlangt habe und sie mich fragten, wer ich bin und sie mir erzählten nach wem ich ständig geschrien habe in meinem Schmerz, da haben sie erfahren, dass Vano der Name meines Mannes ist und nicht der meiner Mutter.


    Halten Dich mich für geistig zurückgeblieben oder zu dämlich bis 14 zählen zu können?
    Ich weiß, dass ich an Deinem Leid schuld bin!


    Als ich Dich bei den verdreckten Echsen sah, als ich die aufgestellte Statue von mir sah, meine bereit gelegten Instrumente, die geopferten Toten, da wusste ich was Sache war.


    Hätte ich gewusst, dass Du noch lebst, hätte ich Dir geschrieben. Aber ich wäre nicht zurückgekehrt, Vano. Ich hätte Dich gebeten zu mir zu kommen. Ich hätte gehofft Du würdest Souvagne verlassen und Dich mir anschließen.


    Jedenfalls als ich wieder gesund war, vorher hätte ich Dir nicht geschrieben, selbst wenn ich gewusst hätte, dass Du noch lebst. Ich war genauso ein Wrack wie die Aquila als ich sie fand. Nur ist ein Schiff leichter zu reparieren, als ein Mensch zu heilen.


    Was stellen die sich vor?
    Das ich da den ganzen Tag Rum schlürfend unter Palmenblättern in der Wüste entspannte?


    Es hat über ein Jahr gedauert, bis ich gelernt habe, wieder mit mir selbst klar zu kommen, zu akzeptieren, was geschehen ist, einschließlich Deinem Verlust. Von der Narbe und den anderen Verletzungen fange ich erst gar nicht an zu erzählen.
    Wäre ich unverzüglich nach meiner Rettung zurückgekehrt, in dem Zustand geistiger Umnachtung, noch lange nicht genesen, rate mal wer für mich zuständig gewesen wäre! Corentin! Das Drecksstück hat da noch gelebt!


    Allerdings hätte ich dann nicht mehr lange gelebt Vano. Nichts was dieser Drecksack mehr verachtet hat als Schwäche, was glaubst Du hätte er getan? Er hätte beendet was die Scheiß-Echse angefangen hat.


    Durch seine Hand zu sterben, wäre schlimmer als der Abgrund gewesen und mein Vater hätte mich vorher auf Links gekrempelt. Corentin hätte mich ausgelesen, wo ich war, mit wem ich mich herumgetrieben habe und all jene die seinen ach so schönen Plan mit mir zunichte gemacht haben, hätte er zunichte gemacht.


    Haben die nur ansatzweise eine Vorstellung davon, wie gefährlich der Mann war?
    Die können sich nicht im Geringsten vorstellen wie brutal und gnadenlos er war. Ich hätte Renes Gesicht sehen wollen, wäre Corentin auf der Mouette aufgeschlagen um sich zu bedanken!


    Ich... ich habe ihn mal gesehen...
    Er hat mich gesucht...


    Lange vor unserer Zeit Vano, ich schob Dienst auf der Avalar - der Schwalbe, ich war noch in Ausbildung. Da sah ich ihn unten am Hafen sich die Schiffe anschauen. Wenn Du ein Leben lang gewöhnt bist, Dich vor Deinem Vater verstecken zu müssen und Dich aus seiner Schusslinie zu halten, bekommst Du ein Gespür dafür, wenn er in der Nähe ist. Ich sah ihn, er sah mich nicht. So schnell wie möglich bin ich unter Deck. Der Vierte der Avalar wollte etwas dazu sagen. Ich schüttelte nur mit flehendem Blick den Kopf und er schwieg.


    Stell Dir vor, er hätte über Deck meinen Namen gebrüllt um mich zurück zur Arbeit zu rufen. Aber er verstand meinen Blick und ich sagte ihm wer da draußen stand und nach mir suchte. Der Vierte ging zurück an Deck und erteilte der gesamten Mannschaft Auskunftsverbot.


    Was glaubst Du hätte Corentin getan, hätte er mich erwischt? Er hat mir allein für den Wunsch zur See zu fahren schon die Knochen gebrochen.


    Das Letzte was ich wollte war zurück in den Abgrund meines Vaters.


    Zurück zu Santo und Leala wollte ich ebenso wenig. Wie hätte ich ihnen unter die Augen treten sollen? Du hast Vano geliebt? Wieso ist er dann tot? Wieso hast Du ihn sterben lassen? Die Frage stellte ich mir so oft in den 14 Jahren, dass ich sie nicht aus ihrem Mund ertragen hätte. Und ich denke für sie war es einfach einmal um uns beide zu trauern. Stell Dir vor, ich wäre dort aufgetaucht, nur um ihnen mitzuteilen, dass ich noch lebe und wäre wieder abgereist. Wozu sollte ich ihnen so etwas tun? Was hätte ich denn damit erreicht, außer sie zutiefst zu verletzten?


    So war ich einfach tot und im Grunde war ich das auch.


    Ich habe einen Strich unter alles gezogen und dort neu angefangen. Nicht ohne Dich, falls Du das denkst Vano Schätzchen. Du warst immer in meinem Herzen und auch an meiner Seite. Du hattest sogar stets ein eigenes Quartier auf der Aquila.


    Für mich war es ein Zeichen ein Schiff dort zu finden, wo man keines vermutet. Die Aquila lag dort, zerstört aber nicht gebrochen, so wie man es von einer alten Kriegerin erwartet. Sie hat gewartet, bis jemand kommt der sie rettet, zusammenflickt und der in der Lage ist, sie zu führen. Wir beide waren Gebrochene die sich Halt gaben.
    Also was denken die eigentlich von mir?


    Ich bin schuld an Deinem Zustand?
    Ich bin schuld an unserem Zustand Vano, an unserem!", blaffte Davet so wutentbrannt wie man la Caille selten sah.


    Silvano nahm Davet in die Arme, drückte dessen Gesicht in seine Halsbeuge und küsste ihn liebevoll. Vano vergrub eine Hand fest in Davets Haaren.


    "Ruhig Calli, ich gebe Dir keine Schuld Schatz. Schuld oder Unschuld? Die Frage ist Unsinn, Schicksal ist die Antwort. Sie wissen nichts, sie mussten keinen Tag auf unserem Kurs segeln. Sie haben keine Untiefe mitgenommen, sie haben keinen Sturm überstehen müssen, sie kennen nicht das ewige Gewässer, sie kennen nur die Azursee. Sie sind Unwissend. Der Unwissende wird böse, der Weise versteht Calli. Ich verstehe Dich. Ist gut Schatz. Es wird alles gut. Wir passen auf Dich auf, Boldi und ich", flüsterte Vano ihm zu und drückte ihn fester an sich, während Davet in Silvanos Halsbeuge heulte.