Komm, süsser Tod

  • Die Worte Emilias, welche er zu seinem Bedauern nur zu lesen bekam, ließen seinen Körper vollkommen versteifen. Zu Anfang wusste Dimicus gar nicht erst, was er dort zu lesen bekam, doch Wort für Wort wurde ihm mehr bewusst, dass er einen Fehler getan hatte. Einen Fehler den er jedoch sich nicht verzeihen könne. Ein einziges Mal hatte er es geschafft die Stimmen in seinem Kopf zu besänftigen und wurde nun von den Worten Emilias niedergewalzt, dass er keinerlei Chance auf eine Gegenwehr empfand. Seine Miene wurde augenblicklich hoffnungslos, die Augen wichen ihrem Blick aus und seine Schultern hingen letztendlich schlaff herab.


    Was hatte er sich auch dabei gedacht, für diese junge Frau seine Barrieren fallen zu lassen und sich zu erhoffen, Frieden mit ihr finden zu können. Ihr zu helfen schien ihr nicht genug zu sein und obendrein verspottete sie ihre gemeinsame Zeit auch noch als eine frevelhafte Angelegenheit. Beinahe sofort wurde die Stimmen in seinem Kopf wieder wesentlich lauter, lachten ihn aus und stellten ihn als vollkommenen Idioten hin. Sein Gesicht verzog sich nicht mehr weiter, als nur ein Stück weit in die Gleichgültigkeit. „Ich verstehe.“, sagte er völlig erkaltete, von der vorhergehenden Überschwänglichkeit war nichts mehr zu sehen. Kälte machte sich in seinen Zügen breit und merklich abgebrühter wurde er wieder.


    Es war für ihn ein völliges Unverständnis, wie dieses Gespräch sich plötzlich entwickelt hatte. Anfangs war es noch friedlich und emotional, gar hatte sich Positivität in beider Köpfe einnisten wollen, doch scheiterte dieses Vorhaben nun kläglich. Beinahe augenblicklich zog sich das Ich zurück, welches ihr noch zuvor offen seine Zuneigung und Nähe gegeben hatte. Stattdessen schaute sie wieder in den eiskalten Blick des Künstlers, wie sie ihn einst angetroffen hatte. Ohne sie zu fragen, nahm er ihr den Stift aus der Hand und das Notizbuch entgegen. Damit erhob er sich auch, schritt herüber zu der Kommode und zückte dabei noch Feder samt Tinte aus seiner Tasche.


    Schon begann er zu schreiben. Jedoch nicht an Emilia gewandt, so waren diese Worte für gänzlich andere Hände bestimmt. Mein Name ist Dimicus, viele dieser Stadt kennen mich auch unter dem Namen des Rosendämons. Niemand war imstande meine Kunst zu entziffern, noch meine nächsten Schritte vorherzusehen. Diese Welt hat nichts Größeres als meine einzigartige Kunst gesehen, Schrecken und Furcht verbreitete ich durch die Stadt Drakenstein. Einst erhoben aus Dreck und Schlamm, nun der Beste seines Fachs, fordere ich die gesamte Stadt Drakensteins heraus, mein Kopfgeld zu erhalten. Kommt und findet mich, es wird ein leichtes für euch sein. Kein Versteckspiel mehr, ihr findet mich im Bordell Malik Al Kubras, dass obere Stockwerk, die zweite Tür rechts. Sein Blick ging über seine Schulter und direkt auf Emilia nieder, sie wirkte sichtlich verwirrt und schien gar nicht zu wissen, was sie tun sollte. Geheuer war ihr die Situation nicht.


    Dies vollkommen ignorierend fertigte er noch eine Zeichnung seines Gesichtes aus dem Gedächtnis an, dass wohl seinem realen Angesicht am nächsten kam. Kurz darauf riss er die Seite sehr sauber aus dem Notizbuch heraus, sie wirkte wie ein Brief. Mit diesem in der Hand schritt er zu Emilia herüber, reichte diesen ihr weiter. „Du sagtest, du willst mich aufhalten? Das ist deine Möglichkeit, wenn du nicht bereit bist mich zu töten.“ Er hielt eine kurze Sprechpause, intensivierte dabei seinen kühlen Blick der auf ihr ruhte. „Es ist gut zu wissen, wie du über mich denkst und was ich dir zu bedeuten scheine. Natürlich bin ich kein Mensch, den du an deiner Seite haben willst. Welch ein Narr wäre ich auch, dies anzunehmen? Für dieses frevelhaften Vorstellungen entschuldige ich mich bei dir.“


    Plötzlich machten sich jedoch Enttäuschung und Trauer in seinem Blick breit, glichen sich mit der Kälte seiner Züge an. Eine einzelne Träne rang sich aus seinem rechten Augen und suchte einsam ihren Weg an seiner Wange hinab zu seinem Kinn, ehe sie zu Boden fiel. „Dennoch muss ich eingestehen, dass ich es sehr bedauerlich finde, was die Erziehung und Disziplinierung deiner Familie mit dir macht und auch noch machen wird. Verlobt mit einem Manne, dem du nichts bedeutest und dessen Verlobung somit nicht mehr wert ist, als seine Absichten durch dich an Reichtum zu gelangen. Ganz von seinen Absichten abgesehen, Valerius Feldweber töten zu wollen und dazu auch noch den Rosendämon anzuheuern.“ Unglaubliche Schmerzen durchzogen seine Seele, noch nie hatte er sich in diesem Maße zurückgestoßen gefühlt, geschweige denn diese schlagartige Leere gefühlt. Als ob man ihm etwas genommen hätte, was wichtig für sein Empfinden war, doch nun war es erloschen.


    Im selben Moment begriff er, dass sie das Gleiche getan hatte als er es noch wenige Minuten bei ihr getan hatte. Doch über seine emotionale Reaktion hinweg, so fragte er sich, ob er ihr gerade wirklich einen Antrag um ihre Hand gestellt hatte. Natürlich nicht, oder? So lebten sie seit nun mehr als zwei Wochen zusammen und es war vollkommen in Ordnung, doch gab es die Möglichkeit auf ein Haus, war es scheinbar plötzlich etwas vollkommen anderes. Wobei sie ihre Zeit entwertete und sie als frevelhaft zu bezeichnen vermochte. „Letztendlich … bin ich nur das Werkzeug eines jeden. Deinen Worten nach, schlussendlich auch deines. Ich verstehe es, Emilia.“


    Er vermisste seine Staffelei und die Möglichkeit zu malen in genau diesem Augenblick. Zu gern hätte er gemalt, mit Farbe und Blut, wie es in ihm aussah. Doch hatte er wieder die Utensilien noch die Staffelei dort. Keinerlei Möglichkeit bot sich ihm, mit diesen Gefühlen umzugehen. Sein kompletter Körper schrie danach zu fliehen, diese Art des Kampfes konnte er nicht gewinnen, es war ihm bewusst. Doch konnte er nicht immer weglaufen und dementsprechend stand er wie angewurzelt da und betrachtete sie. Dabei fiel ihm aber erst zu spät auf, dass er Emilias einzige Möglichkeit zu antworten genommen hatte. Drum nahm er Notizbuch und Stift wieder auf, legte diese Dinge ihr für die Situation seltsam sanft in die Hand.


    Schließlich aber, weil er nichts mehr mit sich anzufangen wusste, nahm er wieder auf dem Bett platz, doch mit gebührenden Abstand zu Emilia. Ihm kam diese Frau plötzlich vollkommen fremd vor, wenn er sie in dieser Situation anblickte, erkannte er sie nicht wieder. War dies der Preis für ihre Unabhängigkeit? Nein, das war er nicht. Ganz im Gegenteil. Sie sagte diese Dinge nur, weil sie noch immer in den Marotten ihrer Erziehung festhing. Doch das Gleiche konnte er nicht über ihre Begründungen sagen, dass er ein Mörder sei und dabei nicht tatenlos zusehen wolle. Sein Gesicht war blass und die Hände verschränkten sich ineinander. Offensichtlich fiel es ihm schwer, noch etwas zu sagen oder tun zu können.

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  • Emilias Blick lag auf der Zeichnung und obwohl es in der Situation wichtigere Dinge zu überdenken gab, fiel ihr doch wiederum sein Geschick auf, mit wenigen Strichen ein solch deutliches Abbild seiner Gefühle aufs Papier zu bringen. Vielleicht lag es auch an den Umständen, doch sie meinte hinter dem abweisenden Blick eine Verletzlichkeit wahrzunehmen, die er meist hinter einer emotionslosen Maske zu verbergen wusste.
    Dimicus hatte sie aus dem Konzept gebracht mit seiner Reaktion. Sie hatte zusehen können, wie sein Gesicht sich versteinerte beim Lesen und die Zuneigung zu ihr mit einem Blinzeln fortgewischt wurde. Die kalten Augen jagten ihr einen Schauer über den Rücken und ihr inneres Tier gab ein erschrockenes Fauchen von sich. Es fröstelte die junge Frau, als sie sich an einen anderen Zeitpunkt zurückversetzt fühlte.


    Der Brief verunsicherte sie einen Moment und plötzlich hatte sie das Gefühl, als wären sie meilenweit voneinander entfernt. Die vorsichtigen Annäherungen und das sanfte Band des Vertrauens verschwanden hinter der Tatsache, dass sie in zwei unterschiedlichen Welten lebten und völlig entgegengesetzte Vorstellungen von einem guten Leben zu haben schienen.
    Seine Worte verdeutlichten dies umso mehr, als dass er ihre Erziehung als negativ beurteilte und ihre Wertvorstellungen mit.
    Die plötzliche Enttäuschung stand in krassem Gegenstand zu der Gleichgültigkeit, die er eine Minute zuvor zeigte.
    Emilia spürte einen schmerzlichen Stich, als sie seine Trauer bemerkte, oder waren es die Worte, welche wie Nadeln auf sie eindrangen?


    Er hatte ihr die Möglichkeit genommen zu antworten, indem das Notizbuch noch immer in seinen Händen verblieb.
    Nur allzu gerne hätte sie auf seine Vorwürfe reagiert und ihm an den Kopf geworfen, dass er selbst doch nicht besser war als Wilfried. Beide wollten sie über Leben und Tod bestimmen.
    Was spielte es da für eine Rolle, ob sie beim alten Übel blieb, oder es gegen ein Neues eintauschte?
    Emilia war hin und her gerissen. Einerseits wallten Schuldgefühle in ihr auf, andererseits traf er sie ebenfalls gekonnt mit seinen Aussagen.
    Es waren schliesslich die folgenden Worte, welche bei der jungen Gestaltwandlerin den Ausschlag gaben: „Letzendlich… bin ich nur das Werkzeug eines jeden. Deinen Worten nach, schlussendlich auch deines. Ich verstehe es, Emilia.“
    Du verstehst gar nichts!, schrie sie ihm gedanklich entgegen.
    Sie bemerkte nicht einmal, wie sanft er ihr das Notizbuch zurückgab, sondern riss es ihm beinahe aus den Händen.


    Dauernd versuchst du dein Tun zu rechtfertigen. Ständig sind die anderen dafür verantwortlich, dass Du bist, was Du bist. Aber niemand zwingt Dich dazu, Menschen zu töten. Du musst es nicht tun, nur weil ein anderer es Dir aufträgt. Es ist Dein eigener Wille. Du erzählst mir gross davon, ich solle meine eigenen Entscheidungen treffen, Verantwortung für mich übernehmen. Dann fang am besten bei Dir selbst an. Du lässt Dich bewusst zum Werkzeug machen, und Du geniesst es auch noch! Als hör auf mir vorschreiben zu wollen, wie ich zu handeln habe. Wenigstens habe ich meine Werte und Prinzipien, die mir wichtig sind. Und genau danach werde ich mich nun richten. Dass sie Dir nicht in den Kram passen, ist nun offensichtlich.
    Emilia hatte sich ruckartig erhoben und das Notizbuch achtlos aufs Bett geworfen. Es war ihr egal, ob er ihre Worte las oder nicht. Sie hatte einen Entschluss gefasst.


    Ihre Sachen waren schnell zusammengepackt, viel besass sie nicht. Die Kleider schnürte sie geschickt zu einem Bündel und nahm die paar Münzen, welche sie beim Servieren verdient hatte. Sie warf sich ungestüm den Mantel über die Schulter und setzte sich den Schlapphut auf den Kopf. Die Stiefel trug sie noch immer an den Füssen. Die unangenehme Begegnung mit dem Kerl im Gang erschien ihr inzwischen weit entfernt.
    Ungelenk nestelte sie an dem Band an ihrem Hals herum und platzierte es schliesslich auf der Kommode. Sie würdigte Dimicus nur eines kurzen Blickes. Er wirkte seltsam verloren wie er da einsam auf dem Bett sass und sie stumm beobachtete. Seine Miene war von Trauer und Verwirrung durchsetzt, doch Emilia wandte sich von ihm ab, bevor sie den aufgewühlten Schmerz in seinem Innern erkennen konnte oder er sie gar beeinflussen mochte.
    Es stand ihm nicht zu, sie aufzuhalten. Sie würde gehen.


    Sie trat ans Bett heran, fasste nach dem Notizbuch und schlug eine Seite auf.
    Ich habe Dich nicht als Werkzeug gesehen. Und ich beweise es Dir auch. Ich brauche Dich nämlich nicht. Deshalb kehre ich dahin zurück, wohin mich meine Disziplinierung deiner Ansicht nach führt. Doch glaube nicht, Du hättest keinen Anteil daran gehabt.
    Den Brief samt der Zeichnung seiner selbst hatte sie zu ihrem Bündel gepackt. Kurz atmete sie noch einmal tief den Geruch ein, der sie die letzten Tage und Wochen umgeben hatte. Wo er sonst ein immer mehr vertrautes Wohlgefühl in ihre ausgelöst hatte, erschien nun Beklemmung an derer Stelle.
    Schliesslich machte sie auf dem Absatz kehrt und rauschte zur Tür hinaus, ohne sie hinter sich zu schliessen. Sie flüchtete sich in die Gänge, welche sie in der letzten Woche wie ihre Westentasche kennengelernt hatte, und dem Ausgang entgegen.


    Der Morgen brach bereits heran und die ersten Dienstmädchen und Knechte wuselten bereits durch die Strassen, als eine Frau mit verweintem Gesicht vor dem grossen Herrenhaus innehielt. Sie hatte sich ihren Hut tief ins Gesicht gezogen, und auf den ersten Blick hätte man sie für einen jungen Knaben halten können, hatte sie ihr langes Haar doch verborgen.
    Als sie jedoch beim Hintereingang angelangte und vorsichtig anklopfte, waren ihre Tränen getrocknet und einem gefassten Ausdruck gewichen.
    Eine Magd öffnete die Tür, schaute einen Moment verdattert die Gestalt an und schlug sich dann überrascht die Hände vor den Mund, als sie die junge Hausherrin erkannte, die schon lange als vermisst gegolten hatte

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  • Er hatte es also geschafft. Mit einem ungewollten Ausbruch an Gefühlen und seiner plötzlichen Hingabe zu Emilia, hatte Dimicus eben diese vertrieben. Wortlos betrachtete er die junge Frau, die immer in das Notizbuch schrieb und scheinbar wüst über ihn herzog. An seinem Körper war kaum eine Regung zu sehen, doch die Augen hatten ihren vorigen Glanz völlig verloren. Weder Tränen schälten sich aus seinen Augen, noch zuckte einer seiner Mundwinkel. Wie eine Schale die nichts als Schmerz und Trauer kannte, beobachtete die vor ihm zusammenpackende Frau. Einmal mehr fragte er sich, was er von ihr erwartet hatte.


    Plötzliche Stille kehrte ein, als die ungestüme Emilia den Raum verlassen hatte. Mittendrin war Dimicus, der die Situation noch nicht gänzlich zu begreifen wusste. Was war gerade wirklich geschehen? Schritt für Schritt ging er die passierten Dinge durch. Anfangs schützte er Emilia, nahm ihr die Angst vor dem Mann der sie zuvor noch belästigt hatte. Darauf schien der Moment nahezu magisch gewesen zu sein, in denen die beiden sehr gut zueinander fanden. Doch dann änderte sich alles. Seine Emotionen besiegten seine Vernunft und seine inneren Stimmen, ließen sich dazu hinreißen nach außen zu treten. Den Preis dafür bezahlte er in diesem Moment.


    Unglaublich verloren saß er auf dem Bett und rührte sich kein Stück, er wusste nichts mit sich anzufangen, noch weniger was er nun tun sollte. Ihr hinterherlaufen? Nein. Das wäre nicht in ihrem Sinne, das wusste er. Noch weniger war er weiterhin bei ihr willkommen, ein Fakt der aus den Worten die sie ihm geschrieben hatte hervorging. Es war ihre Entscheidung und sie hatte gewählt. Eine Angelegenheit an der er nichts ändern konnte, noch dass er daran etwas ändern wollte. Immer wieder hatte er ihr gesagt, wie sehr sie ihre eigene Herrin ist und eigene Entscheidungen treffen solle. Genau das hatte sie getan, also war dieser Akt nunmehr in seinem Sinne.


    Mit zittrigen Knien erhob er sich, schritt mit einem schlaffen Gang zur Tür und schloss diese. Dabei fiel sein Blick auf das Lederband mit der Brosche, welche sie in ihrer Hast fast einfach abgerissen hatte. Wie ein zerbrechliches Stück nahm er es mit größter Vorsicht in beide Hände und betrachtete es genaustens. Dieses schöne Stück, welches nur für sie gedacht war, verstoßen von ihr selbst. Seine Augen schlossen sich und er atmete tief durch. „Dann sei es so Emilia.“, flüsterte er vor sich her, ehe er das Band mit großer Sorgfalt faltete und in die Kommode legte. Es bekam seinen gänzlich eigenen Platz in der Schublade, getrennt von seinen eigenen Sachen.


    Kaum hatte er dies getan, überkam ihn eine beachtliche Müdigkeit, welche ihn förmlich zum Bett zu ziehen schien. Das Notizbuch mit ihren Worten fegte er einfach vom Bett, als er sich mit dem Rücken voran auf die Matratze fallen ließ. Weiterhin ohne Ausdruck starrte er der Decke entgegen, seine Gedanken waren langsam und ermüdet. Noch immer begriff er die Situation nicht vollkommen, doch war er sich nun sicher, dass Emotionen sein eigentlicher Feind waren. Es war ein Fehler, sie zuzulassen und das Interesse für Emilia auferstehen zu lassen. Dies waren aber die letzten Gedanken Dimicus', als seine Augen sich der Müdigkeit hingaben und die schweren Augenlider sich schlossen.


    Am nächsten Morgen...


    Überraschenderweise genüsslich war das Frühstück der Untergrundgaststätte. Das Rührei war köstlich zubereitet und gewürzt, der Speck gut gebraten geworden. Auch wenn es ein Versteck für Kriminelle war, so hatten diese Gemäuer doch ihren gänzlich eigenen Charme. Kaum eine Gestalt, neben dem Gastwirt und ein paar Stammgästen, war zu sehen und vermutlich schliefen die meisten Diebe und Mörder bereits. Ihr Handwerk war vollkommen, während Dimicus noch am Anfang seines Tages stand. Umso besser war es, dass er sich den Beginn des Tages mit einer guten Mahlzeit versüßen konnte.


    Seiner Ruhe jedoch zum Trotz, betrat ein ihm sehr bekanntes Gesicht den Schankraum und fast sofort wusste er, dass es mit der Gemütlichkeit vorbei war. Kaum hatte Shazeem Dimicus erblickt, war es auch schon zu spät für einen Rückzug. Letztendlich aber sollte er noch mit ihm sprechen, allein schon wegen des Aktes an einem Gardisten. „Na du kleiner Halunke. Alles fit?“, bekam er direkt an den Kopf geworfen, während das breite Grinsen die Zähne des Tamjids offenbarten.


    Die Kühle in Dimicus' Zügen hatte sich wieder verfestigt und somit regte sich keiner seiner Gesichtsmuskeln, ließ keinerlei Deutung von Emotionen zu. „Du weißt welche Antwort folgen wird Shazeem. Lass uns einfach gleich zum Wesentlichen kommen.“ Darauf setzte sich Shazeem schulterzuckend an den Tisch, schaute sich einmal misstrauisch nach mithörenden Ohren um, doch es war niemand in Sicht.


    Mit misstrauischen Blicken beäugte Dimicus' Gegenüber ihn, versuchte scheinbar zahlreiche Versuche seine Augen zu deuten. „Du hast dich schon wieder verändert. Doch zurück zu seinem alten Sein.“, stellte er fest, worauf Dimicus gar nicht erst antwortete. „Wie dem auch sei. Ich hörte von den Vögelchen, dass ein Gardist der Wache in Verkleidung getötet wurde. Gute Arbeit. Du hast uns sehr mit diesem Akt geholfen.“ Ein erneuter Blick ging durch den Raum. „Du hast einen weiteren Schritt zur Befreiung des Volkes von den Ausbeutern des Adels eingeleitet. Dieser Spitzel war uns ein Dorn im Auge, wir konnten jedoch nicht selbst tätig werden.“


    Augenblicklich verstand Dimicus, worum es bei diesem Auftrag wirklich gegangen war. Der Feudalismus im almanischen Reich war ein etabliertes System, doch zunehmend wurden Stimmen laut, die nach Gerechtigkeit und Gleichheit riefen. „Eine Gruppe die das Volk vom Adel befreien will?“, warf Dimicus trocken ein, während er noch die letzten Reste seines Frühstücks verspeiste. „Du bereicherst dich doch an den Taschen der Menschen, um deinen Reichtum zu mehren. Ist das nicht eher das genaue Gegenteil, was du erreichen willst?“ Genaustens schaute Dimicus in das Gesicht des Tamjids, ihm kam etwas nicht richtig vor.


    Fast sofort bekam er ein herzhaftes Lachen als Antwort zu hören. Weder stimmte Dimicus bei dieser überzogenen Reaktion ein, noch ließ er sich davon beirren. Das merkte sein Gegenüber offenbar auch recht schnell. Seine Mimik erstarrte sofort und wurde wieder ernst. „Du solltest mich eigentlich besser als das kennen. Ich nehme nur von Reichen und auch nur so viel, wie ich es wirklich brauche. Nicht mehr.“ Er log, es war mehr als offensichtlich. Seine Augen wanderten die gesamte Zeit nach unten rechts, wichen dem Blick Dimicus aus. Ansonsten war er wohl mehr als geübt darin, seine Lügen zu verbergen.


    Dennoch hatte Dimicus keinerlei Handhabe über die Lüge, noch konnte er dessen Hintergründe erkennen. So gab er sich vorerst mit der Antwort zufrieden, es schürte sein Misstrauen jedoch maßgeblich. „Ich verstehe.“, antwortete er nur knapp darauf. Weiter ging er darauf gar nicht ein, sondern stellte eine weitere interessante Frage: „Was soll ich jetzt mit der gesamten Sache zu tun haben?“


    Der Tamjid begann sich zurückzulehnen und die Hände hinter dem Kopf zu verschränken. Mit einem wissenden Grinsen blickte er Dimicus erwartungsvoll an, dem dies ganz und gar nicht gefiel. „Du bist ein Meister deines Fachs und noch mehr der wohl gefürchtetste Mann Drakensteins. Wir können dich und deine Botschaften gebrauchen, um unsere Sache voran zu treiben. Deshalb haben wir beschlossen, dich rekrutieren zu wollen. Natürlich ist auch eine angemessene Belohnung darin, genau so wie unsere Unterstützung.“ Die Worte waren eindeutig, schmeckten jedoch nach Gefahr und Unbehagen. Sein Instinkt sagte ihm, dass mehr als nur eine Arbeiterbewegung hinter den Absichten Shazeems steckte.


    Im selben Moment ging der junge Almanier durch, welche Vorteile er außerhalb der versprochenen Belohnungen erhalten könnte. Natürlich war es immer gut, sich mit einer Gruppe die in dem Maße verborgen agiert, wie es jene um Shazeem wohl zu tun scheint. Kaum merklich seufzte Dimicus, so erkannte er eine Gelegenheit, wenn auch das Risiko hoch war. „Nun gut, ich werde eure Aufträge annehmen, nicht jedoch ein Teil deiner Gemeinschaft werden. Daran hege ich keinerlei Interesse. Doch auch nur unter einer Bedingung!“ Die Augen Dimicus' blitzten auf und fixierten den Tamjid, der neugierig dreinblickte.


    „Mache es nicht so spannend, spucke es schon aus!“, bekam er prompt als Antwort. Das erwiderte Dimicus nur mit einem Griff unter seinem Mantel, aus dem er ein gefaltetes Blatt Pergament hervorzog. Bestimmt schob er dies über den Tisch auf den Tamjid zu und beobachtete genau seine Reaktionen. Eifrig griff er danach und öffnete den Brief, las ihn durch, wobei sich seine Züge in tiefe Falten legten. „Warum das alles?“, hakte er nach und überflog abermals die Zeilen.


    Nun war es Dimicus der sich entspannt zurücklehnte und Shazeem mit einer tödlichen Ruhe strafte. Zuerst wollte er den alten Mann die Zeilen noch einmal studieren lassen, bevor er zur Antwort ansetzte: „Aus Sicherheit und ungeklärten Angelegenheiten. Das sind meine Bedingungen, dort gibt es keine Diskussion.“ Genau dies ließ der Künstler mit seinem Blick auch nicht zu.


    Ein weiteres Mal las sich Dimicus' alter Lehrmeister die Worte durch, worauf seine Furchen im Gesicht noch tiefer wurden. „Das ist definitiv machbar, es wird aber nicht einfach. Ich habe doch dein Wort, dass du danach für uns arbeitest, oder?“ Siegessicher nickte Dimicus und bestätigte somit die Aussage Shazeems, der einen tiefen Schluck eines mittlerweile gereichten Bieres genoss. „Einverstanden, ich kümmere mich um alles.“ Damit stand die festgehaltene Abmachung und eine lange Zeit würde beginnen.


    Drei Wochen später...


    Die Enge und Dunkelheit der Kutsche war alles andere, als der junge Mann es gewohnt war. Die harte Holzbank tat ihr Übriges und sein Po tat ihm durch die lange Fahrt mittlerweile gehörig weh. Ihm gegenüber blickten ihn zwei aufmerksame Augen durch einen Helmschlitz an, jene Wache die ihm zugewiesen wurde, damit er nicht fliehen konnte. Wie sollte er auch? Schwere Hand- und Fußfesseln machten jede Bewegung fast unmöglich, ganz zu schweigen von der massiven Halsfessel.


    Eingesperrt wie ein Hund war er in diesem Käfig, der jedoch sein letzter Geleit werden sollte. Innerlich hatte er schon gänzlich mit allem abgeschlossen, er wusste dass es einmal so weit kommen würde. Nur hatte er nicht mit solchen Umständen gerechnet, noch weniger mit der Person die ihn verraten hatte. Enttäuschung durchwühlte schon seit drei Tagen seinen Verstand, doch abermals ruf er sich in das Gedächtnis, dass er es nicht hätte anders erwarten dürfen. Tief atmete der junge Mann durch, als das Hufgetrappel draußen erstarb und sich mit dem immer lauter gewordenen Rufen einer wohl riesigen Menschenmenge auswechselte.


    Beinahe augenblicklich wurde die Tür der Kutsche aufgerissen und das einfallende Licht blendete ihn, so hatte er eine ganze Weile in der Finsternis der Kutsche verbringen müssen. Die Wache ihm gegenüber erhob sich, schloss mit einem Schlüssel die Ketten von der Kutsche selbst auf und zerrte ihn gewaltsam nach oben. Schließlich stand er an der Schwelle der Kutsche und seine Augen wurden gezwungen sich an das Licht zu gewöhnen, während ihn ein ohrenbetäubender Lärm umgab. Seine Pupillen verengten sich nun gänzlich und gaben dem Blick vor ihm vollkommen preis.


    Er befand sich mit einer Einheit bestehend aus fünf Wachen auf dem zentralen Platz Drakensteins, auf dem die verschiedensten Feste, Gastempfänge und Hinrichtungen stattfanden. Doch sein Erscheinen war die seit zehn Jahren wohl meistbesuchte „Feierlichkeit“, die diese Stadt gesehen hatte. Eine riesige Menschenmenge eines jeden Standes hatte sich versammelt. Während sich Arbeiter und Bauern um den in der Mitte gelegenen Galgen versammelt hatten, wurden Ränge für zahlreiche Adelsfamilien aufgebaut, damit diese das bevorstehende Veranstaltung genaustens beobachten konnte.


    So wie er es einschätzte, waren auch zahlreiche Adelsfamilien angereist um dem Spektakel beizuwohnen und der junge Mann war Mittelpunkt des Ganzen. Mit eisernem Griff wurde er durch eine gebildete Gasse aus menschlichen Leibern geführt. „MÖRDER! MONSTER! DÄMON!“, hallte es von allen Seiten, die Menschen spuckten auf den Weg vor ihm, wenn nicht sogar direkt auf ihn.


    Für ihn war es sein letzter Gang. Die Schultern hingen und der Schritt war leblos. Einmal mehr erlebte er hautnah, wie es sich anfühlte dem Tode extrem nahe zu sein. Doch dieses Mal war er nicht nur nahe, sondern der Tod hieß ihn willkommen, als er dem Galgen immer näher kam. Verächtliche und hasserfüllte Blicke trafen ihn, auf der Tribüne stand der Redner des Gerichts, so wie der Henker höchstpersönlich. Der Spießroutenlauf zog sich eine halbe Ewigkeit hin, vollkommen entmutigt schloss er mit allem ab, was er durchgemacht hatte.


    Die Schritte auf die Tribüne wurden Stufe für Stufe immer schwerer, die Endlichkeit aller Dinge, davon blieb auch er nicht verschont. Für 35 Menschen hatte er ein wundervolles Ende eingeläutet, doch nun kam sein letzter Auftritt: der seines eigenen Todes. Am liebsten wäre er geflohen, im Angesicht des Todes, doch gab es keine Möglichkeit der Flucht mehr. Er musste sich dem Urteil beugen und hatte keinerlei Wahl. Die letzte Stufe wurde er grob hinauf geschoben, so dass er nun mitten in der Masse an Menschen stand.


    So viele Köpfe von Frauen, Männern und Kindern. Es mussten hunderte sein, die an diesem bedeutungsvollen Tag anwesend waren. Sie alle blickten nun auf ihn hinab, so wie er einst auf sie hinabblickte. Der Redner des Gerichtes trat nach vorn, in beiden Händen eine Schriftrolle haltend. Augenblicklich trat Ruhe auf dem gesamten Platz ein, ehe er von dem Pergament zu lesen begann: „Werte Lords, werte Ladys, anwesendes Volk! Wir haben uns heute hier versammelt, um jenen verrückten Mann sein Ende zu setzen, der zahlreichen Mitbürgern das Leben nahm. Jener Künstler, der den Namen 'Rosendämon' trägt und nun vor uns steht, wie eine lächerlich kleine Figur der er in Wahrheit ist. Nicht nur ein Mörder, nein, sondern auch ein Entführer und Dieb. Dazu noch die perfide Malerei, mit denen er die Oper seiner Taten entweihte! Wir haben ihn nun endlich gefasst. Nach dem Gericht Drakensteins, verurteilen wir Euch, Dimicus, zum Tode. Euch wird der Mord an 35 Menschen zur Last gelegt, dazu der Diebstahl von zahlreichen Wertgegenständen und die Entführung eines Adelskindes! Habt Ihr noch etwas zu sagen, bevor wir das Urteil vollstrecken?“


    Ein weiteres Mal ruhten die Augen auf dem jungen Mann, doch herrschte nun eine Totenstille. Nur einige Vögel hörte man, die fröhlich und vollkommen ungestört ihre Lieder sangen. Es vergingen einige Momente, in denen die Blicke der Menschen auf ihn blickten und wie gebannt auf nur ein Wort warteten, um ihn zerreißen zu können. Tatsächlich erhob er seine Stimme: „Volk Drakensteins! Ich bin der wahre Beweis der Kunst, ein Genie und mein Handwerk suchte seinesgleichen! Nie werdet ihr mich oder meine Taten vergessen, also werde ich weiterleben. Im Kopf eines jeden Anwesenden hier!“ Sofort begann die Menge zu toben, was er nur mit einem manischen Grinsen guthieß.


    Zwei kräftige Hände packten ihn und zerrten ihn unter den Galgen. Es ging schnell, als der Strick seinen Weg um seinen Hals fand und fachmännische Hände seinen Sitz noch einmal überprüften. Hass und Wut brandeten auf, die hämischen Rufe der tobenden Menge heizten sich immer weiter auf, als das kratzige Seil fest um seinen Hals gesurrt wurde. Mit einem verachtenden Blick seinerseits wandte er sich an den voller Schadenfreude grinsenden Henker, der in diesem Moment den entscheidenden Hebel zog und die Falltür unter ihm aufschwang.


    Ein starker Ruck durchzuckte den Körper des jungen Mannes. Der schnell erlösende Genickbruch durch das Seil blieb aus, stattdessen schnürte ihm das Seil die Luft ab. Qualvoll zappelte sein kompletter Körper im Überlebenskampf. Mit Würgen und wildem Gurgeln versuchte er sich dem Tod zu entwenden, sich zu befreien, doch die Sicht wurde immer dunkler. Die Geräusche um ihn immer dumpfer, ehe die erlösende Bewusstlosigkeit einsetzte und dem Mann somit sein Ende finden ließ...

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  • Ich muss hier raus!
    Doch Emilia wusste bereits, dass es kein Entrinnen gab aus dem Zimmer, in welchem sie eingesperrt war. Sie hatte mit ihrem ganzen Gewicht versucht die Tür einzudrücken, hatte blutige Hände, weil sie so heftig gegen das verbarrikadierte Fenster hämmerte und ihre Krallen waren abgestumpft, nachdem sie vergeblich am Holz gekratzt hatte.
    Sie war erschöpft und liess sich an der Liegefläche neben dem Fenster, welches auf die Dächer hinausführte, nieder. Ihre Schnauze lag ganz nah bei den Brettern, welche ihr den Ausweg versperrten. ER hatte sie dort befestigen lassen, in- und auswendig, damit sie nicht ausbrechen konnte…


    Drei Wochen waren vergangen, seitdem Emilia nach Hause zurückgekehrt war, zumindest hatte sie es einmal für ihr Daheim gehalten. Nun wünschte sie sich sehnlichst fort von diesem Ort.
    Dabei war es ihr anfangs gar nicht so furchtbar erschienen. Die besorgte Tante war froh, dass Emilia wohlbehalten zurückgekehrt war und behandelte sie wie ihr eigenes verloren geglaubtes Kind. Nachdem Lucinda ihr eine Flohkur aufgebrummt hatte, wurde sie sofort mit den teuersten Seifen gebadet und ihre Haare wurden mit duftenden Ölen besprüht, bis die junge Frau jedes Mal niesen musste, sobald sie sich bewegte.
    Gerade noch so schaffte es Emilia ihre neue Kleidung vor ihrer Tante in Sicherheit zu bringen, sonst wären sie präventiv bestimmt im Feuer gelandet, um mögliches Ungeziefer fern zu halten. So wurde die junge Erbin in Korsetts geschnürt und bekam edle Gewänder, in denen sie sich plötzlich eingeengt fühlte.


    Erst nachdem das Mädchen vorzeigbar war, durfte sie Alfonso und Wilfried unter die Augen treten. Emilia fühlte sich wie eine Zuchtstute, welche vorgeführt wurde, um zu sehen, ob sie nicht beschädigt war und um ihren Wert abzuschätzen.
    Der Onkel war fuchsteufelswild. Er ging gar so weit, dass er ihr eine Ohrfeige verpasste und ihr Hausarrest erteilte – welch Überraschung…
    Doch nach einer Woche hatte er sich bereits wieder beruhigt und alles verlief in seiner alten Routine. Er mochte keine Komplikationen und verlangte den natürlichen Alltag so bald als möglich wiederherzustellen.


    Nicht jedoch Wilfried. Auch nach zwei Wochen konnte Emilia sein Misstrauen noch spüren und er piesackte sie mit subtilen Vorwürfen und Gemeinheiten. Er war noch besitzergreifender geworden und befahl den Hausdienern seine Zukünftige nicht aus den Augen zu lassen. Stets folgte ihr ein Schatten, egal wohin sie sich bewegte. Das Haus zu verlassen war ein Ding der Unmöglichkeit.
    Emilia ertrug dies alles geduldig, denn sie hoffte, mit der Zeit würde sich die Situation beruhigen und sie würde in ihren früheren Trott zurückfinden.
    Mit etwas Glück würde sie auch Dimicus vergessen…


    Doch genau das Gegenteil geschah.
    Bei den Abendessen erinnerte sie sich an die Gestalt von Valerius, der ganz keck bei ihnen am Tisch gesessen hatte. Wenn sie in ihrem Bett lag, dachte sie an Dimicus und seine warme Hand in ihrem Fell. Schnürte das Korsett ihr die Luft ab, sehnte sie sich nach dem Einkaufsbummel mit ihm zurück. Und wenn sie einen Blick aus dem Fenster warf, träumte sie von dem Moment, als sie das Gras unter ihren nackten Zehen spürte und die Sonne ihre Haut wärmte. Kaum rauschte Wilfried mit gehässig funkelnden Augen an ihr vorbei, wünschte sie sich Dimicus an ihrer Seite, welcher sie vor Wölfen und Rabauken in Schutz genommen hatte.


    So vergingen die zwei Wochen zähflüssig wie Honig, doch mitnichten so süss. Emilia versuchte sich die Zeit zu vertreiben, wenn sie einmal wieder zum Nichtstun verpflichtet wurde. Sie las Bücher und übte sich im Sticken, doch es bereitete ihr keine Freude.
    Als sie nach einer Staffelei samt Farben verlangte, stand diese einen Tag später in ihrem Gemach. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass sie keine Begabung dafür hatte, Farben und Formen in Einklang zu bringen, weswegen die Malerei sie schliesslich bloss frustrierte. Auch stellte sie sich nicht gerade als förderlich dabei heraus, Dimicus aus ihren Gedanken zu verbannen.


    So hatten sich die Tage dahingezogen. Emilia verbrachte den grössten Teil der Zeit in ihrem Zimmer und versuchte den beiden Hausherren aus dem Weg zu gehen, um sie nicht unnötig zu verärgern. An manchen Tagen nützte dies jedoch nichts und Wilfried drängte sich herrisch in ihr Gemach. Immer wieder wollte er wissen, wo sie die Wochen untergebracht war, doch Emilia schwieg sich darüber aus.
    Als er eines Abends in ihren Schlafraum stürmte, überraschte er sie dabei, wie sie an einem Tischchen sass, Dimicus Brief in Händen hielt und die Zeichnung liebevoll betrachtete. Unvermittelte hatte sie sich an seinen Geruch nach Farbe und Rosen zurückerinnert, der ihr so fiel besser gefiel als das Parfüm Odeur von Wilfried.
    Im Nachhinein verfluchte Emilia ihre Nachlässigkeit, welche sie dazu bewogen hatte, so offen herumzusitzen mit dem vernichtenden Beweisstück.


    Sie war so vertieft in die feinen Gesichtszüge, dass sie Wilfried erst bemerkte, als seine Alkohol- und Rauchfahne ihr wie eine Wand entgegenschlugen.
    „Was hast Du da? Ist das etwa ein Brief? Du bekommst keine Briefe! Ich kontrolliere die Botenträger!“, knurrte der junge Mann wütend und zerrte Emilia so grob zu sich herum, dass sie vom Stuhl gerissen wurde. Wilfried war betrunken und torkelte ihr hinterher, als das Mädchen sich aufrappelte und mit weit aufgerissenen Augen vor ihm an die Wand zurückwich. Das Pergament hielt sie fest mit ihrer Hand umklammert und zitterte am ganzen Körper vor Angst. So ruppig hatte er sie noch nie angefasst, normalerweise beschränkten sich seine Ausbrüche auf gemeine Worte oder subtilere Arten, ihr das Leben schwer zu machen.
    „Du kleines Miststück! Gib mir den Zettel, na los!“, forderte er Emilia auf und sein Blick wurde umso fanatischer als er bemerkte, wie panisch sie das Blatt nun an ihren Leib presste.
    Obwohl ihn der Alkohol verlangsamte, war Wilfried ein ausgezeichneter Fechter und Duellant. Mit einem geschickten Vorwärtssprung war er auch schon bei der jungen Frau und fasste nach ihrem Arm. Jetzt endlich kam Bewegung in das Mädchen und ruckartig versuchte sie sich zu befreien und den Angreifer von sich wegzustossen.
    Wilfrieds Geduld war jedoch am Ende angelangt, er holte aus und schlug ihr mit Wucht den Handrücken ins Gesicht. Die Lippe platzte auf und das Blatt segelte lose zu Boden, als Emilia mit einem Aufschluchzen in die Knie ging.
    Beinahe wäre der junge Kerl umgefallen, als er sich danach bückte und es vor sein Gesicht hielt. Das Bild von Valerius zeichnete sich deutlich vor ihm ab, während die Buchstaben unruhig herumzappelten, so dass er sie nicht lesen konnte. Doch das musste er auch nicht, wusste er nun schliesslich, wo seine Zukünftige ein Bett gefunden hatte.
    „Du miese Hure!“, schrie er nun völlig ausser sich.
    „Glaubst wohl, dass Du Liebesbriefe mit dem Weichling austauschen kannst, ohne dass ich davon Wind kriege, hä?! Du hast mir Hörner aufgesetzt. Mir! Deinem zukünftigen Ehemann!“
    Im nächsten Moment stürzte sich Wilfried wie rasend auf Emilia, welche vor Schreck völlig erstarrt war und von ihm umgerissen wurde.
    „Ich werde Dich lehren mir zu gehorchen, Weibsstück!“
    Sein Körpergeruch drang der Gestaltwandlerin unangenehm in die Nase, als sie auch schon sein Gewicht auf sich spürte, dass sie mit aller Macht zu Boden drückte. Voller Furcht schlug sie mit Armen und Beinen um sich, da griff Wilfried plötzlich nach ihrer Kehle und begann ihr die Luft abzudrücken.
    „Du wolltest mich zum Narren halten, Hure! Hat dieser dreckige Valerius es Dir gut besorgt, hä? Das werdet ihr mir beide büssen!“, wie ein Schraubstock legten sich seine Finger um ihren Hals, während er auf ihr hockte und ihre Gegenwehr unter seinem Gewicht erstarb. Emilia versuchte seine Hände wegzuschieben und ihr keuchender Atem zeugte von dem Mangel an Sauerstoff.
    Das Geschrei von Wilfried hatte eine Zofe angelockt. Als sie die Szene erblickte, quiekte sie ängstlich auf und machte kehrt, um Hilfe zu holen.
    In Emilia brodelte es inzwischen. Ihr Blick flackerte bereits, als ihr Körper endlich aus seiner Schockstarre gerissen wurde, und seine Verwandlung begann. In ihrem Inneren brüllte die Löwin und kratzte eng an der Oberfläche, um auf den Angreifer loszugehen und sich zu verteidigen.
    Als Alfonso mit zwei Hausdienern ins Zimmer geeilt kam, war Emilias Körper bereits mit Fell überzogen und begann sich zu verformen und anzuschwellen, während Wilfried noch immer wie eine Klette an ihrer Kehle hing und in seinem Wahnsinn nicht zu begreifen schien, was gerade geschah. Grob rissen in die Knechte den jungen Hausherren von der beinahe voll verwandelten Löwin zurück, deren Brustkorb sich schwer hob und senkte, als sie gierig nach Atem rang.
    „Neiiin, sie hat es verdient! Genauso wie der Mistkerl! Verrecken sollen sie!“, wütete er und grapschte nach dem Brief, bevor sie ihn aus der Tür zerrten.
    Im letzten Moment knallte Alfonso sie hinter sich zu, als auch schon ein Beben durch das Holz lief und ein dumpfer Knall erklang, so als wäre etwas mit voller Wucht dagegen gesprungen.
    Der Onkel war leichenblass im Gesicht als er sich bewusstwurde, dass dies ebenso tödlich hätte ausgehen können
    „Verstärkt die Tür! Und das Fenster auf dem Dach verbarrikadiert zusätzlich noch einmal mit Brettern!“, befahl er den Knechten, während ein furchterregendes Brüllen alle Bewohner des Hauses erzittern liess…



    So war es also gekommen, dass Emilia in ihrem Gemach festsass. Drei Tage lang hatte sie sich nicht zurückverwandelt, war herumgetigert und hatte nach einem Ausweg gesucht. In ihrem Inneren wechselten sich Angst, Wut und Schuld miteinander ab. Denn nicht nur ihr eigenes Schicksal war nun besiegelt, sondern auch das von Dimicus.
    Nachdem Wilfried sich von seinem Rausch ausgeschlafen hatte, konnte er es sich nicht nehmen lassen, der jungen Frau voller Häme und Bösartigkeit ein Papier unter der Tür durchzuschieben und darin zu berichten, dass er endlich das Geheimnis um ihren Buhlen gelüftet hätte!
    Die Wachen wären bereits unterwegs zu ihm und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis Valerius der Rosendämon gevierteilt würde oder die Krähen ihm am Galgen die Augen auspicken könnten.
    An diesem Abend hatte Emilia nackt am Boden gelegen und sich weinend in den Schlaf gewiegt.


    Sie war entkräftet, denn solange sie eine Gefahr darstellte, hatte man ihr nichts zu essen oder zu trinken gebracht.
    Emilias Augen waren gerötet und verquollen, doch schliesslich blieben auch die Tränen aus.
    Nach vier Tagen wagten sie es, die Tür zu öffnen, während Knechte mit Waffen bereitstanden, um die bösartige Bestie zu töten, falls sie angreifen sollte. Stattdessen fanden sie das Mädchen fast verdurstet in die Decke gewickelt am Boden liegen. Im Raum war es stickig und es roch nach Väkalien. Eilig wurde eine Mahlzeit in ihrer Nähe abgestellt von einer ängstlichen Zofe, dann schloss man sie auch schon wieder ein, ohne ihr zu helfen. Es kostete Emilia das letzte bisschen Anstrengung, den Wasserkrug an ihre Lippen zu setzen und die kostbare Flüssigkeit zu trinken, bevor sie in einen unruhigen Schlaf verfiel.


    Sie wusste nicht, wann sie das nächste Mal erwachte, doch es musste Tag sein, denn durch die Spalten der Bretter fiel Licht in den Raum und tauchte ihn in schummrige Farben. Emilia konnte auch in der Dämmerung gut sehen, so dass sie das Pergament sofort entdeckte, das jemand unter der Tür hindurchgeschoben hatte.


    Mein Liebling
    Ich hoffe, Du hattest einen guten Schlaf und bist erholt genug, um meinen Brief zu lesen. Heute findet ein besonderes Ereignis statt, das ich Dir nicht verschweigen möchte.
    Valerius, der Rosendämon, konnte endlich geschnappt werden und wir noch heute seinem Urteil erliegen!
    Wie schade, dass Du Dich noch nicht von der Entführung durch ihn erholt hast, um sein gerechtes Schicksal am Galgen mitverfolgen zu können.
    Doch keine Angst, ich werde Dir später davon berichten.



    Zur gleichen Zeit, als der Körper des jungen Mannes qualvoll in der Luft zappelte und um sein Überleben rang, gab die grosse Raubkatze jämmerliche Klagelaute von sich, welche in der Einsamkeit ihres Zimmers ungehört verklangen.
    Der Schmerz wuchs immer weiter an und hatte keine Möglichkeit, sich richtig Bahn zu brechen. Endlich realisierte Emilia, dass sie im Begriff war jemanden zu verlieren, der ihr nähergekommen war als diese angebliche Familie, unter deren Dach sie lebte.
    Hass, Schmerz und Schuld drohten sie zu ersticken, als auch Dimicus am Galgen in die erlösende Bewusstlosigkeit hinüberglitt.

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  • Jede Faser seines Körpers war angespannt. Die alten aber dennoch scharfsinnigen Augen Shazeems beobachteten das Phänomen vor sich. Wie die Leute vor Freude kreischten, der Adel auf das stattfindende Ereignis trank und nur vereinzelte Gestalten wirkten von dem Schauspiel betrübt. „Du bist ein verdammter Idiot.“, fluchte der Tamjid leise in sich hinein, als er die letzten Zuckungen des Gehängten betrachtete. Selbst aus der großen Entfernung konnte er erblicken, wie die letzten Zeichen des Lebens aus dem Körper Dimicus' wichen. Mit einem nachdenklichem Blick schaute er in seine Hände, die zwei Gegenstände innehielten. Einerseits ein Brief, geschrieben von Dimicus und adressiert an Emilia Katharina von Kreuzenstein. Daneben noch ein ledernes Band mit der bernsteinfarbenen Brosche, auf der eine Katze abgebildet war.


    Diese Dinge waren die letzten Wünsche Dimicus', welche Emilia erreichen sollten. Shazeem wusste nicht, was in dem Brief stand, geschweige denn wieso sein ehemaliger Schüler diesen überhaupt verfasst hatte. Er hatte gewusst was kommen würde und war die drei Wochen doch zurückgeschreckt unterzutauchen. Eins musste man diesem jungen Burschen lassen: er hatte Mut. Mit einem wissenden Grinsen jedoch schüttelte der Tamjid diese Gedanken aus dem Kopf. In der Entfernung konnte er beobachten, wie man den Leichnam des jungen Mannes vom Galgen schnitt und es somit vermied, ihn hängen zu lassen. Sein Leib verfrachtete man auf einen Karren, der schon bald vom Platz fuhr.


    Leise seufzte Shazeem abermals auf. „Du bist ein verdammter Hund. Na gut, dann möge dein letzter Wille geschehen.“, formten die Lippen des Diebes tonlos. Seine Muskeln entspannten sich und er stieß sich von der Wand ab, an der er zuvor angelehnt war. Auf dem Platz herrschte nun noch immer Hochstimmung, genau so wie auf den Ständen für die reichen Bürger. Dort war auch Emilias Familie anwesend, alle an der Zahl mitsamt von Wachen. Es war seine Chance.


    Zuerst langsam, um kaum verdacht zu erregen, schritt er vom Platz des Geschehens. Doch umso weiter er sich von dem lauten Tumult entfernte, desto schneller begannen ihn seine Füße zu tragen. Trotz seines Alters hatte er eine solide Athletik und Wendigkeit an den Tag gelegt, was ihn immer wieder überraschte, so wie seine Knochen ein manches Mal verdächtig knackten. Er wusste genau wohin er wollte und so lief er vorbei an Häuserfronten und unbelebten Straßen. Kaum jemand war unterwegs. Gut vorbereitet näherte er sich seinem eigentlichen Ziel, dem Anwesen der Kreuzensteins. Seiner Einschätzung nach, dürften nur die Bediensteten Zuhause sein.


    Die Entfernung war auch schnell überwunden, genau so die Zäune des Hauses. Natürlich nachdem er einige aufmerksame Blicke durch seine Umgebung hatte haschen lassen. Kaum bei der reich geschmückten Tür angekommen, zog er einen Schlüssel hervor und schloss die Tür schlichtweg auf. Die stümperhaften Knechte konnte weder auf ihre Taschen, noch auf ihre Wertsachen aufpassen. Somit schwang die Tür ohne Probleme auf und er trat in den dekorierten Eingangsbereich des Anwesens ein, ehe er die Tür hinter sich zuzog. Welch eine willkommene Ablenkung die Festlichkeiten waren, sodass man am hellichtem Tage in ein Haus einbrechen konnte.


    Wild huschten seine Augen hin und her, niemand war zu sehen und vermutlich waren die Bediensteten dabei, die Abwesenheit ihrer Herren zu genießen. Ein weiterer Fakt, dem den alten Mann zu Gute kam. Zwar waren die Wände und Flure hübsch geschmückt, doch aus diesem Grunde war er nicht an diesen Ort gekommen. Zielstrebig steuerte er also die Treppen hinauf, seine Schritten hallten dabei gar nicht wieder und machten fast keine Geräusche. Doch je mehr war ein jammerndes Geräusch zu hören, es glich einer Katze in größter Not. Es war also eindeutig. Dimicus hatte ihm alles erzählt, was er wissen musste und da es keine Hauskatze in den Gemäuern gab, wusste Shazeem wohin er musste.


    Schon bald stand er vor der verstärkten Tür eines Raumes, die vollkommen aus dem Gesamtbild des Hauses herausragte. Nicht nur, dass der Rahmen zusätzlich verstärkt und das Holz wesentlich massiver schien, auch war das Schloss mehr als widerstandsfähig. Sicherlich aber nicht gegen die geübten Hände eines geübten Diebes, weswegen Shazeem einfach einen Dietrich zückte, sich vor das Schloss kniete und versuchte, durch das jammervolle Klagen hindurch das Schloss genauestens zu hören. In nicht weniger als einer Minute gab das Schluss das befriedigende Klicken von sich und gab die Möglichkeit sich öffnen zu lassen. Ein weiterer Blick in seine Umgebung verriet ihm das Fehlen jeder weiteren Person. Augenblicklich öffnete er die Tür und zog dabei die Kapuze vom Kopf.


    Was ihn allerdings empfing, war ein mehr als jämmerlicher Anblick. Von dem fürchterlichen Gestank im Zimmer einmal abgesehen, erblickte er die Löwin Emilia in einem stark mitgenommenen Zustand. Sie wirkte schwächlich, ihr Fell war verfilzt und jede Pore ihres Körper schien Trauer auszusprechen. Sein Gesicht verzog sich anfangs aufgrund des Gestankes in eine angewiderte Grimasse, so fing er sich aber schnell wieder und schloss die Tür hinter sich.


    Mit hoch erhobenen Händen deutete er seine fehlende Wehrhaftigkeit an, dann legte er einen Finger auf seine Lippen, forderte Emilia um augenblickliche Ruhe auf. Schon im nächsten Moment fand er sich mit einem Knie auf dem Boden wieder, kramte aus einer seiner Taschen den Brief und das Lederband hervor. Es war gar nicht so leicht zu finden, bei den vielen eingearbeiteten Taschen in seiner Rüstung. „Du musst mir jetzt genau zuhören. Ich bin hier, weil Dimicus wollte das du dies bekommst. Aber noch mehr. Ich möchte dich bitten mit mir zu kommen, den Brief kannst du in Ruhe lesen, doch wir müssen gegangen sein bevor auch nur einer deiner Verwandten zurückkommt.“ Seine Worte waren nicht hörbar und nur deutlich mit seinen Lippen in Richtung der Löwin geformt. Darauf legte er den Brief, sowie das Lederband auf den Boden. Allerdings öffnete er den zuvor versiegelten Brief, um ihn gut leserlich der Raubkatze zu offenbaren.


    So entfernte er sich wieder davon, lehnte sich gegen die Tür und legte ein Ohr an diese. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich auf alle Geräusche, die vom Flur aus kommen können, während er Emilia genug Zeit ließ. Hoffentlich würde sie ihn nicht in ihrem Delirium anfallen oder anderweitig schädigen, doch musste er ihr genau so vertrauen wie sie ihm.

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  • Als ein schwacher Streifen Licht durch die Tür hereinfiel, vermutete Emilia zuerst Wilfried, der gekommen war, um ihr von Dimicus Ende zu berichten. Ihr Zeitgefühl war irgendwann verloren gegangen in den letzten Tagen und ihre Augen nahmen ihn nur als verschwommenen Schemen war. Das Fauchen musste wenig überzeugend klingen, denn ihre Kehle fühlte sich bereits wieder ausgetrocknet an und tatsächlich liess sich der unerwünschte Besucher nicht einmal davon beeindrucken.
    Nichtsdestotrotz war es überraschend, dass er die Tür hinter sich ins Schloss zog. Sie musste wirklich einen jämmerlichen Eindruck machen, wenn er sich mit der Bestie einsperren liess.
    Wilfried verhielt sich jedoch weiterhin seltsam, und hob seine Hände über den Kopf. Eine Geste, welche sie allzu sehr an eine andere Person erinnerte. Doch war das möglich?


    Emilia erhob sich von ihrem erhöhten Platz und hätte beinahe, von einem plötzlichen Schwindelgefühl ergriffen, den Halt verloren. Alles drehte sich um ihre eigene Achse und sie hatte Mühe, ihre Augen auf einen Punkt zu fixieren. Der Abstieg verlief schwerfällig und unbeholfen, doch schliesslich spürte sie den Boden unter ihren Tatzen.
    Seinen Körpergeruch konnte sie nicht ausmachen, so sehr verpesteten ihre eigenen Fäkalien die Luft, wobei sie auch dies kaum mehr wahrnahm. Ihr Bauch gab ein unwilliges Knurren von sich, doch sie beachtete es gar nicht. Stattdessen blieb sie stehen richtete ihren Blick auf den Mann, der sich gerade auf ein Knie niederliess. Es waren vor Allem seine Bewegungen, welche ihr verrieten, dass es sich weder um Wilfried, noch um Dimicus handeln konnte. Träge schritt sie bis zur Mitte des Raumes vor und endlich stellte sich ihre Perspektive schärfer, als der Mann nun nur noch wenige Meter von ihr entfernt auf Augenhöhe war.
    Shazeem?, undeutlich konnte sie sich an sein Grinsen erinnern, als sie ihn im Diebesgewölbe kennengelernt hatte. Was wollte er hier? Was mochte dies bedeuten?


    Viel zu spät begriff sie, dass er mit ihr sprach und seine Worte verklangen ungesehen in dem grossen Raum. Mit ihren smaragdgrünen Augen klammerte sie sich an der Gestalt wie an einem rettenden Strohhalm fest.
    Warum war er hier? Lebte Dimicus vielleicht noch? Oder wollte er ihr die Hiobsbotschaft überbringen? Nun die würde sie auch früh genug noch von Wilfried erfahren.
    Doch dann zog der Tamjid plötzlich einen Umschlag aus seiner Tasche sowie ein Lederband, das ihr Herz einen Sprung machen liess. Umso schmerzlicher spürte sie nun wieder das Gefühl des Verlustes in sich aufkommen und ein unendliches Seufzen erklang tief aus dem mächtigen Brustkorb heraus.
    Der Ältere verschwand jedoch nicht einfach wieder, wie sie es für einen kurzen Moment hoffte, um sie in ihrem Unglück zurückzulassen. Stattdessen legte er ihr den Brief mit Dimicus fein geschwungener Schrift vor und lehnte sich dann gegen die Tür. Einen Moment erkannte Emilia ihren einstigen Begleiter in ihm wieder, eindeutig hatte er sein Handwerk von einem guten Meister erlernt.


    Offensichtlich erwartete er, dass sie den Brief las, doch es kostete Emilia einiges an Überwindung. Vermutlich waren dies die letzten Worte, die sie jemals von ihm lesen würde.
    Bestimmt machte er ihr Vorwürfe, wie sie es verdient hatte!
    Schliesslich setzte sie sich erschöpft hin und begann den Abschiedsbrief zu entziffern. Immer wieder drohte er vor ihren Augen zu verschwimmen und es kostete sie einiges an Anstrengung, sich auf den Inhalt zu konzentrieren.


    Liebste Emilia,


    auch wenn es seltsam für mich ist diese Worte zu schreiben, so muss ich dir gleich von Anfang an sagen, dass du in einigen Punkten einfach Recht behältst. Mehrmals habe ich mir deine Worte durchgelesen, eine ganze Weile darüber nachgedacht.
    Ich selbst entscheide mich dazu, meine Kunst auszuüben und zu töten. Auch wenn du es missbilligst, so ist es ein Teil von mir, der jedoch ein Ende finden wird. Das Ende ist mir nahe, dass weiß ich sehr gut. Mein Schicksal ist bereits besiegelt worden, als ich dich habe gehen lassen.


    Nun, da waren sie, die Anschuldigungen, die sie hatte kommen sehen. Er hatte von Anfang an geahnt, dass er ihr nicht vertrauen konnte. Und tatsächlich hatte sie sein Schicksal besiegelt.
    Doch ich habe Dich nicht absichtlich verraten!, hätte sie ihm gerne geantwortet und gab einen verzweifelten Laut von sich und sie musste sich dazu durchringen, den Blick wieder auf die Zeilen zu fokussieren.


    Du bist wahrlich das erste Wesen, welches ich meinen Gedanken als würdig erweise. Zuerst habe ich gekämpft, mich dagegen gewehrt. Doch was bringt es mir, zu sagen dich vergessen zu wollen? Du hattest es geschafft, meine Stimmen zum Schweigen zu bringen und mein fühlendes Sein zu wecken. Etwas, was ich nicht wieder umkehren kann. Dafür bin ich dir dankbar, auch wenn es zu spät ist.


    Emilia war zu erschöpft, um den tieferen Sinn der Worte zu begreifen.
    Von welchen Stimmen sprach er?, fragte sie sich und schaute einen Moment nachdenklich Shazeem an. Dieser beobachtete sie aus den Augenwinkeln heraus und traute der Löwin offensichtlich nicht hundert prozentig über den Weg.
    Warum war er bloss hier? Und worauf wartete der Tamjid? Jeden Moment konnten bestimmt die Hausbewohner zurückkehren und dann sass er in diesem Zimmer in der Klemme, genau wie sie.
    Es fiel ihr schwer klar zu denken, doch etwas an Dimicus Aussage berührte sie dennoch in ihrem Inneren. Er schätzte sie als Person und er war ihr dankbar. Wofür verstand sie in diesem Moment nicht gänzlich und nur allzu gern hätte sie ihn danach gefragt.


    Denn umso mehr weiß ich, dass ich dich abermals in das Verderben gestürzt habe. Shazeem hat deine Familie beobachten lassen und mir berichtet, wie es dir erging. Eingesperrt wie ein wildes Tier, gehalten um einfach nur diesem einen Zweck zu dienen, der dir auferlegt wurde.
    Doch aus diesem Grunde bin ich auch froh, dass du meinen grässlichen Tod nicht anschauen musst, sofern man dich nicht zu meiner Hinrichtung mitnimmt. Er wird weder meines Genies angemessen noch schön sein, leider ist er aber unumgänglich.


    Emilia jaulte wiederum auf und gab klagende Laute von sich. Er hatte gewusst, dass er sterben würde.
    Doch warum war er dann nicht gegangen? Hatte er sich selbst etwas beweisen wollen?
    Shazeem warf ihr einen warnenden Blick zu.
    Warum verschwand der Kerl nicht endlich und liess sie in ihrem Elend alleine?
    Vielleicht musste sie ihm erst beweisen, dass sie wirklich ein wildes Tier war, damit er sie in Ruhe liess.

    Die junge Frau wusste nicht, auf welche Weise Dimicus hingerichtet wurde, doch sie konnte seine Worte plötzlich nachvollziehen. Er hatte ihr einmal erklärt, dass er in dem Tode ihres Vaters etwas Wertvolles und Unvergängliches geschaffen hatte mit Hilfe seiner Kunst. Auch wenn sie es damals nicht verstehen konnte und wollte, begriff sie nun doch, welch unwürdiges Ende dies für den Rosendämon bedeuten musste.


    So will ich dich auch um etwas bitten. Eine letzte Bitte bezüglich deines Lebens. Vertraue Shazeem und schnappe dir deine Kleidung, folge ihm hinaus und lass dich leiten. Nur er weiß noch, wie du entkommen kannst. Er wird dir nichts tun, ich verspreche es dir.


    Gezeichnet
    Dein guter Freund
    Dimicus


    Selbst im Tode sorgte er sich noch um ihr Wohlergehen!
    Deshalb war Shazeem also noch hier und wartete geduldig darauf, dass sie sich ihm anvertraute.
    Die Gestaltwandlerin verspürte einen dicken Kloss in ihrem Hals, doch ihre Tränen waren alle aufgebraucht. Dann betrachtete sie das Bild, welches unter den schwungvollen Zeilen hinzugefügt worden war. Es war ihr eigenes Abbild einer Katze, das ihr entgegenschaute mit offenem und neugierigem Blick, bereit die Welt zu erobern.
    Noch während sie darüber nachdachte, was für einen Sinn es machte, Shazeem zu folgen, begann bereits die Verwandlung. Es war die letzte Bitte von Dimicus an sie, die Emilia dazu bewog, sie nicht zu hinterfragen.
    Einige Minuten später hockte an der Stelle der Löwin ein zitterndes und schluchzendes Häufchen Elend mit verfilztem braunem Haar, und starkem Körpergeruch der darauf schliessen liess, dass das letzte Bad schon einige Tage zurückliegen mochte.


    Shazeem musste ihr beim Ankleiden helfen, nachdem sie ihre Kleider unter ihrem Bett hervorgeklaubt hatte. Der Umhang fühlte sich schwer an, und schien sie auf den Boden zurückziehen zu wollen, als sie schliesslich voll bekleidet neben dem Tamjid stand.
    Als er zur Tür hinaus spähte, um einen Überblick über die Lage zur erhalten, bückte sich Emilia nach dem Brief und dem Lederband, die noch immer verloren im Raum am Boden lagen. Dabei bewegte sie sich jedoch allzu hastig für ihren geschwächten Körper, der durch die Verwandlung zusätzlich mitgenommen wurde. Vor ihren Augen drehte sich alles und bunte Flecken tanzten in ihrem Blickfeld herum.
    Als sich Shazeem zu ihr umwandte, sah er gerade noch, wie der schmale Körper kraftlos in sich zusammensackte.

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  • Vollkommen ruhig verharrte Shazeem an der Tür, achtete auf jedes kleine Geräusch das vor der Tür zu entstehen versuchte. Jedoch war keinerlei Schritt zu hören, nicht einmal dumpfe Stimmen oder weiter entfernte Geräusche. Es war mucksmäuschenstill in den Gemäuern der Kreuzensteins, weswegen der ältere Mann hin und wieder zu Emilia blicken konnte, genau im Blick habend was sie trieb. Ihre Löwengestalt war durchaus beeindruckend, vermutlich wäre sie eine wahre Augenweide für Jäger. Jedoch waren seine Blicke vorerst flüchtig und nur darauf achtend, dass sie keinerlei Dummheiten macht.


    Es verging ein wenig mehr Zeit, in der sie in bitteren Tönen jaulte und ihrem Verlust nachzutrauern schien. Er konnte es ihr nicht verübeln, sie war in dem Glauben einem ihr wohl wertvollen Menschen verloren zu haben. Die Blicke die sich sie und Dimicus immer ausgetauscht hatten, waren mehr vielversprechend. Doch in ihrem Zustand war es mittlerweile nicht einmal mehr möglich, dass sie sich selbstständig ankleiden und kaum bewegen konnte. Es sollte schwierig werden mit ihr zu entkommen, dieser Zustand war katastrophal.


    Als sie dementsprechend wieder in ihrer menschlichen Gestalt war und vollkommen nackt dort wie das Häufchen Elend saß, was sie in diesem Moment war, konnte Shazeem nicht gänzlich umher kommen, auf ihre angenehm weiblichen Rundungen zu achten. Damit verbrachte er aber besser nicht einmal mehr viel Zeit, sondern half der jungen Frau in ihre Kleider. Es war ein komplizierter Akt. Ihre Feinmotorik schien vollkommen hinüber, so verfehlte sie den Ärmel, schwankte bei jeder kleinen Bewegung und drohte jedes Mal einfach umzukippen. Der Dieb hatte die gesamte Zeit die Sorge, es würde auch geschehen.


    Seine Freude dass es doch nicht passierte, währte nicht lang. Noch während er ein letztes Mal prüfte ob der Weg frei war, sah er noch im Augenwinkel die junge Frau wanken und schließlich fallen. Der samtige Teppich fing zum Glück ihren Sturz auf, allerdings war das dumpfe Geräusch nicht zu überhören. Etwas genervt seufzte Shazeem auf, so machte es alles wahrlich komplizierter. Das fehlte mir jetzt auch noch. Dimicus, du schuldest mir danach mindestens ein Met. Sofort eilte er herbei, steckte sowohl das Lederband als auch den Brief in einer der Taschen Emilias und hob sie an. Zu seiner Überraschung war sie federleicht in seinen Armen, vermutlich des Aushungerns und ihrem schlechten Zustand geschuldet, ganz von ihrer eigentlich zierlichen Statur zu schweigen.


    „Dann müssen wir das halt so machen.“, flüsterte er vor sich her, als er sie auf beiden Armen trug und versuchte, ihre leblosen Arme um seine Schultern zu schlingen. Ein durchaus schwieriges Unterfangen, wenn sie nicht dort bleiben wollten wo sie waren. Doch letztendlich erreichte er es ihre Arme über Kreuz um seine Schultern zu legen und ihm das Tragen somit erheblich zu erleichtern. Während also der linke Arm sich um ihre Schultern schlang, ging der Rechte unter ihre Kniekehlen. So sie einigermaßen sich tragend, stieß er die Tür möglichst leise mit einem Fuß auf.


    Der Flur vor ihm war frei, so schritt er eiligen Schrittes sofort hinaus. Sein Blick ging nach links und rechts, erneut rief er sich ab wo er nun hin musste. So trugen ihn seine Füße durch die Flure zum oberen Treppenabsatz, es war weiterhin ruhig und niemand zu sehen. Allerdings knarzte die Treppe durch das erhöhte Gewicht doch bei jedem Fußtritt laut auf, Shazeem hatte schon Angst, sie würde einfach wie ein Strohhalm unter ihnen brechen. Seine Sorge blieb jedoch unbegründet, so erreichte er unbeschadet das Erdgeschoss und machte sich direkt in Richtung der Tür auf. Siegessicher konnte er schon seine Flucht auf der Zunge schmecken und durch seine Adern pulsieren spüren, als er direkt vor dem Portal nach draußen stand. Statt er jedoch die Tür öffnete, schob sie sich von außen auf.


    Augenblicklich befanden sich zwei vollkommen fremde Parteien direkt gegenüber. Wilfried, so wie er dachte dass er es war, starrte Shazeem vollkommen ungläubig an. Dieser Moment schien vollkommen eingefroren und der Witz der Situation der erstreckte sich über einige Sekunden des gegenseitigen Anstarrens. Beide blinzelten sich vollkommen verdutzt an, keiner Begriff wie es um den anderen geschah. Gerade so schaffte es Shazeem jedoch, sich aus dieser Schockstarre zu befreien. „Ich muss mir Emilia auf unbestimmte zeit ausleihen. Vielen Dank für Euer Einverständnis. Einen schönen Abend!“ Mit einem kräftigen Tritt gegen das Holz der Tür, war er jene zu und Wilfried gleich vom Treppenabsatz des Einganges. Man hörte von draußen nur noch ein lautes Fluchen und wilde Schreie. Es war Zeit von dort zu verschwinden!


    Ohne Umschweife machte er auf dem Absatz kehrt und rannte blindlings los. In der Hektik musste er auch noch nachdenken, wie er heraus kam! Bad? Nein! Gästezimmer? Nein! Salon … ja, die Tür in den Garten! Ungestüm rannte er durch die Gänge, stieß dabei eine Maid die nach dem Rechten sehen wollte um, was er mit einem erschrockenen Schrei quittiert bekam. Er schlug jedoch keine Umwege ein und trat sich durch eine Tür nach der anderen, bis er beim Salon angelangt war und die rettende Tür in den Garten erblickte. Hinter ihm hörte man schon die ersten lauten Schreie der Familie, die ihm nachstellten. Schnelle Fußschritte näherten sich von hinten.


    Mit größten Schritten eiferte er weiter, trat die Tür nach draußen auf und sprang die paar Absätze nach unten in den Kiesweg. Ein Knacken lag in seinen Ohren, als er einen stechenden Schmerz im Rücken spürte. Schmerzerfüllt stöhnte er auf, als er weiterlief. Verdammter Rücken! Seine Blicke gingen wild umher, suchten nach einem Ausweg. Dabei trampelte er sämtliche Beete platt, die teuren Petunien, hier die Stiefmütterchen und schließlich auch noch einige Rosen. Sie alle fielen seinen Stiefeln zum Opfer, als er auf das Tor des Garten zusteuerte. „Stehen bleiben!“, hallte es noch von hinten. Die lassen wirklich nicht locker, wie?


    Dabei spürte er auch noch zarte Bewegungen Emilias, die sich vollkommen erschöpft in seinen Armen wand und durch das Ganze wohl auch noch aufgewacht zu sein schien. Das war mehr als unpraktisch, als sie sich aus seinen Armen herauswand – vermutlich versehentlich. Gerade noch rettete er sie und sich selbst vor dem Stolpern, als das Gewicht sich verlagerte. Elegant wie er es stets zu sein versuchte, fing er sich schnell wieder und gelangte am Gittertor an. Oder eher – stürmte mitten hinein. Von weitem hatte er schon sehen können, dass es solide war und somit mehr Kraft brauchte.


    Dabei riss er auch das Tor auf, jedoch damit Emilia und sich zu Boden. Wie zwei Puppen plumpsten sie zu Boden und rollten kurz weiter. Dabei wurde die Luft aus seinen Lungen gepresst und sein geschundener Rücken machte es nicht besser! Er wäre aber keinerlei Dieb, wenn er damit nicht umzugehen wüsste. Sofort zwang er sich tief einzuatmen, sich aufzurappeln und ohne Rücksicht auf Verluste Emilia anzuheben. Etwas grob landete sie schließlich über seiner Schulter, wobei ein kurzer Blick zurück in den Garten die verfolgenden Verwandten preisgab. Sie sahen nicht gerade glücklich aus. Mit der linken deutete er nur noch einen kurzen Salut an, ehe er weiter zu laufen begann. Jetzt jedoch mit höherer Geschwindigkeit durch die Gassen. Seine Augen irrten umher und trafen auf viele verwunderte Blicke. Zum Glück verbarg sich sein Gesicht zum Großteil unter einer Kapuze.


    Einige ausgewichene Wachen, zerstörte Obststände und Abkürzungen durch Gassen später hatte es der alte Mann tatsächlich geschafft. Schwer keuchend ruhte er mit Emilia in einer abgelegenen Straße, die fast nur von Bettlern bevölkert wurde. In einer kleinen Einbuchtung, geschützt vor Sonnenlicht und neugierigen Blicken hockten sie zwischen kalten Mauern. Emilia war sanft an eine Wand angelehnt worden, während Shazeem versuchte sich seinen Rücken wieder gerade zu richten. Seine „Heilkur“ bestehen aus Strecken und Dehnen wirkte wahre Wunder, nachdem sich etwas in seinem Rücken mit einem Knacken wieder richtete. „Es wird Zeit für meinen beschissenen Ruhestand.“, fluchte er leise vor sich her, bevor er sich Emilia zuzuwenden begann.


    Die junge Frau wirkte vollkommen verloren, andererseits auch ängstlich. Das kümmerte Shazeem keinen Moment, es blieb ihnen nicht viel Zeit, bis sie in Sicherheit waren. Auffordern hockte er sich vor ihr, blickte ihr fest in die Augen. Zwar sanft, aber dennoch bestimmt griff er mit einer Hand ihr Kinn und drehte ihren Blick zu ihm. „Kannst du laufen?“, fragte er sie mit langsamen Worten. Zuerst schien sie nicht zu verstehen, doch zögerlich kam ein schwaches Nicken ihrerseits. „Gut.“ Ohne ihr eine weitere Pause zu gönnen, zog er sie an einem Arm nach oben in den Stand, legte diesen um seine Schultern und stützte sie somit. Tief atmete er ein weiteres mal durch, ehe er sich aus ihrem Versteck bewegte und ihr die Kapuze tief ins Gesicht zog.


    Es war sehr schwer, Emilia weiter zu stützen und dennoch versuchte sich Shazeem daran, durchzuhalten. Inzwischen war auch er stark angeschlagen, die Flucht hatte ihre Spuren an ihm hinterlassen. Das Alter hatte er dafür eigentlich auch nicht mehr. Jetzt galt es jedoch mit äußerst ruhigem Schritten durch die Straßen zu manövrieren und neugierigen Blicken zu entgehen. Ihr nächstes Ziel lag abgelegener am Rande Drakensteins. Unter seiner Führung und seiner restlichen Kraft führte er sie und sich ohne Probleme auf diesen Weg. In der Ruhe konnte er besser Gefahren ausmachen und diesen noch leichter ausweichen. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis sie ankamen.


    Schon bald schälte sich zwischen einigen Häusern an einem der Randgebiete der Stadt eine kleine Kirche hervor, einer von vielen in Drakenstein. Diese war Shazeems und damit auch Emilias Ziel. Das Stadtviertel schien nicht so belebt, wie etwa die eher mittig gelegenen. Ruhe kehrte ein und es war mittlerweile auch die Dunkelheit über sie hereingebrochen. Der Abend hatte Einzug gehalten. „Gleich da.“, murmelte Shazeem vor sich her, als er eine ihm bekannte Person erblickte. Sie lehnte im Schatten und war kaum zu sehen, wenn man nicht wusste wohin man schauen sollte. Er nickte in den Schatten, welcher erwiderte. Sie überquerten die Straße vor der Kirche, statt jedoch direkt hinein, bogen sie seitlich in den Schatten ein. Eine breite aber in völliger Dunkelheit gehüllte Straße offenbarte sich, mehrere zwielichtige Gestalten tummelten sich dort, bewaffnet mit Schwertern und schwarzen Lederrüstungen, die sie mit den Schatten verschmelzen ließen. Alle nickten ihm zu, waren offensichtlich auf ihre Ankunft vorbereitet.


    Das führte auch dazu, dass Shazeem Emilia letztendlich zu einer Kellerklappe führte, vor der eine weitere Wache postiert war. „Ist er schon wach?“, ertönte Shazeems Stimme, als er in die Gewölbe eintrat, aus dem der Lichtschein von Fackeln zu entfliehen versuchte. Wie eine willkommene Oase wirkte es, die sich aus der Finsternis schälte und zum Verweilen einlud.


    „Noch nicht, es sollte aber bald soweit sein. Der Absud muss noch vollständig abklingen.“, antwortete der Wächter als sie vorbeigingen. Darauf verschwand Shazeem auch schon mit der jungen Frau im Schlepptau in die Gewölbe. Schnell wurde klar, dass es sich um eine Totenhalle handelte, sie jedoch nur sein klein schien. Nicht mehr als ein kurzer Flur, gemeißelt aus kalten Ziegeln, führte in einen Raum der von Kerzen erleuchtet war. Dort verweilten drei Personen zwischen rostigen Werkzeugen für die Einbalsamierung der Toten. Ein gut genährter Mann in einer braunen Robe untersuchte einen weiteren, der in Kleidung eines Gefangenen gehüllt war. Dieser lag auf einem der Steinbänke, wirkte vollkommen leblos und schien tot zu sein. Daneben stand ein weiterer Mann, wie die Wachen die draußen waren.


    Müden Schrittes brachte Shazeem die junge Frau zu dem Steinbett direkt daneben und setzte sie darauf ab. Er blickte sie an, lächelte ihr verwegen zu und meinte: „Das hast du gut gemacht. Der Mistkerl von Dimicus wäre sicherlich froh dich zu sehen, würde er nicht gerade noch toter Mann spielen. Ruh dich erst einmal aus, er brauch noch ein wenig.“ Zwar wusste Shazeem nicht ganz, ob sie jedes Wort hatte lesen können, trat dann aber einen Schritt zur Seite und zeigte nun gänzlich den Körper, der auf der Steinbank ihr gegenüber lag. Neben einer schwindenden Blässe, war nur ein bläuliche Verfärbung an seinem Hals zu sein, welche jedoch nicht ernsthaft schien. Dennoch wirkte Dimicus wie eine Leiche, ausschließlich wenn man ganz genau, mit der allergrößten Sorgfalt schaute, erkannte man ein sehr seichtes Atmen. Am Tage und in Hektik hätte man es nie gesehen.


    Vorsichtig tippte Shazeem dem dicklichen Mann an und deutet auf Emilia. Dieser erkannte sofort was zu tun war, nahm ein Fläschchen von einem nahestehenden Tisch und ergoss dessen Inhalt in eine hölzerne Schale. Ohne ein Wort zu sagen ging er zu Emilia, reichte ihr das Schälchen mit dem stärkenden Trunk und deutet an es zu trinken. Dankend nickend nahm dies Shazeem zur Kenntnis, klopfte Emilia noch sachte auf die Schulter, ehe er kräftig gähnte. „Ich kehre zum Gasthaus zurück, informiert mich morgen, was sich ergeben hat und wie es Dimicus geht. Erinnert ihn daran, dass er uns nun seine Dienste schuldet. Gute Arbeit.“ Damit verschwand auch Shazeem aus dem Bilde der Totenhalle, als er durch das Portal in den Gang schritt und nur noch seine Schritte die Treppe hinauf zu hören waren.

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  • Wo waren sie hier?
    Emilias Augen versuchten unter der Kapuze hindurch zu spähen, die Shazeem ihr vorsorglich tief ins Gesicht gezogen hatte. Die Fassaden der Häuser, an denen sie vorbei huschten, machten einen zunehmend schlichteren Eindruck. Die prunkvollen steinernen Gemäuer wichen einfacheren Riegelbauten, die Gassen wurden enger und die Gestalten, die sich darin bewegten trugen einfache Leinen- und Wollgewänder.
    Emilia erinnerte sich vage daran, dass Shazeem ihr beim Ankleiden helfen musste, dass sie sich dann nach dem Brief und dem Lederband bücken wollte, und dann war alles schwarz geworden. Sie musste zusammengebrochen sein. Doch wie war sie plötzlich mitten in den Strassen Drakensteins gelandet?


    Misstrauisch blickte sie Shazeem an, der sich darum bemühte die junge Frau zusätzlich zu stützen. Kurz wollte Emilia seinen Arm abschütteln, doch ihre Beine fühlten sich so wabbelig an wie der Vanillepudding der Hausköchin, so dass sie den Drang sogleich von sich schob.
    Langsam mobilisierten sich jedoch ihre Erinnerungen. Die frische Luft war wie ein Lebenselixier und liess sie wieder klar denken. Shazeem hatte sie aus dem Haus getragen, sie waren durch den Garten gerannt… der Geruch nach frischer Erde und Rosenblüten wallte augenblicklich in ihrem Gedächtnis auf.
    Er hatte das Gittertor einfach über den Haufen gestürmt. Unwillkürlich blickte Emilia an sich herunter und spürte sogleich auch wieder das Pochen in ihrer Schulter, mit der sie beim Sturz unsanft aufgekommen war. Auch ihre Kleider hatten Spuren davongetragen und waren verschmutzt. Einen Moment betrübte der Gedanke die junge Frau, als die bequeme und praktische Kleidung sie an Dimicus erinnerte. Kurz glitt jedoch ein bekümmertes Lächeln über ihre Lippen. Er war vermutlich der erste und letzte Mann gewesen, der ihr ausgerechnet Hosen geschenkt hatte.


    Plötzlich verlangsamte Shazeem die Schritte und schliesslich blieb er sogar stehen. Erschöpft von dem Spiessrutenlauf hielten die beiden Gestalten inne. Verwundert und misstrauisch zugleich fuhr Emilias Blick herum.
    Wo brachte Shazeem sie hin? Und wieso? Und was hatten Dimicus Worte aus dem Brief damit zu tun?
    Sie durchquerten eine düstere Gasse, die der jungen Frau eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Unbehaglich drängte sie sich gar näher an den älteren Mann heran, der ihr wenigstens ein klein wenig Sicherheit bot.
    „Gleich da“, murmelte Shazeem vor sich her, als er ihre Unsicherheit bemerkte.


    Die Kirche ragte bedrohlich vor ihnen auf. Unweigerlich duckte sich die Gestaltwandlerin. Sie hatte das Gefühl, als würde die finster blickende Büste ihr mahnende Worte zurufen.
    „Kehre nach Hause zurück, wo du hingehörst! Büsse für deine Sünden, die du begangen! Übe dich in Bescheidenheit und Demut! Ehre deine Familie und sei ihnen eine gute Dienerin, wie es sich für eine anständige Hausfrau gehört! Lege deinen falschen Ehrgeiz und Stolz ab! Verwirf deine frevelhaften Gedanken und zeige Reue!“
    Als sie jedoch nähertraten, waren es bloss die Schatten, hervorgerufen durch eine flackernde Laterne, welche ihr die Lippenbewegungen vorgetäuscht hatten.
    Bevor Emilia sich fragen konnte, was der Dieb in einem der Gotteshäuser zu finden ersuchte, bog er mit ihr auch schon in eine Seitengasse ein, wo sich zwielichtige Leute tummelten.
    Zielstrebig führte Shazeem sie zu einer Kellertreppe und führte die beunruhigte Frau in das Gewölbe hinunter.


    Es war der unheimliche Geruch, der Emilia umso mehr verstörte, als es die dunkel gewandeten Wachen oder die in Schatten gehüllte Räumlichkeit vermocht hätten. Es lag etwas in der Luft, was sie noch nie gerochen hatten, das ihr aber einen Schauer über den Körper jagte und ihren Leib erzittern liess. Als sie die Gruft betraten, begriff das Mädchen noch immer nichts. Sie bemerkte eine Öllampe, dazu da, das eigenartig süssliche Odeur verwesenden Fleisches zu überdecken, das wie ein Schleier im Raum schwebte, selbst dann, wenn der Tod nicht zugegen war.
    Emilia war jedoch viel zu entkräftet, um Shazeem Gegenwehr zu leisten, der sie ohne Umstände in die Totenhalle beförderte und sie auf ein Steinbett setzte. Das Unwohlsein war ihr jedoch anzusehen und die unwirkliche Blässe ihres Gesichtes liess sie selbst wie ein Gespenst erscheinen.
    Er setzte sich neben sie und meinte dann mit einem verwegenen Lächeln: „Das hast du gut gemacht. Der Mistkerl von Dimicus wäre sicherlich froh dich zu sehen, würde er nicht gerade noch toter Mann spielen. Ruh dich erst einmal aus, er brauch noch ein wenig.“
    Die junge Frau starrte Shazeem verständnislos an. Sie war unkonzentriert und wünschte sich wieder nach Draussen, an die frische Luft. Das Parfüm der Öllampe vernebelte ihre Gedanken und plötzlich hatte sie das Gefühl zu ersticken.


    Erst als der Dieb aufstand und zum Steinbett nebenan trat, wurde Emilia des Leichnams richtig gewahr. Sie spürte, wie das Entsetzen sich wie eine Stichflamme in ihr ausbreitete und ein seltsamer Laut kam über ihre Lippen, der den rundlichen Mann auf den Plan rief.
    Emilia wollte aufstehen, um sich davon zu überzeugen, ob der Tote wirklich Dimicus sei!
    Warum hatte Shazeem sie hierhergebracht? War dies ein Akt der Rache? Um ihr die eigene Schuld zu verdeutlichen?
    Bevor sie jedoch einen Schritt gehen konnte, war bereits der Dicke neben ihr und schob sie auf die Liege zurück. Emilia versuchte ihn abzuwehren, doch sie war zu schwach dafür. Eindeutig wollte er, dass sie den Becher austrank, den er ihr auffordernd unter die Nase hielt.
    Wollte er sie damit vergiften? Wer konnte das schon sagen?
    Kaum führte sie die Schale an ihre Lippen, stand Shazeem neben ihr und sprach wiederum. Emilia wollte jedoch nichts mehr von ihm wissen. Sie wollte sich nur noch davon überzeugen, dass dort wirklich Dimicus lag, erhängt durch einen Strick.


    Der pummelige Kerl liess sie gewähren, als sie sich schliesslich etwas wackelig aber nichts destotrotz voll von grimmiger Sturheit auf die Beine kämpfte und zum Totenbett ging.
    Unwillkürlich hatte sie die Luft angehalten und ängstlich bedachte sie den in das Gewand eines Verurteilten gehüllten Leib.
    Ihre Augen füllten sich mit Tränen und rannen salzig warm über ihre Wangen, als sie ihren lieb gewonnen Freund erkannte. Er ist tot!
    Er war bleich wie ein Leinentuch und. Emilia begann am ganzen Körper zu zittern. In ihrem Innern tobte es und sie verspürte den Drang sich zu verwandeln und davonzulaufen.
    Erinnerungen wallten in ihr hoch und erfüllten sie mit einer Trauer, die sie selbst kaum für möglich gehalten hätte.
    Die junge Frau war so von ihren Emotionen überwältigt, dass sie weder die kaum wahrnehmbaren Atembewegungen bemerkte, noch dass sein Geruch nichts von Verwesung an sich hatte. Hätte sie ihn berührt, hätte die Wärme seines Körpers sie getröstet, doch Emilia war nicht in der Lage, sich ihm weiter anzunähern.
    Sie hatte seinen Tod zu verantworten.
    Im selben Moment, als der Gedanke sich in ihrem Kopf manifestierte, übermannte sie die Übelkeit wie ein heftiger Fausthieb. Ihr Leib krümmte sich zusammen, als Emilia den Stärkungstrank auf den Boden übergab.

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  • Dimicus
    Die Traumlosigkeit seines Scheintodes ließ Dimicus wie ein Geist schwebend in der Schwärze seines Unterbewusstseins verharren. Der Trank hatte volle Wirkung entfaltete und es dem Künstler ermöglicht, seinen Körper zu verlassen. In der Finsternis des Unbekannten verweilte er meditierend, darauf wartend wieder zu seinem Körper zurückkehren zu können. Nur Dimicus und seine Gedanken tauschten sich aus, dachten über alles nach, was sie von nun an tun würden. Sein Verstand war losgelöst von allen irdischen Bürden. Wie ein Traum, geschützt in seinem eigenen Bewusstsein, ließ er alle Ereignisse des Tages an sich vorbeiziehen. Niemand schaffte es, die Wirkung des Mittels zu durchbrechen, nur sein eigener Körper würde den Bann brechen können.
    Drum durchbrach plötzlich Licht seine Augenlider, als er aus der wohligen Dunkelheit herausgerissen und die Kälte der Realität geworfen wurde. Seine Körper bäumte sich auf und keuchender Husten überkam Dimicus. Weit riss Dimicus seine Augen auf, als er sich zur Seite bewegte und in einem Gefühl der Übelkeit sich auf den Boden übergab. Doch war es nicht der erste madige Geruch, der den Raum durchzog, so stand Emilia keine zwei Meter von ihm entfernt. Sie hatte das selbige Schicksal ereilt. Doch der dickliche Mann ignorierte seine einstige Gefährtin komplett, seine Priorität lag auf Dimicus und seinen Gebrechen. Mit gekonnten Handgriffen drückte der Gelehrte, nachdem sich der Künstler im wahrsten Sinne die Seele aus dem Leib gekotzt hatte, ihn zurück in eine liegende Position.
    „Ihr habt viel durch und Euer Körper muss vollkommen wach werden, bewegt Euch nicht!“
    Der junge Mann verstand zuerst nicht ganz. Seine Ohren klingelten und sein kompletter Körper fühlte sich taub an, als ob er zu viel getrunken hätte. Doch ließ er sich von den Händen fixieren, während er immer wieder zu hören bekam, tief ein und wieder auszuatmen. Sekunden des Schweigens vergingen darauf und die Sinne Dimicus kehrten zu ihrer normalen Funktion zurück, wenn auch geschwächt.
    „Die Wirkung wird spätestens morgen vollständig abgeklungen sein, macht keine Dummheiten bis dahin.“, erklärte der Dicke, ehe er einen Schritt zur Seite tat. Dimicus hingegen blieb liegen, genoss den Moment der Ruhe. Allerdings erfüllte ein seltsamer Geruch den Raum. Abgesehen von Tod und der bittere Geruch Erbrochenem, roch es nach Katze. Einer Katze die schon lang kein Bad mehr gesehen hatte.
    Dimicus nickte dem Gelehrten zu, ohne ein weiteres Wort zu sagen trat er an Emilia heran, tippte sie an und deutete auf Dimicus. Im selben Moment verschwand er zur Tür hinaus, genau in jenem Moment in dem sich der junge Mann aufzusetzen begann und mit einem müden Blick seiner verfilzten Freundin entgegenblickte.


    Emilia
    Emilia würgte ein noch einmal Mal, doch ihr Magen hatten nichts Weiteres an Inhalt preiszugeben. So von ihrer eigenen misslichen Lage abgelenkt, bemerkte sie nicht das zaghafte Zucken von Dimicus Augenliedern, als sein Geist langsam an die Oberfläche zurückkehrte.
    Hingegen entging ihr nicht, wie die vermeintliche Leiche im nächsten Moment plötzlich aus ihrer Starre erwachte und beinahe von der Liege gerollt wäre bei der Bemühung, sich auf den Boden zu übergeben.
    Ein Schrei entfuhr der jungen Frau und mit vor Schreck geweiteten Augen schnellte sie wie eine Sprungfeder an die nächste Wand zurück, um aus sicherer Entfernung das Unmögliche zu beobachten.
    Ein Gespenst! Was hatte der Alte ihr da verpasst? Er hatte sie also doch vergiftet!
    Panisch biss sich Emilia unwillkürlich fest in die eigene Hand und der Schmerz fuhr ihr bis in den Arm, so dass sie nach Luft schnappte. Als sie den Blick jedoch wiederum auf die Bahre legte, hustete das Dimicus-Gespenst gerade verzweifelt, bevor der Quacksalber ihn bestimmt auf das Bett zurückschob.
    Aber… war es dann überhaupt ein Gespenst? Und wenn es kein Gespenst war, was hatte der Mönch dann erschaffen?
    Emilia registrierte, wie sich der Mönch über das Wesen beugte, und mit ihm sprach. Sie musste von hier verschwinden, so lange er abgelenkt war und sie die Gelegenheit dazu hatte!
    Die junge Frau wollte sich bewegen, doch ihre Beine gehorchten ihr nicht. Wie angewurzelt stand sie da.
    Bei Ainuwar! Tote konnten doch nicht einfach so wieder zum Leben erwachen?!
    Als der Gelehrte sich zu Emilia umwandte, gab sie ein ängstliches Geräusch von sich. Sie versuchte von ihm zurückzuweichen und fauchte ihn instinktiv an, als er näherkam. Er deutete jedoch bloss mit einem Schulterzucken auf das Gespenst, bevor er zur Tür hinaus verschwand und sie hinter ihm ins Schloss sprang.
    Ich bin allein mit dem Untoten!
    Oh nein, er sieht mich an... er bewegt sich!

    Völlig ausser sich vor Furcht tastete die junge Frau sich weiter von der Bahre weg, immer schön die Sicherheit der Wand im Rücken. Leider befand sich das Dimicus-Gespenst zwischen ihr und der Tür und Emilia getraute sich nicht, an ihm vorbeizulaufen.
    Vorerst blickte das Wesen sie jedoch nur müde an, es schien noch nicht ganz in der Wirklichkeit angekommen zu sein.
    Denk nach, denk nach… vielleicht ist es nur eine Halluzination!
    Emilia versuchte sich einzureden, dass der Quacksalber sie vergiftet hatte, oder vielleicht war das auch schon zuvor geschehen durch Shazeem?
    Immer wirrer wurden ihre Gedanken.
    Oder sie war eigentlich gar nicht hier.
    Vermutlich lag sie noch immer zu Hause in der Dunkelheit ihres Zimmers und die Entbehrung machte ihr schon so sehr zu schaffen, dass sie Traum und Realität nicht mehr voneinander zu unterscheiden vermochte!

    Dagegen sprach jedoch die Bisswunde an ihrer Hand, die mehr Ähnlichkeit mit dem Gebiss einer Katze aufwies als von Menschenzähnen gemacht.
    Und wenn das wirklich Dimicus ist?
    Gleich schüttelte sie den Kopf ab ihrer eigenen Dummheit. Tote erwachen nicht zu neuem Leben!
    Doch es galt herauszufinden, ob das Wesen vor ihr existierte oder eine blosse Wahnvorstellung war.
    Emilias Blick huschte durch den Raum und sie erkannte unweit entfernt einen Tisch. Ohne den Gespenster-Dimicus aus den Augen zu lassen, taumelte sie dorthin, griff sich den nächstbesten Gegenstand und warf ihn schwungvoll nach dem menschenähnlichen Untoten auf der Bahre.


    Dimicus
    Sichtlich verwirrt über die Reaktion Emilias, entglitten Dimicus sämtliche Gesichtszüge. Was war denn mit ihr los?
    Er selbst war nicht ganz auf der Höhe und verstand nicht auf Anhieb, was plötzlich um ihn geschah. Oder besser gesagt, was mit Emilia geschah. Für einen Moment dachte er darüber nach, schaute sie nur weiter verdutzt an, ehe er wirklich begriff warum sie so ängstlich war. Darauf hätte er auch eher kommen können, so wahr es sehr unüblich das Tote ohne das Zutun eines Nekromanten wieder erwachen konnten.
    Zuallererst wollte Dimicus beschwichtigend seine Hände heben, Worte mit seinen Lippen formen und somit Emilia zur Ruhe auffordern. Sein Plan wurde jedoch ihrerseits schnell durchkreuzt, als ein nicht gerade weicher Gegenstand in seine Richtung geflogen kam.
    Seinem angeschlagenem Zustand geschuldet, spürte er schon im nächsten Moment einen metallenen Gegenstand an seiner Stirn aufkommen. Ein dumpfer Schmerz durchzuckte sofort seinen kompletten Kopf und er stöhnte auf. Er purzelte nach hinten, verlor den halt und schlug obendrein noch mit dem Hinterkopf gegen den steinernen Altar auf. Seine Sicht wurde schwammig und seine Hände versuchten verzweifelt die Schmerzen durch das Auflegen zu lindern, selbstverständlich ohne Erfolg.
    Mühevoll krümmte er sich, nicht nur dass ihm übel war, geschweige denn sein kompletter Körper streiken wollte, da bewarf ihn auch noch seine eigentliche Verbündete mit metallenen Zangen.
    Was war denn in sie gefahren?! Warum war sie überhaupt dort?
    Schnell überkam ihn seine Müdigkeit, sie zerrte an seinen Kräften und versuchte ihn zu verschlingen, ihn zurück in die Bewusstlosigkeit zu führen. Trotz der Schmerzen gelang es ihm aber, sich wieder aufzurichten, das Gesicht schmerzverzerrt und gezeichnet von einem Unwohlsein. Die Züge wirkten angespannt, jeder Muskel war verkrampft um seine Mühen wiederzugeben. Nur mit größter Not hielt er sich schließlich wieder in der sitzenden Position.
    Um seinen Kopf zu klären, schüttelte der junge Mann diesen und gewann so etwas Kontrolle zurück, ehe er die Hände beschwichtigend hob und die Worte aussprach, sie er zuvor sagen wollte: „Emilia! Beruhige … beruhige dich! Ich bin es doch nur!“
    Er hoffte sie erreichen zu können, ganz zum Trotze ihrer Angst. Von weitem konnte er trotz seiner Benommenheit erkennen, dass sie sich ansatzweise verwandelte, genau so wie die Wunde an ihrer Hand ihr kostbares Blut auf dem Boden vergoss.


    Emilia


    Ein Volltreffer!
    Ob das jedoch positiv oder negativ zu werten sei, blieb unklar, denn das musste ja folglich bedeuten, dass es sich bei dem Wesen nicht um eine Halluzination, sondern um die Realität handelte!
    Erst einmal schien die Gefahr jedoch gebannt, denn der Untote war hintenübergekippt wie eine Puppe und mit dem Hinterkopf auf den Altar geknallt.
    Eindeutig musste das Wesen Schmerzen empfinden, sein Gesichtsausdruck und die Geste seiner Hände waren Anzeichen genug, ganz zu schweigen davon, dass es sich nun auf der Bahre krümmte.
    Anstatt jedoch Reissaus zu nehmen, starrte die junge Frau die Gestalt mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu an. Wie sehr der Untote sie doch an ihren Freund zurückerinnerte.
    Doch was nun?
    Gerade als sie der Meinung war, dass der Zeitpunkt gekommen sei, um aus der Tür zu stürmen, richtete sich der lebendige Leichnam wankend wieder auf. Seine Stirn war aufgeplatzt und Blut rann ihm übers Gesicht und auch sein Hinterkopf musste mindestens eine riesige Beule davongetragen haben.
    Es war dann auch der Geruch, welcher Emilia als Erstes irritierte. Noch bevor Dimicus die Worte an sich zu richten vermochte, sog sie die Duftnote tief in ihre Lungenflügel hinein. Schwach konnte sie den Geruch wahrnehmen, den sie sowohl von seinen Gemälden, als auch von ihm selbst kannte.
    Roch eine Leiche so nach Lebendigkeit? Wo war der Verwesungsgeruch abgeblieben, der bereits eingesetzt haben musste?
    Ihre innere Löwin leckte sich die Lefzen und Emilia erinnerte sich unwillkürlich daran, wie sie Dimicus über die Hand geleckt hatte, nachdem sie ihn damals verletzt hatte.
    „Emilia! Beruhige … beruhige dich! Ich bin es doch nur!“
    Würde ein Untoter zu ihr sprechen? Wohl kaum…
    Dimicus?
    , sie formte seinen Namen zu einer tonlosen Frage und ein sanfter Hoffnungsschimmer funkelte in ihren minzgrünen Augen.
    Trotzdem wollte sie sich ihm nicht nähern. Zu gross war ihre Angst davor sich zu irren.
    Dann erkannte sie jedoch seinen besorgten Blick, der eindeutig nicht zu einer gefährlichen Bestie passen wollte, die sich am liebsten sogleich auf sie stürzte.
    Als der geschwächte Mann wiederum wankte und drohte das Gleichgewicht zu verlieren, stürzte sich Emilia plötzlich nach vorne.
    Ihre beschützerische Löwin verdrängte sie zu der ängstlichen Katze in eine Ecke ihres Seins.
    Kaum spürte sie den warmen Körper in ihrer Umarmung und den Geruch seiner Haut in ihrer Nase, gab es keine Zweifel mehr. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle, und kaum konnte sie ihr Glück begreifen, während wiederum Tränen über ihre Wangen strömten. Die Emotionen drohten sie wie eine Flutwelle mit sich zu reissen, so überwältigend war ihre Gefühlslage.
    Erst als Dimicus sich unter ihrer stürmischen Berührung regte, wandelte sich die Euphorie der Erleichterung in eine weitere neue Gemütsbewegung. Im nächsten Augenblick trommelte sie mit ihren Fäusten schwach auf seine Brust ein, hilflos und wütend zugleich über ihre Unfähigkeit, ihm all ihr Gedankenchaos einfach an den Kopf schmeissen zu können.


    Dimicus
    Etwas verwundert beobachtete Dimicus das Schauspiel dort vor sich. Wieso war sie denn so verwirrt, wo er eindeutig als lebendig und nicht gefährlich einzustufen war?
    Eigentlich hatte er angeordnet, dass Shazeem sie in Sicherheit, aber nicht direkt zu ihm bringen sollte. Der alte Gauner hatte damit sicherlich etwas bezwecken wollen. In seinem wackligen Zustand war es nicht wirklich gesund, sich dem Stress dieser Begegnung auszusetzen. Zu allem Überfluss spürte er noch, wie ihm etwas Warmes an der Stirn hinablief. Der Wurf hatte also gut gesessen.
    Seine Sicht verschwamm für einen Moment und Dimicus konnte sich kaum aufrecht halten. Beinahe drohte er wieder nach hinten zu fallen, doch plötzlich spürte er einen Luftzug. Überraschende Wärme und Zuneigung schmiegte sich an seinen Körper, von der er vollkommen überrumpelt wurde. Schluchzen durchzuckte den Raum und seine Nase empfing den Geruch einer Katze nur noch schärfer.
    „Hey, ist doch gut.“, sprach er mit brüchiger Stimme, dabei vergaß er, dass Emilia taub war. Sie schien vollkommen verwirrt, doch ihre Tränen zeugten von Freude und Erleichterung.
    Diese Reaktion und das Wissen, welches er von Shazeem erhalten hatte, bestätigten nur die Zusammenhänge. Sie hatte ihn nicht verraten, ganz im Gegenteil. Es war allein Wilfried, der die junge Katze auch noch misshandelt hatte.
    „Es ist vorbei, deine Angst unbegründet.“
    Sanft ergriff er ihre auf seiner Brust trommelnden Fäuste, schloss seine Hände um diese und schlich sich in ihre Handflächen, nur um seine Finger mit den ihrigen zu verschränken.
    Er war erleichtert, dass es Emilia dennoch geschafft hatte. Für die erste Zeit hatte er es geschafft, ihren Verlust zu akzeptieren und sie abzuschreiben. Dennoch hatte er sich Tag für Tag nach ihrem Duft gesehnt, die Zuneigung ihrerseits und einfach die Aura, welche sie mit in sein Leben brachte. Von Anfang an hatte er gespürt, welche Wirkung sie auf ihn gehabt hatte. Wie er ein verlorenes Kind, ihre Geschichten konnten nicht unterschiedlicher sein, doch waren die Schicksale identisch.
    So umschlossen sie sich in ihrer Umarmung, er spürte wie je in diesem Moment das Band zwischen ihnen stärker wurde. Sein Verstand hatte sich bereits zurückgezogen, nur die schwachen Empfindungen und Wahrnehmungen herrschten vor, die sonst kaum sein Selbst bestimmten. Doch sein Körper war schwach, ohne sich weiter aufrecht halten zu können, ließ er sich nach hinten fallen, zog Emilia dabei mit sich und hielt sie fest in seiner Umarmung. Seine Händen streichelten sanft ihren Rücken entlang, sie sollte sich beruhigen. Es tat ihm weh, sie so zu sehen.


    Emilia
    Emilia spürte die Arme, welche sie tröstlich umschlossen und bevor sie sich versah hatte Dimicus sie mitgezogen, als er sich geschwächt nach hinten fallen liess. Im ersten Moment versteifte sich ihr Körper ab der neuen Nähe, die sich zugleich ungewohnt, aber auch angenehm anfühlte. Dann jedoch traf ihr Blick seine sanften blauen Augen und die Spannung fiel wie eine Altlast von der jungen Frau ab. Sie schmiegte sich an ihn und genoss die Berührungen seiner Hände an ihrem Rücken, konnte spüren, wie sie über ihrer Kleidung der Wirbelsäule entlangstrichen.
    Deutlicher als je zuvor nahm sie die Wärme wahr, welche er ausstrahlte und wo sie bis vor Kurzem noch Todeskälte geglaubt hatte. Sein Herzschlag pochte deutlich spürbar, als sie den Kopf an seine Brust legte, die sich unter seinen Atemzügen hob und senkte. In diesem Augenblick konnte es kein schöneres Gefühl geben. Er war unbestreitbar am Leben!
    Ihre Tränen waren versiegt, als sie sich schliesslich etwas von ihm löste und sich auf ihren Unterarmen abstütze. Er wirkte müde und abgekämpft, doch sie selbst mochte auch keinen besseren Eindruck machen. Ausserdem konnte sie ihren muffelnden Eigengeruch noch deutlicher wahrnehmen, als seine männliche Duftnote. Bei dem Gedanken verzog sich ihr Gesicht kurz peinlich berührt zu einer Grimasse, dann schob sie ihn jedoch beiseite. Dimicus war es offensichtlich egal, dass sie nicht nach Rosen roch.
    Hatte er die Augen geschlossen?
    Es schien ihr so zu sein. Noch immer streichelten seine Hände beruhigend ihren Rücken, doch die Erschöpfung war ihm anzumerken und die Bewegungen waren träger geworden.
    Emilia beobachtete sein Gesicht wie es ihr schien mit ganz neuen Augen. Dabei fielen ihr die Stoppeln auf, die Wange und Kinn zierten. Ohne darüber nachzudenken hob sie verwegen ihre Hand an, und strich mit den Fingerspitzen über den kratzigen Dreitagebart. Es fühlte sich borstig an und ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, bis sie die Finger auch schon wieder rasch zurückzog, als sie seinen Blick auf sich spürte.
    Im selben Moment wusste sie, dass sie ihn angelogen hatte mit den letzten Worten, die sie ihm geschrieben hatte. Sie brauchte diesen Mann sehr wohl in ihrem Leben.


    Dimicus
    Mehr als jemals zuvor gelang es Dimicus, die zarten Berührungen eines anderen Menschen genießen zu können. Es war einer der Dinge, die ihm furchtbar gefehlt hatten und als er es nach einer gefühlten Äonen wieder zu spüren bekam, stahl sich diese Emotion mehr und mehr in seinen Geist. Es löste sich in ihm, es durchtränkte ihn noch bis zur letzten Haarspitze und dachte erst gar nicht daran, ihn loszulassen. Seine Lider schirmten seine Augen vor dem Licht des Raumes ab, während er einfach nur dort lag, es genoss wie Emilia in seine Nähe trat.
    Neben seinen eigenen Herzen, fügte sich ein weiteres in seinen Kreislauf ein, seine feinen Sinne für das Detail nahmen allein schon mit seinen Fingern das Klopfen ihres Herzens war.
    Die Katze war wie ein Geschenk, welches ihm von Shazeem gebracht und zu versiegen seiner Wunden gedacht war. Seine Mundwinkel verzogen sich neckisch, jeder seiner Muskel entspannte sich trotz der Schmerzen. So fühlte es sich also an, das Gefühl einem Menschen nahe sein zu können, ohne ihn zu töten oder zu misstrauen.
    Sein Bewusstsein schwebte zart durch ihre Zweisamkeit, die er noch nie mit einer anderen Person hatte teilen können. Es beschrieb ein Gefühl, welches aber nicht ansatzweise einer Erinnerung in ihm wach rief, sondern völlig neue erschuf. Erst als er plötzlich die weiche Kuppen Emilias Finger in seinem Gesicht spürte, durchzuckte ihn ein seltsames Gefühl. Ein Kribbeln, im Bauch welches an der Aufregung erinnerte, welche er vor jedem seiner Kunstwerke verspürte. Seine Lippen verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln und er öffnete die Augen, doch die junge Frau wurde scheinbar verunsichert.
    Auf ihr zurückschreckende Reaktion hin, kam er nicht umhin zu kichern und sie offen anzublicken. Von einer Welle des Mutes erfasst, erwiderte er die freche Bewegung, legte offensiv seine Hand auf ihre Wange und streichelte mit seinem Daumen an ihr entlang. Nur für einen kurzen Moment, der reichte um weitere Nähe herzustellen und doch nicht überzeugend genug, seine inneren Geister zufrieden zu stellen. Emilia wirkte auf Dimicus Geste auch irritiert und sein Kopf schallte ihn einen sentimentalen Idioten. Doch diese Stimme war klein, gedämpft durch die warmen Flammen ihres Beisammenseins.
    Dennoch fasste Dimicus sich ein neues Ziel, denn eines stand fest: Er wollte weg. Der Geruch des Erbrochenem auf dem Boden nahm allmählich Überhand und überreizte seine Nase. Genau so wie die Stimmung der Totenhalle etwas kaltes in sich bargen, welches der Kühle einer Totenstarre gleich kam. Mit gewonnener Stärke richtete sich der junge Mann auf, richtete dabei auch Emilia auf und blickte sie mit wärmenden Funkeln in den Augen an.
    „Es wird Zeit das wir nach Hause kommen, meinst du nicht auch? Hilf mir, so helfe ich dir. Heute werden wir uns gemeinsam stützen, wie einst im Wald.“
    Zwar war Dimicus die Blässe ins Gesicht geschrieben und sein Körper zitterte etwas, aber das Feuer in seinen Augen brannte, schrie danach seinen Worten Taten folgen zu lassen.


    Emilia
    Eine feine Röte schlich sich in das blasse Gesicht des Mädchens, als seine Hand ihre Wange berührte. Dieselben Finger, welche sowohl Pinsel als auch Dolch mit Leichtigkeit führten, streichelten für einen Moment über ihr Gesicht. Ein warmer Schauer durchlief ihren Körper, doch fühlte er sich angenehm und willkommen an. Gleichzeitig irritierte diese Geste die junge Frau, welche seit dem Tode ihres Vaters kaum mehr ehrliche Zuneigung erfahren hatte, was wohl auch in ihren Augen zu erkennen war, denn Dimicus unterbrach sein Tun.
    Am liebsten wäre Emilia noch für längere Zeit hiergeblieben, genau an dieser Stelle. Der Moment erschien ihr unwirklich, wie in einem Traum. Sie lagen mitten in einer Totenhalle auf einem steinernen Bett und doch war sie so glücklich, dass sie am liebsten zufrieden geschnurrt hätte. Als Dimicus sich also aufrichtete und sie ebenfalls dazu bemüssigt wurde, rutschte sie hastig von ihm herunter und setzte sich neben ihn auf die Barre. In diesem Moment war sie dankbar dafür, dass sie vom Sprechen befreit war, denn sie hätte nicht gewusst, ob und was sie zu ihm sagen sollte.
    Als er ihr vermittelte, dass er aufbrechen wollte, nickte Emilia ihm zu. Nach Hause… wo war ihr zu Hause jetzt?
    Doch er hatte Recht, hier zu bleiben kam ebenfalls nicht in Frage. Auch das Duftöl vermochte den ranzigen Geruch des Erbrochenen nicht mehr zu neutralisieren und er kratzte die Gestaltwandlerin unangenehm in der empfindlichen Nase.
    Sie nickte ihm deshalb zu, betrachtete ihn dann jedoch zweifelnd. Wie sollten sie unauffällig von hier wegkommen?
    Noch immer trug er die Klamotten, welche ihn als Gefangenen auswiesen und sein Haupt war von ihrem Wurfgeschoss mit Blut beschmiert, was ihr sogleich die Schamesröte ins Gesicht trieb.
    Emilia blickte sich in dem Raum um. Vorsichtig kam sie auf ihre Füsse. Kurz wurde ihr schwindelig, doch sie fing sich rasch wieder. Hätte sie den Stärkungstrunk doch bloss nicht direkt wieder erbrochen!
    Auf einem Regal hatte sie Leinentücher entdeckt, um die Toten damit zu bedecken. Einen Moment zögerte sie, dann nahm sie sich eine Schere und schnitt ein Stück aus dem grossen Tuch heraus. Nun, Sachbeschädigung war bestimmt tolerierbarer als Diebstahl…
    Dimicus hatte sie verwirrt beobachtet, doch als sie bei ihm angelangt war, befeuchtete sie den Stofffetzen ohne Umstände mit ihrer Spucke und tupfte ihm vorsichtig das Blut vom Gesicht. Ja, so sah er immerhin wieder ein wenig gesellschaftstauglicher aus!
    Dann zupfte sie mit fragendem Blick an seinem Kleidungsstück und half ihm schliesslich auf die Beine zu kommen. Das würde ein langer und umständlicher Weg werden, da war sich die Gestaltwandlerin sicher!
    Im nächsten Moment wurde plötzlich die Tür aufgerissen und Emilia schreckte herum. Doch es war nur eine der Wachen, welche dort stand und die Nase krauszog, als er von dem unappetitlichen Geruch empfangen wurde. Dann begann er mit ernster Miene auf Dimicus einzureden. Die junge Frau stand verunsichert daneben, viel zu unkonzentriert, um dem Mann die Worte von den Lippen abzulesen. Schutzsuchend tasteten ihren kühlen Finger nach Dimicus Hand und sie fühlte sich sofort beruhigt, als er sie fest umschloss.

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  • Die Situation umschmeichelte Dimicus umso mehr, als Emilia ihn mit besorgtem Blick anschaute und auf die offensichtlichen Fehlstände aufmerksam machen wollte. Doch ihre wortlosen Gesten waren genug, damit er verstand worauf sie hinaus wollte. Jedoch stand nicht der Sinn ihrer eigenen Erhaltung ins Gesicht geschrieben, sondern allein die Sorge um sein Wohlergehen und wie sie ihr Ziel erreichen sollten. Es war ein befremdliches Gefühl, dass sich jemand um ihn sorgte und versuchte sein Wohlbefinden aufzuhellen. Sie wuselte ihm Raum umher und ließ sich nicht in die Karten schauen, was sie eigentlich vor hatte.


    Schnell stand sie jedoch wieder vor ihm und blickte ihn an, noch immer zirkulierte das Blut in ihren Wangen. Ein Anblick der Dimicus immer wieder zum Lächeln brachte, so verstand er das für ihre Reue über ihren doch gut gezielten Wurf. Aus diesem Grund ließ er sie gewähren, als sie das Stück Tuch zur Hand nahm, es mit ihrem Speichel befeuchtete und sein Antlitz vom Blute befreite. Diese Wiedergutmachung nahm er dankend an und schwieg dabei, schloss sogar die Lider, als sie in die Nähe seiner Augenpartie geriet. „Unser Weg wird uns jetzt nach oben führen.“, flüsterte er leise, seine Lippen formten jedes einzelne Wort mit einer besonderen Bedeutung.


    Ein Kribbeln durchschritt seine Wirbelsäule, als er die ersten beiden Worte gedanklich wiederholte. Unser Weg. Es war nicht einmal zwei Monate her, da zog er allein durch die Straßen und erfüllte seine Aufträge. Dieses Mädchen hatte Unruhe in sein Leben gebracht. Es bis auf die Grundfesten aufgerüttelt und dafür gesorgt, dass er umdenken musste. Nun saß sie dort, vor Dimicus. Säuberte ihn von seinem Blut und half ihm auf die Beine. Allein ihre Aura vermochte es, seine Schmerzen abklingen zu lassen und er war sich mittlerweile sicher: keines seiner Kunstwerke würde jemals die natürliche Schönheit Emilias erreichen können.


    Dank der fleißigen Handbewegungen der jungen Frei war sein Gesicht schon bald befreit von dem Rot, welches sich wie ein Bach über sein Gesicht ausgebreitet hatte. Mit einem dankenden Nicken bedachte er sie, er er sich die feuchten Reste mit dem Handrücken vom Gesicht wischte. Dabei spürte er jedoch ein aufforderndes Zupfen, dass wohl seiner Kleidung gelten sollte. Der fragende Blick Emilias gab ihre Sorge preis, die Dimicus jedoch nur mit einem beschwichtigenden Nicken abtat. Es sollte seine Sorge sein, wie sie es schaffen würden, womit er sich auch schon mit Hilfe der Katze vom steinernen Bett erhob. Dabei achtete er darauf, weder in sein noch in Emilias Erbrochenem zu landen.


    Kaum jedoch befand er sich im unsicheren Stand, so schienen seine Knie wie dünne Zweige zu sein, schwang die Tür vor ihm auf. Vor ihnen erschien ein in Dunkelheit gekleideter Mann. Die schwarze Lederrüstung und das in der pechschwarzen Scheide steckende Langschwert verrieten schon seine Zugehörigkeit, noch bevor er gesprochen hatte. „Ich bin hier, um nach Euch und Eurer Freundin zu sehen. Es ist bald Mitternacht und Ihr solltet zur Herberge zurückkehren. Man erwartet Euch.“, ertönte es in den Raum, wobei die tiefe Stimme des Söldners von den Wänden der Totenhalle widerklangen. Das Gesicht tief im Schatten einer Kapuze versteckt, so hätte Dimicus diese Person gemieden, doch war er ihr Verbündeter.


    Im selben Moment noch, spürte Dimicus ein paar dünne Finger, welche sich nach Halt suchend in seine Handfläche verirrten. Ohne darüber nachzudenken und aus einer natürlichen Reaktion heraus, verschränkte er die Finger mit Emilia, wärmte die kalten Glieder ihrer Hand. „Gut, dann werden wir jetzt aufbrechen. Sind meine Sachen soweit in dem Gasthaus? Ein Mantel und meine Dolche für jetzt?“ Dimicus verzog keinerlei Miene, während er mit dem Mann vor sich sprach. Die Kühle seines normalen Geschäftes kehrte zurück. Die Wärme seines Körpers, welche sich über seine Hand auf Emilia auszubreiten versuchte, wollte ihr zeigen dass es nur für die Notwendigkeit des Umganges mit diesen Menschen war.


    Ihr gegenüber ließ auch nicht beirren, als er für einen Moment zur Tür hinaus verschwand. Allerdings ließ sich der Wächter nicht viel Zeit und kehrte schon bald mit einem Mantel zurück, auf welchem seine beiden Dolche lagen. „Wir haben an alles gedacht. Ihr solltet gleich aufbrechen. Die Straßen sind noch ruhig.“ Bestimmt nickte Dimicus dem Mann zu und nahm den Mantel sowie die Dolche entgegen, auch wenn er dazu den Griff um Emilias Hand lösen musste. Im selben Moment verschwand auch schon der Wächter und sie waren wieder allein. Dimicus wusste aber, dass es Zeit wurde um aufzubrechen, so ließ er keine Zeit verstreichen und streifte sich den Mantel über. Von seiner Gefangenenkleidung war nichts mehr zu sehen, wobei er einen der Dolche an der Innenseite des Mantels befestigte.


    Schon drehte sich Dimicus um, blickte Emilia tief in die Augen, als er sanft aber bestimmt ihren Mantel öffnete. Sie hatte die Kleidung an, welche er ihr einst geschenkt hatte. Das Korsett hatte eine Schlaufe an der Taille, in der man bequem einen Dolch einhängen konnte und auch entsprechend herausziehen konnte. Dort positionierte er seine Waffe, verlor jedoch nicht den Blickkontakt zu Emilias Augen. „Die beiden Dolche – sie waren nie getrennt und gehören zusammen. Sie bilden als Werkzeug und Pinsel meiner Arbeit eine Einheit. Wenn du keine andere Wahl hast, nutze die Klinge um dich zu verteidigen. Wenn wir Zuhause sind und ich bei Kräften, werde ich dir zeigen wie man sie am besten einsetzt.“ Während dieser Worte legte er seine Hand auf die Waffe und somit auf die Taille der jungen Frau. Erst danach entfernte er seine Hand und zupfte ihren Mantel wieder zurecht.


    Kurz darauf griff er erneut ihre Hand, verschränkte seine Finger mit den ihrigen und schritt führend voran. Sie durchschritten das Portal, erreichten die Falltür aus der der Duft des Abends in die Gänge geblasen wurde, ehe sie sich unter einem klaren Sternenhimmel wiederfanden. Die Gasse war nicht beleuchtet, somit schienen ihnen die Sterne entgegen und erhellten mit natürlichem Licht den Weg in die Stadt hinein, durch die Gassen. Der Weg war einfach und kaum beschwerlich. Zwar mussten sie einige Male ein paar Wachen ausweichen und aufgrund ihres miserablen Zustandes eine Pause einlegen, aber dennoch gestaltete es sich wie ein Abendspaziergang unter dem Himmelszelt. Die Straßen waren kaum noch belebt zu dieser Zeit und nur die Ratten huschten aktiv durch die Gassen. Niemand traute sich noch auf die Straßen, auch wenn das Volk wohl beruhigter war. Dennoch schwebte der Rosendämon wie ein Schatten über der Stadt, darauf wartend seine Rückkehr und somit Unsterblichkeit anzukündigen.


    Doch gänzlich andere Dinge verlangten auch nach seiner Aufmerksamkeit. Es war nicht nur der Brief Emilias, der ihn zu dieser scheinbaren Hinrichtungen bewogen hatte. Gänzlich davon abgesehen, dass sie tatsächlich sein Leben hätte kosten können. Etwas bedrohlicheres schien über sein Haupt zu schweben und seiner Kunst eine Falle stellen zu wollen. Er musste aufpassen, so hatte er sich sicherlich Zeit verschafft, aber vollkommen sicher war er nie – auch jetzt nicht.
    So verging eine weitere Stunde, die die beiden zusammen über die Straßen Drakensteins führte, Hand in Hand um den Abend zu genießen. Noch immer war es für Dimicus unglaubwürdig, dass Emilia neben ihm herlief, dabei verträumt, wenn auch geschwächt schien. Sie fühlte sich wohl und noch mehr erfreute es Dimicus, dass er ihr dieses Gefühl bescheren konnte. Damit wurde jedoch die Komik für ihn greifbarer, dass er emotionaler wurde, ausschließlich aber nur in ihrer Nähe. Es war ein seltsames Verhältnis.


    Sehr bald kamen sie an ihrem Ziel an. Die Untergrundtaverne mit ihren unterirdischen Zimmern und den leckeren Speisen. Die tanzenden Flammen der Fackeln, der markante Duft frisch zubereiteten Bratens oder aber der süßliche Met, welcher sich durch die Räume schlängelte und die Nase eines jeden Gastes umgarnte. Die Gesichter waren heiter, der Abend schien auch hier entspannt und niemand wunderte sich, dass Dimicus auftauchte. Auch Emilia wurde von ihren Kollegen freundlich mit einem Lächeln begrüßt und niemand machte eine anrüchige Bemerkung. „Hey ihr Beiden!“, wurden ihnen vom Wirt zugerufen, der breit grinsend hinter dem Tresen stand. „Shazeem war bereits hier und hat euch angemeldet. Heißes Wasser ist bereits im Baderaum, in eurem Zimmer steht Essen für euch bereit.“


    Dankend deutete Dimicus eine Verbeugung an, schritt dann weiter mit Emilia an der Hand durch die ihnen durchaus bekannten Hallen. Dort war es wesentlich ruhiger, als noch im Schankraum selbst. Die paar Tage im Gefängnis hatten an Dimicus ihre Spuren hinterlassen und er war es beinahe nicht mehr gewohnt gewesen, warmes Fackellicht und gute Kunstwerke der Malerei erblicken zu können. Doch noch fand er die Tür zu ihrem Zimmer, welche er ohne weiteres öffnete und mit Emilia in ihre Kammer eintrat, in der sie vor zwei Wochen noch gemeinsam gewohnt hatten.


    Auf der Kommode zu ihrer Rechten stand ein Korb mit frischem Brot, das angenehm würzig roch, daneben Wurst und Käse. Butter gab es auch noch dazu, abgerundet mit einem Krug frischem Wasser. Ein Stück weiter lag ein besonderes Stück und ein Notizzettel, welcher offensichtlich Shazeems Handschrift abbildete. Erst hier ließ Dimicus die Hand Emilias los, die Geborgenheit dieses Ortes versprach wieder Zuversicht und Sicherheit.


    Hey Kleiner,


    ich habe alles arrangiert, dass ihr bei eurer Ankunft gut versorgt seid. Ruht euch aus und lasst es euch gut gehen. Morgen will ich mit dir reden, wenn du dann fit bist.


    Shazeem


    Kurzgefasst und schnittig, wie der Tamjid eben war. Neben dem Zettel lag das Lederband mit der Brosche, welches Dimicus Emilia einst schenkte. Shazeem hatte es also hierher gelegt. Seine Fingerspitzen umfassten das weiche Leder und bewunderten ein weiteres Mal, die gute Handarbeit des Schneiders.


    Dabei warf Dimicus einen Blick nach hinten über die Schulter, Emilia wirkte völlig geschafft und müde. Sie hatte sich auf das Bett gesetzt und ruhte ihre Füße aus. Mit müden Schritten ging er zum Bett, setzte sich neben sie und griff dabei instinktiv ihre Hand, drückte sie ermutigend, wobei ein warmes Lächeln seine Lippen umspielte. „Hier.“, flüsterte er, als er ihr mit der anderen das Lederband reichte. „Wenn du möchtest, kannst du zuerst das Bad benutzen und dich erfrischen. Ich warte hier und esse etwas.“

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  • Eine Stunde später suhlte Emilia sich noch immer entspannt in der Wanne und fühlte sich dabei wie eine Prinzessin. Wie herrlich doch ein einfaches Bad sein konnte!
    Zuerst hatte sie sich beinahe wundgescheuert mit dem rauen Schwamm, bis ihre Haut rot glühte wie ein Flusskrebs. Erst dann konnte sie zur Ruhe kommen.
    Nachdenklich spielte sie an einer ihrer langen Locken herum, welche einmal wieder etwas zurechtgestutzt werden sollten.
    Nun war sie also definitiv von zu Hause fort. Nein, es war nicht mehr ihr zu Hause. Sie hatte keines mehr.
    Einen Moment drohte Panik sie zu überwältigen.
    Wie sollte sie denn jetzt zurechtkommen? Sie hatte nie ein Handwerk erlernt.
    Ein ganz anderer Gedanke unterbrach ihre Grübeleien… das Badewasser sollte ausgewechselt werden, es schmeckt etwas faulig…
    Emilia erstarrte und bemerkte plötzlich, dass sie aufgehört hatte mit ihren Haaren zu spielen. Stattdessen hatte sie begonnen ihren Arm entlang zu lecken. Verblüfft hielt sie den Arm von sich weg, doch das Gefühl von Absurdität auf Grund ihres Verhaltens wollte nicht aufkommen. So zuckte sie schliesslich bloss mit den Schultern und setzte ihr Tun fort, bis sie sich sauber fühlte…


    Als sie danach jedoch wieder in die schmutzigen Kleider schlüpfen sollte, schüttelte sie sich energisch bei dem Gedanken. Doch in ihrem Eifer, den ganzen Schmutz loszuwerden, hatte sie vergessen Ersatzkleidung mitzunehmen, beziehungsweise wäre diese ja genauso verschmutzt gewesen wie ihre bisherige.
    Schliesslich schnappte sie sich einen Eimer, etwas Seife und ihre ganzen Klamotten und veranstaltete eine eingehende Handwäsche, bis das Ergebnis zwar klatschnass war, aber immerhin nach Lavendel duftete.
    Es waren fast zwei Stunden vergangen, bis Emilia die Kleidung ausgewunden und geschickt zu einem Bündel geschnürt hatte. Inzwischen war sie eine richtige Spezialistin darin geworden!
    Einen Moment zögerte sie, dann kniete sie sich auf den Boden und begann ihre Verwandlung zur Raubkatze.


    Die Rückreise ins Zimmer gestaltet sich für die Gestaltwandlerin wie ein Abenteuer. Es machte ihr richtig Spass, hinter Ecken geduckt zu verharren, während Männer an ihr vorbeigingen oder sich wie auf der Jagd durch die Gänge zu bewegen ohne dabei entdeckt zu werden. Das Bündel in ihrem Maul nervte zwar, doch irgendwo in ihr drin erklärte ihr die Vernunft, dass sie es nicht einfach liegenlassen sollte. Und die Katze nickte schliesslich zustimmend und meinte es gehöre zur Mission, die Beute heil ins Versteck zu bringen!


    Es war schliesslich ein Leichtes, die Türklinke mit der riesigen Pranke nach unten zu drücken, wobei sich die junge Frau jedoch etwas verschätzte mit ihrer Kraft, die Tür unter dem Druck ruckartig aufging und laut gegen die Wand knallte, während die Löwin etwas perplex im Rahmen stehen blieb völlig unbeeindruckt von dem Lärm, den sie selbst ja nicht vernommen hatte.
    Dimicus war aufgesprungen und in einer Art Verteidigungshaltung zu stehen gekommen. Sein Verhalten hätte Emilia beinahe dazu animiert einen Satz nach vorne zu machen und ihn zu Boden zu reissen, um mit ihm ein Ringen zu veranstalten, doch wieder meldete sich die Vernunft, weswegen sie schliesslich hoheitsvoll zur Tür reintapste und sich neben dem Bett hinsetzte, während Dimicus rasch und leise den Eingang hinter der Löwin verschloss.
    Das Kleiderbündel liess sie mit einem Pflatschen zu Boden gleiten, wo sich sogleich eine Pfütze zu bilden begann.
    Der junge Mann hatte ein warmherziges Lächeln im Gesicht und Emilia konnte nicht anders, als zu ihm hinzugehen und ihn einmal auffordernd anzustossen, was auch sogleich belohnt wurde. Seine Hand streichelte ohne zu Zögern über ihren mächtigen Schädel und ihre Flanke entlang, bis die Löwin sich schliesslich wieder mit majestätischem Blick von ihm abwandte und sich dabei nicht anmerken liess, wie sehr sie die Geste genoss.


    Sie beachtete den Dieb nicht weiter und begann unverblümt ihre Rückwandlung. Es fühlte sich unangenehm und schmerzhaft an und sie seufzte erleichtert, als sie in ihrer menschlichen Gestalt am Boden kniete. Irgendwie schien es ihr einfacher, sich in ein Tier zu wandeln, nachdem sie einige Tage durchgehend auf diese Weise verbracht hatte.
    Als sie bemerkte, wie Dimicus Blick kurz über ihren Körper huschte, wurde sie sich ihrer Nacktheit bewusst und deutete fragend auf sein Hemd.
    Kurz darauf konnte sie sich eines seiner frischen Obergewänder überstreifen, das ihren Intimbereich und den Hintern züchtig verdeckte.


    Sie nickte ihm dankend zu und zupfte ihre Haare etwas zurecht, dann fiel ihr Blick auf die Kommode, wo Dimicus ihr von dem Abendessen etwas übriggelassen hatte. Gierig atmete sie den Geruch ein und sofort lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Während ihr Begleiter sich am einen Ende des Bettes niederliess und etwas ins Notizbuch zu kritzeln begann, angelte Emilia sich den Brotkorb samt Wurst und Käse.
    Beim Geruch von letzterem verzog sie ihr Näschen und schob es unauffällig an den äusseren Rand, bevor sie sich an der Wurst bediente und sie genüsslich zwischen ihren Zähnen zerkaute.
    Auch das Brot schmeckte sehr gut und schien ganz frisch gebacken zu sein.
    Emilia fühlte sich wie ausgehungert und ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem Essen – bis eine Fliege auf ihrem Knie landete.


    Sie hielt inne und starrte gebannt auf das schwarze Insekt, das dort wie ein Klecks auf ihrer hellen Haut hockte.
    Im nächsten Moment hob die Fliege ab und flog surrend im Raum herum, verfolgt von den grünen Augen Emilias. Jede Bewegung verfolgte sie mit und wenn man das Mädchen genauer betrachtete, konnte man die merkliche Veränderung ihrer Pupillen bemerken.
    Das Insekt drehte weiter seine Runden im Raum, doch dann begann es einen fatalen Fehler.
    Aus dem Nichts schoss Emilias leere Hand vor und klaubte die Fliege wie einen Apfel aus der Luft.
    Sie konnte das aufgeregte Flattern der Flügel in ihrer Faust spüren und wie der kleine Körper immer wieder gegen ihre geschlossene Faust stiess, die gerade genug Platz dafür liess in dem kleinen Hohlraum.


    Ein Grinsen schlich sich auf das Gesicht der Gestaltwandlerin, als sie die Hand öffnete, und das völlig irritierte Insekt entliess – nur um es im nächsten Moment wieder einzufangen und blitzschnell in ihren Mund zu schieben.
    Im selben Moment, als sie die Bewegung in ihrem Rachen wahrnahm, übernahm ein anderer Teil von ihr die Kontrolle. Die junge Frau begann es zu würgen und ekelerregt spuckte sie die leblose Fliege mit weit aufgerissenen Augen vor sich auf den Boden, bevor sie zum Wasserkrug stürzte und ihn in einem Zug hinunterleerte.

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  • Die junge Frau hatte nicht viel mehr gesagt, als sich zu erheben, ihn anzublicken und schließlich mitsamt ihrer schmutzigen Kleidung am Leib den Raum zu verlassen. Offensichtlich wollte sie sich zuerst baden und säubern, bevor sie auch nur ansatzweise daran dachte, etwas zu essen. Dimicus konnte es verstehen, sein eigener Körper war ebenfalls verschwitzt. Noch stank er nicht, doch es war nur eine Frage der Zeit, wenn er sich nicht in das Wasser begeben konnte. Sein ganzer Körper schrie danach, auch endlich wieder sauber zu werden. Doch das musste warten.


    Dafür bekam sein Magen die benötigte Zuneigung, nach der dieser schrie. Sein Hunger war enorm, im Gefängnis gab es kein Essen und zudem hatte er den Großteil des Tages bewusstlos zugebracht. Kein Wunder also. So kam es ihm auch recht, dass die von Shazeem organisierte Auswahl mehr als üppig ausfiel und sein Blick huschte über jeder der einzelnen Möglichkeiten. Brot, mit Wurst und Käse, dazu ein Glas Wasser. Ach, was sollte der Geiz? Schon bald fand sich mehr als die Hälfte des dargebrachten Abendbrotes auf seinem Teller.


    Dimicus machte es sich auf dem Bett gemütlich, sein Anspannungen fielen ab, als jeder seiner Muskel endlich wieder entspannen konnte. Nach solch einer langen Zeit fühlte er sich wieder heimisch und wusste etwas mit seiner Umgebung anzufangen. Just in diesem Moment fiel ihm aber auch etwas auf. Etwas unangenehmes drückte ihm am Po, als er aufstand, fand Dimicus Emilias Lederband noch auf dem Bett liegen. Vermutlich hatte sie es vergessen. Mit einem Schulterzucken brachte er es auf die Kommode und legte es neben den Rest des Essens. Kaum dann wieder am Bett angekommen, ging er in die selbe entspannte Haltung und verspeiste sein Mahl genüsslich. Die Ruhe hatte ihm gefehlt.


    So verging auch die Zeit, in der Emilia mit dem Bad verbrachte und Dimicus sein Abendbrot gegessen hatte. Doch war er früher fertig, als seine Begleiterin wieder zurück vom Bad kam. Was sie so lang trieb? Zuerst überlegte Dimicus nach ihr zu sehen, doch war er sich sicher, dass Emilia durchaus auf sich aufpassen konnte. Nicht umsonst hatte sie so lang unter der Knute ihrer Familie überleben können. Somit beschloss er, sich einmal wieder seiner einfachen Kunst zu widmen. Das Notizbuch und den Kohlestift zur Hand genommen, seinen Körper der Länge nach zur Ruhe auf das Bett gelegt, fanden Formen, Linien und Schattierungen ihren Weg auf das Papier. Nach einiger Zeit schaute eine Löwin, thronend auf einer Klippe, den Betrachter des Bildes neugierig an. Sie wirkte erhaben, thronte über den Betrachter, gleichzeitig war sie ihm aber auch nicht feindlich gesinnt. Dimicus seufzte. Trotz seiner Unsicherheit stand eines fest. Er hatte verstanden, dass Emilia es ihm angetan hatte. Es gab keine andere Erklärung. Seine Sinne getrübt durch Zuneigung. Doch war es so schlecht?


    Gerade als Dimicus an das Geschöpf dachte, dass diese Gefühle in ihm auslöste, schlug die Tür auf. Mit einem lauten Knall schlug sie an die Wand und das Erste was Dimicus tat, war aufzuspringen, seinen am Gürtel befindlichen Dolch zu greifen und welchen Angreifer auch immer entgegenzutreten. Doch staunte er nicht schlecht, wer dort plötzlich in der Tür Stand. Mit hoch erhobenen Kopf und einem majestätischen Blick schritt eine Löwin in den Raum hinein, im Maul ein Kleiderbündel. Ein nasses Kleiderbündel, dass kaum fallen gelassen den Raum mit einem nässenden Geruch von Stoff erfüllte.


    Auf den Moment des Schreckens hin, musste Dimicus erst einmal durchatmen. Stark geschwächt gab er ein leichtes Ziel ab. Dass Emilia ihn dabei so erschrak, tat der Sache nichts Gutes bei. Noch während er den Dolch wieder an den Gürtel packte, schritt er eilig zur Tür und schloss sie. Sein Herzklopfen beruhigte sich wieder, er blickte auf die Löwin. Unweigerlich kam ihm darauf ein kurzes Lachen. „Ach, Emilia.“, flüsterte er leise vor sich hin. Sein Lachen wandelte sich schnell in Lächeln. Ohne dass er groß Kontrolle darüber hatte, strahlte er Wärme und Zuneigung aus. Am liebsten hätte er sich ihr einfach genähert, sie berührt und ihr die Wärme seine Lächelns über die Hand übertragen. Allerdings kam sie ihm einfach zuvor! Überrascht und doch zufrieden zugleich, fuhren seine Finger durch das weiche Fell der Löwin. Dimicus konnte einfach nicht anders, als sie zu verwöhnen. Ihm war die gesamte Zeit bewusst, dass dort auch ein Mensch vor ihm stand. Dennoch begehrte nichts in ihm auf. Seine Fingerspitzen strichen fest, aber dennoch äußerst zärtlich über den Kopf. Ihr Ohr zuckte etwas, als er es berührte, was ihm nur noch größere Lächeln entlockte. Über die Flanke schloss er seine Massage für die Löwin schließlich ab. Länger hätte er vermutlich nicht die Möglichkeit gehabt. Wie eine Katze wandte sie sich plötzlich einfach ab. Sie war wahrlich einzigartig. Nicht perfektionierte besser ein Bild, als eine unvergleichliche Eigenheit.


    Doch etwas geschah völlig außerhalb der Gewohnheit Dimicus'. Ohne angefaucht zu werden oder mit einem vorwurfsvollen Blick, verwandelte sich Emilia einfach wieder in ihre menschliche Gestalt. Neugier und Interesse wurden in Dimicus geweckt, als er diese Fähigkeit zum ersten Mal bei Emilia beobachten konnte. Das Fell zog sich wieder zurück, ihre Haare sprossen aus ihrem Haupt und ihre Anatomie glich sich immer mehr mit der eines Menschen an. Dieser Prozess – er war atemberaubend. Nicht, dass Dimicus um diesen neidisch gewesen wäre, so ließ das Knacken der Knochen und Formen des Fleisches Schmerzen vermuten. Schließlich aber saß dort wieder Emilia, die junge Frau, wie er sie kennengelernt hatte.


    Vollkommen unerwartet erhob sie sich und präsentierte sich Dimicus, vermutlich unbewusst. Beinahe aus Reflex drehte sich der junge Mann weg von, sein Blick wich ihrem Körper aus. Der Respekt den er vor ihr hatte, wollte ihm sagen, dass er nicht schauen sollte. Doch etwas anderes regte sich in ihm. Dies war das Wesen welches er – liebte. Nein. Mochte? Liebte? Er schüttelte kaum merklich den Kopf.


    Dem Respekt zum Trotz, wagte er dennoch einen Blick auf ihren wohlgeformten Körper. Es hatte ihn nie gekümmert. Nacktheit hatte ihn nie berührt. Doch bei Emilia. Es war anders. Ein Kribbeln erfüllte seinen Bauch und die Brust. Einer seine Hände ballte sich zu Fäusten, versuchten ihn zu beruhigen. Etwas zog Dimicus zu ihr. Doch widerstand er.


    Schließlich aber zeigte Emilia auf das Hemd an seinem Leib. Wärme brannte in seinen Wangen. Dimicus fühlte sich ertappt. Sofort kam er aber ihren Wunsch nach und reichte ihr eines seiner Hemden aus der Kommode. Emilia streifte sich dieses über und es reichte, um das Nötigste zu verdecken. Mit einem kecken und entschuldigenden Lächeln zugleich, deutete er eine Verbeugung an.


    Während Emilia schließlich zum Essen tigerte und sich ihrem Hunger widmete, schnappte sich Dimicus das Notizbuch. Auf der linken Seite zeichnete sich noch seine Zeichnung ab, die er einige Momente zuvor noch angefertigt hatte. Dimicus setzte sich auf das Bett, Emilia gesellte sich zu ihm und aß. Ziellos wanderte sein Blick durch den Raum, überlegend was er schreiben sollte.


    Eine Augenblicke später, fand er schließlich seine Worte: „Wir hatten bis jetzt nicht richtig Zeit, miteinander zu sprechen.“ Sein Blick ruhte kurz auf Emilia. „Es erfreut mich sehr, dass du mit Shazeem gegangen bist. Zugegeben, ich hatte ihm aufgetragen, dich in Sicherheit zu bringen.“ Dimicus grinste kurz und zuckte mit den Schultern. „Er brachte dich zu mir.“


    Eine schnelle Bewegung aus dem Augenwinkel riss Dimicus aus den Gedanken. Emilia saß dort mit ausgestreckter Faust. Dimicus wusste gar nicht, was das bedeuten sollte, doch als sie ihre Hand öffnete, flog eine Fliege heraus. Mehrmals musste er blinzeln. Da kam tatsächlich eine Fliege heraus. Mit einem undeutlichen Kopfschütteln widmete er sich wieder seinen Worten. „Ich hoffe, dass du dich hier wohlfühlst.“ Eine weitere schnelle Bewegung aus dem Augenwinkel.


    Und darauf ein jämmerliches Husten und Würgen von seiner Seite. Erschrocken blickte Dimicus auf, als er bloß noch die tote Fliege aus dem Mund Emilias fallen ließ. Die Löwin sprang nur noch auf und eilte zum Wasserkrug, den sie gierig einfach trank. Nein, sie trank nicht. Sie soff den gesamten Krug leer. Schwer keuchen stand sie schließlich da. Dimicus wusste gar nicht, was geschehen war. Doch die tote Fliege im Mund? Hatte sie etwa … ?


    Das Notizbuch beiseite legend, erhob sich auch Dimicus und schritt an Emilia heran. Sanft legte er seine Rechte auf ihre Schulter und trat vor sie. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er, erhaschte dabei einen Blick in ihre Augen. Es war normal, bis auf … „Warte einmal kurz.“, murmelte er vor sich her, mehr an sich gerichtet. Sanft fasste er an Emilias Wange und drehte ihr Kopf in Richtung der Kerzenflammen des Raumes. Ihre sonst runden Pupillen verengten sich augenblicklich. Doch nicht zu einem kleineren Kreis, sondern zu einem horizontalen Strich. „Das ist interessant.“, murmelte er.


    Um seine Gedanken zu bestätigen, strich er ihre Haare beiseite. Wenn er es recht in Erinnerung hatte, waren ihre Ohren spitze, sie aber keine Alb. Ihre Haare gaben dann auch diesen Anblick frei. Spitze Ohren. Sanft ließ er von ihre Kopf ab, griff aber ihre Hand zog Emilia hinter sich her. Sie wirkte so, als ob sie die Welt nicht mehr verstand.


    Gemeinsam setzten sie sich wieder auf das Bett, Dimicus nahm das Notizbuch in die Hand und schrieb mit Abstand zu seinen vorherigen Worten: „Ich habe darüber gelesen. Dass du Gestaltwandlerin bist, ist ja mehr als deutlich. Doch Gestaltwandler haben auch einen Fluch auf sich lasten. Deine spitzen Ohren und deine Augen – du hast Züge deiner Katze angenommen.“

    Ihr Blick blieb vollkommen perplex, gar ungläubig. Gar zog sich einer ihrer Augenbrauen nach oben. Dimicus seufzte. „Warte.“, sagte er trocken, erhob sich und eilte hinaus. Schnell den Wirt des Gasthauses nach einem Spiegel gefragt, einen etwas trüben aber dennoch brauchbaren Handspiegel organsiert und schließlich wieder ins Zimmer zurückgekehrt, saß Dimicus wieder neben ihr. „Schau genau hin.“ Mit einer Kerze als Hilfsmittel demonstrierte Dimicus Emilia, wie sich ihre Pupillen zusammenzogen und zu dünnen Strichen in ihren Augen wurde, wenn sie mehr Licht ausgesetzt waren.

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  • Einen Wimpernschlag lang wollte Emilia zurücktreten, als seine Hand an ihre Wange fuhr. Doch die Berührung war so sanft, dass sie es zuliess und ihn bloss anblickte. Eine Mischung aus Neugier und Unsicherheit spiegelte sich in der grünen Iris wieder.
    Obwohl es im Zimmer nicht allzu hell war, konnte sie seine Lippenbewegung im dämmrig flackernden Licht der Kerze gut erkennen.
    Interessant? Was war denn bitteschön interessant?!
    Ihre Augen verengten sich misstrauisch, als sie seinen prüfenden Blicken ausgesetzt war.
    Doch anstatt auf die unausgesprochene Frage zu reagieren, strichen seine Finger über ihr Gesicht und schoben dann ihre schokoladenbraunen Locken beiseite. Emilia trat nun ungeduldig einen Schritt zurück, doch Dimicus schien seine Inspektion sowieso abgeschlossen zu haben.
    Bevor sie sich versah, nahm er ihre Hand und zog die überrumpelte Frau neben sich aufs Bett, um sogleich ins Notizbuch zu kritzeln.
    Sie betrachtete seine vorherigen Worte, während er schrieb, doch es schien ihr nichts zu sein, worauf sie eine Antwort hätte geben müssen. Sie war nun hier, und welche Geschehnisse alle dazu geführt hatten, wollte sie sich lieber nicht allzu genau in Erinnerung rufen. Und obwohl sie sich an dem Ort nicht gerade wie eine Prinzessin fühlte, hatte sie in dem winzigen Raum doch weniger das Gefühl eingesperrt zu sein, als in der mächtigen Villa, wo sie ihr bisheriges Leben gefristet hatte.


    Dimicus hatte inzwischen fertig geschrieben.
    Ich habe darüber gelesen. Dass du Gestaltwandlerin bist, ist ja mehr als deutlich. Doch Gestaltwandler haben auch einen Fluch auf sich lasten. Deine spitzen Ohren und deine Augen – du hast Züge deiner Katze angenommen.
    Emilia runzelte die Stirn und blickte ihren Freund skeptisch an. Ihre Ohren hatten diese Form nicht angenommen. Soweit sie sich erinnern mochte, hatte diese Fehlstellung schon immer zu ihrem Aussehen gehört. Ihre Zofe hatte sich stets darum bemüht, die spitz zulaufenden Lauscher unter ihrer Haarpracht zu verbergen, sobald Besuch zugegen war.
    Der junge Mann musste ihre Zweifel bemerkt haben, denn plötzlich sprang er auf und bedeutete ihr zu warten. Nachdenklich fuhren ihre Fingerspitzen an ihrem rechten Ohr entlang und erkundeten die so gewohnte Form – nichts Ungewöhnliches zu erkennen.


    Dimicus kehrte zurück, in Begleitung eines Spiegels.
    Emilia schenkte ihm nun tatsächlich ein amüsiertes Lächeln. Sie konnte nicht so ganz begreifen, weshalb er eine solche ernste Miene aufgesetzt hatte. Er liess sich aber nicht beirren und positionierte das Glas vor ihrem Gesicht. Dann nahm er die Kerze zur Hand.
    Einen Moment betrachtete Emilia ihre Ohren, dann jedoch beobachtete sie gebannt ihre Augen. Vergessen war die eklige Fliegensituation von eben und auch, dass sie sich über Dimicus Aussage belustigt gezeigt hatte. Fasziniert starrte sie auf ihre Pupillen, die sich tatsächlich veränderten wie die einer Katze. Zu ihrer beiden Verwunderung schreckte sie jedoch nicht davon zurück, sondern war von dem Anblick gar ein wenig angetan und voller Aufregung. Ihr Blick huschte prüfend zu ihrem Begleiter, der noch immer sorgenvoll anmutete. Weshalb dem so war, mochte sie nicht so ganz begreifen. Dann erinnerte sie sich an das Notizbuch.


    Fluch? Was meinst Du mit Fluch? Und dann gibt es also noch mehr Menschen wie mich, welche die Gestalt eines Tieres annehmen können? Wo leben sie? Sind sie ein eigenes Volk? Oder ist es bloss eine Krankheit? Dies scheint mir einleuchtender, denn sonst wäre ich doch nicht hier geboren sondern unter meines gleichen.


    Die körperliche Veränderung war bereits wieder vergessen, denn die Aussage, dass es offensichtlich noch mehr Gestaltwandler geben musste, war bei weitem aufregender. Emilia war wieder aufgestanden und begann nun wie eine unruhige Löwin im Käfig durch den engen Raum zu kreisen.


    Dann kennst Du also noch mehr Gestaltwandler. Können wir sie besuchen gehen? Der Gedanke ist so schön, dass ich mit jemanden über die Verwandlung reden kann. Dass es Leute gibt, die genauso sind, und vor denen ich mich nicht verstecken muss, wie mein Vater es immer wollte.


    Ihre Augen funkelten nun voller Begeisterung und Sehnsucht zugleich. Ihr Blick war eine einzige erwartungsvolle Bitte, gerichtet an den jungen Mann vor ihr, der sie noch immer leicht unbehaglich zu mustern schien.

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  • Die innere Unsicherheit Dimicus', ob Emilia diese Veränderung abschrecken oder gar verängstigen könnte, löste sich schon nach ihren ersten Worten in Wohlgefallen auf. Also hatte sie ihre innere Katze akzeptiert und gar als ein Teil ihres menschlichen Seins angenommen. So würde sich der junge Mann nicht damit auseinander setzen müssen, dass Emilia mit der Veränderung nicht klar gekommen wäre. Tief atmete er durch.


    Sein Blick musterte seine Gefährtin, von Kopf bis Fuß. Es wirkte nicht nur faszinierend, wie ein Gestaltwandler dieser Veränderung unterlag. Nein. Auch Dimicus empfand die Veränderung nicht als böses Omen. Eher als eine Erweiterung ihrer Sinne. Sie wirkte ihrem wahren Selbst näher. Genau dieser Gedanke entlockte dem Künstler ein Lächeln. Emilia war eine Schönheit. Nicht nur, weil sie selbst eine Form der Ästhetik war, sondern auch ihrer Einzigartigkeit wegen. Nichts war für Dimicus vergleichbarer, als diese Augen.


    Seine Muskeln entspannten sich, als er sich auf dem Bett zurücklehnte. Die Löwin schrieb etwas. Sie schien angestachelt von dem, was Dimicus geschrieben hatte. Zuerst verstand er nicht ganz, was ihre hektischen Blicke und schnellen Finger zu bedeuten hatten. Doch schon im nächsten Moment bekam er die ersten Zeilen ihrer Aufregung zu lesen.


    Ihre Hoffnung keimte auf, nicht allein zu sein. Eine Hoffnung, die sehr verständlich war. Scheinbar hatte man ihr verwehrt, genaueres über sich selbst oder ihrem Volk zu erfahren. Entweder zu ihrem Schutz, oder aber zu ihrer Unterdrückung. Doch die Flammen die durch seine Worte und ihre Hoffnung in ihre Augen getreten waren, sie schienen unvergleichlich hell zu sein.


    Doch wieder einmal musste es Dimicus sein, der sie enttäuschte.


    Ja, es gibt wesentlich mehr von Gestaltwandlern. Gestaltwandler sind ein eigenes Volk, sie huldigen Ardemia. Göttin der Natur und Erschaffung der ersten Gestaltwandler. Du bist ein Teil dieses Volkes und wirst es auch immer sein.


    Dimicus seufzte und die Freude über Emilia wurde getrübt von seinen nächsten Worten.

    Jedoch fürchte ich, dass es nicht so leicht sein wird, Angehörige deines Volkes zu finden. In der Zivilisation sind sie verrufen. Gestaltwandler werden davongejagt, wenn nicht sogar getötet. Man hat Angst vor ihnen, weil es heißt, dass Gestaltwandler sich in ihrer tierischen Form nicht beherrschen können. Ein Aberglaube, der sich jedoch festgefressen hat. Wenn dem nicht so wäre, würde ich wohl kaum lebend auf diesem Bett sitzen, direkt neben dir.


    Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen Dimicus'.

    Bisher habe ich nur eine Gestaltwandlerin kennegelernt. Malik Al Kubra. Besitzerin eines Bordells in der Stadt. Sie ist Schlangenwandlerin. Sie benutzte Gift, um mich damit zu vergiften und für ihre Zwecke einzuspannen. Ich arbeitete zwangsweise für sie als Künstler. Sie gilt jedoch als verschwunden, zum Glück bin ich auf ihr Gegenmittel nicht mehr angewiesen.


    Dimicus blickte auf und folgte den lauernden Schritten Emilias, die sie von einem Ende des Raumes in das Andere trieb. Eine Jägerin, die ihre Beute erlegen wollte.


    Ich weiß, es mag nicht der richtige Zeitpunkt sein, aber ich muss noch etwas sagen.


    Seine Wangen röteten sich.


    Du bist wunderschön Emilia. Selbst mein Genie könnte dich nur laienhaft auf eine Leinwand bringen und kein Poet könnte die Worte formen, die dich beschreiben könnten.

    Mittlerweile konnte man den Kopf des jungen Mannes nicht mehr von einer Tomate unterscheiden. Seine Hände griffen nach der Decke, kneteten eine Ecke dieser und kamen nicht zu Ruhe. Das Notizbuch hatte er offen neben sich gelegt, damit die Jägerin selbst entscheiden konnte, wann sie es las.

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  • Zum zweiten Mal hatte Dimicus nun Rakshors Namen geschmäht. Das erste Mal hatte Dimicus sich auf Knien flehend vor ihm entschuldigt, um einer heraufbeschworenen Horde Ghule zu entrinnen und Rakshor hatte noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen. Diesmal jedoch würde die Strafe eintreten. Sie würde Dimicus dort treffen, wo er am verwundbarsten war - bei seiner Zuneigung zu Emilia.


    Rakshor riss den Raum mittenentzwei. Emilia wurde in die eine Richtung gewirbelt und Dimicus in die andere. Er selbst erhob sich in ihrer Mitte.


    "Du schmähst also meinen Namen, du lächerlicher, erbärmlicher Abklatsch von einem Manne? Du glaubst nicht daran, dass es Konsequenzen geben wird, wenn man den Gott des Krieges schmäht? Dann spürt die Fakten!"


    Sand erhob sich.


    "Ich belege Emilia mit dem Fluch des Blutdurstes. Ihre Löwennatur wird fortan und auf immerdar einen unersättlichen Hunger auf dein Fleisch verspüren, Dimicus Rosendämon. Wann immer ihre Instinkte erwachen, wird auch ihr Appetit auf deinen Körper stärker werden, selbst dann, wenn sie im Körper einer Frau weilt. Sei es, dass sie im Liebesrausch ihren Verstand vergisst und ihre Zähne in deinen Hals schlägt oder eine ruckartige Bewegung von dir sie dazu bringt, mit der Hand nach dir zu schlagen, als wärst du eine Maus. Wie lange kann sie stets ihren klaren Kopf waren, ihre Kontrolle? Und sollte sie in solch einem Moment die Löwin sein, dann kann dir nichts und niemand mehr helfen als dein Schwert. Wer wird wessen Beute, wenn die Jagd beginnt? Mein Fluch endet damit, dass einer von euch den anderen töten wird, sei es noch heute oder in vielen Jahren. Doch verliere ich an dieser Stelle kein Wort darüber, wer des anderen Opfer wird.


    Weidmanns Heil - Löwin und Rosendämon. Möget ihr spüren, wie es sich anfühlt, den Krieg selbst im Herzen toben zu haben."


    Mit einem Knall implodierte der Sand und Rakshor war verschwunden. Dort, wo er gewesen war, lagen heiße Glasklumpen.

  • Emilias Freude hielt nicht lange und Enttäuschung war in ihren Zügen zu erkennen, als sie die geschriebenen Worte entzifferte. Sie liess die Schultern hängen und starrte einen Moment gedankenverloren auf die Zeilen.
    Dann jedoch straffte sich ihr Körper wieder. Dimicus hatte also bereits zwei Gestaltwandler in seinem Leben angetroffen. Demnach musste er ein Gespür dafür haben, sie zu finden. Oder sie waren zumindest doch nicht so selten, wie er behauptete!


    Gerade als sie sich wieder auf die schwungvolle Schrift konzentrieren wollte, geschah etwas Unvorhergesehenes.
    Wie von einem Sturmwind erfasst, wurde Emilia von dem Bett weg und an die Wand geschleudert. Erschrocken schrie sie auf und spürte sogleich einen stechenden Schmerz durch ihren Körper zucken, der von dem harten Aufprall herrührte. Benommen hob sie den Blick und bemerkte, dass auch Dimicus nicht unverschont geblieben war.
    Ihre Aufmerksamkeit wurde jedoch von etwas anderem auf sich gezogen und ihr ganzes Sein schrie ihr zu, dass sie fliehen sollte. Doch sie konnte sich nicht rühren. Stattdessen war sie wie gelähmt und ihre Augen hingen gebannt an der imposanten Gestalt. Obwohl sie nie einen Gott gesehen, noch einen angebetet hatte, wusste sie instinktiv, dass dies eine höhere Macht sein musste. Die Ausstrahlung war unverkennbar und die junge Frau schien regelrecht seine Energie zu spüren, die wie ein Flimmern in der Luft zu schwingen schien.


    Umso mehr zuckte sie zusammen, als seine Stimme losdröhnte. Obwohl Emilia taub war, konnte sie jedes Wort klar und deutlich verstehen. Es schien ihr, als würde der Klang in ihrem Inneren nachhallen und sie begann am ganzen Körper zu zittern. Der Gott des Krieges, wie er sich selbst nannte, schien voller Wut zu sein und diese richtete sich gegen Dimicus – und unglücklicherweise gegen sie selbst. Sand wirbelte durch den Raum, und trotz ihrer Angst kam die Gestaltwandlerin nicht umhin Bewunderung zu verspüren.
    Emilia wagte sich nicht zu rühren, obwohl der feine Staub sich auf ihr Gesicht legte, und sie in der Nase biss. Nur langsam sickerten die Worte zu ihrem Bewusstsein durch.
    „… Weidmanns Heil - Löwin und Rosendämon. Möget ihr spüren, wie es sich anfühlt, den Krieg selbst im Herzen toben zu haben."
    Im nächsten Moment stob der ganze Sand zusammen und in einem hellen Licht implodierte das beeindruckende Schauspiel. Emilias Blick blieb wie versteinert auf den glühenden Glasklumpen hängen, während sie schwer atmete.


    Es vergingen einige Minuten bevor sie langsam ihr Gesicht hob und mit den Augen nach Dimicus suchte. Sogleich schossen ihr wieder die Worte von Rakshor durch den Kopf. „Ich belege Emilia mit dem Fluch des Blutdurstes“
    Das war das zweite Mal innerhalb einer einzigen Stunde, in der ihr jemand sagte, dass ein Fluch auf ihr lastete. Oder waren es nun sogar zwei?
    Emilia versuchte in sich hinein zu horchen, doch alles war still. Katze und Löwin schienen von dem Spektakel ebenso sprachlos zu sein, wie sie selbst es war. Vielleicht war das gar nicht so schlecht? Mochte es gar bedeuten, dass sich nichts verändert hatte. Es war aber kein Traum. Oder?


    Vorsichtig bewegte sie sich auf allen Vieren vor und tastete mit der Hand nach dem Glas, das zu mehreren schimmernden Klumpen geformt war. Ihre Finger griffen fest danach, und prompt schnitt sie sich an einer scharfen Kante. Wie um sich zu überzeugen, dass sie nicht träumte, presste sie die Hand fest zusammen, bis ein rotes Rinnsal auf den Boden tropfte.
    Voller Furcht klammerten sich ihre Augen an Dimicus fest, der ebenfalls ziemlich benommen wirkte. Er musste wissen, was zu tun war. Wie immer. Oder?

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  • Gerade noch beobachtete Dimicus, wie die Augen Emilias über seinen Text huschten und die anfänglichen Worte in sich aufnahmen. Gerade noch verzog sich ihre Miene und sie ließ die Schultern hängen. Ein Akt der Enttäuschung und Trauer. Es brach dem Künstler das Herz, seine Freundin auf diese Art und Weise zu sehen, doch hatte er keinerlei Wahl, als diesen Weg zu gehen. Realismus musste stets beibehalten werden.


    Blitzartig wurde diese Realität allerdings durchbrochen, als ein lauter knall ertönte und Sand sich in den Raum zu füllen begann. Gerade hatte er noch auf dem Bett gesessen, so wurde er schlagartig gegen die Wand gedrückt und konnte sich keinen Zentimeter mehr fortbewegen. Inmitten des Raumes erstand eine große Figur auf. Der Körper groß, muskulös und der Kopf mit einem Tierschädel bedeckt. Dieses Gestalt. Sie kam Dimicus bekannt vor.


    Doch schon in den nächsten Momenten wurde klar, mit wem sie es zu tun hatten. Einen Gott. Rakshor, der Gott des Krieges. Dimicus hatte einiges über ihn gelesen, doch glauben wollte er an ihn nie. Genau wie für ihn die Götter bisher vollkommener Humbug waren. Doch Dinge die Rakshor erzählte und der Fluch von dem er sprach; es kam Dimicus seltsam vertraut vor. So schnell der Gott gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Zurück blieb nur Glas und Stille.


    Dimicus hatte lange Zeit keine Angst mehr verspürt. Keine Angst, die ihn hätte verfolgen können. Doch dieser Moment zeigte, dass es wieder soweit war. Seine Urinstinkte die er seit der Zeit des Zirkus' als besiegt glaubte, kehrten zurück. Wie eine Puppe sank er in sich zusammen, als die Stille den Raum beherrschte. War das gerade wirklich passiert? Woher kam diese Erscheinung und wieso suchte sie sie heim?


    Dann begannen vage Erinnerungen in Dimicus' Kopf zu treten. Sie schienen wie Träume, als er an sie zu denken versuchte. Ein Tribunal. Götter. Rakshor war einer von ihnen. Dann war dort Ardemia. Schließlich Noldil. Doch Dimicus war als Sterblicher nicht allein. Jemand war bei ihm. Ein gewisser Jaro, ein Frostalb. Sie sprachen von Segnungen und Flüchen. Dann verwandelte sich Jaro in eine Bergziege.


    Ab diesem Punkt hatten sich die Ereignisse überschlagen. Mit einer Aussage hatte er die Götter geschmäht und vor Rakshor war es nicht das erste Mal gewesen. Seine Strafe hatte er abgetan, jedoch hatte sich Rakshor dann nicht ihm gewidmet – sondern Emilia. Der Gott hatte von einem Fluch gesprochen, unter dem vor allem Dimicus leiden sollte. Diese Erinnerungen, sie durchzuckten seinen Kopf. Er hatte gefleht und gebettelt, auch zu Ardemia und Noldil. Doch niemand wollte seiner gnädig sein. Wie hatte er nur so dumm sein können!


    Ruckartig fuhr der Kopf Dimicus' hoch, erwacht aus der Trance die diese Erinnerung hervorgerufen hatte. Sein Körper verkrampfte sich und ein Sturm wehte in seinem Bauch. Keine Schmerzen. Nur Wut. Unermessliche Wut auf sich selbst. Er konnte vor jedem kriechen und sich fügen, um seine Ziele zu erreichen. Doch vor den Göttern war er maßlos – dies bereute er nun. Sein Unglaube hat zu einer Tragödie geführt.


    Lang konnte er sich mit dem Gedanken jedoch nicht auseinandersetzen. Dimicus spüre einen hilflosen Blick auf sich ruhen. Sein Kopf drehte sich zu Emilia. Sie sah ihn vollkommen perplex, ängstlich, gar panisch an. Oder war es seine eigene Panik, die aus ihm sprach? Als nächstes fiel sein Blick jedoch auf Emilias Hand, die stark zu bluten schien. Seine Augen weiteten sich, Angst machte sich in ihm breit.


    Augenblicklich sprang Dimicus auf. Ohne Rücksicht auf das Glas eilte er zu Emilia hinüber. Sofort kniete er sich vor ihr, betrachtete sie eingehend und stellte keine andere Verletzung fest. Sein rasendes Herz beruhigte sich. Zumindest etwas. „Komm her, schöne Löwin“, sprach er ruhig, als er ihr sanft aufhalf und sie zum Bett brachte. Dort setzte er sie ab, sammelte seine medizinischen Sachen zusammen und setzte sich neben Emilia.


    Vorsichtig und doch zugleich liebevoll nahm er ihre verletzte Hand, betrachtete sie wie ein wertvolles Kunststück, welches mit größter Sorgfalt zu behandeln war. Zum Glück war der Schnitt nicht tief oder es steckte noch ein Stück des Glases in der Handfläche. Dimicus riss ein Stück eines Verbandes ab, tupfte die Hand von dem kostbaren Blut sauber. Trotz dessen musste der Schnitt genäht werden, es gab keine Alternative.


    Dimicus blickte Emilia in die Augen und begann, langsam einige Worte mit den Lippen zu formen: „Ich werde das nähen müssen. Es wird schmerzhaft, doch sollte schnell vorüber sein. Ich beeile mich, versprochen.“ Mit diesen Worten nahm er auch schon Nadel und Faden in die Hand. Mit sanften Druck fixierte er Emilias Hand, als er Stück für Stück die Wunde vernähte. Eine zweifache Einzelknopfnaht genügte, welche innerhalb von zwei Minuten abgeschlossen war. Darauf folgte die Behandlung mit Wundsalbe und das Anlegen eines Verbandes.


    Kaum fertig legte er seine Utensilien beiseite und nahm sich einer seiner Lederhandschuhe. Mit dessen Hilfe nahm er gefahrlos das Glas in die Hand und verstaute es auf der Kommode. Auf den ersten Blick schien es keine Besonderheit aufzuweisen, wenn man von der Form einmal absah.


    Mit allem schließlich fertig, setzte er sich neben Emilia auf das Bett. Was ihr jetzt wohl durch den Kopf ging. Sein Blick wanderte immer wieder 'gen Boden, als er nachdachte was er nun sagen sollte. Noch immer steckte ihm der Schock in den Knochen. „Ich denke … ähm … du erwartest von mir Antwort, oder?“ Ein unsicheres Lächeln folgte seinen Worten. „Wer das war, weißt du sicherlich.“


    Dimicus' Bein begann zu Wippen, als er weiter nachdachte. „Was diesen Fluch betrifft – wie fühlst du dich?“ Noch immer war sich der junge Mann unsicher, wie er mit der Situation umgehen sollte. Wie sollte man einen Gott entgegnen? Erst recht dessen Fluch? Dimicus war ratlos. Bei einem war er sich absolut sicher: Vorbereitung, Kunst oder Glück würden nicht mehr helfen. Nun musste der Künstler sich daran gewöhnen, indirekt einem Menschen etwas angetan zu haben, den er – liebte. Und dafür eine Lösung zu finden.

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  • Wie in Trance liess sie alles über sich ergehen und versuchte gleichzeitig nach ihren inneren Stimmen zu lauschen. Doch für den Moment waren sie alle verstummt.
    Eine Antwort, das war tatsächlich das, was sie sich wünschte. Warum Dimicus jedoch unbeschadet neben ihr sass und sie in dieser Situation anlächelte, wollte ihr nicht in den Kopf gehen. Wie Hohn kam es ihr vor und ihre Miene verdüsterte sich.
    Wie sie sich fühlte?
    Als Sündenbock. Doch vielleicht stimmte das gar nicht. War die Strafe womöglich gar gerechtfertigt? Schliesslich war sie nicht ohne Sünde, hatte ihren Vater verraten, indem sie sich mit dessen Mörder abgab. Oder war es doch Dimicus Schuld, dass der Fluch auf ihr abgeladen wurde?


    Bei diesen Gedanken spürte sie ein dunkles Grollen in ihrem Innern. Sie wandte schnell den Blick von ihm ab und starrte auf ihre Handfläche, wo die Wunde sauber vernäht war.
    Es galt zu überlegen, ob es eine Möglichkeit gab, den Fluch zu brechen oder ihn aufheben zu lassen.
    Vielleicht war es möglich, Rakshors Wohlwollen zu gewinnen?
    Oder gab es jemand anderen, der einen göttlichen Fluch brechen konnte?

    Bis dem so war, musste sie sich von Dimicus fernhalten. Rakshor hatte bereits die Zukunft vorhergesagt und lieber wollte sie seine Vorhersage nicht auf die Probe stellen.


    Von ihren Gedanken würde sie Dimicus jedoch noch nichts berichten. Bestimmt würde er sie nicht gehen lassen, aus welchen Gründen auch immer. Wie sie es auch drehte und wendete, er war schuld an ihrer Misere.
    Sie stand auf und holte das Notizbuch, das in einer Ecke gelandet war und ziemlich deformiert aussah. Ihr Vater hatte sich wenig für die Götter interessiert, höchstens Dal hatte er manchmal lobgepriesen, wenn er einen guten Handel abgeschlossen hatte. Deshalb war ihr Wissen begrenzt.
    Erzähl mir alles über Rakshor. Wie können wir seine Gunst erlangen? Oder die von jemand anderem, der genauso mächtig ist wie er?

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  • Nachdem Dimicus das Nähzeug und die Medizin an ihren angestammten Platz gebracht hatte, wandte er sich wieder Emilia zu. Für einen Moment wog er noch ihre Hand in seiner Hand und besah sich die Wunde. Auch wenn seine Künste nicht in der Behandlung von Wunden lagen, so war er aber stolz darauf, wie gut die Schnittwunde hatte versorgen können. Das musste man ihm erst einmal nachmachen! Natürlich wusset er, dass es jeder Medicus besser geschafft hätte, doch mit diesem kleinen Detail wollte er sich nicht weiter aufhalten.


    Interessanter war jedoch, wie er den Blick Emilias auf sich spürte. Er merkte, dass sie viele Fragen im Kopf haben musste und wohl erst recht komplett überfordert mit der Situation war. Dimicus versuchte einen Blick in ihre Augen zu erhaschen, in denen das absolute Chaos aber auch etwas Wildes zu sehen war. Nur für diesen Augenblick trafen sich ihre Blicke, sie wich jedoch schnell aus. Der Künstler seufzte. Wieviel Zeit ihm wohl bleiben würde?


    Im nächsten Moment griff Emilia schon zum Buch und schrieb in das Notizbuch. Nachdenklich betrachtete Dimicus seine Freundin. Sein Blick ging zu Boden. Seine Gedanken waren zäh und langsam. Was sollte er jetzt tun? Bevor er jedoch nur einen weiteren Gedanken fassen konnte, schob Emilia das Buch vor seine Nase und er las ihre Worte. Abermals entlocke es seiner Kehle ein Seufzen.


    Dimicus fasste sich mit Daumen und Zeigefinger an den Nasenrücken. Er nahm den Kohlestift von Emilia entgegen und begann zu schreiben: Leider weiß ich nicht viel über die Götter. Ich selbst verehre sie nicht und habe kaum einen Glauben an sie. Vermutlich werde ich mich belesen müssen, was Rakshor betrifft. Mein einziger Anhaltspunkt an einen anderen Gott wäre es, sich an Ardemia zu wenden. Auch genannt die Mutter. Sie taucht in Büchern über Gestaltwandler auf und gilt als die Mutter der Wandler. Das ist bisher das Einzige was ich weiß. Tut mir leid.


    Der Stift kratzte über das Pergament und zeichnete die schwarzen Linien Dimicus' Worte. Dann hielt er inne. Nachdenklich schaute er auf seine geschriebenen Worte. Da musste noch etwas hin. Eine Erklärung. Du hast eine Erklärung verdient. Leider kann ich sie dir nicht ganz liefern. Ich erzähle dir, was ich weiß. Was hier passiert ist. Für mich fühlte es sich wie ein Traum an. In einer dunklen Ebene stand ich mit einem anderen jungen Mann - einem Frostalben - vor den Göttern. Ich fürchte, ich habe während meiner Anwesenheit dort, die ich mir selbst nicht erklären kann, Rakshor geschmäht. Dimicus schluckte. Nunja, er wollte mich bestrafen, vielleicht gar töten, wer weiß? Doch kam er auf eine ... andere Idee. Er erwähnte dich. Er sagte, er habe in meinen Büchern gelesen und meine Bilder betrachtet. Er kenne meine Gedanken und Gefühle... Ein trauriges Auflachen des Künstlers unterbrach sein Schreiben.


    Für einen Augenblick schaute Dimicus nach oben. Nicht nur Röte war in sein Gesicht getreten, sondern seine Augen wurden feucht. Keine Sekunde später verließ bereits die erste, einsame Träne sein rechtes Auge und lief an seiner Wange hinab. Ich wollte das nicht. Er sagte, er wolle mich bestrafen in dem er dich bestraft. Ich ... ich ... hatte doch keine verdammte Ahnung. Einzelne Tränen tropften in das Notizbuch, hinterließen nasse Flecken auf dem Papier. Ich habe gefleht. Noldil, Ardemia, Rakshor. Sie alle straften mich ab und halfen mir nicht. So zog er los ... dieser Rakshor ... und verfluchte dich. Uns. Macht das für mich unerreichbar ... Erneut schluckte der Künstler. Unerreichbar was ich liebe. Etwas was über meine Kunst hinaus geht. Über alles was ich kenne und zu spüren bekam. Ich .. ich habe gebettelt, gefleht. Doch vergebens. Es tut mir so furchtbar leid...


    Plötzlich sprang Dimicus auf, schüttelte wild mit dem Kopf. "Tut mir leid", murmelte er. Seine Gedanken rasten. Hass durchzog seinen Kopf. Doch nicht nur gegen Rakshor. Er selbst hasste sich. Für das was er getann hatte. Für das was er angerichtet hatte. Für das, was er nun zu verloren drohte. Ohne zurückzublicken stürmte der junge Mann aus dem Zimmer. Seine nackten Füße trugen ihn in Richtung des Waschraumes. Ihm war es egal wer ihn sah. Er wollte nur allein sein. Und sich selbst für seinen Fehler bemitleiden.

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  • Emilia beobachtete, wie die Kohle über das Papier kratzte und eine schwarze Spur darauf hinterliess. Wie hörte es sich wohl an, das geschrieben Wort?
    Sie war enttäuscht zu lesen, dass Dimicus nicht viel mehr über die Götter wusste, als sie selbst. Das schienen ihr keine guten Voraussetzungen zu sein, den Fluch aufzuheben.
    Sie konnte ihm ansehen, dass die Unwissenheit an ihm nagte; Keine Lösung für das Problem in petto zu haben. Umso mehr, da er aus irgendwelchen Gründen, die Emilia noch immer nicht wirklich verstehen konnte, schuldig an dem Unglück war.


    Als sie jedoch sah, wie seine Schultern unter der Last seiner Gefühle bebten und seine Miene sich verzerrte wegen der innerlichen Qualen, konnte sie nicht anders, als seine andere Hand zu fassen und tröstend zu drücken. Sie fühlte sich kalt an und Emilia fröstelte es in diesem Moment ebenfalls. Während er schrieb und versuchte sich zu rechtfertigen und darzulegen, was er bereits alles versucht hatte, bemerkte sie dies gar nicht. Die katzenhaften Pupillen hatten sich an die Träne geheftet, welche langsam über seine stoppelige Wange rann. Sie reflektierte das Licht und hinterliess eine feuchte Spur auf seiner Haut. Eine Sekunde lang blieb sie an seinem Kinn hängen, fast wie ein Eiszapfen, dann fiel sie wie in Zeitlupe in das Notizbuch hinein und verwischte die Buchstaben. Emilia hob ihren Blick und bemerkte weitere Tränen, die sich nun einem Rinnsal gleich einen Weg über sein Gesicht bahnten. Wie sie wohl schmeckten? Salzig und warm?
    Sie musste den plötzlichen Drang unterdrücken, ihm mit ihrer Zunge über die Wange zu lecken, um davon zu kosten.
    Doch da wurden ihre seltsamen Gelüste auch schon unterbrochen, denn als ob er ihren Blick gespürt hätte, sprang Dimicus plötzlich auf die Beine und schüttelte wild den Kopf.


    Im nächsten Moment stürmte er mit nackten Füssen aus dem Zimmer, ohne sich noch einmal umzublicken. Emilia blieb nach Aussen gelassen sitzen, denn sie hatte beinahe erwartet, dass er die Flucht ergreifen würde.
    Sie konnte sich denken, dass er lieber allein sein wollte, um seine Gefühle zu ordnen. Denn es war selten, dass Dimicus ihnen in Gegenwart anderer solch freien Lauf liess.
    Also blieb sie und griff stattdessen nach den beschriebenen Seiten. Ihre Fingerkuppen fuhren über die Flecken, welche seine Tränen hinterlassen hatten. Erst danach las sie die Worte.
    Ihre Hand zitterte leicht, als sie das Buch schliesslich behutsam zur Seite legte.
    Ein trauriges Lächeln umspielte ihre Lippen. Noch vor einigen Tagen hätte sie sich darüber gefreut, wenn Dimicus ihr offenbarte, dass es etwas gab, das über seine Leidenschaft für die Kunst des Todes hinausging.
    Etwas, das wichtiger geworden war, als gar seine Werke?
    Welch Ironie, dass ausgerechnet aus dieser erblühten Liebe nun ihrer beider Unglück entstanden war – und das auch noch, nachdem sie ihren totgeglaubten Freund erst gerade wiederbekommen hatte!


    Schwindel erfasste die junge Frau und sie schlang die Arme um ihren Körper. Sie fühlte sich einsam, doch gleichzeitig wollte sie nicht die Gesellschaft von anderen Menschen erfahren.
    Und Dimicus war auch noch nicht zurückgekehrt.
    Sie zögerte, doch dann verwandelte sie sich in ihre Katzengestalt. Es fühlte sich befreiend an und das Schwindelgefühl rückte in den Hintergrund. Das Leben gestaltete sich um so Vieles einfacher im Körper einer Katze. Niemand erwartete von ihr, dass sie freundlich lächelte, unangenehme Korsetts trug oder beim Essen Besteck und Serviette benutzte. Stattdessen konnte sie ihre Aufmerksamkeit an diejenigen verteilen, die ihr Leckereien und Streicheleinheiten zukommen liessen oder ihr die Zeit mit lustigen Fangspielen versüssten. Und wenn sie verborgen bleiben wollte vor neugierigen Augen, so waren die Samtpfoten bestens dafür geeignet, sie lautlos durch die Gänge zu tragen. So wie jetzt.


    Ungesehen schlich sich die Tigerkatze in den Waschraum hinein, wo Dimicus mit seinen düsteren Gedanken alleine im Schneidersitz am Boden an der Wand lehnte. Sie tapste auf ihn zu, und beobachtete die Regungen in seinem Gesicht. Noch immer verunzierte der Hass seine Miene, doch auch andere Gefühle kamen dahinter zum Vorschein. Sie stellte ihre Vorderpfoten auf seinen Oberschenkel und beschnupperte ihn, so dass die Schnurrhaare ihn am Kinn kitzelten. Schliesslich sprang sie vollends auf seinen Schoss und kringelte sich dort nach zwei Umdrehungen ein. Das tröstliche Schnurren liess ihren Körper sanft vibrieren und schliesslich fiel das Gefühl der Einsamkeit wie ein alter Pelz von ihr ab.

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