Die Nacht verlief ohne besondere Vorkommnisse, sodass der Magier am nächsten Morgen zu seiner gewohnten Zeit erwachte und dann einen Diener rufte, um nach dem Frühstück zu verlangen.
Einem anderen Diener beauftragte er Namik das Frühstück vorbeizubringen, und ihm Bescheid zu geben, dass sie nach dem Frühstück aufbrechen würden. Lange überlegte er, ob er Namik einladen sollte, mit ihm zusammen zu speisen, entschied sich dann dagegen, da er seine Ruhe haben wollte und ein gemeinsames mit diesem Lumpenmann, wie Sal'jil Namik in Gedanken immer nannte, ein schlechtes Licht auf Sal'jil auf ihn werfen würde. Denn eine gemeinsame Speise mit diesem Lumpenmann würde den Eindruck bei der Dienerschaft erwecken, dass Sal'jil mit jedem beliebigen Mann speisen würde, und das konnte der Hofmagier nicht verantworten. Mit diesen, durchaus für ihn, wichtigen Gedanken verbrachte er sein Frühstück.
Weiterhin stellte er sich die Frage, inwiefern einfache Männer und Männer gehobenes Standes überhaupt miteinander Zeit verbringen konnten. War es legitim, oder sollte man es aus Rücksicht gegenüber Beiden nicht größtmöglichst verbieten?
Denn Sal'jil war es, trotz seiner Reaktionen nach außen, durchaus bewusst, wie er mit Namik und Leute seines Standes umging. Außerdem überlegte er, ob diese menschliche Distanz nicht einer der Merkmale war, warum die Adelsherrschaft überhaupt funktionierte. Erst mit adliger Schirmherrschaft konnten zudem Werte eingehalten werden, die bei einer Gleichbeteiligung der Bevölkerung vollkommen verloren gehen würden. Der Sultan verkörpert zudem die Tradition und Kultur von Radschistan wie kein Anderer, ein Vorbild und Identitätsfigur für alle, die für Beständigkeit aufgrund seiner starken Macht sorgt und in seinem Handeln auch sein ganzes Leben auf die Herrschaftsaufgabe vorbereitet wird. Von Gleichbeteiligung kam er plötzlich auf die Yateken, deren demokratische Stadtstruktur er missbilligte und deren politische Struktur seiner Meinung auch der Grund war, dass die Yateken keinen großen Einfluss auf den Kontinent hatten.
Als er fertig mit dem Frühstücken war, ging er persönlich hinunter in die Stallung, um den Zustand seines Kamels zu begutachten. Nachdem er sein Zustand als zufriedenstellend befand, verabschiedete er sich beim Kalifen und seiner Ehefrau und ließ Namik zur Stallung rufen, wo er auf ihn wartete und wo dieser nach kurzer Zeit auch auftauchte.
"Bereit für die lange Reise?," fragte er mehr rhetorisch, doch wollte er als Wortkünstler, eine leere Floskel nicht stehen lassen, sondern fügte noch mit sachlichen Ton hinzu: "Alles gepackt und hast du gut gefrühstückt?", er räusperte sich, aber blieb trotz des persönlichen Inhalts beim sachlichen Inhalt.
"Ich hoffe Tulef hat dir alle Wünsche erfüllt. Ich weiß, er ist manchmal etwas zu langsam, aber dafür stets höflich. Du musst ihm nachsehen, dass er schon was älter ist und nicht mehr so schnell ist."
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: "Ich weiß, wir beide stießen schon direkt zu Beginn auf Antisymphatie. Und ich weiß, das du mich für meine Schönheit und Klugheit beneidest. Du hast keine Ausbildung genossen, ja kein Benehmen, wenngleich du dich ungeschickt anstellst, möchte ich dir eine echte Chance geben, da dieser Auftrag wichtiger, als meine persönliche Einstellung gegenüber dir ist. Ich habe ebenso Missfallen an deiner Anwesenheit, doch müssen wir zusammenarbeiten und wir werden dies meistern, " sprach er ihm Mut zu. "Obgleich du wahrscheinlich keinerlei Gedanken in dir hegst, außer wie man einen Menschen am besten töten kann, bin ich von der Richtigkeit unseres Auftrags überzeugt".
Sal'jil kehrte in sich und wiederholte die Worte eines neuartigen Gebets: "Der Höchste wird uns schützen - der Höchste umgibt uns, der Höchste leitet uns. Seine Macht ist allgegenwärtig. Sowie die Sonne durch seine Macht verdunkelt wird, so möge er die Ungläubigen entmachten, sie peinigen und strafen. Macht ist Stärke! Macht ist Stärke!"
Saljil signalisierte mit einem Nicken, dass er fertig war, sodass Namik antworten konnte. Danach befahl er seinem Diener, ihn auf sein Kamel zu helfen, wobei allerdings sein Gewand verrutschte, da sich der Diener sehr ungeschickt anstellte. Sal'jil wurde ausfallend und beleidigend: "NICHTSNUTZIGER IDIOT! Was kannst du eigentlich!". Der Diener, ein junger Bursche, der erst seit ein paar Wochen begonnen hatte in der Stallung zu arbeiten, wurde rot und versuchte sich zu rechtfertigen. Ein fataler Fehler, wie es sich herausstellte. "Ich bin mit meinem Fuß auf das Gewand kommen. Es ist zu lang, mein Herr...," er weinte, indes er weiterhin stammelte "...es ist einfach zu lang".
"Verhaltensregel 2: Spreche nur, wenn dich der Herr dazu aufgefordert. Bist du etwa so töricht...", doch der junge Bursche machte nun einen noch größeren Fehler und fiel Sal'jil sogar noch ins Wort.
"Bitte mein Herr, sagt es nicht dem Vorsteher. Er bringt mich um. Ich weiß es...bitte, ich habe schon neulich einen Fehler gemacht. Er wird mich schlagen. Er wird...
"SCHWEIG! Ich werde...," er schaute zu Namik, welcher ihn verhängnisvoll anstarrte, vielleicht auch etwas sagte, sodass Sal'jil sogar einlenkte und beschloss: "Na gut, ich bin ein Gutmensch. Ja, wirklich einer feiner Mann, herrschaftlich und moralisch. Ich werde es dem Vorsteher nicht verraten. Doch du wirst in meiner Schuld stehen, sei dir dessen bewusst," erklärte er.
Es war in der Tat nie gut in Sal'jils Schuld zu stehen, da er früher oder später stets die Schuld einlösen würde. Nach einigen Augenblick hatte er seine Kleider aber auch wieder in Ordnung. Der Hofmagier schickte den jungen Burschen zurück zur Stallung und lächelte zufrieden, über seine gute Tat. Darauf sprach er zu Namik: "Bereit? Dann kann es losgehen. Wir reiten über das Nordtor, und folgen erstmal der nördlichen Handelsroute bis wir einen anderen Weg nehmen werden. Reitet einfach direkt hinter mir. Ich kenne mich in der Wüste aus."
Mit diesen Worten brachen sie auf zu ihrer langen Reise.