Buch 1 Hohenfelde -- Kaptitel 01 - Der Hexenmeister

  • Brandur versteifte sich, als sein Großneffe sich müde an seinen Rücken lehnte. Er brauchte einige Augenblicke, um diesen Umstand zu verarbeiten und war froh, dass Linhard sein Gesicht nicht sehen konnte, denn das verzog sich im ersten Moment reflexartig zu einem Ausdruck tiefen Widerwillens. Dieses Gefühl richtete sich jedoch nicht gegen Linhard, sondern gegen die Vertraulichkeit, die mit seiner Nähe einherging. Der Tod schwebte wie ein Fallbeil stets über ihnen allen. Auch Dunwin war von seinen eigenen Söhnen gerichtet worden.


    Gleichzeitig glich die Suche nach Nähe einer Bitte, auf ihn achtzugeben, die ihn tief im Innersten berührte. Brandur war als Vater stets woanders beschäftigt gewesen, hatte andere ihm von der Entwicklung seiner Kinder berichten lassen, anstatt sich selbst davon zu überzeugen, wie es ihnen ging. Kindermädchen, Erzieher, Lehrer ... Ihr eigener Vater war ebenfalls irgendwo da gewesen und doch war er es nicht. Wäre er damals unerwartet verstorben, hätte der Umstand seinen Kindern wohl kaum mehr als ein Schulterzucken abgerungen, da sich nichts in ihrem Leben geändert hätte. Er hatte nie zu einem Monster werden wollen, wie Alastair es gewesen war und so hatte er Abstand gewahrt. Seine gelegentlich aufbrandende Wut hatte stattdessen die Dienerschaft zu spüren bekommen und seine Kinder meistens nur eine Maske aus Eis. War das besser? Er wusste es nicht.


    "Du brauchst diese sogenannte Gabe nicht, Linhard. Sie macht einen nicht besser oder schlechter. Sie eröffnet andere Möglichkeiten, gewiss, doch man kann auch ohne sie zurechtkommen Nicht wahr, Dunwin?


    Was die Rakshaner angeht, so war ihr Verhalten sehr unterschiedlich, von verblüffend freundlich bis hin zu blindem Hass auf mich als Naridier war das ganze Spektrum vertreten und ein kleinerer Trupp hat mich tatsächlich in der Nachtburg belagert, bis es ihnen zu langweilig wurde. Geld verdient man an ihnen kaum, da sie selten welches besitzen, aber sie organisieren einem die nützlichsten Dinge, um sie gegen das Gewünschte zu tauschen.


    Naridien als Nation hat mich nie interessiert. Ich habe daher wenig Bedenken, dem Chaos oder anderen Fraktionen meine Dienste anzubieten."


    Es war, wie Duwnin sagte - nun hatte er die Chance, es anders zu machen. Und genau das hatte Brandur vor. Ganz gleich, ob Linhard darum bat, dass er auf ihn achtgab, er würde es tun. Er hatte nur noch diesen einen Versuch, er war zu alt, es würde keine leiblichen Kinder von ihm mehr geben. Der alte Mann spürte, wie etwas in ihm erwachte, dass er in den wenigen Momenten gespürt hatte, da er seine neu geborenen Kinder im Arm hielt, um sie zu betrachten, ehe er sie beim Aufkommen dieses Gefühls rasch der Amme in den Arm gedrückt hatte und in seine Arbeit geflüchtet war, um seine Gedanken und Gefühle wieder in vertraute Bahnen zu lenken.


    Jetzt konnte er nicht flüchten.


    Er versuchte, mit rationalen Argumenten dagegenzuhalten. Linhard war nicht sein Sohn und er selbst nicht sein Vater. Er war nur sein Großonkel zweiten Grades, irgendein entfernter Verwandter, die Ähnlichkeit Linhards zu Gerwolf nur ein Zufall, dem Umstand geschuldet, dass sie sich wegen der generationenlangen Inzucht sowieso alle extrem ähnlich sahen. Genau so gut könnte Anwolf oder Ansgar hinter ihm sitzen oder sonst irgendein x-beliebiger Verwandter. Doch trotz aller Vernunft war da eine Ecke in seinem Hirn, die sich weigerte, diesen Umstand anzuerkennen und die Gefühle enstsprechend anzupassen. Vielleicht sollte er Linhard scharf zurechtweisen, es zu unterlassen, sich an seinen Großonkel anzulehnen, damit das aufhörte. Brandur war mit sich selbst überfordert. Er blieb entgegen aller Vernunft aufrecht sitzen und sagte nichts, außer:


    "Wir sind gleich da, Linhard."


    Er sprach die Lüge in der ihm eigenen reservierten Art und Weise aus und sein Gesicht war so ausdruckslos wie zuvor. Der Flug würde noch mehrere Stunden dauern. Auch ihm selbst schmerzte alles, was nur irgendwie schmerzen konnte von dem unbequemen Sitz auf Dunwins knochigem Rücken. Aber er war Schmerzen gewohnt und konnte sie gut ignorieren.


    "Versuche, bis dahin ein wenig zu schlafen."

  • Marlo


    schaute Wolfram an.
    "Was hattest du denn für eine Krankheit Wolfram? Das du so oft zum Heiler musstest? Das du dann nicht angefasst werden willst, wie von einer Krankenschwester ist klar. Und generell? Stört dich das? Zur Begrüssung umarmst du andere, also gilt das nicht für jede Berührung.
    Ich werde deine Diener gut behandeln. Mit einen Kaffee vor dem Kamin klingt nach Entspannung. Das machen wir so."


    Marlo schaute die kleine Fledermaus an.


    "Kasimir sieht ungewöhnlich aus."

  • Dunwin verstand die Reaktion seines Bruders. Vertrautheit bedeutete in ihrer Familie Leichtsinn und Leichtsinn bedeutete den eigenen Tod. Aber sie hatten sich vor einigen Minuten etwas anderes geschworen.


    Sie hatten vor es gemeinsam besser zu machen. Dazu gehörte auch, dass man die alten Verhaltensmuster ablegte und neue zuließ. Gleichgültig wie fremdartig sie einem vorkamen.


    Sie beide konnten Linhard kein Vertrauen in sich selbst lehren, wenn sie ihm schon nicht vertrauten. Dunwin war durchaus bewusst, dass er jener von ihnen war, der nichts mehr zu verlieren hatte.


    Er konnte sein Vertrauen verschenken, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Er war bereits tot, also würde ihm ein Dolch in den Rippen nichts anhaben können.


    Aber ein Mord bei einer derart vertrauten Geste hatte es in ihrer Familie noch nie gegeben. Vermutlich da es kaum derart vertraute Gesten untereinander gab. Immerhin offenbarte Lin damit selbst Schwäche.


    Er zeigte sich verwundbar und müde - ein Umstand der ihn zu einer anderen Zeit in einer anderen Generation das Leben hätte kosten können.


    Folglich verschenkte er gerade an Brandur Vorschussvertrauen und war scheinbar sogar gewillt in dessen Nähe zu schlafen und dies auf dem Rücken einer Kreatur die er nicht kannte.


    Gelenkt, gesteuert und beseelt mit dem Geiste seines Großvaters der für vieles bekannt war, aber nicht für seine Vertrauenswürdigkeit.


    Lin vertraute damit ihnen beiden sein Leben an. Und das obwohl er sich der Konsequenzen bei einem Irrtum sehr wohl bewusst war.


    "Nein, er braucht die magische Gabe nicht Brandur, er hat andere... weitaus wichtigere Gaben. Ich stimme Dir zu", antwortete Dunwin freundlich.


    "Der Schlaf auf meinem Rücken ist zu gefährlich... für Euch beide...
    Er hält Dich an Ort und Stelle Brandur...
    Nun dieser Körper... wurde schon anders genutzt nicht wahr?...
    Decken liegen im Inneren dieses Körpers...
    Ich suche eine Stelle zum Landen und Ihr beiden klettert ins Innere dieser Knochen...
    Dann könnt Ihr schlafen...",
    erklärte Dunwin.


    Der knöcherne Drache flog immer langsamer und tiefer und hielt nach einer Möglichkeit Ausschau, wo er landen konnte. Zwar war das Gebiet unter ihm gebirgig, aber auch dort würde sich eine Stelle finden lassen, auf der er genug Platz zum Landen hatte.


    Als er eine passende Stelle erspäht hatte, setzte Dunwin zur Landung an. Mit einem Rums setzte er zwischen Geröll und einigen Bäumen auf. Der Drache legte sich ab um ihnen den Abstieg zu erleichtern.


    "Steigt ab und geht Richtung Kopf des Drachen...
    Haltet Euch an den Gebeinen fest... bis Ihr sicher innerhalb der Kreatur sitzt...
    Ist dies geschehen, reisen wir weiter Bruder... Lin...",
    erklärte Dunwin.

  • Wolfram schüttelte kurz den Kopf.


    "Du kannst doch keine Umarmung zur Begrüßung mit einer Untersuchung gleichsetzen. Ich hatte nicht eine Krankheit, ich hatte zig Krankheiten Marlo. Kaum hatte ich eine überwunden, bekam ich die nächste. Von Pocken bis zur Lungenentzündung war alles dabei. Eigentlich lag ich fast immer nur im Krankenbett.


    Das änderte sich erst, nachdem ich nicht mehr in Watte gepackt wurde. Ein Heiler riet meiner Mutter mich abzuhärten, mich draußen spielen zu lassen und mich ruhig auch mal dreckig werden zu lassen. Erst tat sich nichts, wie es so oft der Fall ist. Aber dann ging es stetig aufwärts.


    Mein Zustand verbesserte sich, ich wurde seltener krank, war nicht mehr so blass und abgemagert und irgendwann liebte ich es einfach mit unter freiem Himmel aufzuhalten. Mit dem Haus verband ich früher nur Krankheit, später Schlafen bis ich wieder nach draußen durfte.


    Die vermeintlichen dreckigen Bauern leben viel gesünder aus wir und Feldarbeit ist zwar hart, aber Erde ist kein Schmutz. Das halten sich die wenigsten vor Augen.


    Für mich gibt es nichts Schöneres als draußen in der Natur zu sein, oder die Natur direkt am und im eigenen Haus zu haben. Du wirst es gleich sehen. Ein Kaffee vor dem Kamin ist auch entspannend, dass klingt nicht nur so", grinste Wolfram.

  • Linhard gab sich große Mühe seinem Großonkel weiter zuzuhören, obwohl er mit der Müdigkeit zu kämpfen hatte.


    "Das hast Du nett gesagt Brandur, vielleicht solltest Du das mal irgendwann vor der ganzen Familie wiederholen - wobei lieber doch nicht. Für die Aussage würden Dich vermutlich sämtliche Magier steinigen. Du und Dunwin, Ihr habt Recht. Sicher habe ich noch andere Gaben, sprich Fähigkeiten. Einige hoffentlich ganz nützliche, andere sind wohl nur von Stand nützlich.


    Ich habe mich auch nie groß für Nationen interessiert. Meist war ich mit mir selbst beschäftigt, habe trainiert, oder eben mir übertragene Aufgaben erledigt. Große Gedanken um die Nation habe ich mir nie gemacht. Ich bin Naridier - das war es schon.


    Vielleicht ist so ein Tauschgeschäft in so einer abgelegenen Ecke sogar noch besser. Hättest Du Taler als Bezahlung erhalten, musst Du selbst wieder losziehen und Dir all jene Dinge besorgen, die Du tatsächlich benötigst. So haben das Deine Kunden als Tauschware mitgebracht", antwortete Linhard.


    Als Dunwin erklärte, dass Schlaf auf seinem Rücken gefährlich werden konnte, stimmte Linhard zu. Sie konnten sich nicht sichern und falls er und Brandur gemeinsam einschliefen, konnten sie in den Tod stürzen.


    Ins Innere des Drachen umzusteigen, war eine gute Idee. Dunwin landete nach einer Weile und legte sich ab. Linhard stieg als erstes ab und benötigte einen Moment, ehe er wieder richtig stehen konnte und Gefühl in den Beinen hatte. Er half Brandur beim Absteigen und kletterte dann gemeinsam mit seinem Großonkel ins Innere des Drachen.


    Das er vorher nicht daran gedacht hatte sich das Gerippe genauer anzuschauen ärgerte Lin. Im Drachen machte er es sich gemütlich und mummelte sich in eine der Decken ein. Er wartete bis es sich Brandur ebenfalls gemütlich gemacht hatte und Dunwin erneut durchstartete.


    "Brandur, falls die Burg so verlassen und riesig ist, wie ich sie mir vorstelle, wäre es möglich ein Zimmer in Deiner Nähe zu bekommen? Im Notfall könnten wir uns beide so beistehen, oder einfach den anderen besuchen", schlug Lin vor.

  • Marlo


    ritt näher zu Wolfram ran.
    "Da hast du Schwein gehabt, an einen klugen Heiler zu geraten Wolfram. Ich wollte keine Begrüssung mit einer Untersuchung vergleichen.
    Ich wollte dir nicht blöde kommen. Falls ich dich gekränkt hab, tut es mir leid.
    Ich bin neugierig wie dein Haus aussieht. Nach deiner Beschreibung muss ich dich in der Einrichtung und Deko wieder erkennen. Ich sag dir gleich ob es so ist. Ein Kaffee vor dem Kamin ist gemütlich und ich freue mich drauf. Wo penne ich, wenn dein Haus so klein ist?."

  • Brandurs Gesicht nahm einen unwilligen Ausdruck an, als Dunwin, der ihn besser kannte, als ihm lieb war, eiskalt verpetzte, warum er auf dem Rücken des Drachen weiterreisen wollte. Es war nicht gut, wenn der Junge wusste, wie viel er Brandur tatsächlich bedeutete. Er hatte es ihm gesagt, dass er ein guter Junge war, ihn zu seinem Alleinerben erklärt und sich seiner angenommen, nachdem sein Vater ihn als Verräter aus dem Haus gejagt hatte und jetzt duldete er sogar, dass er sich müde an seinen Rücken lehnte. Das war mehr, als er je einem seiner eigenen Kinder zugestanden hatte. Dunwin musste wissen, dass übertriebene Nähe nicht gut war, für keinen von ihnen. Entweder er war vor lauter Rührseligkeit über die Versöhnung wahnsinnig geworden oder er tat das bewusst, um Brandur aus alter Gewohnheit zu schaden.


    Als der Wyvern gelandet war, half Linhard seinem Großonkel, von dem knöchernen Rücken zu klettern. Sie kletterten von vorn, unterhalb des Halses, in den Brustkorb hinein, den Brandur so geformt hatte, dass zwei Personen inklusive Gepäck gut darin Platz fanden und niemand zwischen den Rippen herausfallen konnte. Es fanden sich sogar zwei ergonomische Sitze darin, die Brandur jetzt aus ihrer Verankerung löste und nach ganz hinten warf, um die vielen Decken zu einer dicken Polsterung auszubreiten. Mit seinem kaputten Rücken war es wichtig, dass er weich liegen konnte und so hatte er an Decken nicht gegeizt. Im Wyvern zu übernachten, war nicht unbequemer, als daheim auf einer Matratze zu nächtigen.


    Ächzend ließ er sich nieder. Die ersten Minuten nach dem Hinlegen waren am schlimmsten, wenn die Wirbel sich, der Last des Körpergewichts entledigt, auseinanderrutschten und sich alles in seiner Wirbelsäule auszudehnen schien, inklusive des Schmerzes. Als es endlich langsam aufhörte, war Brandur schweißgebadet. Er verpasste den Rippen des Drachen, in Ermangelung seines auch zur Züchtigung gedachten Spazierstocks, mit dem Schnallenschuh einen Tritt. Das unschöne Schimpfwort, dass er auf der Zunge hatte und dass er sonst gegen Dunwin in die Dunkelheit gebrüllt hatte, wenn der Schmerz ihn übermannte, verkniff er sich nun, da Dunwin tatsächlich anwesend war.


    Nachdem Brandur sich wieder beruhigt hatte, murmelte er: "Im Inneren meines Toten Bruders schlief ich ein. Das kann man keinem erzählen."


    Er machte sich eine Nackenrolle und legte sich so, dass er noch ein wenig mit Linhard plaudern konnte. Sein Großneffe hatte so viele Fragen, war so neugierig ... unter Ansgars Aufsicht war er vermutlich vollkommen unterfordert gewsen im engen Korsett der Erziehung und der täglichen Pflichten. Der Junge hatte einen wachen, freien Geist. Der ihm zugedachte Platz irgendwo am Rande der Familie, war zu wenig für ihn. So viel vergeudetes Potenzial. Und so viel unterschätzte Gefährlichkeit, nur weil Linhard sich scheinbar klaglos zu fügen schien. Ja, er fügte sich - und er würde sich auch in die blutige Tradition fügen, wenn es so weit war, um endlich frei sein zu können von seinen Ketten. Ansgar war ein Dummkopf.


    Bei Brandur jedoch würde es keine Ketten geben, sondern mehr Freiheiten, als Linhard am Anfang vielleicht lieb war.


    "Die Burg ist groß und verwinkelt. Man kann viele Stunden in den Gemäuern und auf dem Gelände spazieren, ohne zwei Mal am selben Ort vorbeizukommen. Sie ist leider in den weniger genutzten Räumlichkeiten etwas schmutzig, auch wenn Kasimir sein Bestes gibt. Du kannst schlafen, wo du möchtest. Es gibt viele Betten und den einen oder anderen Kamin, den du heute jedoch leider selber anfeuern müsstest - sofern du das vermagst."

  • Die Fledermaus guckte verblüfft, als der Freiherr ihm anbot, ihn mit seinem werten Vornamen anzusprechen.


    "Vielen Dank, Herr", sagte er gerührt. "Das ist wirklich eine außergewöhnliche Ehre. Brandur hatte mir dies als Geschenk zum zehnjährigen Jubiläum angeboten. Ich werde Eurer Einladung, vorerst bei Euch zu weilen, Folge leisten, wenn Ihr mir versichert, meinen Herrn zu kontaktieren und seine Erlaubnis einzuholen."


    Kasimir japste vor Entsetzen auf, als Freiherr Wolfram von Wigberg unverblümt die Körperpflege seines Herrn ansprach. So was besprach man doch nicht in der Öffentlichkeit! Die Fledermaus fächelte sich rasch mit dem Flügel etwas Luft zu, um sich zu beruhigen. Dann setzte sie wieder eine vornehme Miene auf, um die Dinge klarzustellen, damit kein falsches Bild von ihm als Leibdiener und damit auch von seinem Herrn entstand.


    "Ich möchte in aller Bescheidenheit stark bezweiflen, dass mein Herr gedenkt, eine so vertrauliche Angelegenheit in andere Hände als die meinen zu geben, deren Fachkunde und Diskretion er zu schätzen weiß. Er ist in dieser Hinsicht ohnehin etwas eigen und kümmert sich, was das angeht, vorzüglich um sich selbst. Weder muss ich Sorgen haben, dass er verlottern wird, noch, dass er jemand anderen als meine Wenigkeit damit beauftragen wird, der ihn am Ende falsch behandelt, so dass seine Gesundheit leidet oder er sich über dessen stümperhaftes Verhalten ärgern muss. Nein, ich möchte behaupten, Brandur weiß meine Umsicht und Erfahrung hinsichtlich seiner besonderen Wünsche zu schätzen, auch, was das Unterlassen bestimmter, sonst üblicher, Handlungen und das Schweigen in den richtigen Momenten angeht, und wähne mich in dieser Angelegenheit schwer zu ersetzen.


    Meine unwichtige und daher zu vernachlässigende Sorge galt vielmehr dem Umstand, dass ich die Gespräche mit meinem Herrn vermissen werde, denn sicher haben mein Herr, sein Großneffe und sein Bruder sich viel zu erzählen. Doch ich werde mich darüber freuen, anstatt zu klagen. Ist mein Herr glücklich, so bin es auch ich."


    Kasimir lächelte so freundlich, wie das als Fledermaus mit nadelartige Fangzähnen ging, auch wenn er trotzdem unglücklich war. Er hatte niemanden außer Brandur und das Gefühl, wichtig für ihn zu sein, hatte ihn stets mit Stolz erfüllt, auch wenn sein Herr selten Dankbarkeit zeigte.


    Als Junker Marlo von Falkenberg befand, Kasimir würde ungewöhnlich aussehen, erklärte er:


    "Mit Verlaub, das liegt an dem weißen Fell, welches meiner natürlichen Haarfarbe geschuldet ist, Herr."

  • Dunwin hätte entschuldigend gelächelt, wäre der Fang des Wyvern dazu in der Lage gewesen.


    " Nun Bruder Du hast mich beschworen und an Dich gebunden...
    Wir beide sind nun... verbunden...
    Ich beabsichtigte nie... Dich zu verletzten...
    Meine Worte waren nicht gedacht Dir zu schaden... Brandur...
    Sie waren unüberlegt... meiner Unerfahrenheit auf diesem Gebiet geschuldet...",
    erklärte Dunwin betreten.


    Er wartete ab bis Brandur richtig lag. Über den Radau den er dabei machte und den Tritt dem er dem Gerippe des Drachen verpasste, verlor Dunwin kein Wort. Er empfand keine Schmerzen in diesem Körper und hätte er sie empfunden, hätte er sie verdient. Immerhin war es ihm zuzuschreiben, dass Brandur dermaßen Schmerzen litt.


    Dunwin wusste nicht was er mehr bereute, seinem Vater auf diese Weise willfährig bis zur völligen Selbstaufgabe gedient zu haben, seine eigenen Wünsche und Träume für seinen Vater ignoriert und aufgegeben zu haben, oder das er trotz besseren Wissens die Zuneigung zu seinen Brüdern beerdigt hatte und sie später gleich mit.


    Und das nur weil ein alter, verbitterter Mann es von ihm verlangte. Der in ihm letztendlich doch nichts weiter sah als Dreck. Die Niedergeburt wie er ihn nannte, im Gegensatz zu Kun und Brand - die Gesegneten.


    Dunwin spürte wie uralter Groll in ihm aufstieg.


    Der knöcherne Drache wandte den Schädel nach hinten und musterte Linhard und Brandur. Er musste sich auf diese beiden Leben konzentrieren. Alles was einst gewesen war, hatte er mit dem Tod abgestreift und hinter sich gelassen.


    Die Verblendung, die Manipulation, den Gehorsam.
    Er schuldete Alastair nichts!


    Aber er schuldete Brandur eine ganze Menge und er hatte ihm ehrlichen Herzens sein Wort gegeben.


    "Im Inneren Deines toten Bruders zu schlafen, dass hätte Vater mit absolutem Stolz erfüllt...
    Hätte es sich um meinen Kadaver gehandelt...
    In diesem Körper... erfüllt es mich mit Stolz... und diese Worte meine aufrichtig...
    Wir reisen weiter Bruder...
    Ihr seid bei mir sicher... ",
    sagte Dunwin.


    Der Drache erhob sich wieder in die Lüfte als Brandur und Linhard es sich im Inneren bequem gemacht hatten.

  • Linhard wartete besorgt ab, bis Brandur lag. Über den Kommentar hätte er eigentlich gelacht, aber er verkniff sich jede noch so kleine Gefühlsregung im Gesicht. Immerhin wusste er genau wie jeder andere aus der Familie, woher Brandurs Schmerzen rührten.


    Lin legte sich erst hin, nachdem sein Großonkel richtig lag. Die Worte von Dunwin konnte man meist zweideutig verstehen. Vielleicht war das bei Geistern generell so? Schließlich waren sie hier und doch irgendwo auch weg, grübelte Linhard.


    Wir beide sind nun verbunden. Ich beabsichtigte nie Dich zu verletzten.


    Nun verbunden waren sie durch ihr Blut eh seit ihrer Geburt, aber eventuell meinte Dunwin gefühlsmäßig oder magisch?


    Die Aussage nie beabsichtigt zu haben Brandur zu verletzten konnte für seine gerade gemachten Äußerungen stehen, oder eine viel tiefere Bedeutung haben.


    Diese hatte es dann allerdings in sich und Linhard fragte sich insgeheim, warum Dunwin es dann getan hatte.


    Einen winzigen Augenblick später fiel ihm ein, dass er nicht anders gehandelt hätte als Dunwin es getan hatte. Auch er hatte aus eigenem Antrieb nicht vor Anwolf zu schaden oder ihn gar umzubringen.


    Aber seine Meinung war so unerheblich wie die es von Dunwin einst gewesen war. Es spielte keine Rolle was man empfand, sich wünschte oder wonach man sich sehnte, wenn man dieser Familie angehörte.


    In Gänze waren sie so etwas wie ein Goblinisches Konstrukt. Als Ganzes waren sie mächtig, aber der einzelne war nur ein Zahnrädchen. Und die zu kleinen, brüchigen wurden von der internen Wartung aus der Maschinerie entfernt.


    Das er Anwolf nicht entfernen wollte, danach hätte niemand gefragt. Und selbst wenn er aus dem Kreislauf ausbrach, wie sah Anwolf die Sache? Wolfi genoss das absolute Vertrauen ihres Vaters.


    Vielleicht würde er nicht einmal Wolfi allein gegenüber stehen, sondern Ansgar und Wolfi im Duo. Oder schlimmstenfalls sogar noch einem Trio aus Ansgar, Wolfi und Dave...


    Dieser hatte ihn auch ohne groß zu fragen auf den Befehl seines Bruder angegriffen. Und das obwohl gerade Dave es hätte besser wissen müssen. Er hatte nicht grundlos die Familie verlassen.


    Nun Linhard machte sich nichts vor.


    Im Gegensatz zu Brandur, Dunwin und Kunwolf oder seinem Vater und Dave hatte er ein sorgloses Leben geführt. Anwolfs und sein Leben war nicht ein Abgrund gewesen.


    Die Bedrohung schlich nicht tagtäglich durch die dunklen Flure und versuchte sie beide zu zerstören. Bei ihnen schwebte sie ehr unterschwellig mit. Oder besser gesagt bei ihm, denn Wolfi genoss Welpenschutz von Ansgar.


    Gleichgültig was der Kurze tat, es war richtig, wichtig oder nicht so schlimm. Seine Verfehlungen hingegen wurden seziert und bis ins kleinste Detail auseinander genommen.


    Kurzum er fühlte sich bestenfalls geduldet. Aber Linhard kannte ihr Blut und ihr Erbe. Und dies hieß, gleichgültig was er für seinen kleinen Bruder empfand, würde er nicht zuerst handeln und ihn töten, dann hätte er wohlmöglich sein Leben verspielt da Wolfi eine mächtige Gabe besaß und mächtige Verbündete aus der Familie auf seiner Seite hatte.


    Die Erfahrungen spukten Lin im Kopf herum.


    Sie widersprachen allerdings dem, was er vorhin im Quartier seines Vater gehört hatte. Und sie widersprachen Daves Versöhnungsversuch mit ihm und der Familie.


    Dave war vermutlich nur genauso gewohnt Ansgar zu gehorchen wie er selbst.
    Immerhin hatte er den Angriff abgebrochen, nachdem er ihn ausgelesen hatte wie ein Buch.


    Das ganze Durcheinander, die Seilschaften, die Ränke und die Taktiken innerhalb der Familie überforderten Linhard.


    Er konnte problemlos einen Mann oder mehrere niederkämpfen und er konnte ihnen dabei in die Augen schauen. Aber seine Familie bevorzugte versteckte Dolche die sie einem Feind in einem unachtsamen Moment in den Körper rammten, falls sie einen nicht vergifteten.


    Linhard strich sich fahrig über das Gesicht und legte sich auf die Seite.
    Er musterte Brandur und fragte sich, wie es der Mann geschafft hatte in dieser Familie selbst eine eigene zu gründen und zu beschützen.


    Mit Blick auf den Knochenkäfig der sie umgab fiel Linhard ein, dass es Brandur überhaupt nicht geschafft hatte.


    Er war "ermordet" worden, samt seiner Familie. Und selbst sein Mörder hatte es nicht geschafft, er war ebenfalls ermordet worden und zwar durch die Hand seiner Kinder.


    Linhard wurde schlecht bei der Erinnerung, dass er selbst seinem Vater seinen Degen an die Kehle gehalten hatte.


    Und der Blick seines Vaters sprach Bände... zur Not hätte er ihm, seinen eigenen Sohn, ohne zu zögern den Schädel eingeschlagen.


    War es verboten und vom Schicksal vorher bestimmt, dass er niemals mit seinem Bruder befreundet sein konnte?


    Endete es wirklich nie?


    Waren sie alle zum Scheitern verurteilt, nur weil vor Äonen von Jahren ein Kerl namens Dunwolf von Hohenfelde beschloss die Familie zu wahrer Stärke zu führen und ein Bündnis mit zwei weiteren Wahnsinnigen eingegangen war?


    Sie alle töteten ihre Geschwister um die Sippe zu gründen.
    Allen voran Dunwolf, er tötete seine beiden Brüder Arbogast und Kunradus um mit diesem Blutschwur die Sippen zu besiegeln.


    Hätte es ihn niemals gegeben, was wäre dann aus ihnen allen geworden?


    Nun die Schuld allein bei Dunwolf zu suchen war müßig. Jede Generation hätte den Wahnsinn beenden können. Aber dieser Wahnsinn währte so lange, dass er irgendwann mit dem Wort Tradition umschrieben wurde.


    Brandur, Dunwin und er selbst, sie würden es besser machen.


    Er würde Anwolf nicht töten, aber er würde sich auch nicht töten lassen.
    Notfalls... nun falls Vater auf alte Traditionen bestand, wäre er der Letzte der sie zu spüren bekam.


    Dann würde er ihm nicht nur den Degen an den Hals halten, sondern ihm den Kopf abschlagen, da er scheinbar eh nicht bereit war ihn zu benutzen.


    So sollte es sein.


    Es brachte nichts, sich über die Vergangenheit zu grämen. Ein uraltes Sprichwort besagte in der Vergangenheit zu leben, war die beste Möglichkeit sich die Zukunft zu verbauen.


    Linhard musterte erneut Brandur. Er hatte sich seiner angenommen, er duldete ihn nicht nur an seiner Seite, er hatte sogar darauf bestanden. Und er hatte ihm zu seinen Erben ernannt. Es war ein seltsames, fremdes Gefühl von jemanden dermaßen gemocht, gewollt und wahrgenommen zu werden.


    Lin schlug sich in eine Decke ein und schaute Brandur einen Moment an der von der Länge her vielleicht unziemlich war, aber er wollte sich das Gesicht seines Ziehvaters genau einprägen.


    Er hatte graue Augen, genau wie Ansgar und Dave. Nun das musste nichts heißen, denn selbst die beiden betrachteten die Welt völlig unterschiedlich.


    "Einen Kamin zu entzünden vermag ich. Ich müsste auch noch irgendwie tief in den Hosentaschen meine Zunderdose haben, samt einigen Rauchstangen. Unsauberkeit stört mich nicht, es sind andere Dinge die mich stören... gestört haben", schmunzelte Linhard und schloss die Augen.


    Mit jedem Flügelschlag den sie sich weiter von dem Herrenhaus entfernten, fühlte sich Linhard freier denn je.

  • Wolfram ritt ein Stück zur Seite und zog kurz eine Augenbraue hoch.


    "Willst Du mich vom Pferd stoßen oder was soll der Unfug? Gleich wirst Du mir sagen, ob Du mich in meinem Haus wiedererkennst? Es ist noch eine Ecke zu reiten Marlo", lachte Wolfram.


    "Aber sobald wir erst einmal da sind, werden wir uns von dem Ritt und von dem ganzen Stress erholen. Du kannst es Dir unten im Keller gemütlich machen, gemeinsam mit Kasimir oder Du suchst Dir eine andere gemütliche Ecke für Dein Bettzeug. Du kannst Deine Schlafmatte überall ausrollen, ich habe einige im Haus. Allerdings habe ich nur ein einziges Bett und das gehört mir.


    Mein Haus liegt in einem verborgenen Tal und es ist für mich eine wunderbare Behausung, falls nicht das schönste Haus auf ganz Asamura.


    Das abgelegenen Tal ist ein Ort der Ruhe und Entspannung. Man findet dort Wasserfälle, Bäche und eine vielfältige Blumenpracht für die ich verantwortlich bin. Ebenso findet man Dank der Blumen wo Schmetterlinge und Insekten. Und dank letzteren jede Menge kleine Singvögel.


    Eingebettet in diesem idyllischen Tal steht mein kleines Haus. Auf manche mag es zwar beengend wirken, jedoch ist es dafür umso gemütlicher. Und es ist liebevoll eingerichtet. Zudem ist alles vorhanden, was ich benötige.


    Das Tal befindet sich südlich des von Daijan. Wenn wir dort angekommen sind, wirst Du im Gebirge eine Art Höhle entdecken. Es handelt sich dabei aber nicht um eine Höhle sondern es ist der Eingang zu meinem abgeschlossenen Tal.


    Die Höhle ist der Durchgang zum verborgenen Tal. Einfach absteigen, die Pferde durchführen und so kann es betreten werden. Mein Haus ist also nur durch diese Höhle zu erreichen, oder per Luftweg. Den hat allerdings bis zum heutigen Tage nur eine Person eingeschlagen. Vermutlich wäre anderen Familienmitgliedern diese Art zu leben zu beengt, ich genieße den massiven, steilen Felsen um mein Haus samt Garten.


    Kurzum ich sehe den Felsen als Schutz meines Zuhauses, wir leben quasi eingebettet im Felsen mitten im Grünen. Wer kann das schon von sich behaupten?", grinste Wolfram.


    Wolf streichelte mit einem Finger Kasimirs Fledermausköpfchen.


    "Nein Dein Herr wird ganz gewiss keinen anderen Leibdiener einstellen. Ein Leibdiener genießt das besondere Vertrauen seines Herrn, ein Vertrauen dass nicht mal einigen Verwandten zuteil wird, oder gerade denen nicht. Ein Leibdiener hält jeden Morgen eine scharfe Klinge an die Kehle seines Herrn, das ist auch diesem bewusst. Würde er Dir nicht vertrauen, meinst Du er würde Dir dann so eine Macht über sich überlassen?


    Und so mancher Leibdiener hat seinen Herrn schon nackter gesehen als dessen Ehefrau, Geliebte oder sonstige Gespielinnen und Spielgefährten. Von den persönlichen Vertrautheiten was Geheimnisse, Sorgen und Nöte angeht, ganz zu schweigen Kasimir.


    Marlo hatte nicht vor eine Begrüßung mit einer medizinischen Behandlung gleichzusetzen. Ich hingegen setze ganz unbewusst die Pflege eines Leibdieners mit der Pflege einer Schwester oder eines Heilers gleich. Vermutlich da ich sie so lange erdulden musste.


    Gewünscht von einer vertrauten Person, ist dies sicher angenehm. Aber gezwungenermaßen von Fremden angefasst zu werden, ist nichts was man gerne über sich ergehen lässt. Man fühlt sich hilflos und ausgeliefert, das kann ich Euch versichern. Aus diesem Grund begann ich mich selbst zu pflegen nach meiner Genesung. Den Wert Deiner Dienste weiß ich dennoch zu würdigen Kasimir, ich weiß was Du für Deinen Herren leistet.


    Gerne meine beiden Bediensten dürfen mich ebenso beim Vornamen nennen, für mich klingt das freundlicher. Selbstverständlich werde ich nach Ankunft umgehend Brandur über Deinen Verbleib informieren. Hab keine Sorge, ich habe es Dir doch versprochen Kasimir", antwortete Wolfram gut gelaunt.

  • Marlo


    schaute zu Wolfram rüber.


    "Die Antwort ob ich dich vom Pferd stossen will spar ich mir. Gleich sobald wir da sind halt, machs nicht komplizierter als es ist Wolf. Lass uns den Weg über was schwatzen. Was du über dein Haus erzählst klingt gut. Einerseits ist so ein Haus in einen Talkessel sehr gut zu verteidigen. Eine Truppe kann gar nicht dein Haus stürmen. Die müssen durchs Nadelör und du kannst sie auf der anderen Seite erwarten. Aber wenn du selbst mal schnell fliehen musst, dann könnten deine Feinde genauso auf der anderen Seite warten und dich dort abfangen. Ich weiss nicht wie oft du dein Heim verlässt, wenn du vor Ort alles hast was du brauchst. Und wer überhaupt den Zugang zu deinen Zuhause kennt Wolf.
    Aber generell würde ich sagen, der Vorteil überwiegt. Wenn du ausreichend Vorräte hast kannst du eine ganze Weile eine Belagerung standhalten. Dann kannst du dich noch mit dem Garten versorgen. Hast du einen Brunnen oder sowas? Dann musst du dir um Wasser genauso wenig Sorgen machen. Wasser ist immer das wichtigste vor allen anderen Gütern. Ohne Wasser kann niemand überleben. Aber dass muss ich dir ja nicht sagen, du mit deinen Pflanzentick. Vermutlich würdest du nicht mal irgendwo wohnen, wo es nicht genug Wasser für deine Pflanzen gibt.
    Das ist nicht so, dass ich Pflanzen nicht mag, ich hab nur keine Ahnung von ihnen. In einen schönen Garten fühlt sich jeder wohl. Und der Zuhause wird nicht von uns, sondern von den Gärtnern gepflegt. Jeder geniesst es, aber keiner von uns weiss wie man sich um die Pflanzen kümmert. So ist das mit vielen Dingen. Wir haben nicht das Wissen, wir haben die Taler für die Leute die das Wissen haben.
    Drum werde ich garantiert deinen Garten geniessen und nutzen. Vielleicht helfe ich dir bei deiner Arbeit. Es kommt drauf an wie lange ich bleibe. Ansonsten mach ich mich anders nützlich. Es wird sich schon was finden. Ob Brandur deine Einladung annimmt? Was meinst du? Ich hätte gerne noch mit Dave wegen einen Job gesprochen, wie ich dir vorhin schon erklärt habe. Aber dazu ist es nicht mehr gekommen. Ich konnte weder ihm noch seinen Mann oder dem anderen Paar gratulieren. Ich dachte, Brandur wollte Dave gratulieren. Weshalb ist überhaupt der ganze Streit losgebrochen?
    In nächster Zeit wird es vermutlich Grabenkriege geben. Wer steht auf Seite von Ansgar und wer wird sich auf Brandurs Seite schlagen? Immerhin hat er genauso ein Recht auf die Erbschaft. Jedenfalls wenn Ansgar nicht mehr da wäre. Dann wäre alles sein Besitz. Das heisst wir müssen aufpassen wer sich mit wem verbündet Wolf und wir müssen überlegen auf welcher Seite wir in dem Krieg stehen werden. Oder bist du wie immer neutral? Es kann passieren, dass du nicht neutral bleiben kannst. Wenn deine Familie Partei ergreift und du nicht, hast du deine Leute, Ansgar und Brandur als Feinde gegen dich. Drum überleg dir gut, wen du deine Stimme schenkst. Wobei, ganz ehrlich, ich denke die anderen gehen davon aus dass du schon eine Seite gewählt hast.
    Ganz offen bist du mit Brandur angereist. Als Ansgar ihn anschiss hast du ihm beigestanden und zum Schluss hast du ihn mit Massimo gemeinsam zur Flucht verholfen. Es wird keiner davon ausgehen, dass du dich für Ansgar entscheidest. Und wolltest du dass, wird dir jeder unterstellen, dass du ein Spitzel bist. Ein Verräter für die andere Seite. Drum sei vorsichtig.
    Bleib lieber bei deine Wahl die du schon getroffen hast. Du kannst versuchen zu vermitteln, aber das wird schwer. Massimo könnte dir dabei helfen, ich kann es genauso. Aber mein Wort hat nicht die gleiche Macht wie das von dir oder Massimo.
    Zuhause hab ich genauso einen Leibdiener wie jeder andere Adlige. Aber wenn ich unterwegs bin, oder für meine Familie jemanden besuche, dann natürlich nicht. Das wäre schon komisch, auf einen Auftrag seinen Leibdiener mitzuschleppen. Aber ein Leibdiener ist was ganz privates, was intimes fast."


    Marlo behielt beim reden die Umgebung im Auge. Nicht nur die Verwandten könnten ihnen nachsetzen, es gab genug Pack auf der Strasse dass sie aufpassen mussten. Aber Marlo hatte keine Bedenken, dass er mit so einen Pöbel fertig werden würde und mit Wolfram an seine Seite sowieso.

  • Wolfram hörte Marlo aufmerksam zu.


    "Du hast vollkommen Recht, die Wahl einer Seite kann ich mir getrost schenken, ich habe bereits gewählt, als ich gemeinsam mit Brandur auf der Hochzeit erschien. Gut, ich hatte gehofft und bin davon ausgegangen, dass wir eine friedliche Lösung erreichen. Ansgar war zwar friedlich und sogar entgegenkommend, aber natürlich nicht ohne zu zeigen, wer Herr im Hause ist. Und dabei hat er leider etwas seine guten Manieren vergessen.


    Was wiederum verständlich ist, in Anbetracht der Tatsache, dass auf einmal sein angeblich verstorbener Großonkel in der Tür stand.


    Übrigens ein Anrecht hat Brandur faktisch auf nichts. Die gesetzliche Erbfolge lautet Eltern und deren Abkömmlinge, es sei denn, es ist testamentarisch etwas anderes vermerkt.


    Das bedeutet hätte Brandur Ansgar aus dem Weg geräumt, erben Ansgars Eltern, oder die anderen Abkömmlinge. Da Ansgars Eltern bereits tot sind, würde Dave alles erben.


    Da ich davon ausgehe, dass Ansgar ein Testament geschrieben hat, wird vermutlich ein Großteil Wolfi zufallen, ein weiterer Teil Fin und ebenso ein Teil Dave.


    Folglich hätte Brandur nicht nur Ansgar aus dem Weg zu räumen, sollte er den Familienthron besteigen wollen und das weiß auch Ansgar. Nicht umsonst hat Dunwin Brandur samt Familie und Kunwolf samt Familie ausgelöscht.


    Denk mal darüber nach Marlo.
    Die Hohenfelde sind nicht dafür bekannt, lose Enden zu hinterlassen.


    Ich wünschte es wäre anders und alle wären bereit über ihren Schatten zu springen. Sich gegenseitig etwas Vorschussvertrauen zu schenken, sich dabei gemeinsam hinzusetzen und sich gegenseitig zuzuhören.


    Allerdings bin ich immer noch der Auffassung, dass dies möglich ist. Dazu brauchen wir nur einige neutrale Personen, die die Streithähne auseinander halten und zur Not beruhigen. Selbstverständlich muss das von allen Beteiligten gewünscht sein.


    Es spricht nichts dagegen, dass Du Dave immer noch um einen Job bittest, sobald sich Dir die Möglichkeit bietet. Sollte Dave zusagen bietet sich damit uns die Möglichkeit, an interne Informationen über seine und Ansgars Pläne zu kommen. Und es würde sich uns die Gelegenheit bieten, etwas positiven Einfluss auf Dave zu nehmen. Er ist vernünftig und umgänglich, solange er nicht mit Ansgar gemeinsam agiert. Nicht umsonst hat er seine Familie verlassen, ebenso wie ich.


    Dort könnten wir einhaken und versuchen mit ihm zu verhandeln. Ihm liegt doch am Frieden und uns ebenso. Er könnte unser Sprachrohr bei Ansgar sein, sollte er sich dazu bereit erklären. Aber wir dürfen nicht mit der Tür ins Haus fallen. Du müsstest Dich langsam vortasten und ihm etwas auf den Zahn fühlen, wie er denkt und wo er gedanklich steht.


    Dort könntest Du dann ansetzen und mit ihm sprechen. Das wäre meine Vorgehensweise, da ein offenes Agieren im Moment viel zu gefährlich für alle Beteiligen ist. Kurzum wir müssen versuchen die Wogen zu glätten, ohne das einer mitbekommt, dass wir eingreifen.


    Was mein Haus anbelangt, für Wasser ist gesorgt. Es gibt im Tal einen Wasserfall und sogar einen kleinen Fluss. Also Wassermangel haben wir nicht und es ist ein recht geschütztes Klima in dem kleinen Tal. Ich liebe den Ort einfach", grinste Wolfram.

  • 'Wir waren schon immer verbunden, Dunwin, unsere Geschicke miteinander verwoben vom Tag unserer Geburt an. Wir waren geboren und wurden herangezogen, um uns gegenseitig auszulöschen. Selbst als ich allein im Exil weilte, warst du immer da, ich spürte jeden Tag die Auswirkungen deiner Macht. Es verging kein Tag, an dem ich nicht deinen Namen verfluchte. Du hast ihn mir auf Körper und Seele gebrannt. Und doch bin ich froh, dass du heute wieder bei mir bist, Brüderlein. Ich habe den Dunwin meiner Kindertage vermisst, auch wenn ich den Erwachsenen verabscheute wie sonst außer ihm nur Alastair selbst. Jetzt aber erinnerst du mich wieder an den jungen Dunwin, jenen, der mir so sehr fehlte, den Alastair mir genommen hat, zusammen mit Kunchen und allen anderen.'


    Brandur musste an den durchlöcherten Leichnam denken und er konnte nicht verhindern, sich vorzustellen, wie Dave auf ihn einstach, auf seinen kleinen Bruder, wie er seinen Körper durchlöcherte, den Ansgar nun wie eine Trophäe im Keller aufbewahrte, sich an ihm ergötzte, sich über ihn lustig machte. Sein Gesicht erschlaffte vollkommen und wurde ausdruckslos.


    Lin war es, der ihn aus seinen finsteren Gedanken riss. Vielleicht, weil er bemerkte, dass sein Großonkel abdriftete. Gut gelaunt erklärte er ihm, dass er durchaus in der Lage war, ein Feuer zu entfachen. Brandur merkte, wie der Junge gegen den Schlaf ankämpfte, für ihn war das vermutlich alles wie ein großes Abenteuer. Er ahnte wahrscheinlich nicht, wie Ernst die Lage tatsächlich war. Das ungestüme Feuer und der Optimismus der Jugend ... Brandur hätte sich gewünscht, dass er Lin nicht genau das austreiben müsste, um ihn zu stählen für das, was kommen würde. Dass er ihm eine Umgebung bieten könnte, in der er einfach frei leben konnte. Doch das würde erst der Fall sein, wenn die letzten Mitglieder der alten Generation von Hohenfeldes nicht mehr waren. Aber er würde zumindest dafür Sorgen, dass es Linhard dabei gut ging, dass er darunter nicht zerbrach, sondern dass es ihn härtete und er daran wuchs - und er vielleicht sogar Spaß daran hatte. Er hätte gern Linhards Abenteuerlust stattgegeben und sich weiter mit seinem Zögling unterhalten, der ihn übermüdet und doch putzmunter ansah. Aber er konnte nicht mehr. Die Erinnerungen an den zerstörten Körper seines kleinen Bruders waren zu erdrückend, ebenso die Wut, die er auf Dave und Ansgar empfanden, weil sie ihn ermordet hatten.


    "Schlaf jetzt", befahl Brandur barsch und drehte sich um.

  • Dunwin schwieg einen Moment, bevor er von sich aus das Wort ergriff.


    „Dave… nun ich antworte Dir bevor Du fragen musst Linhard…
    Dave betrifft ausschließlich mich…
    Es ist eine Sache zwischen ihm und mir… und ich wünsche sie zu klären…


    Aber dennoch sollt Ihr wissen was geschah…


    So einen Tod habe ich nicht verdient Bruder?
    Das mag sein… denn letztendlich erlöste er mich damit… ich hätte Schlimmeres verdient…
    Denn… ich tat weitaus Schlimmeres…


    Ich tötete ihn nicht nur… ich tötete ihn Stück für Stück… bei jeder Bestrafung ein Stück mehr…
    Und dennoch ließ ich ihn leben…


    Seinen Hass habe ich mehr als verdient…
    Das was Du für unnötige Brutalität hältst Bruder… habe ich ihm Jahrzehnte lang angetan…


    Ihm und seinem Bruder… aber vorrangig ihm… da er stets schwieg…
    Da er sich auf diese Art meiner Macht widersetzte…


    Was ich tat?


    Ich schlug ihn… quälte ihn... misshandelte ihn...
    Schlug ihn grün und blau…
    Schlug ihn zusammen, brach ihm die Knochen… bekämpfte ihn wie einen Feind… einen Mann…
    Aber er war nur ein Junge…


    Kein Kind hat das verdient was ich ihm antat…


    Ich war nicht nur als Vater abwesend…
    Ich habe weitaus Schlimmeres getan…
    Ich war als sein Foltermeister zugegen…
    Und manchmal nicht einmal das...


    Ich war als sein Verräter anwesend, wenn ich Dave schutzlos meinen Kameraden zum Spielen überließ… und sie ihn statt meiner quälten und zusammenschlugen…
    In meinen Augen nicht meinen Sohn… sondern den Magier… den Feind…


    Eines dieser scheinbar so mächtigen Wesen – das dann vor Schmerzen wimmernd vor anderen im Staub kroch und nicht mal mehr den Blick hob aus Angst…


    Oder wenn ich ihn an sie verlieh…
    Es mir gleichgültig war was sie ihm antaten… und ich mir denken konnte was es war… wenn er sich vor Schmerzen und Angst nicht mehr bewegen konnte…
    Ausgesprochen hat er es nie… aber ich wusste es…
    Ich wusste wozu sie ihn benutzen… und wie sie ihn benutzen…


    Und das tatsächlich Perfide daran war nicht mein Wissen… sondern das es mir gleichgültig war…


    So unsagbar gleichgültig…


    Ich habe meinen Sohn vor langer Zeit getötet… ohne dass er starb…
    Über Jahrzehnte hinweg… er hingegen war fast noch gnädig… in seiner Wut… in seinem Hass…


    Die Tortur hätte Alastair verdient und nicht Dave und nicht Ansgar…


    Ausreden hatte ich viele…
    Hass auf Alastair… sie waren gewünscht… wieso ich nicht?
    Wenn sie die Magie verlieren würden, könnte ich sie akzeptieren?


    Dumme Fragen… unnötige Fragen…
    Schlussendlich blieb nur eine Wahrheit… irgendwann habe ich ihre Angst genossen…


    Ich hasste Alastair so sehr, dass ich Angst in den Augen von ihm… von Magiern sehen wollte…
    Und in ihren Augen, in Ansgars und Daves Augen sah ich mehr… Todesangst… Panik…


    Und ich habe es genossen…


    Ich mag vieles gewesen sein… aber ein Vater war ich ihnen nie…
    Ich habe nicht begreifen wollen was ich ihnen antat… zu was ich selbst wurde…
    Was ich letztendlich für ein Wesen geworden war...


    Mit meinem Tod verlor ich nicht nur mein Leben…
    Mit dem Verlust alles Weltlichen verlor ich die Einflüsterungen von Alastair…
    Ich war blind durch Alastairs Macht über mich…


    Und schlagartig sah ich das erstmal wer und was ich wirklich geworden war durch seine Hand…
    Und durch mein eigenes Dazutun…
    Ich sah zu was er mich geformt hatte und ich mich formen ließ...
    Und es widerte mich an…


    Ich würde es ungeschehen machen… wenn ich könnte…
    Daves Tod… Ansgars Tod… Kunwolfs Tod…


    Und auch Deinen Tod Bruder…


    Ich würde sie alle ungeschehen machen…
    Bis auf den einen Tod nicht, den würde ich verlangen… den Tod von Alastair…


    Ich erwarte keine Absolution von Dave…
    Ich erwarte nicht einmal Verständnis…
    Ich möchte nur dass er weiß… dass ich verdreht war...
    Das ich nicht ich selbst war... und es nicht mehr bin…


    Bevor ich sie, meine Söhne verlor, habe ich vor langer Zeit mich selbst verloren...


    Vor allem möchte ich, dass er ehrlich zu sich selbst ist…
    Kann er sein Kind nicht lieben… darf er es nicht zeugen.
    Er muss verzichten... für das Kind und für sich…
    Kann er noch lieben… dann soll er es besser machen als ich…


    Dies und noch einiges andere möchte ich ihm sagen…


    Und ich werde Wiedergutmachung leisten…
    Nicht an ihm… er wird es nicht zulassen… aber an Dir Linhard…


    Dein Vater wie auch Dave fürchteten mich nicht grundlos…
    Und sie trennten uns nicht grundlos Linhard…


    Also richtet nicht über Dave und darüber wie er mich richtete…
    Ich selbst vergebe ihm dies… ich hätte weitaus Schlimmeres verdient…“,
    erklärte Dunwin leise.

  • Er hätte Dunwin stoppen können, als dieser unbarmherzig die Details seiner Grausamkeit darlegte, das Martyrium seiner Söhne, dass er selbst zu verantworten hatte. Er war ein Geist und stand unter seiner Kontrolle als Nekromant. Doch Brandur tat nichts, so wie er auch damals nichts getan hatte, obwohl er genau gewusst hatte, was sich in den Räumen des Herrenhauses abspielte. Die Schreie von Dunwins misshandelten Kindern waren durch Wände und geschlossene Türen gedrungen, also hatte Brandur musiziert, damit sie nicht an seine Ohren drangen. Auch jetzt summte er vor sich hin, während Dunwin beichtete. Für Linhard musste die Situation obskur wirken. Vielleicht bekam er nun Angst, vielleicht wurde er wütend, vielleicht würde er sich fragen, weshalb er mit diesen beiden irren alten Männern mitgegangen war.


    Brandur jedoch konnten die Worte nichts anhaben. Er war gedanklich überhaupt nicht anwesend. Er blickte durch die Rippenbögen des künstlichen Drachen hinaus in die Nacht, betrachtete die unter ihnen vorbeiziehenden Berge und über ihnen die Sterne, die sich mit Dunwis Flügelschlag zu heben und zu senken schienen, als würde der Himmel atmen. Brandur träumte. Er träumte nicht von der Vergangenheit und nicht von der Zukunft, sondern von Dingen, die nie geschehen waren und nie geschehen würden.


    Er rannte bar aller Schmerzen den Himmel hinauf, die Wolken zogen auseinander wie Vorhänge und offenbarten, dass Meer und Himmel eins geworden waren. Sterne zu allen Seiten. Es gab keinen Horizont, kein Oben und kein Unten. Brandur stieß sich vom Wind ab, sprangt und flog wie ein Harpyr. Daibos und Oril kreisten als Kometen um ihn, der rote und der weiße Mond zogen Streifen aus Licht, die sich mit der Nacht vermischten. Brandur suchte seine Burg, die zwischen Himmel und nicht mehr existenter Erde schwebte und die Monde bemalten sie mit rotem und weißem Licht. Es war keine Nachtburg mehr, sondern ein Schloss aus Licht gebaut. Brandur konnte durch die Wände fliegen, die auch ihn Licht werden ließen und plötzlich bemerkte er, dass er gar nicht allein war, sondern jene, die er totgeglaubt hatte, bei ihm waren. Sie waren Kometen, so wie er, ihre Funkenschweife malten einen falschfarbigen Regenbogen durch die Ewigkeit, der jäh abriss.


    Dunwins Stimme verstummte. Das Licht zerbrach wie ein Spiegel, in den man mit der Faust hineingeschlagen hatte und der in Scherben von der Wand fiel.


    Brandur fuhr hoch. Er sah sich um und war für den Augenblick orientierungslos, brauchte einen Moment, zu begreifen, warum Finsternis ihn umfing, warum Gerwolf in Decken eingeschlagen neben ihm lag und warum Dunwin nicht mehr mit ihnen sprach. Er fuhr sich über das Gesicht und begriff. Das war nicht Gerwolf, sie waren niemals Licht gewesen und Dunwin war tot.


    Erschöpft ließ er sich wieder in die Decken sinken. Die Realität war wie ein drückendes, kaltes, schweigendes Grab, in dem er lag. Mit den Augen suchte er nach der Stelle, wo er mit dem Schuh von innen gegen den künstlichen Brustkorb getreten hatte, der sie umschloss. Er zog sein Stofftaschentuch aus der Manteltasche und wischte den Abdruck fort. Er polierte den Knochen zu lange, bis er alabastergleich glänzte. Vor sich hin starrend legte er das Taschentuch wieder zusammen und steckte es ein. Ohne etwas zu sagen und ohne etwas zu fühlen lag er da und blickte ins Nichts der Gegenwart, darauf wartend, dass sie endete.

  • Linhard setzte an etwas zu erwidern, aber kein Ton kam über seine Lippen. Er fühlte sich wie betäubt. Dunwin hatte mit seinen Worten einen Schleier weggerissen, der über der Realität gelegen hatte.


    Am Rande des Schleiers hatte Linhard öfter diese Dunkelheit wahrgenommen. Etwas das am Rande der Realität lauerte und nur darauf wartete dass man einen zu langen Blick riskierte. Sein Vater war es gewesen, der sich stets in sein Blickfeld schob um ihn davor zu bewahren.


    Schaut man zu lange in den Abgrund, dann schaut er in Dich zurück...


    Ansgar hatte weder Wolfi noch ihm je einen Blick in den Abgrund gestattet. Er hatte eine Gefahr erwähnt, er hatte sie ermahnt und beschützt, aber den Abgrund selbst hatte er weder beim Namen genannt, geschweige denn beschrieben.


    Andeutungen, halbe Erklärungen, Gesten, Dinge die er vorher nicht verstanden hatte, die er weder zuordnen noch begreifen konnte, ergaben auf einmal einen Sinn für Linhard. Dunwin hatte ihm das letzte Puzzlestück gereicht und damit sah Linhard nun das Gesamtbild. Und was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Linhard schlang die Decke fester um sich, denn ihm war schlagartig kalt.


    War Dunwin zu einem Monster geworden um sein eigenes Monster zu jagen oder um diesem Monster zu gefallen? Am Ende möglicherweise sogar beides? Damit er es erlegen konnte? Linhard wusste es nicht.


    "Was Du getan hast, ist so ungeheuerlich wie unverzeihlich Großvater!", zischte Linhard leise.


    Er benötigte einen Moment um sich zu sammeln.


    "Weder Dave noch Ansgar werden Dir das je verzeihen. Aber Dein Begreifen wie Einsehen der Tragweite Deiner Schuld, dass musst Du ihnen gestehen, sollte Deine Reue wahrhaftig sein.


    Dein Geständnis wird Dir nichts einbringen, aber den beiden.


    Du wirst keine Absolution erhalten, das ist richtig, aber die beiden erhalten eine Erklärung und ich hoffe sie erhalten eine Entschuldigung. Trotz der Tatsache, dass sie diese ausschlagen werden.


    Wiedergutmachung werden sie garantiert nicht zulassen. Was könntest Du auch tun, dass so etwas wieder gut macht Dunwin?


    Du warst zu mir eine völlig andere Person, ich weiß nicht warum, aber ich spürte Deine Zuneigung und ich spüre sie immer noch.

    Wer bist Du wirklich? Für Brandur und mich hoffe ich, der Dunwin den wir gerade erleben durften. Und nicht jener Mann eine Maske aus Grauen trägt. Vielleicht war Deine Seele unter Tonnen von seelischem Dreck begraben, den Alastair über Euch ausgekippt hat. Aber das gab Dir niemals dazu das Recht, was Du getan hast.


    Allerdings gab das Erlebte meinem Vater auch nicht das Recht, mich für Dich leiden zu lassen.


    Trotz all dem, möchte ich Dich als die Person kennenlernen die Du nun bist. Ich denke Brandur sieht das genauso. Du schuldest mir nichts Dunwin, überhaupt nichts. Deine Schuld hast Du bei Brandur zu begleichen.


    Meine Treue gilt ihm. Falls Dir was an mir liegt, unterstütze ihn als meinen Ziehvater, so wie Du es versprochen hast.


    Du warst nie mein Feind und Vater nie mein Freund", antwortete Linhard leise.


    Lin beobachtete Brandur bei seinem Treiben, wie er die Stelle polierte, die er vorher mit dem Fuß vor Schmerzen malträtiert hatte. Er rutschte zu Brandur auf und deckte ihn vernünftig zu. Linhard ließ seine Hand auf Brandurs Schulter liegen, als Zeichen dafür, dass er für ihn da war.

  • Gemeinsam waren sie einige Tage trotz ihres strammen Rittes unterwegs ehe sie Daijan erreichten. Einen weiteren Tag benötigten sie um an die Ausläufer des Gebirges zu gelangen, dort wo versteckt Wolframs Haus stand.


    Während der Reise hatte Kasimir gut geschützt in Wolframs Robentasche ausgeharrt. Hier konnte ihn kein Sonnenstrahl erreichen, aber er musste in seiner Fledermausgestalt bleiben. Anders war es nicht möglich, da sie nicht nur über Nacht reisten.


    Endlich hatten sie den Zugang zu Wolframs Haus erreicht. Ohne das Wissen um den Durchgang, wäre Marlo vermutlich vorbeigeritten.


    Wolfram stieg von seinem Pferd ab und gab seinem Begleiter ein Zeichen es ihm gleich zu tun. Vorbei an zwei alten Baumstümpfen führte er sie in eine scheinbare Höhle. Sie stellte sich allerdings als Gang heraus. Wolfram führte Marlo immer weiter und nach einigen Minuten Wanderung, in der Wolfram sie nur führte indem er an der Höhlenwand entlangtastete sahen sie vor sich Licht.


    Wolf führte sie in das Tal hinein und grinste Marlo gut gelaunt über beide Ohren an. In einer allumfassenden Geste breitete er die Arme aus.


    "Zuhause", war sein glücklicher Kommentar.


    Das Haus lag wie bereits von Wolfram vorher erwähnt in einem verborgenen Tal.
    Marlo sah dort Wasserfälle, Bäche und eine vielfältige Blumenpracht. Eingebettet in diesem idyllischen Tal stand Wolframs kleines Haus.


    Müde aber glücklich ging er auf sein Haus zu und wurde direkt von Margot und Beaunois empfangen.


    "Wolfram Du warst lange fort, ist etwas geschehen? Ich vergesse meinen Umgang, willkommen Zuhause Wolfram und Euch willkommen im Hause meines Herrn werter Herr", grüßte Beaunois Wolfram und Marlo und nahm ihnen die Pferde ab.


    "Von mir ebenfalls willkommen Daheim, Wolfram und werter Herr. Ich werde umgehend Kaffeewasser für Euch aufsetzen und Euch eine Mahlzeit bereiten. Mit Verlaub Ihr seht wirklich sehr müde aus", fügte Margot freundlich an.


    "Danke Ihr Lieben. Ein Kaffee und etwas zu essen wäre wunderbar. Danach würde ich gerne ein Bad nehmen. Beaunois sei so gut und lass mir Wasser ein. Marlo möchte sich sicher auch erfrischen.


    Wir sehen nicht nur müde aus, wir sind tatsächlich sehr müde. Nun die Hochzeit ist leider nicht so verlaufen, wie wir und das gewünscht hätten. Dazu Näheres später beim Essen. Bereite bitte die Betten vor Margot.


    Wir benötigen zwei Gästebetten im Keller, da Kasimir, Brandurs Leibdiener, ebenfalls unser Gast ist. Er verweilt gerade in meiner Robentasche, aufgrund seiner Sonnenempfindlichkeit.


    Ich werde zuerst Baden gehen, danach werden wir Kaffee trinken und speisen. Marlo sei mein Gast so lange Du möchtest. Wie sagt ein altes Sprichwort - fühl Dich wie Zuhause, nur benimm Dich nicht so", grinste Wolfram.


    Er klopfte Marlo gut gelaunt auf die Schulter und betrat dann das Haus. Wolfram begab sich unverzüglich in den Keller und setzte Kasimir dort behutsam ab.


    "Hier bist Du sicher. Im Keller erreicht Dich keine Sonne. Fühl Dich wohl Kasimir. Nach dem Bad, werde ich umgehend Brandur über Deinen Verbleib informieren. Ich brauch einen Moment zur Erholung und da wirkt ein warmes Bad Wunder. Wir sehen uns später Kasi", erklärte Wolfram freundlich und ging wieder nach oben.


    Wolf suchte umgehend seinen Bereich auf, schnappte sich seine Badeutensilien und ging hinter das Haus, wo Beaunois den Zuber bereits mit warmen Wasser gefüllt hatte. Wolfram entledigte sich seiner Kleidung und ließ sich ins warme Wasser gleiten. Müde schloss er die Augen und döste etwas vor sich hin.


    ***


    Wolframs Haus Nähe Daijan:


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  • "Du verkraftest diese Informationen erstaunlich gut", stellte Brandur nüchtern fest. "Ob Dunwin bei seinen Söhnen um Vergebung heischen mag, muss er allein mit sich ausmachen. Sie waren jene, die das erlittene Unrecht mit eigenem Unrecht vergolten haben und den Kreis fortführten, Alastairs Lebenswerk, das Ziel, uns gegenseitig möglichst grausam zu vernichten. Wer ist Ansgar, als ein weiterer Vater, der seinen Sohn nicht lieben kann, weil ihm die Gabe fehlt? Wer ist Davard, als ein weiterer Sohn, der seinen eigenen Vater schlimmer zurichtete als ein Schlachter eine Sau? Du hast Dunwins Leichnam nicht gesehen, Linhard.


    Obgleich ich ein gewisses Maß an Verstehen für Dunwins Söhne einräumen muss, da ich gleichsam ein Gezeichneter bin, vertrete ich dennoch nicht die Auffassung, dass Dunwin ihnen irgendetwas schuldet. Sie sind nichts als weitere Vollstrecker von Alastairs Willen. Nichts macht sie besser oder ihre Schuld geringer, außer vielleicht der Umstand, dass Ansgar seine Söhne nicht seinen Freunden zum Spielen vorwirft, was aber nicht Ausdruck einer emotionalen Regung sein muss, sondern allein dem Umstand geschuldet sein könnte, dass er keine entsprechenden Freunde sein Eigen nennt.


    Du bist der erste, Linhard, dem es gelang, aus eigenem Antrieb die Dunkelheit hinter dir zu lassen. Das macht dich zu etwas Besonderem. Ich und Dunwin werden dir den Weg ebnen, auf dass es so bleibt. Ich werde nicht zulassen, dass das Blut deiner Nächsten an deinen Händen kleben wird, wie dein Vater es dir vorherbestimmt hat."


    Er griff nach der Hand, die auf seiner Schulter ruhte. Trotz der Kälte war sie warm, die Haut straff und glatt, die Finger kraftvoll vom Waffentraining. Brandurs Hände hingegen waren die eines alten Mannes, rau und rot von der ständigen Kälte, in der er lebte, die Finger geschwollen, was es zusehends schwerer machte, seine Kunst sauber auszuüben. Er drückte kurz die Hand seines Neffen.


    "Du wirst jener sein, der den Namen unserer Familie reinwäscht, Linhard.


    Er ließ die Hand los und drehte sich so, dass sie von ihm herunterrutschte.


    "Und jetzt schlaf, wie es dein Onkel angewiesen hat! Es ist noch ein weiter Flug und wenn wir ankommen, möchte ich dir die Nachtburg zeigen."