Die Villa Zitronengelb lädt zum Feste

  • In der Villa Zitronengelb war der lecker-süssliche Geruch bis in die kleinste Ecke zu erschnuppern. Wollte der Ursprung dessen aufgespürt werden, brauchte der neugierige Besucher bloss den Zinken in die Luft zu strecken und der lockenden Duftnote durch die Gänge zu folgen.
    Auf seinem Weg würde er viele Türen passieren, hinter denen sich ein bunter Haufen an Gestalten tummelte.
    Ein Blick ins Studierzimmer offenbarte eine hitzige Debatte alleine darüber, ob das centaurische Amulett, welches vor ihnen auf dem massiven Eichentisch lag, denn nun eine Fälschung sei oder einer alten Tradition entsprang und das Volk der Centauren unter seinem Träger einigen könnte. Schwere Buchbände und mehrere Pferdelängen Pergament unterstützten die drei völlig unterschiedlichen Personen in ihren Nachforschungen.
    Während Nicolai sich sicher war, dass seine Freundin auf dem Schiff eine wahrhaftige Entdeckung seines Volkes gemacht hatte, behauptete der Dekan steif und fest, es mit einer plumpen Fälschung zu tun zu haben.
    „Es hahandelt sich dabei eindeutig um archaische Symbole!“, stotterte der Raktaure empört, als er die herablassende Aussage des Farisins vernommen hatte. Dabei schwang sein Schweif fahrig umher und wischte versehentlich einige lose Papiere zu Boden. Schnell bückte er sich, um die wertvollen Schriften aufzuheben, wobei ihm seine Brille von der Nase rutschte. Gerade noch konnte er das zerbrechliche Glas vor dem Aufprall am Boden erretten.
    „Meine Herren“, mischte sich da die Älteste ein und versuchte die beiden Hitzköpfe zu beruhigen, denn vor allem einem Wutausbruch von Danilos wollte sie in einem Zimmer voller Bücherregale vorbeugen, „ich bin mir noch unsicher, wie es sich mit dem Amulett verhält. Doch wenn sogar uns dieser Talisman über eine womögliche Fälschung hinwegtäuscht, sollten wir uns überlegen, was mit diesem Fundstück alles bewerkstelligt werden könnte. Ein Zusammenschluss aller Centaurenstämme! Ich wünschte, ein solches Relikt würde auch das Volk der Tamjid einen.“
    „Es sollte besser überdacht werden, wem daran gelegen ist, eine offensichtliche Fälschung zu platzieren und was er damit verfolgt!“, meinte der Farisin und seine Zunge zischelte dabei zwischen dem Echsenmaul hervor. Sogleich nahm die Diskussion zwischen den beiden Männern über den Wert des Gegenstands wieder seinen Lauf. Der beobachtende Besucher konnte im Vorbeigehen gerade noch einen Blick auf die Älteste Khaoula erhaschen, die genervt die Augen verdrehte und sich wieder dem Studium der Texte widmete.


    Doch weiter lockte der süsse Geruch, zu welchem sich nun auch noch unterschiedliche Gewürznoten hinzugesellten. Zimt, Anis, Nelken, Kardamom und auch Vanille.
    „Iiihh, raus mit dir“, war da ein wütendes Kreischen zu hören und im nächsten Moment flüchtete aus einem weiteren Zimmer eine skeletterne Katze, die einige schneeweisse Federn zwischen ihrem knöchernen Gebiss trug.
    „Was sollte denn das bitteschön? Meine wunderschönen Federn! Ihr habt gesagt, das Vieh sei harmlos. Doch das nenne ich eher tollwütig!“, die Harpyie zeigte entsetzt auf ihren linken Flügel, wo, für ein fremdes Auge kaum wahrnehmbar, einige Federchen fehlten.
    „Ihr solltet euch besser verarzten lassen. Es sieht nicht gut um Euch aus“, kommentierte die ruhige, kühle Stimme aus einem Sessel in der Nähe des flackernden Kaminfeuers.
    „Ich entschuldige mich für das Verhalten meines Haustiers. Normalerweise verhält es sich ruhig. Doch Euer bezauberndes Federkleid scheint seine Jagdinstinkte wiedererweckt zu haben“, Yeriels Gesichtsausdruck strafte die Worte jedoch Lügen. Ein schelmisches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, das die Harpyie in ihrer Aufregung jedoch nicht bemerkte. Hingegen der junge Mann Farrinur, der bereits den ganzen Abend um die Frau im Federkleid herumscharwenzelte und Madame Iolanthe nun empört anfunkelte. In seinen Augen war Ilvara nämlich das atemberaubendste Lebewesen, das ihm jemals untergekommen war.
    „Ich werde Euch zur Ältesten begleiten, ich habe gehört, dass sie sich mit der Heilkunde auskennt. Ihr solltet Euch besser von ihr untersuchen lassen“, meinte er besorgt und geleitete die Harpyie galant aus dem Zimmer ohne die Nekromantin im Sessel noch eines Blickes zu würdigen. Diese hingegen liess sich genüsslich in den weichen Stoff zurücksinken und schloss zufrieden die Augen. Endlich war sie das Geschnulze dieses Kerls und seiner Angebeteten los. Das konnte ja niemand aushalten!


    „Achtuuung, aus dem Weg!“, das helle Kinderlachen tönte durch den Flur und liess die Bewohner schmunzeln. „Schneller Emilia, sie holt uns gleich ein!“
    Gerade noch konnte der verdutzte Besucher zur Seite weichen, als der sandfarbene Löwenkörper durch den Flur geprescht kam. Die grünen Katzenaugen funkelten vor Freude genauso wie die blauen Kinderaugen des Mädchens, das sich am Nackenfell der Löwin festklammerte.
    Wie in Zeitlupe konnte der Gast nun beobachten, wie die Raubkatze an ihm vorbeirauschte, direkt auf die Wand zu. Im letzten Moment bremste die Gestaltwandlerin, um die scharfe Rechtskurve noch zu kriegen. Dabei streifte sie jedoch die Blumenvase auf dem Stehtischchen, welche in hohem Bogen zu Boden ging und den Inhalt mit einem lauten Klirren auf dem Flur verteilte. Im selben Augenblick huschte ein obsidianfarbener Schatten an dem Besucher vorbei. Auch Lysa hatte die Verfolgerin bemerkt. „Atri holt auf“, kreischte sie ihrem Reittier zu und beobachtete, wie das Düsterlingsweibchen auf allen Vieren laufend mit einem Grinsen im Gesicht näherkam. Doch das Kind war nicht auf den Kopf gefallen; eine kurze Handbewegung reichte aus, um dem zuvor ausgeleerten Wasser einen magischen Schubser zu verpassen, so dass es mit einem Klatschen mitten im Gesicht des Staubteufels landete. Ein Fauchen war zu hören, gefolgt vom Glockenklang der Kinderstimme, dann war das rasante Trio auch schon um die Ecke verschwunden. Verwundert schüttelte der Besucher sein Haupt und setzte die Wanderung durch die Villa Zitronengelb fort, darauf bedacht, nicht den Weg für turbulente Verfolgungsjagden zu blockieren.


    Merklich nahm der Duft zu. Inzwischen roch es nicht mehr nur nach süssen Keksen und Schokolade, sondern auch nach Pastete, Sauerkraut, Fisch, diversen Gemüsesorten und gerösteten Insekten.
    Was der Gast nicht wissen konnte war, dass noch zwei fette Kühe und extrafrischer Käse aus dem Wychtelgebirge erwartet wurden. Erstaunt blieb der Besucher vor einem mächtigen Durchgang stehen, der in einen Raum führte, der grösser war, als die vorigen. Neugierig wurde der Kopf hineingestreckt. Runde Tische in allen Grössen und Höhen standen darin herum, umgeben von genauso diversen Stühlen. Manche aus Holz, andere aus Stein, solche mit weichen Sitzpolstern, andere mit Leiterstufen an der Seite, damit auch kleinere Gäste die Sitzgelegenheiten erklimmen konnten. Zwischendrin wuselten drei Gestalten herum und bemühten sich, die ganzen Teller, Bestecke und Dekorationen zu verteilen.
    „Also ich finde, hier müssen unbedingt mehr bunte Kugeln aufgehängt werden“, befand Astroides und betrachtete kritisch den Raum, in welchem sie bereits unterschiedlichsten Krimskrams verteilt hatte, der womöglich nicht von jedem als dekorativ betrachtet werden würde. Mit einem fähigen Lehrer hatte es sich für die Shezem als einfach erwiesen, ihre Landgängergestalt zu nutzen, weshalb sie auf ihren rot-weiss-gestreiften Füssen barfuss durch den Raum tänzelte, so dass ihre Ketten und Armbänder fröhlich klimperten.
    „Kolbakur, schieb bitte den Tisch noch etwas mehr in die Mitte, sonst wird es schwierig, dich und Nicolai daran unterzubringen“, kommandierte Kosima unterdessen den riesigen Raktauren selbstbewusst herum. Sie hoffte, dass der Süssfisch Lahiko und das Haimaul Shocai bald eintrudelten, um für Unterhaltung und Betreuung der Gäste zu sorgen. Der ehemalige Sklave liess dies nur allzu gern mit sich geschehen, beruhigten ihn doch gewohnte Strukturen. „Kolbakur, bitte bring mir doch einen Eimer Wasser! Dann kann ich Seifenblasen und Wasserblasen im Raum verteilen! Sie werden über uns unter der Decke schweben, das wird einfach traumhaft aussehen!“
    Der Raktaure stapfte gehorsam davon, um die Wünsche der beiden Ladys zu erfüllen. Zwei Stunden später sollte der Raum von warmem Kerzenschein erfüllt sein, der sich in den schwebenden Seifenblasen spiegelte und die verspieltesten der Hausbewohner dazu einlud, lustige Luftsprünge zu unternehmen, um die Blasen mit einem sanften „Plop“ zum Platzen zu bringen.


    Langsam konnte der Besucher erahnen, dass hier Vorbereitungen getroffen wurden für einen grösseren Anlass. Unverkennbar herrschte eine aufgeregte Stimmung vor, die sich bei den einen durch Tatendrang, bei anderen durch pure Freude und bei wieder anderen… durch Gereiztheit verdeutlichte.
    Lautes Schimpfen und fürchterliches Fluchen waren aus einem weiteren Raum zu vernehmen. Es musste einfach die Küche sein, denn die diversen Duftnoten ballten sich an diesem einen Ort zusammen und verschmolzen zu einem Feuerwerk aus Gerüchen. Der neugierige Besucher wollte sich gerade der Türe nähern, als diese mit einem lauten Knall aufgestossen wurde und ein grosser Tiefling mit wütender Miene herausstürmte. Er trug eine Kochschürze, was so gar nicht zu seinem sonstigen Erscheinungsbild passen wollte.
    „Und pass auf, dass die Holzscheite auch ja trockn sind! Sonst müssn wir wieder den Dekan rufn, um das Feuer zu entfachn! Und mach dir gefälligst diesmal die Schuhe sauber, bevor du wieder die Küche betrittst, Orobas!“, die krächzige Stimme gehörte der Zwiebelhex, welche mit einem hölzernen Kochlöffel neben einem riesigen Kochtopf stand.
    „Die Jugend heutzutage!“, brummte sie zu Rósa hinüber, welche gerade mit kräftigen, ruhigen Bewegungen einen Brotteig durchknetete. Diese verzog bloss in einer stummen Geste das Gesicht, denn sie empfand Schrulla nicht gerade als angenehmere Gesellschaft. Vor allem nachdem sie darüber diskutiert hatten, dass nicht jedes Gericht mit Zwiebeln zubereitet werden musste. Zwiebelsalat, Zwiebelsuppe, Zwiebelkuchen, Zwiebelsosse, Zwiebelpudding, Zwiebelkekse, geröstete Zwiebeln, gebratene Zwiebeln, gedünstete Zwiebeln,… es gab nichts, was es nicht gab!
    „Hach, mein Rücken schmerzt langsam von Rühren… Wenn Orobas zurück ist, soll er gefälligst Zwiebeln schneiden. Die Suppe könnte noch einige davon vertragen!“
    Im selben Moment schaute die Norkara auf und bemerkte den Besucher an der Tür. Ein Blick in ihre Miene verdeutlichte dem Gast, dass er hier keinen Zutritt hatte und er wandte sich augenblicklich ab, bevor er eine grössere Schelte von den Frauen erhalten würde.


    Bei seinem Rückzug bemerkte er die offene Haustür, bzw. eher das Tor, das Orobas in seinem Zorn wohl nicht geschlossen hatte. Die frische Luft lockte den Gast nach Draussen, denn in der Küche war es hitzig zu und her gegangen.
    Die Villa Zitronengelb machte ihrem Namen alle Ehre, was sie wohl Floh zu verdanken hatte. Mit grosser Begeisterung hatte die Goblin jede einzelne Zinne bemalt und es sich nicht nehmen lassen, zwischendurch bunte Blumenranken einzufügen. Der Greif Fleygur hatte sie dabei unterstützt, indem er sie und ihre Farben aufs Dach geflogen und Acht gegeben hatte, dass die tollpatschige Goblin nicht in die Tiefe stolperte.
    Es war bereits später Nachmittag und dicke Schneeflocken hüllten die Landschaft friedlich ein. Ein einziger Pfad führte zur Villa Zitronengelb, doch er war bereits zugeschneit und auch der Tannenwald, der hinter dem Haus aus dem Boden schoss, war wie von Puderzucker überzogen.


    Floh stand leicht besorgt auf der Veranda, von der aus eine Treppe mitten ins Schneegestöber hineinführte. Hoffentlich verlaufen sich die Gäste nicht! Vielleicht wäre es gut, ihnen den Weg zu weisen… Und dann war da ja auch noch Arafis irgendwo da draussen…
    Seit dem Vorfall in Rantamar war sie unberechenbar geworden und hielt sich von anderen Lebewesen fern. Dies hielt die liebevolle Goblin jedoch nicht davon ab, regelmässig in einigem Abstand zum Haus Mahlzeiten für die Wolfswandlerin bereitzustellen und zu hoffen, dass sie irgendwann wieder zu ihrem früheren Ich zurückfinden würde. Aus diesem Grund hatte Floh auch heimlich Urako und Selan eingeladen, so hoffte sie doch, dass die Beiden gute Erinnerungen hervorrufen könnten.
    In ihre Gedanken vertieft bemerkte sie nicht den seltsamen Hügel im Schnee, der sich langsam auf sie zu bahnte. Als sie plötzlich überrascht die Augen aufriss, war es schon zu spät. Das grüne Wesen hatte sich aus dem Schnee katapultiert und Floh von den Füssen gerissen.
    „Aah, nein Nepomuk, lass das bitte sein!“, die Goblin wand sich kichernd unter dem Xarrxe, der sie fröhlich abschlabberte wie ein Hund und sich an ihre Hand schmiegte, als sie ihm schliesslich lachend den Kopf kraulte. Seit die Goblin ihn mit Käse gefüttert und ihm für den Winter ein wärmendes Übergewand gestrickt hatte, liebte er sie über Alles. „Lass uns reingehen, Nepo! Du wirst dir noch die Klauen abfrieren!“
    Der Kleindrache zuckelte artig hinter Floh her, welche ihm zuzwinkerte und dann heimlich, still und leise auf die Küche zusteuerte, wo es immer etwas zu naschen gab, wenn man sich nur geschickt genug anstellte.


    Stille senkte sich über die Landschaft, nur durchdrungen von einem langgezogenen Wolfsheulen. Doch lange sollte sie nicht währen…


    Die Idee für das Fest hatte sich mit der Zeit in den Köpfen der Bewohner der Villa Zitronengelb gebildet, wenn sie abends gemütlich zusammen sassen und von ihren Abenteuern erzählten.
    „Ihr müsst unbedingt den grossen Ginimo kennenlernen! Es kann doch nicht sein, dass ihr noch nie von Ghul’n’Goblins gehört habt! Ich werde ihn einmal zum Abendessen einladen. Ihr müsst ihn einfach kennenlernen“, verkündete Floh, wobei ganz offensichtlich war, dass sie bis über beide Schlappohren in den Goblin verliebt war.
    „Mamma, Mamma! Können wir Seweryn und Jeelen dann bitte auch einmal einladen? Du hast versprochen, dass wir sie einmal besuchen gehen!“, stimmte Lysa direkt in den Kanon mit ein, woraufhin sich plötzlich auch weitere Stimmen meldeten, welche gerne einmal ihre Mitabenteurer den Villa-Bewohnern vorgestellt hätten.
    So verliessen einige Tage darauf verschiedene Einladungen das Haus und die Vorbereitungen für das Fest kamen ins Rollen.
    Aus dem fernen Osten erwarteten Kosima und Khaoula den Tamjid Sal’jil und hofften darauf, ihn für die Unterredungen mit dem Sultan gewinnen zu können. Unterdessen sandte Emilia mit zwiespältigen Gefühlen eine Einladung an Dimicus, denn lange Zeit hatte sie sich wegen des Fluches von ihm ferngehalten. Yeriel erinnerte sich indessen an die interessanten Gespräche mit Davard von Hohenfelde, weshalb ebenfalls eine Einladung ins Geisterhaus flatterte, überbracht natürlich von einer untoten Elster.
    Nicolai freute sich bereits auf das Wiedersehen mit Finja, denn unbedingt wollte er ihr von den neuesten Erkenntnissen hinsichtlich des Amuletts berichten.


    Die Gäste wurden dazu eingeladen, Freunde und Verwandte mitzubringen und die Nachricht des bevorstehenden Festes verbreitete sich wie ein Lauffeuer und lockte sogar Bewohner Asamuras an, welche nicht auf der Besucherliste standen. Doch alle sollten sie herzlich Willkommen sein!

  • Der Berggipfler Bjorgä hatte inzwischen alle Sachen gepackt und war gerade im Stall, wo seine beiden Kühe auf ihn warteten. „Kalinä und Lorätta“, rief der dicke Zwerg als er in den Stall tapste. Er stampfte mehrmals auf den Boden, um den Schnee von seinen Stiefeln wegzutreten. Danach wischte er sich über den Mantel und entfernte den Schnee von seiner Kleidung.
    Die Kühe lagen faul und müde auf dem Heuboden. Bjorgä nahm das Zaumzeug von einem Nagel herunter, wo sie hingen und legte es den beiden Kühen an. Kalinä und Lorätta waren alte Kühe. Es war gut, dass der Berggipfler einen Käufer auf dem Markt gefunden hatte, der an ihnen Interesse gefunden hatte. Der Name der alten Lady lautete Rosa, so hatte sie sich vorgestellt. Bjorgä konnte sich mit dem Verkauf das Futter für die Tiere leisten, worauf sie angewiesen waren. Auch Milch und Käse hatte man von ihm angefordert, welches er in Satteltaschen bei den Kühen befestigte. Insgesamt würden die Einkünfte aus diesem Geschäft für die Ausgaben des gesamten Winters ausreichen. Und so freute sich Bjorgä über diese kleine Reise.


    Zur Unterstützung begleitete ihn sein Sohn Kjätil. Gemeinsam sollten sie den steilen Pfad in das Tal gehen. Von dort aus, war es nicht mehr weit zur Villa Zitrogelb. Aber wer weiß, was unterwegs alles passieren konnte.
    Bjorgä schnaufte kurz durch und japste nach Luft. „Sjo eynä anstrengendä Sachä“, sagte er bloß. Als er die Tiere endlich gesattelt hatte, war er bereits schweißgebadet, ohne dass er überhaupt einen Meter losgegangen war.
    „Erstmal eynä Pausä“, sagte er sich. Nahm einen Schluck Milch und stopfte sich mit Käse voll. Kjätil kam wenige Augenblicke später hinein und schloss sich der kleinen Mahlzeit an. „Eynä gute Byär wäre jetzt das Richtige“, sagte er, als er sich auf den Heuboden pflanzen. Unglücklicherweise war ihnen diese Woche das Bier ausgegangen. Man erwartete zwar pünktlich ihre Lieferung. Doch ein Berggipfler ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Irgendwann sollten sie dann auch mal losgehen, dachte sich Bjorgä. Aber zuerst sollten sie die Pause genießen.

  • Seweryn hatte sich sehr über den Brief mit der schönen Schrift und den Verziehrungen gefreut. Schon viel zu lange hatte er keine Einladung mehr zu einem richtigen Fest bekommen. Er las noch einmal die Worte und langsam aber sicher keimte Vorfreude in ihm auf. Dann prüfte der Almane noch einmal den korrekten Sitz seiner Kleidung. Seine festen Stiefel würden ihn gut durch das winterliche Wetter tragen, so viel war sicher. Auch sein neuer Wams saß wie angegossen und tatsächlich hatte er sich an diesem Tag etwas mehr Mühe mit seiner Frisur gegeben als sonst. "Könnte glatt n hohes Tier sein.", murmelte Seweryn leise vor sich hin, während er sein Spiegelbild betrachtete. Er ertappte sich sogar dabei, wie er vor dem Spiegel die ein oder andere Haltung einnahm. Kurz darauf musste er sogar etwas über sich selber lachen. "Albern.", grinste er. Erneut wanderte sein Blick nach draußen. Der Schneefall hatte wieder zugelegt und so würde er nun doch den dickeren Reisemantel anziehen. Seweryn nickte, ging zu der kleinen Garderobe und schwang sich elegant den geflickten und gewaschenen Reisemantel mit Innenfutter um. Das würde wohl als Schutz gegen das Winterwetter da draußen genügen. Vielleicht noch die Handschuhe, ja, die könnte man noch zur Sicherheit einpacken. Ein letztes Mal prüfte der Almane die vorbereiteten Gastgeschenke. Es war alles komplett, nichts konnte vergessen werden. Seweryn war zufrieden. Dann schließlich drehte er sich von der Haustür weg in Richtung Flur. "Brauchst du eigentlich noch lange?!", rief er und wartete auf eine Antwort. "Weisst du...wir sollten nämlich bald mal los!", fügte er an, als die Antwort ausblieb. Irgendwo in einem anderen Raum rumpelte es kurz, dann schließlich waren Schritte zu hören. "Ach, haben wir es dann doch einrichten können?", scherzte Seweryn und sein schelmisches Grinsen wich einem Ausdruck des Erstaunens als seine Begleitung in den Flur trat. "Ehm...bitte sag mir, dass du irgendwo da drunter bist?", fragte Seweryn unsicher und deutete auf den Haufen Kleidung, der ihm gerade entgegengetreten war. Der Klumpen aus Stoff wuselte heran. "Waf demm?", erklang es leise und dumpf Seweryn entgegen. "Wir müssen nur durch den Schnee, Finja, wir machen keine Expedition in den tiefsten Winter?". Seine Schwester zog ihre Strickmütze mit Bommel etwas nach hinten, stopfte den Wollschal tiefer in den Kragen. "Du kannst ja frieren, ich habe es da lieber muckelig warm.", brummelte die kleine Almanin und rückte ihren ebenfalls gefütterten Mantel zurecht. "Wenn ich auch nur einen Mucks von dir wegen der Kälte höre, dann schuldest du mir was!", meinte sie schließlich und hob mahnend den Finger. "Schon klar, abgemacht.". Schließlich hatte auch Finja ihre Stiefel angezogen und die Geschenke waren verstaut. Endlich konnte es losgehen. Die beiden wanderten durch die zauberhaft winterliche Landschaft, der Schnee knarrte herrlich unter ihren Schritten. "Du schüttest dich aber heute nicht wieder so zu, oder?", fragte Seweryn seine Schwester während des Laufens. Er bekam keine Antwort. "Finja?". Sie war gerade noch neben ihm gewesen? "Wo bist...?". Seweryn drehte sich suchend nach seiner Schwester um, als ihn etwas Nasskaltes im Gesicht traf. "HA! Volltreffer!", jubelte Finja und klopfte sich den Schnee von den Handschuhen. "Mach dir mal keine Sorgen, ich werde natürlich wie immer ganz brav sein.", gab sie lachend zurück während Seweryn versuchte mit seinem Ärmel das Gesicht abzutrocknen. "Na warte du....". Dann marschierte Seweryn schnellen Schrittes auf die quietschende und sich rasch entfernende Finja zu. Ein paar geworfene Schneebälle später wurde ein zumindest vorübergehender Frieden ausgehandelt und die Reise konnte weitergehen. Bald würden die Geschwister ihr Ziel erreichen. Es würde sicherlich eine schöne Zeit werden.

  • Während die meisten Villabewohner in der Wärme verweilten und alles für das Fest vorbereiteten, streunte die Wölfin durch den Wald. Der ganze Trubel machte sie nervös. Sie mochte keine grossen Ansammlungen und oft war ihr schon das fröhliche Gelächter und Gewusel der übrigen Bewohner zu viel. Die fleissigen Vorbereitungen und die zu erwartenden Gäste behagten der Gestaltwandlerin umso weniger.
    Trotzdem hatte sie aus der Ferne beobachtet, wie Lysa zusammen mit Emilia und Kolbakur vor dem Haus Schneefiguren baute. Während der mächtige Raktaure die schweren Brocken aufeinander stapelte und Lysa mit Hilfe ihrer Magie den Figuren den Feinschliff verpasste, stand Emilia dick eingemümmelt daneben und bibberte vor Kälte. Sie ist halt doch nichts andres, als n verwöhnter Stubentiger, dachte sich die Beobachterin abschätzig und gab ein unwilliges Knurren von sich.
    Als ein kniehoher Schneehase, wortwörtlich, plötzlich fröhlich herumhoppelte, konnte sich jedoch auch die Wölfin ein belustigtes Prusten nicht verkneifen. Kurz kratzte die Wölfin an der Oberfläche und wollte Jagd auf die vermeintliche Beute machen, doch Arafis unterdrückte sie unwillig. Als ob die kleine Magierin es bemerkt hätte, blickte sie im selben Augenblick direkt in ihre Richtung und Arafis zog sich rasch wieder in den Schutz der alten Tannen zurück. Obwohl sie das Mädchen nicht ungern hatte, das so gerne spielte und Schabernack trieb, hielt sie doch lieber Distanz. Ihre Neugier und Offenheit überforderte und verunsicherte die Einzelgängerin zu sehr.


    Es war noch mitten im Nachmittag, doch trotzdem schien sich der Himmel zu verdüstern. Wolken türmten sich langsam aufeinander und dicke Schneeflocken begannen vom Himmel zu fallen.
    Die Wandlerin genoss die Stille, welche diese Jahreszeit mit sich brachte. Sie hatte ein dickes Fell bekommen, das auch in ihrer humanoiden Gestalt nicht mehr vollkommen verschwand. Das Wölfische nahm langsam Überhand, doch es war ihr egal.
    Die meiste Zeit lebte sie alleine irgendwo Draussen und wenn sie sich doch einmal zum Haus begab, wurde sie von den meisten Bewohnern freundlich aufgenommen.
    Vermutlich haben sie bloss Mitleid mit der gebrochenen Jammergestalt, die ich seit Rantamar abgebe... , dachte Arafis verbittert.
    Ihre Pfoten trugen sie durch den weichen, frischen Schnee. Inzwischen hatte das Schneegestöber weiter zugenommen. Ein fieser Wind liess die Tannen wanken und zerzauste ihren struppigen Pelz.
    Die Villa Zitronengelb war trotz ihrer auffälligen Farbe nicht mehr zu erkennen.
    Plötzlich blieb Arafis stehen und horchte. Hatte sie gerade Stimmen vernommen oder war es bloss das Pfeifen des Windes?
    Ihr Misstrauen hegte sie inzwischen gegen so ziemlich jedes Lebewesen, weswegen Orobas die Wölfin manchmal abfällig als Wachköter bezeichnete. Tatsächlich kam fast Niemand ohne Kenntnis der Gestaltwandlerin ans Haus heran. Und so reckte sie auch jetzt die Nase in den Wind, um mögliche Eindringlinge zu erschnuppern...

  • "Es dürfte eigentlich nicht mehr weit sein, oder?", fragte Seweryn seine Schwester, die sich jedes Mal mit dem gesamten Oberkörper zu ihm umdrehen musste um ihn anzuschauen wenn er mit ihr redete. Sie war einfach zu dick eingepackt, fand Seweryn. "Ich glaube, wir müssen da hinten links, irgendwie so stand das in der Einladung.". Seweryn nickte stumm. Anschließend rückte er den Ruchsack auf seinem Rücken zurecht. Finja hatte ihm die ganzen schweren Gepäckstücke aufgedrückt, zum Beispiel Flaschen mit seltsamer Flüssigkeit drin. Diese klimperten nun leise. "Was auch immer du an Geschenken mitbringst, wehe der Empfänger freut sich nicht und ich schleppe hier das ganze Gelumpe quasi umsonst mit mir rum.", grummelte Seweryn und verzog das Gesicht. "Was? Hab ich da etwa gerade ein Mimimi von meinem großen, starken Bruder gehört?", grinste Finja frech, woraufhin Seweryn ihr die Mütze über die Augen zog. "Heeeeee!", beschwerte sich die kleine Almanin und rückte ungeschickt mit ihren dicken Handschuhen die Mütze wieder zurecht. Sie tappte weiter durch den Schnee voran, als Seweryn plötzlich stehen blieb. "Finja, warte mal kurz.", sagte er und hielt einen Moment lang inne. Hatte er da gerade etwas gehört? "Schon gut, war wohl doch nichts.", sagte er schließlich und stapfte weiter voran. "Wenn mich nicht alles täuscht ist das Ziel hinter der Kurve da hinten.", stellte Seweryn fest, doch wurde er das Gefühl nicht los als würde irgendjemand ihn und seine Schwester beobachten. Finja bekam von all dem anscheinend nicht wirklich etwas mit und bahnte sich frohen Mutes ihren Weg durch den Schnee. "Sieh nur, da hinten brennt Licht!", rief Finja plötzlich vergnügt und deutete mit ihrem Fäustling auf einen schwachen Lichtschein nicht ganz so weit entfernt. Seweryn meinte schon Gerüche von Essen wahrnehmen zu können...auf jeden Fall arbeitete da jemand mit Zwiebeln.

  • Orobas


    Orobas hatte inzwischen seinen Frust an einem jungen Baum ausgelassen und diesen kurz und klein gehackt. Diese Weiber!
    Kommandierten ihn herum wie einen Küchenjungen und das nur, weil er einmal einen Fehler begangen hatte. Schrulla bezeichnete er damals als eine alte Fettel und ihre Zwiebelspinnen als stinkendes Ungeziefer. Nun, die Hex hatte sich an ihm gerächt. Jedes Mal, wenn er den Viechern zu nahekam, und es gestaltete sich als ungemein schwierig ihnen auszuweichen, versprühten sie ihre unangenehmen Ausdünstungen. Offensichtlich hatte das Weib sie gegen ihn aufgehetzt. Doch dessen nicht genug, entwickelte der Tiefling mit der Zeit eine regelrechte Allergie gegen das Getier. Die Zwiebeldämpfe liessen auf seiner Haut rote, juckende Pusteln wachsen.
    Als er schliesslich mit eingezogenem Kopf bei Schrulla angekrochen kam, versprach sie ihm ein Heilmittel, was er sich aber verdienen musste.
    Seitdem war nun eine Woche verstrichen und es verging kein Tag, an dem die Hex ihn nicht schikanierte. Ihr Wort hatte sie jedoch gehalten und ihm eine Salbe zubereitet, welche die Pusteln verschwinden liess. Auch die Zwiebelspinnen liessen ihn wieder seiner Wege gehen und griffen ihn nur noch gelegentlich aus dem Hinterhalt an.


    Die Arbeit in der Küche war für Orobas der Tiefpunkt seiner Karriere und im Grunde war er froh, dem Zwiebelgestank und den Weibern entkommen zu sein, als sie ihn zum Holz holen geschickt hatten. Die kühle Luft belebte seine vernebelten Sinne, als er schliesslich den voll beladenen Schlitten Richtung Villa zurückzog. Die Schneeflocken wirbelten wild herum und nahmen ihm die Sicht. Fliegen war ausgeschlossen. Verfluchtes Wetter!
    Andererseits könnte er so rechtfertigen, warum er dem Haus schon so lange fernblieb. Rósa würde ihm bestimmt glauben, dass er sich verlaufen hatte. Für besonders schlau hielt ihn das Weib offensichtlich nicht, während Schrulla schon etwas misstrauischer war.


    Plötzlich hielt der dunkelhäutige Tiefling inne. Hatte er Stimmen gehört? Und zeichneten sich dort die Konturen von zwei Gestalten im Schneegestöber ab?
    Orobas war gross gebaut und hatte keine Schwierigkeiten, zu den beiden Menschen aufzuholen. Mit seinen gebogenen Hörnern, dem strähnig schwarzen Haar, den violetten Augen und seiner Statur wirkte er wie ein Dämon aus den Untiefen Asamuras. Die Schwingen waren eng an seinem Rücken gefaltet und unter einem Mantel verborgen, wie auch der kälteempfindliche Schweif. Bloss die Kochschürze, die er in seinem Zorn völlig vergessen hatte, strafte diese Vorstellung Lügen.
    „Hey, ihr betretet unbefugtes Gelände. Ihr solltet hier rasch verschwinden, bevor euch die Wölfe aufspüren. Sie sind immer hungrig!“, begrüsste er die beiden Menschen unfreundlich. Erst aus der Nähe erkannte er, dass es sich dabei um Mann und Frau handelte, wobei von zweiterer freilich wenig zu erkennen war unter der ganzen Gewandung. Ob sie damit magere Brüste oder einen wabbelnden Bauch kaschieren wollte, blieb dem Tiefling unersichtlich.
    „Nun Schätzchen, bei dir würd ich noch ne Ausnahme machen. Wäre schade drum, wenn dich die Biester in die Klauen kriegen würden“, er grinste sie anzüglich an, wobei die weissen Zähne aus seinem dunkel grau-blauen Gesicht hervorstachen. Wenn er das Weib erst mal zum Haus gebracht hatte, würde sich schnell herausstellen, was sich unter dem ganzen Stoff verbarg. Der Miene nach, die sie gerade zog, war sie eine der kratzbürstigen Sorge. Sogleich vertiefte sich Orobas‘ Grinsen. Damit wäre natürlich auch die magere Brust entschuldigt.