REINE KOPFSACHE
- geschrieben & erzählt von von Firxas
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Tagelang hatte Firxas sich um Normalität bemüht, nachdem er den sterbenden Söldner im Arm gehalten hatte, bis die letzten Lebensgeister aus ihm gewichen waren. Das Erlebnis war ihm ziemlich an die Nieren gegangen. Trotz mehrmaligen Waschens und Schrubbens waren noch immer die Flecken auf seinem ausgeblichenen schwarzen Oberteil zu sehen. Firxas hatte in den folgenden Tagen im Söldnerlager seinen Dienst verrichtet, ohne mit der Wimper zu zucken, hatte Wache geschoben, auf dem Exerzierplatz geübt, ein paar Landstreicher aus der Stadt gejagt und wie früher bei zwei öffentlichen Hinrichtungen für Ordnung gesorgt. Tagsüber konnte er das Erlebte gut verdrängen, indem er sich mit seiner Arbeit ablenkte, doch nachts wälzte er sich derart auf seiner Pritsche, dass seine Zimmergenossen ihn auf den Gang geworfen hatten. Sein Kommandant hatte ihm daraufhin einen Tag Urlaub mit Ausgang verordnet, obwohl Firxas gar keinen Urlaub wollte. Er glaubte nicht, dass ihm zusätzliche Ruhe gut tun würde.
Aber es war nun einmal Befehl.
Zerknautsch und mit dunklen Ringen unter den Augen schlenderte er in ziviler Kleidung durch die Stadt. Sein Ziel war das Hafenviertel, wo die gewaltigen Schiffe hinaus in die Mondlagune zogen und Shezem in Schwärmen durch die trübe Hafenbrühe glitten. Dort fand sich auch eine Zweigstelle des Hohen Gerichts, wo man Beschwerden und Meldungen von Verbrechen einreichen konnte.
"Tag", sagte Firxas. "Ich will einen Mord in der Taverne zum Schluckspecht melden. Opfer ist ein Söldnerkamerad aus dem Lager hier bei Obenza, der Mörder wahrscheinlich ein gelbhäutiger Goblin. Wurde schon in der Taverne gemeldet, aber da hatte es keinen der Büttel interessiert."
Auch dieser Büttel nickte gelangweilt. Irgendein fremder Söldner von außerhalb war von untergeordnetem Interesse und man merkte, dass das Hohe Gericht zu Obenza sich nicht wirklich zuständig dafür fühlte. Firxas ärgerte sich darüber. Der Söldner war sinnlos um sein Leben gebracht worden, von irgendeinem Irren, aus nichts als einer dummen Laune heraus. Es war gar kein übler Kerl gewesen, trotz seiner rauen Marotten. Dass sein Tod nun nur ein lästiger Eintrag sein sollte, schmerzte. Im Söldnerlager hatte die Meldung wenigstens für Furore gesorgt und dazu geführt, dass ein ganzer Trupp betrunkener Kameraden die Taverne auseinandergenommen hatte, was natürlich den Mörder auch nicht herbeigezaubert hatte. Das Randalieren war sofort bearbeitet worden und hatte zur Strafarbeit der Beteiligten geführt, aber den Tod ihres Kameraden hatte keiner der Büttel aufnehmen wollen, so dass Firxas beschlossen hatte, direkt vor Ort Meldung zu machen.
Der Büttel verschwand einen Moment und kam dann wieder. "Es hat gerade keiner von den Gerichtsdienern Zeit." Das war ja nicht anders zu erwarten gewesen. "Ihr könnt die Details aber meinem Kollegen erzählen, der wird alles festhalten und weiterleiten."
Firxas schnaufte. Der Kollege, ein schlanker Naridier mit kurzem roten Haar, kam bereits herbei, gab Firxas zur Begrüßung immerhin die Hand und nahm ihn mit in eine gerade unebnutzte Wachstube.
"Ist nicht gerade der geeignete Ort", sagte er entschuldigend.
"Schon in Ordnung. Ist ja auch nur ein Söldner."
Der Büttel sah ihm in die Augen. Es war darin ein tiefes Verstehen zu erkennen, auch ohne, dass er es aussprach. Firxas setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und spürte, dass seine Trauer rauswollte. Er schluckte sie runter, so wie immer und stammelte die Ereignisse mechanisch herunter. Seine Augen brannten, aber er heulte nicht. Der Büttel gab ihm mit der Hand ein Zeichen, kurz zu warten und kam mit einer aus einem breiten Pfeifenkrautblatt gedrehten Rauchstange zurück. "Halt bloß die Klappe", flüsterte er, reichte sie Firxas und als sie in dessen Mund steckte, entzündete er sie.
"Danke."
Firxas blieb lange in der Wachstube. Auch der Büttel hatte angefangen zu qualmen. Hier herrschte zwar offensichtlich Rauchverbot, aber der Verstoß schien nicht sonderlich ungewöhnlich zu sein. Sie sprachen lange miteinander. Nicht nur über den Mord, sondern auch über viele andere Dinge. Der Büttel war früher auch Söldner gewesen, um Geld zu verdienen, damit er seiner Verlobten und sich ein Haus kaufen konnte. Sieben Kinder hatten sie geplant. Er hatte nach dem Hauskauf seinen Beruf an den Nagel gehängt und sich als Büttel verpflichtet, damit er nicht mehr von seiner Verlobten und ihren geplanten Kindern fort musste. Doch kaum hatte er den Kaufvertrag unterzeichnet, war sie von seinem Bruder schwanger geworden und zu diesem gezogen. Jetzt lebte der Büttel allein in einem für einen einzelnen Mann viel zu großen Haus, das zusehends verfiel. Anstatt zu jammern, witzelte er über seine Geschichte und machte sich über sich selbst lustig. Firxas`Mundwinkel zogen sich das erste Mal seit Tagen wieder zu einem Lächeln auseinander.
"Ich muss Euch langsam rausschmeißen", endete der Büttel. "Sonst wirkt es langsam komisch, wenn wir zwei hier so lange allein sind."
Firxas lächelte gequält.
"Verstehe schon. Danke für die Rauchstange und alles."
"Hättest du - ich darf doch du sagen? - Bock darauf, heute Abend bei mir zum Grillen vorbeizuschauen? Ich habe sonst nichts zu tun daheim und langweile mich nur. Ich kann ja auch nicht immer den Nachbarn fragen, ob er mir Gesellschaft leistet."
"Äh, klar, gern!" Das war überraschend gekommen, aber alles andere als ungelegen. "Firxas", stellte der Tiefling sich vor.
"Dimzel Rothain", entgegnete der Naridier grinsend. "Für meine Freunde Dim. Hier hast du meine Adresse. Bringst du Bier mit und ich organisiere den Braten?"
Firxas nickte. Sie verabschiedeten sich mit einem festen Handschlag.
Frohen Mutes schlenderte Firxas über den Fischmarkt, um sich die Zeit bis zum Dienstschluss von Dim zu vertreiben. Er freute sich auf einen unterhaltsamen Abend. Auch wenn der Naridier keinerlei Zeichen gegeben hatte, dass er an Firxas mehr als nur ein freundschaftliches Interesse hegte, hoffte Firxas im Stillen, dass der ihm vielleicht wenigstens ab und zu auf die Schulter klopfen oder ihn mit dem Ellbogen anstoßen würde. Firxas war in einer Stimmung, in der er etwas Nähe, und sei sie nur freundschaftlich, sehr dringend brauchte. Und selbst wenn ihm dies verwehrt bleiben würde, so war Dimzel doch scheinbar ein netter und unterhaltsamer Kerl.
Firxas kaufte zwei kleine Fässer Bier, ein dunkles und ein helles, da er nicht wusste, was dem Naridier besser schmeckte und eine große Papiertüte mit getrockneten, gerösteten und gewürzten Barrakudastückchen zum Knabbern.
Als es Abend wurde, wartete er wie vereinbart mit den Sachen im Garten. Das Gras war viel zu lang, die Sense lag mit anderen Gartengeräten voller Spinnenweben in einem Schuppen, nur der Weg zum Grillplatz war freigesenst. Da das Schloss des hölzernen Gartentors nicht funktionierte, war Firxas eingetreten und hatte schon einmal alles vorbereitet. Zwei Klappstühle standen an der Feuerstelle, auf dem dazugehörigen Klapptisch warteten die Bierfässer und in einem Blumentopf lagen die Fischstückchen.
Firxas wartete.
Die Sonne war schon längst untergegangen. Unruhig schlenderte er durch den Garten, dann den Weg vor dem Grundstück entlang.
"Habt Ihr eine Ahnung, wo Dimzel bleibt?", fragte er den Nachbarn, einen verarmten Magier, der ebenfalls gerade Besuch von einem Kollegen hatte und zu dem Dim ein gutes Verhältnis zu haben schien.
"Also eigentlich ist der pünktlich wie ein evalonisches Uhrwerk", sinnierte der. "Er muss aufgehalten worden sein ... oder es ist etwas passiert. Als er das letzte Mal zu spät kam, war er von einem Pferdekarren angefahren worden."
Firxas machte sich sofort auf die Suche, die beiden Magier waren so freundlich, ihn zu begleiten. Sie folgten zunächst dem üblichen Heimweg des Naridiers von seiner Arbeitsstelle aus.
Der Mond stand inzwischen hoch am Himmel, in der Ferne läutete dumpf die Tempelglocke. Ansonsten war es in diesem Viertel der Stadt still.
Und dann fanden sie ihn.
Ein Audruck tiefster Trauer und Resignation legte sich auf Firxas`Gesicht. Er fragte sich, ob er verflucht sei. Erst der Söldner, nun der Büttel. Das Gesicht hatte man Dimzel abgezogen und seine Eingeweide lagen über die Straße verteilt. Viel hatte Firxas sehen müssen auf den Schlachtfeldern Asamuras, doch so etwas war ihm noch nicht untergekommen, so viel sinnlose Bosheit. Er stand da, mit hängenden Schultern und starrte schweigend auf die verstümmelten Überreste des Ermordeten. Die lidlosen Augen in dem blutigen Knochengesicht starrten trüb ins Leere.
"Aus dem Weg", brüllte der Magier und stieß Firxas grob zur Seite.
"Hier könnt ihr nichts mehr machen", sagte Firxas. "Man müsste schon den Tod heilen können. Hier kann nur noch der Bestatter helfen."
Der Magier funkelte ihn an. "Dimzel war ein guter Mann", sagte er, "einer der wenigen vernünftigen Nachbarn, die ich je hatte, auch wenn seine Brombeeren in meinen Garten gewuchert sind und sein Apfelbaum sein Laub in mein Grundstück abgeworfen hat. Ich werde nicht zulassen, dass er so endet!"
"Aber was ..."
"Ruhe, ich muss mich konzentrieren. Du bist doch kräftig.
"Ja, Söldner und Kampfmagier."
"Hervorragend! Sichere uns! Crize, du hilfst mir hier, das wird ein harter Brocken."
Die beiden Magier räumten die Gedärme wieder an Ort und Stelle und zogen mit Kreide einen Kreis um die Leiche. Anschließend verzierten sie ihn mit irgendwelchen Runen und Symbolen. Firxas brauchte eine Weile, ehe er begriff. Die Magier saßen im Inneren des Kreises in jeweils einem kleinen zusätzlichen Kreis, brabbelten vor sich hin und versanken in Trance. Ein leuchtender Schleier manifestierte sich und legte sich wie ein Tuch über die Leiche, um dann mit ihr zu verschmelzen. Der Körper begann zu zucken. Die Finger ballten sich zur Faust, der Kiefer öffnete und schloss sich.
Firxas wurde übel.
Dimzel erbrach einen Schwall klumpigen Blutes, als er sich erhob. In der Pfütze lagen schaumige Lungenstückchen. Er zitterte unkontrolliert und versuchte, seinen heraushängenden Darm mit den Händen zurück in die Bauchhöle zu pressen.
Auch Firxas musste kotzen.
Die beiden Magier jedoch schienen jedoch genau zu wissen, was sie taten. Sie erwachten aus ihrer Trance, postierten sich rechts und links neben Dimzel und geleiteten ihn wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden durch die nächtlichen Straßen. Staksend und schwankend setzte der Tote einen Fuß vor den anderen. Sie begaben sich nicht, wie Firxas zunächst vermutet hatte, zurück zu dessen Haus, sondern zum Richtplatz, wo sie einen kürzlich Geräderten von seinem Rad holten.
"Lass es dir schmecken", sagte der Nachbar und zu Firxas`Verblüffung begann Dim, sich die stinkenden Überreste in seinen Kiefer zu stopfen. Bald vergrößerte sich die klaffende Wunde in seinem Unterleib und der anschwellende Darm quoll wieder hervor. Firxas zog seinen Gürtel von der Hose und zog ihn Dim straff um den Bauch.
"Was geht hier eigentlich vor sich?!"
"Du warst Zeuge seiner Wiederauferstehung", erklärte der Magier feierlich. "Vor dir steht nun nicht mehr Dimzel, der naridische Büttel, sondern Dimzel, der Ghul! Dimzel, kannst du mich hören?"
Der Leichnam hörte einen Moment auf zu essen und nickte.
"Wer hat dir das nur angetan?", fragte Firxas, ohne mit einer Antwort zu rechnen. "Wer?" Doch Dim tauchte tatsächlich den Finger in das Blut seiner ersten Mahlzeit als Ghul und schrieb etwas auf das Straßenpflaster:
Der gelbe Goblin.