Der Vampir und die Bestie

  • Jesper hatte alle Hände voll damit zu tun, Archibald unter Kontrolle zu bekommen. So dürre der kleine Kerl auch war, so zäh und drahtig war er. Archibald kämpfte auf extreme Geschwindigkeit und war wendig wie ein Aal, aber dies hielt er nicht lange durch. Kurzum er war unter Kämpfern ein Sprinter, aber kein Dauerläufer. Arch kämpfte nicht mit allen Mitteln, er ging nicht das Risiko ein ihn zu verletzen. Er versuchte nur sich zu entwinden und sich loszureißen. Solange er Arch nicht los ließ, konnte ihm also nichts passieren. Jesper wusste dass er einfach den längeren Atem haben musste.


    Atem… schoss es van Verling durch den Kopf.
    Eine Sekunde später packte er fester zu und hob Archibald an der Kehle hoch.


    Eine saublöde Idee, denn nun bekam der Kerl Panik. Arch grub Jesper die Finger in den Arm um den Druck von seinem Hals zu nehmen. Zeitgleich spannte er die Bauchmuskeln an, schwang sich nach oben und umschlang keine Sekunde später van Verlings Hals mit den Beinen. Knallhart drückte Arch nun seinerseits Jesper mit den Schenkeln die Luft ab, der sie wirklich zum Leben benötigte.


    In dem Moment setzte Kasimirs Sprechgesang an.


    Arch blinzelte mehrfach in Zeitlupe und man sah wie seine Augen den mörderischen Ausdruck verloren, wie Wahrnehmung und Begreifen zurück in seinen Verstand sickerten. Dornburg lockerte seine Beinschere und klopfte Jesper auf den Arm. Van Verling pflückte ihn von sich und gab erst zum Schluss Archibalds Kehle frei. Argwöhnisch und schwer atmend beobachtete er Archibald mit Argusaugen.


    Arch schüttelte sich einmal wie ein nasser Hund, rieb sich den Hals und den Nacken und boxte Jesper vor die Schulter.


    „Bist Du verrückt? Ich hätte Dich verletzten können! Ich…“, sein Blick viel auf Simon.
    „Habe ich ihn… erlöst?“, fragte Archibald.


    Jesper zuckte die Schultern, Simon hatte er ganz ausgeblendet, er war mit sich selbst beschäftigt gewesen. Der Hüne hockte sich neben den kleinen, gelben Kerl dem Arch ein Leben lang übel mitgespielt hatte. Und nun lang er hier tot auf dem Höhlenboden. Van Verling drehte sich in Zeitlupe zu Archibald um.


    „Erlöst?“, fragte Jesper, „Ihr habt ihn zu einem von Euch gemacht oder?“
    „Danke fürs… Einschreiten. Ja, damit er nicht an seiner Krankheit eingeht… darum… damit er noch etwas Zeit hat… eine bessere Zeit bekommt…“, erklärte Arch, hockte sich neben Jesper und lehnte sich an ihn an.


    "Was hast Du rezitiert Kasimir?", fragte Archibald nach einer Weile.

  • Eine kleine Fledermaus prallte gegen die Tür der Vorratskammer. Sie schlug durch den Schwung auf den Boden auf, berappelte sich aber sofort wieder. Varod nahm menschliche Gestalt an, öffnete die Tür und schaute sich argwöhnisch um. Hier musste irgendwo sein Sohn sein. Mitten in der Bewegung hielt er inne.


    Kasimir hockte weinend auf dem Boden, man sah dass er eine große Verletzung am Kopf hatte. Die Wunde sah allerdings versorgt aus. In der Nähe saß ein Hüne von einem Mann, an seine Seite lehnte ein weiterer Kerl dessen Mund blutverschmiert war. Dies konnte nur eines bedeuten, es handelte sich ebenfalls nur einen Vampir.


    Varod war erleichtert, dass sein Sohn nicht völlig allein gewesen war, als er sich mit der Verletzung herumplagen musste.


    "Kasimir! Hier bin ich, komm her! Kleiner, ich bin so schnell hergeflogen wie ich konnte! Wolf-Rahm so hieß der Magier glaube ich, hatte einen unserer Nekromanten gerufen. Crize so heißt dieser Bruder von mir hat mich dann gewarnt, dass Du in großer Gefahr schweben würdest. Ich sollte mich sofort auf den Weg zu Dir machen. Du wärst in tödlicher Gefahr.


    Ich habe sogar Klecks meine Hyäne zurückgelassen um sofort aufzubrechen. Ich bin geflogen, wie ich noch nie geflogen bin und dies alles nach der Wegbeschreibung eines verwirrten Magiers mit einem sehr schrägen Namen. Gleichgültig Kasi, nun bin ich hier und so schnell lasse ich Dich nicht wieder allein. Wie konntest Du nur verloren gehen?


    Ich hatte Dir noch soviel beizubringen. Aber Vergangenheit ist Vergangenheit würde Izirdeen sagen. Nun bin ich hier um Dir beizustehen, Dich anzuleiten und natürlich um Dich zu beschützen. Wie ich sehe geht es Dir besser und an Deiner Seite wandelt ein Bruder. Wer ist dieser Vampir?", fragte Varod neugierig.


    Er hockte sich neben Kasimir und legte ihm, wie für Rakshaner völlig üblich, einen Arm um die Schulter um ihn zu trösten.

  • "Dies ist ein abgewandeltes Gebet an Oril, Archibald, eigentlich ein Abendgebet für Eltern, damit ihre Kinder gesund wieder erwachen. Ich habe es modifiziert, damit es auf Simon passt."


    Es klopfte einmal laut und kurz darauf ging die Tür auf. Sein Verderber war da.


    Dieser begrüßte ihn auch sogleich herzlich und sah besorgt aus. Kasimir riss sich zusammen. Wenn er es darauf anlegte, konnte er sich hervorragend beherrschen und so versiegten seine Tränen fast augenblicklich. Die distanzlose Art der Rakshaner hatte er zur Genüge kennengelernt und wusste, dass sein Verderber es gut meinte, auch wenn Kasimir sich in seiner Intimsphäre verletzt fühlte. Er legte ihm daher ebenfalls den Arm um den Rücken und drückte ihn kurz an sich heran, ehe er wieder Raum zwischen sie brachte.


    "Herzlich willkommen und danke, dass du da bist, Varod. Nur einen glücklicheren Anlass hätte ich mir gewünscht. Ich bin sicher, dass man sich Klecksens annehmen wird. Ich bin kein Freund von Krieg, daher kann ich nicht behaupten, zu bereuen, dich bei der von Wolfram geschilderten Invasion gestört zu haben. Wolfram heißt der freundliche Kontaktmann, nicht Wolf-Rahm.


    Liebe Freunde, vor euch steht Varod, mein Verderber. Dies hier sind mein Bisssohn Archibald und hier ruht Archibalds und mein gemeinsamer Bisssohn in Spe Simon. Dieser freundliche Herr da ist Jesper. Ich muss dich gleich zu Beginn ausdrücklich darum bitten, Varod, niemanden hier als Mahlzeit zu betrachten. Falls du Hunger hast, es gibt mehr als genügend Instantblut. Zunächst sollten wir dir Kleider organiseren. In dieser Vorratskammer scheint es beinahe alles in unendlicher Menge zu geben, Wolfram ist sehr gründlich damit, sie regelmäßig auffüllen zu lassen. Hier finden sich bestimmt auch Ersatzkleider."


    Kasimir riss sich von dem Toten loß und durchsuchte die Regale, schaute in Körbe und zog Schubladen heraus, bis er tatsächlich neue Ersatzkleider für die Dienerschaft fand. Der arme Beaunois brauchte sie nicht mehr und Margot würde keine Männerkleidung benötigen, er ging also davon aus, dass es in Ordnung war. Er reichte sie Varod.


    "Was du mir beibringen wolltest, kannst du mir helfen Archibald und Simon beizubringen, wenn du möchtest. Das ist der Grund, warum ich dich herbat. Du hättest nicht so hetzen zu müssen. Doch ich bin froh, dass du hier bist."

  • Archibald dachte über Kasimirs Erklärung nach und wusste nicht wie er fühlen sollte. Bei den Worten war er hin- und hergerissen. Sie hatten eine seltsame, beruhigende Wirkung aber als er hörte von wem sie kamen, sträubte sich innerlich etwas in ihm.


    "Es klingt beruhigend, es klingt nach... Wärme. Es gefällt mir, wobei es mir nicht gefallen sollte. Ich bete nicht Deinen Gott an, meine spirituelle Loyalität gilt den Ältesten. Dennoch, der Gedanke hinter dem Gebet gefällt mir. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, hätte ich mich auch um meine Kinder gekümmert und sie behütet. Wobei ich dies auf meine Art getan habe, auf die beste Art die mir zur Verfügung steht. Ich hielt mich von ihnen fern.


    Meine Familie hatte für so etwas keine Gebete und auch keine Gedanken übrig.
    Du packst es, oder Du packst es nicht.


    Wozu benötigt man fremden Beistand? Göttlicher Beistand ist nichts als fremder Beistand. Deine Gedanken müssen scharf sein wie geschliffener Stahl. Fokussiert auf das Ziel, auf das zu lösende Problem oder auf den Feind. Stehe für Dich selbst ein und stehe damit für Deine Familie ein.


    Alles andere ist reine ineffektive Gefühlsduselei.
    Nicht wahr?
    So ist es.
    Aber meine Familie ist der Stab, sie waren es nie...
    Zu keiner Zeit...",
    erklärte Archibald und nickte selbstbestätigend.


    "Kein Mensch ist dazu geschaffen völlig allein und isoliert zu leben. Und an Gefühlen ist weder was verwerfliches noch etwas ineffektives Archi, weil sie nicht effektiv sein müssen. Und das Dir das Gebet gefallen hat liegt daran, dass es etwas in Dir anspricht. Nur leider möchtest Du es nicht angesprochen haben, leider", erklärte Jesper freundlich.


    In dem Moment knallte etwas kleines gegen die Tür und Jesper dachte erst es wäre ein Vogel gewesen. Eine Sekunde später betrat ein nackter Rakshaner die Höhle. Der Mann war drahtig, hatte langes, schwarzes Haar und eine lange Narbe über dem Auge. Seine ganze Erscheinung war die eines Raubtiers.


    Einen Atemzug später erklärte sich auch warum. Es war der Vampir-Vater von Kasimir. Jesper wusste auch ohne einen Blick auf Archibald zu werfen, dass dieser den Rakshaner gerade anstarrte als hätte er eine Erscheinung. Ein Vampir, ein Rakshaner - ein Mann des Chaos und zu allem Überfluss noch sein vampirischer Opa. Jesper stöhnte innerlich auf und hoffte dass dieser Mann in seiner Mentalität Kasimir glich.


    "Verderber - Kasimir, das ist Dein Meister", zischte Archibald kaum hörbar um seinen eigenen Meister zur Raison zu rufen.


    Arch stand auf und verneigte sich ehrfürchtig vor dem rakshanischen Vampir.


    "Es ist uns eine Ehre Dich in unserem Haus willkommen zu heißen Ältester.
    Kasimir spricht die Wahrheit, er ist mein Meister. Er segnete mich mit dem Geschenk der Unsterblichkeit am 13.12.202, er kam meinem Wunsch nach und heilte mich damit von meinen Leiden.


    Wir dürfen hier nicht jagen, da uns der Besitzer dieses Anwesen Unterschlupf und Schutz gewährt, damit hat Kasi Recht. Allerdings gibt es hier jene, vor denen Du Dich hüten solltest Varod. Nicht alle hier sind uns wohlgesonnen...", erklärte Archibald und musterte Kasimir bei seinem regen Treiben.


    Binnen weniger Augenblicke hatte er seinen eigenen Meister mit Kleidung versorgt.


    "Ja es würde mich freuen, wenn Du alles lehren könntest was Du weißt. Leider kann ich mich noch nicht in eine Fledermaus verwandeln. Kann das jeder Vampir Varod?", fragte Archibald neugierig.

  • Varod freute sich über den herzlichen Empfang und vor allem darüber, dass Kasimir nicht tödlich verwundet war.


    "Danke für den herzlichen Empfang und die Kleidung Kasimir. Es freut mich Deine Bekanntschaft zu machen Archibald und für Dich freut es mich Kasimir, dass Du endlich Dein Geschenk angenommen hast. Du hast es sogar zweifach weitergegeben. Ich wusste, dass mehr in Dir schlummert.


    Eure Warnungen werde ich beherzigen.
    Niemand pinkelt in den Brunnen aus dem er trinkt.


    Jeder Vampir kann sich in eine Fledermaus verwandeln Archibald, es ist unsere ureigene Fähigkeit. Dann verfügt jeder Vampir über zwei besondere Fähigkeiten, die ihn ausmachen. Nach ungefähr einem Jahr wirst Du mit einer weiteren Fähigkeit gesegnet.


    Die Verwandlung in eine Fledermaus ist nur beim ersten oder zweiten Mal schwierig. Danach beherrscht Du sie intuitiv. Denk an eine Fledermaus, denke so stark daran wie Du kannst. Wie würde es sich anfühlen eine zu sein?


    Wie fühlen sich ihre Flügel an und ihre Schwingen? Wie würde sich Dein Körper mit Fell anfühlen? Die Fellfarbe wird Deine Haarfarbe sein, folglich wirst Du schwarz-grau aussehen. Meliert sozusagen, eine hübsche Fellfarbe für einen Jäger der Nacht.


    Versuche Dir vorzustellen, wie sich rasiermesserscharfe Zähne in Deinem Mund anfühlen, die wirst Du als Fledermaus im Maul haben. Aber das wichtigste ist, stell Dir vor zu fliegen. Denke mit aller Macht an diese Form und Du wirst sie annehmen Nur zu, versuche es", forderte Varod Archibald auf.


    "Ich beherrsche keine Magie...", warf Archibald zweifelnd ein.
    "Das hat nichts mit Magie im üblichen Sinne zu tun, es ist eine Dir gegebenen Fähigkeit, jene die im dunklen Geschenk schlummert. Nun versuche es Archibald", erklärte Varod.


    Arch nickte zur Bestätigung und hockte sich im Schneidersitz auf den Boden. Er konzentrierte sich so fest er konnte auf seine Fledermausgestalt. Er war es gewöhnt sich auf eine Sache zu konzentrieren, alles andere auszublenden und sich mentale Scheuklappen zu verpassen. Es dauerte einige Minuten, in denen Archibald sich so stark konzentrierte, dass er eine ziemlich bedrohliche Grimasse zog.


    Varod musterte derweil die Zähne von Archibald und schaute kurz Kasimir fragend an. Solche Zähne hatte der Rakshaner nach einem Biss noch nie gesehen.


    Dann endlich geschah es und Archibald nahm seine zweite Gestalt, die einer Fledermaus, an. Mühsam krabbelte Arch aus seiner menschlichen Kleidung, schaute sich erstaunt um und setzte direkt zu einem Probeflug an. Er flog so scharf an Jesper vorbei, dass dieser erschrocken zusammenzuckte.


    "Das hat der kleine Unhold absichtlich getan!", beschwerte sich van Verling.


    Archibald landete und verwandelte sich nach einem Augenblick zurück.
    "Das war unglaublich!", freute sich Arch, während ihm Jesper seine Kleidung in die Hand drückte.
    "Na bitte, der erste Rundflug in neuer Gestalt. Sehr gut", lobte Varod stolz.


    "Nur wenn man sich zur Not verwandeln muss, lässt man seine Kleidung samt Bewaffnung an dem Ort zurück?", fragte Arch, während er sich anzog.
    "Das ist leider so ja", bestätigte der alte Vampir und nickte, während er versuchte sich einen Reim auf die Tätowierungen zu machen, die er gesehen hatte.

    Aber all das und noch wesentlich mehr, hatte er vor mit Kasimir zu besprechen. Er war unendlich stolz auf seinen Sohn. Nicht nur, dass er scheinbar einen so wundervollen Ort zum Leben gefunden hatte, er hatte auch Freunde gefunden und sogar selbst das dunkle Geschenk weiter gereicht.


    Varod machte es sich in der Höhle gemütlich.


    "Setzt Euch zu mir. Kasimir, erzähle mir wie es Dir während unserer Trennung ergangen ist und wie Du zu Deinem Sohn gekommen bist", bat der alte Vampir.

  • Kasimir beobachtete entzückt, wie Archibald als Fledermaus durch die Gegend raste. Er hätte ihn in diesem Zustand gern einmal auf die Hand genommen, doch er verwandelte sich schon wieder zurück.


    "Das sah doch schon sehr gut aus", fand Kasimir. Dann wandte er sich an Varod. "Das ist eine laaaange Geschichte. Ich versuche, sie kurz zu fassen. Da wir uns in den Kriegswirren aus den Augen verloren, verlor ich auch meine bisherigen Blutspender. Ich versuchte, mit durch Sterbende an der Front am Leben zu halten, was mir mehr schlecht als recht gelang, denn meist sind sie nicht oft allein, sondern ihre Kameraden irgendwo in der Nähe. Halb verhungert fand mich Brandur von Hohenfelde. Er erkannte, was ich war und nahm mich mit sich. Ich durfte ihm als Leibdiener zur Hand gehen, während er mir ein zu Hause gab, meine Würde zurück und meine Bestimmung. Ich folgte ihm überall hin, auch hier her. Hier durfte ich meinen Freund Archibald kennenlernen. Archibald war sehr krank, er hatte unerträgliche Migräne, schwere Anfälle und schlimmen Hunger, der ihn plagte. Doch nun ist er geheilt. So wie Simon, der dort liegt und auf sein Erwachen wartet. Und wie erging es dir, Varod?"


    In dem Moment klopfte es schon wieder an der Tür.