Kapitel 17 - Zerrissenheit

  • Patrice betrachtete hilflos das Durcheinander an Armen und Beinen, bei dem nicht auf Anhieb ersichtlich war, was zu wem gehörte. Anstatt die Hängematten zu beziehen, die Sacha für sie vorbereitet hatte, schliefen die Beißer als Knäuel auf dem Boden. Kazrar musste als Kopfkissen für Robere herhalten, während Nori Robere als Seitenschläferrolle benutzte. Der dürre Arbogast verschwand fast vollständig unter Roberes Beinen, die er besitzergreifend über ihn gelegt hatte. Patrice musterte die vier Schlafenden. Es war schwierig, an Robere heranzukommen, seit dieser sein zu Hause bei den Beißern gefunden hatte. Er fragte sich, ob es überhaupt noch Sinn machte, näheren Kontakt zu ihm herzustellen. So, wie Patrice die Lage einschätzte, war sein Auftrag gescheitert. Robere hatte sich für die Beißer entschieden anstatt für die Leibgarde und für Patrice gab es nicht einmal einen Schlafplatz in seiner Nähe.


    Patrice ging an Deck und setzte sich zu einer Ecke mit vertäuten Kisten, wo auch zusammengeschnürte Tücher gestapelt waren, so dass es sich da bequem sitzen ließ. Er legte den Kopf zurück, schloss die Augen und döste, während um ihn herum die Geräusche des Schiffes, des Meeres und der Mannschaft vorbei plätscherten. Es war Nacht und doch war es nicht still. Rufen, das Knarren von Holz und von den Tauen, Schritte, die über das Deck polterten. Der Wind, der auf dem Meer viel schärfer wehte als an Land, wo er sich an Bergen, Bäumen und Häusern brauch.


    »Und wer bist du?«, fragte ihn jemand neugierig. Patrice öffnete die Augen.
    »Patrice.« Die Lüge kam leicht von seinen Lippen.
    »Bist du der Freund von Robere?«, erkundigte Sacha sich und setzte sich neben ihn.
    Patrice lächelte nicht. »Tu ihm und dir einen Gefallen und nenne ihn nicht so«, bat er. »Er hasst diesen Namen, den sie ihm im Waisenhaus gegeben haben. Nenne ihn Robby oder Tekuro. Das machen alle. Vielleicht kannst du ihn jetzt sogar mit Vater oder so ansprechen.«
    »Was hat er gegen seinen Namen? Meinen habe ich auch aus dem Waisenhaus. Aber ich finde ihn gar nicht schlecht.«
    »Er klingt ja auch schön und passt zu dir«, fand Patrice. »Aber frag deinen Vater doch mal , wie er dich genannt hätte, wenn er eher davon gewusst hätte, dass es dich gibt. Dann findest du vielleicht plötzlich, dass Sacha auch nicht mehr zu dir passt.«
    »Gute Idee«, freute sich Sacha. »Aber Tekuro macht mir ein bisschen Angst, er schaut grimmig. Ich will warten, bis er mal freundlicher dreinblickt.«
    »Da kannst du lange warten. Als Gardist muss man grimmig schauen«, erklärte Patrice. »Man muss eine bedrohliche Wirkung ausstrahlen. Irgendwann geht einem das in Fleisch und Blut über.«
    »Du schaust auch freundlich, obwohl du auch Gardist bist.«
    »Ich bin ja auch zehn Jahre weniger dabei. Irgendwann bin ich auch alt und grimmig wie ein alter Panther.«
    »Eigentlich schade.«
    Patrice zuckte die Schultern. »So ist das Leben.«
    »Findest du? Ich finde ja, man sollte das Leben nicht zu ernst nehmen. Davon, dass man Trübsal bläst oder rummuffelt wird es auch nicht besser. Wenn ich mir vorstelle, dass hier an Bord alle so ernst und finster wie ein Chor von Ainuwarmönchen dreinblicken würden oder wie Tekuro, ist das keine schöne Vorstellung. Bist du nun der Freund von ihm?«, wollte Sacha wissen.
    Patrice schüttelte den Kopf. »Nur ein Kamerad unter vielen.«
    Sacha betrachtete ihn von der Seite. »Du siehst bisschen traurig aus.«
    »Ja? Das täuscht. Ich habe nur nachgedacht.«
    »Und worüber?«


    Patrice starrte zu den Wolken hinauf. Er war von der Kälte seiner Familie geflohen und suchte Halt. Den fand er in dem herrisch auftretenden Robere, dem er mit Freuden seine Kampfstiefel geküsst hätte, wenn er ihn nur ließe.


    Pascal war da völlig anderer Meinung.


    Pascal war keineswegs das zurückhaltende Dummchen, dass er als Patrice zu sein vorgab. Er war eine Giftspinne, die ihr gutes Aussehen zum eigenen Vorteil nutzte. Wie die Lotosspinne, die süßen Nektar versprach und nur den Tod brachte. Pascal trug gewaltige Wut in seinem Bauch.


    Während Patrice Liebeskummer schob, freute Pascal sich, dass der Auftrag nun gescheitert und vorbei war. Er war alles andere als damit einverstanden, seinen Körper Robere anzubieten wie eine Hure auf dem Straßenstrich von Obenza. Pascal hatte, bevor Sacha ihn unterbrach, darüber nachgedacht, dass Patrice mit seinen devoten Neigungen für ihn eine schwierig aufrechtzuerhaltende Persona war, die ihn an seine psychischen Grenzen brachte.


    Und über das verstörendende Gefühl vor dem Einschlafen, dass Patrice von einem böswilligen Geist namens Pascal besessen war, der sich seiner bemächtigen wollte und ihm einredete, dies sei sein Körper. Und Patrice wäre nicht real, nur eine Erfindung. Dass es ihn gar nicht gab. Patrice bekam stechende Kopfschmerzen, krallte die Finger in sein Haar und rollte sich ein.


    Sacha verschwand und kurz darauf zerrte jemand Patrice auf die Füße. Ein vertrautes wie zerbeultes Gesicht, in dessen Mund Piranhazähne standen. Dieser Mann war nicht mehr Robere. Er war spätestens mit den Zähnen vollends Tekuro geworden. Patrice wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, während Pascal den Drang verspürte, ihm seine Eier zu Brei zu treten.


    »Häng hier nicht rum«, befahl Tekuro und schliff ihn mit sich in ihre Koje im Bugraum.


    Das Knäuel lag nun lockerer da und Tekuro nahm Patrice mit in die Mitte. Patrice machte sich steif wie ein Brett. Körperkontakt zur Nachtruhe mit vier Leuten gleichzeitig war er nicht gewohnt. Erst recht nicht, wenn einer davon Tekuro war. Pascal wollte irgendetwas Gemeines denken, doch Patrice stampfte ihn zurück in sein Unterbewusstsein. Wenn hier jemand ein Hirngespinst war, dann Pascal. Er schloss die Augen, entspannte sich und drehte den Kopf in Tekuros Richtung.