Erneute Truppenbewegungen beim Chaos

  • Hungersnot


    Nur ein vollkommener Idiot wie der Volksverräter Tarkan hatte auf die dämliche Idee kommen können, kurz vor dem Sieg einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Einen Waffenstillstand! Für die Rakshaner bedeutete dies vor allem eins - Hunger. Von Frieden profitierten nur die Sesshaften, die Häuslebauer, die zu nichts anderem gut waren, als Essen anzubauen und damit Dschans Volk zu füttern. Die Rakshaner lebten seit Jahrhunderten von Plünderungen. Landwirtschaft beherrschten sie nicht und die Jagd warf zu wenig ab, um eine Streitmacht von diesem Ausmaß zu ernähren. Die Krieger bekamen im Laufe der Monate des Waffenstillstands immer schlechtere Laune. Sie stritten oft, prügelten sich und begannen aus Langeweile und Frust sogar, sich gegenseitig zu ermorden. Es war beengt in dem Feldlager, Seuchen grassierten wegen der mangelnden Hygiene und dann erreichte sie die schreckliche Botschaft, dass ihre Familien im Landesinneren nichts mehr zu Essen hatten. Von den leeren Mägen der Krieger selbst ganz zu schweigen.


    So ging es nicht weiter.


    Die Vorräte waren aufgebraucht, das Wild ausgerottet und die Zentauren der Steppen waren von ihren eigenen Artgenossen, den Chaoszentauren, vor die Mäuler der Hyänen getrieben worden. Die Steppe war inzwischen nahezu zentaurenfrei. Mehr noch, die Rakshaner waren dazu übergegangen, die für sie kämpfenden Chaoszentauren zu schlachten, als wären sie Vieh. Inwzischen schlachteten sie sogar ihre geliebten Hyänen und das alles im Namen des Friedens! Das war der Punkt, an dem Dschan begriffen hatte, dass etwas geschehen musste.


    Die Späher der Lichtalben berichteten hernach, dass sich die Nordstreitmacht der Rakshaner zusammenzog und an der Küste sammelte. Das verhieß nichts Gutes.


    Die Chaossöhne sammelten sich an der Mündung des Mukawa und sie waren sehr laut. Hyänen jaulten, Männer sangen, Kriegshörner bliesen. Hektisch eilten lichtalbische Boten durchs Land - doch zu ihrer großen Verblüffung nahmen die Rakshaner am Ende den gegenteiligen Weg. Sie kehrten Avinar den Rücken und zogen restlos ab. Zurück blieb eine stinkende Schlammwüste aus zertrampelter Erde, Exkrementen von Hyänen, Ghulen und Menschen, dazwischen zerkaute Knochen und sonstiger Abfall. Pflanzen gab es schon längst nicht mehr. Der Wind trug den fauligen Gestank bis nach Avinar. Das etliche Hektar große Areal würde für Jahrzehnte unbrauchbar sein. Zum Abschied steckten sie noch die umliegenden Steppen- und Waldregionen in Brand. Am Ende des ungewöhnlich heißen und trockenen Sommers brannte das Land wie Zunder. Die Rakshaner ritten gegen den Wind davon, so dass das Feuer sie nicht einholen würde. Bald verschwanden die letzten Hyänenreiter am Horizont.


    An der Spitze der Streitmacht ritt Tarrik Dschan auf seiner Hyäne. Unter dem blauen Turban samt Gesichtsschleier grinste er selbstzufrieden vor sich hin.


    An der Küste entlang bewegten tausende berittene Rakshaner sich durch den Nebelwald in Richtung Südosten. Avinar atmete erleichtert auf. Andere würden an ihrer Stelle leiden. Waffenstillstand in Avinar? Dschan lachte innerlich. Bitteschön, da hatten sie ihn. Jemand anderes würde bluten und sein Volk nähren. Derweil konnten die Spitzohren sich mit einem Buschbrand rumplagen, der sich in ihre Richtung fraß.


    Frieden würde es nicht geben. Nicht, so lange Dschan atmete.

  • Marsch nach Südosten
    Sie wanderten an der Küste entlang und durchquerten den Nebelwald. Sie waren wie ein Heuschreckenschwarm und jagten, was ihnen vor die Kurzbögen kam. Das Wild wurde im küstennahen Teil Teil des Waldes nicht nur reduziert, sondern ausgerottet. Einige Tausend Rakshaner plus Hyänen wollten schließlich ernährt werden. Sie fraßen alles weg, was irgendwie fressbar war. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.


    "Waldalben von Südwesten!", rief einer der wiederkehrenden Kundschafter. "Fünfhundert Männer und Frauen, zu Fuß, hauptsächlich mit Bögen bewaffnet."
    "Bashan", rief Dschan einem seiner Männer zu. "Such sie auf und sage ihnen, wir wären nur auf der Durchreise. Ihr Dreckswald interessiert uns nicht."
    Bashan nickte und verschwand. Er kam niemals zurück.


    Dafür zischten bald die ersten Pfeile durch die Luft. Anstatt in Panik auszubrechen, reagierten die Rakshaner für die Waldalben unerwartet: Die geballte Streitmacht schwenkte in ihre Richtung und ritt auf sie zu, völlig ungeachtet davon, dass immer wieder Reiter getroffen von den Hyänen stürzten oder Hyänen sich im vollen Lauf überschlugen. Man ritt einfach über sie hinweg. Die Rakshaner überwalzten sie mit ihrer schieren Masse. Hyänen waren im Gelände wenidiger und trittsicherer als Pferde - obendrein hatten sie die Instinkte von Raubtieren. Den Waldalben kam auf der anderen Seite ihre Ortskenntnis entgegen und ihre Fähigkeit, sich zu verbergen und zu klettern. Es endete glimpflich für beide Seiten, Waldalben verbargen sich und die Rakshaner kehrten zur Küste zurück, um ihre Reise fortzusetzen. Es gab einige solche Scharmützel und einigel Tote auf beiden Seiten, doch diese kleinen Gefechte waren im Großen und Ganzen bedeutungslos. Ein paar hundert Waldalben waren nicht imstande, eine geballte rakshanische Streitmacht aufzuhalten und das war auch nicht nötig. Für den Wald interessierten die Rakshaner sich nicht, sie fraßen ihn zwar leer, aber zogen beständig weiter. Die Waldalben waren nicht lebensmüde genug, um sie mehr als nur zu piesacken. Stattdessen folgten sie ihnen in ausreichender Entfernung und versicherten sich, dass die Wüstensöhne sich hier nicht häuslich niederließen.


    Das erste feste Lager errichteten die Rakshaner an der Spitze der großen Landzunge, welche Die Skallische See vom Dhunischen Ozean trennte. Hier pfiff ein eisiger Wind von Norden, die Bäume waren krumm. Die Rakshaner hatten einige Mühe beim Aufbauen ihrer Zelte, ständig flogen die Lederplanen davon. Sturmleinen mit massiven knöchernen Erdankern wurden gespannt, um die Zelte am Boden zu halten. Am Horizont sah man einen grauen Streifen im dahinjagenden Nebel - Thogrim. Nach Süden hin ließ man die Hyänen frei laufend die Sicherung des Lagers übernehmen. Sie stöberten im Wald nach Fressbarem. Die Rakshaner beschäftigten sich damit, unter diesen Windbedingungen Feuer zu entfachen. Draußen war das nicht möglich, wie sie bald feststellen mussten, aber in den größeren Zelten konnte man Feuerstellen errichten. Aus deren Rauchabzügen qualmte es. Das Holz war feucht und so wurde eine größere Menge gesammelt und in den Zelten zum Trocknen aufbewahrt. Als all das geschafft war, rasteten die Rakshaner. Sie tranken heißen Kaffee und warten.

  • Überfahrt nach Tamjidistan
    Aus dem Morgendunst tauchten Schiffe auf. Nicht ein oder zwei, sondern eine ganze Armada. Die Rakshaner, von denen die meisten noch nie ein Schiff gesehen hatten, drängten sich neugierig ans Ufer. Die Schiffe rollten ihre Segel auf, eines nach dem anderen, so dass sie immer langsamer wurden, bis sie standen und die Anker ins Wasser fallen ließen. Die Seemänner kletterten die Taue hinauf wie zu große Spinnen. Das Einrollen der Segel erinnerte Dschan an das Einweben von gefangenen Insekten. Ein Beiboot wurde hinabgelassen und ruderte näher. Dschan gab Zeichen, Platz zu machen, damit die Neuankömmlinge sich nicht eingeengt und bedroht fühlten und wartete allein auf seiner Hyäne in der freigewordenen Mitte. Der Wind, der vom Meer wehte, war eisig und hinterließ Graupeln auf seinem blauen Turban.


    "Moin, Männer der Wüste", rief einer der Norkara mit rotem Haar und einem unrasierten Gesicht. Er schien ihr Anführer zu sein, zumindest trug er den voluminösesten Pelzkragen. Das Fell seiner Kleidung war nass und teilweise gefroren.


    Dschan verkniff es sich, darauf hinzuweisen, dass sein Heer aus der Steppe kam. "Grüße, Männer des tiefblauen Ozeans", antwortete er brüllend, um den Wind zu übertönen. Der Norkara sprang ins Wasser, als das Beiboot auf Grund gelaufen war und watete die restlichen Meter. Seine Stiefel waren entweder wasserfest oder es war ihm egal, dass seine Füße bei diesem Wetter nass wurden. Er reichte Dschan die Hand hinauf, der erwiderte den Händedruck, etwas reserviert, da er es nicht gewohnt war, das Nicht-Rakshaner ihn so herzlich begrüßten.


    "Thierival, Sohn des Halmod vom Möwenclan", stellte der Norkara sich vor. "Darfst Terry zu mir sagen." Er grinste ihn mit braunen Zähnen an. Dschan fand, der Kerl sollte besser einen Gesichtsschleier tragen. "Und wir sollen euch übersetzen, ja?"


    "Nach Tamjidistan", bestätigte Dschan. "In die alte Heimat, die wir vor Jahrhunderten verlassen haben. Die Wüste."


    "Und dort gibt`s ordentlich zu plündern?", hakte Terry nach.


    Dschan nickte. "Sehr ordentlich. Die Tamjid geben gute Sklaven ab, falls ihr welche braucht. Und sie haben Dächer aus Gold und Keller voller Weinfässer, Gewürze und Kaffee."


    "KAFFEE", riefen die Rakshaner im Chor und schlugen sich auf die Brust.


    "Kaffee", wiederholte Dschan nickend. "Alles ist so, wie wir es per Boten besprochen haben und die Abmachung gilt: Ihr setzt und über und wir zeigen euch, wo ihr eure Schiffe mit den Reichtümern der Tamjid volladen könnt, bis sie überquellen und fast untergehen."


    "Abgemacht." Terry grinste hinauf und reichte ihm erneut die Hand. Dschan nahm sie ein weiteres Mal und damit war das vorübergehende Bündnis besiegelt, schnell und unkompliziert, wie die Rakshaner es liebten und die Rabennorkara scheinbar auch.


    Die Rakshaner brachen ihre Zelte ab und räumten alles zusammen. Einige Stunden später waren die Schiffe der Norkara voll beladen mit Rakshanern und Hyänen. Verlassen, zertrampelt und schmutzig blieb der Strand zurück, übersät von zernagten Knochen und Abfall. Ein paar vergessene Ghule krochen wimmernd umher. Die Schiffe verschwanden im Nebel, aus dem sie aufgetaucht waren.

  • Anlandung


    Die Rümpfe der Schiffe gruben sich in den weichen Ufersand, als die Flotte anlandete. Rakshaner, Norkara und Hyänen sprangen hinaus und zogen die Schiffe an Land. Der Trockendschungel von Tamjidistan lag vor ihnen, das letzte Refugium der rebellischen Tamjid. Das Volk stolzer Sklaventreiber würde bald selbst die Ketten der Sklaverei zu spüren bekommen.


    Die Invasoren schlugen ihr Lager auf, geschützt zwischen den Dünen. Die Hyänen waren froh, wieder festen Boden unter den Pfoten zu haben, tobten herum, gingen im Wald jagen oder spielten. Den Rakshanern erging es kaum besser. Einige der Krieger wühlten sich lachend in den Sand ein vor lauter Glück, endlich die Seereise hinter sich gelassen zu haben und den unerträglichen Winter des Nordens. Im Land des ewigen Sommers lag die Wiege ihres Volkes und sie würden die letzten Bettwanzen daraus vertreiben. Die Norkara hingegen zogen sich fast nackt aus vor lauter Hitze. Anders waren die Temperaturen für sie nicht zu ertragen. Sie würden auf die harte Tour lernen müssen, dass leichte Kleider ihren Träger besser vor Sonne und Hitze schützten als nackte Haut.


    Nach einigen Stunden Rast machte Dschan sich wieder an die Arbeit. Er schickte mehrere Boten los an die Rakshaner, die in der Wüste Tamjara hausten. Die Tamjara lag hinter dem Dschungel und die Boten mussten Feindesland durchqueren, darum schickte er gleich mehrere los. Der Plan war einfach. Ihre rakshanischen Brüder aus der Wüste sollten eine breite Frontlinie bilden und die Tamjid restlos in die Arme der Armee an der Küste treiben. Dort würden die schwarzhäutigen Breitnasen einen überraschenden Empfang erleben.