Fäden des Schicksals

  • Intro
    Naridien, Hauptstadt Shohiro, Frühling 204 nach der Asche.


    Rot und weiß blühende Rosen säumten den Weg, immer im Wechsel, den Hügel mit dem gleichmäßig geschorenen Teppichrasen hinauf. Es waren winzige Pflanzen, kein Jahr alt und vermutlich in voller Blüte vom Gärtner gekauft, um den Weg zum Herrenhaus zu verschönern. Unter dem grauen Himmel wirkten die eng gelegten quadratischen Billig-Steine des Weges, den sie schmücken sollten, besonders trostlos. Wie viel reizvoller waren die zwischen blühendem Unkraut liegenden Natursteine aus dem Fluss gewesen, auf denen Vanja in seiner Kindheit entlanggehopst war. Hier stand er nun mit seinem hastig zusammengestopften Notgepäck und blickte durch das Gitter auf das entfremdete Grundstück.
    ›Campinelli‹ verkündete das Namensschild auf dem neuen Briefkasten, das weiß gestrichene Eisentor war verschlossen und Vanjas Schlüssel passte nicht mehr.
    Er überlegte, ob er läuten und nachfragen sollte, verwarf den Gedanken dann aber. Wenn der naridische Zweig der Wigbergs das Anwesen verkauft hatte, würden sie dem Käufer ein Lügenmärchen aufgetischt haben, warum sie das taten und wohin sie nun zogen. Kein Außenstehender bekam die Wahrheit serviert und erst Recht nicht, wenn dafür kein deutlicher Nutzen für die Familie heraussprang. Kaum eine andere Familie hüllte sich in ein so dichtes Netz aus Lügen, falschen Dokumenten und Tarnidentitäten wie die Wigbergs. Ein Netz, das seit Jahrhunderten weite Teile Asamuras durchzog und das doch fast niemand bemerkte, bis er selbst hineingeriet. Schon so manche Fliege hatte sich darin verfangen.
    Nach diesem Netz suchte Vanja nun verzweifelt, er musste von der Bildfläche verschwinden und das möglichst schnell und komfortabel, doch leider war das Netz für den Außenstehenden unsichtbar. Auch für Mitglieder der Familie, wenn sie nicht wussten, wonach sie suchen mussten. Er selbst trug seinen Namen ebenfalls nicht offen zur Schau. Für den Uneingeweihten war er Pater Syrell, ein etwas schrulliger Priester, der statt der schwarzen Kapuze der Priesterschaft von Zeit und Raum in seiner Freizeit gern einen leuchtend blauen Kopfputz aus Ledwick trug, um anzuzeigen, dass er jetzt Feierabend hatte und nicht mit Fragen zu theologischen Schriften, spontanen Lebensbeichten oder Bitten um Handauflegen behelligt zu werden wünschte.
    Als würde Ainuwar sich nun über die Schande ärgern, die dieser Wigberg über seine Priesterschaft brachte, ergoss sich aus dem grau verhangenen Himmel ein feiner Nieselregen über Pater Syrell.
    Mit einem missmutigen Seufzen schulterte er seinen Pilgerstab, an dem das Gepäck baumelte, und folgte der Salzstraße zum Marktplatz, wo er sich bei den Händlern nach einer Mitfahrgelegenheit erkundigen wollte. Das Grau des Himmels verdunkelte sich zu schwarz und die Nacht brach herein.


  • S
    ich ausgiebig räkelnd erwachte Leylin in ihrem großen Himmelbett. Die seidigen Laken schmeichelten ihrer nackten, jugendlichen Haut als sie diese von sich schob und sich grazil als ihrem Lager erhob. Obwohl es in ihrem stilvoll eingerichteten Keller stock dunkel war und ein normales Auge nichts zu sehen vermocht hätte, fand die Vampirin sich ohne Probleme zurecht. Es war ihrer Nachtsicht geschuldet, dass sie selbst in völliger Finsternis noch sehr gut sehen konnte. Trotz alledem entzündete sie vorsichtig einige kleine Kerzen, damit die Welt um sie herum nicht eintönig in Schwarz-, Weiß- und Grautönen verblieb. Leicht blinzelnd, sich an das warme Licht gewöhnend, griff sie nach ihren Gewändern und kleidete sich an. Zuletzt schnürte sie, so wie sie es jede Nacht tat, ihr ledernes Lieblingsmieder und betonte auf diese Weise ihre schmale Taille sowie die kleinen aber dafür festen Brüste. Woher sie genau wusste, dass die Nacht bereits herein gebrochen war, das konnte sie, sollte sie je jemand einmal danach fragen, nicht recht beantworten. Es fühlte sich an wie eine innere Unruhe, die sie jeden Abend zur Dämmerung erwachen ließ und sie hinaus in die Nacht trieb. Sie hatte in der heutigen Nacht einen wichtigen Termin mit Vahemyr, einen Lichtalben und Stoffhändler, der sich ebenfalls in der Stadt nieder gelassen hatte. Er hatte ihr eine Nachricht zukommen lassen, dass er eine neue Lieferung an teuren Stoffen erhalten habe, welche gewiss ihren hohen Ansprüchen genügen würde. Doch bevor die Schattenseele ihren heimischen Keller verließ, tauchte sie ihre Fingerspitzen in eine rötlich schimmernde Paste, welche sie anschließend gründlich auf ihren blassen Wangen verrieb.


    Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt und hier und da hatten sich bereits kleine Pfützen auf der unregelmäßig gepflasterten Marktstraße gebildet. Der Laden Vahemyrs war nicht weit entfernt und Leylin spürte die aufkeimende Vorfreude in ihrer Brust. Der Händler, der ebenso wie sie einst aus Naridien stammte, war ein gutaussehender Mann. Er hatte sonnengelbes Haar und strahlend blaue Augen, die gewiss so manche Dame um den Verstand bringen konnten. Wäre Vahemyr nicht solch ein wichtiger Geschäftspartner, vermutlich hätte die Schattenseele es sich nicht nehmen lassen mit ihm das Lager zu teilen. Doch auf ihre völlige Hingabe folgte stets ein Festmahl und sie war noch nicht bereit auf die edlen Stoffe des Händlers zu verzichten. Auf der Marktstraße war unter normalen Umständen zu Beginn der Nacht noch reichlich viel los, doch der zunehmende Regen hatte die meisten Einwohner in ihr Heim und die Reisenden die nächstgelegene Taverne getrieben. So war die Gasse beinahe menschenleer als die Vampirin die Kapuze ihres schweren, schwarzen Umhanges über ihr silberblondes Haar zog und sich auf den Weg machte. Auf leichten, leisen Sohlen bewegte sie sich beinahe lautlos durch die Nacht. Den Kopf gen Boden gerichtet, erwartete sie doch niemanden bei solch grausigem Wetter anzutreffen, war der kommende Zusammenprall nicht zu verhindern. „Passt doch auf…“, zischte die Albengleiche Gestalt den großen Mann an, der sie beinahe über den Haufen gerannt hätte.


    Sich innerlich aufregend hatte sie dem Fremden keinerlei weitere Beachtung geschenkt. Leylin hatte schließlich ein klares Ziel und der Regen lud nicht gerade zum Verweilen ein. Nass wie ein räudiger Straßenhund betrat sie letzten Endes das kleine Geschäft des Stoffhändlers, das Schild auf dem 'Geschlossen' stand, wie immer einfach ignorierend. Mit einem strahlenden Lächeln kam Vahemyr ihr entgegen und begrüßte sie freundlich. Er nahm ihr sogleich den nassen Umhang ab und bat sie ihn in das Stofflager zu begleiten. „Ich sage dir Leylin, solch edlen Stoff hattest du noch nie in den Händen. Er ist so zart wie der Morgentau und die Farben leuchten wie von den Sternen geküsst.“, säuselte der Lichtalb auf sie ein. Die Schattenseele war unter normalen Umständen keine Freundin von solch übertriebenen Beschreibungen, doch dies war nun mal die unverwechselbare Art des Händlers und sie hatte sich mit der Zeit daran gewöhnt. Sanft ließ sie ihre feingliedrigen Finger über die Stoffballen streichen und nickte bedächtig. „Du sprichst wahr Vahemyr, ich nehme sie alle. Bitte lasse die Stoffe morgen in der Abenddämmerung zu meiner Schneiderei liefern. Ich werde sie dort erwarten und in Empfang nehmen.“, sprach sie mit lieblicher Stimme ohne dabei den Blick von den Ballen abzuwenden. Dann blickte sie zu dem Alben auf und lächelte freundlich, jedoch ohne dabei ihre spitzen Eckzähne zu entblößen.


    Anschließend ließ sie sich ihren Umhang wieder um die zierlichen Schultern legen, zog die Kapuze erneut über ihr Haupt und verließ das Geschäft Vahemyrs. Die Türe war bereits hinter ihr ins Schloss gefallen, als Leylin aus den Augenwinkeln vernahm, dass bereits die Lichter in der Stube gelöscht wurden. Sie wandte sich noch einmal und beobachtete die rötlich leuchtenden Konturen des Alben, die nur sie allein wahrnehmen konnte. Ein kurzes Seufzen kam über ihre vollen Lippen. Der Durst nach Blut war noch nicht sehr ausgeprägt, denn sie hatte erst vor zwei Nächten ihr letztes Mahl gehabt. Und dennoch vernahm sie ein leichtes Brennen in der Kehle und ein spürbares Pochen in den Schläfen. Sie stand noch immer unter dem kleinen Baldachin des Ladens, der sie vor dem Regen schützte. Wohin sollte sie nun gehen? Für eine erneute Jagd, war noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen, da es viel zu auffällig wäre, wenn in solch kurzen Abständen Menschen einfach verschwanden. Ja, sie musste vorsichtig sein, dem war sich die Vampirin mehr als bewusst. Würde sie zu gierig werden, zu ungeduldig, so würde man sie finden und vermutlich mit Fackeln und Mistgabeln aus der Stadt vertreiben – oder gar noch Schlimmeres. Doch sie hatte sich hier in dieser Stadt ein neues Heim geschaffen und hatte vor noch einige Jahre oder gar Jahrzehnte zu verweilen. Sie zog ihre Kapuze erneut tief ins Gesicht und machte sich eiligen Schrittes auf den Weg zurück in ihre Schneiderei.

  • Es mochte der Dunkelheit und dem feinen Nieselregen geschuldet sein, dass Vanja auf seinem Weg zum Markt von hinten angerempelt wurde. Doch als anstelle einer höflichen Entschuldigung ein Anraunzer folgte, verwarf er den Gedanken, dass er übersehen worden war. Er hielt inne, auf seinen Pilgerstab gestützt. Verärgert schaute er der jungen Frau nach, die im Dunst der Nacht verschwand. Vanja war mit seinen 42 Jahren weit davon entfernt, gebrechlich zu sein, aber unter der Priesterrobe war seine trainierte Gestalt nicht auszumachen. Da er bewusst leicht gebeugt ging, hatte die junge Frau nicht wissen können, ob sie den Herrn ins Straucheln oder sogar zu Fall hätte bringen können. Es gehörte schon eine besondere Dreistigkeit dazu, einen Gottesmann auf offener Straße dermaßen anzupöbeln, auch wenn er seine Freizeitchaperon trug. Das kannte er von Trunkenbolden, nicht jedoch von jungen Damen.


    Er setzte seinen Weg kopfschüttelnd fort. Wohlerzogenheit war zwar eine der Tugenden der Adelsausbildung, aber dennoch fand er, dass sie generell zu den Grundlagen des zivilisierten Zusammenlebens gehören sollte. In Naridien spielte ein Adelstitel keine Rolle, aber auch einem Volk von Bürgern stünde ein wenig Höflichkeit gut zu Gesicht. Er zog nun doch die schwarze Kapuze der Ainuwarpriester über das Haupt, um seine Chaperon gegen die Nässe zu schützen. Er bot nun, als er zwischen den Öllaternen, welche die Salzstraße beleuchteten entlangschritt, den düsteren Anblick, den man von der Priesterschaft von Zeit und Raum gewohnt war, ein Mann in schwarzer Robe, das Gesicht in den Schatten und einen übermannshohen Pilgerstab an der Seite.


    Ein nächtlicher Passant kam ihm entgegen. Nach einiger Zeit erkannte Vanja, dass es die selbe junge Frau war, auf ihrem Weg zurück. Er war gespannt, ob sie ihn ein weiteres Mal anrempelte, diesmal würde er sie lehren, Abstand und Anstand zu wahren. Aber eigentlich trachtete er nicht nach Streit, ihn interessierte vielmehr ein kurzes Gespräch. So schritt er ihr gezielt in den Weg.


    »Guten Abend, Mademoiselle. Du hast mich vorhin angerempelt. Abneigung gegen die Priesterschaft oder ein Versehen? In letzterem Falle würde mir eine symbolische Wiedergutmachung einfallen, da du dir vorstellen kannst, dass ich nicht freiwillig bei diesem Wetter durch die Nacht spaziere.«


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    as Gesicht gen Boden gewandt und hastig einen Fuß vor den anderen setzend hatte Leylin ihre Schneiderei ‚Mondgewand‘ schon fast erreicht. Der Regen durchnässte nach und nach ihren schweren Umhang und einige Strähnen des langen, silberblonden Haares lugten unter der Kapuze hervor. Leylin hasste Regen! Sie mochte weder die Nässe, noch den von nasser Kleidung ausgehenden, muffigen Geruch und sie freute sich bereits jetzt auf den Moment, da sie ihre Kleider von sich streifen konnte. Doch dann drang durch das Prasseln des Regens eine männliche Stimme an ihr Ohr, die sie ruckartig innehielten ließ. Missmutig hob die Vampirin den Kopf und blickte einem alten Mann ins Antlitz, der sich ihr beinahe schon auf eine unangenehm dreiste Art und Weise in den Weg stellte. Seine Worte lösten anfangs Verwirrung in ihr aus, doch dann entsann sie sich an den Zusammenstoß, den sie selbst schon wieder vergessen hatte. Die Lichtalbe legte den Kopf leicht schief und gestattete sich den Kerl genauer zu betrachten. Es war ein Mann im Priestergewand, der leicht gebeugt einen Stab zu Hilfe nehmend immer noch einen halben Kopf größer war als sie. Seine Augen lagen unter der Kapuze verborgen, doch die Stoppeln im Gesicht ließen ihn mehr wie einen Vagabunden als wie einen Mann Gottes erscheinen. Die Tatsache, dass er ohne zu fragen die persönliche Anrede ‚Du‘ verwendet hatte, fachte Leylins aufkeimenden Zorn fast noch mehr an als die Dreistigkeit zu behaupten, sie wäre es gewesen, die ihn angerempelt hatte. Beide Hände in die Hüfte stemmend schaute sie also zu ihm auf.

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    s war der Schatten des Priesters, der ihr Gesicht vor seinen Blicken verbergen musste und so begann Leylin frei zu sprechen: „Ich soll Euch angerempelt haben? Wenn ich mich recht entsinne, war ich diejenige die fast ins Straucheln geraten wäre. Mit welcher Begründung sollte ich mich auch des nachts einem Fremden absichtlich in den Weg stellen?“. Sie ließ dem Mann einige Momente Zeit über das Gesagte nachzudenken. Sie war klein und ihr Körper von zierlicher Statur. Die Vampirin hatte vor Kurzem erst ihren Durst gestillt und ihr Gesicht, würde er es denn in allen Einzelheiten erkennen können, war jugendlich und ebenmäßig. War sie allein auf den Straßen unterwegs, was selbstredend häufig vor kam, wurde sie oft dem ersten Anschein nach für ein Kind gehalten und dann eben auch wie eben solch eines behandelt. Doch sie war kein Kind, ganz gewiss nicht. „Eine Wiedergutmachung?“, fragte Leylin ungläubig und ein helles Lachen kam über ihre sinnlichen Lippen. „Wenn unser Zusammenprall eine rein zufällige Begegnung war, so schuldet Ihr mir ebenso eine Entschuldigung wie ich Euch eine schulde.“, kommentierte sie seine absurde Forderung. Der Regen hatte derweil nochmals zugenommen und ergoss sich nun in Strömen auf ihre Häupter. Ohnehin mittlerweile vollkommen durchnässt, schob Leylin ihre Kapuze vom Kopf. Sie begann den Priester mit grazilen Schritten zu umkreisen und blickte sich rasch in der Gasse um. Hier und da brannte in einigen Fenstern noch Licht, doch auf der Straße waren sie allein. Sie spielte mit dem Gedanken sich ein Nachtmahl zu gönnen, doch hier war kein guter Ort für ein solches.

  • Vanja schmunzelte amüsiert, als die kleine Dame ihn umkreiste und die Umgebung ausspähte. Ob ihr bewusst war, wie auffällig ihr Verhalten für das Opfer in spe war? Wie eine Räuberin, die ihm die Kehle durchschnitt, sah sie nicht aus. Einen Mord an einem ärmlich aussehenden Reisenden zu riskieren hätte sie nicht nötig bei ihrer teuren Kleidung. Er tippte auf eine Taschendiebin.


    »Wenn es denn ein Zufall war, so bitte ich natürlich höflich um Vergebung und hoffe, dir mit meiner kalten Schulter keinen Schmerz zugefügt zu haben, der das Maß des Erträglichen überschreitet. Kleine Mademoiselle, wie du siehst, bin ich ein Pilgerreisender. Es ist Nacht und ich bin weit gereist. Du hörst es an meinem Dialekt, ich bin zu Fuß den weiten Weg aus Souvagne gewandert, auf der Suche nach Erleuchtung. Und mein Ziel ist noch so fern, nicht in dieser Nacht zu erreichen, wenn man von Spenden und Opfergaben lebt und sich daher keine Mitfahrgelegenheit leisten kann. Möchtest du mir nicht eine Einladung aussprechen, mich am Ofen zu wärmen und mich an einer Speise zu laben?«


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    eylin hielt augenblicklich in der Bewegung inne als der Fremde erneut seine Stimme erhob und blieb vor dem gebrechlich wirkenden Mann stehen. Nachdenklich legte sie den Kopf schief und blickte zu dem Priester auf. „Nun, wenn es so ist, dann will ich euch vergeben.“, sprach sie beinahe schon in einem belustigten Tonfall. Wenn die Maus von sich aus zur Katz kommen wollte, dann würde das Raubtier gewiss nichts dagegen einzuwenden haben. ‚Töte niemals an jenem Ort, wo du tagsüber schläfst…‘, hallte ein gut gemeinter Ratschlag in ihren Gedanken wieder, den sie einst von einem anderen Vampir erhalten hatte. Doch was sollte schon geschehen? Niemals hatte jemand ihren Keller unter der Schneiderei betreten und einen Priester auf Pilgerreise würde gewiss niemand bei ihr suchen. Sie schürzte also die Lippen und sagte dann: „Wer bin ich schon, einem alten Mann solch einen Wunsch abzuschlagen?“. Ihre blauen Augen funkelten voller Vorfreude, bevor sie weiter sprach: „Sofern Ihr Euch friedlich verhaltet und Euch einer Dame gegenüber zu benehmen wisst, dürft Ihr mich begleiten… Aber erwartet nicht, dass ich Euch ein Abendmahl bereiten werde.“. Welch ein Narr, schalt sie den Fremden in Gedanken. Alte Priester gehörten zwar nicht zu ihrer bevorzugten Beute, aber wenn sich jemand so bereitwillig in ihre Fänge begab, so würde sie gewiss nicht ablehnen. „Folgt mir einfach. Es ist nicht weit… Oder soll ich Euch stützen, nachdem ihr solch eine beschwerliche Reise hinter Euch habt?“, säuselte die Vampirin und bot ihrem Gegenüber ihren Arm an, bevor sie sich gemeinsam auf den Weg machten.

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    er Regen wollte in dieser Nacht einfach nicht nach lassen und so war Leylin sichtlich erleichtert, als sie den kleinen Schlüssel in das Schloss ihrer Schneiderei steckte und die Türe aufschob. Vor Nässe triefend betrat sie zu erst das kleine, aber edel eingerichtete Geschäft. Überall lagen Stoffballen kreuz und quer, hier und dort standen hölzerne Puppen gekleidet in kostbare Gewänder. In der hintersten Ecke des Raumes war eine hölzerne Tür, dahinter verborgen lag die enge Wendeltreppe, die in den Keller und somit in das Schlafgemacht der Vampirin führte. Rasch entzündete die vermeintliche Albe einige Kerzen und tauchte so den Raum in ein gemütliches, warmes Licht. „So, da wären wir. Fühlt Euch ganz wie daheim…“, sprach sie während sie der letzten Kerze zugewandt war und eben jenen Docht entflammte. Mit einem leisen Schmatzen landete ihr vor Nässe triefender Umhang achtlos auf dem Boden, wo sich sogleich eine kleine Pfütze ausbreitete. Sie griff anschließend nach einem Tuch und hielt es dem Priester hin, ehe sie sich selbst ein wenig trocknete. Ihre Bewegungen waren grazil, ihr zierlicher Körper lag nun nicht mehr unter dem schweren Stoff verborgen. Es mochte auch Männer geben, die auf üppige Weiber mit dicken Eutern standen, doch man sollte gar nicht glauben, wie viele Kerle sich nach ihrer Jugendlichkeit verzehrten. Fast schon schüchtern blickte sie zu dem Fremden hinüber und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Sie mochte unschuldig und hilflos wirken, was zugebener Maßen ihre liebste Masche war. Dann wandte sie den Blick wieder ab und sprach: „Es ist wahrlich kein Palast, aber einen trockenen Ort zum Schlafen werdet Ihr hier finden.“.

  • Nachsichtig lächelnd schüttelte Vanja den Kopf unter der schwarzen Kapuze, unter der die azurblauen Enden der Chaperon heraushingen, als das Fräulein ihm den Arm anbot. »Danke, aber ich bin noch ganz gut zu Fuß unterwegs. Nur der Rücken macht mir bisweilen zu schaffen, darum trägt der Stab für mich den Großteil der Last. Ich kann ihn zwischendurch samt Bündel auf den Boden stellen oder an eine Wand lehnen, wenn das Gepäck mich zu sehr drückt. Das ist komfortabler, als einen Rucksack auf- und abzusetzen.«


    Er folgte der jungen Dame, die ihn kurzerhand nicht nur in ihre Schneiderei und deren private Gemächer, sondern kurzerhand direkt in ein Schlafzimmer führte. Er nahm an, dies sei ein Gästeschlafzimmer und sah sich nach einer Möglichkeit um, seinen Stab abzustellen.


    Er hatte ihn gerade in der Ecke an die Wand gelehnt, da fielen die Hüllen der jungen Frau. Das erstaunte Vanja dann doch. Einiges hatte er von der vermeintlichen kleinen Gaunerin erwartet, aber das nicht. Er zog amüsiert die Brauen hoch, setzte sich auf einen Stuhl und genoss die Vorführung, die zweifellos bewusst für ihn arrangiert war. Er versuchte zu schätzen, wie alt das Fräulein war. Höchstens zwanzig, eher jünger. Ihre Brüste zeigten sich klein, mit weichen Spitzen, die nicht auf Kinder schließen ließen. Vielleicht eher siebzehn? Sechzehn? Ihr Leib wirkte makellos und unverbraucht und der Priester ließ es sich nicht nehmen, ihren Körper in seiner Gänze zu begutachten. Als sie ihm das Handtuch reichte, wippten ihre kleine Brüste. »Merci, Mademoiselle«, sprach Vanja freundlich und ließ offen, ob er das Handtuch meinte oder die Vorführung, die er soeben geboten bekam. »Was verschafft mir die Ehre?« Er schlug die Kapuze zurück und zog die Chaperon vom Kopf, die er über die Ecke der Stuhllehne hängte. Die Frau sah nun sein kurzes, aschblondes Haar, das von der Feuchtigkeit dunkler wirkte und in nassen Spitzen nach oben stand. Alles in allem war der Priester ein unauffälliger Mann, doch wenn man sich die Zeit nahm, ihn zu betrachten, stellte man fest, dass er keineswegs unattraktiv war.


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    eylin legte den Kopf leicht schief und blickte den Fremden mit ihren großen, unschuldigen Augen an. Sie hatte geglaubt, dass sie den Priester nicht ohne Weiteres verführen konnte, doch allem Anschein nach schien er auch nicht gänzlich abgeneigt zu sein. Ein kokettes Lächeln legte sich auf ihre vollen Lippen, als sie nach einem trockenen Nachthemd griff, welches sie sich kurzerhand überstreifte. „Ehre? Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht. Ist es nicht Recht, wenn eine durchnässte Dame sich in ihren eigenen vier Wänden trockenes Gewand anlegt?“, stellte sie nüchtern fest und setzte sich rücklings auf ihr Bett. Früher einmal hatte sie so etwas wie Scham verspürt, doch mit den Jahren war das unangenehme Gefühl welches mit der Nacktheit einherging fast gänzlich verschwunden. Sie hatte einen jungen, ansehnlichen Körper, nichts was es zu verstecken gab. Und wieso sollte sie Angst davor haben, was man über sie redete? Die meisten Männer erlebten nach einer Nacht mit ihr den nächsten Sonnenaufgang ohnehin nicht mehr. „Wie bereits schon erwähnt, habe ich nichts zu Essen im Haus und kann Euch daher nicht mit einem Abendmahl dienen. Ich hoffe, Ihr werdet mir diese Nacht nicht verhungern?“, fragte sie und lehnte sich leicht zurück, um sich auf den Händen aufzustützen. Ein wollüstiger Mann würde sich diese Gelegenheit wohl nicht entgehen lassen, doch von einem Mann Gottes erwartete sich die Vampirin Keuschheit und Zurückhaltung. „Und dann gilt es noch die Frage zu klären, wo Ihr nächtigen wollt... Ich fürchte ich habe nur ein einziges Bett.“, fügte sie hinzu und schürzte die Lippen.

  • "Mademoiselle", sprach Vanja freundlich, "ich mag aus Almanien stammen, doch sind mir die naridischen Gebräuche nicht gänzlich unbekannt. Ich habe Verwandtschaft hier, welcher ich eigentlich auf meiner Reise einen Besuch abzustatten gedachte, doch leider sind sie gerade nicht in der Stadt. Dies hat dazu geführt, dass ich um diese Unzeit und zu diesem Unwetter durch Shohiro vagabundieren musste. Dass ein hilfsbereites junges Fräulein einen fremden Mann in ihr Schlafzimmer bittet und nicht in die Küche, ist auch in einem liberalen Land wie Naridien zumindest ungewöhnlich. Nicht, dass es mir etwas ausmachen würde, glänzt mein Charakter doch durch Bescheidenheit. Über das Dach über dem Kopf zu einer einsamen und kalten Regennacht würde sich nur ein Narr beschweren. Andersherum würde mancher es für wenig klug erachten, als junges Fräulein, das offenbar gerade allein in den eigenen vier Wänden weilt, einen Fremdländer ins Haus zu bitten und in das eigene Schlafgemach zu führen. Kam dir zu keinem Moment der Gedanke, dass dies gefährlich für dich sein könnte, mein Kind?"


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    in glockenhelles Lachen erklang aus Leylins Kehle. „Ich will Euch nicht zu nahe treten alter Mann, aber es war Eure Idee mich zu begleiten. Ich meine… Seid Ihr nicht ein Mann Gottes? Ich habe nicht irgendeinen fremden Mann in mein Gemach geführt, sondern einem Priester ein Dach über dem Kopf geboten. Sagt mir, sollte ich mich vor Euch fürchten?“, fragte die jung aussehende Albe und erhob sich grazil. Mit kleinen Schritten ging sie auf den Fremden zu und hüpfte leichtfüßig über eine der kleinen Pfützen, die sich auf dem Boden gebildet hatte. Dieser Raum, der fensterlose Keller, war nicht nur ihr Schlafgemach, sondern auch ihr Arbeitsplatz. Gewiss drängte sich das große Himmelbett schnell in des Betrachters Vordergrund, doch nahm man sich die Zeit genauer hinzuschauen, fielen auch hier die zahlreichen Stoffballen auf, die sich in den Ecken auftürmten. Leylin blieb vor dem älteren Mann stehen, der warme Schein der Kerzen ließ ihre Hautfarbe gesünder erscheinen, als sie tatsächlich war. „Doch wenn Ihr um mein Wohl besorgt seid guter Mann, dann steht es Euch frei zu gehen. Falls Ihr aber bleiben wollt, so bitte ich um zweierlei Dinge. Erstens, gebietet es wohl die Höflichkeit mir euren Namen zu nennen und zweitens so sprecht doch auch mich mit meinem Namen an. Leylin, das ist der Name, den meine Eltern mir einst gaben.“ Die Vampirin lächelte freundlich und wandte sich dann einem Kleid zu, dass von einer der hölzernen Puppen getragen wurde. Sie runzelte nachdenklich die Stirn und griff dann nach einem Nadelkissen, um den Saum gewissenhaft abzustecken. Auf den Knien hin und her rutschend, hier und dort einige Nadeln feststeckend, fragte sie bewusst zweideutig, aber mit unschuldigem Tonfall: „Also, was ist es, das Ihr begehrt?“.

  • "Pater Syrell", stellte der Priester sich vor. "Dem Protokoll folgend anzusprechen mit Pater oder Hochwürden, gern auch als hochwürdiger Herr zu titulieren. Aber als Glaubensschwester weißt du dies natürlich, Leylin. Alter Mann ist jedenfalls nicht die geeignete Anrede für einen Priester." Er zwinkerte ihr zu.


    Vanja stand vom Stuhl auf und zog sich den schwarzen, wollenen Kapuzenmantel aus, der vom Regen schwer geworden war wie ein Kettenhemd, seinen Träger darunter allerdings trocken gehalten hatte. Unter dem Mantel trug er einen schwarzen Talar, ebenfalls mit Kapuze, aber aus sehr viel leichterem Stoff und natürlich ebenfalls in tiefem Schwarz gehalten. Aufgrund der Schärpe um die Hüfte, die seine natürlichen Konturen unter dem Gewand verriet, sah Leylin nun, dass der Mann weit davon entfernt war, ein klappriger Greis zu sein. Er wirkte kerngesund, vielleicht sogar sportlich. Seine Bewegungen ohne den Pilgerstab schienen leichtfüßig, als er sich erhob. Er hängte den nassen Mantel so an einen freien Haken, dass er keine anderen Stoffe mit seiner Feuchtigkeit verdarb.


    "Für das Dach sei dir mein Dank gewiss, ebenso werde ich dich für die Zeit unserer gegenseitigen Gesellschaft in meine Gebete an den Höchsten einschließen. Ob du dich vor mir fürchten solltest, kann ich dir nicht beantworten. Ein jeder Mensch sollte für sich betrachtet werden, weshalb ich mit Pauschalurteilen zurückhaltend bin. Ich habe schon Rakshanern die Beichte abgenommen und die letzte Ölung zuteil werden lassen. Hätte ich mich vor diesen frommen Männern aufgrund der Historie ihres Volkes fürchten sollen, obgleich sie selbst einen redlichen Lebenswandel vollzogen? Umgekehrt kenne ich Geistliche, die der Bezeichnung Priester nicht würdig sind und in ihrer Lasterhaftigkeit den einfachen Sünder noch übertreffen. Solche Menschen sind gefährlich wie Sonnentau, eine fleischfressende Pflanze, die dem arglosen Insekt klebende Verdauungssekrete als köstliche Nektartropfen feilbietet." Er nahm wieder Platz und sah sie neugierig an. "Was ich begehre ist eine interessante Frage. Ich kann sie nicht aus dem Stehgreif beantworten. Was begehrst du, Leylin?"


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    eylin ließ es sich nicht entgehen ob der Zurechtweisung des Priesters zu schmunzeln. Sie steckte die letzte Nadel fest und nickte zufrieden, dann erhob sie sich wieder und blickte ihren Gast an. „Hmm… Euer Hochwürden? Ich fürchte das mag mir nicht so leicht von der Zunge gehen.“, sagte die junge Frau, während sie den Priester beim Entkleiden beobachtete. Er selbst hatte schließlich seine Augen kaum von ihr lassen können, hatte sie förmlich mit seinen Blicken entkleidet und sie hatte ihm den Gefallen getan. Wer weiß wann der Priester das letzte Mal eine nackte Frau gesehen hatte? Aber nun war sie an der Reihe und musste erstaunt feststellen, dass Pater Syrell in einem besseren körperlichen Zustand war, als sie angenommen hatte. Leylin musterte den Priester unverhohlen und fragte sich, warum er wohl diese Maskerade aufführte. Hatte er etwas zu verbergen? In ihren großen, blauen Augen blitzte die Neugier auf. „Genau genommen lege ich wenig Wert auf Gebete, mein Glaube ist mir schon vor vielen Jahren abhanden gekommen. Demnach ist die Bezeichnung Glaubensschwester wohl auch nicht ganz gerechtfertigt. Muss ich nun Angst um mein Seelenheil haben, weil ich Euch alter Mann genannt habe?“, fragte die Vampirin und grinste den Pater schelmisch an. Er hatte nicht den Eindruck gemacht als hätte er sich ernsthaft daran gestört, vielleicht war er ja auch nicht gar so spießig, wie man es von einem Mann Gottes erwarten würde. Und wie hatte er selbst soeben erklärt? Es gab Priester, die in ihrer Lasterhaftigkeit den einfachen Sünder noch übertrafen. Vielleicht zählte er selbst ja zu eben jenen?

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    ar es denkbar, dass sie den Sünder in Pater Syrell wecken konnte? Bei dem Gedanken daran, was man alles Verbotenes mit einem Priester anstellen könnte, erwachten ihre zarten Knospen und richteten sich auf. Durch den dünnen Stoff des Nachthemdes waren die Konturen gut erkennbar und kaum zu verbergen. „Ihr wollt mir also nicht verraten, was Ihr begehrt, aber für meine geheimen Wünsche interessiert Ihr Euch?“, stellte Leylin nüchtern fest und schaute den Pater herausfordernd an. Sie legte den Kopf schief und dachte einige Momente nach. Die Wahrheit konnte sie dem Fremden ja wohl kaum auf die Nase binden, also musste sie der Frage geschickt ausweichen. „Ich fürchte, das was ich begehre ist nichts, was ich einem Priester anvertrauen würde. Wenn ich Euch dies erzählte, Ihr würdet mich gewiss übers Knie legen wollen, um mir die schmutzigen Gedanken auszutreiben.“, raunte sie leise und blickte ihm direkt in die Augen. Sie beobachtete ihn ganz genau, achtete auf jede Regung in seinem Gesicht, seine Gesten, seine Reaktion. Dann lachte sie leise und kommentierte: „Nur ein kleiner Scherz…“. Leylin zwinkerte dem Pater zu und wandte sich wieder dem Kleid auf der hölzernen Puppe zu. Beinahe schon zärtlich strich sie den teuren Stoff glatt. Ihr Werk war fast getan, es fehlten nur noch wenige Nähte und es wäre vollbracht. Hätte sie für diese Nacht ihre Pläne nicht bereits geändert, so wäre sie gewiss bis zum Morgengrauen fertig geworden. „Ihr müsst müde und erschöpft sein Pater. Vielleicht solltet Ihr Euch einfach zur Ruhe legen, ich habe ohnehin noch Einiges zu erledigen.“, bot Leylin an und deutete auf das große Himmelbett.

  • Der Pater schaute auf das Bett. "Es ist eine Weile her, seit ich das letzte Mal in einer solch komfortablen Schlafstätte wie dieser die Nacht verbracht habe. Du musst wissen, liebes Kind, meine Kammer im Tempel bietet für die Nacht nur eine schmale und sehr harte Pritsche. Die Gottesdiener sollen es sich dort nicht allzu sehr gemütlich machen, sondern sie zum Schlafen benutzen und für sonst nichts. Ich möchte nicht jammern, die Notwendigkeit einer demütigen und bescheidenen Lebensweise habe ich als Priester natürlich vollumfänglich verinnerlich. Aber man wird nicht jünger und Schmerzen sind der regenerativen Wirkung des Schlafes abträglich. Ich gehöre zudem nicht zu der Sorte Priester, welche eine Kasteiung für notwendig erachtet. Stattdessen glaube ich, dass körperliches Wohlbefinden einhergeht mit der geistigen Leistung sowie der Fähigkeit zur Hingabe. Wie soll man Ainuwar dienen, wenn man am Ende nur damit beschäftigt ist, das eigene Dasein gerade so zu ertragen?" Vanja blickte theatralisch gen Zimmerdecke. "Soll denn jeder einfache Gottesmann das Märtyrertum anstreben? Ist dies nicht anmaßend tatsächlichen Märtyrern gegenüber die für uns litten, bluteten und starben?"


    Vanja hörte auf, nach oben zu blicken und wandte den Blick wieder nach unten. Er zog die Stiefel aus und rümpfte die Nase. Nach einer so langen Reise bei Regenwetter erinnerte das aufsteigende Aroma aus seinem Schuhwerk an einen schlecht durchlüfteten Komposthaufen.


    "Ich weiß das Angebot, dein Bett zu nutzen, zu würdigen und möchte es voll Dankbarkeit annehmen", sprach er, während er die Stiefel mit leicht angwiderter Miene beiseitestellte. "Wäre es denkbar, dass du mir einen Zuber zur Verfügung stellst, in welchem ich die Kruste der Strapazen und Entbehrungen von meiner Haut zu schrubben vermag? Ich fürchte, deine Matratze muss sonst nach der Benutzung beim Kaminfeuer vorsprechen. Und nein, natürlich musst du nicht um dein Seelenheil fürchten wegen einer kleinen Unhöflichkeit. Ich denke, dann müsste auch ich davon ausgehen, nach meinem Ableben im Abgrund zu landen."


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    nd schon passierte es: Der Pater begann einen inneren Monolog zu führen, nur war dieser viel mehr laut ausgesprochen und die Vampirin langweilte sich bei den Worten beinahe zu Tode. Ihre einstige Erregung verlor sich in der Flut der Worte und hinterließ nur noch einen süßen, fast vergessenen Beigeschmack auf ihrer Zunge. Die Schwarzhaarige stach eine weitere zarte Nadel durch den teuren Stoff und fixierte gewissenhaft den Saum, als plötzlich ein unangenehmer Geruch in ihre empfindliche Nase stach. Sie drehte sich zu ihrem Gast um und rümpfte noch immer leicht die Nase. Dieser ältere Mann stank wie ein nasser Hund und sie musste ihm beipflichten, dass sie ihn so ganz gewiss nicht in ihre feinen Laken kriechen lassen konnte. Ein leises Seufzen kam über die vollen Lippen der Albe. „Die Treppe hinauf im Laden hinter der verzierten Trennwand befindet sich gewissermaßen ein Zuber, doch ist dieser selbstredend nicht gefüllt zu dieser unsäglichen Zeit.“, begann sie zu sprechen. „Unter normalen Umständen kümmern sich meine Angestellten um solcherlei Dinge und ihr müsst mir zugestehen, dass meine zarten Hände zu kostbar sind um damit Eimer für Eimer Wasser vom Brunnen bis hier herein zu schleppen.“, fügte sie hinzu und zuckte mit den schmalen Schultern. Anschließend erhob sie sich und trat einen mit Wasser gefüllten Krug, der nehmen ihrer Waschschale stand. Sie goss großzügig das kühle Nass in die Schale und deutete dann darauf. „Ich fürchte also, Ihr müsst euch mit meiner Waschschale begnügen Pater. Es ist vielleicht nicht dass, wonach es euch gelüstet im diesem Augenblick, aber ich versichere Euch, es ist immer noch viel besser als nichts.“

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    eylin stellte den beinahe leeren Krug wieder neben der Schale ab und blickte in die spiegelnde Wasseroberfläche. Ihr Gesicht war jung und tadellos, ihre letzte Mahlzeit nicht allzu lange Zeit her. Dann schaute sie zurück zu dem Priester. Was würde er nun wohl tun? Sollte er sich tatsächlich vor ihr entkleiden? Gewiss war dies nicht seine Absicht, doch sie würde sich nicht aus ihrem eigenen Gemach vertreiben lassen, so viel war klar. Nun, mit seinen Worten hatte er sie schon überrascht und auch ihre eigene Nacktheit schien ihm nicht gerade unwillkommen gewesen zu sein. Also wer vermochte es schon genau zu sagen? Spielerisch steckte sie einen Finger in das Wasser und ließ das kühle Nass über ihre blasse Haut gleiten. Wie eine kleine, glitzernde Perle rann der Tropfen über ihre Hand, bis sie in letzten Endes zwischen zwei Fingern verrieb. „Ich fürchte, das Wasser ich auch ziemlich kalt.“, sagte sie und schenkte dem Priester ein scheues Lächeln. Noch eine Tatsache, die sie nicht zu ändern vermochte, denn allein der Gedanke daran ein Feuer zu entfachen, schreckte sie ab. Der Priester konnte sich mit dem zufrieden stellen, was sie ihm bereitwillig zu geben bereit war oder er sollte zusehen und verschwinden. Er war gewiss nicht der letzte Mann, der sich in ihr Schlafgemach verirren sollte und nachdem sie die Dämpfe seiner stinkenden Füße wahrgenommen hatte, war auch ihr Appetit auf frisches Blut deutlich gezügelt. Ohne ein weiteres Wort widmete sich Leylin erneut dem teuren Kleid auf dem Holzgestell. Mit geschickten Fingern fädelte sie ein dünnes Garn in die Öse einer Nadel und begann mit geschmeidigen Bewegungen den Saum umzunähen.

  • Sonderlich erquickt ob der Predigt wirkte das junge Fräulein nicht, wenn Vanja sich ihr Gesicht besah. Aber sie wahrte den höflichen Schein und ertrug den Monolog klaglos, was ihm ein Schmunzeln entlockte. Sie war entweder sehr höflich, sehr leidensfähig ... oder es gab etwas, für das zu leiden sich lohnte. Vielleicht hoffte sie auf das, womit sie ihn sacht lockte? Vanja war ein Mann, der die vierzig überschritten hatte und sah die Botschaften der Verheißung, und seien sie auch mit dem Deckmantel der Zufälligkeit verhüllt. Er sah sie und las sie. Mochte sein, dass Leylin nur seine Blicke genoss, gegebenenfalls mochte auch mehr sein. Vielleicht aber war Leylin auch tatsächlich nur eine raffinierte kleine Gaunerin, die mit ihm ihr Spielchen spielte, bis die Gelegenheit günstig war.


    "Das Wasser eines Gletscherflusses ist oft erstaunlich warm gegen die Seele eines Menschen. Habt Dank für die Wasserschale, mich schreckt diese Art von Kälte nicht." Dieses Mal war sein Lächeln ehrlich.


    Nachdem er sich seines Schuhwerks und der Kopfbedeckung bereits entledigt hatte, folgte nun die schwarze Robe - unter der er eine zweite, dickere Robe zum Wärmen trug. Und darunter - ein langes Untergewand. Eine Unterhose trug der Pater nicht. Damit war er allerdings keine Ausnahmeerscheinung, sondern dieses Kleidungsstück war in Almanien nach wie vor eine Seltenheit und wurde eigentlich nur in Kombination mit einer Hose getragen. Der Pater offenbarte sich als erstaunlich trainiert für den tattrigen Gottesmann, den er soeben noch abgegeben hatte. Schlank und biegsam war er, wie ein Wiesel, dabei von weicher Kontur, man hätte ihn für einen Tänzer halten können und läge damit gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Man sah, dass er sein braunes Körperhaar sonst zu entfernen pflegte, denn nichts als Stoppeln bedeckten seinen Leib. Der Nachteil seiner Nacktheit war, dass der Mann so noch schlimmer stank als bekleidet.


    "Wonach es mich gelüstet", wiederholte Vanja gedehnt, während er an die Waschschüssel trat. Seine Hand suchte Seife und Lappen, doch nichts davon war vorhanden, so dass er mit dem bloßen Wasser Vorlieb nehmen musste. Vielleicht wollte sie ihm damit zeigen, dass er als Gast hier eine untergeordnete Rolle spielte. Gut, gut. Damit ließ sich leben, das Hausrecht war ihm nicht fremd. So wusch er sich mit den Händen von Kopf bis Fuß, wobei er nicht zögerte, auch die persönlichsten Regionen in ihrer Gegenwart einer gründlichen Reinigung zu unterziehen.


    "Sprecht, schöne Leylin, wo sind denn Eure Mägde und Knechte, von denen Ihr spracht, dass Ihr gezwungen seid, bei Eurer zarten Statur selbst die schweren Eimer zu schleppen? Wenn ich mir die Fingerfertigkeit ansehe, mit der Ihr das Gewand dort näht, erscheint mir diese Vorstellung wie ein Frevel. Diese Taugenichtse gehören vom Hausherren dafür ausgepeitscht, dass Ihr gezwungen wart, die Zartzeit Eurer Hände zu gefährden." Wofür er die besagte Zartheit praktisch gefunden hätte, ließ er in diesem Zusammenhang unerwähnt.


  • D
    as Geräusch herab fallender Kleider erregte die Aufmerksamkeit der Vampirin und sie blickte mit ihren großen, unschuldigen Augen auf. Der Pater stand nun vollkommen nackt neben ihrer Waschschüssel und begann sich gründlich zu waschen. Allein diese Tatsache entlockte Leylin ein kleines Schmunzeln. War es nun an ihm, ihr irgendetwas beweisen zu wollen? Sehr wohl bemerkte die junge Albe, dass es um die körperliche Verfassung des Greises gar nicht so übel bestellt war, wie sie im ersten Augenblick angenommen hatte. Erneut führte diese Erkenntnis sie unweigerlich zu der Frage, was er wohl zu verbergen versuchte. Doch wollte sie ihm nicht die Genugtun gönnen ihn anzustarren wie ein Stück Fleisch und so nähte sie fleißig weiter und blickte nur immer mal wieder willkürlich auf. Ein leises „Autsch…“, kam plötzlich über ihre vollen Lippen, als sie sich vor lauter Unaufmerksamkeit in den Finger gestochen hatte. Eine kostbare, rote Blutperle bildete sich auf ihrer beinahe weißen Haut und Leylin steckte sich den Finger ohne viel darüber nachzudenken kurzerhand in den Mund. Es war das Blut eines blonden Jünglings, das noch durch ihre Adern floss. Er hatte ihr erst viel Freude geschenkt und anschließend ganz hervorragend gemundet. Die Vampirin schloss ihre Augen und schwelgte in der noch immer recht lebendigen Erinnerung an diese Nacht. Erneut war es die Stimme des Priesters, die sie aus den Gedanken riss. Sie blickte zu ihm hinüber, er war selbstredend noch immer nackt, legte den Kopf schief und antwortete dann: „Meine Mägde? Ich nehme an sie schlafen seelenruhig in ihren Betten. Nur weil ihre Herrin gern des nachts arbeitet, verlange ich nicht selbiges von ihnen. Ich persönlich sehe also keinen Grund zur Peitsche zu greifen. Seht Ihr es tatsächlich anders? Seid Ihr ein Mann den es nach Bestrafung gelüstet?“.

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    asch war der Saum fertig gestellt und Leylin erhob sich wieder. Eine leichte Staubschicht hatte sich auf ihre Knie gelegt, auf denen sie soeben noch um das hölzerne Gestell gerutscht war. Verlegen klopfte sie den Dreck von ihrer Haut und blickte dann dem Priester in die Augen. Zugegebener maßen war es nicht leicht, sich nicht von seiner Nacktheit ablenken zu lassen. „Wenn es Euch beliebt hole ich Euch ein neues Gewand. Gewiss lässt sich etwas Einfaches in Eurer Größe oben im Laden finden. Ich kann schließlich kaum verlangen, dass Ihr Euch erneut in dieses hier kleidet, ohne dass es zuvor gewaschen wurde.“, sprach sie mit klarer Stimme und schob den stinken Wäschehaufen mit dem Fuß etwas beiseite. „Ich kann Elisa morgen in der Früh bitten Eure Sachen zu waschen. Gewiss wollt Ihr ja nicht ohne Eure Robe weiter reisen?“, fragte sie ihn, als sie nun unmittelbar vor ihm zum stehen kam. Sie blickte fragend zu ihm auf und wartete auf eine Antwort seinerseits. Der Größenunterschied zwischen dem ungleichen Paar schien zusätzlich ihre anhaltende Jugendlichkeit zu unterstreichen. Leylin sah aus wie eine junge Frau, manch einer mochte sie auch als mädchenhaft bezeichnen und auch wenn der Pater sich für sein Alter gut gehalten hatte, so war er doch deutlich reifer als sie selbst. Eine einzelne Haarsträhne hatte sich aus Leylins Frisur gelöst und kitzelte ihre Wange. Die junge Frau hob die rechte Hand und strich sich das lange, blonde Haar zurück hinter die spitzen Ohren. Dabei huschte ihr Blick kurzerhand weiter nach unten, bevor sie sich selbst wieder unter Kontrolle hatte und schüchtern lächelte.

  • Vanja stellte einmal mehr fest, wie sehr sich doch die naridischen von den almanischen Ansichten unterschieden. Einem Dienstherren finstere Gelüste zu attestieren, wenn der die Peitsche schwang, das war schon drollig. Aber woher sollte sie es besser wissen, wenn niemand es ihr erklärte?


    "Hier liegt ein Irrtum vor, Leylin", erklärte Vanja freundlich. "Natürlich erwarte ich von meinen Knechten und Mägden, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit für mich arbeiten. Sie sind de jure mein Eigentum. Leibeigenschaft, ihr Leib gehört mir. Meinen Hund frage ich auch nicht, ob es ihm recht ist, dass er zu dieser frühen Stunde mit mir zur Jagd gehen muss. Meine Untertanen haben mir zu dienen, wann und wie es mir beliebt und tun sie es nicht, werden sie die notwendigen Konsequenzen zu spüren bekommen. Im Gegenzug erhalten sie für treue Folgschaft lebenslang Lohn und Brot, ein Dach über dem Kopf und ein sicheres Auskommen. Sind sie krank, finanziere ich als Lehnsherr ihre Behandlung. Ich möchte die Arbeitskraft meines Eigentums schließlich erhalten."


    Er lächelte.


    "In Naridien verliert Ihr im Krankheitsfall oder bei notorischer Faulheit Eure Arbeit und werdet durch einen anderen Arbeiter ersetzt. Ich bin mir sicher, dass Euch hier nichts und niemand eine Behandlung finanzieren würde, wenn Ihr selbst nicht dafür auskommen könnt. Was geschieht, wenn Ihr aufgrund von Rheuma Eure Finger nicht mehr bewegen und nicht mehr nähen könnt? In Almanien sorgt ein Lehnsherr für Euch. Geben und Nehmen. Naridien lässt Euch verrecken. Helft Ihr Euch selbst nicht, hilft Euch in diesem Land niemand. Warum auch? Wirtschaftlich betrachtet ist es ein Verlustgeschäft. Und Geld ist das, was das naridische System am Laufen hält. Wenn Ihr Glück habt, habt Ihr eine hilfsbereite Familie. Habt Ihr sie nicht, ist Euer Urteil in diesem Land gefällt. Die Freiheit hat ihren Preis, Leylin. Und ist das wirklich so viel schlechter als einem strengen, aber fürsorglichen Herrn zu dienen?"


    Leylin indes stand ohne Scheu vor ihm, strich eine Strähne hinter ihr Ohr und schaute ihm zwischen die Beine. Vanjas Lächeln wurde breiter. Entweder waren seine Ausführungen dermaßen langweilig oder der Ausblick zu vielversprechend. Vanja selbst machte keinen Hehl daraus, wie interessant er die ganze Situation fand.


    "Es wäre sehr freundlich, wenn Elisa sich morgen, wenn sie ausgeschlafen und gefrühstückt hat, um meine Kleidung kümmern würde. Bis dahin werde ich wohl oder übel nackend bleiben. Aber der Anblick scheint Euch zu meinem Glück nicht zu stören."


    Er setzte sich auf das Bett, stopfte sich das Kissen hinter den Rücken und machte es sich bequem.


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    ie Vampirin folgte den Worten den Priesters mit mehr Interesse, als es den Anschein haben mochte. Sie selbst sah zwar jung und unerfahren aus, doch im Grunde wandelte sie schon länger auf Erden als dieser Mann. Es war amüsierend, wie immer wieder Situationen entstanden, in denen jemand versuchte sie zu belehren. Leylin legte den Kopf schief und schürzte die Lippen, bevor sie sprach: „Ich würde meine Mägde nicht als mein Eigentum bezeichnen. Sie arbeiten für mich und ich bezahle sie ausreichend dafür. Sie übernehmen Aufgaben, für die ich nicht geschaffen bin oder für welche ich keine Zeit aufbringen kann. Elisa kümmert sich im Morgengrauen um die häuslichen Aufgaben und bereut tagsüber meinen Laden. Wieso sollte ich sie also mitten in der Nacht wecken, nur weil ich aus lauter Großzügigkeit einem Gast Obdach angeboten habe? Würde es nicht ihre Arbeitskraft schmälern wenn ich sie Tag und Nacht arbeiten lassen würde? Ist es nicht jene Fürsorge, von der Ihr eben gesprochen habt?“. Sie schaute den Pater fragend an und ihre Augen glänzten herausfordernd. Doch sie hatte noch nicht genug und fügte hinzu: „Hinzu kommt, dass ich meine Kunden mit der Abenddämmerung empfange und bevorzugt nachts meine Aufträge abarbeite. Wisst Ihr, so ist das mit der Kreativität. Sie überfällt mich und hält mich fest in ihren Klauen, bis ich meine Arbeit erledigt habe. Unter normalen Umständen dulde ich niemanden um mich herum, der mich ablenken würde…“. Ob der Priester den unterschwelligen Vorwurf heraus hören konnte? Er war wahrlich ein merkwürdiger Mann und doch, so musste sie sich eingestehen, hatte er es erneut geschafft ihr Interesse zu gewinnen.

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    ollkommen nackt machte er es sich in ihrem Bett bequem und schien sich nicht darum zu kümmern, auch nur seine Blöße zu bedecken. Es schien beinah so, als wollte er sie herausfordern. Vielleicht dachte er, er könne sie so zu sich locken, sie nehmen wie eine Dirne. Doch eine Nacht mit ihr, die hatte einen teuren Preis und Leylin glaubte nicht, dass der Pater bereit wäre diesen zu zahlen. Erneut lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie musste sich ihm nicht hingeben, um ihre Zähne in seine Halsschlagader zu schlagen. Sie konnte ebenso gut warten, bis er in einen tiefen Schlaf gefallen war. Doch erneut stellte sie sich die Frage, wie sie nach dem Festmahl die Leiche aus ihrem Schlafgemach verschwinden lassen sollte. Es war schon fast ein wenig frustrierend und sie begann mit den spitzen Zähnen auf ihrer vollen Unterlippe herum zu kauen. „Wisst Ihr, ich bin Schneiderin, ich habe schon mehr Kunden entkleidet gesehen als Ihr es als Priester für eine junge Frau schicklich finden würdet. Doch nur die wenigsten scheinen mit ihrer Nacktheit so im Reinen zu sein wie Ihr, mein Herr. Noch nie traf ich einen Mann wie Euch…“, sprach sie die Worte aus und hielt dann inne. Was tat sie denn da? Wieso hatte sie begonnen ihn zu umgarnen? Übte der alte Mann tatsächlich solch eine Faszination auf sie aus? Ihre Schmeicheleien würden vergebens sein, nie im Leben würde dieser Priester sich in sie verlieben. Vielleicht konnte sie ihn dazu bringen, sich nach ihr zu verzehren, aber sie wusste nur zu gut, dass dies nicht den selben Effekt haben würde. Unschlüssig, was sie nun tun sollte, blieb sie einfach reglos vor dem Bett stehen. Wenn er sie wirklich besteigen wollte, so müsste er schon mehr tun, als sich einfach nur nackt in ihr Bett zu legen.

  • "Warum sollte ich mich ob meiner Nacktheit schämen?", fragte Vanja freundlich. "Jeder Mensch sieht doch im Wesentlichen gleich aus und vom Durchschnitt meiner Altersgruppe ausgehend, bin ich recht zufrieden, wie ich mich gehalten habe. Zudem wäre es doch ungerecht, wenn ich Euch verwehren würde, was Ihr mir im Zuge selbstloser Gastfreundschaft zuvor an Einblicken gewährtet."


    Der Blick des Priesters blieb lüstern auf Leylins Unterlippe hängen, auf der sie nagte. Doch das Wohlbehagen, dass er empfand, schwand von einem Augenblick auf den anderen, als er der Länge der Eckzähne gewahr wurde. Das erklärte, warum das vermeintliche Fräulein einen fremden Mann ohne Furcht in ihre Wohnung ließ, ebenso, warum sie sich vor ihm entblößt gezeigt hatte und warum sie auch jetzt keinen Anstoß an seiner Nacktheit nahm - es erklärte alles. Ohne es zu ahnen, hatte er sich selbst als köstlichen, schon gewaschenen und gepellten Leckerbissen auf ihrem Bett serviert.


    Dass es ausgerechnet einem Wigberg passierte, in die Falle eines anderen zu tappen, das war nicht nur peinlich, das war lächerlich. Sein Halbbruder Vendelin hätte dazu einiges zu sagen. Unter anderem würde der alte Hohn über Vanjas Mutter wieder aufflammen. Und wie es aussah, hatte er all die Jahre recht gehabt. Noch in tausend Jahren würden die Wigbergs über Vanja spotten und ihren Kindern erklären, was dabei herauskam, wenn ein Wigberg seinen Samen unbedacht in der Weltgeschichte verteilte - ein Versager wie Vanja von Wigberg. So konnte, so durfte er nicht enden!


    "Ich habe Frau und Kinder", erklärte Vanja ruhig. "Hier in Naridien. Ihr wollt hoffentlich nicht die Familie einer Landsfrau unglücklich machen? Bislang erlebte ich Euch als sensible und einfühlsame Gesprächspartnerin." Er blieb so entspannt sitzen, wie er war, auch wenn er sich nicht mehr entspannt fühlte. Hektische Bewegungen würden die Situation nur verschlimmern. Er bereute, die Gelegenheit zur Körperhygiene ergriffen zu haben. Die stinkende Robe wäre vermutlich ein effektiver Schutz gegen die feine Vampirnase gewesen. Leider lag sie nun zusammengeknäuelt auf dem Boden.

  • Die Vampirdame rührte sich nicht mehr. Sie starrte ihn nur an. Vanja wusste nicht, wie viele Stunden sie sich so anstarrten. Doch sein Gefühl sagte ihm, dass langsam der Morgen dämmerte. Dann wäre er sicher, sobald er aus dem Haus war.


    "Wenn Ihr gestattet, werde ich Euch nun verlassen", sagte Vanja sehr ruhig und langsam. Nur keine Hektik. Er griff nach seiner Kleidung und seinen Schuhen. Während er die Schuhe in der Hand trug, hingen die drei Roben und die Chaperon über dem Arm. Er ägte aus den Augenwinkeln nach seinem an der Wand lehnenden Pilgerstab, an welchem das schwere Bündel hing. "Mein Fräulen, habt Dank für die halbe Gastfreundschaft. Aud die zweite Hälfte verzichte ich gern."


    Seine ausgestreckte Hand wanderte, ohne dass er den Blick von Leylin wandte, in Richtung des Stabes - nur um im letzten Moment umzugreifen. Seine Finger umschlossen die schweren Vorhänge und rissen sie mit einem Schlag auf. Die Schatten rasten in die Ecken, goldenes Morgenlicht flutete das Zimmer.


    Vanja achtete nicht darauf, ob Leylin nun zu Staub verbrannte oder ob es ihr noch rechtzeitig gelang, sich mit einem Hechtsprung unter das Bett in den Schatten zu retten. Er wollte nur noch weg! Er griff nach seinem Stab und rannte, was das Zeug hielt, nackt in Richtung Tür. Er stieß sie auf und flüchtete keuchend auf der Mitte der Hauptstraße entlang, fern von allen Häuserschatten, und eilte auf den ungeschütztesten Platz, den er finden konnte, einen Marktplatz, wo es keinerlei Dunkelheit gab. Es war ihm gleich, ob er nackt war und ihn die Leute für einen Sittenstrolch hielten - er wollte leben!


    Auf dem Marktplatz von Shohiro, wo die ersten Händler gerade ihre Stände aufbauten, ließ er Stab und Bündel fallen, stieß einen Ruf der Erleichterung in Richtung Himmel und kleidete sich an. Die Händler nahmen es locker, sie scherzten, ob man ihn aus dem Freudenhaus geworfen hätte. Vanja machte den Spaß mit und erwiderte mit einem passenden Spruch, während er nacheinander seine drei Roben überzog. Er bekam sogar noch einen heißen Tee spendiert, ehe er sich verabschiedete.


    Der Weg führte ihn in Richtung Fluss. Sein Herzschlag beruhigte sich langsam wieder. Je höher die Sonne stieg, umso sicherer fühlte er sich. Er ging nicht davon aus, dass das Vampirfräulein ihn in der Innenstadt suchen würde, auch dann nicht, wenn es wieder Nacht wurde. Warum sollte sie? Es war einfacher, einen neuen arglosen Mann zu ködern, als einem, der schon gewarnt war, ein zweites Mal gegenüber zu treten. Sie war keine Kämpferin und ihr fehlte nun der Überraschungsmoment. Nein, Vanja brauchte nichts mehr zu befürchten. Er war sicher.


    Allerdings war er auch müde und hungrig. Bevor er seinen Weg nach Obenza fortsetzte, würde er schauen, ob seine anderen Verwandten vielleicht noch hier wohnten. Osmund von Wigerb war seine letzte Hoffnung, noch einmal Kraft zu schöpfen vor dem zweiten Abschnitt seiner langen Reise ins Ungewisse. Denn ob man ihn in der Himmelsröhre willkommen hieß, nur weil sein Bruder dort ein und aus ging, war nicht gesagt. Vanja schulterte seinen Stab und machte sich auf den Weg zum Anwesen des alten Nekromanten.


    Der Dolch und der Pilgerstab >>