Komm, süsser Tod

  • Ein letzter Blick ruhte auf Emilia, als Dimicus voll gerüstete in der Tür stand, die Kiste unter dem Arm. Die Katze schlief ruhig und fest auf dem Kissen, welches sie sich zuvor unter der Staffelei platziert hatte, auch wenn er sich fragte, warum sie sich das so aussuchte, woe sie doch viel bequemer im Bett hätte schlafen können. Doch war es nicht seine Gewalt, ihre Motivation dahinter zu hinterfragen, so schien dieser Akt an sich schon bedeutungslos. Leicht legte er den Kopf schief und schaute sie noch einmal eindringlicher an, fragend was sie sich dabei gedacht hatte, in seine Nähe zu treten. So soll er ihr Leben zerstört haben, obwohl dies gar nicht stimmte, so hatte er sie befreit! Ihr innerstes und ihren Willen! Törichtes Mädchen, eines Tages würde sie das erkennen und bis dahin blieb ihm nichts anderes übrig, sie als solches zu akzeptieren.


    Tief atmete er noch einmal ein und schließlich wieder aus, als er die Tür öffnete und hinaus in den schummrigen Flur trat, der nicht so belebt wirkte, wie es die Geräusche die von unten kamen eigentlich hätten anmuten können. Die Tür schloss er natürlich hinter sich, als seine Füße ihn in Richtung der Treppe trugen, hinein in den Dunst von Alkohol, Schweiß und überschwänglichem Testosteron. Immer noch eine Schande, dass er dort untergebracht war, doch seiner Sklavenhalterin würde er schon bald entkommen. Nur mehr Zeit brauchte er und genau mit diesem Wissen, schritt er mit verdecktem Haupt durch den Schankraum, schlängelte sich durch den Betrieb hindurch, in dem er fast gar nicht mehr auffiel.


    Es brauchte auch nicht lang, da durfte seine Nase den frischen Duft der Nacht erhaschen, während der kühle Wind seinen Körper umschmiegte. Umso weiter er sich von solchen gesellschaftlichen Gebäuden entfernte, desto ruhiger wurde es und immer mehr, begann er diese Ruhe zu genießen. Ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, welches, hätte es jemand gesehen, wohl nicht hätte unheimlicher wirken können. Seine Atemzüge waren tief und gleichmäßig, als seine Füße auf dem Stein der Straßen ihren Weg gingen, hindurch durch die kaum durchbrochene Finsternes von Gassen. Mit dem Mond und der Dunkelheit als seine Begleiter, suchte sein Geist sein Ziel. Es war bereits klar, welches es wahr, wie er zu ihm gelangte und was er tun würde. Es fehlte nur noch ... die richtige Aufmachung.


    All zu viel Zeit nahm dies auch nicht mehr in Anspruch, als er das stattliche Anwesen der Familie Kreuzenstein erkennen konnte. Es thronte beinahe überheblich zwischen den Nachbargebäuden, gezeugt von Reichtum und Macht. Etwas was sich Frederick damals aufgebaut und vor seiner Tochter gut dargstellt hatte. Würde Emilia nur wissen, mit wieviel Blut diese Mauern getränkt waren. Doch das spielte nun keine Rolle mehr. Denn seine Vorstellung musste beginnen. Jedes Mal wurde er unheimlich nervös, doch genau dieses Gefühl brauchte er. Ein durchzog seinen Körper mit einem Kribbeln, der Euphorie des Bevorstehenden.


    Gut durchdacht suchte er sich eine nahgelegene Gasse, in der er sich in seine Gewandung werfen konnte. Kaum gefunden, begann seine Verwandlung als er den Koffer auf den Boden legte, die Verschlüsse öffnete und der Inhalt zum Vorschein kam. Eine lederne Haube, pechschwarz wie die Nacht, die nur Öffnungen für Augen, Nase und Mund hatte. Daneben lag ein Umhang, schneeweiß, auf dessen gesamten Gewand sich Rosen rankten. Ihre Dornen gut sichtbar, die Blüten wunderschön. Dann war da noch das eigentliche Meisterwerk, eine Maske, so weiß wie der Umhang selbst. Neben zwei offenen Stellen für die Augen, verdeckte sie das gesamte Gesicht. Ein Lächeln, breit und seiner würdig, bedeckte die Maske, die Züge wurden künstlerisch mit Gravuren nachgestellt und so bildete diese Maske ein zweites Gesicht.


    Zu aller erst fand die schwarze Lederhaub ihren Platz auf seinen Kopf, sie bewahrte ihn davor, von hinten erkannt zu werden und bot zudem noch einen minimalen Schutz, für den ärgsten Notfall. Schließlich nahm er seinen regulären Mantel ab, brachte den Umhang des weißen Gewandes an seinen Schultern an, ehe es an seinem Körper hinabfiel und sämtliche Züge zu verdecken wusste. Seine Arme konnte er dennoch ohne große Probleme zu den Seiten hin hervorholen und frei benutzen. Zu guter letzt griffen seine Hände zu der Maske. Sie fühlte sich schwer an, sie war aus seinem harten Stoff gefertigt, den er nicht zu bennen wusste. In seinen Händen fühlte er sie pulsieren und er wusste, dass sein Tun dieses Maske ihrer Bedeutung zuführen würde. Mit den daran angebrachten Riemen zog er sie sich diese über den Kopf, legte sie auf sein Gesicht und machte sie fest. Damit erhob er sich, streckte seinen Rücken durch und sein Blick wirkte erhaben. Die Kiste mit seinem regulären Mantel hatte er in der Gasse versteckt. Somit war sein Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen. komplett.


    "Lasset die Darbietung beginnen.", ertönte es, doch seine Stimme glich kaum der, die er sonst im normalen Fall hatte. Die magische Eigenschaft dieser Maske veränderte seine Stimme, machte sie melodischer und tiefer. Es gefiel ihm, so war sichergestellt, man würde ihn niemals anhand seiner Stimme erkennen und zudem war diese Stimme einfach wahrhafte Musik in seinen Ohren, die nur von der größten Muße selbst stammen konnte – seiner Kunst. Mit einem nicht sichtbaren Lächeln schritt er voran, auf das Anwesen zu und rief sich ein letztes Mal den Plan ab, ehe er erneut zum Schauplatz seiner Kunst zurückkehrte.


    Somit war es für den jungen Künstler ein leichtes, dieses Haus zu betreten, das rechtmäßig Emilia gehörte, der Erbin Fredericks. Sein Weg führte ihn über den Zaun, vorbei an einigen Hecken und Büschen und zum Fenster der Küche, welcher er natürlich zuvor auf Spuren absuchte, ob sich jemand dahinter befand. Doch als dies negativ ausfiel, nahm er seinen Dolch und hebelte es auf, es war ein leichtes dies zu erreichen. Die Familie schien nicht viel gemacht zu haben, nachdem sie das Kunstwerk seines Genies gefunden hatten. Warum hätte er auch wiederkehren sollen? Trotzdem schlich er auf leisen Sohlen und mit größer Vorsicht durch die Gänge, wie einst auf dem Wege zu Frederick. Das gesamte Haus schlief und außer dem Wind, sowie die knarrenden Dielen des Hauses, war nichts zu hören. Kinderspiel.


    Schließlich gelang er an eine Tür zu einem Zimmer, welches er noch nie betreten hatte. Noch nie hatte er den Drang danach verspürt, diesen Raum zu betreten, zumal der darin schlafende Mann nie eine Bedeutung für ihn hatte. Nun schon. Leise öffnete er, beinahe wie ein Geist, die Tür zum Schlafgemach Wilfrieds, als er in den Raum eintrat und das stattlich eingerichtete Zimmer betrachten konnte. Ein geräumiges Doppelbett, reichlich verziert, in dem auch der zukünftige Mann Emilias schlief. Dazu einen großen Schreibtisch mit zahlreichen Dokumenten, Briefen und Schreibutensilien. Hier und da eine Kommode und ein großer Kleiderschrank, doch eines musste man diesem Stümper lassen: er hatte Stil was seine Einrichtung betraf.


    Mit galanten Schritten näherte sich Dimicus dem schlafenden Manne und betrachtete ihn genau, kaum merklich hob sich dessen Brust unter seiner Atmung und es wäre nur ein leichtes gewesen, ihn in diesem Moment in ein wundervolles Kunstwerk zu verwandeln. Doch dazu war Dimicus nicht dort, nein, er hatte einen Auftrag. Bevor er nur eine Handlung vollzog, zog er den Brief Emilias hervor und platzierte ihn präsent auf einer der Kommoden. Die Familie wusste genau, wozu die Katze in der Lage war und so würde es kein Problem für sie sein, wenn der Brief plötzlich auftauchte.


    Doch das Werk Dimicus würde weitreichender sein. Vorsichtig näherte er sich dem schlafenden Wilfried und holte ein Fläschchen unter seinem Gewand hervor, in dem eine grünliche Flüssigkeit waberte. Ohne viel Aufwand entkorkte er es und träufelte dem schlafenden einige Tropfen des Lähmungsgiftes auf die Lippen. Sofort wurde dieser wach, riss seine Augen auf und erst recht, als er die Maske des Rosendämons erblickte. Sein Mund wollte sich öffnen und er lautstark schreien, doch das Lähmungsgift wirkte unglaublich schnell, so dass der erste Schrei in der Kehle des Mannes stecken blieb. Nach und nach versagten im Sekundentakt die Muskeln des Mannes, als seine panischen Bewegungen schließlich erstarben und er nicht weiter mehr konnte, als dem Rosendämonen zuzuschauen.


    Dieses Gefühl der Macht und Angst das Dimicus verbreiten konnte, es war wunderschön. So wirksam und doch sogleich wunderschön. Die pure Angst in den Augen Wilfrieds und konnte er da etwas glitzerndes an seiner Wange sehen? Einfach nur herrlich. In aller Ruhe holte der Künstler eine Phiole mit Blut hervor, dazu einen Pinsel, eher begann die beiden Bettpfosten am Ende es Bettes, mit Rosen aus Blut zu bedecken. Es ging ihm schnell von der Hand, während sein Bitte melde dich an, um diesen Link zu sehen. den Raum leise zu erhellen begann. Die Angst stand Wilfried im Gesichte geschrieben, während seine Haut kreidebleich war.


    Jedoch dauerte dieses Spiel nicht an, als Dimicus schließlich mit seinem Werk fertig wurde und seine Utensilien wieder wegstecken konnte. Darauf schritt er wieder neben Wilfried, beugte sich über sein Gesicht und schaute ihm direkt in die Augen. Panik und unkontrollierbare Angst durchzuckten seine Fesnter zur Seele, als Dimicus zu sprechen begann: "Ihr habt den Rosendämon gerufen, so erschien ich. Einen Tod fordert Ihr, doch habt Ihr Angst diesem ins Gesicht zu schauen. Euer Wille geschehe und es wird bald ein weiteres Kunstwerk die Stadt Drakenstein zieren, dessen könnte Ihr Euch absolut gewiss sein, Wilfried. Schlaft gut." Somit holte er ein weiteres Fläschen hervor, in dem ein starkes Betäubungsmittel war und träufelte etwas von dessem Inhalt in den Rachen des Mannes, dessen letzte Erinnerung der Nacht, die Maske bleiben würde.


    Kaum war der ängstliche Mann wieder in das Land der Träume gegangen, machte sich Dimicus ans Werk, etwas anderes zu finden. Eifrig schritt er hinüber zu dem Tisch, aus dem die zahlreichen Dokumente und Schreibutensilien fanden. Aufmerksam prägte er sich genaue Lage und Position ein, eher er sie zu durchsuchen begann. Vieles waren nur Geschäftsbriefe, Finanzen, Angebote und unwichtige Kleinigkeiten. Doch eines fiel dem Künstler heraus. Der Schriftverkehr zwischen Lucinda und Wilfried. Offenbar war dieser auf einer Geschäfstreise zu diesem Zeitpunkt und Lucinda berichtete ihm von den Vorkommnissen in Drakenstein, aber auch um Emilia. Doch wie Emilia beschrieben wurde ... wie ein Gegenstand. Häufig war die Rede, dass sie der einzige Weg war, um an den Reichtum der Kreuzensteins heranzukommen und er sich auf seiner Geschäftsreise beeilen sollte.


    Genau diesen Briefverkehr steckte sich Dimicus ein, bevor er den Schreibtisch wieder so ordnete, wie er ihn vorgefunden hatte. Alles kam wieder an seinen Platz und es war kaum auffällig, dass sich überhaupt jemand an den Dokumenten bedient hatte. Mit einem wissenden Nicken machte er wieder einen Schritt zurück und betrachtete den Tisch, verglich ihn mit seinem gemerkten Bilde von vorher. Als er sich absolut sicher war, dass alles wieder auf seinem Ursprungszustand zurückgelegt wurde, verließ er wieder den Raum und auf dem schnellsten Wege das Anwesen. Seine Nachricht war angekommen, Emilias Brief abgeliefert und zusätzlich noch einen wichtigen Hinweis für Emilia gefunden. Es hätte nicht besser laufen können.


    Draußen wieder angekommen, zu offensichtlich früher Stunde und die Anspannung von ihm weichend, mekrte der junge Mann wie das Ganze seinen Tribut forderte und sich augenblicklich Müdigkeit über ihn legte. Wissen, dass er etwas geschafft hatte, schritt er zurück in die Gasse, zog sich wieder um und machte sich zurück auf dem Weg zum Bordell. Am Horizont waren schon die ersten Strahlen der Sonne zu erkennen, die Straßen wurden wieder belebter. Er war also die gesamte Nacht unterwegs gewesen.


    An Maliks Etablissement angekommen, war auch dort der Verkehr schon wesentlich ruhiger geworden und nur noch die letzten Trunkenbolde waren dort. Doch dieses Schauspiel kümmerte ihn nicht weiter, als er auf direktem Wege nach oben ging und sein Zimmer betrat. Emilia schien noch immer zu schlummern, zumindest machte sie keinen wachen Eindruck. Mit einem leisen Seufzen legte Dimicus seinen Mantel ab, versteckte die Kiste schließlich wieder unter dem Bett und begann, sich zu entkleiden. Die Briefe landeten auf der Kommode, neben Emilias Sachen. Die Rüstung wich, genau so wie die Kleidung die er während seiner Aufführung trug. Nur mit einer leichten Leinenhose bekleidet, schlich er sich unter die Decke seines Bettes. Beinahe augenblicklich schlief er ein, ruhig und gelassen, beinahe unschuldig nachdem, was er in dieser Nacht getan hatte.

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  • Emilia hatte nicht viel von Valerius nächtlichem Ausflug mitbekommen. Einmal meinte sie gegen den frühen Morgen realisiert zu haben, wie er zur Tür hereinhuschte, doch sie hatte sich nichts anmerken lassen und war auch gleich wieder eingenickt.
    Nun öffnete sie ihre Augen und blinzelte müde. Ein ausgiebiges Gähnen folgte, dann räkelte sie sich auf ihrem Kissen, das eigentlich Valerius gehörte. Beziehungsweise gehört hatte.


    Na nu, war er noch gar nicht wach?
    Vorsichtig tapste sie aus ihrem Bett heraus, schüttelte kurz das Fell durch und starrte dann aufmerksam zu ihm hoch. Wie er so schlief, wirkte er wie ein gewöhnlicher Mann.
    Ein Arm hing lose von der Bettkannte, sein Gesicht war ihr abgewandt. Neugierig trippelte sie etwas näher, doch dann zuckte ihre Nase auffällig.
    Oh nein, dieser Geruch!
    Ihre Augen verengten sich, als sie das Blut an seinen Fingern roch.
    Hatte er etwa gemordet, während sie seelenruhig hier geschlafen hatte?
    Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken und augenblicklich spürte sie das bekannte Kribbeln an ihrem Körper.
    Nein, beruhige Dich. Er schläft, er stellt jetzt keine Gefahr für Dich dar.
    Nur allzu gerne hätte sie ihn einmal kräftig gebissen, doch dann hätte er ihr vermutlich instinktiv den Hals umgedreht, würde sie es wagen, ihn im Schlaf anzugreifen.
    Stattdessen versuchte sie sich einzureden, dass sie hierbleiben musste und dass sie ihn noch brauchte. Sie würde ihn später immernoch an die Wachen verraten können. Doch zuerst musste sie lernen, in genau solchen Situationen die Ruhe zu bewahren.


    Trotzdem liess das unbehagliche Gefühl nicht nach und sie tigerte unzufrieden im Zimmer umher, auf der Suche nach einer Ablenkung. Schliesslich blieb ihr Blick an der Staffelei hängen…
    Zehn Minuten später hatte sie sich angezogen, und hoffte dabei so leise wie nur möglich vorgegangen zu sein.
    Immer wieder warf sie einen vorsichtigen Blick zu dem Schläfer hinüber, doch sein Körper hob und senkte sich noch immer regelmässig unter der Decke.
    Emilia betrachtete mit aufrichtiger Bewunderung sein Gemälde mit der Löwin, bevor sie es behutsam hochhob und zu den anderen an die Wand stellte.
    Dann entdeckte sie die leeren Leinwände und platzierte eine davon auf der Staffelei. Valerius lag noch immer gleich dort wie zuvor. Emilia schritt barfuss über die vollgekleckerte Decke zu dem kleinen Nachtkästchen. Der Boden unter ihren nackten Zehen fühlte sich weich an.
    Dann kniete sie sich hin und öffnete langsam die Schublade. Sie hoffte, dass sie kein Quietschen von sich gab, doch dann war es ihr auch egal.


    Vor ihr präsentierten sich je nach Konsistenz in unterschiedlichen Gläschen, Phiolen, Döschen, Fläschchen und anderen Behältern seine Farben. Alle waren sie sorgfältig verschlossen, um nicht auszutrocknen. Vorsichtig nahm sie eine Glasphiole heraus und hielt sie gegen das Licht. Die blauviolette Flüssigkeit wabberte leicht herum, als sie es emporhob. Vorsichtig zog sie den Verschluss weg und schnupperte daran, neugierig wie sie war.
    Eindeutig stieg ihr eine sanfte Geruchnote von Veilchen in die Nase, vermischt mit jeglichen anderen Substanzen.
    Interessiert beschnupperte sie weitere Döschen und es kam ihr vor wie eine kleine Parfumsammlung.
    Ob ihm dies auch bewusst war, oder ob für ihn alle Farben denselben Geruch aufwiesen?
    Emilia hatte früh gelernt, dass ihre Nase empfindlicher war als andere.


    Schliesslich öffnete sie eine weitere Schublade, diese war gefüllt mit jeglichen Pinseln und auch eine Farbpalette, so wie kleine Schwämme, Spachtel und anderes Werkzeug entdeckte sie. Ein prüfender Blick zu Valerius, er schien in einer Totenstarre gefangen zu sein.
    Ohne gross auf die Zusammenstellung zu achten, schnappte sie sich fünf Farben und zwei unterschiedliche Pinsel und begab sich mit einem erwartungsvollen Lächeln zu der Staffelei, wo sie die Fläschchen vorsichtig daneben auf den Boden stellte.
    Dann starrte sie auf die leere Leinwand und wusste plötzlich nicht, wie sie anfangen sollte.
    Vorher hätte sie am liebsten gleich losgemalt, doch jetzt, wo das reine Weiss sich vor ihr darstellte, konnte sie es nicht mit ein paar Farbklecksen durchbrechen.
    Sie zögerte, dann kehrte sie zu dem Tischchen zurück und schnappte sich einen dünnen Kohlestift.
    Damit und mit der Leinwand auf den Knien setzte sie sich mit dem Rücken an die Tür und begann zu zeichnen.


    Es war bei weitem kein Kunstwerk, sondern erinnerte eher an naive Zeichenkunst. Sie hatte eine Maus gezeichnet, welche gerade ein Stück Käse verputzte und dabei über beide Ohren strahlte. Etwas weiter hinten sah man in geduckter Haltung eine Katze, welche sich an ihre Beute heranpirschte und sich das Maul leckte. Und noch ein Stück weiter zeichnete sich der Umriss eines schwarzen Wolfes ab, mitten im Sprung auf die Katze, die Fänge weit aufgerissen.
    Nachdenklich betrachtete sie das Bild. Ein weiterer Blick zu Valerius, wie konnte der denn so lange schlafen?
    Dann stand sie auf und legte das Bild auf die Staffelei. Wahllos griff sie nach einer der Farben, es war Gelb.
    Wie passend, dachte sie, tunkte vorsichtig den Pinsel hinein und begann liebevoll den Käse mit sanften Strichen auszumalen. Die zweite Farbe war Grün und roch nach Pfefferminze. Sie dachte an ihre eigene Augenfarbe und malte kurzerhand die Katze auf der Lauer grasfarben an. Der Wolf erschien in einem dunklen violetten Ton und roch wiederum nach Veilchen. Sie lächelte bei dem Gedanken. Inzwischen hatte sie für jedes Fläschchen einen neuen Pinsel hervorgezaubert.


    Schliesslich griff sie nach der letzten Phiole. Das Behältnis war dunkelgrün, so dass sie die Farbe darin nicht erkennen konnte.
    Gespannt schloss sie die Augen, hob die Farbe an ihre Nase – und schmetterte sie dann mit einem zornigen Aufschrei an die Wand, so dass das Glas in tausend Scherben zerbrach.

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  • Dimicus' Träumen waren durchzogen von seinen Taten die er noch in der selbigen Nacht vollbracht hatte. Immer wieder sah er den ängstlichen und flehenden Blick, den Wilfried von sich gegeben hatte, als er die Maske des Rosendämon erblickt hatte. Dieses genüssliche Gefühl, die Macht über ihn zu haben und zu bestimmen, ob sein nutzloses Leben enden sollte oder er vorerst von der Kunst des Toder verschont blieb. In seinem Traum wanderte Dimicus um ihn umher, betrachtet ihn aus allen Winkeln, schätzte ab was es brauchen würde. "Dein Leben hatte keine Bedeutung, doch dein Tod wird eine haben.", flüsterte er ihm Traume zu. Tief atmete er ein und aus, um den Geruch der Panik wahrnehmen zu können.


    Doch lang währte dies nicht, als er plötzlich aus seinen Träumen gerissen wurde. Ein lauter Aufschrei klingelte in seinen Ohren, etwas feuchtes war über seinem Gesicht gesprenkelt, als er unter sein Kissen griff, einen Doclh hervorzog und sich aus dem Bett rollte. In Kampfeshaltung hockte er daneben, auf der anderen Seite als es die junge Frau war. Nicht sie sah er als Bedrohung, sondern hatte er im ersten Moment mit einem Angreifer oder einem Eindringling gerechnet. Doch war von beidem nichts zu sehen. Nur der erboste und entsetzte Blick Emilias, der auf ihn gerichtet war.


    Sein Herz beruhigte sich, als er den Dolch auf die Kommode legte und jetzt erst merkte, dass seine Fußsohlen schmerzten. Auf dem Boden waren Glassplitter? Wie kamen sie- ...? Er drehte sich um und erkannte, was Emilia getan hatte. Hinter ihm war ein riesiger Blutfleck an der Wand, die Scherben stammten von einem seiner Phiolen. Er legte den Kopf, als er dieses Chaos betrachtete, für nur einen Moment betrachtete er regungslos die Szene, Emilia vollkommen ignorierend. Dann blickte er zu ihr, fragend und in seinem Blick lag die Frage, warum sie das getan hatte.


    Zu einer Antwort oder einem großartigen Gespräch sollte es gar nicht kommen, denn schon in dem Moment wurde die Tür aufgerissen und Mirabella stand in der Tür. Sie wirkte gehetzt und hatte sich vermutlich aufgrund des Schreis bestimmt beeilt, um nach dem Rechten zu sehen. Sie blickte nur fassunglos drein, schüttelte mit dem Kopf und eilte zu der jungen Frau. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren und mit einem vernichtenden Blick kombiniert, legte sie ihre Arme um Emilia und begleitete sie hinaus aus dem Zimmer. "Macht sauber.", rief sie nur noch in den Raum hinein, als sich die Tür wieder schloss.


    Was war gerade passiert? Erst jetzt durchzuckte ihn der Schmerz, die seine Fußsohlen plagten. Leise seufzte er darunter auf und setzte sich auf das Bett, als er seine Füße auf das Bett hob und begutachtete. Mehrere Scherben hatten sich darin gebohrt. Sie würde ihn noch umbringen, dass wusste er. Er griff zur Kommode und nahm sich einige Utensilien zur Behandlung von Wunden heraus, ehe er sich der schmerzhaften Prozedur des Entfernens der Scherben machte. Mehrere Male musste er einen Schrei unterdrücken und eine hohe Menge der Kräuter zur Schmerzunterdrückung einnehmen.


    Ein paar Minuten später, nachdem seine Wunden verbunden waren, musste er aufräumen. Die Scherben verschwanden vom Boden doch das Blut an der Wand, dass mittlerweile zerlaufen war. Es hätte so schön eine Grundlage zum bemalen der Wand gegeben, so war es aber inzwischen unbrauchbar. Mit einem leisen aber genervten Seufzen machte er sich darin, sich zumindest im Groben zu bekleiden und entsprechende Dinge zum Säubern dieser Unordnung zu besorgen. Zum Glück hatten seine Gemälde nichts abbekommen, zumindest nicht, dass er etwas erkennen konnte.


    Dabei entdeckte er die begonnene Zeichnung Emilias und er musste sich gestehen, so laienhaft sie auch war, so faszinierte sie ihn auf eine gewisse Art. Anfangs wirkte es unschuldig, doch das Motiv zeugte auch sehr gut von den Jagdinstinkten der Löwin. Er fragte sich, ob er auf diesem Bild eine Bedeutung spiele, vielleicht sogar die Maus für sie war. Sie war die Katze und doch war da noch der Wolf. Etwas, wovor sie weglief? Es blieb fraglich, ob das Bild wirklich so gemeint war, doch hob er es auf und legte es weg, um weiter die Unordnung beseitigen zu können.

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  • „Liebes, was ist denn passiert? Hat dieser Kerl Dir weh getan? Ich werde ihm dafür eigenhändig den Hals umdrehen wie früher den Kochhennen!“, entrüstete Mirabella sich und schob ihre neue Freundin auf das ovale Bett, wo diese sich willenlos hinfallen liess.
    „Ach, ich Dummerchen, warte ich hole Dir was zum Schreiben“, sie sprang auf und suchte in ihrer Kommode Stift und Pergament.
    „Hier, eigentlich wollte ich damit einen Brief an meine Mutter schreiben, doch Du bist jetzt wichtiger!“, es waren wohl die ersten Worte die Emilia mitbekam und augenblicklich brach sie völlig aufgelöst in Tränen aus.
    „Oh neiin, das wollte ich nicht. Ach komm her, Süsse“, mit einer festen Umarmung drückte sie Emilia an ihre Brust und liess sie weinen.
    „Alles wird gut. Männer sind manchmal so. Rohlinge. Eine Frau muss sie erst richtig bearbeiten, erziehen, zurechtstutzen, bevor sie gesellschaftsfähig sind. Und Deiner scheint ein ausserordentlich harter Brocken zu sein.“


    Eine Weile sassen sie schweigend nebeneinander, bis Emilias Tränen schliesslich versiegten und sie einen lautlosen Dank sprach. Ihr ganzer Schmerz war plötzlich wie eine Flut über sie hereingebrochen. Sie vermisste ihr zu Hause, ihren Herrn Papa, ja sogar ihre Zofe und den mürrischen Wilfried.


    „Und nun erzähl mir Mal in aller Ruhe, was passiert ist.“
    Emilia zögerte, was sollte sie Mirabella erzählen? Dass er Blut in seiner Schublade aufbewahrte? Dass er sich nachts davonschlich, um Menschen zu ermorden? Dass seine Rosen den Tod bedeuteten?
    Weisst Du, er tut immer so freundlich. Beim Einkauf war er sogar ganz grosszügig. Er benimmt sich galant und höflich. Doch so ist er gar nicht! Er ist heute erst am frühen Morgen heimgekommen, ich habe es bemerkt. Und er hat sich ins Bett gelegt, als wäre nichts gewesen, dabei habe ich es genau gerochen und und
    Die Worte brachen ab und im nächsten Moment weinte sie bereits wieder in Mirabellas rote Haarmähne hinein, was diese ihr mit einem bedauernswerten Blick auf die Buchstaben verzieh.
    „Oh Liebes, jetzt verstehe ich. Er ist wohl doch nicht so ein Schlappschwanz wie wir alle dachten“, tröstend streichelte sie ihr durch die Haare.
    „Weisst du denn, wer die andere ist? Eine aus dem Haus vielleicht? Obwohl das glaube ich kaum, dann hätten wir bestimmt längst davon erfahren… nun, das ist jetzt ja auch nicht so wichtig.“


    „Aber sag mal Süsse, hast du dich etwa in den Kerl verliebt?“, jetzt war ihr Blick plötzlich eine Mischung aus Mitleid und Tadel geworden.
    Emilia blickte sie einen Augenblick verdattert an, dann hätte sie beinahe losgelacht. Mirabella hatte ihre Situation völlig missverstanden. Plötzlicher Schluckauf rettete sie davor, loszukichern.
    Stattdessen fuhr sie sich mit dem Ärmel des Leinenhemdes übers Gesicht und trocknete ihre Tränen.
    Ich wollte Dich etwas fragen, was ich nicht verstehe, Mirabella. Aber du darfst mich nicht auslachen. Valerius hat mich schon so seltsam angeguckt, ihr war in den Sinn gekommen, wonach sie ihre Freundin fragen wollte und dies schien ein guter Moment zu sein, um Mirabella von dem Geschehen und ihren Fantasien eben abzulenken.
    Als ich Valerius auf seine Männlichkeit angesprochen habe, meinte er, dass er nicht krank sei. Doch was hat es dann mit den Gerüchten auf sich, von denen Du mir erzählt hast?
    Nun war es Mirabella, die denselben seltsamen Blick hatte wie damals Valerius, bevor sie in schallendes Gelächter ausbrach.
    „Süsse, ist das etwa dein ernst? Und ich dachte bis vor Kurzem noch, Du wärst eine wie Wir. Da muss ich mich wohl getäuscht haben. Aber ist ja auch etwas seltsam, dass Du gleich bei ihm wohnst, da konnte ich alles so schlecht einschätzen.“
    Eine wie Ihr?


    Und jetzt endlich erfuhr auch Emilia, wo sie sich befand, welchen Beruf die Frauen ausübten – und was mit Valerius Männlichkeit gemeint war!
    Danach sassen sich die beiden Frauen kichernd auf dem Bett gegenüber, Mirabella mit einem belustigten Glitzern in den Augen und Emilia mit hochrotem Kopf, doch nicht weniger amüsiert als sie die Ironie hinter ihrer Frage verstanden hatte.
    „Nun sag aber, dann habt ihr die letzten Nächte im selben Bett geschlafen, und er hat kein Interesse an Dir gezeigt? Ist der Kerl denn blind?“
    Ich habe auf dem Boden geschlafen, gab Emilia zu und blickte ihre Freundin unschuldig an.
    „Aber Liebes, vielleicht ist das ja der Grund, warum er sich seine Freuden bei einer anderen einholt! Glaub mir, Männer mögen es nicht, wenn Du sie nur immer von Dir wegstösst. Du musst es wie mit den Fischen am Angelhaken hallten. Nicht zu locker, aber auch nicht in einem Schwung einziehen, sonst reisst das Seil!“, sie grinste ihre Freundin an und half ihr dann auf die Beine.
    „So, ich werde Dir schon helfen, dass Dein Valerius Dir aus der Hand frisst. Es gibt doch keinen Kerl, der einer so hübschen Frau wie Dir nicht verfallen könnte. Er wird Dir schnell verzeihen, dass Du ihn mit Farbe beworfen hast. Vielleicht erkennt er dadurch ja sogar, dass Du seinen Fehltritt nicht noch einmal tolerieren wirst. Und wenn nicht, dann hat er Dich wirklich nicht verdient. Es gibt noch andere Männer auf dieser Welt… auch wenn er ganz knackig ist. Hast Du vorhin seine Muskeln bemerkt?“, sie zwinkerte Emilia zu und diese lächelte vorsichtig zurück, konnte sich aber beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie Valerius ausgesehen haben sollte.


    Als Emilia schliesslich ins Zimmer zurückkehrte, war sie um einige Erkenntnisse reicher geworden. Mirabella hatte es ausserdem ohne eine weitere Frage hingenommen, das ihre Freundin nicht darüber reden wollte, warum sie bei dem jungen Mann wohnte. Sie hatte aber plötzlich einen wissenden Ausdruck in den Augen gehabt und erwähnt, dass Emilia sich besser nicht allzu oft ohne Verkleidung blicken lassen sollte, weder auf der Strasse noch im Bordell.
    Ausserdem hatte Mirabella ihre Haare zu einem dicken Zopf frisiert, der bis zur Mitte ihres Rückens fiel. Die junge Frau hatte es genossen, von ihrer Freundin gekämmt zu werden, so wie früher ihre Zofe es gemacht hatte. Sie hatte das Gefühl einer tiefen Verbundenheit empfunden.
    Ihre Augen waren immernoch gerötet, doch sie hatte sich beruhigt und war darauf vorbereitet, Valerius gegenüberzutreten.


    Zuerst fiel ihr Blick auf die Wand, doch der Fleck war verschwunden und keine Scherben bedeckten mehr den Boden. Dann betrachtete sie den jungen Mann. Er sass am Tisch und hob den Blick, als sie eintrat. Sie konnte seine unterdrückte Wut spüren, so als würde sie sich wie eine Schlinge um ihren Körper wickeln. Sogleich musste sie den löwischen Beschützer unterdrücken. Stattdessen ging sie zielstrebig auf ihn zu und liess sich auf den zweiten Stuhl sinken.
    Ohne ihn anzusehen begann sie in das Notizbuch zu schreiben.
    Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde nicht wissen zu wollen, wo du die Nacht warst. Hast Du wieder jemanden getötet? Ich kann das Blut an deinen Händen riechen.
    Sie blickte ihm jetzt direkt in die blauen Augen, was sie sonst immer vermied. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie der letzte Anblick waren, die ein Mensch in seinem Leben zu sehen bekam, was eine Gänsehaut auf ihrem Körper auslöste.
    Warum tust Du das? Warum bist Du ein solches Monster, das wie ein Albtraum über unsere Stadt hereinbricht? Und warum um Himmelswillen bunkerst du Blut in deinen Schubladen? Bist du etwa auch noch ein Vampir?
    Sie liess ihm das Notizbuch und stand auf, trat langsam zur Staffelei heran. Heute Morgen hatte sie in ihm noch den Wolf gesehen. Doch vielleicht musste es nicht so bleiben.
    Emilia hatte einen Entschluss gefasst. Er verlieh ihr Mut und löste eine angenehme Ruhe in ihr aus.


    Nach einer halben Ewigkeit trat sie wieder an den Tisch heran, in den Händen die Phiolen, welche sie neben seiner Staffelei stehen gelassen hatte. Dabei fielen ihr seine Füsse auf, welche noch immer ohne seine Stiefel waren, was ihr seltsam anmutete. Doch dann bemerkte sie die feinen blutigen Striemen.
    Tut mir Leid, dass Du Dich dabei verletzt hast. Das war nicht meine Absicht. Zumindest nicht in jenem Moment. Es war eine Kurzschlussreaktion auf...nun du weisst schon...den Geruch.
    Sie lächelte ihn etwas schief an.
    Jede deiner Farben riecht anders, wusstest Du das? Veilchen, Erde, Russ, Safran, Holunder...
    Sie bedeutete ihm die Augen zu schliessen, dann hielt sie ihm eine Phiole zur Probe unter die Nase und beobachtete ihn aufmerksam dabei.


    Erst jetzt, wo er so vor ihr sass, betrachtete sie ihn eingehender, um Mirabellas Schwärmerei zu überprüfen. Im Gegensatz zu dieser fiel ihr Augenmerk jedoch nicht auf seinen Körperbau, sondern auf die Narben, die ihn verunzierten.
    Erschrocken tastete sich ihr Blick seinen Bauch entlang. Hatte ihn etwa ein Tier angefallen?
    Und es blieb nicht die einzige vernarbte Stelle an seinem Körper. Als er wieder aufblickte konnte er erkennen, wie sie auf seine Brust starrte, wo sie selbst ihre Spuren hinterlassen hatte.
    In diesem Moment verstand sie ihn noch weniger als sie bisher annahm.
    Wie konnte er Freude dafür empfinden, einem Menschen das Leben zu nehmen, wenn sie selbst schon Reue verspürte ab einiger Narben?
    Dann entdeckte sie die Schnitte an seinem Arm. Emilia verstand die Symbolik dahinter nicht, oder wollte sie vielleicht auch nicht verstehen. Zögerlich streckte sie ihre Finger danach aus, zog sie dann jedoch wieder zurück, ohne ihn zu berühren. Wer war dazu etwas fähig?
    Du hast schon viel erlebt., schrieb sie in das Notizbuch und obwohl es als Feststellung geschrieben stand, war es doch auch als eine Frage gemeint.


    Erst danach widmete sie sich seinen Antworten.
    Emilia hatte sich vorgenommen, bei ihm zu bleiben und zu lernen, ihre Gefühle zu kontrollieren. Doch nun hatte sie sich noch ein neues Ziel gesetzt und um dieses umzusetzen, konnte sie es sich nicht leisten, von ihm weggestossen zu werden. Sie musste in seiner Nähe bleiben, immer.

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  • Dimicus


    Seine Emotionen hielt er kühl, zumindest so weit es Dimicus konnte. Es war nicht leicht Emilia dafür anzugreifen, was sie getan hatte. Letztendlich hätte sie mehr beschädigen und anstellen können, als es ihr vermutlich bewusst war. Der Künstler seufzte. Noch nie hatte ihn jemand so nahe an die Wut gebracht, die beinahe an das Maß herankam, als er die Mörder seiner Eltern für ihre Taten büßen ließ. Seine Eltern ... wieder setzte er einen sehr kurzen und beinahe apathischen Blick auf. Warum erinnerte Emilia, als verlorenes Kind der Familie, ihn nur so sehr an sich?
    Schließlich wurde er wieder aus seinen Gedanken gerissen, als Emilia ihm das Notizbuch hingeschoben hatte. Aufmerksam las er sich die Fragen und Aussagen Emilias durch, während sie sich erhob und zur Staffelei ging, auf dem der junge Mann ihre Zeichnung zuvor aufgehangen hatte. Für nur einen kurzen Moment beobachtete er sie, doch dann nahm auch er Feder und Tinte, begann zu schreiben: "Weniger bin ich ein Monster, als ein Werkzeug meiner Zunft. Nur ein bescheidener Künstler der den Menschen etwas bringt, was sie wünschen. Was denkst du, warum dein geliebter Verlobter Valerius Feldweber als ein wunderschönes Kunstwerk sehen will? Neid, Eifersucht, Hass, Gier. Jeder von uns ist diesen primitiven Gefühlen unterlegen, auch meine Wenigkeit ist davon nicht unbetroffen. Was ist es, wenn nicht meine Kunst, die uns auf tragische Art und Weise zeigt, dass alles ein Ende haben muss? Zu deiner Beruhigung kann ich sagen, dass ich niemanden etwas in dieser Nacht angetan habe. Wie du es vermutlich formulieren würdest. Genau so wenig, wie ich eine untote Kreatur bin die das Blut braucht, um sich daran zu laben. Blut ist einfach nur das ehrlichste Rot, dass man im Diesseits finden kann. Es eignet sich perfekt als Farbe."
    Kaum war er mit diesen Worten fertig, trat auch Emilia wieder an den Tisch. Ihre Augen drückten etwas wie Reue aus, ihre nächsten Worte bestätigten dies, so ließ sie ihm aber keine Zeit zum Antworten. Stattdessen las er diese und auch ihre nächste Frage, wobei ihm dann plötzlich ein Fläschchen mit seiner Farbe unter seine Nase gehalten wurde. Emilia zur Liebe roch er daran, doch sein Gesicht bleib unbeeindruckt. Vermutlich war ihre Nase einfach wesentlich feiner als die seine, denn für ihn roch alles gleich. Ehe er aber antworten konnte, war sie mit etwas anderem beschäftigt. Betrachtete sie ihn etwa?
    Genau spürte er ihre Blicke auf seinem Oberkörper, die an seinen Narben hängen blieben. Sie waren fragend, genau so, als sie ihre Hand nach seinem Arm austreckte und doch wieder zurückzog. Er selbst schaute eher gespannt, was sie da genau tat und was sie wissen wollte, ehe sie ihre Frage auf das Papier brachte. Nur eine knappe Antwort schrieb er darunter: Es ist nichts, was es sich zu erzählen lohnt.


    Emilia


    Etwas enttäuscht registrierte sie, dass Valerius keine Miene verzog, als sie ihm die Phiole unter die Nase hielt. Er roch also tatsächlich nichts. Emilia wollte sich gar nicht vorstellen wie langweilig die Welt sein musste, wenn alles gleich roch. Und wie hätte sie ihn dann jemals erkennen sollen, wenn nicht an seinem Geruch, damals in der Gasse?
    Es ist nichts, was es sich zu erzählen lohnt.
    Emilia blickte ihn unschlüssig an. Im Grunde war sie schon neugierig, was hinter seiner Fassade steckte. Und all diese Narben hatten bestimmt ihre Geschichten. Andererseits war es für sie womöglich besser, gar nicht so viel über diesen Mann zu erfahren. Schliesslich mochte sie ihn ja nicht einmal.
    Ohne darauf einzugehen, las sie also seine nächsten Worte.
    Ich denke nicht, dass die Künstler dieser Stadt gerne auf eine Stufe mit einem Mörder gestellt werden. Und ich habe mir niemals gewünscht, dass mein Vater so enden sollte!
    Sie blickte ihn wütend an. Wie konnte dieser Kerl so verquer denken? Sah er denn selbst nicht, wie viel Leid er über die Familien brachte? Welche Angst er in der Stadt schürte?
    Seine nächsten Worte liessen sich stocken und sie starrte wie hypnotisiert darauf.
    Am liebsten hätte sie das Blatt zerrissen.
    Seine Lügen wurden immer dreister, immer fantasievoller.
    Ihr Verlobter Wilfried wollte einen Menschen ermorden lassen? Valerius Feldweber?
    Einen Moment blickte sie ihn verwirrt an.
    Wusste Wilfried vielleicht, dass Valerius der Rosendämon war? Nein, das ergab keinen Sinn.
    Aber womöglich hatte er herausgefunden, dass Emilia bei Valerius war und wollte sie auf diese Weise retten? Aber dann könnte er ja einfach die Stadtwachen bei ihnen vorbeischicken? Oder etwa nicht?
    Wütend schnaubte sie, wie konnte sie überhaupt erst darüber nachdenken?!
    Alles nur Lügen!
    Und wo bist du dann gewesen?

    Plötzlich kam ihr etwas in den Sinn. Der Brief.
    Du warst bei mir zu Hause, oder?
    Es war mehr eine Feststellung denn eine Frage.
    Und sie hatte das Blut gerochen, sie hatte sich nicht getäuscht. Doch wessen Blut?
    Sie spürte das Kribbeln unter der Haut und hatte Mühe ihre Instinkte zu kontrollieren.
    Hatte er vielleicht ihre Tante oder Alfonso getötet? Oder vielleicht sogar ihren Verlobten Wilfried?
    Warum hast du nach Blut gerochen?


    Dimicus


    Mit großer, tatsächlicher Neugierde betrachtete der Künstler die Worte der jungen Frau, die die Antwort auf die seine war. Natürlich war ihm bewusst, dass all diese Dinge für sie unwirklich sein müssen, wer konnte ihr das auch verdenken? Darauf antwortete er schließlich: Es war auch nicht mein Wunsch, dass dein Vater sterben würde, so gingen mich seine Geschäfte nichts an. Doch war es der Wunsch eines anderen, dass Frederick sein Ende fand. Für einen Moment hielt er inne, betrachtete das Papier vor ihm. Für nur einen Moment kam etwas in ihm auf und er fragte sich, ob er es tatsächlich niederschreiben sollte.
    Nachdem er einmal tief durchatmetet, fuhr er fort. Ich kann dich nur um Verzeihung bitten, Emilia. So stellte ich nur das Werkzeug für all dessen dar und ich werde es womöglich auch immer sein. Er blickte zu ihr auf und schaute ihr in die Augen, ruhig blieb er, zeigte keinerlei Regung. Man nennt mich verrückt, wahnsinnig. Doch alle Künstler sind dies auf ihre eigene Weise. Nehmen wir einmal Wilfried, der letzte Nacht einen Besuch der sagenumwobenen Figur des Rosendämonen erhielt, mit diesem eine Botschaft seiner Verlobten und die Bestätigung zur Annahme eines Auftrages. Seine Bettpfosten zieren nun einige blutige Rosen, doch er selbst ist wohlauf. Das verspreche ich dir.
    Erneut blickte er sie an, etwas belustigt sogar. Kannst du dir vorstellen, dass Wilfried auch verrückt ist? So blickte er Valerius Feldweber, als ob dieser dich ihm stehlen würde. Eifersucht und Angst um sein Vermögen. Der Grund, warum ich schließlich einen Auftrag erhielt, meine eigene, gespielte Figur zu töten. Interessant, oder? Wenn du diesen Mann wirklich liebst, was ich in diesem Moment stark bezweifle, so solltest du ihm einmal tief und fest in die Augen schauen. Du wirst erkennen, wer er wirklich ist.
    Damit erhob sich Dimicus und schritt zu der Kommode herüber, nahm sich die Briefe die aus dem Schriftverkehr zwischen Lucinda und Wilfried hervorgegangen waren. Mit ruhiger Mimik legte er diese vor Emilia, deutete darauf, dass sie lesen sollte, was ihr Verlobter über sie dachte. Was der Plan der Familie war.


    Emilia


    Du hast meinen Vater für Geld getötet?
    Sie war so sprachlos, dass der Stift auf dem Tisch liegen blieb und sie ihn nur ungläubig anstarren konnte. Die Worte formten sich in ihrem Kopf, schafften es jedoch auch nicht über ihre Lippen.
    Sie hätte ihm ihr ganzes Vermögen angeschmissen, wenn sie dafür nur ihren Herrn Papa noch gehabt hätte. Für einige dumme Münzen…
    Ich kann dich nur um Verzeihung bitten, Emilia. So stellte ich nur das Werkzeug für all dessen dar und ich werde es womöglich auch immer sein.
    Seine Worte waren blosse Heuchelei in ihren Augen, er verhöhnte sie mit seiner Entschuldigung und der Rechtfertigung seiner Taten.
    „Warum?“, es war bloss gehaucht, mehr ein Flüstern, und doch schwebte es wie eine Wand zwischen ihnen beiden. Emilia wusste nicht, ob sie es ausgesprochen oder bloss gedachte hatte, doch ihr Blick sagte genug.


    Unterdessen hatte er weitere seiner doppelzüngigen Worte aufs Blatt gebracht und die Gestaltwandlerin musste sich zusammenreissen, weiterzulesen.
    Und woher soll ich wissen, dass deine Versprechen mehr wert sind, als eine Handvoll Lügen?


    Es geht hier doch gar nicht um Liebe. Es geht um die Ehre der Familie, um meinen Stolz. Ausserdem ist es beschlossene Sache, dass ich ihn heirate. Und ausgerechnet Du wirst mich nicht davon abhalten.
    Ich brauche Jemanden, der für mich sorgt und der mein Anwesen verwaltet, während ich einmal die Kinder zu guten Menschen erziehen werde. Das ist meine Aufgabe und allein diese.

    Als sie aufblickte, erkannte sie einen Moment der Belustigung in seinen Augen aufblitzen. Dieses Mal war es eine Art Knurren, das sich den Weg nach Draussen bahnte.
    Ruckartig wandte sie sich von ihm ab und ging zu der Staffelei hinüber. Sie stellte sie vor die Mondlandschaft und schloss die Augen, stellte sich vor, irgendwo dort draussen sein, mitten in diesem Bild. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und ihre Fingernägel bohrten sich schmerzhaft in die Handflächen. Doch dieser Schmerz war es auch, der sie erdete und sie wieder auf den Boden zurückholte.


    Als sie an den Tisch zurückkehrte, lagen dort einige Briefe. Valerius hatte sich zurückgelehnt und gab ihr somit den Freiraum, den sie dringend nötig hatte, wie sie bei sich dachte.
    Sie erkannte beider Handschrift sofort und zögerte merklich, nach den Schriftstücken zu fassen. Schliesslich jedoch las sie genug, um den Inhalt grob zu verstehen.
    Und dann… begann sie plötzlich zu weinen.


    Dimicus


    Genau wusste der junge Mann, was er mit seinen Worten in ihr auslösen würde, so stellten sie aber die einzige Wahrheit dar, die Emilia jemals erfahren würde. Ihre darauffolgenden Blicke machten ihm mehr als deutlich klar, dass sie an der Grenze stand, auf ihn loszugehen. Sie riss sich offenbar zusammen und als sich ihre Lippen zu einem „Warum?“ formten. Sie schrieb und ihre Hand zitterte leicht, als sie ihre Worte zu Papier brachte. In diesem Moment wusste Dimicus sogar, dass sie etwas niederschrieb, was die Prinzipien ihrer Familie ihr eingeflößt hatten.
    Kaum fertig blickte sie wieder auf, schaute ihn an und erhob sich, nur um scheinbar zu einem seiner Gemälde zu gehen, es eindringlich zu betrachten. Offenbar, um sich zu beruhigen, so angespannt und vor allem verkrampft sie dort stand. Sein Blick ging auf ihre Worte nieder, las und analysierte sie, nur um seine vorherige Vermutung zu bestätigen. Ich denke, dass du in den Händen dieser Leute nur eine Marionette bist, die sich niemals entfalten und ihr eigenes Potential ausschöpfen kann. In deinen Adern fließt Blut, dass nicht auf eine Leinwand gehört, nicht verschwendet unter dem korrupten Einfluss eines einzelnen Mannes, der dies nicht zu schätzen weiß. Sich sicher seiend, dass er die richtigen Worte gefunden hatte, legte er das Buch wieder weg.
    Denn in diesem Moment las sie die Briefe und offensichtlich traf sie die Wahrheit wie ein Schlag, den sie nicht verdient hatte. Spürte er etwa … Mitleid? Ihr Welt brach Stück für Stück zusammen, all das war zum Teil seine Schuld. Dessen war er sich bewusst, doch würde sie nicht aufwachen, gäbe es keine Zukunft für sie. Eine Zukunft, die er sich hatte mit Blut, Schweiß und seiner Kunst hatte erarbeiten müssen. Was kümmerte es ihn eigentlich?
    Zugegeben, viel. Denn als er die junge Frau vor sich in Tränen zerfließen sah, es löste etwas in ihm aus. Ihre Visionen und Träume der friedlichen Welt wurden ihr immer mehr geraubt. Von der stolzen Löwin war nicht mehr viel übrig, so wie sie jetzt vor ihm saß, bitterlich weinend über die trübe Wahrheit, die ihr Leben darstellte. Ein weiteres Mal schrieb er in das Buch: Es liegt nicht an dir oder dieser Welt, dass dies dir widerfährt. Du fragst dich bestimmt nach dem Warum. Du versuchst zu verstehen, doch kannst es nicht. Abermals weiß ich, wie du dich fühlst. Valerius Feldweber könnte es nicht verstehen, seine Vergangenheit war doch friedlich und behütet, doch ich verstehe dich. Die Person die dich lehren kann, mit diesen Umständen fertig zu werden. Eine selbstständige Frau zu werden, die ich in dir zu sehen vermöge. Etwas unbeholfen war Dimicus schon, als er die junge Frau so vollkommen hilflos unter der Last ihres Lebens zusammenbrechen sah. Kurz überlegte er, bevor er sich erhob und neben die stellte, seine filigrane Hand ihr entgegenstreckte. Ein Zeichen der Hilfe. In diesem Moment war jeder Groll schlagartig verschwunden, zu sehr erinnerte er sich, was ihm widerfahren war, als seine Augen zu seiner Verwunderung sich etwas wässrig anfühlten...



    Emilia


    Eine Weile sass sie nur da und weinte vor sich hin. Weder nahm sie wahr, wie er in das Notizbuch schrieb, noch dass er ihr seine Hand anbot.
    Wenigstens von ihrer Tante hatte sie geglaubt dass diese sie gern hatte. Und Wilfried. Nun im Grunde hatte sie bereits gewusst, dass er sie nicht liebte. Auch sie selbst empfand keine Liebe für ihr, doch eine Verbundenheit durch das Familienband, das sie miteinander verknüpfte. Sie hatte immer loyal sein wollen, so wie sie es von ihrem Herrn Papa gelehrt bekam. Doch dafür konnte sie doch auch erwarten, dass man sich ihr gegenüber ebenso loyal verhielt?
    Stattdessen wurde sie wie eine Ware gehandelt, wie eine Kuh, welche es zu melken galt.
    Irgendwann blieben ihre Augen gerötet, doch keine Träne kullerte mehr über ihr Gesicht. Emilia fühlte sich öde und leer wie eine Wüste.


    Sie suchte nach einem Halt und blieb an dem Notizbuch hängen. Während ihre Schrift krakelig war, blieb Valerius ruhig und geschmeidig.
    Eine Marionette… er selbst war doch auch nicht mehr als eine Marionette. Eine Marionette seiner Geldgeber und nicht zuletzt eine Marionette seiner eigenen Kunst, das begann Emilia langsam zu begreifen.
    Doch hatte er vielleicht Recht? Wurde sie nicht auch von den Prinzipien geknechtet, mit welchen sie erzogen wurde? Hielten diese sie davor ab, ihr Leben wirklich zu leben?
    Welch ordinäre Gedanken. Was dabei rauskam, wenn man nach seinen eigenen Regeln lebte, konnte sie am Beispiel von Valerius erkennen. Doch war das überhaupt sein Name?
    Valerius Feldweber könnte es nicht verstehen, seine Vergangenheit war doch friedlich und behütet, doch ich verstehe dich.
    Und wer bist Du, als dass Du Dich für jemand Besseren hältst als Valerius Feldweber oder als meine Familie? Woher willst Du wissen, was das Beste für mich ist? Damit bist Du doch auch nicht besser als diejenigen, welche mich zu dem erzogen, was ich heute bin.
    Seine Handfläche bot er ihr noch immer an und beinahe wie eine Salzsäule stand er einfach neben ihr. Wie magisch wurden ihre Augen stattdessen jedoch zu dem Narbengeflecht hingezogen. Sie schaute ihm nicht ins Gesicht, als ihre Fingerkuppen hauchzart seinen Unterarm berührten. Trotz dem sanften Kontakt erspürte sie die Erhebungen der Narben unter ihrer Haut.
    Zögerlich nahm sie den Stift zur Hand.
    Erzähl mir von deinen Narben. Ich will verstehen, warum Du Menschen das Leben nimmst. Bist du vielleicht die Marionette deiner Vergangenheit?


    Dimicus


    Keine Reaktion. Dies war interessant und zeitgleich beunruhigend wahrzunehmen. Was sollte es auch, was hatte er erwartet? Für sie war er nur das, was sie zuvor geschrieben hatte. Doch er konnte ihrem nachdenklichem Tun ansehen, dass sie mehr als gründlich über das nachdachte, was er zu ihr gesagt hatte. Ein wenig überraschend war es zudem für ihn, so hatte er zunächst damit gerechnet, dass sie weiterhin an den ihr gelehrten Prinzipien festhalten würde.
    Dimicus verharrte in seiner Position und Emilia wusste es offensichtlich doch einzuschätzen, was er andeuten wollte. Allerdings ignorierte sie nach ihrem Schreiben seine Hand, sondern konzentrierte sich völlig auf seinen Arm. Um genauer zu sein, die Narben die auf seinem Unterarm rankten. Jene Wunden, die er sich selbst zugefügt hatte, um mit seinem eigenen Blut seine ersten Kunstwerke zu erschaffen. Ihre feine Berührung – sie fühlte sich eigenartig an und hinterließ bei dem leichten Hauch ihrer Fingerkuppe ein Kribbeln. Er konnte die Wärme spüren, die von ihrer Hand ausging und beinahe fasziniert folgte er ihren Fingern.
    Schnell wurde er allerdings ein weiteres Mal aus dieser Faszination gerissen, als sie es sofort unterband und wieder zu Schreiben begann. Inzwischen durchzogen Fragen das Notizbuch, die für Dimicus alles andere einfach zu lesen und noch schwerer zu beantworten waren. Er schluckte. Wollte sie das erreichen? Ihn empfindlich machen? Schwach werden lassen, nur um so viel möglich aus ihm heraus zu kitzeln? Fragend blickte er sie auf ihre Worte hin an, zum Glück hatte sie übersehen, dass er ebenfalls den Tränen nahe war, so hatten sich seine Augen auf ihre normale Kühle zurückgefunden.
    Sein Atem ging minimal schneller, genau so wie sein Herz etwas schneller zu schlagen begann. Seine Vergangenheit. Er hatte lang nicht mehr darüber nachgedacht. Sollte er es wirklich für diese junge Frau tun, die immerhin im Grunde keine Bedeutung für ihn haben sollte? Doch wieso schaffte sie es dann, ihn in solche Lagen zu versetzen, ohne das er sein Kalkül davor schieben konnte? Um sich zu beruhigen atmete er ein weiteres Mal tief durch, ehe er wieder zur Feder griff. Ich weiß nicht, was für dich das Beste ist. Das kann dir niemand sagen. Keine Prinzipien, nicht die Loyalität zu jemanden oder die Lehren die du erhalten hast. Nur du kannst es wissen, wohin du wirklich gehörst. Niemand kann es dir sagen. Ich? Ich weise dich nur darauf hin, dass ich zu verspüren weiß. Wenn ich dir in deine Augen blicke, sehe ich wie du dich nach einem anderen Leben sehnst. Korrigiere mich, wenn ich falsch liege.
    Getrennt davon schrieb er weiter. Wer ich wirklich bin, willst du das wirklich wissen? Mein Name ist Dimicus. Ich trage keinen Nachnamen, nur einen weiteren Namen den mir das Volk Drakensteins gegeben hat. Am liebsten möchte ich dir sagen, dass du nicht verstehen solltest, warum ich Personen ihrem Ende in einer wundervollen Symphonie des Blutes zuführe. Es ist nicht das, nicht die Welt die für dich bestimmt ist. Meine Narben erzählen eine gänzlich andere Geschichte als die deine.
    Ungeachtet dessen, wie Emilia darauf reagieren würde, griff er zaghaft ihre Hand und führte sie zuerst auf die Narbe an seinem Rücken. "Ein Wolf, als ich ihn in den Wäldern erlegte, auf einen Todeskampf hinaus." Schließlich führte er sie auf seinen Bauch, die wohl tiefste und schrecklichste Narbe. "Ein weiterer Wolf, die Narbe die eigentlich mein Schicksal hätte besiegeln sollen, wäre ich nicht durch eine Fügung gerettet worden." Die Narben auf seinem Unterarm. "Die Konsequenz meiner Kunst. Mein Blut stellte die Grundlage für meine ersten Werke da, ich war der Erste, der den süßlichen Geschmack zu spüren bekam." Zu guter Letzt führte seine Hand die ihre auf seine Brust, die frischen Narben ihrer Löwenklauen. "Du. Verewigt als stärkerer Gegner, dem ich den größten Respekt zollte, seit ich dem Tode entgangen bin." Damit ließ er sie wieder los, nickte ihr nur zu.

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  • Dann habe ich nichts mehr, woran ich mich festhalten kann. Welchen Sinn hat das Leben dann noch, wenn ich nicht einmal mehr an meine Prinzipien glauben kann?
    Emilia liess die Schultern hängen, und ihr Mut verliess sie.
    Du sprichst von einem anderen Leben. Doch wie soll ich das führen, wo Du mir doch meine Familie genommen hast?
    Entweder werde ich nach Hause zurückkehren und alles vergessen, was Du mir gezeigt hast. Oder ich müsste mittellos auf der Strasse leben. Solange ich nicht verheiratet bin, verwaltet Onkel Alfonso das Vermögen. Ich bin kein Strassenstreuner, ich würde es nicht überleben.

    Sie wusste, dass das stimmte. Sie hatte ihr bisheriges Leben in der Sicherheit ihres Hauses verbracht. Sie kannte die Welt hier Draussen kaum, was ihr erst gerade Mirabella vor Augen geführt hatte. Und obwohl sie noch so gerne die Landschaften durchquert hätte, welche auf Valerius Bildern festgehalten wurden, so war sie doch eine Gefangene.


    Sie betrachtete ihn nachdenklich und ihre Blicke trafen sich. Plötzlich veränderte sich sein Ausdruck und er zog sie auf die Beine.
    „Ein Wolf, als ich ihn in den Wäldern erlegte, auf einen Todeskampf hinaus“, kaum gesprochen, drehte er ihr den Rücken zu, wo eine längliche Narbe verlief, die sie bisher noch nicht gesehen hatte. Wie zuvor bei den Schnittwunden am Unterarm starrte sie gebannt auf die Haut, welche an der Narbe heller gefärbt war. Sie erzählte von einem Kampf, den er offensichtlich gewonnen hatte. Wie auch die nächste Wunde, welche er ihr zeigte.
    „Ein weiterer Wolf“, erklärte er ihr und führte ihre Hand zu seinem Bauch. Emilia liess es geschehen und fuhr achtsam mit den Fingerspitzen dem vernarbten Hautgewebe entlang, welches sich deutlich abhob. Ein Tier hätte also beinahe über sein Schicksal entschieden, doch er war ihm entkommen. Daraufhin mussten viele Menschen den Tod erleiden. Emilia starrte einen Augenblick gedankenverloren vor sich hin. Vielleicht war sie dazu bestimmt, sein Schicksal zu besiegeln?
    Die Narben am Unterarm kannte sie bereits, doch sie blickte ihn erschrocken an, als er behauptete, dass er sie sich freiwillig zugefügt hatte. Als er vom süsslichen Geschmack sprach, zuckte sie zusammen. Unwillkürlich meinte sie wieder das Blut des Bettlers in ihrem Mund zu schmecken und den Geruch der Phiole in der Nase zu haben. Er behauptete zwar, kein Wesen der Nacht zu sein, doch wie ein solches labte er sich an der roten Lebensflüssigkeit.
    „Du. Verewigt als stärkerer Gegner, dem ich den grössten Respekt zollte, seit ich dem Tode entgangen bin.“
    Emilia legte ihre Hand exakt auf die frischen Narben, wie auch die Pranke dort gelegen hatte. Noch nie hatte sie einen Mann auf diese Weise berührt. Sie nahm das Klopfen seines Herzens wahr und die Wärme der Haut. Dann schoss ihr wieder der Schicksalsgedanke durch den Kopf und instinktiv verkrampfte sie ihre Finger wie Klauen. Augenblicklich trat sie einen Schritt zurück und wandte ihren Blick von seinen Augen ab, die ihr viel zu ehrlich erschienen in diesem Moment.
    Sie wandte sich zum Notizbuch um, in Gedanken noch bei seiner Vergangenheit.
    Du hast nicht immer in der Stadt gelebt. Wo bist Du aufgewachsen? Wo ist Deine Familie?


    Dimicus also. Emilia seufzte. Inzwischen schien es keine Rolle mehr zu spielen, ob ein blosser Name der Wahrheit entsprach oder eine weitere Lüge war, hinter welcher er seine wahre Gestalt verbarg. Doch mehr als seine erfundenen Geschichten über Valerius Feldweber verärgerte sie hingegen seine Wortwahl. Am liebsten hätte sie ihn einmal kräftig durchgeschüttelt. Eine Symphonie des Blutes…
    Er wollte einfach nicht einsehen, dass seine Taten nichts mit Kunst oder gar Schönheit zu tun hatten!
    Stattdessen rechtfertigte er damit die Morde… die Auftragsmorde!
    Sie erstarrte im selben Moment, als sie die Bedeutung dessen erkannte.
    Die Kleider, welche sie am Leibe trug, waren von seinem Blutgeld gekauft.
    Sie fühlte sich plötzlich unglaublich hilflos. Da sie einfach abgehauen war, hatte sie nicht einmal die Möglichkeit, eigene Kleidung zu kaufen, sondern war auf ihn angewiesen, wenn sie nicht zur Diebin werden wollte.
    Ich werde mein eigenes Geld verdienen. Vielleicht kann mir ja Mirabella eine Arbeit besorgen.
    Dann zögerte sie einen Augenblick. Sie hatte eine Bitte, doch wusste nicht, ob sie diese stellen konnte. Er hatte wieder ihre Sehnsucht geweckt.
    Gehst Du mit mir einmal aus der Stadt raus, in den Wald? Zu einem See? Über die Felder?
    Sie nahm sich vor, sich den Wunsch auch ohne ihn zu erfüllen. Doch trotzdem fürchtete sie sich davor, alleine die Sicherheit der Stadtmauern zu verlassen, wo sie doch erst gerade dabei war, Drakenstein kennenzulernen. Vielleicht konnte sie dann auch einen dieser gefährlichen Wölfe mit eigenen Augen erblicken…

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  • Ihre Hand … sie löste ein seltsames Gefühl in dem Künstler aus. So mag ihn noch nie jemand überhaupt so nahe gekommen sein, zudem war es in der Verbindung mit der Geschichten seiner Narben erst recht noch nie geschehen. Dimicus wurde verunsichert, auf eine sehr befremdliche Art fühlte sich diese Berührung erlösend an. Beinahe gut und süßlich. Erst als sie ihre Hand verkrampfte und zu Klauen aufrichtete, endete das Gefühl für ihn und seine Sinne stellten sich auf sein normales Wesen ein. Was hatte sie nur mit ihm gemacht, dass sie solch seltsamen Dinge ihn ihm auszulösen vermochte?


    Nachdenklich blickte er ihr hinterher, als sie sich wieder abwandte und wieder dem Notizbuch widmete. Jene Zeit nutzte er, um seine nackten Füße in die Stiefel zu stecken und sich sein Hemd überzuziehen. Als er schließlich wieder zurückkehrte, schrieb sie noch immer und scheinbar jagte ein Gedanke den Nächsten, als sie die unterschiedlichsten Dinge niederschrieb. Ein weiteres Mal wünschte sich der junge Mann genau wissen zu können, was in ihrem Kopf gerade vorging. Warum befasste sie sich nun eigentlich mit ihm? Sie wollte lernen zu überleben, doch dann könnte er sie genau so gut zur Diebesgilde übergeben und die dortigen Meister würden sich ihrer annehmen. Doch zeitgleich würde dieses gierige Pack sicherlich das Geld für sich einsacken wollen.


    Ein anderes Leben – ja. Doch dein Leben wird nicht von anderen bestimmt, weder deiner Familie, noch deinen Freunden, noch deinen Geliebten oder von einem Fremden. Du trägst die eigene Verantwortung, wie dein Leben auszusehen hat. Natürlich können andere dir Dinge nehmen oder geben, es ist aber die Sache, was du daraus zu machen vermagst. Auf mehr kommt es am Ende nicht an, Emilia. Zögerlich blickte er darauf ihre erste Frage an und erstarrte. Du hast nicht immer in der Stadt gelebt. Wo bist Du aufgewachsen? Wo ist Deine Familie? Seine Augen wurden glasig und seine Hand begann zu zittern. Nur für einen Moment war eine monumentale Schwäche bei ihm zu sehen.


    Doch dann schüttelte er nur mit dem Kopf und fasste sich wieder, ehe er darauf antwortete. Ich habe keine Familie, sie sind tot. Sein Gesicht wirkte plötzlich vollkommen gleichgültig und ernst, als ob es ihn kaum berührte, was er da schrieb. Doch es stimmt, ich war nicht immer hier in der Stadt. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Im Wald, letztendlich. Dort erhielt ich die Lektionen meines heutigen Lebens. Zufrieden und seine Antwort für ausreichend befindend, ließ er es als solches dort im Buche stehen und widmete sich schließlich den nächsten Worten.


    Dein eigenes Geld verdienen? Natürlich ist es momentan in der Hand deines Onkels, was deinen eigenen Wohlstand anbelangt. Eines Tages solltest du dir diesen aber aneignen und selbst nutzen. Doch wenn du das möchtest, kannst du auch gern für mich Besorgungen machen und dir etwas verdienen. Nachdenklich blickte er drein. In ihr keimten die ersten Gedanken der Unabhängigkeit auf. Das war mehr als gut und hoffentlich würde dies auch bald noch weiter reifen. Denn ihre Naivität und Angst davor, sich die eigenen Hände schmutzig zu machen, würden ihr nur im Weg stehen. Tatsächlich erfüllte es ihn etwas mit Stolz, als er zu verstehen begann, dass Emilia anfing zu lernen.


    Der Blick Dimicus' wanderte schließlich für einen Moment nach draußen und er erkannte die Sonne, wie sie sich langsam der Mittagsstunde nähern wollte. Wissend was zu tun war, nickte er und sein Vorhaben für den Tag stand fest. Noch einmal griff er zur Feder und schrieb. Die Kleidung die du hast, sollte ausreichen. Mache dich fertig, wir werden dann heute einmal außerhalb der Stadtmauern gehen. Du hast es verdient. Damit wandte er sich auch schon ab und begann, sich seine Rüstung anzulegen und die Bewaffnung an ihre angestammten Plätze zu bringen.


    Dabei dachte er nach. Emilia, Emilia von Kreuzenstein, ihr Vater war nicht mehr als vor 2 Monaten verstorben, durch die Hand seines Genies. Sein Blick wandte sich auf seine Hände, die er vor seinen Augen ausbreitete und er schien sich darin zu verlieren. Die Taten eines Genies. Warum bist Du ein solches Monster?, ertönte es mit einer weiblichen Stimme in seinem Kopf, obwohl er Emilias Stimme, abgesehen von dem Schrei, noch nie gehört hatte. Ein kaum merkliches Seufzen durchzuckte ihn. Die Frage hatte sich bei ihm eingebrannt. Natürlich hatte er nicht erwartet, dass die Menschen Drakensteins seine Werke wertschätzen oder gar bewundern würden. Doch jemanden vor sich zu haben, die eine Konsequenz aus seiner Kunst war und auch noch bei ihm bleiben wollte … es war eine gänzlich andere Geschichte.

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  • Seine Worte trugen einen wahren Kern in sich und doch war es nicht gar so einfach, wie er es darstellte. Verantwortung übernehmen…
    Noch niemals zuvor hatte jemand Emilia Verantwortung übertragen. Und jetzt kam dieser junge Mann und behauptete, sie könne ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Sie fühlte sich durch die Aussage überrumpelt und überfordert zugleich. Sie begriff, dass es um Vieles einfacher war, unbedarft in den Tag hineinzuleben, ohne sich um wichtige Dinge zu sorgen.


    Sie blickte zu ihm auf, wollte etwas darauf erwidern, doch dann sah sie seine Miene und erstarrte in der Bewegung.
    Eine schreckliche Leere erfüllte für einen Moment seine Augen, gleichzeitig war darin aber auch eine Trauer zu erkennen. Dann war es bereits wieder vorbei, er schüttelte den Kopf und schrieb zwei Zeilen in das Notizbuch hinein.
    Nachdenklich las Emilia die Worte. Gerne hätte sie nachgefragt, weshalb seine Familie starb und wie er im Wald überleben konnte. Doch sein Gesichtsausdruck hielt sie davon ab, weitere Fragen zu stellen und sie verschob es auf einen späteren Zeitpunkt, wenn überhaupt.


    Dass er keine Vorbehalte gegen ihren Tatendrang einzuwenden hatte, stimmte sie selbstzufrieden. Vielleicht war das ein erster Schritt in die Richtung Verantwortung zu übernehmen?
    Statt ihr jedoch zuzustimmen, bei Mirabella nach Arbeit zu fragen, sollte sie für ihn Besorgungen erledigen. Emilia freute sich über sein Angebot, doch gänzlich glücklich war sie darüber nicht. Dann würde sie das Geld trotzdem von ihm bekommen, und das wollte sie nicht.
    Danke, ich gehe für Dich einkaufen, wenn Du das möchtest. Doch trotzdem werde ich mich erkundigen, ob ich in der Küche oder im Haushalt mithelfen kann. Ich möchte unabhängig von Dir sein.


    Die nächsten Worte waren jedoch die schönsten, die Emilia seit langem gelesen hatte.
    Ausserhalb der Stadtmauern!
    Obwohl sie versuchte ruhig zu bleiben, war das Leuchten in ihren Augen deutlich zu erkennen und ein freudiges Lächeln breitete sich warm über ihr Gesicht aus.
    Kurz darauf trug sie bereits ihre weichen Lederstiefel und hatte sich den warmen Mantel über die Schultern geworfen.
    Sie schnappte sich den Schlapphut, den Dimicus ihr auf ihr Drängeln hin gekauft hatte. Suchend blickte sie sich um, entdeckte ihre improvisierten Haarnadeln und steckte sich den dicken Zopf als Dutt auf den Kopf, um ihn dann unter dem Hut verschwinden zu lassen.
    Tatsächlich wirkte sie nun beinahe wie ein Jüngling, wenn man von ihren weiblichen Rundungen absah. Dann zog sie sich jedoch den Mantel vorne enger zu und war nun wirklich nicht mehr so einfach zu erkennen.
    Mit Emilia schien eine Verwandlung vor sich gegangen zu sein. Wo sie vorhin noch misstrauisch, wütend oder gar traurig war, spiegelte sich nun die Freude in ihrem Verhalten wieder.


    Draussen auf der Gasse konnte es ihr nicht schnell genug vorangehen. Dieses Mal war sie es, die immer wieder ungeduldig an Dimicus Ärmel zupfte, wenn er sich vorsichtig nach Verfolgern oder anderen seltsamen Gestalten umschaute.
    In ihrer Hosentasche hatte Emilia das Notizbuch und einen Stift verstaut, doch sie hatte gar keine Zeit, sich mit dem jungen Mann an ihrer Seite zu unterhalten.
    Sie bemerkte dieses Mal weder die spielenden Kinder, noch die Katze auf Mäusejagd, noch die Schaufenster der Geschäfte.


    Endlich kam das Stadttor in Sicht. Beinahe ehrfürchtig verlangsamte sie plötzlich ihren Schritt. Zum ersten Mal sollte sie nun Drakenstein verlassen. Ihre Augen waren fest auf das steinerne Tor gerichtet, wo emsig die Leute ein und aus gingen und dabei von zwei Wächtern aufmerksam beäugt wurden.
    Das Tor ragte mächtig vor ihr auf, über sich sah sie das Fallgitter, das schnell heruntergelassen werden konnte, wenn es nötig wurde.
    Emilia trödelte so sehr, dass sie von hinten angerempelt wurde und beinahe zu Boden gefallen wäre. Schnell beeilte sie sich, aus dem Weg zu gehen, blieb aber nur einige Schritte weiter wie angewurzelt stehen und starrte auf das Bild vor sich.


    Sanft geschwungene grüne Hügel breiteten sich vor ihr aus und ein langer Weg schlängelte sich von der Stadt fort, zu den Häusersiedlungen hin, welche die Stadt umgaben und vom einfacheren Bauernvolk bewohnt wurden. Etwas seitlich entfächerten sich die ersten Ausläufer eines grünen Waldes. Keine Häuserfassaden oder Mauern versperrten ihr die Sicht. So stand sie einfach nur da und staunte, während die Leute sich murrend an ihr vorbeidrängelten.

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  • Aus ihm nicht ganz bekannten Gründen, freute es den jungen Mann, dass Emilia diese Vorfreude auf die Welt außerhalb der Stadt hatte. Nicht zuletzt hatte er sich schon lang wieder vorgenommen, einmal wieder selbst nach draußen zu gehen. Die frische Luft als Abwechslung zu dem Gestank der Stadt erleben zu können. Umso gelegener kam ihm ihr Wunsch, einmal rauszugehen. Wer weiß, vielleicht konnte er ihr dort noch besser und grundlegender zeigen was es bedeutete, frei und sein eigener Herr, oder ihrem Fall Frau, zu sein. Zudem wollte sie sich noch etwas dazu verdienen, durch Besorgungen für ihn. Vielleicht brachte es etwas, wenn er sich mehr auf seine Arbeit konzentrieren konnte, ohne die Besorgungen erledigen zu müssen.


    Doch war er sehr erstaunt, wie verwandelt die junge Frau plötzlich vor ihm stand. Sogar er hatte beinahe Schwierigkeiten, sie richtig wiederzuerkennen und man musste ihr lassen, dass sie trotz ihrer Naivität äußert kreativ war, wenn nicht sogar gerissen. Fast freudig hüpfte sie plötzlich umher und wirkte tatsächlich glücklich. Offensichtlich war es genau das, was sie wirklich gebraucht hatte. Wie es ihr wohl ergangen wäre, hätte Wilfried nicht sein frühes Ende und dessen endliche Bedeutung gefunden? Vermutlich hätte sie hierzu nie die Chance bekommen. Zumindest nicht auf die Art, wie sie es immer gewollt hatte. Es würde wohl die Zeit für ein neues Abenteuer für sie und eine Probe der Geduld für ihn werden. Das wusste er schon vorher und sein Bauchgefühl sprach keine anderen Bände.


    Es ging ja schon in der Stadt los, als sie mit einer Mischung aus Ungeduld und Vorfreude die gesamte Zeit vorging. Es war ein wahrer Kampf, so auf sie und sein eigenes Wohl zu achten, so hingen noch immer Plakate mit ihrem Gesicht an jeder erdenklichen Ecke. Wahrhaft kein Spaß, bei diesem Umständen mit ihr zusammen zu reisen, doch auffällig war die niedrigere Anzahl an Wachen. Das plötzliche Fehlen der zusätzlichen Wachverstärkung stimmte den jungen Künstler schon sehr misstrauisch. Doch es war etwas, was er nicht sofort beachtete. Ob es ein Fehler war?


    Diese Gedanken waren allerdings sehr schnell vergessen und schon bald standen die beiden vor den Stadttoren, Emilia wie angewurzelt, Dimicus vollkommen blank mit den Nerven. Es wäre einfacher gewesen, auf einen Floh im dicht bewachsenen Felles eines Hundes aufzupassen, als auf die Neugierde einer jungen Katze, die Emilia definitiv an den Tag legte. Zu ihrem Glücke hatte er sie einigermaßen gedeckt und auch für seine eigene Sicherheit gesorgt, so einige Blicke waren auf die beiden gerichtet gewesen.


    Dieser Wechsel zwischen Aufpassen und Vorankommen wurde jedoch in dem Augenblick aufgelöst, nachdem sie endlich mehr Luft und Raum zum atmen hatten. Der Duft der Gräser die schon seine Nase in einem gewissen Ansatz umspielten, dazu die fehlenden Stadtgeräusche, die noch höchstens dumpf an seine Ohren drangen. Es war herrlich, einmal wieder heraus zu kommen und für Emilia musste die gesamte Erfahrung noch viel intensiver sein. Wie es wohl genau für sie war, so wie sie noch nie die Außenwelt gesehen hatte, wie sie sich jetzt vor ihr erstreckten.


    Sanft zog er die junge Frau an sich, als sich mehrere Menschen an ihre vorbei drängten und sie mal wieder umstoßen wollten. Genau so warm wie sein Lächeln zu ihr war, so war die Freude in ihren Augen enorm. Noch für einen Moment nahm er sie an die Hand, um sie vorbei an den Menschen zu lotsen, unter seinem direkten Schutze. Dabei war er gar nicht darauf aus, sie in Beschlag zu nehmen oder festzuhalten, sondern schlichtweg sie weg von den potentiellen Taschendieben zu ziehen, die besonders in solchen Gemengen ihrer Arbeit nachgingen.


    Einige Minuten später schließlich, die er sie über die Straße begleitet hatte, ließ er sie wieder los und weiste ihr mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Sie konnte schon von der Straße aus, die riesige, grüne Weide sehen, deren Gras sanft im Winde wog. Dahinter schlängelte sich ein kleinere Fluss, der dieses Grün von dem üppigen Wald trennte, der für viele Jäger und Alchemisten ein beliebtes Ziel war. Die Sonne war zur ihrer vollen Schönheit am Himmelszelt aufgerichtet, ihre Wärmen traf die beiden mit voller Kraft. Es war etwas völlig anderes, als die künstliche und teilweise stickige Wärme der Stadt, wo die Menschen und Feuer die eigentliche Quelle von Wärme darstellten.


    Für nur einen kurzen Moment schloss der junge Mann seine Augen und atmete tief ein. So fühlte es sich an, dieses Gefühl der Freiheit und Beweglichkeit. Einfach dort nur zu stehen, den Duft der Gräser zu genießen und den Vögeln zu lauschen, die in der Ferne auf ihre natürliche Art sangen. Dieses Gefühl ließ er für diesen einen Moment einfach über sich fließen, vollkommen ungeachtet dessen, ob Emilia ihn dabei beobachten konnte oder mit anderen Dinge beschäftigt war. Denn sein warmes Lächeln, dass von einer gewissen Zufriedenheit gezeichnet war, widmete sich schließlich der jungen Frau, als er das Notizbuch nahm und hineinschrieb: Ist es nicht schön? Strecke deine Nase in die Luft, rieche den Duft der Natur. die Welt liegt dir hier draußen zu Füßen. Du bist hier die Künstlerin deines eigenen Lebens, jeder Schritt den du hier gehst, ist der Pinselstrich in deinem eigenen Leben.

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  • Gierig atmete Emilia die frische Luft bis in die hintersten Ecken ihrer Lungenflügel ein. Ihre Augen huschten über die Landschaft und sie konnte sich kaum sattsehen an den schaukelnden Gräsern und den sich wiegenden Baumwipfeln. In einer nahe gelegenen Krone entdeckte sie ein Vogelnest und eifrige Eltern, die ihre Küken mit Würmern und Insekten fleissig fütterten.
    Der Weg führte leicht bergab. Gelegentlich kamen ihnen Menschen mit Körben oder Karren entgegen, welche den Marktplatz der Stadt anstrebten.
    Als Dimicus innehielt, bemerkte die junge Frau zu ihrem Erstaunen eine Zufriedenheit in seinem Gesicht, welche ihr bis jetzt kaum bei ihm aufgefallen war.
    Tatsächlich war auch an seinen Worten zu erkennen, dass er die Natur genoss. Seine poetische Ausdrucksweise brachte sie schliesslich aber doch zum Lächeln. Für ihn schien die Welt aus einer einzigen Leinwand zu bestehen, welche jedes Lebewesen mit seinen Taten vollkritzeln konnte.
    Anstatt zu antworten, nickte sie bloss.
    Dann trat ein schelmisches Funkeln in ihre Augen und im nächsten Moment rannte sie los. Ohne auf ihren Begleiter zu achten, bog sie vom Weg ab und rannte quer über die leicht abfallende Wiese hinab in Richtung des im Sonnenlicht aufreizend funkelnden Flusses und des für sie so geheimnisvollen Waldes, der sich dahinter wie ein Teppich erstreckte.
    Erst als der Hang in die Ebene überging kam sie lachend zum Stehen und blickte sich nach Dimicus um. Gedanklich nannte sie ihn manchmal noch immer Valerius. Irgendwie passten beide Namen ganz gut zu ihm, befand sie. Während Valerius nach einem Luftibus klang, hatte Dimicus etwas Bodenständiges.


    Während er neben ihr zum Stehen kam, schlüpfte sie bereits umständlich aus ihren Stiefeln. Trotz der wärmenden Strahlen wehte noch ein frischer Frühlingswind, doch das bemerkte Emilia gar nicht, als sie ihre nackten Füsse auf die weiche Erde setzte. Sie konnte die Gräser fühlen und einen Stein, der in ihre Ferse piekste.
    Mit ihren Stiefeln im Handgepäck hüpfte sie dann weiter und Dimicus blieb nicht viel Anderes übrig, als ihr zu folgen.
    Immer wieder blieb sie stehen, schnupperte an einer Blume oder beobachtete fasziniert einen neuen gelben oder rötlichen Schmetterling.
    Einmal zuckte sie erschrocken zusammen, als eine Heuschrecke vor ihr mit einem riesigen Satz floh. Sogleich musste sie das seltsame Insekt jedoch genau beäugen und war begeistert von der Sprungkraft der langen Hinterbeine. Immer wieder entdeckte sie neue Lebewesen und so musste Dimicus an ihrer Seite Raupen, Spinnen, Libellen und Vögel bestaunen.
    Ausnahmsweise vergass sie ganz, wer er eigentlich war.
    An diesem friedlichen Ort waren sie einfach zwei junge Menschen, welche die Freiheit genossen.
    Schliesslich kamen sie nach einer gefühlten Ewigkeit für Dimicus und einem Sekundenbruchteil für Emilia beim Flussufer an. Eine mächtige Trauerweide wurzelte dort und Emilia verliebte sich sogleich in diesen eleganten Baum. Die Äste hingen so tief hinunter, dass die Blätter an ihren Enden sanft in der Strömung hin und her trieben.
    Plötzlich empfand sie das unendliche Bedürfnis diesen alten Riesen zu berühren. Es war, als würde sie einen Vorhang durchqueren, als die Blätter sanft über ihr Gesicht strichen, während sie auf den Stamm zuschritt.
    Emilia liess die Stiefel neben sich zu Boden gleiten. Dann legte sie beide Hände an die rissige Borke und blickte nach oben in das grüne Blätterdach hinein, wo sanft der blaue Himmel hindurchschimmerte. Die Rinde fühlte sich rau an, doch auch voller Leben.
    Konnte es etwas Schöneres geben? Warum bloss hatte ihr Herr Papa ihr diese Welt vorenthalten?
    Suchend strebte ihr Blick zu Dimicus, der etwas entfernt stand.
    Beobachtete er sie oder die Umgebung?


    Schliesslich winkte sie ihn zu sich heran, griff nach seiner Hand und legte sie ebenfalls an den Baum. So verharrten sie einen Moment. Mit einem Fingerzeig deutete sie mit funkelnden Augen auf eine Ameisenstrasse, die sich zielstrebig in die Höhe schlängelte.
    Einen Augenblick lang wünschte sich die junge Frau plötzlich, auch die Stimme der Natur hören zu können. Bestimmt hatte sie ihren ganz eigenen wunderbar gefärbten Klang. Dann jedoch sog sie tief den Geruch ein und das Glücksgefühl verdrängte ihre Sehnsucht. Sie konnte die feuchte Erde riechen, es musste vor nicht allzu langer Zeit geregnet haben. Vom anderen Ufer her roch sie das Harz der Tannen und das Laub der Bäume.
    Wieder war sie es, die Dimicus an der Hand fasste, und mit ihm zum Flussufer hinüberging. Sie fühlte sich beschwingt und ihre Schritte federten sanft auf dem weichen Untergrund. Es war so anders über eine Wiese zu gehen, als über einen pflastersteinbesetzten Platz.
    An einer Stelle, wo das Gras direkt zum Wasser abfiel, setzte sie sich hin, stellte die Stiefel ordentlich neben sich und bewegte ihre Zehen vorsichtig auf das kühle Nass zu.
    Kurz zuckte sie zurück, denn es war Schmelzwasser von den nahen Bergen, doch dann siegte der Drang, und sie tunkte ihre nackten Füsse ins kalte Wasser.
    Einen Moment beobachtete sie, wie das Wasser fröhlich über die Steine hüpfte, an manchen Stellen herumgewirbelt oder hoch gespritzt wurde. Der Fluss war jedoch nicht allzu tief und auch nicht gefährlich.
    Hier möchte ich für immer bleiben, schrieb sie ins Notizbuch und liess sich rückwärts ins Gras fallen.
    Einige kleine Wölkchen schoben sich über ihr Gesichtsfeld, doch sie trübten nicht die Schönheit des Himmels, nein, sie verstärkten sie eher noch.
    Emilia lächelte. Dimicus steckte sie ja bereits mit seinen malerischen Gedanken an.
    Dann schloss sie die Augen und döste tatsächlich für einige Zeit ein.


    Als sie wiedererwachte, blinzelte sie zuerst etwas verwirrt, bis sie sich erinnerte, wo sie sich befand.
    Die junge Frau setzte sich behäbig auf und beobachtete Dimicus, der neben ihr lag und die Wolken beobachtete. Eine hatte die Form einer Kuh und Emilia formte unwillkürlich ein „Muuh“ mit ihren Lippen. Als Kind hatte sie ein Buch besessen mit Tierbildern drin, das ihr Vater extra für sie hatte anfertigen lassen. Sie meinte sich noch an den Klang seiner Stimme zu erinnern, als er ihr das Geräusch des Viehs vorgemacht hatte.
    Dimicus hatte ihr den Blick zugewandt und sie war sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie vielleicht selbst einen Ton von sich gegeben hatte. Zu ihrer eigenen Überraschung schenkte sie ihm ein Lächeln, dann griff sie nach dem Notizbuch und dem Stift.
    Als Kind konnte ich hören. Erst mit der Zeit ist es weniger geworden und dann ganz verschwunden. Ich glaube, es hat mit meinen Verwandlungen zu tun. Manchmal erinnere ich mich an Stimmen oder Geräusche.
    Sie hatte noch mit niemandem darüber gesprochen, denn für ihren Vater war es eine Tragödie oder gar ein Ärgernis, dass sie das Gehör und die Sprache verlor und dafür zu einer Gestaltwandlerin wurde. Sie hatte instinktiv vermieden, ihm dieses Thema bewusst zu machen.
    Manchmal wünschte ich mir, es wäre anders. Ich wäre ein gewöhnlicher Mensch.
    Warum erzählte sie ihm das?
    Vielleicht waren es der Zauber des Ortes und des Moments, welche sie sich öffnen liessen, vielleicht war es aber auch die Andersartigkeit dieses Menschen, der neben ihr sass.
    Er unterschied sich so sehr von den Männern und Frauen, die sie bis jetzt kennengelernt hatte, dass sie sich mit ihm auf eine besondere Art und Weise verbunden fühlte.
    Natürlich hasste sie ihn dafür, dass er tötete und sie verstand nicht und wollte auch nicht verstehen, wie er darin eine Kunst sehen konnte. Doch ihre Verbundenheit war anderer Natur. Sie wurden beide von dieser Welt abgeschottet und womöglich gar verachtet, durch ihr Wesen.
    Warum bist du in die Stadt gezogen, wo du doch die Möglichkeit hattest in dieser so viel wundervolleren Welt zu leben?
    Tatsächlich wäre sie am liebsten in eines der Bauernhäuser gezogen, die sie in einiger Entfernung der Stadt verstreut entdeckt hatte, so als wäre ein Riese übers Land gelaufen und hätte sie dabei aus einem Beutel ausgeschüttelt.
    Sie konnte nicht begreifen, warum es Dimicus nach Drakenstein gezogen hatte.
    Er hatte Recht gehabt, hier Draussen fühlte sie sich frei. Sie konnte sich bewegen und frei atmen, wie schon lange nicht mehr.
    Weshalb hatte er das freiwillig gegen Mauern eingetauscht?
    Und du lebst in diesem „Bordell“. Warum hast du kein eigenes Haus?


    Während sie ihm Gelegenheit zum Antworten gab, schweifte ihr Blick über das gegenüberliegende Ufer. Es war ein Mischwald, Tannen und Laubbäume wechselten sich miteinander ab und das Ufer war gesäumt von Sträuchern. Wie friedlich es hier war. Plötzlich bemerkte sie eine Bewegung und ihre Augen erfassten einen Schatten zwischen dem Dickicht.
    Sie stubste Dimicus an und zeigte in die Richtung des Tieres.
    Es war ein Reh, feingliedrig und grazil stand es da, scheu beobachtete es seine Umgebung, bevor es an einem Gebüsch knabberte. Die beiden Menschen bemerkte es nicht, so still wie sie sich verhielten. Nach einigen Minuten verschwand es wieder und Emilia bemerkte, dass sie beinahe schon die Luft angehalten hatte, um bloss kein Geräusch zu verursachen.
    Dann sprang sie unmittelbar auf. Sehnsüchtig schaute sie ans gegenüberliegende Ufer hinüber. Sie musste diesen für sie so geheimnisvollen Wald erkunden.
    Einen Moment hielt sie Ausschau nach einer Brücke, doch dann entdeckte sie etwas anderes.
    Komm, formten ihre Lippen lautlos und sie winkte Dimicus zu, bevor sie etwas weiter flussaufwärts lief, die Stiefel wieder in den Händen.
    Dann erreichte sie die Stelle. Auch ihr Begleiter konnte wohl sofort erahnen, was sie vorhatte, als er die Steine erspähte, die hier etwas grösser waren und stellenweise ganz aus dem Wasser hervorragten, so dass man gut einen Fuss daraufstellen konnte.
    Emilia hatte der Ehrgeiz gepackt. Bevor Dimicus sie davon abhalten konnte, sprang sie bereits mit dem rechten Fuss zuerst. Auf einem Bein wankte sie kurz, und setzte dann den nächsten Schritt. Ihre Füsse wurden rasch nass, da nicht alle Steine genug hervorragten. So gelangte sie bis etwa in die Mitte des kleinen Flusses. Umzudrehen und nach dem jungen Mann Ausschau zu halten, wagte sie sich nicht. Je einen Stiefel in der Hand hüpfte sie weiter – und mit einem lauten Platschen landete die Gestaltwandlerin im Wasser!
    Sie hatte einen glitschigen Stein erwischt und war abgerutscht. Prustend und lachend tauchte sie aus den kalten Fluten hervor, völlig durchnässt. Der Schlapphut hatte sich von ihrem Kopf gelöst und trieb wie ein Schiffchen auf den Wellen davon, wobei Emilia ihm versuchte hinterherzueilen, mit mässigem Erfolg.

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  • Die gesamte Zeit beobachtete Dimicus Emilia, wie sie mit geweckten Lebensgeistern die Natur genoss, in die er sie geführt hatte. Ihre Freude, wie sie alles wahrnahm und entdeckte, zum ersten Mal in ihrem Leben. Diese Erlebnisse und der Ausdruck in ihrem Gesicht – es erinnerte ihn sehr daran, wie ihn sein Vater damals das erste Mal mit auf die Jagd genommen hatte. Wie die junge Frau in diesem Moment, war der damals kleine Junge ein begeisterter Entdecker. Wie er damals gelehrt bekommen hatte, wie die Bäume hießen, wie man die Tiere nannte und wie man letztendlich in diesem Grün des Waldes überleben konnte. Sogar im Winter. Als ob sein Vater damals geahnt hatte, dass es jemals dazu hätte kommen sollen, dass der kleine Junge zu einem Mann heranwachsen musste, der nur auf sich gestellt war.


    Sein verträumter und leicht wehmütiger Blick wurde allerdings jäh davon unterbrochen, als die junge Frau ein weiteres Mal davon lief und eine Trauerweide genauer inspizierte. Ihre Augen waren groß, ehrfürchtig und neugierig zugleich. Ein unstillbarer Hunger nach dem, was ihr so lang verwehrt wurde, hatte sich in ihr wieder entfacht und sorgte nun dafür, dass sie alles mit ihren Händen und Augen berühren musste. Sein Kopf legte sich darauf etwas schief und als sie ihn anblickte, ihn zu sich winkte. Er folgte ihrem stummen Ruf zu dem Baum, vor dem sie sich aufgestellt hatte. Kaum dort angekommen, griff sie ohne zu zögern seine Hand und legte diese auf die Rinde. Durch seinen Handschuh konnte er nicht viel spüren, außer die Wärme die auf seinem Handrücken lag.


    Fasziniert betrachtete sie die Ameisen und war vollkommen verträumt, während er selbst dies nicht mehr als etwas Besonderes empfand. Jahrelang hatte er das sehen können, erleben können. Dennoch genoss er dieses Gefühl, ohne Frage, doch am meisten irritierte ihn die Geste, die die junge Frau ihm gegenüber machte. Sein Blick suchte ihren, doch sie war vollkommen auf die Ameisen konzentriert. Ob es ihr bewusst war, was sie eigentlich tat und welche Auswirkungen ihr Tun auf das ihrer Mitmenschen hatte? Wohl kaum, denn sie war leichtfertig und verspielt. Unschuldig, auf einer gewisse Ebene. Sie waren so unterschiedlich und doch so gleich. War es aber nicht jener Unterschied, jenes Paradoxon dass die beiden auf diese seltsame Art verband?


    Schon im nächsten Moment führte ihre Hand ihn weiter, direkt zu dem kleinen Fluss, der in der Nähe Fluss. Das Gras gab unter seinen Stiefeln nach und hinterließ Fußabdrücke in Form von platt gedrücktem Gras, er selbst wollte seine Stiefel nicht ausziehen. So sehr er das Ganze auch genoss, eine gewisse Anspannung ging dennoch durch seinen Körper, welche er nicht ablegen konnte. Es war die Vorsicht, die ihn sein gesamtes Leben begleitete.


    Zugegeben, diese Vorsicht war nicht gerade zuträglich dafür, dass er sich doch vollends entspannen und fallen lassen konnte. Allerdings legte er dennoch sehr großen Wert darauf, eben diese Entspannung zu erreichen. Er erzwang sie nicht, sondern blickte nur Emilia an, die mit ihrer Art ansteckend wirkte. Ihm wurde immer mehr bewusst, dass er die junge Frau beschützen und ihr dabei helfen musste, sich zu entfalten, um letztendlich ihr Selbst zu finden. Niemand sollte es so einem Menschen verwehren, ihr Schicksal selbst zu schreiben, genau so wie er es mit seinem tat. Fraglich blieb es nur, ob es ihm auch gelingen würde.


    So wie sie nun dort neben ihm im Grün lag und die Wolken anschaute, wollte er sagen, dass er sogar damit Erfolg haben könnte. Doch wie er wusste, sollte man niemals zu früh urteilen und das würde bedeuten, dass er auf sie Acht geben musste. Er hatte bereits erkannt, dass sie das selbe tat, auch wenn es ihr wohl nicht bewusst war. Ein zugegeben erfrischendes Gefühl, so hatte er lang niemanden mehr gehabt, oder besser noch nie, der dies für ihn getan hatte – kostenlos. Ob ihr dies bewusst war? Auch das konnte er nicht sagen. Doch ihr verträumter Blick und ihre Gedanken sagten mit Sicherheit etwas anderes. Hier möchte ich für immer bleiben., las er, als sie sich in das Gras fallen ließen und sie eingehend die Wolken betrachtete. Keine Frage, ihr war es nicht bewusst.


    Die Dynamik der beiden hatte sich innerhalb weniger Tage verändert und ihre Beziehung zueinander geprägt. Mit großem Interesse, welches er sich tatsächlich erst eingestehen musste, wollte er das verfolgen und wahrnehmen. Ihr Weg würde noch weit und voller Hürden sein, aber etwas in ihm sagte, dass sie eine wertvolle Verbündete sein würde – und gute Freundin. Sein Blick schreckte kurz auf. Er saß neben ihr und blickte auf die schlummernde junge Frau. Was hatte er da gerade gedacht? Du wirst immer schwächer, Narr. Eine düstere Stimme in seinem Kopf schimpfte, weswegen er dies schnell wieder verwarf. Anschließend legte er sich selbst wieder ins Gras und brachte mit den Wolken über sich, seine Gedanken in eine vollkommen andere Richtung.


    Es verging tatsächlich ein wenig Zeit, in der die Sonne um mindestens eine Stunde wanderte und die junge Frau neben ihm geschlummert hatte. Er selbst war in einen dösenden Zustand verfallen, jedoch mit einem Auge offen, um eventuelle Angreifer einen Schritt voraus zu sein. So war es aber nicht ein Feind, der die beiden überraschen sollte, sondern ein sehr schiefes Muhen, dass links von ihm kam. Vollkommen perplex schaute der Künstler die junge Frau neben sich an, mit einem fragenden Blick, was das eigentlich sein sollte. So musste er dennoch unweigerlich Grinsen, als sie offensichtlich eine Kuh nachmachen wollte, die sie wohl in den Wolken gesehen hatte. Sie machte ihn total fertig, wenn er es so bedachte. Belustigt schüttelte er nur mit dem Kopf, als sich die beiden aufsetzten und sie etwas in das Notizbuch schrieb. Hatte sie ihn wirklich angelächelt?


    Während sie noch schrieb, atmete er tief die Luft ein und zog sich die Handschuhe aus. Zum einen würden sie ihn nur behindern, wenn er etwas schreiben wollte, zum anderen kam er nicht umhin, auch einmal das Gras zwischen seinen Fingern spüren zu wollen. Schließlich aber reichte sie ihm das Notizbuch, in dem alle Dinge standen, die sie gerade aufgeschrieben hatte. Auch den Stift nahm er entgegen, als er überlegend ihre Worte betrachtete. Was sollte er darauf antworten? Für einen Moment blickte er sie an, ehe er zu schreiben begann. Es ist besser die zu sein, die du jetzt und hier bist, als das was man sich wünscht. Normal zu sein, wie jeder andere auch. Denkst du nicht, dass es uns aus diesem Grunde besser geht, als dem Rest der Welt? Niemand würde dich um dein fehlendes Gehör beneiden, dass mag sein, doch hast du viel mehr zu bieten, als du es annimmst. Fass dir an deine Brust und spüre, wie dein Herz schlägt. Das Herz einer Frau, die viel in ihrem Leben schon durchmachte und auf ewig gezeichnet, aber dennoch äußerst stark ist. Eine Stärke, die kaum ein anderer besitzt. Wünsche dir nicht normal zu sein oder deine Makel zu bereinigen, sondern sie dich als Ganzes. Jenes Wesen, dass neben mir sitzt und frei ist. Im Gegensatz zu vielen anderen.


    Er setzte ab und ließ einen Abstand, um ihre Fragen zu seiner Person zu beantworten. Wie du weißt, lebte ich nicht immer in der Stadt, aber auch nicht immer Wald. Einst lebte ich auf dem Land, doch etwas führte mich in die Stadt. Leider kann ich dir nicht sagen, was es genau war, vermutlich war es aber meine Geschichte und der Umstand, der mich dorthin trieb. Letztendlich blieb ich in Drakenstein, musste aber ein Schatten bleiben, aus Gründen die dir sicherlich bekannt sind. Doch wohne ich erst seit kurzem in diesem schändlichen Etablissement, als mir die Betreiberin eine Falle stellte. Malik, eine Gestaltwandlerin wie du es bist, vergiftete mich und machte mich so zu ihrem Sklaven. Ihr Gift befindet sich noch immer in meinem Körper und nur ihr Gegengift hält es in Schach. Ich habe bereits alle Alchemisten befragt, doch niemand kennt dieses Gift und keiner weiß eine Behandlung dafür. Aus diesem Grunde bin ich, unfreiwillig, an diesen Ort gebunden, bis meine Dienste für Malik ausreichend werden.


    Dimicus hatte nicht damit gerechnet, aber es tat ihm gut, mit jemandem über seine aktuellen Zustand zu sprechen. Werde nur nicht sentimental. Seine Ermahnung an sich war ernst gemeint, auch wenn er sich nicht einmal erklären konnte, was dieses Wort für ihn bedeutete. Auf alle Fälle reichte er das Buch zurück an Emilia, die sich bereits erhoben hatte. Mit ihrem Lippen formte sie ein Wort, doch war er nicht so begnadet darin, Lippen zu lesen, doch ihre Gestik zeigte mehr als deutlich, was sie von ihm wollte. Mit einem Nicken erhob er sich, schnappte sich seine Handschuhe und folgte ihr. Sie wollte doch nicht etwa … ?


    Doch da war es schon zu spät, sie ausgerutscht und mit einem lauten Platschen in den Fluss gefallen. Dimicus seufzte leicht genervt auf, musste dann aber doch Grinsen, als ihr Hut davon schwamm. Irgendwo wusste er, so wie sie auf diesen bestanden hatte, dass sie ihn wohl wiederhaben wollte. Letztendlich versuchte sie ihn ja auch zu fangen. Doch der junge Mann dachte erst gar nicht daran, mit in das kühle Nass zu springen. Stattdessen versuchte er etwas gänzlich anderes.


    Mit einer gewissen Eleganz begann er, neben dem Hut zu laufen, der den Fluss abwärts trieb und wartete auf eine Stelle, deren Ufer nicht sehr weit auseinander waren. Zum Glück war das recht schnell der Fall und er hoffte, dass es klappen würde, was er sich vorgenommen hatte. Das Gewicht seiner Ausrüstung musste er irgendwie kompensieren, doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Mit einer flüssigen Bewegung zog er seinen Dolch, setzte an und stieß sich von einem Ufer ab. Mit einem Salto beförderte er sich über den Fluss, bekam, als er kopfüber war, den Hut mit dem Dolch zu fassen und landete schließlich wieder auf der anderen Seite. Naja, nicht ganz. Zwar hatte er den Hut gefasst und war auf dem trockenem aufgekommen, allerdings machten ihn die Kieselsteine unter seinen Füßen einen Strich durch die Rechnung, als es ihm die Füße bei der Landung wegzog und er mit seinem Hinter voran landete.


    Ein wenig verzog er schon das Gesicht vor Schmerzen, so war er ungünstig auf seinem Steiß aufgekommen. Murrend erhob er sich wieder, den Hintern reibend und sich den Staub abklopfend. Immerhin hatte er den Hut gerettet. Federnden Schrittes bewegte er sich schließlich wieder flussaufwärts und grinste Emilia zufrieden an, als er ihr den Hut reichte. Darauf hielt er aber einen gewissen Sicherheitsabstand zu Emilia, die vor Nässe nur so triefte. Er wollte sich seine Rüstung nicht weiter verschmutzen, so war sie doch ein gewisses Symbol für ihn.


    Etwas anderes allerdings widersprach dem ganz einfach, griff nach der Hand Emilias und spazierte mit ihr in den Wald hinein, ohne etwas zu sagen. Das Blätterdach begann die beiden zu überragen und das Licht wurde gedämmter, je tiefer die beiden gingen. Der junge Mann wollte ihr etwas zeigen, so wusste er, was sich hier verstecken konnte. Er achtete genau auf die junge Frau an seiner Seite und las nebenbei aber Spuren am Boden, die auf die verschiedensten Tiere hindeuteten. Doch eine Spur nahm er sich heraus und dieser folgte er, bis er das erblickte wonach er gesucht hatte. Instinktiv duckte er sich, zog Emilia sanft mit hinunter und deutete vor sie. In einer Lichtung standen sie. Drei Wölfe, die gerade ihre Beute gemacht und ein Reh gefunden hatten. Es war bereits erlegt und sie begannen sich, um ihr Essen zu streiten, ehe zwei weitere Tiere herantraten.


    Natürlich hatte er bewusst einen gewissen Abstand und ein Versteck ausgesucht, damit sowohl Emilia als auch er die Tiere beobachten konnten. Ein größerer Wolf, offensichtlich der Leitwolf des Rudels, begann schließlich sich dem erlegten Tier zu nähern. Die anderen zogen die Ohren und Schwänze ein, während er an ihnen vorbei stolzierte und den ersten Bissen nahm. Man konnte es gut beobachten, die die Dynamik zwischen dem Rudel war. Wer Anführer, wer untergeordnet. Dieses Schauspiel war spannend anzusehen und kaum merklich weckte es sogar alte Erinnerungen, als er mit solchen Wölfen um die Beute kämpfen musste. „Jene Jäger, die für einen anderen den Tod bedeuten und mir das Essen abstreitig machten.“. Flüsterte er leise und in ihre Richtung, damit sie seine Lippen lesen konnte, sein Gesicht nun wiederum fasziniert und konzentriert. „Ich finde sie interessant, wir sollten aber langsam wieder gehen, hier ist ihr Territorium.“ Der Wind wehte ihrem Gesicht entgegen, was den beiden Menschen einen guten Vorteil verschaffte.


    Mit der frischen Brise im Rücken, hatte er Emilia wieder an die Hand genommen, er wusste dass es nicht gut sein würde, zu lang in solchen Wäldern zu streifen. Wölfe konnten unter Umständen aus territorialen Gründen angreifen und dabei wollte Dimicus nicht zum Ziel werden. Also führte er die Gestaltwandlerin wieder in etwas lichteres Gebiet, doch noch immer im Wald, er einen Felsen fand, mit Moos bewachsen, auf den er die Frau zum sitzen einlud. Erneut griff er zu dem Notizbuch, als er es sich selbst bequem gemacht hatte, und schrieb: Ich mag Wölfe sehr, auch wenn sie mir beinahe den Tod gebracht hatten. Sehr edle Tiere und ihre Eleganz in allem was sie tun. Das schrieb er wiederum unter seinen vorherigen Aussagen, eher er ihr das Notizbuch reichte und schlichtweg sich auf den Felsen legte, das Blätterdach über sich beobachtete.

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  • Sie klatschte ihm fröhlich Applaus, als er ihr galant den tropfnassen Schlapphut zurückreichte.
    Elegante Landung, formte Emilia. Zu ihrer Verwunderung bemerkte sie, dass sie inzwischen häufiger Worte mit ihren Lippen „sprach“. In ihrem zu Hause hatte sie darauf vollkommen verzichtet, und sich bloss schriftlich ausgedrückt.
    Ihr war dabei nur halbwegs bewusst, dass Dimicus sie womöglich gar nicht verstand, doch das war in diesem Moment nebensächlich. Ihr Miene drückte sowieso mehr aus, als eine ganze Rede es vermocht hätte.
    Unwillkürlich versuchte sie sich auszuschütteln, doch das klappte in ihrer menschlichen Gestalt natürlich nur mässig. So zuckte sie bloss mit den Schultern und ging bereitwillig neben ihrem Begleiter her.
    Als sie den Wald betraten blieb sie wiederum immer stehen, atmete tief die würzigen Gerüche ein, betrachtete die mächtigen Bäume, spürte bewusst den von Wurzeln durchwachsenen Waldboden zu ihren Füssen, beäugte die kleinen roten und schwarzen Beerchen an den vielen Sträuchern oder berührte ein ums andere Mal die dicken, schmalen, hochgewachsenen, knorrigen oder glatten Stämme.
    Im selben Moment verspürte sie die unbändige Lust, diese Bäume hinaufzuklettern und ihre Baumkronen zu erkunden. In ihrem Innern schienen ihre beiden Katzenwesen behaglich zu schnurren.
    Doch der junge Mann an ihrer Seite zog sie sanft weiter in den Wald hinein und voller Neugier liess sie sich von ihm führen.
    Die Atmosphäre unter dem Blätterdach begann sich zu verändern. Die Sonnenstrahlen brachen nur noch selten vollständig bis zum Boden durch. Die Sträucher wurden weniger, da sie zu wenig Sonnenlicht erhaschten, stattdessen wuchsen nun vermehrt Farne, duftender Bärlauch, und lustig geformte Pilze.
    Emilia war begeistert von der Vielfalt der Pflanzen und Tiere. Obwohl sie in ihrem Herrenhaus einen kleinen Garten im Innenhof besassen, bestand dieser doch nur aus einem Bruchteil davon, was diese wilde Natur anbot.
    Ausserdem war hier nicht alles ordentlich sortiert nach Blumen, Gemüse und Früchten. Hier wuchs alles fröhlich durcheinander, was einen ganz eigenen Charme ausmachte.
    Es gab immer Neues zu entdecken, zu erschnuppern und zu berühren.


    Schliesslich bedeutete Dimicus ihr jedoch plötzlich still zu sein. Emilia schaute ihn fragend an, doch dann zog er sie bereits zu sich in den Schutz des Dickichts. Vor ihnen lag eine Lichtung, welche die junge Gestaltwandlerin am liebsten gleich selbst erforscht hätte.
    Doch sie war bereits besetzt. Drei, nein jetzt waren es fünf Wölfe, tummelten sich vor ihrer Nase um ein totes Reh herum. Interessiert beobachtete sie das Verhalten des Rudels und wie auch Dimicus erkannte sie schnell, welchen Regeln die einzelnen Tiere unterlagen.
    Während Emilias Katze abweisend fauchte, schien die Löwin mehr an der Beute interessiert zu sein, als an den Raubtieren.
    Sie spürte eine leichte Berührung und blickte zu Dimicus, der neben ihr kauerte.
    „Jene Jäger, die für einen anderen den Tod bedeuten und mir das Essen abstreitig machten. Ich finde sie interessant, wir sollten aber langsam wieder gehen, hier ist ihr Territorium.“
    In seinen Augen konnte sie Respekt erkennen, doch keine Furcht.
    Sie erinnerte sich an den Moment, wo sie mit gefletschten Zähnen über ihm gestanden hatte. Dort hatte sie die urtümliche Angst aufflackern sehen, die jedes Lebewesen innehatte, wenn es dem Tod ins Auge blickte.
    Sie schaute noch ein letztes Mal zu den imposanten Gestalten hinüber und dachte unwillkürlich, dass diese wirklich frei waren. Frei von den Gedanken, mit welchen sich die Menschen ständig herumzuplagen hatten.
    Andererseits hatten genau diese Gedanken sie davon abgehalten, einen Menschen zu töten, als sie die Todesangst in seinem Blick gesehen hatte. Ein Raubtier hätte dies vermutlich noch mehr angestachelt, doch so hatte ihr Menschsein Dimicus vor dem Tode bewahrt. Alles hatte zwei Seiten im Leben.


    Sie spürte, wie er sie an der Hand griff und sie liess sich von ihm mitziehen. Wann hatte sie begonnen, seine Berührungen so freiwillig zu akzeptieren?
    War es, als er ihr voller Ernsthaftigkeit gezeigt hatte, wie sie eine Verbeugung richtig vollführen sollte oder als er ihr Trost gespendet hatte, nachdem sie begriff, wie viel sie ihren Verwandten wirklich bedeutete?
    Einen Moment hörte sie ihre Vernunft, welche ihr riet, vorsichtig zu bleiben.
    Du weisst, wer und wozu er fähig ist!
    Während sie neben ihm herlief, beobachtete sie ihn unauffällig von der Seite. Obwohl er gelockerter wirkte als in der Stadt, fiel ein Rest seiner Anspannung nicht gänzlich von ihm ab. Er schien nicht loslassen zu können, die Vorsicht war tief in ihm verwurzelt.
    Wenn man ihn nicht besser kannte, hätte man trotzdem niemals vermutet, dass er gefährlich war. Er war keiner dieser Muskelprotze, die sie in ihrer Katzengestalt schon bei Prügeleien beobachtet hatte und auch keiner dieser Diebe mit ihrem hinterlistigen Blick, die den unbescholtenen Bürgern ihre Geldbeutel aus den Taschen klauten.
    Ihr kam Mirabellas Aussage in den Sinn und sie versuchte ihn noch aus einer neuen Perspektive heraus zu betrachten. Da sie sich bis anhin wenig Gedanken um das Aussehen fremder Männer gemacht hatte, fiel ihr dies nicht gar so leicht.
    Ihre Stirn runzelte sich ein wenig, als sie ihn betrachtete.


    Spontan versuchte sie ihn mit Wilfried zu vergleichen, dem einzigen Mann, welcher bis jetzt als ihr Ehepartner in Frage gekommen und somit ihre weitere Beachtung verdient hatte.
    Tatsächlich war ihr Verlobter ein sehr ansehnlicher Mann, welcher die Frauenherzen höher schlagen liess. Sein Haar war golden gelockt, er besass ein markantes Gesicht und eine stattliche Grösse. Doch trotzdem konnte Emilia ihn nicht lieben.
    Nun beäugte sie Dimicus. Er war nicht viel grösser gewachsen als sie selbst, und sein Antlitz war nicht so makellos schön wie das von Wilfried. Doch trotzdem kam sie nicht umhin, ihm eine gewisse Attraktivität zuzuschreiben. Wie bei einem Forschungsobjekt grübelte sie plötzlich darüber nach, warum dies so war.
    Nun, seine Augen waren eindeutig schön. Das konnte sie nicht verneinen, auch wenn sie sich noch immer weigerte, zu lange hineinzublicken, da sie Erinnerungen hervorriefen, die sie lieber verdrängte.
    Doch was ihn schlussendlich grundlegend von ihrem entfernten Verwandten unterschied, war sein Verhalten. Seine Bewegungen wirkten selbstsicher und trotzdem gespannt wie bei einem Raubtier und es sprach nicht blosse Arroganz aus seinen Gesten. Und die Art, wie er mit ihr umging, war wie Tag und Nacht im Vergleich zu ihrem Verlobten.
    Während jener sie wie eine kostbare Vase behandelte, die zwar schön anzusehen, aber sonst nicht zu gebrauchen war, unterhielt sich Dimicus mit ihr, nahm sie mit nach Draussen und bestärkte sie in ihrem Wesen.
    Doch dann war da noch seine dunkle Seite…


    Als sein Blick sie plötzlich traf, zuckte sie zusammen und realisierte, dass sie ihn unverblümt angestarrt hatte. Schnell wandte sie sich ab und war froh, als sie den Felsen erreichten und er sie zum Sitzen einlud. Sie suchte sich ein Plätzchen, wo die Sonnenstrahlen sie durch das Blätterdach hindurch zu erreichen vermochten, um wenigstens ansatzweise ihre noch immer nasse Kleidung zu trocknen. Die Schuhe standen am Fusse des Felsens, während sie den Hut neben sich hinlegte und dann die beiden feinen Pinsel aus ihren Haaren zog. Der Zopf fiel ihr klatschend über den Rücken.
    Während er sich tatsächlich hinlegte, begann Emilia im Notizbuch zu lesen. Sie hatte ganz vergessen, dass er ihr noch Antworten schuldete, so sehr war sie mit den neuen Eindrücken beschäftigt.
    Nachdenklich schaute sie zu ihm hinüber.
    Da war es wieder, genau das, womit er sie überraschen konnte. Er gab ihr nicht das Gefühl, fehlerhaft zu sein. Sie war so in Ordnung, wie Ardemia sie geschaffen hatte.
    Trotzdem war auch leichte Verbitterung in ihren Zügen zu erkennen. Wer war denn zu einem Grossteil dafür mitverantwortlich, dass ihr Leben so aus den Fugen gerissen wurde? Dimicus hatte sie mitgezeichnet. Sie durfte sich nicht blenden lassen von seinem Charme. Immer musste sie auch seine andere Seite im Blick behalten. Ihre Ziele durfte sie nicht aus den Augen verlieren, nur, weil er ihr gerade die schönen Dinge des Lebens aufzeigte. In ihrem Bewusstsein musste verankert sein, warum sie bei ihm war. Nicht aus Spass.
    Du bist nicht unschuldig an meiner Situation. Und Freiheit ist für jeden etwas Anderes. Für Dich bedeutet sie, anderen das Leben zu nehmen, ohne dafür die Verantwortung tragen zu müssen. Doch bist Du selbst frei, wenn Du dich dauernd versteckt halten musst?
    Für mich ist es schwieriger, mich als Mensch frei zu fühlen, als in meinen anderen Gestalten. Das Menschsein bringt die Sorgen mit sich, das Tiersein eine gewisse Unbeschwertheit beziehungsweise einen anderen Blickwinkel. Aber du hast Recht, ich brauche beides, um Ich selbst zu sein. Auch wenn ich das nicht immer wahrhaben möchte, vor Allem in Gegenwart anderer.


    Du beschreibst gar selbst, dass du ein Schatten bleiben musst…
    Wieder machte sich Unverständnis in ihr breit. Seine Passion konnte sie nicht verstehen, gab es doch so viele andere Möglichkeiten, Kunst zu praktizieren. Und selbst, wenn er es des Tötens wegen tat, gab es andere Orte, wo er dies ausleben konnte. Söldner und Krieger wurden immer gebraucht, er könnte Jäger werden oder gar den Henkersberuf ausüben.
    Dass die Besitzerin des Bordells eine Gestaltwandlerin war, erfuhr Emilia mit Interesse.
    Was für eine Form besitzt sie?
    Vielleicht konnte sie die Frau kennenlernen und sich mit ihr austauschen. Noch niemals hatte die junge Frau die Gelegenheit gehabt, jemandem zu begegnen, der genauso war wie sie selbst.
    Als sie jedoch las, dass sie ihn vergiftet hatte, um ihn an sich zu binden, schrak sie etwas zurück.
    Ein Gegengift hielt ihn also am Leben?
    Sie dachte an die Flasche auf der Kommode, welche so grausig bitter nach Medizin gerochen hatte.
    Somit war dieses Geheimnis also gelüftet.
    Wieder ein Beweis dafür, dass er zwar gerne von Freiheit sprach, jedoch selbst ein Gefangener blieb.
    Sie konnte zwar erahnen, was für Dienste diese Malik beanspruchte, doch sie wollte es von ihm erfahren.
    Was sollst du für sie erledigen, damit sie Dich gehen lässt?


    Emilias Kleider wollten einfach nicht trocknen und klebten ihr kalt am Körper. Sie setzte sich auf, und begann ihren Zopf von der Haarschleife zu befreien und die Locken zu entwirren. Dann blickte sie sehnsüchtig um sich.
    Plötzlich lächelte sie, legte ihre Hände demonstrativ auf die Augen und bedeutete Dimicus, seine zu schliessen. Zur Sicherheit legte sie ihm grinsend ihren Schlapphut übers Gesicht, bevor sie vom Felsen heruntersprang. Nachdem sie kontrolliert hatte, dass er nicht hinschaute, kleidete sie sich rasch aus, und legte die Sachen ordentlich auf einen Haufen neben ihre Stiefel. Splitterfasernackt spürte sie den Wind nun deutlich an ihrem Körper, doch er fühlte sich angenehm an, wie ein sanftes Streicheln. Trotzdem wurde sie von einer Gänsehaut überzogen und fröstelte leicht.
    Schliesslich kritzelte sie etwas in ihr Notizbuch.
    Dann liess sich die Gestaltwandlerin auf die weiche Erde sinken und begann ihre ganz eigene Magie wirken zu lassen. Dieses Mal erzwang sie keine ihrer Gestalten, liess es einfach geschehen und war selbst überrascht, als sie ihre sandfarbenen Pfoten betrachtete.
    Vielleicht war diese Umgebung einfach das natürliche zu Hause für eine Wildkatze und sie fühlte sich deswegen so wohl hier.
    Sie schnupperte in der Luft, roch das Leben um sich herum. Ein Blick zu Dimicus, das Spiel konnte beginnen.
    Wie ein junger Welpe kam sie sich vor, als sie sich in das Abenteuer Wald stürzte.
    Finde mich, stand in schwungvollen Buchstaben auf dem ansonsten leeren Blatt.

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  • Anfangs beachtete Dimicus die junge Frau erst gar nicht. Sie bewegte sich hin und her, machte es sich auf dem Felsen bequem und begann schließlich auch in dem Notizbuch zu lesen. Dabei glitt aber doch, wenn auch nur flüchtig, sein Blick immer zu ihr. Für ihn war es noch vollkommen unwirklich, mit dieser jungen Frau außerhalb der Stadtmauern zu sein und so wie sie ihn vorhin angeschaut hatte – sie hatte ihn eindringlich gemustert. Beinahe so, als ob sie seine Züge genauer inspiziert und sein Gesicht geprüft hatte. Mit einem innerlichen Schulterzucken akzeptierte er das allerdings, er selbst kam nicht auf die Idee, was es damit auf sich gehabt haben könnte.


    Darum machte er sich nicht viel daraus und versuchte, sich zu entspannen. Zumindest so weit, wie es ihm als seiner natürlichen Haltung nur möglich war. Neben ihm nahm er noch das Kratzen des Stiftes aus Papier war, zudem hatte Emilia ihr immer noch nasses Haar nun geöffnet, vermutlich um es besser trocknen zu lassen. Für einen Moment richtete der Künstler seine Nase nach oben und roch – nasse Katze? Mit fragendem Blick schaute er herüber. Nein, das bildete er sich sicherlich nur ein. In ihrer menschlichen Gestalt würde sie niemals nach ihrer tierischen Form riechen, oder?


    Ein weiterer fragender Blick ging zu ihr hinüber. Sie war noch konzentriert dabei, etwas in das Buch zu schreiben und so hatte er seinerseits einen Moment, sie noch einmal zu mustern. Etwas, was ihm zuvor noch nie aufgefallen war, dass sie spitze Ohren besaß. Wie eine Albin, nur mit eher kätzischem Akzent. Davon hatte er gelesen, dass Gestaltwandler wohl mit der Zeit und Häufigkeit ihrer Verwandlungen die Attribute ihrer tierischen Formen immer mehr auf ihre menschliche Seite übertrugen. Damit sollte sich sogar die Lebensdauer auf das Tier anpassen. Diese Gabe war wohl Fluch und Segen zugleich.


    Letztendlich wandte er seinen Blick aber wieder von ihr ab, richtete ihn über sich, auf das Grün der Blätter und die Blüten, die sich an den Ästen bildeten, was die Einkehr des Frühlings wunderbar symbolisierte. Verschiedenste Insekten rankten sich in oder um den Blattwerk, knabberten an den Blättern oder fraßen andere Widersacher einfach auf. Die Natur stellte schon ein einzigartiges Schauspiel dar und sein Kopf begann abzuschweifen. Wie es wohl hier aussehen würde, wäre die Stadt Drakenstein nie gebaut und das Land kultiviert worden? Er konnte sich gut vorstellen, dass die Flora und Faune nur noch stärker florieren würde und dass man als Mensch an diesem Ort wesentlich stärker aufpassen müsste.


    Vollkommen in Gedanken versunken merkte er erst gar nicht, dass Emilia mit ihren Worten fertig war, somit geantwortet hatte. Erst als sie ihn anstubste und eine Geste vollführte, die er zuerst nicht richtig deuten konnte, wurde er auf sie aufmerksam. Noch ehe er nachfragen konnte, was genau sie von ihm wollte, hatte er ihren Hut im Gesicht, welcher ihm seiner Sehkraft beraubte. Da verstand er auch, was sie wollte und er konnte es hören, was sie tat. Er hörte das Rascheln von Kleidung, die Bewegungen der jungen Frau, blieb aber gelassen liegen. Ihm war bewusst, was sie tun wollte und er hielt sie auch nicht weiter auf. Warum sollte er? Ein Bauchgefühl sagte ihm, dass er ihr vertrauen konnte. Er tat es – blind.


    Als er schließlich keinerlei Geräusche mehr vernahm, nahm er vorsichtig den Hut von seinem Gesicht und erkannte schnell, worin sie sich verwandelt hatte. Im Nachhinein war es auch logisch, denn eine Löwin passte hier viel besser, als eine Hauskatze. Ihre Blicke trafen sich, als er zu der anmutigen Großkatze blickte. Sofort schoss ihm wieder der Respekt durch den Kopf, den er vor ihr hatte, vor allem in dieser Gestalt. Jedoch gehörte Furcht nicht dazu. Ganz im Gegenteil. Mit einem warmen Lächeln begrüßte er die in dieser Gestalt, als er vor sich auf den Felsen blickte und eine einzelne Seite dort lag, auf der geschrieben stand: Finde mich. Er nickte ihr zu, dass er verstanden habe und just in diesem Moment schoss sie auch schon davon. Eine Jagd also? Nichts leichter als das.


    Dimicus beschloss aber, ihr einen kleinen Vorsprung zu lassen, den er auch nutzte um ihre im Buch geschriebenen Worte zu lesen. Stellte sie seine Freiheit etwa in Frage? Jene Worte die er verfasst hatte? Natürlich war es ihm bewusst, dass er in der aktuellen Lage kein freier Mann war. Ich würde niemals meine Verantwortung an deinem jetzigen Dasein abstreiten. Mir ist bewusst, was ich getan hatte und wozu es führte. Doch genau das ist die Sache mit der Freiheit. Die Freiheit zu besitzen, sich für Dinge und Taten entscheiden zu können geht damit einher, dass man sich deren Konsequenzen stellen muss. Meine Entscheidung mein Handwerk zu betreiben, brachte die Konsequenz einher, in den Schatten leben zu müssen. Doch mich stört das nicht. Ganz im Gegenteil. Ich liebe es, aufzutreten und meine Werke zu erschaffen, doch ich hasse Menschenmengen und Zuschauer. Aus diesem Grund, kommt mir das so oder so gelegen. Ihm war mehr als bewusst, dass seine Wortwahl und allgemein die Aussage des Erschaffens von Werken die junge Frau nicht unbedingt milde stimmen würde, vielleicht sogar das Gegenteil bewirkte. Doch stand er zu dem was er tat und wofür er handelte.


    Schmerzlicher war jedoch das Thema Malik für ihn. Leise seufzend schrieb er dort als Antwort: Diese Gestaltwandlerin, Malik al-Kubra, ist eine Schlange. Von ihrem Wesen und ihrer tierischen Form her. Sie zwang mich in ihre Dienste, um ihre Widersacher auszuschalten und die Prostitution an sich zu reißen. Natürlich war ich gezwungen ihr zu helfen, sonst bedeutet das meinen Tod. Doch schon seit Wochen habe ich nichts mehr von ihr gehört. Über ihre Bediensteten werde ich mit dem Gegengift versorgt, dass war es aber. Mit diesen Worten schloss er schließlich seine Erzählungen ab, steckte das Notizbuch und die beschriebene Seite ein.


    Selbstsicher erhob er sich von dem Stein und blickte in die Richtung, in der die Löwin verschwunden war. Einen Blick nach unten offenbarte ihm direkt in der Erde die Pfotenabdrücke einer Löwin. Sie waren tief und Emilia musste in dieser Form wirklich schwer sein. Um es genau zu sehen, konnte er es sogar bestätigen, als sie über ihm thronte, mit einer Pfote auf seiner Brust. Sich die Ausrüstung zurechtzupfend, folgte er schließlich den Spuren, es würde aufgrund ihrer Einzigartigkeit einfach werden, sie zu verfolgen. Zudem war sie keine geübte Jägerin, weswegen sie es wohl kaum vermeiden würde, Spuren zu hinterlassen.


    Seine ersten Schritte führten ihn beinahe die gesamte Zeit geradewegs in den Wald hinein, sie schien wohl einfach auf ein Abenteuer hinaus in den Wald hinein gelaufen zu sein. Das obwohl er ihr vorher noch sagte, dass dies das Territorium der Wölfe war. Hoffentlich wusste sie zumindest in dem Punkt, was sie tat und wurde nicht von Wölfen eingekreist, wenn es darauf ankam. Natürlich war sie eine Löwin, aber letztendlich würde ihre Stärke dennoch nichts wert sein, wenn sie nichts wusste, wie sie sich gegen andere Jäger durchsetzen konnte, vor allem wenn sie in der Überzahl waren.


    Die erste Besonderheit ihrer Route nach kam, als sie einen scharfen Haken nach rechts geschlagen hatte. Mittlerweile hatten ihn ihre Spure bis tief in den Wald gefühlt und zum Glück wusste er auch, wie er sich orientieren konnte. Auf jeden Fall änderten ihre Pfotenabdrücke schnell ihre Richtungen, als ob sie in einem Zick-Zack gehopst wäre. Der Tiefe nach, vor allem wie die Erde verschoben war, ließ darauf schließen, dass sie tatsächlich gesprungen war. Mehrmals. Wozu? Die Bäume in der Umgebung wiesen keine Kratzer auf, allein ein tiefer hängender Ast, der abgeknickt wurde, hielt einige Fellfetzen fest. Das dürfte sie aber kaum gestört haben.


    Danach normalisierten sich ihre Spuren aber wieder und wandelten im normalen Rahmen die Richtungen. Hier und dort konnte er Krallenabdrücke von kräftigen Pranken an Bäumen und herumliegenden Geäst ausmachen, doch nichts was ungewöhnlich wäre. Allerdings machte er schon bald eine ganz andere Entdeckung. Statt eines Pfotenabdruckes, der sich in die Erde vergraben hatte, ist sie wohl mit ihrer rechten Vorderpfote in einen scharfkantigen Stein gelaufen. Vermutlich hatte sie ihn übersehen, gespürt dürfte sie ihn aber alle mal haben. Am Stein selbst klebte Blut, es war noch frisch. Zugegeben, als er das gesehen hatte, machte er sich schon mehr Sorgen um sie.


    Man konnte meinen, dass sie nun fast im Herzen des Waldes angekommen waren. Zudem hatte sich ihr Lauftempo geändert, sowie ihr Gang. Die Hinterläufe, sowie die linke Vorderpfote, waren deutlich stärker ausgeprägt, während die rechte Pfote kaum bis gar nicht mehr zu sehen war. Dort, wo sie mit der Pfote einen Abdruck hinterließ, war eine eindeutige Blutspur zu sehen. Sie humpelte und war offenbar verletzt. Zudem verbreitete sie mit ihrer Spur einen Blutgeruch. Das war nicht gut, vor allem so tief im Herzen des Waldes.


    Noch während des Laufens zog der junge Mann einen seiner Dolche und rechnete mit ungebetenen Gästen auf dem Weg zu Emilia. Tatsächlich wurden ihre Spuren und damit ihr Gang offenbar hastiger, allerdings auch ungeschickter. Sie hatte Angst oder gar Panik bekommen. Etwas war hier geschehen. Nach einigen Metern war auch deutlich, was es war. Weitere Pfotenabdrücke gesellten sich zu ihren. Die von Wölfen, die das Blut gerochen hatten. „Du naives Mädchen.“, fluchte Dimicus innerlich, als er sein Tempo erhöhte und worauf er schon bald in der Entfernung ein Knurren vernehmen konnte, genau so wie ein Heulen. Offenbar wurde das Abenteuer der Löwin durch eine unliebsame Bekanntschaft mit Wölfen zunichte gemacht.


    Zwischenzeitlich passierte er einen Baum, der sehr mitgenommen aussah. Den tiefen Kerben in der Rinde und dem daran befindlichen Blut angesehen, hatte sie versucht hier hinaufzuklettern. Sie hatte es auch geschafft, allerdings hatten die Äste ihr Gewicht nicht gehalten, weswegen Dimicus keine zwei Meter weiter eine tiefe Kuhle, in der ein doch stämmiger Ast in den Boden gedrückt wurde, auffand. Sie war gefallen. Weiter Fellfetzen fand er darin, ehe er weiter die Spur verfolgte und es dauert auch nicht mehr lang, da fand er die junge Frau. Oder um genauer zu sein: die verletzte Löwin und ihre neuen Spielkameraden.


    Aus noch sicherer Entfernung legte sich der Künstler in das Unterholz und sondierte zunächst die Lage. Emilia hatte sich tatsächlich auf einen Baum retten können, allerdings war die Folge dessen, dass dieser nun von vier Wölfen umkreist wurde, welche eifrig knurrten, nach oben schnappten und ihre Beute sicherlich nicht aufgeben wollten. Das war ein eindeutiges Problem. Trotz seiner Erfahrung war er extrem vorsichtig und hatte durchaus im Bewusstsein, dass er es niemals gegen alle Wölfe schaffen würde. Emilia hingegen konnte er ansehen, dass sie Angst hatte und vollkommen hilflos schien. Nervös blickte sie zwischen den Wölfen hin und her. Von ihrer sonstigen Eleganz war nicht viel zu sehen.


    Es blieb kaum Zeit, es musste eine Lösung her und noch immer war der Überraschungsmoment auf der Seite des Künstlers. Einmal schloss er für einen Moment seine Augen, atmete tief durch und zog einen Wurfdolch. Mit dem Auge zielend und abschätzend, visierte er einen der Wölfe an, die sich gerade an dem Baum aufstellten. In nur einem Sekundenbruchteil sprang er aus seinem Versteck auf und schickte den ersten Dolch auf die Reise. Bevor die Tier überhaupt ahnen konnten, wie ihnen geschieht, riss es einen der Wölfe von den Beinen, als sich der Wurfdolch in den Nacken bohrte. Dieser hatte nicht einmal Zeit ein Geräusch von sich zu geben, da war er bereits tot.


    Doch das bedeutet nur den Beginn des Kampfes, den sich Dimicus vereinfacht hatte. Zumindest etwas. Sofort näherte er sich langsam dem verbleibenden Trio, dass ihre aufmerksamen Augen nun auf ihn gerichtet hatte. Sie schritten zu dritt auf ihn zu, wandten sich von Emilia ab. Ein Wolf war in der Mitte, die anderen beiden wollten versuchen ihn zu flankieren. Die üblichen Rudeltaktiken, mit denen er zum Glück vertraut war. Es war ein Spiel auf Sekunden welches Entschied, wer die Oberhand gewann und aus diesem Kampf lebend herauskam. Seine freie linke wollte unter seinen Mantel schnellen und einen weiteren Wurfdolch ziehen, doch war das ein fataler Fehler, so hatte er seine linke Flanke offen gelassen und der Wolf nutzte es schamlos aus.


    Das Gewicht eines Wolfes riss Dimicus zu Boden, als dieser gerade noch seinen linken Arm gegen die Kehle des Tieres drücken konnte, welches schnappend nach seiner Kehle dürstete. Augenblicklich erhob sich seine rechte Hand, um seinen Dolch in den Hals des Tieres zu treiben – erfolgreich. Jenes begann zu Röcheln und mit dem kalten Stahl im Hals um sein Leben zu kämpfen, während das Blut des Tieres aus Dimicus Brust und Gesicht niederging. Der Rest des Rudels blieb aber nicht untätig, als ein anderer Wolf von rechts auftauchte. Die Augen Dimicus' wurden groß, als dieser die Gelegenheit nutzt und sich in den noch immer erhobenen, rechten Arm verbiss.


    Ein lauter Schrei seitens des Mannes hallte durch den Wald, sein Blick färbte sich rot und seine Atmung weigerte sich einzusetzen. Noch gerade im letzten Moment bekam er mit, wie der andere Wolf nach seinem Bein schnappen wollte, weswegen er rechtzeitig mit einem Tritt reagieren konnte und er das Tier somit zurückstieß. Mit letzter Kraft ballte er seine linke Faust schließlich und schlug auf den Kopf des Wolfes ein, der sich in seinem Arm verbissen hatte. Dabei durchwühlten die Zähne sein Fleisch, doch der Biss lockerte sich unter einem Aufjaulen, als auch der Wolf zurückgestoßen wurde.


    Diesen neugewonnene Freiraum nutzte der junge Mann sofort, als er seinen anderen Dolch mit der Linken zog und diesen direkt in den Schädel des Wolfes zu seiner Rechten rammte. Nur vage konnte er im Augenwinkel erkennen, dass der letzte Wolf noch nach ihm schnappen wollte. Doch als dieser wahrnahm, dass nun auch sein letzter Gefährte getötet wurde, hielt er schlagartig in seinem Tun inne, legte den Kopf schief. Darauf machte er einige Schritte zurück, jaulte leise, als er die Rute einklemmte und die Ohren anlegte. Schließlich drehte er um und floh. Zu Dimicus' Glück. Er hätte nämlich keinerlei Möglichkeit mehr gehabt, sich zur Wehr zu setzen.


    Mühevoll schob er den Wolf mit seiner Klinge durch die Kehle beiseite, ehe er seine Waffe mit der linken Hand heraus zog. Sein rechter Arm war stark mitgenommen, blutete entsprechend. Fürchterliche Schmerzen pochten durch diesen und es war ihm kaum eine Bewegung möglich, so lange dieses heftige Stechen und Ziehen nicht versiegte. Kraftlos rappelte er sich auf, sein rechter Arm baumelte fast nur bewegungslos an seiner Seite. Mit einem flüchtigen Blick inspizierte er die Wunde. Das Gebiss des Tieres war kräftig genug gewesen, durch seine Rüstung und tief in sein Fleisch einzudringen. Doch es sah nicht danach aus, dass sein Knochen etwas abbekommen hatte.


    Tief schnaufend und leicht wankend, ging er zu dem Leichnam des anderen Wolfes und zog diesem den anderen Dolch aus dem Schädel. Beide verstaute er an die richtigen Orte, ehe er hinauf zu Emilia blickte, welche sie mit ihren minzgrünen Augen musterte. Sein Gesicht verzog sich immer wieder vor Schmerz, der gesamte Körper des jungen Mannes zuckte darunter hin und wieder auf. Er winkte sie in einer Geste von dem Baum herunter, bevor er zum letzten Wolf ging und seinen Wurfdolch barg. Darauf ließ er sich für einen Moment an dem Baum nieder, mühte unter Umstände seine Umhängetasche hervor und zog einen Verband daraus hervor. Rein provisorisch wickelte er diesen um den Arm, es würde nicht lang halten oder die Blutung vollkommen stillen, doch es würde eben jene so unter Kontrolle halten, dass er es zurück zur Stadt schaffen konnte. Ohne Frage, diese Wunde musste von einem Heiler behandelt werden. Als letztes nahm er noch eine Hand voll der schmerzlindernden Kräuter, die er im Munde trotz des grenzwertigen Geschmackes zerkaute. Sie würden zumindest zeitweise den Schmerz etwas lindern. Nun musste er auf die junge Löwin warten, sie mussten dringend los, zumal sie auch verletzt war. Währenddessen erhob er sich wieder, hing sich seine Umhängetasche wieder zurecht.

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  • Völlig ausgelassen rannte ich zwischen den Bäumen hindurch, so dass sie nur als braune Schemen mein Gesichtsfeld durchkreuzten und schnell hinter mir zurückblieben. Es fühlte sich unbeschreiblich toll an, ein ungekanntes Gefühl. Zum einen wollte ich bis anhin nicht riskieren als Löwin in der Stadt erkannt zu werden und zum andere war es auch als Katze schwierig in diesem Tempo durch Strassen und über Dächer zu preschen.
    Doch nun, da es mir endlich ermöglicht wurde, wollte ich es auch auskosten.
    Vage erinnerte ich mich daran, dass ich jedoch nicht alleine hier war und Dimicus mich bestimmt bald suchen würde. So schlug ich plötzlich einen Bogen nach rechts, um ihn von meiner Fährte abzulenken. Damals wusste ich es ja noch nicht besser.
    So rannte ich eine Weile wie eine Wilde zwischen den Bäumen hindurch, schabte meine Krallen genüsslich an den knorrigen Stämmen oder wälzte mich zwischendurch im weichen Moos, bis plötzlich nur einige Meter von mir entfernt zwei Rehe aus dem Schutz des Dickichts hervorsprangen.
    Einen Augenblick zögerte ich noch, doch meine Instinkte waren geweckt und ich nahm die Verfolgung auf. Während eines der Tiere aus meinem Blickfeld verschwand, jagte ich das andere. Wie wild schlug es Haken und erfolglos tat ich es ihm etwas weniger behäbig und elegant nach. Woher sollte ich auch wissen, dass Löwen eine gänzlich andere Strategie anwandten, als ich sie gerade in meiner Unerfahrenheit an den Tag legte?


    Erst als ich plötzlich einen stechenden Schmerz an meiner Vorderpfote spürte, wurde ich ausgebremst. Meine Beute verschwand zielstrebig und wohl erleichtert zwischen den Bäumen.
    Vermutlich lachte sie sich dabei ins Fäustchen!
    Etwas in meinem Elan unterdrückt setzte ich mich hin und betrachtete den Schaden. Ich musste auf einen fiesen Stein getrampt sein, der sich zwischen meine Ballen hineingebohrt hatte. Die Stelle blutete und ich begann erst einmal meine Wunde zu lecken.
    Hätte mein Gehör funktioniert, wäre mir schon zu diesem Zeitpunkt das Heulen der Wölfe ans Ohr gedrungen. So blieb ich jedoch nichtsahnend.
    Stattdessen bemerkte ich nun, dass ich keine Ahnung hatte, in welcher Richtung überhaupt der Fels mit meinem Begleiter lag. Verunsichert blickte ich mich um, und der Wald wirkte plötzlich nicht mehr ganz so einladend, sondern düster und bedrohlich.
    Schliesslich entschied ich mich für einen Weg, der mir noch am freundlichsten erschien. Ich zuckte beim ersten Schritt zusammen und gab ein erschrockenes Aufjaulen von mir. Diese Wunde, die nicht besonders gross war, erinnerte mich an einen dieser ätzenden Schnitte, die bei jeder Bewegung aufrissen, brannten wie die Hölle und bluteten als hätten sie eine Vene getroffen. Nun, vielleicht war der Einschnitt doch ein wenig grösser, doch sterben würde ich daran nicht.
    So setzte ich meine Pfoten nun weit vorsichtiger auf und entlastete bewusst den rechten Vorderfuss. Ich begann mich bereits für mein Tun zu beschimpfen.
    Warum musste ich auch wie eine Verrückte durch den Wald rennen? Sonst verhielt ich mich doch auch nicht so unbedachtsam. Oder?
    Und Dimicus mürrische und ernste Miene konnte ich mir auch bereits vorstellen, wenn er bemerkte, dass ich mich nicht bloss verlaufen, sondern auch noch dabei verletzt hatte.
    Langsam sank meine Laune in den Keller und ich trottete missmutig weiter.


    Als mir jedoch ein neuer Geruch in die Nase stieg, blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich wandte mich um, und schnupperte in der Luft. Roch es hier nach Hund?
    Die Katze sträubte ihr Fell, und fauchte abweisend, was mir als Warnung genügte.
    Hoffentlich waren es nicht die Wölfe! Hatte Dimicus mich nicht gewarnt, dass das Herz des Waldes ihr Territorium war?
    Trotz dem pochenden Schmerz in meiner Pfote, begann ich nun mein Tempo wieder zu steigern und humpelte vorwärts.
    Bald spürte ich, dass ich verfolgt wurde. Die Angst setzte sich wie eine lästige Zecke an mir fest und liess keinen schlauen Gedanken mehr zu. Dass ich nichts hören konnte, verstärkte meine Furcht und entfachte sie schliesslich erst so richtig. Aus Erfahrung wusste ich, dass Hunde nicht klettern konnten, weshalb ich einige Male versuchte einen Stamm zu erklimmen.
    Mit der verletzten Pfote und meinem Schrecken im Nacken gelang es mir jedoch nicht und ich trabte panisch weiter.
    Als ich einen prüfenden Blick zurückwarf, sah ich die grauen Schatten plötzlich. Es waren mindestens drei Tiere, die mich verfolgten und beobachteten. Offensichtlich hatten sie nie eine so mächtige Raubkatze gesehen und wussten noch nicht, ob und wie sie diese am besten angreifen sollten.
    Da sie jedoch meine Angst riechen konnten, würden sie sich nicht damit begnügen, mich aus ihrem Revier zu vertreiben, denn sie hatten Blut geleckt.


    Aus den Augenwinkeln bemerkte ich einen Baum, der leicht schief war und der guten Halt versprach. Ohne auf meinen Fuss zu achten sprang ich mit Anlauf. Die Krallen fuhren in das Holz und ich schaffte es tatsächlich bis auf einen dicken Ast. Leider hatte ich nicht bedacht, dass der Baum nicht mehr der Jüngste war und mein Gewicht nicht zu tragen vermochte.
    Mit einem Knacksen, das ich natürlich nicht hörte, brach er unter meinem Gewicht und ich knallte mit weit aufgerissenen Augen zu Boden. Ich landete schmerzhaft auf meiner linken Körperhälfte und sah für einen Moment Sternchen vor meinem Innern tanzen.
    Und da waren auch schon die Wölfe. Nur zwei waren es, und ich fragte mich sogleich mit Unbehagen, wo der Rest abgeblieben war.
    Mein Beschützerinstinkt drängte sich nun endlich in den Vordergrund. Ein tiefes Knurren war die Folge, was zwar den jüngeren Wolf verunsicherte, den Älteren aber nicht beeindruckte.
    Als er plötzlich auf mich zuschoss, reagierte ich instinktiv und knallte ihm eine mit meiner rechte Tatze. Das hatte zwar zur Folge, dass das Tier zurücktaumelte, jedoch auch, dass meine Pfote zu explodieren schien. Wäre ich eine geübte Kämpferin gewesen, hätte mein Prankenhieb tödlich ausfallen können für diesen Wolf, doch es fehlte dem Schlag an Kraft und Mut, so dass er viel zu schwach ausfiel. Da bemerkte ich plötzlich auch die anderen beiden Wölfe, welche sich von links anpirschten. Hilflos blickte ich mich um und erkannte eine Lücke.
    Mein Beschützer meldete sich wieder zu Wort und das drohende, laute Brüllen war es nun, welche die Raubtiere tatsächlich einen Augenblick lang irritierte. Vermutlich erinnerte es sie an einen Bären, und diese waren nicht zu unterschätzen.
    Ich hingegen nutzte den Moment und preschte los, nein, ich humpelte los.
    Und dann sah ich ihn, den rettenden Baum!


    Wenn es dieses Mal nicht klappte, würde ich nicht mehr die Kraft besitzen, einen weiteren zu erklimmen, das wurde mir schmerzlich bewusst. Doch ich riss mich zusammen, meiner brennenden linken Seite und der Pfote zum Trotz und nahm noch einmal Anlauf. Dieses Mal hielt der Ast mein Gewicht, doch ich traute mich nicht höher hinauf zu klettern. So schwebte ich schliesslich nur knapp über den Fangzähnen und starrte ängstlich in die kläffenden Mäuler.
    Was nun? Wenn die Wölfe mich nicht umbrachten, würde es bestimmt Dimicus tun, falls er mich jemals hier fände!
    Panisch hielt ich nach ihm Ausschau, doch ich kämpfte alleine auf meinem Posten.
    Als die Wölfe begannen an dem Stamm hochzuspringen, schlug ich beherzt, dieses Mal mit der linken Pranke, nach der Schnauze. Tatsächlich hatte ich Erfolg, der Wolf winselte auf. Dadurch motiviert, versuchte ich es noch einige weitere Male, bis mich eines der Biester mit seinen Zähnen erwischte. Zum Glück bekam er nur ein Büschel Fell zu fassen, doch es erschreckte mich so sehr, dass ich nun als zitterndes Bündel auf meinem Plätzchen kauerte und mich nicht mehr zu verteidigen wagte.
    Oh Himmel, wenn ich das überlebe, werde ich lernen mich zu verteidigen! Und ich werde mir Dimicus Worte zu Herzen nehmen! Oder sie zumindest überdenken!


    So schwor sich Emilia, während sie von den Wölfen belagert wurde. Ihren Schweif hatte sie eng an den Leib gepresst aus Angst, dass er den Biestern zum Opfer fallen könnte.
    Genauso überrascht wurde sie von dem Dolch, wie auch ihre Angreifer. Erst als sie Dimicus sah, wurde sie auch seines Geruches gewahr, der sanft in der Luft hing. Noch niemals hatte sie sich so über den Anblick eines Menschen gefreut!
    Als die Wölfe auf ihn losgingen, konnte sie bloss mit fassungslosem Blick die Szene beobachten.
    Na los! Bewege dich, du musst ihm helfen!, schrie es in ihrem Innern. Doch Emilia war wie erstarrt. Sie konnte sich nicht rühren und zitterte am ganzen Leib. Die Furcht hatte sie fest im Griff.
    Als einer der Angreifer ihn schliesslich in den Arm biss, kam ein hilfloses Aufjaulen von ihrer Seite.
    In diesem Moment hasste sie sich selbst. Dafür, dass sie so ein Feigling war, dafür, dass sie überhaupt nicht mit ihrer Gestalt umzugehen wusste, die sonst vermutlich Katzenfutter aus den Kötern gemacht hätte, und dafür, dass sie sich und ihn in diese Situation gebracht hatte.
    Als ein weiterer Wolf nach seinem Bein schnappte, schloss sie unwillkürlich die Augen und bekam so nicht mit, wie er die Viecher eins nach dem anderen erlegte.


    Als sie wieder einen Blick wagte, waren alle tot oder geflohen. Dimicus starrte sie von unten her an, er schien zu wanken und seine Augen flackerten leicht.
    Oh bei Ardemia, sein Arm!
    Emilia starrte auf das blutverschmierte Etwas, das unkontrolliert herum zu schlackern schien. Es musste höllisch weh tun. Er wirkte abgekämpft, doch er lebte.
    Schliesslich sprang sie von ihrem rettenden Ast herunter. Nur ihr schlechtes Gewissen hielt sie davon ab, ihn stürmisch über den Haufen zu werfen, so erleichtert war sie um sein Erscheinen.
    Vermutlich hätte sie ihm damit aber keinen Gefallen getan.
    Sie hatte den Schweif eingezogen, und ihre ganze Haltung drückte Schuldbewusstsein aus, als sie geduckt zu ihm hinlief und schliesslich nah am Boden zu ihm hinrobbte, völlige Unterwerfung demonstrierend.
    Sie wagte ihm gar nicht in die Augen zu sehen, hatte sie doch Angst, was sie darin erkennen würde. Er hatte sich inzwischen einen Verband um den Arm gebunden, und warf sich eine Handvoll Kräuter in den Mund, welche Emilia bei ihrer ersten Begegnung bereits kosten durfte.
    Vorsichtig kam sie zu ihm, beschnupperte ihn bange, bevor sie sich wie eine Hauskatze für einen Moment an ihn schmiegte.
    Zu keinem Zeitpunkt entfachte sein Blut oder sein Geruch ihren Jagdtirbe, viel zu gross war ihre Dankbarkeit.
    Als er schliesslich losging, trottete sie neben ihm her, so nah, dass er sich an ihr abstützen konnte, wenn er stolperte. Der Blutverlust und die Verletzung machten ihm offensichtlich zu schaffen und Emilia unterdrückte ihre eigenen Schmerzen, denn sie wollte wenigstens jetzt Stärke beweisen.
    Trotzdem waren sie ein erbärmliches Paar, als sie schliesslich den Felsen erreichten.
    Ihr Fell war von seinem Blut ebenfalls mitverschmiert und ihre linke Seite fühlte sich wie ein einziger blauer Fleck an. Er war ungewohnt blass im Gesicht und ausnahmsweise war sein Gang nicht mehr so behände wie sie es von ihm gewohnt war.
    Die ganze Zeit über hatte die Löwin in der Luft gewittert und sich immer wieder umgeschaut, doch es waren keine Angriffe mehr erfolgt.


    Während er sich auf den Boden sinken liess, ging sie zu ihrem Kleiderbündel hinüber und begann die Verwandlung. Diese verlief eindeutig langsamer als üblicherweise und sie verzog vor Schmerzen das Gesicht. Ihre linke Körperhälfte begann sich bereits zu verfärben, überall waren Schrammen und Kratzer in ihrer weichen Haut zu erkennen. Ihr lockiges Haar glich einem einzigen Gestrüpp. Auf ihrer Handfläche war ein tiefer Schnitt, der bei der Wandlung aufgesprungen war und von neuem blutete. Auch ihre Haut war von Blut besudelt, doch war es nicht das Ihre.
    Umständlich zog sie die Kleider an, samt den Stiefeln, schnappte Hut und Pinsel sowie Notizbuch. Sie bemerkte, dass darin neue Worte geschrieben standen, wollte sich aber nicht damit aufhalten, sie zu lesen. Dann trat sie um den Felsen herum zu Dimicus.
    Ihre Augen drückten Bedauern aus. Sie hielt ihm ihre Hand hin und half ihm dabei, wieder auf die Beine zu kommen.
    Den Rest des Weges stützten sie sich gegenseitig, während er die Richtung vorgab.
    Zu ihrer Überraschung führte er sie nicht in die Stadt zurück, sondern zu einem der Bauernhäuser, die etwas ausserhalb aufgebaut waren.
    Emilia vermutete, dass es zu auffällig wäre, mit den Verletzungen in die Stadt zu laufen. Es würden nur Fragen gestellt werden, und die konnte der Auftragsmörder wohl nicht gebrauchen.
    Als sie an die Türe klopfte, hatte sie schon mehr Mühe, ihren Begleiter aufrecht zu halten. Er war immer wieder getorkelt und die Wirkung der Kräuter schien nachzulassen, denn sein Gesicht verzerrte sich regelmässig vor Schmerz.


    Eine alte, runzlige Frau öffnete ihnen und erfasste die Lage mit einem scharfen Blick.
    „Du wieder“, knurrte sie bloss, fasste Dimicus ohne auf seine Miene und sein Stöhnen zu achten unsanft an und beförderte ihn auf eine Liege in einen Raum, der als Küche, Ess-, und wohl auch als Krankenzimmer diente.
    Dann betrachtete sie einen Augenblick prüfend die unsichere Emilia.
    „Ich will gar nicht wissen, wie es dazu gekommen ist. Sag mir nur eines, ist es ein Wolfsbiss?“, fragte sie unwirsch. Die Gestaltwandlerin nickte zustimmend und liess sich dann erschöpft auf einen Stuhl an dem solide wirkenden Tisch sinken.
    „Ich bin Gunhild. Hier, wasch damit deine Wunde an der Hand aus. Dann schmiere etwas von dieser Salbe drauf und leg dir den Verband auf. Ich werde nachher schauen, ob du es richtiggemacht hast, aber erst einmal kümmere ich mich um den hier!“
    Trotz ihrer rauen Art war die ältere Frau ihr sympathisch, zögerte sie doch nicht, den beiden zu helfen und wusste anscheinend, was zu tun war.
    So tat Emilia wie geheissen, während Gunhild dem jungen Mann half seinen Oberkörper freizulegen und dann seine Wunden auszuwaschen begann.
    Interessiert beobachtete die Jüngere sie dabei und bewunderte sogleich ihre Fähigkeiten.
    Als die Alte bemerkte, wie Emilia sie anstarrte, wandte sie sich zu ihr um.
    „Hast du noch weitere Verletzungen?“, als sie verneinte, bedeutete sie ihr eine gebauchte Flasche hervorzusuchen aus einem der Regale, welche die Wände säumten.
    „Gib ihm davon drei Löffel zu trinken. Er braucht Ruhe, damit die Wunde richtig heilen kann.“
    Die Gestaltwandlerin fand einen Löffel und schritt dann vorsichtig zu Dimicus heran. Sie kam sich seltsam vor, als sie ihm schliesslich die Flüssigkeit zwischen die Lippen schob wie einem Kind. Doch die Alte liess keinen Zweifel daran, dass er es nicht wagen sollte sich zu bewegen, während sie an ihm herumwerkelte.
    Es dauerte nur einige Minuten, da begann sein Blick bereits zu flackern.
    „Er wird gleich schlafen wie ein Murmeltier. Weisste, ich kenn solche Kerle nur allzu gut. Kaum bin ich mit ihnen fertig, rennen sie gleich wieder in die nächste Schlacht. Darum sorg ich vor!“, sie grinste Emilia schief an und diese lächelte vorsichtig zurück.
    Die Alte schien sich nicht daran zu stören, dass das Mädchen kein Wort sprach, sondern nahm es einfach hin.
    Gemeinsam hievten sie den schon halb schlafenden Dimicus schliesslich vollständig auf die Liege. Er war inzwischen nicht einmal mehr in der Lage zu protestieren.
    „Ich hol gleich noch eine Decke und dann mach ich dir einen Kräutersud. Ich seh doch, dass du Schmerzen hast. Ich vermute Prellungen?“, dann huschte sie bereits in einen anderen Raum davon, welcher als Vorratskammer diente.
    Emilia zog sich einen Stuhl an das Bett heran.
    Schlief er bereits?
    Sie konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen, seine geschlossenen Lieder zuckten unruhig.
    Vielleicht ein dunkler Traum?
    Sie liess den Tag Revue passieren und wurde sich bewusst, wie viel sie ihm heute zu verdanken hatte.
    Ohne darüber nachzudenken beugte sie sich plötzlich zu ihm hinunter. Sie roch sowohl seinen Schweiss, als auch sein Blut und neu auch die Kräuter, mit welchen die Alte ihn eingesalbt hatte.
    „Danke“, flüsterte sie tonlos an seinem Ohr, so nah, dass der warme Atemhauch ihn streifte, bevor sie Dimicus einen sanften Kuss auf die Wange hauchte.


    Nachdem Gunhilde die Decke über Dimicus ausgebreitet hatte, wandte sie sich der Kochstelle zu und bald köchelte ein Kessel mit Tee über dem Feuer. Dankbar nahm Emilia einen Becher voll entgegen und schlürfte vorsichtig daran.
    Erst jetzt bemerkte sie, wie erschöpft sie selbst war. Auch der Alten fiel dies ins Auge und schliesslich beorderte sie das Mädchen in einen anderen Raum, wo ein weiteres weiches Bett stand, um sich dort auszuruhen. Bereits nach wenigen Minuten war sie eingeschlafen.


    Als sie wiedererwachte, musste sie sich zuerst besinnen, wo sie war. Der Geruch nach Hühnersuppe kitzelte sie in der Nase und vorsichtig tapste sie barfuss in die Küche, wo Gunhilde damit beschäftigt war, Socken zu stopfen, während über dem Feuer der Kessel dampfte.
    Sie nickte Emilia freundlich zu, liess sie jedoch gewähren, als sie zu Dimicus hinüberging, um nach ihm zu sehen. Sein Gesicht hatte einen friedlichen Ausdruck angenommen und er wirkte ausnahmsweise sogar einmal entspannt. Was wohl nur an dem Schlaftrunk liegen konnte.
    Unschlüssig blickte sie sich um und entdeckte dann den Hut und das Notizbuch auf dem Tisch. Als sie sich setzte fiel ihr auf, dass ihre Seite nicht schmerzte. Offensichtlich zeigte der Kräutersud von Gunhilde Wirkung – zumindest vorübergehen.
    Sie blätterte nachdenklich durch das Heft und fand schliesslich, wonach sie suchte.


    Völlig widersprüchliche Gefühle breiteten sich in ihr aus und liessen sie wütend das Buch zuknallen. Es gab nichts, was sie darauf antworten konnte.
    Einerseits war sie voller Dankbarkeit dafür, dass er ihr den Wald gezeigt und sie vor der Belagerung durch die Wölfe bewahrt hatte, andererseits wollte sie ihm am liebsten eine deftige Ohrfeige verpassen.
    Warum musste er dauernd von Kunstwerken faseln?
    Da bemerkte sie Gunhildes Blick, der sie beinahe hellseherisch zu durchdringen schien.
    Die Augen der alten Frau wirkten weise, und so schrieb Emilia auf ein frisches Papier an sie:
    Ihr scheint viel Lebenserfahrung zu haben. Wie kann ich jemanden gernhaben, den ich gleichzeitig auch verabscheue? Wieso fesselt er mich, obwohl ich gleichzeitig nicht respektieren kann, was er tut?
    Gunhilde las die Worte, runzelte für einen Moment die Stirn und antwortete dann ebenfalls schriftlich.
    Du bist auf dem besten Wege Dich zu verlieben, mein Kind.
    Völlig perplex und wie betäubt starrte Emilia auf die Antwort der alten Frau. Dann stand sie abrupt auf und verliess das Haus.
    Sie brauchte eindeutig frische Luft!
    Etwas abseits setzte sie sich auf einen Felsen und beobachtete dabei den Fuchs, der bei Anbruch der Dunkelheit aus seinem Versteck hervor auftauchte.
    Die ganze Zeit über dachte sie darüber nach, was Gunhilde geschrieben hatte und versuchte die tiefere Bedeutung dahinter zu verstehen.
    Selbst als sie zu frösteln begann, verliess sie ihren Sichtpunkt nicht, sondern starrte in den Himmel, wo nun vereinzelte Sterne funkelten.

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  • Es war eine seltsame Mischung aus Gefühlen, die in Dimicus entbrannten, als er Emilia vor sich sah. Einerseits war er mehr als froh, dass sie, neben den kleineren Verletzungen, unversehrt war und ihr nichts ernsthaftes fehlte. Allerdings war er auch wütend. Erbost darüber, dass sie sich überhaupt zuerst in den Wald hinein begeben hatte. An sich war es keinerlei Schande und er begrüßte es, doch hatte sie nicht auf seine Worte gehört und ihnen beiden eine sehr ungünstige Situation eingebracht. Für ihn war es in diesem Moment extrem schwierig, sich für eine Gefühlslage zu entscheiden, so war es ihm überhaupt erst unheimlich, dass sie die Macht hatte, solche Dinge in ihm auszulösen.


    Dankbar nahm er jedoch ihre entschuldigenden Gesten an und streichelte sie, so sanft wie es in seinem Zustand möglich war, der Löwin durch das Fell. Sein rechter Arm hing noch immer nutzlos an seiner Seite, so hatte er auch keinerlei andere Möglichkeit, als die lähmenden Schmerzen durch seinen Arm zuckten. Immer wieder verschob sich seine Sicht ins schwarze und auch wenn Emilia selbst verletzt war, so stützte er sich auf sie und sie ließ es zu. Er konnte dabei ihr Fell zwischen seinen Fingern spüren, welches trotz der kürzlich rauen Behandlung weich war, sich angenehm anfühlte, ihm sogar einen gewissen Grad an Sicherheit gab.


    Eines wusste er: ohne Emilia hätte er es wohl nie so schnell durch, geschweige denn aus dem Wald geschafft. Zudem zerrte die Verletzung stark an seinen Kräften und trotz seiner Wut machte sich ein weiteres Gefühl in ihm breit. Dankbarkeit. Nicht nur, dass er körperlich vollkommen hinüber war, nein, Emilia sorgte auch noch für eine seltsame Gefühlslage, die ihm im Geiste zusätzlich zusetzte. Doch was sollte er darüber philosophieren, so konnte er es letztendlich nicht richtig einordnen. Noch nicht.


    Jedoch galt es, ihn aus diesem Wald zu schaffen – lebend. Es erinnerte ihn damals, an diesen großen Wolf, welcher ihm seinen Bauch aufgerissen hatte. Die Verletzung seines Armes war vielleicht nicht ansatzweise so schmerzhaft, allerdings genau so bedrohlich. Wenn er in Zukunft an diesen Moment zurückdenken wollte, würde er wohl Emilia als die treibende Kraft beschreiben, die ihm half, dem Tode zu entfliehen. Trotz dessen, dass sie diese Situation überhaupt erst herbeigeführt und dementsprechend dazu beigetragen hatte. Wer musste hier wem dankbar sein? Fest stand, ohne den einen wäre der andere umgekommen. Über kurz oder lang. Ob es eine Fügung war? Der Künstler wusste es nicht.


    Und hatte auch keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Denn schon bald waren sie wieder zurück an ihrem Ausgangsort angelangt, während sich Emilia verwandelte und wieder bekleidetet, hatte sich der junge Mann auf den Boden gelegt. Sein Atem ging schwer, die Lider flatterten hin und wieder. Es war überhaupt keine Frage mehr, ob sie sich nackt vor ihm befand oder nicht. Rein der Wille zu überleben zählte noch. Schließlich spürte er die Hand Emilias an seinem Arm, welche ihm aufhalf und sich schließlich stützend um ihn legte. Das Gleiche tat er bei Emilia. Sie teilten sich ihre gemeinsame Kraft, standen füreinander und trugen sich gegenseitig zu ihrem Ziel. Einer alten Bekannten Dimicus': Gunhild.


    Ihr gemütliches Haus löste in ihm einige Erinnerungen aus, so war sie wohl maßgeblich daran beteiligt, dass er noch all seine Gliedmaßen besaß oder mit keinerlei Erkrankungen zu kämpfen hatte. Ihre kratzige Stimme, gezeichnet vom Alter und ihrer Erfahrung, war ihm mehr als bekannt, auch wenn er wohl einige neue Töne in ihr ausmachen konnte. Doch wirklich auf der Höhe war er nicht, so bekam er nur dumpf mit, was gesagt und um ihn herum getan wurde. Der ganze Weg und alle Handlungen bis zu diesem Haus, zu denen er sich und Emilia gelotst hatte, hatten ihm viel Kraft gekostet. Mittlerweile driftete sein Bewusstsein immer wieder in die Schwärze ab, so hatte er kaum noch eine Chance, außer ein paar kleinere, kaum merkliche Bewegungen. Das Schlusslicht jedoch stellte nicht sein nachgebender Körper, sondern die stark beruhigende und schmerzlindernde Medizin dar.


    Von deren Beruhigung oder Möglichkeit der Entspannung war anfänglich nicht viel zu spüren, denn sein Geist verfiel in einem Delirium. Ein Fiebertraum jagte den Nächsten. Zum einen sah er Wilfried vor sich, der sich zu einer grotesken Masse verzog und somit sein Kunstwerk verunglimpfte. Danach kam Malik, wie sie sich als Schlange um seinen Körper gewickelt hatte, ihm Luft und langsam seine Organe aus seinem Körper presste, mit ihrer kräftigen Muskulatur. Das Ende machte Emilia, die stolze Löwin, doch neben ihr waren noch zwei männliche und größere Vertreter ihrer Art. Er hatte keine Chance und wurde von diesen bei lebendigem Leibe gefressen, während Emilia mit einem hämischen Lachen zusah, einer grausamen Ausstrahlung auf den jungen Mann ausübend. All dies wurde jedoch weggewischt, als eine angenehme Wärme durch seinen Körper zog, ihn etwas berührte, was seinen gesamten Körper in eine plötzliche Ruhe versetzte. So arg plötzlich dieses Gefühl kam, geriet es aber in Vergessenheit, ließ aber ein Gefühl der Geborgenheit zurück. Darauf verzogen sich auch schon auch die Albträume und wichen einem traumlosen Schlaf...


    Ruckartig riss Dimicus die Augen auf und holte tief Luft, als er anfing zu husten. Fast augenblicklich spürte er zwei Hände auf seiner Brust, die ihn sanft aber bestimmt zurück ins Bett drückten. Erst als der Hustenanfall sich wieder legte, entfernten sie sich und neben dem Bett in dem er lag, stand Gunhilde. Sie schaute grüblerisch drein, seufzte dann nur, ehe sie sich neben ihm auf den Stuhl setzte. „Du bist ja endlich erwacht, Dimicus.“, sagte sie, genau wissend wer er war und was er tat. „Ich habe dich lang nicht mehr gesehen. Wie lang ist es her? Ein Jahr, zwei? Du hast dich verändert.“ Sie bekam von ihm nur ein Seufzen zu hören, gefolgt von einem fixierenden Blick. „Du hättest eine alte Frau auch mal so besuchen können, egal wie sehr du mit deiner Arbeit beschäftigt bist.“


    Diese weisen Augen und das süffisante Grinsen, dass sie dem jungen Mann gegenüber zeigte, es war unverwechselbar diese Frau. Gunhilde, ihr Mann war schon vor mehrere Jahren gestorben. Neben ein oder zwei Falten mehr, hatte sie sich gar nicht verändert. Damals, als er sie das erste Mal sah, war er noch jung, gerade Anfang 20. Sie half ihn mit seinen damaligen Verletzungen, die er von den Touren mit seinem damaligen Mentor sich zuzog, genau so wie er von ihr lernte, wie er sich grundlegend selbst behandelte. Sie hatte ihn eine gewisse Zeit lang gesehen, kennen und einschätzen gelernt. Obwohl er es gar nicht wollte, so war sie die einzige Person, die vertrauenswürdig war. Da sie eng mit der Diebesgilde zusammenarbeitete und sich gern um deren Gebrechen kümmerte, war ihre Verschwiegenheit garantiert. Genau so, als sie herausfand wer Dimicus wirklich war, als der Rosendämon in der Stadt zu wüten begann.


    „Das letzte Mal kam ich dich besuchen, das war ungefähr ein Jahr, zwei Monate her.“, sagte er nur stumpf und schaute sie nur für einen Moment an, ehe er sich wieder der Decke widmete. „Wusste ich's doch.“ Damit erhob sie sich und blickte durch den Raum, ehe sie kurz nach der Suppe schaute und schließlich an das Fenster trat, welches das Licht des Mondes schwach durch die Gläser hindurch ließ. „Was macht jene junge Frau an der Seite des Rosendämonen, die ihren Vater an ihn verlor und nun vollkommen führungslos durch die Welt streift? Jene die vermisst wird und offensichtlich sogar noch dem Mörder ihres Vaters das Leben rettete?“ In diesem Augenblick wurde Dimicus aufmerksam und setzte sich, etwas zu rasch, auf, was ihn sofort Schmerzen bescherte. Woher wusste sie – natürlich, Diebesgilde. Es gab keine Möglichkeit diesem Gespräch zu entgehen und selbst die Stille, die durch eine fehlende Antwort herbeigeführt wurde, schaffte es nicht.


    „Du weißt, das Schweigen und mir in den Rücken zu starren nicht zieht, oder?“ Der Künstler fühlte sich ertappt und zu einer Antwort gezwungen. „Sie ist freiwillig bei mir.“, raunte der junge Mann darauf. Durch das Fenster, vorbei an Gunhild konnte er Emilia erkennen, wie sie an der abendlichen Luft die Sterne beobachtete. „Das ist keine Antwort. Warum ist sie bei dir und nicht bei ihrer Familie?“ Nun wurde es etwas knapp um den jungen Mann, so wusste er keine Antwort darauf und erst recht keine Erklärung. Letztendlich war es aber doch der einzige Grund, warum Emilia bei ihm war. Oder? „Äh … ich … ich denke sie will es einfach, weg von ihrer Familie.“ Im selben Moment musste die ältere Dame zu lachen beginnen, drehte sich um und blickte Dimicus fest in die Augen. “Ernsthaft? Das ist deine Antwort? Wenn sie es wirklich ist, bist du noch naiver als dieses Mädchen. Denk mal nach.“


    Nachdenklich fasste er sich an sein Kinn und blickte nebenbei geistesabwesend nach draußen. Was meinte sie denn? Er war noch vollkommen benommen von dem Trunk und nun stellte sie ihn solch schwere Fragen. Die Ratlosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Hör zu. Sie mag dich. Ohne Frage. Doch hast du ihr ihre Zukunft geraubt, ihre Familie und letztendlich raubst du ihr langsam auch ihre Sicht auf die Welt, wenn sie bei dir ist. Vermutlich weiß dieses arme Ding nicht einmal, wohin sie eigentlich wirklich soll. Deswegen klammert sie sich an dich. Ich verurteile dich nicht dafür, was du in der Stadt tust, es ist nicht meine Angelegenheit. Warum aber ziehst du sie hinein, wo sie mit dir eigentlich nichts gemein hat?“ Vollkommen perplex betrachtete er die Heilerin, die genau wusste wovon sie sprach und ihn vollkommen sprachlos machte. Doch im Grunde hatte sie vollkommen Recht. Zu häufig hatte er die Möglichkeit, sie einfach wegzuschicken und nie wieder zu sehen. Sie wäre so nie in Besitz von empfindlichen Emotionen gekommen und … hätte vermutlich nicht noch mehr durch ihn durchmachen müssen, als sie es eh schon getan hatte.


    Sie war keines der Ziele, nie. Darum sollte sie auch keine Belang haben, doch was war dann der Grund warum er sie bei sich behielt, es zuließ. „Du bist einsam. Erhoffst dir von ihr etwas, was du dir selbst verwehrt hast, durch den Weg den du gegangen bist.“ Die Worte Gunhilds kamen im genau richtigen Moment, wo seine Gedanken eine eine Sackgasse gelangt waren. Die Schultern des jungen Mannes sackten ein gutes Stück nach unten, seine Mimik verfinsterte sich. „Was kümmert es dich?“, garstete er zurück. „Ich habe mein Leben für sie auf das Spiel gesetzt, ihren korrupten Vater dem gewünschten Ende zugeführt. Ohne sie wäre ich nicht hier und nicht verletzt!“ - „Ohne dich, hätte sie ihren Vater noch, der sie beschützt und eine farbenfrohere Zukunft bieten kann, als die Düsternis die du über sie bringst.“ Sie schüttelte nur mit dem Kopf und erhob sich erneut. „Du wirst deinen Weg finden, versuche sie nicht mit in den Abgrund zu reißen.“ Vollkommen erzürnt rappelte sich Dimicus auf, augenblicklich wurde ihm schwindelig, doch ballte er seine rechte Faust, was ihm einen entsetzlichen Schmerz bereitet. Dennoch blieb er stehen.


    Ganz trocken kam auf diese Aktion jedoch: „Du solltest dich schonen, vor allem deinen rechten Arm. Du kannst ihn schon benutzen, aber es würde gerade einmal dazu reichen, einen Pinsel zu führen oder etwas zu essen.“ Erst jetzt realisierte Dimicus wirklich, was noch einmal geschehen war, kurz abseits des eigentlichen Themas. An seinem rechten Oberarm prangte ein dicker Verband, der nach medizinischer Salbe stank. Doch es war alles sauber und hielt seine Wunde geschlossen. Er zügelte seinen Zorn und die Entschlossenheit, Gunhilde dafür bezahlen zu lassen, was sie sagte. Sie hatte einfach nur die Wahrheit ausgesprochen. Eine plötzlich tiefe Stimmung machte sich in ihm breit, als er sich setzte und sein Gesicht in seiner linken Hand vergrub. Mehrmaliges, tiefes Atmen war zu sehen, als eine einzelne Träne ihren Weg hinab seiner Wange fand. Doch ihre Bahn wurde von seiner energischen Linken unterbrochen, ehe er sich wieder erhob.


    Sofort ging er zu seinen Sachen und begann sich vorsichtig wieder zu bekleiden, seine Rüstung anzulegen. „Was denkst du, was du da tust?“, ermahnte ihn Gunhilde, doch hielt ihn nicht auf. Sie war genervt, man merkte es ihr an. „Du hast Recht.“, ertönte es knapp unter seiner Kapuze hervor, die sich wieder über sein Gesicht zu legen begann. Zwei Augen lugten hervor, sie waren jedoch leer, kaum ein Inhalt zeichnete sich in diesen ab. „Sag ihr, dass sie von hier aus wieder zurück zu ihrer eigentlichen Familie gehen soll. Ich tue ihr nicht gut.“ Gunhilde nickte nur, ließ den jungen Mann aber schließlich ziehen. Dieser verschwand nach draußen in den Schatten, versteckt in der Finsternis konnte er einen letzten Blick auf Emilia werfen, ehe ihn seine wackligen Beine forttrugen. „Es tut mir leid, Emilia.“, hauchte er vor sich hin, ehe er in Richtung Stadt verschwand.


    Dimicus, der Rosendämon, hatte begriffen was Gunhild wirklich meinte und auch im Sinne Emilias verstand er, was er getan hatte. Ihm war klar, dass er niemals seiner größten Kunst absagen würde und aus diesem Grunde nie eine Änderung und den Schutz Emilias herbeiwirken könnte, den er sich geschworen hatte. Diese junge Frau, sie hatte viel in seinem Kopf durcheinander gebracht und das durfte nicht geschehen. Ihn kümmerte es nicht, was Gunhilde zu Emilia sagen würde, oder was Emilia in ihrer „Familie“ erwarten würde. Zumindest redete er sich genau das ein. Was brachte es ihm, einen Menschen beschützen zu wollen, wo er doch selbst der größte Schaden war, den er an diesem ausrichten konnte? Sein Selbstbewusstsein war angenagt. Nicht etwa seiner Kunst wegen, nein, sondern wegen eines Versprechens das er nicht einlösen konnte. Emilia würde sicherlich zu ihrer Familie zurückkehren, ihr Leben versuchen zu leben, und er seiner Arbeit weiter nachgehen, genau so wie er der Sklave Maliks wohl bleiben würde. Es würde so sein, wie es hätte bleiben sollen … oder etwa nicht?

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  • Gunhilde trat aus der Hütte heraus, nachdem Dimicus in der Dunkelheit verschwunden war.
    Armes Mädchen, dachte sie, während sie zu ihr hintrat und sie an der Hand fasste. Emilia liess sich tatsächlich von ihr ins Haus führen, sie wirkte irgendwie nicht ganz wie sie selbst. Ausserdem bibberte sie am ganzen Körper.
    Ihr Blick fuhr jedoch unwillkürlich zuerst zur Liege, dann erstarrte sie, als er nicht mehr dort lag. Ihre Augen durchsuchten das Zimmer und sie realisierte, dass auch seine Sachen weg waren. Plötzlich wirkte die junge Frau wieder hellwach und Gunhilde konnte die Frage aus ihrem Gesicht ablesen.
    Bevor sie darauf antwortete, füllte sie zwei Schüsseln mit Hühnersuppe, und begann zu löffeln, während die zweite Portion vor dem leeren Stuhl vor sich hin dämpfte.
    Sie war sich des Blickes der anderen bewusst, und seufzte schliesslich.
    „Er ist gegangen, mein Kind. Und du solltest ihm nicht folgen“, sagte sie schliesslich mit ruhiger Stimme.
    Emilias Augen folgten gebannt ihren Lippenbewegungen. Eindeutig schien sie den Sinn noch nicht ganz begriffen zu haben, als Gunhilde bereits fortfuhr: „Dimicus möchte Dich nicht mehr bei sich haben. Du bist eine zu grosse Gefahr für ihn. Er liebt seine Kunst mehr als alles andere, doch sie macht ihn zum Schattengänger. Du jedoch brauchst das Licht, du zerbrichst an der Dunkelheit, so wie er sich an Dir verbrennen würde.“
    Sie konnte den Schmerz in den grünen Augen erkennen, doch sie blieb unnachgiebig. Das Mädchen war naiv, viel zu weltfremd, gutgläubig und nur allzu leicht formbar.
    Gunhilde mochte Dimicus, keine Frage, doch es widerstrebte ihr, dieses verletzliche Wesen seinen Händen zu überlassen. Sie war doch noch ein Kind.
    Die junge Frau hielt ihr inzwischen einen Zettel unter die Nase.
    Hat er das gesagt? Dass ich ihm fernbleiben soll?
    Die Alte nickte langsam: „Du sollst nach Hause zurückkehren zu deiner Familie.“
    Nach Hause?
    Emilia starrte sie an und wusste nicht, was sie darauf entgegnen sollte.
    Wo war denn ihr zu Hause? Sie hatte es verloren zusammen mit ihrem Herrn Papa!
    Wütend knüllte sie das Blatt zusammen und warf es ins Feuer, so dass die Funken stoben.
    Zuerst tat er alles, um ihr die Illusion von einem guten Leben zu rauben, und nun stiess er selbst sie von sich weg. Sie wurde herumgeschoben wie eine Schachfigur, von ihren Verwandten genauso wie von Dimicus.
    Sie war nicht mehr als ein Spielball für diese Menschen.
    Die Tatsache schmerzte sie mehr als alles andere und nur mit Mühe schluckte sie ihre Tränen hinunter.
    Gunhilde versuchte sie nicht zu trösten, denn es war besser, wenn das Mädchen einen klaren Blick auf die Welt hatte, so grausam diese auch sein mochte.
    Stattdessen bot sie ihr jedoch an über Nacht zu bleiben, damit sie nicht in der Dunkelheit in die Stadt zurückkehren musste.
    Da die junge Frau nicht wusste, was sie nun anfangen sollte, nahm sie das Angebot an.
    Die ganze Nacht über wog sie ab, ob sie nun zu Wilfried, Onkel und Tante zurückkehren oder doch Dimicus folgen sollte. In einem Moment besonderer Wut stellte sie sich sogar vor wie es wäre, ihn an die Wachen zu verraten. Doch den Gedanken verwarf sie schnell wieder.
    Vielleicht konnte sie die Stadt auch einfach hinter sich lassen?
    Doch sie fürchtete sich viel zu sehr vor dem Alleinsein, um einen solchen Schritt zu wagen.
    Schliesslich weinte sie sich in den Schlaf hinein.


    Am nächsten Morgen hatte sie einen Entschluss gefasst. Es war nicht die beste Lösung, aber immerhin irgendeine.
    Sie verabschiedete sich bei Gunhilde und bedankte sich noch einmal artig für die Hilfe, welche sie ohne zu zögern geleistet hatte.
    Die Alte gab ihr noch eine Salbe mit für ihre Wunde an der Hand, dann ging Emilia in Richtung von Drakenstein los.


    Als sie durch die Tore ging, hatte sie den Blick gesenkt. Sie bemerkte nicht, wie die Wache sie grüsste, sondern eilte eilig vorbei. Misstrauisch blickte ihr einer der Diensthabenden hinterher. Er meinte sich daran zu erinnern, dieses Gesicht bereits einmal gesehen zu haben.
    „Du“, knurrte er einem der Bettlerjungen zu, die vor dem Tor lungerten und darauf hofften, einem Fremden den Weg in eines der Gasthäuser weisen zu dürfen, „geh dem Mädel da hinterher und erstatte mir Bericht, wohin sie so dringlich am frühen Morgen wollte!“
    Er zwirbelte eine Münze zwischen den Fingern. Der Junge nickte eifrig und rannte dann Emilia hinterher, welche nichtsahnend voranschritt.
    Als sie zur Tür des Bordells hineinhuschte, verfolgten sie ein paar dunkler Augen.


    Zögerlich ging sie die Treppe hoch und blieb schliesslich vor der Zimmertür stehen.
    Sollte sie dies wirklich tun? Oder doch lieber rechtsumkehrt machen und zu ihren Verwandten heimkehren?
    Schliesslich wurde ihr die Entscheidung abgenommen, als die Tür aufschwang und ein Rotschopf sie verdattert anstarrte.
    „Liebes, wolltest Du mich besuchen zu solch früher Stunde? Aber wie siehst Du denn aus!“, Mirabella zog sie mit sich ins Zimmer und schloss die Tür hinter ihr.
    „Du siehst ja aus, als hättest Du´s im Wald getrieben! Ach, was rede ich nur. Du fängst mir aber nicht gleich wieder an zu weinen?“
    Emilia zuckte hilflos mit den Schultern und wollte sich aufs Bett setzen.
    „Nicht doch, ich bekomme bald noch einen Freier! Der kommt nicht gerne abends, das Haus ist ihm dann zu voll mit Konkurrenten“, sie grinste und scheuchte Emilia auf einen hölzernen Stuhl, wo ihre schmutzigen Kleider keine Spuren auf dem frischen Laken hinterlassen würden.
    „So, und nun erzähl mir Mal, was Valerius schon wieder angestellt hat“, meinte sie halb tadelnd, halb aus Neugier, während sie ihrer Freundin ein Blatt mit Stift zuschob.


    Unterdessen hatte der Bettlerjunge Bericht erstattet. Der Wachmann runzelte die Stirn. Er glaubte sich zu erinnern, dass das Mädchen dem Steckbrief glich, der überall in der Stadt aushing. Doch ganz sicher war er sich dabei nicht. Da er sich jedoch sehr deutlich an die Höhe der Belohnung erinnerte, wollte er keinesfalls versäumen, dem Mädchen einen kurzen Besuch abzustatten.
    Wenn sie wirklich in dem Bordell war, würde sie leicht zu finden sein!
    Mit zwei weiteren Mann machte er sich also auf den Weg…


    Emilia hatte Mirabella inzwischen einen groben Überblick verschafft und diese versuchte sie zu trösten, indem sie wie eine Furie über Valerius schimpfte und am liebsten direkt sein Zimmer gestürmt hätte. Doch ihre Besucherin flehte sie beinahe an, sie nicht an ihn zu verraten. Vielleicht scheute er nicht davor zurück, sie an ihre Familie auszuliefern und sie fühlte sich noch nicht bereit, dorthin zurückzukehren, genauso wenig wie sie Dimicus gegenübertreten wollte.
    Plötzlich war ein hastiges Klopfen an der Türe zu hören, kurz darauf sprang sie auf und eine der jüngeren und noch neueren Hübschlerinnen sprach hastig auf Mirabella ein, deutete dabei auf Emilia.
    „Da sind drei Wachen im Schankraum, die sich nach einer jungen Frau edlen Geblüts umsehen, die wohl etwas verschmutzt aussehen könnte“, knurrte Mirabella.
    „Cecilia, hilf mir Mal eben. Wir müssen sie verstecken, und zwar schnell. Hilf ihr beim Umziehen, während ich ihr Gesicht schminke. Und was machen wir bloss mit den Haaren?“
    Die beinahe jugendliche Cecilia gehorchte aufs Wort, war sie doch noch nicht von Eifersucht vergiftet, schritt zu Mirabellas Schrank und zog schliesslich ein blaues Kleid daraus hervor.
    In Windeseile wurde aus Emilia eine Hübschlerin mit hübschen Lederstiefeln, silbernen Ohrringen und Armreifen und mit einem Dekolleté, das Männerherzen höher schlagen liess.
    „Das wird sie ablenken, falls sie wirklich reinschneien! Schau Mal, was die Kerle treiben!“, prophezeite Mirabella, bevor sie Cecilia hinausschickte.
    Emilia starrte auf das königsblaue mit Rüschen besetzte Kleid und ihre Brüste, welche plötzlich gross wie Orangen waren.
    „Die Freier würden sich um dich scheren wie die Spatzen sich um das frische Brot!“, meinte Mirabella lachend, während sie Emilias Gesicht einpuderte und mit Rouge verschönerte, ihre Lippen weinrot färbte und ihre Augen mit einem dunklen Blau und Schwarz umrahmte.
    „Himmel, was machen wir mit den Haaren?“, sie starrte verzweifelt auf die braunen Locken, welche noch immer völlig zerzaust waren von dem gestrigen Abenteuer.
    Schliesslich schaffte sie es, diese zu einem dicken Zopf zu flechten, der Emilia seitlich über die Schulter herunterhing und sogar elegant anmutete.


    Als Cecilia wiederkam war sie in Begleitung eines jungen Mannes und blickte Emilia verdutzt an.
    „Wie hast du das nur hinbekommen?“
    Als Emilia einen Blick in den Spiegel warf, konnte sie ihr Erstaunen verstehen. Von dem unschuldigen Mädchen war nichts mehr übrig geblieben ausser dem ängstlichen Blick.
    „Schau nicht so verzweifelt Kind. Du musst Selbstbewusstsein vortäuschen. Die Kerle stehen auf Wildkatzen! Wie ist die Lage?“
    „Sie kommen gleich hoch. Ich dachte, vielleicht könnte Thomas als Accessoire herhalten. Er… schuldet mir noch einen Gefallen“, Cecilia lächelte beinahe unschuldig und zwinkerte dem Jüngling neckisch zu, welcher sogleich errötete. Dann verschwand das Mädchen auch schon in ihr eigenes Zimmer.


    Keinen Moment zu früh, denn da klopfte es auch schon an die Tür und Mirabella fuhr herum.
    „Na los, Thomas, stell Dir einfach vor, das sei Cecilia“, sie schubste den Mann auf Emilia zu, was jedoch gar nicht mehr nötig gewesen wäre, denn er starrte bereits beinahe unverschämt auf ihren Busen.
    Emilia verstand inzwischen nur noch Postkutsche, doch da öffnete Mirabella bereits.
    Thomas war weniger begriffsstutzig wie die junge Frau, ausserdem war er ihr nicht abgeneigt, und als die beiden Wachen mit prüfendem Blick eintraten, hatte er das Mädchen bereits zu sich herangezogen und presste seinen Mund auf den ihren.
    Zum Glück war Emilia so perplex, dass sie ihn nicht einmal wegstossen konnte, und als sie realisierte, was da gerade passierte, hatte er sich schon von ihr ab- und den beiden Wachen mit empörtem Blick zu gewandt: „Was soll das denn bitte?“
    Verlegen huschten die Augen der beiden Diensthabenden zwischen den dreien hin und her.
    „Haben Sie zufällig eine junge Frau edlen Geblüts hier gesehen? Wir sind auf der Suche nach einer Vermissten. Sie wurde angeblich hier gesichtet.“
    Mirabella war wirklich gut darin, ihre Rolle zu spielen.
    Sie lachte hell auf und knickste vor den beiden Männern.
    „Ihr könnt uns gerne mit zu eurem Dienstherren nehmen! Gegen das richtige Entgelt werden wir natürlich auch schamhafte Ladys mimen!“
    „Da wird er sich aber gedulden müssen. Ich habe für die beiden Mädchen hier einen teuren Preis bezahlt. Und ich verlange das Geld zurück, wenn das so weitergeht!“
    Thomas zog Mirabella zu sich heran und zwickte ihr mit eindeutigem Vergnügen in den ausladenden Hintern, während er Emilia einen Kuss auf die Wange drückte und ihre Hüfte umfasste.
    Als die beiden Wachen zum nächsten Zimmer davonmarschierten, waren ihre Köpfe hochrot.

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  • Der Weg zurück … er war ein Spießrutenlauf für Dimicus, der eine Mischung aus den verschiedensten Gefühlen hatte. Einerseits hatte er das Gefühl, das Richtige getan zu haben, doch jenes wurde von dem paradoxen Gegengefühl überschattet, welches genau das selbige sagte. Er wusste in seinem Kopf nicht wirklich, wo oben oder unten war, weswegen er sogar recht unachtsam durch die Straßen Drakensteins lief, nicht wie sonst, mit Aufmerksamkeit auf seine Umgebung. Immer wieder redete er sich auf dem Weg ein, dass es wirklich richtig war, was er getan hatte. Doch sein Verstand und das Bauchgefühl sagten wieder doch ganz andere Dinge. Warum nur? „Du bist einsam.“, hallte es in seinen Ohren wieder, jene Worte, die Gunhilde zu ihm sagte. Alles danach beschäftigte ihn gar nicht weiter, nein, dieser eine Fakt und diese seltsame Gefühl, welches Emilia in seiner Nähe auszulösen vermochte – Schwachsinn! - sein Blick verfinsterte sich augenblicklich und er schritt völlig kalt voran.


    Es dauerte auch nicht mehr all zu lang, ehe er das Bordell erreichte, in dem um diese Zeit Hochbetrieb herrschte. Doch darum kümmerte er sich erst gar nicht weiter, nein, seine Beine trugen ihn schnurstracks nach oben. Jeder der ihm im Weg war, wurde unsanft beiseite geschoben, weswegen die eine oder andere Beleidigung an seinen Kopf geworfen wurde. Diese jedoch völlig ignoriert habend, stand er vor seiner Tür, welche er schwungvoll öffnete, so dass deren Knauf lautstark gegen die Wand prallte. Sie hinter sich nur noch mit dem Fuß geschlossen, lag er augenblicklich einen Mantel ab und setzte sich auf das Bett.


    Anfangs saß er einfach nur steif da, sein Blick starr gegen die vor ihm liegende Wand gerichtet. Als ob man ihn in eine Paralyse versetzt hätte, keine Regung, nicht einmal der Atem entwich ihm. die Welt um ihn herum schien still für ihn, nichts bewegte sich und selbst die Zeit, sie hatte einfach gestoppt. Doch plötzlich – als ob etwas in ihm aufbrach – sackten seine Schultern zusammen, seine komplette Körperhaltung fiel zu einem kleinen Klümpchen Elend zusammen. Sein Oberkörper neigte sich nach vorn, ehe er seine Arme auf die Beine abstützte und schließlich das Gesicht in seine Hände vergrub.


    Tiefe Trauer machte sich in dem sonst souveränen und kühlen Künstler breit. Er fühlte sich Elend und im Angesicht dessen, schaffte er es nicht einmal mehr, seine Tränen zurückzuhalten. Vollkommen emotional erschöpft, begann er still zu weinen. Wut übermannte ihn über das, was er noch vor nicht mehr als eine Stunde getan hatte. Genau so folgten Gefühle wie Trauer und Hass. Wieso war er so naiv und war auf das Gezeter Gunhildes hereingefallen. Ja, er war einsam, doch bedeutete es das unbedingt, einen Menschen wegzuschicken, der ihm näher gekommen war, als ein anderer die letzten Jahre überhaupt? Er war vollkommen überfordert, er verstand nicht, was mit ihm geschah, was ihn nur noch mehr verzweifeln ließ. Das Gefühl übermannte ihn, keine Kontrolle mehr über sich zu haben, was jedoch ein Trugschluss war.


    Dennoch fühlten sich seine folgenden Bewegungen nicht von ihm herbeigeführt an, in denen er seine Handschuhe auszog, dazu noch seine linke Armschienen. Langsam erhob er sich und griff nach einer leeren Leinwand, welche er auf die Staffelei aufspannte. Seine Rechte griff unter den Mantel, zog einen seiner Dolche hervor und ehe er sich versehen konnte, schnitt er sich in den linken Unterarm. Ein weiterer Schnitt, der sich zu den Narben gesellen sollte. Mit kalter Miene und ohne groß darüber nachzudenken, ließ er den Dolch einfach fallen griff recht neben sich und nahm einen Pinsel. Mit schwungvollen Bewegungen tunkte er dessen Spitze in sein Blut und begann die Leinwand mit Farbe zu füllen.


    Allmählich entstand Strich für Strich die Konturen einer Löwin, die mit strahlenden Augen gegen den Himmel schaute. Die blutroten Konturen verliehen dem gesamten eine gewisse Note und tatsächlich nicht einmal etwas unheimliches. Würde das Blut erst einmal getrocknet sein, war es eine majestätische Malerei, der allerdings nur ein einzelnes Detail fehlte. Mit seiner letzten Kraft und Mühe, nahm er sich noch etwas grüne Farbe, füllte damit die Augen aus. Nun blickten zwei minzgrüne Augen den Himmel und er kam trotz der Einfachheit nicht darum, dieses Bild wunderschön zu finden. Im selben Moment schoss ihm Emilia in den Kopf. Mit Sicherheit war dies kein Zufall, dem war er sich bewusst, doch was hatte sie gemacht, dass sie ihn so sehr in ihren Bann gezogen hatte? Sein Kopf, seine Gefühle. Er verstand es nicht.


    Mit schlagartig erkalteter Miene allerdings, atmete er plötzlich einfach entspannt durch. Seine Züge wurden wieder regungslos. Sein Körper bewegte sich fast autonom, aus erlernten Bewegungsmustern und Persönlichkeitszügen. Zuerst versorgte er seine sich selbst zugezogene Wunde, darauf legte er sein Rüstung ab und entfernte die Waffen von seinem Körper. All das wurde fein säuberlich in die Kommode untergebracht, genau so wie die Kleidung die noch wüst umher lag. Kaum fertig, löschte er alle im Raum befindlichen Kerzen und ging ins Bett. In einer Apathie ausgeführt und nun regungslos im Bett liegend und schlief ein. Träume plagten ihn, doch würde er sich nicht an deren Inhalt erinnern können...


    Freudig hatte die Sonne den jungen Mann aus seinem Schlaf gerissen, welcher vollkommen müde und erschöpft sich erhoben hatte. Die Nacht war ein Graus für ihn gewesen, so hatte er fast keine Erholung aus dieser bekommen können. Kaum noch und sehr wage erinnerte er sich daran, was er getan hatte, bevor er sich zur Ruhe gelegt hatte. Selbst das Gemälde, er konnte sich nicht vollständig daran erinnern, es gemalt zu haben. Nur der frische Schnitt an seinem Arm hatte ihn daran erinnert, dass zumindest er der Erschaffer dieses wundervollen Gemäldes war. Ein warmes Gefühl hatte ihn umschlossen, als er es betrachtete und an Emilia erinnert wurde.


    Mittlerweile hatte er sich bekleidet und zuvor noch ein Bad genommen. Noch nicht ganz wusste er, was er nun mit sich anfangen sollte. Emilia war nicht da, jene Frau, nach der er die letzten Tage ausgerichtet hatte. Dazu war sein rechter Arm schmerzhaft und kaum beweglich, es war ein Wunder, dass er dieses Bild hatte malen können. Ruhend saß er an dem Tisch in seinem Raum und nahm eine Mahlzeit zu sich. Etwas, was er am gestrigen Tage vollkommen vergessen hatte, während sie bei ihm war. Ihre Sachen im Raum – sie waren noch alle an den Orten, an denen sie diese abgestellt oder abgelegt hatte. Er hatte sich nicht getraut, sie zu berühren oder wegzuräumen. Wie er es sich eingestand, so wusste er nicht einmal genau warum. Etwas in ihm verwehrte ihm das. So nahm er einfach nur in Gedanken versunken sein Frühstück zu sich und genoss es, auch wenn es aus der Küche des Bordells stammte.


    Plötzlich wurde jedoch die Tür aufgerissen, zwei bewaffnete Männer betraten ohne zu fragen den Raum. Offensichtlich Wachen und just in diesem Moment schreckte Dimicus auf. Hatte man ihn entdeckt? Verraten? Wollte man ihn töten oder verhaften? Das Herz des jungen Mannes schlug plötzlich wild, als einer der beiden ihn misstrauisch fixierte. „Ihr da! Wir suchen eine junge Frau edlen Geblüts! Könnt Ihr uns etwas sagen?“ Neugierig und doch sehr misstrauisch blickte sich der andere Wachmann um, inspizierte gar die Gemälde. Innerlich regulierte Dimicus seinen Puls, seinen Atem und schien vollkommen gefasst nach außen. „Davon gibt es hier mehrere in der Stadt, Ihr müsst schon genauer werden.“, antwortete der junge Künstler vollkommen unschuldig und nichtsahnend.


    Die Wache vor ihm seufzte, zog etwas aus der Tasche hervor und hielt es ihm unter die Nase. Alles nur anfängliche Ablenkung, dass wusste Dimicus. Sie hatten längst Verdacht geschöpft und der andere Mann inspizierte fröhlich seine Räumlichkeiten. „Ahh, Emilia von Kreuzenstein, richtig?“ Der Mann vor ihm nickte. „Leider kenne ich sie nur von den Steckbriefen, gesehen habe ich sie nicht.“ Stumm nickend nahm die Wache es hin, faltete den Brief wieder zusammen. Doch im selben Moment ertönte aus einer anderen Ecke seines Zimmers: „Was macht Ihr eigentlich allein in diesem Raum, der Teil eines Bordells ist? Ich sehe hier kein Mädchen und dieser Raum wirkt auch nicht so, als ob hier Prostituierte ihrer Arbeit nachgehen.“ Dimicus seufzte innerlich, mahnte sich zur Ruhe.


    Langsam und vorsichtig erhob sich der junge Mann, die Wache vor ihm tat sofort einen Schritt zurück und legte eine Hand auf den Knauf der Waffe. Beschwichtigend hob Dimicus die Hände. „Die Besitzerin dieses Etablissements gewährt mir gegen Mietzahlungen einen ruhigen Ort. Ich bin Künstler, wisst Ihr? Am Tage hat man innerhalb dieser Mauern großartig Ruhe und kann sich auf seine Arbeit konzentrieren.“, war die ruhige Antwort des Künstlers, die für die beiden Wachen nicht ansatzweise befriedigend aussah. „Da sucht Ihr Euch nicht eine eher … passendere Umgebung? Zumal Ihr mit Euren Verletzungen nicht gerade ausseht, als wärt ihr Maler. Nennt mir Euren Namen, Bürger.“ - „Nothaniel Sturmwind, die Herren. Vielleicht habt Ihr ja eines meiner Werke bereits auf einem Markt oder in einem der Anwesen von reichen Familien gesehen?“ Die beiden Männer beäugten sich, ehe der Partner wieder an seinen Mitstreiter herantrat.


    Noch wusste Dimicus was er tat und schaffte es, den Verdacht von sich abzulenken. Doch viel wichtiger war, warum sie ausgerechnet hier nach Emilia suchten? Hätte man ihn oder ihren Aufenthaltsort verraten, würden sie nicht so investigativ einfach nur Befragungen durchführen. Etwas stimmte nicht … vielleicht aber …? War Emilia ihm gefolgt? Das konnte nicht sein, würde sie das wirklich tun? Unwahrscheinlich. Oder? „Von einem Künstler mit diesem Namen haben wir noch nie gehört und wenn Eure Werke, wie Ihr sagtet, in Herrenhäuser hängen sollen, dann müsste man doch Euren Namen kennen.“, unterbrach einer der Beiden seine Gedanken. Sein Argument war gut und offensichtlich hatten sie mehr Intelligenz, als der Künstler ihnen zugetraut hatte. „Ja, das mag sein. Doch ich verkaufe meine Werke anonym, beschert mir mehr Ruhe, wenn Ihr versteht.“ Die Wachen schauten sich gegenseitig an, sehr misstrauisch. Dimicus wusste, dass er nach dieser Begegnung ein neues Versteck brauchte. „Nun gut, wir sind hier fertig.“, ertönte es plötzlich, der Künstler ahnte, dass es nicht das Letzte von ihnen sein würde, wenn er nicht in den nächsten Tagen verschwinden würde. Damit verschwanden sie wieder so eifrig, wie sie gekommen waren.


    Das Herz des Almanen hörte beinahe vor Anspannung auf zu schlagen, so dass er mehr als laustark aufatmete, als sie die Tür hinter sich wieder schlossen. Beinahe in Windeseile, sein Frühstück vollkommen vergessen, legte er sich sich seine Ausrüstung an. Es gab nur eine Erklärung, was die Wachen hier machten. Niemand hatte sie beide verfolgt, als Dimicus mit ihr unterwegs war und allein war Emilia nie in den letzten Tagen hierhergekommen. Also gab es nur eine Möglichkeit – sie wurde gesehen wie sie in das Bordell hineingegangen war, aber nicht wieder heraus. Seine vorherigen Meinungen waren wie weggeblasen. Er wusste, dass sie nicht zu der korrupten Familie zurückwollte und sie sonst kein Zuhause hatte, egal was Gunhilde sagte. Er musste sie beschützen, genau so, wie sie es auf eine fremdartige Weise geschafft hat, ihn zu berühren. Sei's drum, in den nächsten Tagen musste viel geschehen, doch zuerst musste er Emilia finden.


    Am naheliegendsten lag ein Ort, der in diesem Bordell sein konnte. Wie hatte Emilia sie genannt, Mirabella? So ungefähr zumindest hieß ihre gewonnene Freundin in diesen Wänden. Vorsichtig öffnete er die Tür und lugte hinaus auf den Gang. Von den Wachen war keine Spur mehr, genau so wenig von weiteren herumschnüffelnden Personen. Nachdem er sich wirklich sicher war, zu seinem eigenen Wohl, schritt heraus auf den Gang und direkt zum Schlafzimmer Mirabellas. Ohne zu zögern öffnete er die Tür und trat ein, nachdem er keine eindeutigen Geräusche vernommen hatte. Ein seltsames Bild offenbarte sich ihm, was ihn stutzig werden ließ. Zwei Prostituierte, darunter Mirabella und ein sehr junger Mann. Alle Augen lagen plötzlich auf ihm, seinem plötzlichen Auftreten geschuldet, doch konnte er in all ihren Augen sehen. War die eine Prostituierte etwa … „Emilia?“ Sofort schob sich Mirabella vor und warf ihm erzürnt entgegen: „Was fällt dir eigentlich ein?! Du kannst hier nicht einfach hinei- …!“ - „Wir haben ein größeres Problem als das. Emilia, ich muss mit dir reden – unter vier Augen.“ Seine Hand streckte sich der jungen Frau entgegen, vollkommen ihre Aufmachung ignorierend.

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  • Emilia kam sich vor wie einer der Mimen, die ihr Vater einmal zu ihnen nach Hause eingeladen hatte, als er ein Bankett veranstaltete. Versteckt hinter einem der dicken Vorhänge hatte das Kind die lustigen Männer beobachtete, welche von einem Moment zum nächsten in eine neue Rolle hineinschlüpfen konnten.
    Nun war sie es, welche plötzlich eine Andere darstellen sollte.
    Als die Tür aufgestossen wurde von den Wachen und gleichzeitig Thomas ihren Mund küsste, war sie zu einer Salzsäule erstarrt und das Herz sackte ihr bis zu den Füssen vor Schreck.
    Das musste alles ein fürchterlicher Albtraum sein!
    Sie bemerkte nicht einmal wie weich seine Lippen waren oder dass er nach Erdbeermarmelade schmeckte vom Frühstück.
    Erst als er sie losliess und sich den beiden Diensthabenden zuwandte, begann ihr Gehirn wieder zu arbeiten.
    Hatte er es gerade gewagt, sie unsittlich zu berühren?!
    Wo sie doch mit Wilfried verlobt war und ausserdem aus viel besserem Hause war als dieser Thomas!

    Inzwischen hätte sie das Wangenrouge gar nicht mehr nötig gehabt, so heiss glühte ihr Gesicht. Beschämt stand sie da, bis Thomas ihr unauffällig in den Arm zwickte. Sie zuckte zusammen ab der Berührung, begriff dann jedoch, dass sie alles zu verraten drohte.
    Sie versuchte sich in einem anzüglichen Grinsen, wie es auch Mirabella tat, schaffte jedoch nur ein kümmerliches Lächeln.


    Als die beiden verschwunden waren, trat sie schnellstens von dem junge Mann weg und starrte dann sowohl ihn als auch Mirabella empört an.
    Verstanden die beiden denn gar nicht, dass dies wirklich zu weit ging?
    Ihre Freundin hingegen strahlte übers ganze Gesicht und gab Thomas einen freudigen Kuss auf die Wange.
    „Toll hast Du das gemacht, vielen Dank!“, zwitscherte sie ihm zu.
    „Liebes, fürs Erste haben wir sie erfolgreich vertrieben! Hast Du bemerkt, wie der eine auf Dein Dekolleté gestarrt hat? Ich sagte doch, Männer sind alle gleich! Nichts für Ungut, Thoms.“
    Emilia empfand dies zwar alles andere als gut, doch nun brachte sie auch ein ehrliches Lächeln zu Stande. Dankbar realisierte sie nämlich, dass sie bloss Dank Thomas, Cecilia und Mirabella nicht aufgeflogen war.
    Sie nickte ihm schliesslich freundlich zu und umarmte ihre Freundin, wobei sie jedoch schnell wieder losliess, denn ihre Prellungen meldeten sich dabei schmerzhaft zu Wort.
    Eine Zeit lang liess sich die Prostituierte noch über die dämlichen Gesichter der Wachen aus, dann überlegten sie gemeinsam, wie es nun weitergehen sollte.
    „Ich weiss nicht, ob Du hier bleiben kannst“, wandte sich die Ältere an Emilia.
    „Und ob Du direkt neben Deinem seltsamen Freund wohnen möchtest, wo er Dich doch so behandelt hat, wage ich auch zu bezweifeln. Vielleicht kenne ich jemanden, der Dich bei sich aufnehmen könnte, wenn Du Miete bezahlst. Und ich habe bereits dem Koch gefragt, der meinte, dass er eine Küchenhilfe gut gebrauchen könne. Na, was sagst Du dazu?“


    Bevor das Mädchen jedoch darauf antworten konnte, wurde abermals die Tür aufgerissen. Thomas trat instinktiv einen Schritt näher zu ihr heran, denn wer sollte so vehement hereinstürmen, wenn nicht wieder die unliebsamen Wachen?
    Dimicus?
    Emilia starrte ihn unverwandt an und verschiedene Gefühlsregungen waren in ihren Augen gleichsam zu erkennen. Einerseits erfreute sie sein Anblick, da er es offensichtlich nach Hause geschafft hatte, obwohl er noch immer sehr erschöpft und gequält wirkte. Andererseits war sie voller Misstrauen, denn er ihr Leben wieder einmal über den Haufen geworfen.
    Was tat er hier? Und warum platzte er einfach so herein? Konnte er etwa wissen, dass sie hier war? Wollte er sie eigenhändig nach Hause verfrachten, nachdem sie seiner Aufforderung nicht Folge geleistet hatte?
    Ihr Gesicht war ein offenes Buch und ihre Fragen waren von ihren Augen abzulesen.


    Einen Moment wirkte jedoch auch der junge Mann perplex, bevor er sie zwischen ihren Freunden erkannte.
    „Emilia?“
    Sogleich schob sich Mirabella schützend vor das Mädchen und stemmte die Hände in die Hüften.
    Einen Moment dachte sie bestürzt an ihre Gewandung, und wie sie aussehen mochte, doch dann schüttelte sie diese Gedanken von sich ab. Es war nichts Unrechtes an Mirabellas Beruf, das hatte ihr diese einmal erklärt. Natürlich war es nicht der Lebensstil, den sie sich selbst gewünscht hätte, doch allemal schadete ihre Freundin damit keinem Menschen, was man von der Gestalt im Türrahmen nicht behaupten konnte.
    „Was fällt dir eigentlich ein?! Du kannst hier nicht einfach hinei-…!“
    Doch Dimicus unterbrach sie, bevor sie ihren Satz mit einer wütenden Geste vollenden konnte.
    „Wir haben ein größeres Problem als das. Emilia, ich muss mit dir reden – unter vier Augen.“
    Die Gestaltwandlerin dachte jedoch nicht im Mindesten daran, ausgerechnet jetzt mit ihm alleine sprechen zu wollen. Sie ignorierte seine Hand und funkelte ihn bloss mit ihren grünen Augen an.
    Vielleicht hatte er ja die Wachen gerufen und da sie ohne ihre Beute abgezogen waren, wollte er die Sache selbst in die Hand nehmen.
    „Emilia möchte nicht mir Dir alleine sprechen. Wenn Du etwas zu sagen hast, dann sag es jetzt und hier! Wenn es nach Dir ginge, wäre sie gar nicht da. Nur dank uns konnte sie den Wachen entgehen!“, pfurrte Mirabella nun, da sie den abweisenden Blick ihrer Freundin bemerkte.
    Auch Thomas, der zwar wahrlich kein Mann von besonderer Grösse war, stellte sich schützend neben die beiden Frauen.
    Die Jüngere war dankbar für die Unterstützung, welche sie erhielt. Ansonsten wäre sie vermutlich trotzdem mit Dimicus mitgegangen, doch so verschafften ihr die beiden Halt und machten ihr Mut für ihre eigenen Wünsche einzustehen.
    Sie verschränkte ihre Arme und schaute ihn nun ebenfalls erwartungsvoll an.
    Wenn es so wichtig war, was er zu sagen hatte, konnte er es auch jetzt ausspucken!

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  • Dimicus


    Das Bild vor ihm betrachtend, wusste er anfangs gar nicht wie er reagieren oder was er sagen sollte. Langsam nahm er seine Hand wieder hinunter und blickte die drei vor ihm an. Was sollte denn das noch?
    Er hatte schon immer gewusst, dass Mirabella wohl irgendwann ein Problem werden würde und das, was ich da gerade vor ihm auftat, war die Bestätigung dafür.
    Leise seufzte der junge Mann, sah dann aber Emilia gezielt an, ignorierte die anderen beiden. In ihrem Blick blitzte etwas auf. Widerstand, Entschlossenheit und eiserner Wille. Unweigerlich musste der junge Mann lächeln. Tatsächlich erfreute es ihn, dass er diese Dinge in ihren Augen erkennen und ihre Freunde ihr dabei helfen konnten, genau das zu entfachen.
    Langsam drehte sich Dimicus um, schloss die Tür hinter ihnen und widmete sich schließlich wieder der kleinen, verschworenen Gruppe vor ihm.
    Die Kapuze zog er zurück und offenbarte damit sein Gesicht, ein unschuldiges Lächeln und ein aufrichtiger Blick zeichnete sich in seinen Zügen ab. Zwar nicht graziös und unter Schmerzen vollbrachte er eine volle Verbeugung, verharrte so aber, um seine Unterwürfigkeit und seinen Demut zu demonstrieren. Etwas, was ihm ein tiefes Gefühl der Scham und seinem Ego einem heftigen Stoß versetzte. Seinen Blick richtete er auf, damit man auch eindeutig seine Lippen sehen konnte.
    „Ich weiß, dass das was ich getan und gesagt habe, nicht ehrenvoll war. Um ehrlich zu sein habe ich nicht damit gerechnet so inkonsequent zu sein, doch die Frau … sie hatte wahre Worte gesprochen. Wie dem auch sei, Emilia, du bist in Gefahr. Ich nun auch. Die Wachen wissen, trotz deiner ... ähh … Verkleidung, dass du hier bist. Sie haben dich wohl gesehen.“
    Langsam richtete er sich wieder auf.
    „Ich bitte dich, auch wenn ich dich nicht fair behandelt habe am gestrigen Abend, mit mir zu kommen. Wir müssen das beenden, bevor es Überhand nimmt.“
    Ein sorgenvoller Blick schlich sich in seine Augen und er hasste es, so demütig sein zu müssen.


    Emilia


    Mirabella blickte etwas irritiert zwischen den beiden hin und her, verstand sie doch nicht alles, was Valerius da verzapfte. Die Beziehung der beiden musste wohl um einiges komplizierter sein, als erwartet. Doch offensichtlich war da noch mehr, von dem Emilia ihr nicht berichtet hatte.
    Und warum war der Kerl jetzt plötzlich in Gefahr?
    Das roch ja geradezu nach einer Verschwörung.
    «Die Wachen haben gar nichts bemerkt», wandte da Mirabella ein, «doch ich bin trotzdem derselben Meinung wie du, dass Emilia nicht hierbleiben kann. Genauso wenig, wie sie mit Dir mitgehen sollte! Du hast bereits genug angerichtet! »
    Emilia hatte die Worte ihrer Freundin nicht mehr abgelesen, sondern nach Stift und Pergament gesucht.
    Schliesslich schrieb sie bloss eine Frage darauf: Wohin willst Du denn gehen?
    Die Stadt war voller Menschen, die nach ihr suchten, um eine Belohnung einzukassieren. Obwohl er selbst zu verantworten hatte, dass er sich bedeckt halten musste vor den Wachen, hatte sie ihn doch nicht in Schwierigkeiten bringen wollen.
    Und zuvor hatte sie auch ihre Freunde in Gefahr gebracht.
    Was wäre mit ihnen geschehen, wenn ihre Tarnung aufgeflogen wäre? Vielleicht hätte man sie in den Kerker geworfen oder gar Schlimmeres?
    Sie fühlte sich plötzlich nicht mehr wohl in ihrer Haut.
    Vielleicht wäre es das Beste…
    Ich werde dahin zurückkehren, wohin ich gehöre. Diese Welt ist nicht die Meine. Gunhilde hatte Recht mit ihren Worte, das stimmt.


    Dimicus


    Die Einwände und Fragen Mirabellas ignorierte Dimicus getrost, sie konnte nicht ahnen und wissen, wie komplizierter alles ist, was sich Emilia und er aufgebaut hatten. Vermutlich ging sie von etwas vollkommen flachen aus.
    „Lasst Emilia für sich sprechen.“, warf er nur ein und bekam im nächsten Moment auch schon den Zettel von Emilia gereicht. Das was darauf stand, damit konnte und wollte er nicht übereinstimmen. Nein, ganz im Gegenteil.
    Emilia lag falsch, genau so wie Gunhilde. Sie hatte recht, dass er einsam war und Emilia der erste Mensch, bei dem er sich auf eine seltsame Art wohl fühlte, aber nicht das Emilia wieder zurück zur Familie sollte. Auch er hatte sich in diesem Punkt vollkommen geirrt und musste sich das erst recht eingestehen.
    Nachdenklich nahm er einen Stift zur Hand und betrachtete die Worte vor ihm. Sie glaubte also auch, genau so wie er anfangs, dass es die bessere Wahl wäre. Doch das war es nicht und er wusste aber, dass er sie nicht ihres freien Willens berauben durfte.
    Ich kenne einen Ort, an dem wir uns niederlassen können. Er ist noch immer in der Stadt, aber wesentlich ungestörter als hier. Es ist nicht nötig, dass du zurück zu deiner Familie gehst. Wir werden dafür sorgen, dass du die Kontrolle über deine eigene Planung und dein Familienleben zurückerlangst. Hör zu ich …
    Für einen Moment starrte er auf das Blatt und sinnierte, ob er seine gedachten Worte wirklich schreiben sollte. Seine Hand jedoch, war schneller.
    ... ich mag dich Emilia, du bist ein wundervoller Mensch. Ich weiß was ich gestern sagte und es war der größte Irrtum, den ich treffen konnte. Du gehörst nicht dorthin, jedenfalls nicht als das, was du jetzt bist. Du bist so viel besser als das. Gib mir die Möglichkeit … die Ehre … dich als Diener, wenn nicht sogar Freund auf diesem Wege begleiten zu dürfen.
    Sein Kopf war, was er gar nicht mitbekam, hochrot angelaufen, als er diese Worte schrieb. Sein Herz pochte wild, so musste er sich eingestehen seine Kühle abgelegt und ihr etwas erzählt zu haben, was er so am liebsten gar nicht gesagt hätte.


    Emilia


    Völlig unverblümt starrte Mirabella ebenfalls auf den Zettel als sie bemerkte, wie Emilia ihn unschlüssig anstarrte.
    «Schau, schau. Endlich kapiert er, was er an Dir hat», zufrieden nickte ihre Freundin.
    «Kommt Dir aber reichlich spät in den Sinn, Bursche!»
    Emilia war sich unschlüssig, wie sie sich entscheiden sollte.
    Gunhildes Worte hatten so weise geklungen, und die alte Frau schien Dimicus ausserdem bereits viele Jahre zu kennen.
    Warum sollte sie ihrer Warnung also keinen Glauben schenken und sie in den Wind schlagen?
    «Du trägst da aber schon etwas dick auf Valerius, meinst Du nicht?», warf da Mirabella wieder ein.
    «Liebes, möchtest Du denn wirklich zu deiner Verwandtschaft zurückkehren? So wie du immer von ihnen gesprochen hast, klangen sie nicht nach sehr liebevollen Menschen. Egal was Du möchtest, ich werde Dich auf jeden Fall darin unterstützen!», ermutigte sie da die Prostituierte wieder.
    Emilias Blicke schossen zwischen Mirabella und Dimicus hin und her, bis sie sich schliesslich die Hände vors Gesicht schlug. Am liebsten wäre sie wieder zu dem Moment zurückgekehrt, wo sie am Fluss unter der Trauerweide gesessen hatten. Da war alles so friedlich gewesen, so unbeschwert.
    Doch die Erinnerung an diesen Augenblick beeinflusste schliesslich auch ihre Entscheidung.
    Dimicus hatte ihr einen der schönsten Momente in ihrem Leben beschert, die grässlichsten jetzt einmal aussen vorgelassen.
    Ich komme mit, wenn Mirabella auch mitkommt. Ich möchte, dass sie weiss, wo ich bin.
    Sogleich nickte ihre Freundin zustimmend.
    «Genau, dann weiss ich, dass das Mädel in Sicherheit ist. Von mir wird sowieso keiner was erfahren!»
    Thomas hatte sich inzwischen auf einen Stuhl fallen lassen und verfolgte mehrheitlich das Wippen von Emilias Brüsten und das Wackeln von Mirabellas Hintern, anstatt ihre Worte.


    Dimicus


    Am liebsten hätte Dimicus die Prostituierte aus dem Raum geschleppt und aus diesen Sachen herausgehalten, aber so wie Emilia es auch wollte, hatte er keinerlei Wahl, als sich dem Willen der Löwin zu beugen.
    „Nun gut, dann sei es so. Ihr könnt dann auch Malik ausrichten, wohin ich gehe. Dann weiß sie auch Bescheid.“
    Er deutete noch einmal auf den Zettel in Emilias Hand, ließ in sich zurückgeben und schrieb: Ich danke dir … vom ganzen Herzen.
    Bewusst hielt er den Zettel so, dass nur Emilia diese Worte lesen können würde. Sie waren auch ausschließlich für sie bestimmt. Darauf wanderte sein Blick zu Thomas, der da saß und starrte.
    „Zudem möchte ich, dass Emilia sich umzieht. Der Junge da tropft gerade den kompletten Boden voll mit seinem Speichel.“, deutete er nur noch an und zeigte auf den jungen Mann.
    „Wir werden unsere Sachen packen, noch heute.“


    Emilia


    Emilia wagte ein erleichtertes Lächeln zu Mirabella hinüber, welche ihr verschwörerisch zuzwinkerte und wortlos formte: «Siehste, wir Frauen müssen nur zusammenhalten, dann tanzen die Männer nach unserer Pfeife!»
    Schliesslich konnten sie sich darauf einigen, dass Emilia frische Sachen holen würde, sich bei ihrer Freundin umziehen konnte, während Dimicus anfing, seine Habe zusammenzupacken. Am Ende würde er bei Mirabella anklopfen und diese würde sie begleiten.
    „Danke nochmals für deine Hilfe Thomas, Cecilia erwartet Dich bestimmt bereits sehnlichst“, grinste die Prostituierte und schob ihn zur Tür hinaus.
    Emilia und Dimicus folgten sogleich. Sie hielt sich hinter ihm und starrte etwas unbehaglich zu Boden. Es war seltsam ohne Mirabella, welche für sie die Wortführung übernahm. Dabei hatte sie sich doch noch am Tage zuvor so unverfänglich in seiner Gegenwart verhalten können.
    Als sie das Zimmer betrat, fiel ihr das Frühstück auf, welches noch immer auf dem Tisch herumlag und sie fragte sich unwillkürlich, was er den Wachen erzählt hatte, um ihnen sein Dasein zu erklären und ihre Aufmerksamkeit von ihm abzulenken.
    Dann jedoch fiel ihr Blick auf das Gemälde. Das war doch nicht…?
    Mit einigen schnellen Schritten war sie an das Bild herangetreten. Auch ohne den Geruch in ihrer Nase wusste sie bereits, dass diese leuchtend rote Farbe bloss Blut sein konnte.
    Tatsächlich hatte er es gewagt, sie, denn die grünen Augen konnten kein Zufall sein, mit Blut auf einer Leinwand zu verewigen. Sein Blut?
    Bevor er auch nur reagieren konnte, hatte sie das Werk von der Leinwand genommen und knallte es schwungvoll auf den Boden.


    Dimicus


    Erleichtert dass diese Situation gelöst war, folgte er schließlich den Anweisungen Mirabellas und ging hinüber in seinem Raum um seine Habe zusammen zu packen. Er würde einiges unbedingt mitnehmen wollen und er kam nicht herum, seine Sachen durchsuchen zu müssen. Mit einem Blick auf Emilia, die sich anfangs noch neugierig umschaute, wusste er, dass sie sich noch nicht gänzlich wieder wohl fühlte. Er spürte schmerzlichst seinen Fehler, den er noch am vorherigen Abend begangen hatte. In diesem Moment bedauerte er es, letztendlich wusste er, dass diese Frau ihn ebenso mochte. Warum hatte er das einfach verstoßen wollen, wo er es doch zuvor so genossen hat?
    Wenn auch nicht gänzlich bewusst. Doch eines musste er der Situation lassen. Ohne diesen Fehler hätte er niemals den wahren Wert Emilias für ihn herausgefunden.
    Schon im nächsten Moment wurde seine Suche nach den ihm wichtigen Dingen jäh unterbrochen, als er ein lautes Scheppern durch den Raum vernahm und noch gerade im richtigen Moment erkannte, dass Emilia sein Bild auf den Boden geworfen. Sie drohte mit ihren Bewegungen gerade, es auch noch völlig zu zerstören!
    Eilig rannte er zu ihr hinüber, nur um sie sanft festzuhalten, nicht hindernd, aber mit einem Flehen in den Augen, es nicht zu tun.
    „Ich verstehe, was du denkst.“, sprach er, als er in ihre funkelnden Augen blickte.
    „Die Farbe, das Blut was ich genommen habe, schau...“
    Vorsichtig entfernte er seinen linken Handschuh und die dazugehörige Armschiene, um die entsprechende Wunde freizulegen, aus der das Blut gekommen war.
    „Lass es bitte bestehen, es besteht aus meinem Blut und verkörpert etwas wichtiges für mich. Niemand musste dafür den Tod finden.“
    Darauf ließ er sie wieder los, es war ihre Entscheidung was sie nun tat.
    Er dahingehend sorgte dafür, dass er seine Habseligkeiten zusammensuchte, so wie er sie brauchte und wollte. Die kleine Holzfigur, Medizin, das Gegengift, die Farben und Pinsel. All die Gemälde, mit Ausnahme von zwei Stück, sollten hierbleiben.


    Emilia


    Emilia zuckte bei seiner Berührung zurück, hielt jedoch in ihrem Tun inne.
    Sein flehentlicher Blick verleitete sie schliesslich dazu auf seine Lippen zu achten, als er zu ihr sprach.
    Trotzdem fühlte sie noch immer die Wut in sich brodeln, welche sie jedes Mal erfasste, wenn sie seine besonderen Kunstwerke betrachtete und alles, was damit im Zusammenhang stand.
    Am liebsten hätte sie das Bild noch immer zertreten, zerrissen oder in hohem Bogen aus dem Fenster geworfen, doch sie unterliess es.
    Er zeigte ihr seinen Arm, doch sie wandte sich bloss abrupt ab, und begann ihre eigenen Habseligkeiten zusammenzusuchen. Sie fand einen vollgekritzelten Zettel, drehte ihn um und schrieb: Es mag sein, dass es besser ist, sich selbst zu verletzten, als andere Menschen für deine Obsession leiden zu lassen. Doch ich werde es niemals gutheissen. Auch dein Körper ist wertvoll.
    Nachdem sie dann ihr Zeug beisammen hatte, es bestand hauptsächlich aus Kleidungsstücken und einigen Pflegeprodukten, verliess sie ohne eine weitere Geste das Zimmer, um sich bei Mirabella umzuziehen.
    Inzwischen war sie doch froh, sich dafür entschieden zu haben, mit Dimicus zu gehen. Nur so war es ihr möglich, ihn im Blick zu behalten, und vielleicht weitere Todesfälle in der Stadt zu verhindern.
    Mirabella empfing sie mit guter Laune und half ihr aus dem Korsett und dem Kleid heraus.
    „Hier, die schenke ich Dir“, sagte sie und schob Emilia die schwarze und grüne Schminke zu.
    „Vielleicht musst Du dich ja wieder einmal verkleiden“, sie lächelte geheimnisvoll, dann wartete die beiden Frauen auf die Rückkehr von Dimicus.


    Dimicus


    Auf eine gewisse Art und Weise … verletzte es Dimicus, wie Emilia ihn wegstieß und ignorierte. Diese Frau würde ihn vollkommen um den Verstand bringen und vermutlich maßgeblich dafür verantwortlich, was ihm in der nächsten Zeit passieren würde. Seufzend sah er ihr nur hinterher, als er den Zettel las und den Kopf schüttelte, er verstand nicht.
    Konnte er es ihr nicht recht machen?
    Offensichtlich nicht und er musste sich eingestehen, dass es ihn ein wenig betrübte dies nicht erreichen zu können. Mit einem gleichen Blick suchte er nun voll seine Sachen zusammen. Wechselkleidung fand Platz in einem Rucksack, der ganze kleine Kram, Farben, Pinsel und die kleine Holzfigur wanderten in seine Umhängetasche, genau so wie seine medizinischen Güter. Nur die Staffelei und Leinwände, er konnte sie nicht tragen, weswegen sie dort verbleiben mussten. Also klemmte er sich die beiden Bildern, in denen die Löwin das Motiv war, unter den linken Arm und schritt voran, durch die Tür.


    Vorsichtig klopfte er an die Tür und öffnete diese, um in die Gesichter der beiden Frauen zu schauen. Mit einem wissenden und zugleich bestätigendem Nicken wies er auf seine Bereitschaft aufzubrechen hin. Doch noch kurz betrat er den Raum, um die Tür hinter sich schließen zu können. Leise sprach zu Mirabella: „Wir werden in ein Versteck der Diebesgilde gehen. Niemand wird uns dort finden, wenn wir vorsichtig sind.“
    Damit drehte er sich um und wollte gerade die Tür öffnen, da fiel ihm noch etwas ein, weswegen er sich nochmals umwandte.
    „Zudem müssen wir auf dem Weg genaustens nach auf uns gerichtete Augen aufpassen. Wir werden nicht den direkten Weg nehmen, sondern viele Umwege laufen. Um eventuelle Verfolger zu verwirren. Ach und Mirabella, bitte vergesst nicht Malik Bescheid zu geben. Es ist wichtig.“
    Damit öffnete er die Tür und schritt voran.


    Emilia


    Mirabella unterbrach sich in ihren Worten, als Dimicus eintrat.
    Sie nickte ihm zu und griff dann nach einem Korb, den sie bereitgestellt hatte.
    „Ich dachte, ihr könnt vielleicht noch etwas zu Essen gebrauchen. Wer weiss, ob es dort eine gute Küche gibt.“
    Der Korb war hauptsächlich mit Obst gefüllt und Emilia schnappte sich sogleich einen roten Apfel. Ihr fiel erst gerade auf, dass sie heute ja noch Nichts gegessen hatte.
    Als Dimicus jedoch von der Diebesgilde sprach und von möglichen Verfolgern, verdüsterte sich die Miene der Prostituierten.
    „Meinst du wirklich, dass das ein passender Ort ist für ein gutbetuchtes Mädchen? Womöglich versuchen diese Kerle Gewinn aus ihr zu schlagen“, mutmasste sie besorgt.
    Emilia hingegen konnte das neue Abenteuer beinahe riechen.
    Während der Stubentiger sich bereits ängstlich zusammenkauerte bei dem Gedanken, das erst gerade erlangte traute Heim verlassen zu müssen, tapste die Löwin unruhig herum.
    „Ich werde Malik darüber informieren. Doch warum ist das so wichtig? Habt ihr da etwa was am Laufen?“, sie schien alarmiert zu sein und ihr besorgter Blick galt wiederum Emilia.
    „Wenn ihr auch nur ein Haar gekrümmt wird, dann wirst du nicht mehr ruhig schlafen können, das verspreche ich dir!“
    Emilia bemerkte die Aufregung ihrer Freundin und fasste dann beruhigend ihre Hand, während sie mit ihrem Bündel unter dem anderen Arm nun Dimicus folgten, einen aufmerksamen Blick immer auf die sie umgebenden Menschen gerichtet.

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  • „Macht Euch keine Sorgen, wenn dann bin ich derjenige der darauf aufpasst, dass ihr niemand ein Haar krümmt. Mittlerweile dürfte ich genug Erfahrung haben.“, erklärte er nur noch einmal ruhig an beide Frauen gerichtet. Dabei deutete er mit seiner Linken auf seine noch immer zerfledderte Rüstung am rechten Oberarm, aus dem teilweise der Verband ersichtlich war. Mit einem leicht angedeuteten Grinsen zuckte er schließlich nur mit den Schultern und öffnete schließlich wieder die Tür, trottete mit Gepäck und den beiden Frauen hinaus in den Gang. Es war noch keine Spur von weiteren Wachen zu sehen, offensichtlich hatten sie sich zurückgezogen. Vorerst, doch es würde bestimmt nicht lang dauern, bis eine großangelegte Durchsuchung stattfinden würde. Das Misstrauen der Wachen war einfach nur zu groß gewesen.


    Im Schankraum selbst gab es keinerlei auffälligen Dinge, der übliche Betrieb, es versteckte sich auch niemand zwischen dem ganzen Hin und Her, also würde die reale Gefahr auf den Straßen auf sie warten. Somit hatte sich die Vorgehensweise des jungen Mannes bereits gefestigt, die Route war geplant und Ablenkungsmanöver durchdacht gewesen. Unsicher schaute er sich noch einmal im Raume des Bordells um, wo die verschiedensten Hübschlerinnen umherliefen, samt des Wachpersonals des Etablissements. Kurz vor der Tür hielt er inne, wartete einen Moment und blickte sich noch einmal um, dabei wirkte er, als ob er nachdenken würde und nicht, ob er gerade noch einmal die Umgebung prüfte. „Wir müssen die Köpfe unten halten.“, flüsterte er, kaum hörbar und für Emilia lesbar. „Bei Gefahr verstecken wir uns, folgt meinen Anweisungen, keine Widerrede.“ Diese lies er auch tatsächlich nicht zu, als er schon die Vordertür aufschwang und hinaus auf die Straße trat.


    Ab diesem Zeitpunkt war es eine wahre Tortur, nicht nur auf sich, sondern auch noch auf zwei Frauen zu achten. Offensichtlich war die Wachpräsenz nur noch höher und die Aktion Dimicus' sowie der Brief seitens Emilias an Wilfried waren vergebens, um die Situation zu beruhigen. Stattdessen scheint es etwas schlimmer geworden zu sein und er hatte ein unangenehmes Bauchgefühl, dass es nicht nur mehr Wachen waren, die nach Emilia Ausschau hielten. Mit dieser jungen Frau, mit Emilia, war viel mehr verbunden als Reichtum, so wie er sich den Aufwand in den Straßen betrachtete. Natürlich, war es nicht nur der Reichtum. Sondern auch Macht, der Name und die Geschäfte. So weit er wusste, war Frederick in mehr als nur wenigen illegalen Geschäften verwickelt. Umso wahrscheinlicher war es, dass man genau darüber Kontrolle erlangen wollte. Das würde weitreichende Konsequenzen haben, besonders wegen solcher Menschen wie Wilfried.


    Aus diesem Grund durften sie nicht entdeckt und Emilia beschützt werden. Im Grunde kümmerte es den Künstler nicht, wenn jemand allein die Unterwelt kontrollierte, doch wollte er nicht die Löwin als Marionette sehen. Sie war der Schlüssel, um an die Geschäfte zu kommen, sie entweder zu nutzen oder zu zerschlagen. Drum schlich sich Dimicus voraus, hielt die beiden Frauen nahe bei sich und achtete auf jede Bewegung die in der Nähe war. Auch wenn es vor allem für Mirabella anstrengend war, so legte der junge Mann ein zügiges Tempo vor, dass jedoch noch gut mit den Menschen auf der Straße harmonierte. Hier und da brach er aus, um urplötzlich in eine Gasse einzubiegen und die Gelegenheit zu nutzen, den Wirren der Straßen zu entgehen und eventuelle Verfolger zu identifizieren. Denn sie wären gezwungen gewesen, ihnen in den Wirren der Gassen zu folgen und hätten sich damit exponiert.


    Für den Künstler war es allem voran schwierig zudem noch, mit seinem mitgenommenen Arm diese ganze Sache durchzuhalten, bei den Dingen die er mit sich trug. Seine Gemälde durften nicht beschmutzt werden, so stellten die beiden unter seinem linken Arm doch seine persönlichen Favoriten dar. Etwas unbeholfen, dazu noch auf die Sicherheit seiner Begleiter achtend, schaffte er es aber dennoch durch die Gassen, ohne seine Gemälde fallen zu lassen oder Aufmerksamkeit auf die Truppe zu lenken. Es brauchte aber viel seiner Aufmerksamkeit und es war ermüdend, denn sie waren ganze zwei Stunden durch die Stadt geirrt, nur um den Plan seines Verstandes Folge leisten zu können. Mit großem Erfolg. So hatte er es geschafft, keine Verfolger auszumachen und erst Recht, sie allmählich näher ihrem Ziel zu bringen.


    Zugegeben, er war schon ein wenig müde, da war der Tag doch noch jung, sein rechter Arm pochte mit einem dumpfen Schmerz, der ihm die gesamte Zeit das Vorankommen erschwerte, aber er versuchte sich auf den Beinen zu halten. Teilweise wurde ihm schwummrig, kleine Pünktchen explodierten vor seinen Augen und sein Gang kippte manchmal leicht zur Seite. „Du solltest dich schonen, vor allem deinen rechten Arm.“, hallte es in seinem Kopf, Gunhilde meinte wohl, dass er sich komplett schonen sollte. Somit war die Aktion die er tat nicht gerade zuträglich. Zu seinem Glück waren sie bald da, versteckt in einer dunklen Gasse, in einer Einbuchtung, lag eine Klappe die in den Untergrund führte. Davor ein Mann, gehüllt in einer braunen Lederrüstung, Glatze, stämmig wirkend und mit einem Schwert bewaffnet. Zuvor lehnte er an der Wand, stieß sich aber sobald ab, als er Ankömmlinge sah. Erst als Dimicus direkt zur Klappe gehen wollte, stellte sich der Mann ihm auch direkt in den Weg. „Was gedenkt Ihr, wo Ihr hinwollt?“, knurrte der Schläger. Sein Blick und seine Stimme wirkten wirklich bedrohlich und man konnte ahnen, dass mit ihm nicht zu spaßen war.


    Dimicus aber antwortete nicht, blickte nur kurz hinter sich, als er seine rechte Hand auf die Schulter des Mannes legte, sofort spannte sich der Typ an und legte eine Hand auf sein Schwert. Der junge Künstler brachte seinen Mund an das Ohr des Mannes, flüsterte: „Des Schattens Freund.“ Augenblicklich entspannte sich der Mann. Weder für Emilia noch für Mirabella war es ersichtlich, was Dimicus gesagt hatte. Der Türsteher drehte sich um, öffnete die Klappe und deutete hinein. Schon jetzt konnte man einen Gang erkennen, der gut beleuchtet und tatsächlich gemütlicher war, als der Eingang zuerst anmuten ließ. Zudem kam eine gewisse Wärme aus dem Inneren heraus, es wirkte so, als ob dies ein Zuhause wäre, nur unter dem Boden. Unbewusst griff Dimicus nach hinten, zur Hand Emilias, doch kurz bevor er sie zu fassen bekam, zog sie ihm diese weg. Zuerst vollkommen verwundert, so wäre ihm diese Geste gar nicht aufgefallen, hätte Emilia diese erwidert. Doch so? Es wirkte befremdlich, wie diese Geste eine Selbstverständlichkeit für ihn geworden war, so verzog er allerdings keine Miene und verdrängte es, während er einfach voranschritt.


    Kaum waren sie die Treppe hinuntergegangen, bestätigte sich der Ersteindruck des Ganges beim durchgehen. Überall hingen Fackeln, die viel Licht als auch Wärme spendeten. Hin und wieder hing ein Gemälde dazwischen, um den sonst kargen Gang zu dekorieren. Schaute man genauer hin, war auf dem einen oder anderen eine Rose zu erkennen, versteckt oder offen, es war unterschiedlich. Hier konnten sie sich aufwärmen, ehe sie zum Ende des Ganges einkehrten, der eine Tür beherbergte, die schwer schien und es auch wahr. Das schwere Portal aus altem Holz und Stein ließ sich nur schwer aufschieben, doch welcher Anblick sich ihnen dann bot, ließ erst gar nichts von einem eigentlichen Diebesversteck mutmaßen.


    Es war ein großer Raum, offensichtlich vom Bau her schon älter, der von fünf starken Säulen getragen wurde. Er war sehr gut beleuchtet, es lag ein angenehmer Geruch von Met und Bier in der Luft, während er hell und freundlich wirkte. Die mittlere, mitten im Raum platzierte Säule, wurde von einer Theke umringt, die offensichtlich zum Ausschank von Getränken genutzt wurde. Rundherum waren im Raum verschiedene Tische verteilt, mal große Tische an denen gesamte Gesellschaften Platz nehmen konnten, dann einige kleinere, für maximal zwei oder vier Leute. Hier und da saßen auch einige Personen, einige einzeln, in eine Ecke verzogen und ihr Bier allein genießen, aber auch sich lautstark unterhaltende Gruppen. „Hey, Faron!“, ertönte es plötzlich aus einer Ecke des Raumes. Als Dimicus dort hinblickte, empfing ihn ein ein breites Grinsen. Ein älterer Mann, was man an seinem grauen Haarschopf zu erkennen vermochte, saß allein an einem Tisch. Sofort wanderten alle Augen zu dem jungen Künstler, wandten sich aber schnell wieder ab.


    Mit einem Nicken und Handgruß, grüßte Dimicus zurück, da bemerkte er schon aus dem Augenwinkel, wie sich Shazeem erhob. Der Tamjid war groß gewachsen, aber recht schlaksig anzusehen. Eine schwarze Lederrüstung zierte seinen Körper. Dazu waren wie bei dem jungen Almanen zwei Dolche links und recht angebracht, genau so wie mehrere Wurfdolche. Mit bis zu beiden Ohren strahlenden Lippen, näherte er sich der Gruppe. „Du kleiner Schlingel, wen hast du denn da mitgebracht?“, sagte er nur, den Damenbesuch beäugend. „Hab dich lang nicht mehr gesehen, wie ist es meinem kleinen Schützling ergangen?“ Inzwischen stand der Tamjid bei der Gruppe und haute Dimicus auf die Schulter, so dass diese nach vorne gestoßen wurde und sich ein dumpfer Schmerz durch seinen Körper zog.


    Der junge Almane zog die Kapuze zurück und begegnete dem Älteren mit einem schwächlichen Lächeln, erst jetzt konnte dieser erst sehen, wie mitgenommen er war. „Hey, Shazeem. Ich lebe, wie immer. Du weißt schon.“ Sofort wandelte sich der Blick seines alten Meisters in ein besorgtes Gesicht, dass Dimicus misstrauisch beäugte. „Du siehst fertig aus.“ Er blickte auf Dimicus Arm. „Du solltest dich ausruhen. Ich denke deine beiden Frauen werden sich schon um dich kümmern. Lass uns später reden, ja?“ Ohne dass Dimicus überhaupt nur antworten konnte, hob Shazeem seine Hand und rief: „Hey Wirt, ein Zimmer für den jungen Mann und seine Begleitungen!“ Der etwas grimmig wirkende Almane mit schwarzer Mähne und Vollbart nickte nur, nachdem plötzlich ein Schlüssel angeflogen kam, den der Shazeem geschickt fing und an Dimicus weiterreichte. „Komm mit alter Freund.“, sprach Shazeem und nahm dabei die Gemälde des jungen Künstlers in die Hand, um diesen zu entlasten. „Danke.“, antwortete er knapp, zu kaum mehr hatte er Kraft. Sein Gesicht war mittlerweile bleich und kraftlos.


    Der Tamjid führte sie durch einen weiteren nahegelegenen Gang, der mehrere Türen beinhaltete. Offensichtlich Zimmer und man konnte mittlerweile ahnen, dass es wohl ein unterirdisches Gasthaus für Diebe und Einbrecher war, um sich zu verstecken. Schon bald standen sie vor einer Tür, die Shazeem aufschloss. Dahinter kam ein Raum zum Vorschein, der vielleicht halb so groß wie sein altes Schlafzimmer im Bordell war. Zwar stand dort auch ein Doppelbett, doch musste es in eine Ecke gestellt werden, damit man noch Platz zum Gehen und für die Kommode haben konnte. „Gut dann, ich lass euch mal allein. Ruft einfach, wenn ihr etwas braucht.“, erklärte der alte Mann, als er den Schlüssel auf das Bett warf und darauf verschwand. Augenblicklich ließ Dimicus die Umhängetasche und den Rucksack zu Boden gleiten, ehe ihm plötzlich stark schwummerig wurde. Langsam drehte er sich mit einem bleichen Gesicht um, lächelte schwach. „Ich … muss … nu-“, doch weiter kam er nicht. Urplötzlich begann er zu taumeln, seine gesamte Welt drehte sich, als es ihm schwarz vor Augen wurde. Das Letzte was er spürte, war wie er zu seinem Glück mit dem Rücken voran auf das Bett fiel, bevor er komplett bewusstlos wurde...

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