• Während Pavo in großväterlicher Manier dem Jungspund die Leviten las, nickte Distel eifrig, während Enzian in einer Mischung aus Genervtheit und Langeweile die Wände betrachtete. Der kleine Ponycentaur drängelte sich auch sofort vor, als es ums Reiten ging, damit Enzian seinen schlechten Einfluss nicht weiter auf den Burschen ausüben konnte. An dem stolzen Krieger blieb es hingegen hängen, den tattrigen Greis zu transportieren. Er fügte sich in sein Schicksal, legte sich nieder wie ein Kamel, damit der Heiler aufsteigen konnte und erhob sich dann vorsichtig. Bei Leuten mit Gelenkproblemen oder starken Schmerzen durfte er nicht traben. So ging er in gleichmäßigen, fließenden Bewegungen, aber doch recht zügig, um die anderen beiden einzuholen. Er sah gerade noch, wie Distel vergnügt buckelnd mit Anwolf auf dem Rücken in Richtung Zentrum galoppierte, während er ihm eine lange Nase zeigte. Er wollte ein Rennen. Schön, konnte er haben.


    "Halt dich fest, Großväterchen. Jetzt zeig ich dir, wie man in Rakshanistan reitet. Wenn dir irgendwas weh tut, sag Bescheid."


    Damit startete er durch und preschte die Straße hinab. Den Schmerz in seinem Huf ignorierte er, als Krieger war er ganz anderes gewohnt. Bis auf sein Humpeln hatte er keine Probleme und war nur wenig langsamer als sonst. Das Gewicht des Goblins spürte er kaum. Sie bogen von der Seitengasse in die belebte Hauptstraße ein, wo Enzian mit einem Kriegsschrei auf die Hinterbeine stieg, um sich einen Überblick zu verschaffen und Distel und Anwolf in dem Getümmel zu finden.


    "TOD UND CHAOS!", brüllte er und schlug mit den Vorderbeinen in die Luft.


    Die Zweibeiner wichen erschrocken zurück. Anwolf und Distel flitzten derweile rasch in die schmalste Gasse, die sie finden konnten. Ein paar Hühner stiegen Gackernd empor auf die Marktbuden und der Verkäufer fluchte. Dank Enzians Kampfschrei hatten sie plötzlich sehr viel Platz und so konnten ohne fleischliche Hindernisse in ihrem Weg die Verfolgung aufnehmen.


    Distel und Anwolf sprangen über Kisten und Körbe, an dem Jüngling blieb eine vollbeladene Wäscheleine hängen, die nun samt Wäsche meterweit hinter ihnen herschliff. Und doch waren sie zu langsam. Hinter sich hörte Distel Enzians donnernde Hufe.


    "Jetzt bescheißen wir, pass auf!", meinte Distel verschmitzt und hopste leichtfüßig auf ein Mäuerchen, trabte es entlang und sprang dann wie eine Ziege über ein paar Dächer. Ein größerer Centaur als er konnte das niemals bewerkstelligen, so was schafften nur Ponycentauren. Auf der Rückseite stieg er über ein paar Kisten wieder hinab und preschte über den Viehmarkt auf der anderen Seite der Häuserzeile. Ein paar junge Pferde rissen sich los und folgten ihnen, zusammen mit den wütenden Besitzern.


    Enzian grunzte missmutig. "Das ist zu hoch für mich. Wir nehmen einen Umweg." Sie galoppierten um die Häuser herum und sahen schließlich eine kleine Pferdeherde über den Markt in Richtung Felder preschen. "Oha, nicht gut. Das wird teuer. Festhalten!" Enzian beschleunigte zum gestreckten Galopp und preschte wie der Leibhaftige über den Markt. Es gelang ihm, die jungen Pferde zu überholen und in Richtung ihrer Besitzer zurückzutreiben. Bis dahin waren Distel und Anwolf natürlich über alle Berge. Er ging noch einmal auf die Hinterbeine, doch er konnte sie nirgends mehr entdecken. Der Opa war sicher auch langsam erschöpft. Also ging er im gemütlichen Schrittempo noch eine Runde mit ihm spazieren, sie genossen den Ausblick auf den Feuerlöschteich, auf dem Seerosen blühten und ein Schwanenpaar seine Runden drehte, klaute ein paar Äpfel von einem Baum, die er im Gehen verzehrte (Pavo bekam auch einen gereicht) und brachte den alten Heiler sicher wieder nach Hause. In der Ferne hörte er, wie die Büttel mit aufgeregten Rufen begrüßt wurden. Nun, sie kamen zu spät. Weder Distel noch Enzian befanden sich mit ihren Reitern noch auf dem Markt.


    Distel war erschöpft. Anwolf war zwar zierlich gebaut, wie die meisten jungen Menschenburschen, doch für den kleinen Ponycentauren war er dennoch sehr schwer. Langsam tat ihm der Rücken weh. So kehrte auch Distel mit seinem Reiter zum Geisterhaus zurück. Der ganze Innenhof stank penetrant nach Pferdeschweiß und sogar Distel, der das gewohnt war, rümpfte die Nase. Enzian war klatschnass geschwitzt und lümmelte vor sich hinstinkend auf einer Wiese im Schatten herum, döste und kaute Gras. Auch Distel selbst stank zum Himmel, wie er nach einer Geruchsprobe unter seinen Achseln feststellte. So wälzte er sich auf der Wiese, um den Schweiß abzureiben und sich mit dem Duft von Gras und Erde zu parfümieren. Jetzt sah er noch struppiger und schmutziger aus als vorher. Er legte sich neben Enzian ins Gras und speiste die saftigen Halme. Sein Kumpel rollte ihm noch einen Apfel herüber, den Distel zufrieden schnurpste. Eigentlich war heute ein schöner Tag. Etwas anstrengend, aber lustig.


    "Und, wie war es?", fragte er grinsend an Anwolf und Pavo gewandt, während er kaute und dann an Pavo gerichtet: "Hat der Gestreifte dich ordentlich behandelt oder hat er wieder gezankt?"
    "Hab ihn zwei Mal abgeworfen und ihm nen Haufen auf den Kopf gesetzt", erwiderte Enzian.

  • Pavo schaute dem kleinen Centauren und Anwolf hinterher. Dass der große Zebracentaur den Spaß mitmachte und ihn ebenfalls eine Runde um den Block spendierte, gefiel Pavo. Zudem war der Bursche sogar so freundlich, sich für ihn extra abzulegen, damit er besser aufsteigen konnte. Das rechnete der alte Goblin ihm hoch an.


    Der Centaur trug ihm auf, sich festzuhalten, da er ihm zeigen wollte, wie man in Rakshanistan ritt. Pavo hoffte, dass es sich nicht um einen ähnlichen, wahnsinnigen Reit-Stil handelte mit dem Dave sonst durch die Gegend ritt, wenn er es eilig hatte.


    "Ich melde mich, falls was ist", grinste Pavo.


    Der Zebracentaur schaffte es Pavos Hoffnungen binnen eines Sekundenbruchteils zu zerstören. Er donnerte ebenfalls die Straße entlang herunter mit einem Tempo, bei dem man sich an ihm festkrallen musste. Kaum in eine Seitenstraße eingebogen, schrie der Centaur wie ein Wilder, stieg und schlug mit den Hufen aus.


    Pavo hätte sich am liebsten den Schweiß von der Stirn gewischt, aber diesmal saß Dave nicht hinter ihm um ihn zusätzlich festzuhalten. Der alte Goblin verfluchte seinen besten Freund und seine eigene Dummheit.


    Ausgerechnet jetzt wo er ihn brauchte war Dave nicht da. Und wieso hatte er sich überhaupt einen Ausritt gewünscht? Er fragte den Almanen schließlich auch nicht, ob er so freundlich wäre ihn binnen kürzester Zeit von A nach B zu reiten.


    Wie das endete wusste Pavo schließlich.
    Atemnot und Herzrasen!


    Der Centaur war irgendwie eine grauenvolle Mischung aus Rulrots Beinen und Fähigkeiten, Daves Reit- und Geschwindigkeitsliebe und dem Wahnsinn des Chaos! Der alte Heiler verzog den Mund zu einem Sprich.


    Warum hatte er nicht gleich Rakshor um einen Rundflug gebeten? Wie blöde konnte man nur sein? Scheinbar lernte er nie dazu.


    Genau wie seinerzeit auf der Flucht mit Dave und Rulrot aus Daijan nach Alessa spritzten die Fußgänger, die Hühner und alles was sonst noch auf der Straße kreuchte und fleuchte regelrecht zur Seite bei dem Geräusch der donnernden Hufe.


    Distel und Anwolf galoppierten wie zwei Wahnsinnige durch die Straßen und es schien ihnen überhaupt nicht in den Sinn zu kommen, wie gefährlich ihr Treiben war.


    "Das kranke Reitverhalten scheint bei seiner Familie im Blut zu liegen! Ich glaub das nicht. Wen dem was passiert werden mich Ansgar und Dave umbringen! Der verdammte Bengel! Hoffentlich brechen die sich nicht die Knochen, Ainuwar steh ihnen bei! Und wo ich schon dabei bin - mir bitte auch!", stöhnte Pavo auf Enzians Rücken.


    Der alte Heiler sah wie Distel und Anwolf eine Wäscheleine mitnahmen und mitschleiften. Den Centauren schien dass nicht im Geringsten auszubremsen und Anwolf lachte nur, während er sich versuchte mit den Händen zu befreien!


    Der Bengel schien nicht zu begreifen, dass er durch seine Aktion zu Tode stürzen konnte. Oder dass die Wäscheleine, sollte sie wo hängenbleiben ihn strangulieren würden!


    Soviel zum Thema Erwachsen!


    "Meine Fresse, halt Dich mit den Händen an dem Centauren fest! Wenigstens mit einer Pfote!", motzte Pavo, obwohl ihn Anwolf vermutlich gar nicht hören konnte. Falls doch, stellte er seine Ohren auf Durchzug.


    "Die holen auf! Schneller, schneller - los los", feuerte Anwolf den kleinen Centauren an.


    Der kleine Centaur rief etwas von bescheißen und schon hopste der mit seiner menschlichen Fracht leichtfüßig wie eine Katze mit Hufen auf eine Mauer, trabte sie entlang wie eine eigens für ihn gedachte Straße und sprang dann über ein paar Dächer, was Anwolf begeistert johlen ließ.


    Der alte Goblin konnte gar nicht hinsehen, wie die zwei Irren über die Dächer der Stadt ritten. Stumm betete er erneut, dass es trocken blieb und es jetzt nur nicht anfing zu regnen.


    Der trockene Dreck oben auf den Dächern würde sich in Schmierseife verwandeln, der Sturz von einem der Dächer konnte für beide den Tod bedeuten, bestenfalls kamen sie mit Trümmerbrüchen davon.


    Wenn Anwolf zuerst unten landete und der Centaur auf ihm, war der Bengel Brei. Auch wenn der kleine Centaur nicht das Gewicht eines großen Pferdes hatte. Der alte Goblin schob bewusst seine Erinnerungen an Daves damaliger Verletzung beiseite, genauso wie seine Ausbildung als Heiler.


    Das ihm ständig die passenden Verletzungen zu den Gefahrenquellen einfielen, machte das Zuschauen und den eigenen Ritt nicht leichter. Im Gegenteil, wenn er abstieg konnte er sich erst mal in den Badezuber schmeißen, so durchgeschwitzt war er vor Angst um den almanischen Backfisch.


    Pavo überlegte ob er beiden - dem Centaur und Anwolf synchron den Arsch versohlen sollte, falls er den Ritt überlebte.


    Der große Centaur teilte ihm mit, dass die Mauer für ihn zu hoch war und er einen Umweg nehmen würde. Still schickte Pavo ein Dankgebet an Ainuwar. Wenigstens ein bisschen hatte es was geholfen.


    Allerdings revidierte Pavo seine Meinung sofort wieder, als der Zebracentaur durch eine Pferdeherde auf dem Marktplatz schoss, die vorher vermutlich der kleine Centaur gemeinsam mit Anwolf aufgescheucht hatte. Eindeutig, er würde sie übers Knie legen - alle beide!


    "Damit hast Du Recht, es wird teuer wenn sie uns erwischen", antwortete der alte Heiler.


    Als ihm bewusst wurde, was er da gesagt hatte, hätte er am liebsten seine Worte zurückgenommen, denn der Centaur hätte sie auch als schnelle Fluchtaufforderung verstehen können.


    Der große Centaur beschleunigte auf einen gestreckten Galopp und Pavo fühlte sich einmal mehr an die Flucht auf Rulrot erinnert. Damals hatte er sich beschwert, dass das Pferd keine Bremse im Maul hatte. Jetzt hatte er nicht mal einen Sattel oder diese Lenkleinen! Er hatte nichts! Gar nichts! Warum war er eigentlich auf dieses Höllenwesen gestiegen?


    "Guck nach vorne!", kreischte Pavo.


    Sie überholten die anderen Pferde als liefen die in Zeitlupe, schossen regelrecht an ihnen vorbei und dennoch waren der kleine Centaur und Anwolf bereits über alle Berge! Das durfte doch nicht wahr sein! Mit welcher Geschwindigkeit ritten die beiden?


    Nur um ihn erneut zu quälen, da war sich Pavo sicher, stieg dieser verfluchte Chaos-Centaur aus Malgorions Reich erneut auf die Hinterbeine, um dann endlich ein Einsehen zu haben und mit gemächlichen Schritten zurück zu ihrem Haus zu laufen. Dabei ließ es sich der große Bursche nicht nehmen, noch einige Äpfel zu pflücken.


    Er selbst bekam auch einen gereicht und Pavo hatte Mühe sich dazu zu bewegen, eine Hand aus der Centaurenmähne zu befreien um nach dem Apfel zu greifen. Vermutlich war dies ein bösartiger Trick, damit er den Halt verlor und zu Tode stürzte! Immerhin wäre er dann selber schuld! Was hatte er auch losgelassen?


    In einiger Entfernung hörte er das Geschrei der Leute und die Rufe der Büttel.


    Als sie endlich wieder in den Hof des Geisterhauses ritten, waren der kleine Centaur und Anwolf schon da. Der kleine lag im Gras und einige Minuten später gesellte sich auch der Zebracentaur zu ihm.


    Anwolf ging megabreit grinsend auf Pavo zu und blieb in einigem Abstand vor dem alten Goblin stehen.


    "GEWONNEN! Muhahaha!
    Wir haben gewonnen! WIR!
    Na na na, na na - na! Du hast verloren Pavo, sowas von verloren",
    lachte sich Anwolf kringelig und führte eine Art Siegestanz auf.


    "Anwolf, eine Frage...", flüsterte der Goblin.
    "Was?", gab der Naridier grinsend zurück.
    "BRENNT EUCH DER HELM???", fauchte der alte Goblin.


    "Ich hab nicht mal einen", lachte Anwolf.
    "Euch hätte sonst was passieren können, aber nein, Ihr musstet ja reiten wie die Wahnsinnigen. Man kann sich nur sorgen!", schnauzte Pavo.


    "Klar Pavo. Ist schon Recht. Du bist ein ganz schön schlechter Verlierer", prustete Anwolf, knuffte den alten Goblin und ging zurück Distel.
    "Ich glaub das nicht", stöhnte der alte Goblin.
    "Das Du verloren hast? Doch das ist Fakt", antwortete der junge Magier.


    "Dass Du Dich in Gefahr gebracht hast auch Wolfi. Lass dass zukünftig. Dein Centauren-Kollege war anständig zu mir. Nehmt es mir nicht krumm, ich brauche ein Bad und ein Bier für meine Nerven", verabschiedete sich Pavo.


    "Wie es war? Genial! Sag mal könntest Du mich von hier nach Alessa bringen? Dann könnte ich mein eigenes Pferd von Zuhause abholen. Machst Du das? Und wie heißt Du überhaupt? Wie ich heiße hast Du ja sicher schon mitbekommen. Trotzdem, ich bin Anwolf und dass ist Pavo", sagte der Almane freundlich und reichte Distel die Hand.


    "Wenn Du magst reibe ich Dich trocken, mache ich bei Tempestas auch immer", erklärte Anwolf.

  • Urako stand unschlüssig in der Tür herum und Pavo schob ihn ein Stückchen zur Seite, damit er eintreten konnte. Pavo betrat frisch gebadet und neu eingekleidet die Heilstube und trocknete sich noch seine Haare ab, so dass sie in alle Richtungen abstanden.


    Sonst bekam man den alten Goblin selten ohne seine Kapuze zu sehen. Es war eine alte Angewohnheit seine Robe immer noch auf die Art der Priester zu tragen. So sah Urako allerdings nicht nur Pavos Sturmfrisur, er sah auch in aller Deutlichkeit die grauenvolle Wunde, des fehlenden Auges. Pavo selbst schien dieser Umstand nichts auszumachen.


    "Was ist los mit Dir Urako? Alles in Ordnung?", fragte der alte Goblin freundlich.


    Entgegen seiner sonstigen Art wackelte er kurz mit den Ohren, da er immer noch etwas aufgeregt war. Anwolf quetschte sich keine Minute später an Urako vorbei und musterte den Tiefling.


    Pavo und Urako schlug der Pferdegestank von Distel entgegen, den Anwolf im ganzen Raum verströhmte, wie eine Stinkmorchel.


    "Geh Dich waschen Wolfi, Du stinkst zum Himmel nach Gaul! So kannst Du nicht in der Heilstube aushelfen. Und die Schreibstube solltest Du auch nicht mit dem Pferdegeruch verpesten", sagte Pavo und legte das Handtuch beiseite.


    "Jetzt doch nicht. Zudem stinken Pferde nicht!", hielt Anwolf dagegen und musterte Urako neugierig.
    "Jetzt! Ehe wir hier alle umfallen", gab Pavo zurück und verkniff sich ein Grinsen.


    "Ein rosaner Tiefling. Ich habe noch nie einen rosafarbenen Tiefling gesehen. Wer ist das? Ein Kunde?", fragte der junge Naridier neugierig.
    "Nein das ist einer Deiner Zunftbrüder. Er ist selbst erst ganz frisch in unserer Familie aufgenommen worden. Urako dass in Anwolf, Anwolf dass ist Urako", stellte Pavo sie einander vor.
    "Hallo", grinste Anwolf breit.


    "Wolfi geh Dich waschen herrje! Und bitte, bleib danach sauber und sau Dich nicht wieder ein. Von mir aus, fang morgen mit den Büchern an. Du kannst gerne gleich noch was mit den Centauren Zeit verbringen, aber jetzt wartet der Zuber auf Dich. Dass heißt hier, Du schleppst Dein Wasser selbst. Geh", forderte Pavo und schob Anwolf aus der Heilstube.


    "Ja doch! Keinen Schreibdienst heute? Ich nehme Dich beim Wort. Vielleicht bin ich nachher nochmal auf ein Bier weg", flötete Anwolf und machte dass er weg kam.


    Vor Urako blieb der alte Goblin stehen und musterte ihn genau.


    "Nun? Was ist mit Dir Großer? Du bist doch nicht umsonst hergekommen? Fühlst Du Dich unwohl, bist Du krank, oder hast Du was auf dem Herzen?", hakte Pavo nach.


    Er kramte einen Keksdose hervor, nahm sich einen Keks und hielt Urako die Dose auffordernd hin.


    "Nimm, nur zu", sagte Pavo freundlich.

  • "Ein Zunftbruder?" Skeptisch musterte Urako das Bürschlein, das ihn seinerseits neugierig ansah. Wofür brauchte man den? Als "Boten" ganz sicher nicht. Gedanklich stellte Urako ihn sich als Mädchen für alles vor, einen Praktikanten, einen Handlanger, der die Drecksarbeit erledigte, damit die Profis ungestört arbeiten konnten - eben das, wofür man junge Kerle so einsetzte, die noch keinen Dunst davon hatten, wie der Hase lief. Auch die Art und Weise, wie der gute Pavo mit ihm redete, sprach dafür.
    Urako grinste den Burschen breit an.
    "Angenehm", erwiderte er und reichte ihm die Pranke. Wahrscheinlich hatte das Kerlchen keinerlei Ahnung davon, dass er hier in einem Meuchlernest gelandet war und würde es auch nie erfahren. In Gedanken knallte er ihm schon einen Korb voller Schmutzwäsche hin und scheuchte ihn in der Küche umher, während er selber mit hochgelegten Füßen mit den anderen beim Frühstück saß und sich mit frischem Tee und warmem Gebäck bedienen ließ.


    "Wir werden uns sicher gut verstehen! Muss aber dann erstmal los. Bin eine Weile geschäftlich unterwegs." Das hörte sich gut an. "Mit meinem Partner", ergänzte er, damit es noch eine Spur wichtiger klang.


    Nachdem Anwolf verschwunden war, wischte Urako sich unhöflicher Weise die Hand an der Hose ab. Wolfi hatte doch ziemlich gestunken. Pavo widmete sich sogleich ihm und sah ihm an, dass er etwas auf dem Herzen hatte. Unschlüssig wich Urako einen halben Schritt zurück. Den Impuls, dem er gefolgt war, fand er plötzlich ziemlich blöd. Pavo hielt ihm eine Keksdose hin. Urako nahm sich mechanisch einen Keks, aß ihn aber nicht, sondern glotzte nur weiterhin unschlüssig vor sich hin. Ohne Kapuze sah man, wie mitgenommen Pavos Körper war. Urako hätte gern gefragt, wie er überhaupt sein Auge verloren hatte, fand den Zeitpunkt aber nicht angebracht. Pavo wackelte mit seinen Ohren und in Kombination mit seinen abstehenden Haaren, die aussahen, als wäre ein Blitz in seinem Hintern eingeschlagen, wirkte der alte Herr in Urakos Augen irgendwie drollig.
    "Ich möchte mich hiermit von dir verabschieden", erklärte Urako sachlich.


    Der atemberaubende Pferdegestank schwebte immer noch im Raum. Er schien nicht nur von Anwolf auszugegangen zu sein, sondern auch von draußen hereinzuströmen. Durch das Fenster hörte man das Gelächter von zwei Kerlen, vermutlich Reiter, die ihre Gäule mitgebracht hatten. Pferde. Angewidert rümpfte Urako die Nase.

  • Pavo beobachtete Urako und Anwolf. Urako verhielt sich auffallend höflich, was den alten Goblin freute. Vielleicht war der Tiefling endlich doch etwas aufgetaut. Nach den ganzen Infos die man ihm in kürzester Zeit um die Ohren geschlagen hatte, war es nicht verwunderlich, dass er seine Gedanken erst einmal ordnen musste.


    Als Anwolf endlich samt seines Gestanks abgezogen war, wandte sich Pavo an Urako.


    "Gut gemacht, Du hast Dich dem Kurzen gegenüber sehr gut benommen. Dankeschön.


    Ihr werdet Euch sicher gut verstehen. Anwolf hat einen sehr seltsamen Humor. Er ist im Moment für die Finanzen, die Auftragsverteilung und die magische Nachrichtenübermittlung zuständig.


    Schadet Dir nicht Dich gut mit ihm zu stellen. Zudem der Neffe von Dave, heißt auch er wird Dein Verhalten anerkennen.


    Hör zu, dass sage ich Dir jetzt unter der Hand. Vielleicht zahlt Wolfi Dir ja einen Bonus, wenn Du ihm ein Souvenir mitbringst. Er mag so ungewöhnlichen Plunder. Wie Zähne von Hyänen, bunte Steine und alles was es hier nicht gibt. Frag nicht warum, ist einfach so.


    So kleine Nettigkeiten erkennt er an. Gasmi hätte Dir das sicher auch noch gesagt. Er kennt Anwolf noch von früher, er hat schon einmal hier ausgeholfen vor zwei Jahren oder so", sagte Pavo freundlich.


    Erst nachdem Anwolf weg war, rückte Urako mit der Sprache raus.


    "Ich möchte mich hiermit von dir verabschieden", erklärte Urako sachlich.


    Pavo grabschte Urako und umarmte ihn fest um den Hals.


    "Das ist lieb von Dir. Nicht so schüchtern. Sieh zu dass Ihr beiden gesund und munter wieder kommt. Viel Spaß und lass es Dir gut gehen. Das wünsche ich Euch beiden.


    Ob Du es glaubst oder nicht, niemand möchte Dir hier etwas Böses. Vielleicht sind wir nicht die Familie die Du Dir gewünscht hast, aber alle male besser als die, mit der die meisten von uns von Geburt an gestraft werden.


    Bei Dir war es nicht anders, Du warst allein, Du warst einsam und verbittert. Leugnen ist zwecklos. Versuch es nicht so krampfhaft zu überspielen.


    Ich hab Dich nicht gerettet damit Du Schauspieler wirst, sondern nur eins - glücklich. Jetzt verschwinde", sagte Pavo und drückte Urako kurz, ehe er ihn wieder los ließ.

  • Urako gehörte nicht zu der Sorte, die verblüfft oder erschrocken auf Umarmungen reagierten. Er gehörte eher zur distanzlosen Sorte. Nein, er freute sich, dass Pavo ihn umarmte und erwiderte die Geste, wobei er darauf achtete, vorsichtig zu sein, da dem alten Goblin sicher die Knochen schmerzten.


    Urako spürte den Drang, irgendetwas Schnulziges zu sagen, so was wie: Danke für alles. Oder: Du bist ein wahrer Freund. Aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, sehr, sehr sparsam mit Zuneigung umzugehen, da sie nur allzu oft enttäuscht wurde. Er mochte Pavo sehr. Aber Pavo musste das nicht wissen. Damit würde er ihm eine mächtige Waffe in die Hand geben. So genoss er schweigend einige Sekunden die Wärme, die von dem alten Goblinmann ausging, dem er sein Leben verdankte. Er wünschte sich, er hätte so einen fürsorglichen und warmherzigen Vater gehabt. Aber den hatte er nunmal nicht. Seiner hätte vielmehr ein Frostalb sein können. Vielleicht war auch irgendwo einer von denen unter seinen Vorfahren, irgendwer musste ja die weißen Haare in die Familie gebracht haben.


    Pavo war es, der die Umarmung wieder löste. Seine Haare sahen nun noch etwas zerzauster aus, als zuvor. Urako grinste breit, stopfte sich den Keks im ganzen in den Mund, hob zum Abschied die Hand, nuschelte "Machschgut!", drehte sich um und ging zurück zu Gasmi.


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