Kapitel 8 -Aufbruchsstimmung

  • Aufbruchsstimmung

    Mission erfolgreich. Kakko war frohen Mutes, als er die Schlafzimmertür hinter sich zuzog. Er hatte Hector gegenüber endlich ausgesprochen, was schon lange hätte gesagt werden sollen - dass Hector für ihn viel mehr war als nur ein Ausbilder, dass er ihn als seinen Ziehvater liebte. Und Hector hatte schweigend, aber glücklich reagiert. Es brauchte nicht immer Worte, sein Ziehsohn hatte ihn auch so verstanden. Es war Kakko wichtig gewesen, seine Gefühle in Worte zu fassen, bevor sie sich auf die Suche nach seinem leiblichen Vater begeben würden. Er betrachtete die lose in die Tür gesteckte Klinke. Nur Mut. Er drückte sie herunter, ließ die Wohnung hinter sich, in der Hector mit Kiri noch ein paar ruhige Stunden verbringen sollte, und würde noch einmal zu Arbogast in die Küche gehen.


    Doch dazu kam es nicht.


    Eine Hand wie ein Schraubstock drehte Körper und Kopf in eine unterschiedliche Richtung, Kakkos Genick knirschte und war einen Wimpernschlag später auf Anschlag gespannt. Voller Panik registrierte Kakko, dass er sich nicht einen Millimeter mehr bewegen konnte, ohne dass ihn der Schmerz in seinem Nacken in die Bewusstlosigkeit schicken würde. "So", grollte der Skolopender leise. "Mitkommen. Jetzt reden wir zwei, ohne dass dein Mentor dir den Arsch rettet." Kakko roch das Blut in seinem Atem und spürte die Muskeln des Hünen, die wie Beton waren. Ein Kätzchen im Tötungsbiss eines Silberlöwen, wenn der Kerl nun ernst machte, war es das. Er konnte sich nur auf den Kodex verlassen. In dem Moment fiel geräuschvoll die Klinke aus der Tür. Dem alten Soldaten aber war das egal. Er beförderte Kakko zügig in Richtung seines Gemachs.

  • Aus dem Nickerchen wurde nichts. Kaum war er eingedöst, hörte er draußen die Klinke auf dem Boden aufschlagen. Das Grauen war Jäger durch und durch. Wer einen zu tiefen Schlaf hatte, schlief bald für immer. Von klein auf hatte man ihm ein Gespür für Gefahr anerzogen und dieses schlug gerade Alarm.


    Hector rollte sich grollend aus dem Bett und schnappte sich sein Jian, dass stets in Griffweite bereit lag. Lautlos verließ er die Wohnung mit gezogener Waffe und sah gerade noch die massige Gestalt des Skopolenders in seiner Wohnung verschwinden. Wunderbar!


    Einen Moment später stand er vor der Tür des Skopolenders. Das war die einzige Rechnung die hier noch offen war. Einen Atemzug später flog die Tür des anderen Beißers berstend auf und krachte ohrenbetäubend gegen die Wand. Das Grauen huschte seitlich durch die Tür, um so wenig Angriffsfläche wie möglich sie bieten. Das Schwert quer vor sich haltend, jederzeit bereit damit zuzuschlagen oder einen Schieb abzulenken.


    Die freie Hand deutete auf Kakko.


    "Rück ihn raus Skopo!", befahl er grantig.

  • Die Wohnung des Skolopenders sah unter aller Sau aus, selbst für Beißermaßstäbe. In der Mitte lag auf dem Boden rücklings ein völlig zerfledderter Leichnam. Er sah aus wie explodiert, weil sein Inneres und sein Blut in alle Richtungen verteilt lagen. Es stank nach Tod und Exkrementen, weil der Darm aufgerissen war. Inmitten des Matsches hockte Garlyn Meqdarhan, der in diesem Moment seine veränderte Natur nicht leugnen konnte, so wie er hier in einem Fressrausch gehaust hatte, der ihn wegen seiner Verletzung überkommen war. In den Pranken hielt er Kakko, dem er nun irgendetwas undefinierbares mit zwei Fingern in den Rachen stopfte, während der Eiskuckuck am ganzen Leib schlotterte und vor Angst wimmerte.


    "Dieses Früchtchen lässt jeglichen Respekt vermissen", grollte Garlyn und fuhr fort, ihn zwangszufüttern. "Er soll sehen, mit wem er sich hier anlegt, ehe er einen Schritt zu weit geht."


    Hinter Garlyn, auf einer Pritsche an der Wand, saß Vittorio, der mit Unschuldsmine den nackten Mann betrachtete, der da in der Tür stand. Sein Blick durfte nicht täuschen, Vittorio war keineswegs harmlos. Momentan aber sah er keine Veranlassung, sich einzumischen.

  • Hectors Blick zuckte einmal kurz durch die Wohnung, oder besser gesagt über das Schlachtfeld, dass der Skopolender hinterlassen hatte. Ein fremder Kerl saß auf einer Pritsche an der Wand. Statur und Haltung verrieten, dass er ein Kämpfer war. Vermutlich ein Söldner, wenn man die Herkunft des Skopolenders bedachte. Allerdings war dies nur der erste Eindruck, es war lebensnotwendig keinen Gegner zu unterschätzen.


    Das Grauen wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Skopolender zu, wohl darauf achtend, dass sich dort aus Richtung Pritsche nichts bewegte. Eine hektische oder schnelle Bewegung, hätte seine zur Folge, gleichgültig wer das war.


    Vor einigen Minuten hatte Kakko ihm genau das gesagt, was ihm Jannik nicht mehr sagen konnte, nicht im Diesseits. Und irgendwie hatte er es keine gefühlten fünf Sekunden später geschafft, sich in Lebensgefahr zu bringen. Er musste natürlich den Bären in den Arsch treten, der am Wegesrand schlummerte. Und er hatte sein trottliges Junges nun aus der Scheiße zu ziehen. Hector fragte sich, ob der Vater von Kakko vielleicht ganz in der Nähe zu finden war, und zwar nicht in Arashima, sondern in Shohiro und mit Vornamen Archibald hieß. Irgendwie kam ihm das alles gerade sehr seltsam bekannt vor. Ein Hang zum Chaos, gut den hatten sie wohl alle.


    Hectors Miene verfinsterte sich, als er hörte was der Skopolender von sich gab.


    "Mit wem er sich anlegt, hat er bereits in der Stadt gesehen. Respekt? Er hat sich bei Dir entschuldigt. Du hattest Dein verdammtes, untotes Wort gegeben, Deine Griffel von ihm zu lassen. Du wolltest ihn nicht mehr erziehen, schon vergessen. Ich sag es Dir nur ein einziges Mal und zwar extrem langsam... LASS IHN LOS!", warnte Hector.


    Das Kakko wimmerte machte die Sache nicht gerade einfacher, normalerweise zerrte dieses unsägliche Geräusch, dass nur von Schwäche und Hilflosigkeit kündete, an seinen Nerven. Aber das selbe Geräusch aus einer Kehle die er mochte, rief eine ganz andere Reaktion hervor. Eine die er nicht gerne fühlte - Angst.

  • "Das hatte ich - und die kleine Kröte geht mir nach wie vor auf den Wecker! Was gedenkst du, dafür zu tun, dass er lernt, sich an die Regeln zu halten?"


    Er schob das ovale Fleischstück, das er Kakko in den Mund gestopft hatte, tief mit den Fingern in dessen Rachen, so dass Kakko ein paar Mal kaute und dann schluckte, um nicht zu ersticken. Damit hatte er nun auch den zweiten Hoden heruntergeschluckt. Garlyn schleuderte ihn auf den Leichnam. Kakko flog wie eine Puppe herum, versuchte, die Berührung mit dem zerfledderten Toten zu verhindern, indem er Arme und Beine abspreizte, doch er rutschte aus und landete Bäuchlings auf der ausgeweideten Leiche. Mit einem Angstschrei rappelte er sich auf, er war von oben bis unten voller Dreck und flüchtete zu seinem Mentor.


    Garlyn erhob sich langsam aus der Hocke. Von seinen Händen tropften blutige Fetzen. Der Junge war eine Schande für jeden Beißer, besonders, wenn man bedachte, dass er hier aufgewachsen war und kein normales Leben kannte, sondern nur dass hier! Trotzdem aß er sein Fleisch nur fertig filetiert und unkenntlich seiner Herkunft, obgleich er genau wusste, was er da aß. Garlyn hatte ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen wollen, um ihn daran zu erinnern, wem er diesen Luxus verdankte - Jägern wie ihm. Garlyn ließ sich neben Vittorio fallen, legte den Arm um ihn und begann, seine Finger abzulutschen. Dabei behielt er das bewaffnete Grauen scharf im Auge.

  • Hector hätte am liebsten für einen Moment die Augen geschlossen, als Kakko wie ein Mädchen aufschrie, nur weil er die Leiche berührte. Beim Ältesten, das war ein Kadaver! Von dem ging am wenigsten Gefahr aus hier in diesem Raum. Kakko hätte lieber schreien sollen, als ich der Skopo gepackt hatte. Aber nein, da wimmerte er.


    Er würde es lernen, bald, hart, unnachgiebig, dass war Teil des Lebens auf dieser Reise. Anders würden sie ihr Ziel nicht erreichen. Aber als Kakko zu ihm flüchtete, schob er den verschmodderten Jungen hinter sich.


    Als der Skopolender sich langsam aus der Hocke erhob, ging Hector minimal weiter in die Knie. Kampf- und Abwehrbereit vom Körper bis zum Geist musterte er seinen Kontrahenten. Das Grauen folgte jeder seiner Bewegungen mit Argusaugen, auch als sich der riesigen Kerl der der Skopo war neben den Fremden niederließ. Tarnung und Täuschung war alles, aber der Skopo blieb sitzen, es war keine Finte. Jedenfalls saß er noch, ebenso wie sein Gefährte.


    "Gegenfrage, wirst Du Dich künftig an Dein Wort halten? Kakko wird sich an die Regeln halten, dass versichere ich Dir. Genauso versichere ich Dir, dass von Dir weniger übrig bleibt als von Deinem ausgelutschten Kadaver, solltest Du ihm jemals ein Haar krümmen. Übertreib es nicht Skopo. Was soll der Kurze diesmal wieder verbrochen haben? Spuck es aus und was hast Du ihm zu fressen gegeben?", blaffte Hector.

  • "Ich habe ihm zwei Portionen Männlichkeit angedeihen lassen, die er bitter nötig hat. Was fällt bei dir unter das Krümmen eines Haars? Diese kleine Maßregelung? Das hier?" Er lachte schallend. "Dann wundert mich bei dem Wicht gar nichts mehr. Du verhätschelst ihn wie eine Glucke. So wird er ewig ein Küken bleiben."


    Garlyn ließ Hector nicht eine Sekunde aus den Augen. Er selbst kommunizierte keinen Kampfeswillen, er hatte sich bewusst neben Vittorio gesetzt und den Arm um ihn gelegt. Auch das Ablutschen der Finger war eine Komforthandlung, die zur Deeskalation beitragen sollte. Aber er war noch nicht sicher, ob das Grauen nicht Lust auf eine Runde Körperlichkeit hatte.

  • Hector musste mit sich kämpfen, nicht zu grinsen und ein ernstes Gesicht beizubehalten. Für einen Sekundenbruchteil zuckten seine Mundwinkel. Gut er hatte Kuckuck keine Scheiße zu fressen gegeben, dass konnte fatale Folgen haben. Eigentlich galt es als Zeichen des Wohlwollens jemanden das Hirn oder mehr noch die Eier zu kredenzen von seiner Beute. Auf dass er selbst viele Kinder zeugte. Das Grauen ließ das Schwert sinken und gab die Kampfhaltung auf.


    Hector legte leicht den Kopf schief, vermutlich waren dass die ersten Eier die Kakko im Mund gehabt hatte. Ein Maul hatte er leider noch nicht, das die Bezeichnung würdig gewesen wäre.


    "Das ist außerordentlich freundlich von Dir, ich wusste gar nicht, dass der Kleine Dir soviel bedeutet. Was das Beglucken angeht, damit hast Du Recht", antwortete Hector und seine Lippen kräuselten sich zu so etwas, dass wohl ein Lächeln darstellen sollte.

  • "Ich sagte doch, dass ich es mit Kakko gut meine", brummte Garlyn. "Meinst du, ich maßregle ihn, weil es mir Spaß macht? Er muss noch geformt werden, er ist absolut unreif. Der Junge ist 24, ist faul wie sonstwas, zeigt keinerlei Respekt und hat Angst vor Leichen. Das tut weh, Hec. Richtig weh. Oh, übrigens."


    Er klopfte Vittorio mit seiner blutigen Pranke auf die Brust.


    "Das ist Vittorio. Der Mentor vom guten alten Onkel Timo. Ich habe ihn endlich einmal überzeugen können, mein zweites zu Hause zu besuchen."

  • "Hör auf damit Skopo, er wird es lernen. Vermutlich nach Deinen Maßstäben zu spät, aber früher als es Kakko lieb ist. Kakko ist eben eine sehr empfindsame Seele. Er hatte eine schwere Kindheit. Spaß beiseite, vermutlich habe ich dem Kurzen zu oft den Arsch nachgetragen, aber jeder hat so seine Schwäche. Der Lehrmeister vom Aal? Schau einer an. Grüße. Und wo liegt das erste? Zuhause meine ich.


    Was ist überhaupt mit dem Geldsack geschehen, einer eine Idee? Die Baronin hat gesagt, er wäre verschwunden. Falls er sich abgesetzt hat, muss ich einen Abstecher machen um wen abzustechen. Schönes Wortspiel, fraglich ist, ob er nach Geld schmeckt. Wie dem auch sei, einer was von ihm gehört?


    Ach und bitte, falls Du einen bunt gekleideten Herrn triffst, lerne ihn nicht an und bringe ihm nichts bei. Bei ihm handelt es sich um Nathan, dem Ehemann der Bestie. Solltest Du ihn ängstigen oder gar bedrohen gilt das als Blutfehde gegen unsere Familie. Papa wäre sehr verärgert, er möchte das Nathan sich hier rundum wohlfühlt. Zeige Dich am besten von Deiner besten Seite, also gar nicht", kicherte Hector heiser.

  • "Mein erstes zu Hause ist da oben." Er zeigte in Richtung Decke. "In den Feldlagern und Söldnerlagern dieser Welt, auf den Schlachtfeldern, wo man mich braucht. Dort habe ich auch Vittorio kennengelernt. Das erzähle ich dir nicht aus Sentimentalität, da es dich von der Sache her überhaupt nichts angeht. Aber nicht nur du brauchst mal ein paar Stunden Ruhe für dich und deinen Schatz. Klar? Dass ich etwas ungehalten auf die Störungen dieses Giftzwerges hinter deinem Rücken reagiere, wenn ausnahmsweise Vittorio zu Gast ist, kannst du dir vorstellen, wir sehen uns nicht öfter als du und Kirmimar. Kakko begreift das nicht, aber du solltest das. Und im Gegensatz zu meiner Uhr tickt die von Vitto unaufhörlich. Sei so gut, und sorg dafür, dass Kakko uns in Ruhe lässt, sonst mach ich das auf gewohnte Art."


    In seiner Stimme lag keine Drohung, es war eine bloße Information. Er blinzelte. "Nathan ... du wirst es nicht glauben, aber den Burschen kenne ich über die Leibgarde, in der Robby dient. Ich werde ihm nichts tun, er ist Zivilist. Was den Geldsack angeht, habe ich keinen blassen Schimmer. Vielleicht ist er auf Erholungsreise?"


    Er ließ ein entspanntes Lächeln sehen, während er sich mit dem kleinen Finger etwas Fleisch zwischen den Zähnen hervorpulte.


    "Jetzt haut schon ab." Aus seinem Lächeln wurde ein Grinsen, als er sich über Vittorio wälzte.

  • "Nathan war ganz sicher nicht bei der Leibgarde. So lieb er ist, genau das ist das Problem. Er sieht nicht aus als könnte er auch nur einer Fliege was zu Leide tun. Wobei er hat das perfekte Puppentarngesicht. Robere sagt mir nichts, gleichgültig. Das Ihr Euer Schäferstündchen genießen wollt, verstehe ich nur zu gut, viel Spaß Euch zweien", erklärte Hector und verließ rückwärts die Wohnung des Skopolenders.


    Eine reine Vorsichtsmaßnahme, er drehte niemandem bewusst den Rücken zu, vor allem dann nicht, wenn dieser schutzlos war. Hector schob Kakko den Flur entlang.


    "Zuhören. Du gehst in den Sklavenpfuhl und wählst zwei Sklaven aus, die uns auf unserer Reise begleiten. Keine Frauen, die können wir zur Not nicht als Proviant verzehren, falls sie einen Beißer angesetzt haben. Danach lässt Du die Pferde satteln und unsere Sachen für die Reise packen. Wir reisen mit leichtem, aber effektivem Gepäck. Wir sind zu viert, Du, Nathan, Kiri und ich. Also vergiss nicht Nathan abzuholen und ihm Bescheid zu geben.


    Ich zieh mich an und kläre alles weitere mit der Baronin. Wir treffen uns in einer Stunde vor den Ställen. Beeile Dich", wies Hector sein Mündel an und knuffte ihn sanft vor den Kiefer, ehe er in seiner Wohnung verschwand.

  • "Robby ist Tekuro", murrte ihnen der Skolopender hinterher, ohne sich noch einmal nach ihnen umzudrehen. Im Gegensatz zu Hector schien er kein Problem damit zu haben, wenn sein Rücken jemandem zugewandt war und widmete sich dem anderen Soldaten. Andererseits lag unter ihm Vittorio und der sah sehr wohl, wie die beiden gerade zur Tür hinausgingen.


    Kakko schaute noch neugierig, bis Hector die Tür zugezogen hatte. Dann schaute er seinen Meister an. "Verstanden. Vier Personen und zwei Proviantsklaven." Auf den Knuff reagierte er mit einem Grinsen.


    Er sah Hector nach, wie er in seiner Wohnung verschwand. Er überlegte, wen er darum bitten konnte, ihre Sachen zu packen und die Pferde zu satteln und entschied sich dann dafür, Arbogast darum zu bitten, was er auch tat. Anschließend verschwand er im Sklaventrakt, um sich zwei gesunde Exemplare mit viel Körpermasse herauszupicken.

  • Arbogast kam der Bitte selbstverständlich nach. Er sattelte die persönlichen Pferde von Hector und Kirimar. Zusätzlich sattelte er je eines der Hauspferde für Kakko, Nathan und für sich, sowie je eines für die Sklaven. Immerhin mussten sie gut voran kommen.


    Als die Aufgabe erledigt war, eilte er in die Küche, um ausreichend Proviant für alle zu besorgen. Arbo nahm eingeschlagenes Frischfleisch für die ersten Tage mit. Für den Rest der Reise gab es Dörrfleisch und Dauerwurst.


    Danach besorgte Arbogast das Reisegepäck. Jeder bekam eine Decke für sich oder sein Pferd, einen langen Umhang, eine Brottasche die niemals Brot enthalten würde, einen Wasserschlauch, ein kleines Set Verbandsmaterial, Medizin in Form von Schnaps, etwas zu Rauchen, sowie Feuerutensilien. Die Sklaven bekamen zudem jeweils einen Kochtopf und Flickzeug, um unterwegs Kleidung reparieren zu können.


    An ihre Waffen und deren Pflegematerialien würden Hector und Kirimar selbst denken. Zudem war es aufs schärfste verboten, die Waffen eines Jägers ohne dessen Zustimmung anzufassen. Es konnte geschehen, dass man sie sonst ganz anders zu schmecken bekam.


    Als Arbo mit seine Aufgabe erledigt hatte nickte er zufrieden. Endlich mal wieder raus aus dem Loch und der Tristesse.


    Ein neues Abenteuer wartete auf ihn. Und im Gegensatz zu Archibald fűrchtete Hector Pferde nicht, was Arbo freute. So mussten sie die Reise nicht beschwerlich zu Fuß antreten.


    Die Rundreise mit Archi und dem Ältesten hatte schon ihren Reiz, nur die Lauferei war ermüdend.


    Er hatte sich auf der Reise Patrice offenbart. Patti die gequälte Seele war ein Lotos so wie er.


    Prince Ciel hatte ihn sogar abgefangen und ein Angebot unterbreitet - Informationen über die Beisser und allen voran den Ältesten, dafür würde er ihn aus den Fängen des Zirkel erlösen. Der Prince war aus seinem Leben verschwunden, ebenso wie Patti, Tekuro und die Hoffnung zu überleben.


    Vielleicht war das eine neue Chance. Wer wusste schon was der Prince von Archibald und seinen Mannen wollte?


    Zwar konnte Arbogast nicht mehr mit Archi und dem Ältesten dienen, dafür aber mit Hector, Kirimar und Kakko. Die ersten beiden für sich waren schon Gold wert. Schwertmeister der Sonderklasse die für die Waffe und den Kampf lebten. Umerzogen und auf neuen Gehorsam gedrillt wären die beiden ideale Stabler für Prince Ciel. Er liebte es exotisch und gefährlich, wenn das nicht auf Hector und Kirimar zutraf auf wen dann?


    Als Bonus gab es obendrein noch seinen alten, entflohenen Leibdiener Nathan. Und als besonderes Leckerchen Kakko, das ideale Pressmittel um Hec gefügig zu bekommen.


    Arbo spürte wie er langsam wieder Luft zum Atmen bekam und in der Finsternis seines Daseins Licht am Horizont erblickte.


    Er ging nach draußen, goss den Alkohol aus seinem Flachmann in die Gosse und wartete dann bei den Pferden.

  • Arbogast blieb nicht lange allein. Den Mann, der sich zu ihm gesellte, kannte er von den seltenen Ordenstreffen. Alle Lotos gleichzeitig von ihren Aufgaben abzuziehen und sei es nur für ein kurzes Treffen, war für ihr Oberhaupt ein Ding der Unmöglichkeit, so dass es einige Jahre her war, seit Vittorio und Arbogast sich das letzte Mal begegnet waren.


    Vittorio musterte den heruntergekommenen Mann, während er sich die Rauchstange danach anzündete. Das Schäferstündchen mit Garlyn war kurz und intensiv gewesen. Für anschließendes Kuscheln waren sie beide nicht gemacht. Die Zärtlichkeit gab es vorher, um sich gegenseitig in die richtige Stimmung zu bringen, danach hatte es die zwei Haudegen recht schnell wieder aus dem Bett getrieben. Während Garlyn versprochen hatte, die Sauerrei in seiner Wohnung mit Hilfe der Sklaven in Ordnung zu bringen, war Vittorio frische Luft schnappen gegangen.


    Vittorio sorgte dafür, dass seine Körpersprache gegenüber Arbogast nicht allzu vertraut wirkte. Er blieb in ausreichendem Abstand zu ihm stehen und bewusst ein wenig angespannt, als würde er sein Gegenüber das erste Mal ausloten. Auch bot er ihm keine Rauchstange an. "Na", grüßte er unverbindlich. "Wo soll es denn hingehen?"


    Er wollte Arbogast die Möglichkeit geben, Informationen an ihr Oberhaupt weiterzuleiten oder die Bitte um Unterstützung durchklingen zu lassen, die auf alle Mögliche Weise erfolgen konnte, finanziell, organisatorisch und, seltener, durch personelle Hilfe. In der Regel arbeitete ein Lotos allein, doch manchmal war er auf Zuarbeit angewiesen. Was Arbogast hier im Detail plante wusste Vittorio so wenig, wie Arbogast es von ihm wissen konnte. Aber dass neben Onkel Timo und Arbogast nun ein dritter Lotos im Inneren des Zirkels aufgekreuzt war, sprach für sich, genau wie das Verschwinden des Veyd von Eibenberg. Arbogast würde diese Zeichen zu deuten wissen.


    Dem kurzen Gruß folgte eine Botschaft, die nur ein Stählerner Lotos deuten konnte, ein eigens entwickelter Morsecode, der wirkte, als wenn Vittorio nur gelangweilt mit den Fingern der freien Hand auf dem Oberschenkel trommeln würde, während er mit der anderen rauchte.


    'Baldmöglich persönliches Treffen mit Timo für Rapport bezüglich Statusmeldung. Du hast sehr lange geschwiegen. Alternativ eine Weiterleitung des Rapports durch mich möglich.'

  • Arbo grüßte knapp und kümmerte sich dann scheinbar um die Pferde, ehe er es sich gemütlich machte.


    Er prostete Vitto mit dem leeren Fachmann zu. Eine Weile schwieg er gedankenverloren. Dieses Leben hatte fast sein altes verschlungen, so wie die Beißer ihre Opfer.


    'Schweigen war Pflicht. Der Älteste war zugegen. Gib folgendes weiter - die Muschel ist NICHT mehr im Besitz der Bestie. Sie ist nicht im Besitz des Zirkels. Erbitte Weisung ob ich vor Ort bleiben soll.


    Der Zirkel soll infiltriert und ausgehoben werden.

    Prince Ciel wollte den Ältesten, sowie Archibald und seine Mannen.

    Lieferung unmöglich.


    Machbares Angebot - Das Grauen und Lieblich. Beide exzellente Schwertmeister und tragende Säulen des Zirkel. Das Grauen heißt mit Klarnamen Junker Hector von Dornburg. Er ist der Sohn von Archibald von Dornburg und steht seinem Vater in nichts nach. Wichtige Zusatzinformation - Hector ist ein Zirkelwächter! Er verteidigt die Himmelsröhre und das Nest der Menschenfresser. Lieblich mit Klarnamen Kirimar Tanba ist ein Jäger wie Archibald, also stets unterwegs auf Beutezug.


    Jetzt die Info. Hector, Kakko sein Ziehsohn, Kirimar, Nathan Garcia der Ehemann von Archibald, zwei Sklaven und ich werden in fremde Lande aufbrechen.


    Falls Prince Ciel an den Schwertmeistern Interesse hat, einmalige Gelegenheit. Hector ist über Kakko erpressbar. Er wird ihn nicht aufgeben und töten. Kirimar wird Hector nicht fallen lassen und Hec Kiri nicht. Zudem muss Hec Nathan behüten. Auch über ihn ist er erpressbar.


    Zur permanten Verteidigung sind dann nur noch die Schwertmeister Manfredo und Jimmenda anwesend. Mit Hector fehlt dass Ass im Ärmel und ihr Kopf!


    Solange die Baronin keinen Alarm schlägt, durch einen Übetraschungsangriff ist das die Chance den Zirkel auszuräuchern. Geht immer davon aus, dass kann sich minütlich ändern. Jäger auf Streifzug wie Archi kommen und gehen wie im Taubenschlag.


    Aber der Oberwächter der hier jede Falle, jeden Stein, jede Nische kennt und den Hort hütet wie eine zusammengerollte Natter, verlässt heute das Nest.


    Löscht es aus. Fangt die zwei Schwertmeister samt Anhang für Ciel. Umgeeicht mächtige Kämpfer. Nur Obacht, beide sind absolut Linientreu. Ihr müsst da mit harten Bandagen ran.


    Ich hoffe ich darf diesen Abgrund bald verlassen. Fangt mich mit, tötet mich zum Schein. Dann bin ich frei und meine Maske kann abgelegt werden', antwortete Arbo als wäre es zappelig vom Warten.

  • Vittorio schloss beim natürlichen Vorgang des Blinzelns die Augen einmalig etwas länger, als normal gewesen wäre. Eine kleine Geste des Mutmachens, des Zuspruchs. Dass der Mann am Ende war, war nicht zu übersehen. Seine Persona hatte ihn von innen her aufgezehrt, völlig ausgebrannt, körperlich und geistig, ganz im Gegensatz zu Vittorio, der sich kaum von seinem Träger Alejandro unterschied. Darin lag vielleicht sein Glück. Aber Arbogast war nicht der Einzige, dem das passiert war. Vittorios Mitleid hielt sich in Grenzen. Er respektierte Arbogasts Leistung, die er erbrachte - diese Dinge standen bei seiner Wahrnehmung im Vordergrund. Für Mitleid war er nicht sonderlich anfällig, aber er sah, wenn jemand gute Arbeit leistete.


    'Dranbleiben an Lieblich und Grauen, für alle Eventualitäten, würde ich sagen, auch wenn ich keine Weisungsbefugnis mitgebracht habe. Ich werde deine Einschätzungen weiterleiten, genau wie deine Bitte. Wenn möglich, Garlyn Meqdarhan, den Skolopender, verschonen. Er hat uns bisher gute Dienste erwiesen, die meisten davon, ohne es zu bemerken. Ich verabschiede mich.'


    Er kratzte am Kinn, machte noch ein paar Kommentaren zu den Pferden und verschwand dann wieder in den Tiefen der Himmelsröhre, um zu schauen, wie weit sein Lieblings-Ghul mit dem Aufrämen seiner Mahlzeit war.