Gedankenspiele
Tiefe, ruhige Flötentöne, melodisches Klimpern einer Lyra, leise Glöckchen und langsame Rasseln - die Ruspanti musizierten heute sehr dezent und leise. Während sie sich sonst mit ihren bunten Kleidern und ihren Tänzen in den Vordergrund drängten, hielten sie sich heute auf Anweisung von Irving mit Tänzen vollkommen zurück. Sie blieben in ihrer Ecke, um für die musikalische Untermalung zu sorgen. Wer es wünschte, konnte mit ihnen sprechen, dann gingen sie auch herum oder setzten sich an die Tische, aber ansonsten taten sie einfach, als wären sie nur zur Dekoration hier. Die wigbergsche Handschrift war unverkennbar, wenn man es einmal wusste, wer hinter dem Kult stand. Die Ruspanti waren so exzentrisch, dass man neigte, sie darauf zu reduzieren und dabei auch noch dermaßen freundlich, dass nicht einmal der Marquis de la Grange es schaffte, sie zu hassen. Auch Moritz mochte diese Paradiesvögel, er fand sie witzig. Er applaudierte zusammen mit den anderen nach der Gesangeseinlage eines pickligen Kastraten, der sich strahlend verneigte, ehe es weiter mit instrumentalen Stücken ging.
Moritz wandte sich wieder seinem Hummer zu, den er unter Anleitung von Caillou versuchte, möglichst fein zu essen. Das führte immer wieder zu gelächter, denn es war sein erster Hummer und er schien alles falsch zu machen, was nur ging. Heute war ein Tag, an dem Moritz sich rundum glücklich fühlte. Selbstverständlich war das nicht bei seiner Vergangenheit, die seine Seele in Scherben geschlagen hatte. Bei ihm war das mehr als eine Metapher - der zweitgrößte Splitter saß an seinem Tisch, in einem neuen Körper und genoss sauer eingelegte Gurken:
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Auch er war wie ein gebürtiger Wigberg aschblond und grünäugig, sein Haar wellig, seine Gesichtszüge weich. Moritz hingegen war in dem alten Körper verblieben, in dem er geboren worden war und den er schon vor Jahren durch einen Fleischformer hatte modifizieren lassen. Er saß zwischen Caillou und Camille, die es einem unmöglich machten, in ihrer Anwesenheit schlechte Laune zu haben - es sei denn, sie legten es darauf an, sie konnten auch gewaltige Kotzbrocken werden. Caillou hatte Vendelin als Jugendlicher regelmäßig zur Weißglut getrieben und das musste man erstmal schaffen. Heute aber waren sie genau so guter Dinge wie Moritz.
Diesen schönen Tag verdankten sie Davard, dem Geburtstagskind. Bislang hatte Moritz noch nicht mit ihm zu tun gehabt, doch er war sehr neugierig auf diesen Mann. Er suchte zwischendurch immer mal eine Möglichkeit, mit ihm zu sprechen, doch bislang war ihm das nicht gelungen. Schon allein, dass er mit Vendelin getanzt hatte, obgleich sie nicht die besten Voraussetzungen gehabt hatten, war bemerkenswert. Davard war intelligent und sagte nicht viel, beobachtete aber sehr genau seine Umgebung. Er und Vendelin waren sich nicht unähnlich. Sie beide gemeinsam wären eine extreme Macht, würden sie es schaffen, dieses vorsichtig anvisierte Bündnis zu festigen. Verbündete zu finden war nicht schwer - sie zu halten war die Kunst. Moritz würde diesen interessanten Mann gern kennenlernen. Und nicht nur er, auch Patrice war neugierig, wenn auch aus sehr viel profaneren Gedanken heraus. Darüber regte Moritz sich nicht auf, er selbst hatte ihn so simpel geschaffen, um sich in seiner einfachen Gedankenwelt erholen zu können, darum nickte er nur, als Patrice ihm etwas Entsprechendes zuraunte.
"Moment bitte." Er legte Patrice kurz die Hand auf den Oberarm, drängelte sich an Camille vorbei und eilte auf Davard zu, der gerade nicht von Vendelin bequatscht wurde, weil dieser sich mit der Konsistenz von essbaren kleinen Seelöwen beschäftigte. Er rannte fast, um bei dem Geistmagier zu sein, ehe Vendelin wieder zu reden begann. "Wir hatten noch nicht das Vergnügen, ich bin Moritz von Wigberg, es ist mir eine Ehre."
Vendelin lächelte vor sich hin und bot dem Kind auf seinem Arm einen Seelöwen an.