Kapitel 03 - Ein kleiner Delfio am Strand

  • Ein kleiner Delfio am Strand


    Lange waren sie nicht mehr einfach nur privat unterwegs gewesen, doch heute gönnten sich Tazio, Verrill und der kleine Delfio eine Auszeit. Gemeinsam waren sie zum Strand hinunter gegangen, wo ihnen Vianello eine Strandmuschel eingerichtet hatte. Schattige Plätzchen waren am Strand oft Mangelware. Gerade zur heißen Sommerzeit und der kleine Delfio benötigte besonderen Schutz. Was gab es da besseres, als der Großherzoglichen Familie eine Strandmuschel aus Schilf zu bauen? So war Tazio mit seinen Lieben vor Sonnen, Wind und Wetter geschützt und musste trotzdem nicht auf den Ausblick aufs Meer verzichten. Durch die halboffene Bauweise konnten die drei im Schatten einen uneingeschränkten Ausblick auf den Strand Monleones genießen. Die Muschel hatte Nello so sorgfältig verwoben, dass sie auch Regenschauern standhielt, denn vielleicht wollte Tazio am Strand übernachten.


    So schön wie die Strandmuschel von außen aussah, so gemütlich war sie von innen eingerichtet worden. Mehrere Schilfmatten sorgten für einen sandfreien Boden, darüber lagen mehrere Schichten Decken und Kissen lagen im hinteren Teil bereit, so dass man sich der Länge nach wunderbar hinlegen und entspannen konnte. Für Getränke war genauso gesorgt wie für kleine Knabbereien. Es sollte der Familie des Duca an nichts fehlen.


    Vianello führte seinen Herrn zu dem besonderen Platz, reichte ihm einen Korb voller Obst und weiteren Köstlichkeiten, ehe er sich diskret zurückzog. Nicht weit, er war in Rufweite. Aber dennoch weit genug, dass Tazio seine Privatsphäre genießen konnte.





  • Auch die Pretorianos erfüllten ihre Pflicht. Sie trugen heute keine Rüstung, sondern schwarze Stoffgewänder und Hellebarden. Ihre Aufgabe war es, die Ruhe der großherzoglichen Familie zu gewährleisten, indem sie die übrigen Strandbesucher großräumig auf Abstand hielten, so dass der Eindruck entstand, der Strand sei heute menschenleer. Eine Abteilung war auf Einbäumen mit einem klappbaren Segel unterwegs und riegelte auch das Meer ab. Auf dem schwarzen Segel prangten weiß die Sonne und der Seelöwe, so dass auf den ersten Blick erkennbar war, welche Einheit hier Präsenz zeigte. Geschickt und schneller als jedes sonstige anwesende Gefährt rauschten sie von hier nach da. Schiffe und Boote wurden umgeleitet. Danach ließen die Pretorianos das Segel sinken und ließen sich sitzend im Einbaum nieder.


    Tazio freute sich sehr über die liebevoll erbaute und genau so eingerichtete Strandmuschel. Er legte alle Kleider ab und zog auch den kleinen Delfio vorsichtig aus, der kurz zuvor eine Mahlzeit erhalten hatte, so dass er nicht quengeln würde. Für den Notfall hatten sie eine Flasche Muttermilch und weiche Süßfrucht dabei. Nackt konnte das Kind mit dem ganzen Körper die Umgebung erkunden. Tazio legte ihn auf einer Decke auf den Bauch und legte Treibholz und einige Steine und Muscheln dazu, alles groß genug, dass Delfio es in den Mund nehmen konnte, ohne es zu verschlucken.


    Dann widmete Tazio sich seiner Frau. Mit einem Lächeln schloss er sie in die Arme und küsste sie auf Wange und Mund, ehe er sich neben ihr hinsetzte, die Füße im Sand.


    "Geht es dir langsam besser?", fragte er. "Hast du dich von der Geburt erholt?"

  • Verrill beobachtete gerührt, wie liebevoll sich Tazio um ihren Sohn kümmerte. Sie selbst zog sich auch aus, schmiegte sich an ihren Mann und schaute hinaus aufs Meer.


    "Ja es geht mir langsam besser, Danke der Nachfrage Taz. Dan kümmert sich gut um mich, er ist ein umsichtiger Mann. Wir sollten ihn am Hof behalten, er ist ein guter Heiler. Nello hat sich wirklich alle Mühe gegeben, er hat die Strandmuschel mit so viel Liebe gebaut und eingerichtet. Du bedeutest ihm sehr viel, weißt Du das? So wie er Dich behandelt, bist Du sein Sohn. Du kannst es nicht abstreiten und warum solltest Du auch? Er ist ein guter Kerl, der sich ständig um Dich sorgt und Dich sehr gerne umsorgt", antwortete Verrill und küsste Tazi zärtlich.


    Sie nahm ihn ganz fest in die Arme und nickte Richtung Meer.


    "Wollen wir hier übernachten und nachher ein bisschen schwimmen gehen? Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich das erste mal in Monleone war und vom Palast aus auf das Meer geschaut habe. Hier war alles so anders Tazi, hier war alles so sauber, rein und frei. Sogar die Luft und der Blick. Wie weit man hier schauen kann. Ich habe das Land direkt geliebt und Dich weit bevor ich Ledwick liebte. Du bist in mein Reich gespült worden. Tausende Bücher und doch habe ich nie etwas davon real erlebt.


    Es ist etwas anderes vom Meer zu lesen, anstatt der Brandung zuzuhören, das Salz in der Luft zu schmecken und die kühle Luft zu genießen. Früher habe ich nicht verstanden, wovon die Seefahrer sprachen, heute verstehe ich was sie meinen. Manche benötigen einen Fixpunkt um sich auch in der Ferne sicher zu fühlen. Aber die See, sie ist endlos. Sie bietet keine Ecken, Kanten, keinen Halt. Sie bietet dafür Freiheit und die Ewigkeit. Und sie bietet Dich", sagte Verrill und kämmte mit den Fingern ihre Haare zusammen, die sie seit einiger Zeit wachsen ließ.

  • Delfio entschied sich für das nach Tazios Meinung langweiligste Objekt, einen runden Stein. Den hob er auf und führte ihn zum Mund, um seinen zahnlosen Kiefer daran auszuprobieren. Tazio lächelte und lehnte sich eng an seine Frau. Er machte sich dazu etwas klein. Heute musste und wollte er keine Größe und Stärke zeigen, sondern sich fallen lassen in ihre liebenden Arme und in die der See - und jeder wusste, dass die Ducachessa der Ozean war und der Duca der Seelöwe, der sie brauchte, um ganz zu sein.


    "Vianello zeigt mir seine Liebe jeden Tag, ich könnte mir keinen besseren Leibdiener wünschen. Wobei er so viel mehr ist, er ist auch Ziehvater, Berater, Wächter und Freund. Er ist ein alter Mann, es macht mir Angst, daran zu denken, dass er eines Tages nicht mehr für uns da sein kann. Ich möchte ihm daher ein Geschenk machen. Das Geschenk der Unsterblichkeit. Noch weiß er davon nichts und freut sich vielleicht schon auf seinen Altersruhestand. Ich möchte ihn aber noch ein Weilchen länger an meiner Seite wissen und auch Delfio soll etwas von ihm haben, indem Vianello später seinen Leibdiener aussucht und einarbeitet."


    Er streichelte Delfios weichen Babyrücken, dann streichelte er Verrills Arm. "Ich bin froh, dass es dir gut geht. Es war nie geplant, Dantoine wieder nach Souvagne zu schicken, er wird eingebürgert und soll an unserem Hof bleiben. Und ich bin glücklich darüber, dass du hier deine Heimat gefunden hast - und Ledvico mit dir seine Ducachessa. Du hast uns gefehlt und ich denke, das haben wir beide gespürt. Ich wollte keine der Frauen, die mir Vater vorstellte oder vorschlug. Keine Einzige. Ich habe auf meine See gewartet und nun bist du hier."


    Erneut liebkosten seine Lippen ihr Gesicht, ihren Mund und ihr Ohr. Dann erhob er sich. Mit einem Wink bedeutete er Vianello, sich zu Delfio zu setzen, er selbst führte seine Frau zum Meer.


    "Wir werden heute Nacht unter den beiden Monden und unter den Sternen schlafen." Er zeigte nach Süden. "Dort werden Sirio und Delfio am Firmament stehen. Ich werde sie dir zeigen und die anderen Gestirne, sobald die Sonne untergegangen ist."


    Ihre Füße erreichten das Ufer. Tazio lächelte Verrill zu. Der Seelöwe und die See betraten das kristallklare, türkisgrüne Wasser des Dhunico, in dem alles begonnen hatte.