Und wieder fiel Asche

  • Nicht jede Asche manifestierte sich als schwarze Flocken. Oft war sie unsichtbar, doch nicht minder giftig, erstickte jeglichen Lebensmut und hinterließ eine schwarze Wüste im Geist, die sich nie wieder erholen würde. Vanja wusste um die Zyklen, im Großen wie im Kleinen. So wollte es das Gesetz dieser Welt, das ihnen allen nur Verderben brachte und niemandem ein glückliches Ende bescherte. Er hatte geahnt, was geschehen musste, früher oder später. Ein weiterer Tag der Asche war angebrochen.


    Den Willen Ainuwars, des Gottes, der nicht liebte, hielt der Priester in den Händen. Ainuwar hatte sich einmal mehr des Duc de Souvagne als Sprachrohr bedient, zu keinem anderen Zwecke, als um die Erfüllung aller schwarzen Prophezeihungen aus Äonen der Asche voranzutreiben. Einen anderen Zweck gab es nicht.


    Tinte auf Pergament, nicht länger zu leugnen, hielt er das Ende der gemeinsamen glücklichen Zeit in den Händen. Das Unglück war in die schonendsten Worte verpackt, die Davard hatte aufbringen können. Er wusste, wie er hätte reagieren sollen als Erbe seines Blutes. Doch Vanja war es nicht möglich, mit der kalten Überheblichkeit seines Bruders auf die Scherben ihres Glücks herabzusehen, die neue Situation zu evaluieren und kühlen Kopfes zur nächsten Tat zu schreiten. Vanja selbst war es, der zerbrach. Ihm erlosch der Wille und die kleinlichen Kämpfe der Häuser, die doch nur das verderbliche Werk Ainuwars fortzuführen imstande waren, lagen vor ihm in all ihrer Sinnlosigkeit.


    Diese Welt war verloren. Nichts würde besser werden, nichts sich ändern, ganz gleich, was man tat oder unterließ. Mit dem Brief löste sich das wenige auf, für das zu kämpfen er bereit gewesen wäre.


    In all seinem gesammelten Wissen hatte das Haus Wigberg kein Heilmittel gefunden, noch war Hohenfelde imstande, das Glück mit Waffengewalt zu erzwingen und auch Eibenberg konnte nicht kaufen, was diese Welt und ihrer aller Schicksal genesen lassen würde. Sie waren zum Leiden verdammt, die Verderbnis unausweichlich.


    Es gab nichts mehr für Vanja zu erledigen und niemals würde er mit seinem Bruder die Degen kreuzen, wie er es sich einst geschworen hatte, denn einen Grund zu kämpfen gab es nicht mehr. Vanja sank kraftlos in seinem Stuhl zusammen, den Blick auf die vertraute Handschrift gerichtet. Wenngleich ihm noch einige Jahre Frist bis zu seinem physischen Tod blieben, endete sein Leben an diesem Tag.

  • Der Duft frisch gebratener Plinsen mit Apfelstückchen und Rosinen wehte aus dem geöffneten Küchenfenster. Draußen hörte Vendelin, wie Alejandro mit dem Geschirr klapperte. Efeu rankte über das Haus. Die moosige, verfallene Mauer diente einigen kleinen Schlangen als Sonnenplatz. Dort stand auch die kaputte Bank, auf der Vendelin mit dem Häuflein Elend saß, das einst sein Bruder gewesen war.


    Vendelin hörte zu, dann las er selbst das Schreiben.


    "Kein Anlass zur Trauer, Vanja. Was geschah, ist kein Verlust, sondern eine Reinigung. Habe ich dich nicht gelehrt, aufmerksam zu lesen? Trockne die Tränen und öffne die Augen: Davards Loyalität gilt nicht der Familie, sondern der Krone. Ich finde das eine interessante Aussage. Was mag das Haus Hohenfelde davon halten, wie Nimmersatt sich von ihnen abwendet und wimmernd vor der Krone das Hinterteil reckt? Wie er offen allen Blutsbanden entsagt? Auf uns kommen interessante Zeiten zu, mein kleiner Bruder."


    Aus dem Fenster rief Alejandro zum Essen. Lächelnd bot Vendelin seinem Bruder den Arm.