Heimkehr nach Shakorz

  • Eigentlich hatte er geschworen, nie wieder einen Fuß nach Shakorz zu setzen. Nach langen Irrwegen als Reliktjäger kehrt der zwielichtige und einzelgängerische Halbork Kobro, der heute den Künstlernamen "Sodo Mio" trägt, in seine verhasste Heimat zurück. Dort muss er sich seiner Vergangenheit ebenso stellen wie der Frage, ob er nach all den Jahren als Einzelgänger noch ein Gewissen hat.


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    Heimkehr nach Shakorz

    Meine Stiefel stapften über den gefrorenen Boden der Tundra. Die Pflanzen zersplitterten knisternd unter meinen Schritten. Die Rüstung hatte ich in der Wildnis deponiert, sie würde mich bei dem langen Marsch nur behindern, aber ich trug etliche Trophäen an meinem Leib: Raubtierzähne, Krallenketten und vor allem Skalpe. Ein Späher, der mich entdeckt hatte, stieß einen Warnpfiff aus. Das tat er schon zum dritten Mal, doch er blieb auf Distanz. Er würde sich den Bruthöhlen nicht einmal nähern, um die dort lebenden Orks zu warnen, sonst würde der Häuptling ihn zum Frühstück verspeisen. Doch mich würde nichts aufhalten.


    Und da waren sie endlich, die Hügel mit dem erdigen Höhlensystem, in dem meine Rotte hauste. Sie dampften wie Kuhfladen in der Kälte. Angewidert betrachtete ich den Ort, an dem ich meine Kindheit verbracht hatte, während ich mich ihm durch den Winterwind entgegen kämpfte. Mit Shakorz verband ich nur drei Dinge: Kälte, Gewalt und Angst. Was also brachte mich dazu, wieder dorthin zurückzukehren? Weder vermisste ich die Rotte, die uns Halbblütern keine Chance ließ, ein orkwürdiges Leben zu führen, noch die Bruthöhlen, in denen ich meiner Mutter Schande gebracht hatte, indem ich den Fehler beging, geboren zu werden.


    Es war kein Heimweh, sondern die Erinnerung, die mich heimrief - die Erinnerung an einen Jungen aus meiner Kindheit, der so war wie ich.


    Seine Angst vor der Fremde war noch größer gewesen als die Angst vor den Vollblutorks, und so war ich allein geflohen. Nun kehrte ich als erwachsener Mann heim und die Skalps würden jedem Warnung sein, mich anzugehen. Heute würde ich erfahren, ob mein Freund aus Kindertagen das übliche Sklavenleben eines Halborks führte oder ob sie ihn bei einem ihrer Spiele umgebracht hatten. Dann würden sie dafür bezahlen.


    Mit einem schrillen Ruf, der in einem Raubtierbrüllen endete, kündigte ich meine Heimkehr an. Meine Stimme verhieß Kraft und die Bereitschaft zu kämpfen, falls man mir dumm kommen sollte. In die Siedlung kam Bewegung.

  • Ein Halbkreis bewaffneter Orkfrauen umringte mich. In ihren Winterklamotten waren sie kaum von Männern zu unterscheiden. Bei Orks gab es dahingehend ohnehin nur geringe Unterschiede. Komplimente, in denen Worte wie "lieblich" oder "süß" vorkamen, würde eine Orkfrau damit beantworten, dem Charmeur eine zu verpassen. Wer eine Orkfrau umwerben wollte, musste sich etwas anderes einfallen lassen.


    Ich zog den Schal von meinem Gesicht. "Mein Name ist Kobro von der Rotte der Skunks, Sohn der Skugga."


    "Das ist ein Halbblut", hörte ich aus mindestens drei verschiedenen Richtungen. Damit entspannte sich die Lage. Paradox? Nicht wirklich. Die Gründe dafür sind unsagbar traurig, doch im Moment halfen sie mir. Ich konnte die Welt nicht verändern, doch ich konnte lernen, ihre Gesetzmäßigkeiten zum eigenen Vorteil zu nutzen.


    Eine der Frauen wirbelte protzig mit ihrem Wurfspeer, ehe sie ihn lässig auf ihrem Rücken verstaute. Ein selbstgefälliges Grinsen zeigte ihre gelben, rasiermesserscharfen Zähne in einem schwer vernarbten Mund. Sie hieß Garrach und war eine Freundin meiner Mutter gewesen. Sie war fast doppelt so alt wie ich. "Komm rein." Es klang aus ihrem Mund wie ein Befehl, war aber eine Einladung auf Orkisch.


    Ich bedachte sie mit einem herablassenden Blick. "Gibt es was zu Essen?" Ich ließ ihr Zeit, mein Gesicht, meinen erwachsenen Körper und meine Trophäen zu mustern. Kein Wort würde sie überzeugen, nur dass, was sie sah, hörte und roch.


    "Ich habe Hase", sagte sie.


    "Und ich habe Elch", mischte eine jüngere Frau sich ein, die Furmul hieß.


    Beide Frauen starrten sich an. Ich hätte sie gern gefragt, wo die anderen waren, die wahren Wächter dieser Bruthöhlen, doch dafür schien es mir zu früh. Ich zog ein desinteressiertes Gesicht und blickte mich um, als wenn ich überlegen würde, wieder zu gehen. Langsam neigte ich meinen Kopf von einer Seite zur anderen Seite, ließ dabei die Hals- und Kiefermuskulatur arbeiten, rollte ein wenig meine Schultern, als wolle ich sie nach der langen Reise lockern. Blickte noch weiter zurück. Dann fiel mein Blick erneut auf Garrach. "Besorge mir Hirsch und Bier. Vielleicht lockt mich das in deine Höhle."


    Sie legte sie die Ohren zurück und ihr Nasenrücken schlug Falten, als sie mir ihre Zähne zeigte. "Du bist frech für ein Halbblut. Als du noch ein kleiner Bastard warst, habe ich dich nackt durch die Höhlen geprügelt." Kampflust vibrierte in ihrer Stimme.


    Ich zog verächtlich einen Mundwinkel zur Seite. "Du Heldin." Ich schlug auf einen schwarzen Skalp. "Ich habe Häuptling Zurwakh nackt auf einem Schwein reitend durch Drakenstein geführt, bevor ich ihm die Kehle aufschlitzte."


    Die Geschichte zeigte Wirkung, die Frauen wechselten unruhige Blicke. Niemand saß auf dem Knochenthron, der es sich nicht verdient hatte. Ein Häuptling war kein Idiot. Man kam sehr schwer an ihn ran, denn ihn umgaben stets etliche seiner Freunde. Einen Häuptling zu töten erforderte mehr als nur Kampfkraft. Man brauchte vor allen Dingen Raffinesse und mächtige Verbündete.


    "Warum hast du die Rotte von Zurwakh nicht übernommen?", platzte Furmul heraus. "Wurdest du davongejagt?"


    "Ich bin weitergezogen, um Häuptling Burnigal zu töten." Ich klopfte auf einen roten Skalp. "In den Tavernen von Trux singen sie noch heute das Lied vom Toten roten Ork. Er war ein harter Gegner, aber unaufmerksam. Sein Herz wurde mein Festschmaus ."


    Sie starrten mich an. "Und nun bist du hier."


    "Und nun bin ich hier."


    Merk dir eins, lieber Leser: Wenn du es mit Orks zu tun hast, ist es besser, gefürchtet als gemocht zu werden. "Besorge mir Hirsch und Bier", wiederholte ich meinen Befehl an Garrach. Für ein Halbblut war mein Auftreten unerhört. Das Spiel war riskant, doch ich kannte die Regeln und beugte sie mit System.


    In dem Moment, als ich meinen Blick auf Furmul zu richten begann, spuckte Garrach ein "Meinetwegen" dazwischen. Anscheinend war ich für sie ein erfolgreicher Schlächter mit einem anziehenden Maß an Arroganz und Sadismus. Und - ich war ein Halbblut. Für mich galten besondere Regeln, da der Beischlaf mit unsereins niemals fruchtbar war. Sie konnten und durften mit unsereins spielen, ohne dass der Häuptling einen Ausraster erlitt. Würde ein Vollblutork hier aufgekreuzt sein, wäre der Tag anders verlaufen.


    Das Wissen, nur als Spielzeug gesehen zu werden, war nichts Angenehmes. Doch in diesem Augenblick fühlte ich mich sicher und stark, denn ich ging ganz in meinem Element der Lügen und dreckigen Tricks auf. Wir würden sehen, wer mit wem spielte.


    Ich folgte Garrach in die Bruthöhlen. Bisher lief alles nach Plan.

  • Vor mir stand die leere Schüssel und ein leerer Bierkrug, beides aus Schädeln hergestellt. Schlecht war die Mahlzeit nicht gewesen, allerdings mickrig. Garrach hatte gegeizt. Das Essen sollte mich zugänglich stimmen, nicht mehr, nicht weniger.


    "Nun", begann ich, "verrate mir doch endlich, wo die übrigen Halbblüter abgeblieben sind. Sollten sie euch nicht vor wildernden Kriegern bewachen?"


    So ist der Lauf der Dinge - da wir Halborks unfruchtbar sind, genießen wir als einzige Männer das Privileg, uns in den Bruthöhlen aufhalten zu dürfen. Das hört sich viel besser an, als es in Wahrheit ist. Unser Daseinszweck besteht einzig in der Beschäftigung und Bewachung der Frauen, damit sie nicht mit herumschleichenden Kriegern abgaben. Wir sind Spielzeug unterhalb der Rangfolge. Jeder Vollblutsäugling steht im Rang über uns. Im Grunde sind wir nichts als zeugungsunfähige Haremswächter. Nur darum lässt man uns leben.


    Garrach zuckte mit ihren muskulösen Schultern. Dass sie nicht reden wollte, sondern anderes im Sinne hatte, war offensichtlich. Doch ich war kein verschüchterter Jüngling mehr, sondern stand auf dem Höhepunkt meiner Kräfte. Ich hatte als Söldner gedient, als Reliktjäger, und ich würde in dieses Leben zurückkehren. Mir erteilte keine Frau mehr Befehle. Dennoch durfte ich es nicht mit meiner großen Klappe übertreiben, denn ich wollte Informationen.


    "Vielleicht verrate ich es dir hinterher, Halbblut", sagte Garrach. "Du hast dich auf meine Kosten gestärkt. Jetzt komm zur Sache oder verschwinde."


    "Beantworte mir vorher noch die Frage. Wo sind sie?"


    Sie grinste böse. "Nein."


    "Ich könnte dich zwingen."


    Ihr schallendes Gelächter tönte durch ihre Höhle. Nein, sie würde sich nicht durch Worte überzeugen lassen. Mein Plan zerbröckelte zwischen meinen Fingern. Ich war so nah dran und doch konnte ich mein Ziel nicht erreichen. Was wog schwerer, mein mühsam erkämpfter Stolz oder eine uralte Freundschaft, die heute vermutlich keinen Pfifferling mehr wert war? Wenn ich nun aufstand, würde ich allein gehen. Doch der Gedanke an den sensiblen Jungen, der seine Träume mit verbrannten Holzstücken an die Höhlenwände gemalt hatte, ging mir nicht aus dem Kopf. Lebte er noch? Wenn ja, war er zu retten?


    Und: Hatte ich noch ein Gewissen?


    Der Schleier der Taubheit legte sich über mich. "Es ist ein Handel", sagte ich laut zu Garrach, um mich davon zu überzeugen, dass es nicht war wie früher. Dass ich diesmal volle Kontrolle hatte.


    "Träum weiter, Abschaum", lachte sie böse. "Meine Gnade ist es, auf die du hoffen kannst. Du wirst gehorchen, oder du siehst deinen kleinen Freund nie wieder. Ja, ich weiß, weshalb du hier bist! Du willst uns diesen nichtsnutzigen Scheißer rauben, mit dem du dich als Balg abgegeben hast."


    Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich. "Ich bin nur zu Besuch. Wollte nach meiner Mutter sehen und den anderen Halbblütern."


    "Du bist so leicht zu durchschauen, dass es lächerlich ist. Halte mich nicht zum Narren, oder ich alarmiere die anderen Frauen. Wir wissen, wie man Spaß hat, erinnerst du dich? Du wirst das Spielchen nach meinen Regeln spielen, und vielleicht schweige ich dann. Gibst du noch ein einziges Widerwort, schlage ich sofort Alarm. Runter jetzt mit den Klamotten." Der Befehl war endgültig.


    Meine Arme fühlten sich an wie Blei. Ich zog mir mit schwerfälligen Bewegungen das knielange Pelzoberteil über den Kopf. Etliche Ketten. Dann das Leinenunterhemd. Die Schuhe, die Hose, sämtlichen Schmuck, alles. Nackt stand ich in der Höhle. Garrachs Blick war wie Packeis, als sie mich zu sich heranwinkte.

  • Überrascht es, dass Garrach auch noch zwei Freundinnen herbei rief, um die ich mich kümmern musste? Nach der dritten Frau war ich am Ende. Sie würden mich kaputtspielen und meinen Freund aus Kindertagen würde ich trotzdem nicht retten. Ich fuhr in meine Kleider. Die Leere in meinem Inneren war körperlich spürbar. Lachend und spottend beobachteten die drei Frauen mich aus dem Fellbett. Kein Wort des Danks, kein Lächeln, nicht ein einziges gutes Wort. Ich bereute, auch nur einen Fuß in dieses Drecksnest gesetzt zu haben.


    "Die Halbblüter sind bei den Kriegern", sagte Garrach plötzlich. "Wir haben einen neuen Häuptling. Er regelt die Dinge jetzt anders."


    Überrascht blickte ich auf. Ich hatte Nakra Sturmbringer für so gut wie unbesiegbar gehalten. Alle Orks waren Raubtiere, doch er war ein Monster gewesen. "Wie ist das möglich? War Nakra krank?"


    Garrach zeigte mir ihre gelben, scharfen Zähne, eine Mischung aus Herablassung und Grinsen. "Finde es selbst heraus. Ihr Halbblüter seid doch angeblich so schlau."


    Das hörte ich zum ersten Mal aus dem Mund eines Vollblutorks. Und sah ich da Schmerz hinter der bösen Fratze versteckt? Irgendetwas stimmte nicht.


    "Das werde ich." Mein Gesicht war wie Stein. Ich richtete mich zu voller Größe auf. Die drei nackten Frauen wären für andere ein reizvoller Anblick gewesen. Dass ich die Dinge anders sah, liegt auf der Hand. Sie machten keine Anstalten, mich aufzuhalten. Der Handel galt, auch wenn Garrach mehr ergaunert hatte, als vereinbart worden war, und darauf bestand, dass es keinen Handel geben würde.


    Ich wandte mich ab und ging. Das erdige und felsige Höhlenlabyrinth kannte ich auswendig und bedurfte keiner Führung. Hier hatten wir gespielt, uns gejagt und vor den Vollblütern versteckt, doch am Ende fanden sie uns immer. Kurz vor dem Ausgang überholte Garrach mich und versperrte mir den Weg. Sie trug nun wieder ihre Fellkleidung, die alle weiblichen Reize auslöschte.


    "Aus dem Weg", grollte ich und mein Blick bohrte sich in ihre Augen, die so gelb waren wie ihre Zähne. Sie würde mich nicht aufhalten. Ich überragte sie um einen halben Kopf und war erfahren im Töten.


    Sie schrie mir ins Gesicht: "Meinst du, mir geht es besser als dir? Meinst du, ich hätte mir den Vater meiner Kinder aussuchen können?! Dieses selbstmitleidige Gehabe von euch Halbmenschen kotzt mich so an! Ich wolle Nakra - und nicht seine dümmlichen Krieger, die er für ihre Treue damit belohnte, uns besuchen zu dürfen. Ich wollte auch nicht seinen idiotischen Vorgänger und nicht seinen peinlichen Nachfolger. Nakra war alles, was ich mir wünschte! Und du ziehst ein Gesicht wegen dem bisschen Arbeit. So sieht mein gesamtes Leben aus!"


    Mein Blick war unversöhnlich. "Falls du Mitleid erwartest, bist du bei mir an der falschen Adresse."


    "Kein Mitleid! Aber du hast doch angeblich zwei Häuptlinge getötet. Warum schaffst du nicht auch Nakras Mörder aus dem Weg? Keine von uns Frauen will diesen peinlichen Schwächling zum Mann! Skugga ist sogar fortgelaufen. Wahrscheinlich ist sie nun tot. Wir wären dir alle dankbar."


    "Wenn der Neue so schwach ist, warum kümmert ihr euch nicht selbst um ihn? Ihr wisst, wie man Speere gebraucht. Klärt eure Angelegenheiten selbst, so wie ich mich fortan wieder um meine kümmern werde. Dies ist das letzte Mal, dass wir uns begegnen."


    Damit schob ich mich an ihr vorbei und trat ins Freie.

  • Eisiger Wind fauchte mir ins Gesicht. Hin und wieder sah ich die Silouette des Spähers, der mich auch in diese Richtung begleitete, ohne sich mir zu nähern. Als die Sonne unterging, nahm die Kälte zu. So lange ich mich bewegte, würde mir nichts geschehen. Bei Tauwetter, wenn der Tundraboden schmolz und sich in einen Sumpf verwandelte, wäre der Weg ungleich schwieriger. Irgendwann sah ich die markanten Felsen, die einen steinernen Ring bildeten. Manche sagten, dies sei ein alter Vulkankrater. Als ich den typischen Geruch des Lagers roch, spürte ich Erleichterung. Der Marsch und der Stress mit den Frauen hatten mich erschöpft und die zunehmende Kälte machte mir zu schaffen.


    Roh behauene Holzpalisaden schlossen den einzigen Zugang ab. Überfälle stammten nicht von Menschenheeren mit schwerem Geschütz, sondern es handelte sich stets um Kriegstrupps anderer Orkrotten. Man war wachsam. Bei den Wächtern gab ich mich zu erkennen.


    "Kobro, Sohn der Skugga von der Rotte der Skunks." Eigens zu diesem Anlass zeigte ich das Rottenabzeichen, zwei wulstige Schnittnarben unter dem rechten Ohr. Diese Narben bekam jedes Mitglied der Rotte nach der ersten erfolgreichen Wolfsjagd. Danach war man entweder tot oder erwachsen. Jede Rotte hatte ihre eigenen Narbenabzeichen. Meist waren sie an leicht zugänglichen Stellen des Körpers angebracht, wie dem Gesicht, dem Hals oder den Ohren. Sie waren praktisch fälschungssicher, denn man sah, wenn sie frisch waren.


    Der Wächter, ein großer Ork, erkannte auf den ersten Blick das Alter meiner Narben. Verwundert musterte er mich. "Du warst lange fort."


    "Allerdings", bestätigte ich.


    "Kann mich kaum an dich erinnern. Warum kehrst du zurück?"


    "Nun, ich habe deinen Namen auch vergessen." Das stimmte nicht, aber wer mich vergaß, der war mir seinerseits egal. "Ich suche nach meinem alten Freund."


    Dann beschrieb ich ihm das Halbblut, das ich besuchen wollte.


    Mein Freund aus Kindertagen hieß Katax, so wie das Schiff, das in der Nähe der Bruthöhlen havariert war. Ist es nicht nett von einer Orkmutter, ihren Sohn nach einem Schiff zu benennen, dessen Bauch von Röhrenwürmern zerfressen war und seiner Besatzung den Tod brachte? Das Schiffsunglück hatte die nächsten Jahre von Shakorz bestimmt. Es war nicht allein die erbeutete Fracht, welche unsere Rotte mit Eisenwaffen und Eisenrüstungen versorgte, sondern auch die Besatzung, welche ihr Schicksal schrieb. Die Orkfrauen fielen über die Männer her wie ausgehungerte Hyänen. Noch Jahre später erzählten sie die Geschichten davon. Die Ernüchterung kam neun Monate später: Das einschneidendste Resultat des Schiffsunglücks war eine bislang nie dagewesene Schwemme von Halborks.


    "Katax ist hier", meinte der Wächter. "Aber er hat keine Zeit für dich."


    Darauf war ich vorbereitet. "Vielleicht kannst du ein gutes Wort für mich einlegen? Ich gebe dir diese Silberkette." Ich zog das Kleinod hervor, das verführerisch im Fackellicht glitzerte. Von wegen Silber ... es war Eisen, das aufgrund eines ausgeklügelten alchemistischen Verfahrens hell wie Silber schimmerte. Als Reliktjäger kannte ich die Metalle ebenso wie allerlei schmutzige Tricks.


    Der Ork nahm die Kette entgegen, untersuchte sie und kam zu dem falschen Schluss, dass sie wertvoll sein müsse. Woher sollte er es besser wissen? "Ich denke, Katax kann ein wenig Zeit erübrigen. Geh rein", sagte er zufrieden.


    Kaum hatte ich das Lager betreten, fiel der zweite Wächter über den mit der Kette her. Nichts anderes hatte ich erwartet. Ich drehte mich nicht einmal um.

  • Das Innere eines Orklagers ist ein Fall für sich. Das liegt daran, dass Orks lieber improvisieren als planen.


    Im Palisadenwall drängten sich zahllose Gebilde, die aussahen, als ob ihr Erbauer sich nicht hätte entscheiden können, ob er einer Hütte oder einem Zelt den Vorzug geben wollte. Es gab auch andere Lager, die tief in die Hänge des Taiweng hineingetrieben waren, wie die Heimstatt der mächtigen Rotte Darazgord. Da konnten die Skunks nicht gegen anstinken. Doch das mussten sie auch nicht, sie waren störrische Individualisten ohne Allmachtsfantasien. Das sah man nicht nur an ihren berüchtigten Kunstwerken, sondern auch an ihrem - trotz allem - verhältnismäßig moderaten Umgang mit Halborks. Die Darazgord hingegen warfen alles, was nach Bastard aussah, unter großem rituellen Brimborium in den schwarzen Schlund einer Felsspalte.


    Das Lager der Skunks wirkte wie eine Ansammlung von orkischem Sperrmüll, bunt und wild. Mit orkischen Kunstwerken wurde jedenfalls nicht gegeizt, vom Knochenwindspiel bis zum Marterpfahl. Man könnte es als kulturelles Zentrum der Orks bezeichnen. Ich duckte mich, um unter einem zum Trocknen aufgespannten bemalten Fell hindurch zu kommen. Dabei streiften Skalps über meinen Kopf. Zwei Schritte später stolperte ich über einen Haufen von mit Schnitzereien verzierten Schädeldecken, die als Suppenschalen dienten.


    "Pass doch auf", brüllte es aus dem Inneren.


    "'tschuldigung", brüllte ich zurück, ohne innezuhalten. Die Gassen bildeten ein schief zusammengenageltes Holzlabyrinth. Eine Reihe halbverwester Köpfe baumelte an einem Seil, das man ihnen durch die Ohren gezogen hatte, umschwirrt von fetten Fliegen, die trotz der Jahreszeit hier im Lager überlebten. Wo lang jetzt? Ich stieg in einen Schacht hinab, der eine Unterführung zu sein schien. Hier sah alles anders aus als früher, aber wenn ich mich nun rechts hielt, müsste ich mich der Mitte des Lagers nähern. Im Schacht wurde es kuschelig, denn er wurde rege benutzt. Ich drängte mich zwischen den Körpern der Krieger hindurch, die ab und zu grollten oder rempelten. Ich verzichtete darauf, mich mehr als nötig zur Wehr zu setzen. Die Krieger waren ein anderes Kaliber als die Frauen. Keinesfalls wollte ich eine Auseinandersetzung.


    An einer sternförmigen Kreuzung blieb ich stehen. Und nun? In der Mitte hing unter der Decke ein Fackelhalter aus Knochen.


    Eine schnüffelnde Nase schob sich plötzlich von hinten unter mein rechtes Ohr. Ich spürte zwei heiße Luftzüge und das Beben der Nasenflügel, die Kälte etlicher Nasenringe und das Kratzen der Hauer, als der Ork auf Tuchfühlung kam. Widerwillig neigte ich den Kopf zur anderen Seite, damit er in Ruhe meine Narben inspizieren konnte. Das tat er dann auch mit Nase und Zunge, um ihr Alter abzuschätzen.


    "Skunk seit meiner ersten Wolfsjagd", knurrte ich. "So wie du." Die Art und Weise, wie er hinter mir stand, gefiel mir gar nicht. Unwirsch fuhr ich herum und starrte ihm in die Augen. "Versuch es gar nicht erst."


    Er war ein großer junger Ork, der in dem Alter war, da man sich beweisen will. Dem Alter war ich längst entwachsen. Ich wusste, wer ich war und welches Maß an Aggression ich mir leisten konnte - und wo Flucht oder Geschick angemessener schienen. Als Halbblut war ich Freiwild, doch das hieß nicht, dass ich mich nicht wehren durfte, wenn ich bereit war, die Konsequenzen dafür zu tragen. Das Kerlchen würde ich fertig machen. Aber es war nicht das, was ich wollte, denn ein Ork kämpfte selten allein. Mein Sieg hätte nur zur Folge, dass mir bei der nächsten Gelegenheit seine Freunde auflauerten. Und da ich meine eigenen Freunde zufällig nicht dabei hatte, musste eine andere Lösung her.


    "Wer bist du überhaupt", blaffte ich ihm ins Gesicht. Ein Gespräch konnte verhindern, dass die Situation eskalierte, wenn es mir gelang, ihn dazu zu bringen, mir zu antworten. "Ich sehe keine Trophäen an dir", fügte ich verächtlich hinzu.


    Er stierte mich aus kupferroten Augen an, musterte mich von Kopf bis Fuß. In seiner Nase hing und steckte ein Arsenal an Ringen, die ich hätte zählen müssen um sagen zu können, wie viele es waren. Viel war von seinem Riechkolben jedenfalls nicht zu sehen. "Nishrod, Sohn der Furmul", kam nach einer Weile die Antwort. Den Vater wussten die meisten Orkfrauen ohnehin nicht, so dass man sich beim Namen der Mutter vorstellte. "Wer fragt?"


    "Kobro, Sohn der Skugga. Und ich suche einen gewissen Katax."


    Nishrod grinsten, wobei er mir sein in dem Alter noch weißes und vollständiges Raubtiergebiss zeigte. "Den suchst du? Der ist in der Arena."


    "Ah, oh, hm." Da stolperte sie fort, meine Schlagfertigkeit. "Uff, ja. Puh. Ich sollte dann wohl besser gehen." Wie ich meine große Klappe bereute. Scheinbar hielten neuerdings die Traditionen der Darazgord Einzug, nur dass man uns nicht gleich in eine Spalte warf, sondern genüsslich in der Arena zerlegte! Kein Wunder, dass es am Tor so verdächtig schnell und einfach gelaufen war! Ich Idiot war genau in mein Verderben gelaufen!


    Nishrod verzog fragend die kahlen Brauenwülste. "Wolltest du nicht gerade noch zu ihm?"


    Ich musterte ihn scharf. Seine Verwunderung wirkte aufrichtig. Also fing ich mich wieder und setzte eine würdevolle Miene auf. "Ich dachte im ersten Moment, er würde dort die Hauptattraktion sein."


    "Das ist er ja auch."


    "Bei der gesichtslosen Leere!" Keuchend wollte ich an ihm vorbei stürzen, doch eine Horde betrunkener Krieger spülte mich und Nishrod mit ihrer schieren Masse gegen die Wand. Schnaubend wand ich mich wieder auf Distanz, sobald der Platz das erlaubte. Doch als ich nun den Gang suchte, der ins Freie führte, musste ich fünf völlig gleich aussehende Schächte erblicken. Ich hatte durch das Gedränge jegliche Orientierung verloren.


    Er bemerkte meine Situation. "Könnte dich führen", säuselte er mit falscher Freundlichkeit.


    Ich wollte ablehnen, doch dann besann ich mich eines Besseren und wühlte in meinen Taschen. Ich war ja für Situationen wie diese nicht ohne Handelsware angereist.


    Als ich ein paar falsche Silberringe hervorholte, schaute Nishrod nicht begeistert. "In meiner Nase ist kein Platz mehr."


    "Aber in deinen Ohren."


    "Die will ich lieber nicht betonen."


    "Aber sind die Ringe in deiner Nase denn aus echtem Silber?" Verführerisch ließ ich die Ringe im Fackellicht glitzern.


    Er zuckte die Schultern. "Ich mag keinen Glitzerkram. Aber wir könnten anders ins Geschäft kommen."


    Erbost steckte ich die Ringe wieder ein. "Nein, das können wir nicht! Wenn du nicht vernünftig handeln willst, frage ich jemand anderen." Entschlossen wandte ich mich ab.


    "Schon gut. Vergiss was ich sagte. Wir beide sind Skunks, auch wenn ich dich nicht kenne. Ich werde helfen. Komm." Damit machte er sich auf den Weg.


    Na also. Man musste nur lange genug stur bleiben! Zufrieden stapfte ich hinter ihm her. Nach zwei weiteren Abbiegungen war ich sicher, dass dies nicht der Weg war, von dem ich gekommen war. "Ähm", machte ich auf mich aufmerksam.


    "Es ist eine Abkürzung", brummelte er.


    Mit einem Hauch von Verzweiflung blickte ich mich um, doch eine weitere Welle Orks presste mich hart an die holzverkleidete Wand. "Aus dem Weg", bellte einer. Es wurde immer schmerzhafter, der Gang verstopfte mit lebenden Körpern, die begannen, gegenseitig auf sich einzuschlagen. Mir hingegen ging die Luft aus. Nishrod packte mich und mit einem brutalen Ruck riss er mich an der Wand entlang. Dann zerrte er mich um die Ecke in den dunklen Nebengang, der augenscheinlich sein Ziel war. Wie viele blaue Flecke ich nun hatte, wollte ich gar nicht wissen.


    "Lass den Unsinn", grollte er. "Komm einfach mit. Es ist alles richtig." Diesmal schob er mich vor sich her. Es musste ein Geheimgang sein, denn hier war nur Erde und wir mussten uns bücken. Ich wusste ganz genau, dass wir immer tiefer stiegen. Der vermeintliche Geheimgang entpuppte sich als immer enger werdender Lüftungsschacht, so dass wir am Ende auf allen vieren krochen. Bald hörte ich Gejohle und Gebrüll und den Geruch von Blut. Kriegstrommeln und Rasseln erklangen.


    Das war nicht der Ausgang, das war der Weg zur Arena.

  • Glück im Unglück, dachte ich im ersten Moment. Etliche Meter unter mir zog jemand mit einem Rechen den zertrampelten Sand glatt, so dass die Blutspuren vom letzten Kampf verschwanden. Man wollte ja sehen, wie stark der Lebenssaft in der aktuellen Auseinandersetzung spritzte. Der Lüftungsschacht bot eine gute Sicht von oben, nur die vielen Holzbalken störten. Außerdem blieb das Publikum meinen Blicken verborgen, allerdings verriet die Lautstärke, dass die Arena zum Bersten gefüllt war. Leider zeigte sich, dass es auch einen gravierenden Nachteil hatte, wenn man in einem Lüftungschacht eingeklemmt saß, der auf der anderen Seite von einem zwei Zentner schweren Jungork verstopft wurde.


    "Wie viel Silber hast du bei dir?" Nishrod schob mich ein Stück weiter in Richtung Rand. Erdklumpen bröckelten unter meinen Füßen. Erschrocken krallte ich mich am Rand fest, doch da gab es nur blankes Erdreich. Dem Lüftungsschacht fehlte jegliches Holz.


    "Du hast doch gesagt, du magst keinen Glitzerkram", rief ich erbost.


    Er grinste breit. "Ich habe gelogen." Und er gab mir einen Schubs gegen die Schulter. Ich spürte, wie ich das Gleichgewicht verlor und aus dem Erdloch fiel, gleichzeitig packten seine Hände mich an der Kleidung. Mit einem kräftigen Schwung zog er mich wieder hinein. Mit klopfendem Herzen saß ich direkt vor ihm. "Gib mir dein Silber", säuselte er.


    "Also gut. Rutsch ein Stück."


    Er tat mir den Gefallen, was mir nicht viel nützte, da ich in meiner Angst, in die Tiefe zu fallen, gleich hinterher rutschte. Er leckte sich gierig die Zähne, während ich die beiden Ringe hervorzog, die ich ihm zuvor schon gezeigt hatte. "Da. Jetzt lass mich gehen!"


    Er steckte sie ein, doch damit war es noch nicht genug: "Alles Silber, Kobro. Alles."


    "Wie war das noch?! Wir sind beide Skunks?! Mir scheint eher, du bist ein räudiger Bussard!" Die Bussards waren eine als besonders gierig und verlogen bekannte kleine Rotte, die kurz vor dem Aussterben stand, weil sie sich dermaßen verhasst gemacht hatte.


    "Hab dich nicht so. Rück einfach das Silber raus."


    "Du willst mich ausrauben!"


    "Tu doch was dagegen."


    Das hatte ich vor! Noch während er sprach, drosch ich ihm meine Faust ins Gesicht. Mit der anderen Hand krallte ich mich an seinen Klamotten fest, damit er mich nicht aus dem Loch werfen konnte, ohne dass ich ihn mitriss. Unten meckerte der arbeitende Ork über die ganzen Erdklumpen, die das Publikum immer in die Arena werfen würde.


    Ein Hornsignal dröhnte durch die Gänge. Die Kämpfer wurden angekündigt: Feng, ein Jäger gegen Thok, ein Krieger. Zwischen dem Geräusch unserer Schläge, unserem Ächzen und dem Rascheln unserer Kleider hörte ich, dass das Publikum schon sehnlich auf diesen Kampf gewartet hatte. Die beiden hatten beim Häuptling ein Duell auf Leben und Tod beantragt. Daran waren bei den Skunks, die es für Verschwendung hielten, Rottenmitglieder umzubringen, strenge rituelle Gesetzmäßigkeiten gebunden. Nach 32 Jahren Wartezeit standen heute die Monde endlich günstig. Entsprechend brannten sowohl die Kämpfer als auch das Publikum. Der Sprecher verkündete dramatisch: Er, der Schamane, hätte berechnet, dass diese Konstellation, welche das tödliche Duell der beiden Kontrahenten erlaubte, erst in 164 Jahren wieder eintreten würde.


    Während der langen und sehr ausführlichen Ansprache wurden Feng und Thok noch einmal die Regeln eingeschärft, das Gewicht und das Alter der Kämpfer genannt und ihre Erfolge bei der Jagd, im Kampf und bei Beutezügen aufgeführt. Das dauerte eine geraume Weile. Einige der Angaben entsprachen vermutlich nicht ganz der Wahrheit.


    Ich legte derweil beide Hände um Nishrods Hals und versuchte, ihn zu erwürgen, während er seinerseits versuchte, mir die Augen auszudrücken. Der Platzmangel verhinderte, dass wir unsere Pläne effizient umsetzen konnte. Unsere Prügelei in dem engen Erdloch war an Würdelosigkeit kaum zu unterbieten.


    Das Horn bließ dramatisch zum Kampf. Das Publikum johlte und trampelte, die Kämpfer brüllten auf.


    Nishrod schob beide Füße unter meinen Bauch und dann streckte er ruckartig die Beine. Wie ein Korken aus einer Flasche schoss ich in hohem Bogen rücklings aus dem Erdloch.

  • Beim Fallen machte ich einen vollendeten Salto, denn ich hatte leider sehr viel Zeit bis zum Aufprall. So kam ich in den Genuss, mir die Arena der Skunks in aller Ruhe ansehen zu können:


    Der kreisrunde Kampfplatz war in einen gigantischen Trichter eingesenkt. Dessen Seiten bestanden aus lauter ins Erdreich gegrabene Stufen, die mit Holzplanken abgedeckt die Sitzreihen bildeten. Momentan platzten sie schier aus allen Nähten. Das Publikum stapelte sich sogar übereinander. Viele Orks in den oberen Reihen mussten stehen. Die Fäuste wirbelten nur so vor Begeisterung. Das Publikum brüllte. Jemand verlor den Halt, kugelte zwei Sitzreihen hinunter und wurde anschließend zurück an seinen Platz gezerrt und geprügelt, wobei vorsichtshalber auch seine Freunde ein paar Hiebe auf die Nuss bekamen.


    All das war für mich sehr gut zu sehen, denn mehrere flackernde und stark rußende Feuerschalen, die in sicherer Höhe angebracht hingen, spendeten genügend Licht, so dass meine auf Dämmerung optimierten Augen jedes Detail wahrnehmen konnten. Außerdem statteten die Feuerschalen die Arena mit einem beißenden Aroma von Rauch aus, der sich mit dem würzigen Raubtiergeruch der etwa dreihundert Orks zu einer olfaktorischen Komposition vermengte, die das Herz jedes Kriegers höher schlagen ließ. Ich seufzte wohlig, während ich meinen Weg nach unten fortsetzte.


    Ich fiel an einem Aufzug vorbei, in dem ein Trupp Musiker spielte, das heißt, sie droschen wie die Irren auf ihre Instrumente ein beziehungsweise bliesen aus vollen Lungen. Fast bekam ich Lust, eine Runde zu tanzen. Als ich an ihnen vorbeistürzte, erzeugte der Hornist ein unmännliches Quietschen mit seinem Instrument und eine Trommel wurde mit einem Knall von der Faust ihres entsetzten Spielers durchschlagen, was ich mit hochgezogenen Augenbrauen missbilligte, ehe ich vorbeigerauscht war.


    Meine Umdrehung näherte sich dem Ende, genau wie mein Fall. Es war mir gelungen, meine Füße unter meinen Körper zu manövrieren. Merk dir eins, mein Freund: Zwei gebrochene Beine sind besser als ein gebrochens Genick. Das letzte, was ich vor dem Aufprall sah, der mir die Knochen und Gelenke zerschmettern würde, war der neue Häuptling, der mit einem aufgemotzten und wichtigtuerisch dreinblickenden Gefolge auf seiner reich mit Schädeln geschmückten Empore saß. Den überbordenden Körperschmuck und die grellen Körpermalfarben hätte man als typisch Skunk bezeichnen können - Künstler eben - wäre da nicht ...


    "Uff!"

  • Ich landete beinahe butterweich auf Thok, dem Krieger, denn er war ein üppig gepolsterter Mann. Unter dem Aufprall ging er zu Boden. Vermutlich kehrte ich die Wetteinsätze damit ins Absurde, denn Thoks Gegner Feng war gegen den Krieger ein Hänfling, wobei wir natürlich von orkischen Verhältnissen sprechen.


    Würdevoll stieg ich von Thoks reglosem Leib. Ich packte das Handgelenk seines fassungslosen Gegners und hob dessen Faust in die Luft. Grinsend rief ich ins Publikum: "Sieg für Feng, den Jäger!"


    Doch wenn ich damit gerechnet hatte, dass nun tosender Applaus ausbrechen würde, hatte ich mich getäuscht. Bevor ich weiter erzähle, sei folgendes gesagt:


    Thok war, wie ich nun erkannte, kein Skunk, sondern ein Bussard, erkennbar an dem roten Federschmuck und der roten Körperbemalung. Und er hatte seine Freunde mitgebracht, die nun ein tobendes, rot geschmücktes Knäuel in der vordersten Reihe bildeten. Hier ging es offensichtlich darum, einen ausgearteten Streit zwischen zwei Orks unterschiedlicher Rotten rituell beizulegen, damit es nicht zu einem Krieg kam. Entsprechend begeistert waren nicht nur die anwesenden Bussards, sondern auch jene Skunks, die auf Thok gesetzt hatten und denen ich die Wetteinsätze versaut hatte. Wenn ich die miese Laune der Bussards ansah, hatten sie ebenfalls beträchtliche Summen investiert.


    Abgenagte Knochen, Holzschüsseln und natürlich Erdklumpen hagelten von allen Seiten auf uns nieder, gefolgt von wütenden Pfiffen. Feng hatte die Zuschauer mit seinem vermeintlichen Betrug nicht nur um einen lange ersehnten Kampf und ihre Wetteinsätze gebracht - denn auf den mickerlichen Feng hätte ich bei solch einem imposanten Gegner auch nicht gesetzt - sondern auch das Gastrecht gebrochen.


    "Betrüger", schrie es von überall, doch damit meinten sie nicht mich, sondern Feng, von dem sie annahmen, er hätte die Aktion mit mir vereinbart.


    Ich versuchte, die Situation zu erklären und hob beschwichtigend die Hände: "Leute! Ich ... autsch!" Die Knochen wurden immer größer und zahlreicher. "Hört doch mal zu", rief ich hilflos, doch gegen den Lärm der tobenden Orks hatte ich keine Chance. Langsam wurde es schmerzhaft.


    Feng versuchte unter dem Hagel von Müll und Essensresten seinen Kontrahenten zu wecken, indem er ihn an der massigen Schulter schüttelte, doch der sagte keinen Mucks mehr. Eine große Beule wuchs über seinem rechten Auge. Der Kampf würde nicht mehr stattfinden, heute nicht und in 164 Jahren auch nicht, weil wir dann alle längst tot waren. So viel wurde auch Feng klar, der sich nun mit Wutgeheul auf mich stürzte.


    "Vielleicht könnt ihr den Streit ja um ein paar Generationen verlagern", wandte ich ein, "als Erbe sozusagen? Au! Aua!" Da inzwischen recht schwere Yak-Knochen geflogen kamen und ein ganzer Schädel in hohem Bogen auf mich zu raste, sah ich mich genötigt, hinter Feng Deckung zu suchen. Der Yak-Schädel kollidierte mit seinem Kopf. Feng brach über mir zusammen. Auch er rührte sich nicht mehr.


    Zwei auf einen Streich, dabei hatte ich überhaupt nicht kämpfen wollen.


    Scheinbar änderte das erneut den Stand der Wette, denn die Bussards, die gerade eben noch auf der Verliererseite standen, prügelten nun auf jene Skunks ein, die mit ihrem Geld verduften wollten. Da nicht allzu viele Leute auf Feng gesetzt hatten - nur zwei, und die waren augenscheinlich besoffen - gerieten diese unter die Bussards. Hatte ich schon erwähnt, dass die Bussards eine äußerst raffgierige und unbeliebte Rotte waren?


    Scheinbar sahen einige Skunks sich genötigt, einzugreifen, und gingen nun ihrerseits auf die Gäste los. Die ersten Bänke wurden aus der Verankerung gerissen, um sie als Wurfgeschosse zu verwenden. Jemand nutzte eine Bank als Keule und fegte damit fünf Bussards auf einmal um. Drei weitere sprangen von hinten auf ihn und Orks und Bank stürzten, rollten und polterten über das verbliebene Publikum hinweg die Sitzreihen nach unten. Die Schlägerei geriet außer Kontrolle.


    Als ich mich leise und unauffällig verdrücken wollte, traf mich der Blick des Häuptlings.

  • Als ich erwachte, spürte ich kaltes, unebenes Gestein. Mühsam öffnete ich die Augen. Etwas stimmte nicht. Nur langsam gelang es mir, den Kopf zu heben. Übelkeit rollte meinen Magen hinauf und stürzte plätschernd auf den harten Boden. Auf allen vieren kroch ich von der Pfütze fort in Richtung des Gitters.


    Die Diagnose war klar: Ich saß in einer Zelle. Wir sprechen hier von keinem luxuriösen Verlies, wie die Menschen sie verwenden, wo man gutes trocken Brot und sauberes Wasser erhält, sondern einem natürlichen, von einer Seite zur anderen mit vertrockneten Fäkalien verdreckten Felsspalt, vor dem man ein Gitter angebracht hatte. Zwar ging es nach hinten in die Tiefe, an einen Ort vollkommener Schwärze, doch ich machte mir nicht die Mühe, dort nach einem Ausweg zu suchen. Allen Gerüchten zum Trotz sind Orks keine Idioten.


    Ich lehnte mich gegen die Wand, rieb mir den Hinterkopf und zuckte zusammen. Der extreme Schmerz und die Schwellung verriet, dass ich einen kräftigen Schlag kassiert haben musste, an den ich jede Erinnerung verloren hatte. Doch es fehlte noch mehr. Die Erinnerung an die Momente davor zu rekonstruieren, brachte mir starken Kopfschmerz ein.


    Irgendetwas war fürchterlich schiefgelaufen ...


    Bar jeder Kraft sank meine Stirn gegen das Gitter. Ich schloss die Augen, wartend auf eine weitere Ohnmacht, die ein Stück der Zeit verschlucken würde.

  • Die schlechte Nachricht lautete, dass mein Körper mir nicht den Gefallen tat, bewusstlos zu werden. Ich saß im Dreck, die Stirn an die Eisentür gelehnt, und blickte düster hinaus in den steinernen Stollen.


    Die gute Nachricht war, dass ich nicht allzu viel Zeit hier verbringen würde.


    Orks kennen keine Kerkerhaft, wie einige Menschenvölker sie anwenden. Gefangene verbrauchen Nahrung und machen Dreck. Sie bereiten Aufwand, stinken, jammern, versuchen auszubrechen und stören. Niemand in Shakorz mag Gefangene. Wenn Orks jemanden einsperren, dann deshalb, um ihn bis zu seiner Verurteilung zu verwahren. Manchmal auch danach, um einen günstigen Zeitpunkt der Vollstreckung abzuwarten. In jedem Fall war auch für mich der Kerker nur eine Zwischenstation und nicht der eigentliche Bestimmungsort.


    Orks glauben nicht daran, dass Freiheitsentzug einen ausreichenden Lerneffekt hat. Was ihr eigenes Volk betrifft, liegen sie damit vielleicht sogar richtig. Blutige Rachefantasien füllten meine Gedanken. Wäre Nishrod hier gewesen, hätte ich nicht damit gezögert, ihm das Genick zu brechen. Meine Zeit verbrachte ich damit, entsprechende Pläne für die Zeit nach meiner Flucht zu schmieden, anstatt mir Gedanken um die Flucht zu machen. Eingesperrt zu sein hat bisher keinen Ork fügsamer oder sanftmütiger gemacht, sondern bestenfalls zu schwach, um sofort Rache zu üben, so dass er diese nach später verschob. Wer einen Ork einsperrte, brachte sich selbst in den Fokus seines Zorns. Und weil das jeder weiß, tut man es von hinten - indem man ihm eins überzieht.


    Irgendwann stand ich auf, weil ich Schritte hörte. Dreckig und meiner Trophäen und meiner Kleidung beraubt, wie ich war, würde ich dennoch vor niemandem knien. Als ich sah, wer dort kam, verlor ich schlagartig meinen Mut. Der Henker trug eine gehörnte Schädelmaske und war von Kopf bis Fuß mit einer schwarzen, nach Teer riechenden Paste eingeschmiert, so dass ich ihn weder dem Geruch noch dem Aussehen nach wiedererkennen würde, sollte er mir dereinst in zivil über den Weg laufen. Von einem Lendenschurz abgesehen trug er keine Kleider. im unteren Teil der Höhlen war es warm und stickig, das war der Grund, warum die Skunks sich hier eingegraben hatten. Grimmig beobachtete ich ihn und seine zwei Folterer, die genau so aussahen, mit dem einzigen Unterschied, dass ihre Schädelmasken keine Hörner besaßen. Das Fackellicht glänzte auf ihren beträchtlichen Muskeln und ich kam mir mit einem Mal sehr schmächtig und weibisch vor, wie immer, wenn ich ein Vollblut so sah.


    "Sollte ein Bilwiss sich so benehmen", donnerte der Henker.


    Es gelang mir nicht, seinen Augen standzuhalten. Trotz aller Erfahrung als Söldner und Reliktjäger übernahm wieder die jahrelange Prägung mein Verhalten. So ausgeliefert, wie ich ihnen war, nützte mein mühsam erkämpfter Stolz mir nichts mehr. Die Männer vor mir waren die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der Rotte. Ich war ein Fehler, der sich in einigen Jahren auf natürlichem Wege von selbst erledigt haben würde. Meine tapferen Taten genügten gerade dazu, mich als Spielzeug attraktiver zu machen. Ich sah zu Boden. Meine Finger zitterten.


    Ich schüttelte den Kopf. "Nein. Darf ich mich erklären?"


    "Welchen Wert hätte die Erklärung von jemandem, der bekannt ist als 'Kobro der Lügner', hm?"


    "Ich lüge ja nicht immer", sprach ich und hob den Blick.


    "Aber oft genug, um diesen Beinamen zu tragen."


    Nun meldete sich der linke Folterer lispelnd zu Wort: "Unsere Folterkammer ist auf dem neusten Stand! Wir haben jüngst eine Lieferung aus den Verliesen von Catarsia erhalten. Foltermaschinen und Präzisionsinstrumente, die unsere Sammlung der Schmerzbringer nun vervollständigen. Und wir haben uns unterweisen lassen, wie man sie effektiv benutzt. Wir kennen die modernsten Mittel und Wege, die Wahrheit aus jemandem herauszukitzeln."


    "Zuverlässige Methoden", ergänzte der andere Folterer, dessen Bauch über den Lendenschurz hing. Sein augenscheinlich gesunder Appetit tat seiner Muskulatur keinen Abbruch. Dieser Ork war ein Bulle. Und doch schien er der Mann fürs Feine zu sein: Er spielte mit einigen Folterinstrumenten, die an seinem Gürtel hingen: Haken, Zangen, Bohrer, Klingen.


    "Bitte nicht", sagte ich in aller mir zur Verfügung stehenden Demut. Zur Hälfte war sie geheuchelt, um meine Haut zu retten, zur anderen Hälfte echt.


    Doch mein letzter Funke Hoffnung erlosch, als die Folterer die Tür öffneten und in den Kerker drängten. Hinter ihnen drehte der Henker den Schlüssel herum. Entschlossen kamen sie auf mich zu und der Lispler grinste in Vorfreude.

  • Dass ich ein Spielzeug war, wurde mir wieder einmal eindrücklich vor Augen geführt. Der Dicke stellte sich an die eine Seite der Zelle, der Lispler an die andere. Zwischen ihnen blieb eine Manneslänge Platz, die mir vorbehalten war. Sie schubsten mich wie einen Ball von einer Seite zur anderen, wobei ich fast immer stürzte, denn sie wandten sehr viel Kraft an. Folgerichtig schlug ich mir dabei auch jedes Mal etwas auf. Vom vielen Geschubse war mir bald so schwindelig, dass ich kaum noch auf die Füße kam. Da traten sie auf mich ein, bis ich wieder stand. Blut und Dreck verklebten mir Knie und Ellbogen, irgendwann auch die Schultern, Hüften und mein Kopf. Das Ganze vermischte sich mit dem schwarzen Schleim, den sie überall an ihren Körpern kleben hatten und der bald auch mich befleckte.


    "Auf die Beine, Halbblut", befahl der Lispler, tunlichst alle Worte vermeidend, die seinen Sprachfehler provozierten.


    "Sag mal Saftsack", kommentierte ich. "Du hast in den Bruthöhlen sicher viele Verehrerinnen bei deinem zärtlichen Gesäusel! Klingt richtig niedlich."


    Augenscheinlich rührte ich an einem wunden Punkt. "Dein Hohn wird dir noch vergehen", kreischte er zähnebleckend.


    "Wieder kein S-Wort", spottete ich, bevor er mich erneut zu Boden schleuderte und gleich hinterherstürzte, um meinen Kopf ein paar Mal auf den Boden zu donnern. Vier oder fünf mal kollidierte mein Haaransatz über der Stirn mit dem schroffen Gestein. Wäre der Dicke nicht gewesen, der ihn zur Ordnung rief, hätte der Lispler mich wohl bewusstlos geschlagen und dann in meine Einzelteile zerlegt.


    Der Dicke legte ihm die Hand auf die Schulter, bis er sich beruhigte. Dann raunte er: "Ruhig Blut, Skelix. Ihm wird sein Lachen noch vergehen."


    Da war dem Dicken ja was rausgerutscht! "SKELIX!" Ich brüllte vor Lachen, während ich zwischen den beiden im Dreck lag, kaum noch fähig, mich zu bewegen. Mit blutverklebten Augen sah ich den Lispler an. "Hast du dich deinem Folterkumpan in Zeichensprache mitgeteilt oder hattest du einen Übersetzer dabei?"


    Der Dicke trat mir mehrmals in die Seite, bis ich nach Luft japste.


    "Du hafft ihm meinen Namen verraten", flüsterte Skelix besorgt. "Nun haben wir keine Wahl, nun müffen wir ihn wirklich töten. Fonft tötet er mich, wenn er mich da draufen findet!"


    Der Dicke raunte: "Wir können ihn nicht töten, das ist nicht unser Auftrag."


    "Aber du haft einen verkackten Fehler gemacht! Mein Leben ift wertvoller alf daf von ihm, oder?" Scheinbar war der da nicht sicher, denn er hakte nach: "Oder?"


    "Darum geht es nicht. Wir haben unsere Befehle."


    "Aber das ift nicht gerecht, ich muff leiden für deinen Fehler! Und wenn ich ihm pfum Dankeföhn deinen Namen mitteilen würde?" Skelix' Stimme klang lauernd.


    Ich meldete mich keuchend zu Wort: "Den würde ich eh nicht verstehen, Knotenzunge!"


    "Kaudruk", rief Skelix triumphierend. Dann gab er mir einen kräftigten Tritt in die Leber. Ich krümmte mich zuckend zusammen. Leider war ich nicht mehr zum Lachen fähig, da ich genügend damit zu tun hatte, zu atmen. Nun wusste ich die Namen von allen beiden Folterern.


    "Was soll's", murrte der Dicke. "Der Halbmensch wird Shakorz nicht mehr lebend verlassen. Komm."


    Er schlug mit einem seiner Folterinstrumente eine Klangfolge gegen das Gitter. Der Henker kehrte bald zurück und schloss ihnen wieder auf. "Irgendwas zu melden oder zu berichten", brummelte er.


    "Nein", logen beide Folterer wie aus einem Munde.


    "Dann nehmt ihn mit. Die Anhörung soll jetzt gleich erfolgen."

  • Beim Gehen spürte ich, wie die Krusten auf meinen Knien aufrissen. Ich biss die Zähne zusammen und blickte stur geradeaus, um keinen Schmerz zu zeigen. Einer der Folterer trat mir ins Kreuz, dass ich stolperte, doch es gelang mir, mich auf den Beinen zu halten. Ich hatte Schlimmeres überlebt, allerdings hatte mich noch nie ein Tribunal erwartet.


    Glimmende Feuerschalen, die an Ketten von der Decke hingen, leuchteten uns den Weg. Das rote Licht war gerade ausreichend, damit unsere Augen, welche die Dämmerung liebten, noch etwas erkennen konnten. Der Qualm duftete nach dem schweren Harz der Nordlandtaiga. Wehmütig sog ich ihn ein, den Duft der Freiheit.


    Die kleine Prozession aus Henker, Folterern und mir folgte einer Treppe in noch größere Tiefe. Das Erdreich hatten wir hinter uns gelassen und stiegen nun in einen Bereich, den man vielleicht schon als Äußeren Taudis bezeichnen könnte. Im Durchschnitt gelang es dem Häuptling der Skunks, seinen Platz zehn Jahre lang zu behaupten, ehe ein anderer ihn aus dem Weg räumte. Genau so oft wechselte der Ort, an dem sich das Zentrum der Macht befand. Insgesamt kamen dafür fünf große Hallen infrage, deren Ausstattung sich jedes Mal änderte. Der aktuelle Häuptling hatte sich besonders tief eingenistet.


    Zwei schwer bewaffnete Gestalten traten zur Seite - keine Orks. Bilwisse wie ich, Halbblüter. Und sie trugen Waffen, als wären sie Krieger. Üblich war das nicht. Wir waren Wächter der Bruthöhlen und Bettgespielen. Was machten die beiden also hier in dieser Aufmachung?


    "Vorwärts!" Kaudruk stieß mir gegen die Wirbelsäule, damit ich mich schneller bewegte.


    Langsam trat ich durch das Eisentor, grün und weiß bemalt, mein Kopf strich durch einen Vorhang aus schwarz-weiß-gestreiften Skunk-Schwänzen. Zehn Steinsäulen, die man bei den Bauarbeiten belassen hatte, stützten die gewaltige Halle. Zwischen ihnen hingen große Stoffbahnen menschlicher Machart, Beutegut, mit dem man nichts anderes anzufangen wusste, als es aufzuhängen, denn Orks trugen keine Stoffkleidung. Wie viel Raum sich hinter ihnen noch verbarg, wusste ich nicht, es waren vielleicht Türen oder Kammern. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm, hart wie Stein, aber wärmer.


    Der Säulengang öffnete sich zum Thronsaal. Am Ende saß erhöht und prächtig geschmückt, der mickerliche Häuptling - umgeben von einer Leibgarde aus Bilwissen.

  • Ich wollte ihm die Zähne zeigen, ihn schlagen und an seinen Ohren reißen, kurzum: Ich wollte mit ihm all die schönen Dinge tun, die man einem anmaßenden Großmaul als Halbork so antut. Aber vor allen Dingen wollte ich leben und so schwieg ich, sah ihm ruhig in die Augen. Auch wenn ich in einen erbarmungswürdigen Zustand geprügelt worden war - so lange ich Rottenmitglied war, hatte ich das Recht, erhobenen Hauptes vor dem Häuptling zu stehen. Der blickte stinksauer zurück. Unbehaglich verlagerte ich das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er wirkte sehr schlecht gelaunt. Eine Weile schwiegen wir.


    Als Uzris Mutter gestorben war, war er gerade der Brust entwöhnt gewesen. Zu schwach, sich durchzusetzen, nagte er seine frühen Jahre am Hungertuch. Die Mütter ließen ihn nicht verhungern, doch sie taten auch nichts, das seinen Kampfgeist verweichlichen würde, sprich, niemand half ihm. Er wuchs nur langsam und war auch heute noch mickerlicher als ein Halbblut. Trotzdem saß er auf diesem Thron, errichtet aus den Gebeinen erschlagener Feinde. Ich würde gern glauben, dass diese Knochen von irgendeiner Grabstätte geplündert waren, doch wäre er tatsächlich so jämmerlich, wie er aussah, würde er dort nicht sitzen. Keine Rotte, nicht einmal die Skunks, duldeten jemanden auf dem Thron, den sie mit einem Nasenloch wegpusten konnten.


    Was also hatte sich in den Jahren meiner Abwesenheit hier abgespielt? Wie war ausgerechnet Uzri der Jämmerliche an die Spitze gelangt?


    "Kobro der Lügner", näselte er. Es war nicht zu überhören, dass seine Nase im Laufe seines Lebens mit der einen oder anderen Faust Bekanntschaft gemacht hatte. "Du bist hier, damit ich über dich richte. Anklage erhebt niemand anderes als ich, denn ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie du den Friedenskampf zwischen einem Skunk und einem Bussard sabotiert hast. Wie wütend Häuptling Sival ist, brauche ich wohl nicht zu erklären." Uzri der Jämmerliche beugte sich vor, die Knochen unter ihm knirschten. Seine grünen Augen blitzten. "Würden die Bussarde nicht am Rande des Aussterbens stehen, würde Sival mir bereits in der Arena den Krieg erklärt haben. Ich hoffe, du kannst einen guten Fürsprecher benennen, bevor ich Sival frage, welche deiner Körperteile er für den Verzehr beansprucht!"


    "Habe ich denn eine Chance, mich zu erklären, oder steht das Urteil schon fest? Ich frage, weil es mich verwundert, dass ich nicht einmal verhört wurde. Scheinbar interessiert niemanden, was ich zu sagen habe."


    Uzri lehnte sich wieder zurück. "Du kennst unsere Gesetze. Dein Fürsprecher wird für dich sprechen, du wirst schweigen. Je nach seinem Ansehen und seiner Argumentation wird sein Wort mehr oder weniger Gewicht haben. Auf dieser Basis werde ich mein Urteil fällen. Ich selbst brauche als Ankläger keinen Fürsprecher, weil ich der Häuptling bin."


    Schuld und Unschuld hatten in einer Gesellschaft, in der das Recht des Stärkeren zählte, keine anderen Kriterien. Stärker war derjenige, der mehr und einflussreichere Freunde besaß - darum die Sache mit dem Fürsprecher. So einfach war das orkische Rechtssystem. Alternativ konnte man auch ein Duell beantragen, aber das war bei den Skunks so eine Sache. Hier stand ich gegen den Häuptling. Es gab niemanden in der Rotte, dessen Wort mehr Gewicht besaß als das seine, ob er nun jämmerlich war oder nicht. Aber kampflos würde ich mich nicht ergeben.


    Ich ergriff den einzigen mir zur Verfügung stehenden Strohhalm: "Mein Fürsprecher ist Katax der Träumer!" In der Höhle wurde es so still, dass man eine Schneeflocke hätte fallen hören können.

  • Das schmale Gesicht des Häuptlings verzog sich zu einem pferdeartigen Grinsen. Dann klappte sein Mund auf und ein orkisches Lachen rollte daraus hervor.


    "Was ist daran so komisch", fuhr ich dazwischen, doch in dem Moment stimmten auch die Bilwisswachen ein, von denen viele mich kennen müssten. Trotzdem lachten sie. Ihr Gelächter brandete schmerzhaft über mich hinweg. Ich stand da, dreckig, verwundet, erschöpft und verstand die Dinge nicht. Es blieb mir nichts übrig, als zu warten, bis das hartherzige Gelächter verebbt war.


    "Der war gut", gluckste der Häuptling.


    "Das war kein Witz, das ist mein Ernst." Ein mulmiges Gefühl machte sich in meiner Magengrube breit. "Oder ist Katax tot?"


    Es tat weh, von einer solchen Witzfigur derart verächtlich gemustert zu werden. Mein Dasein als Halbblut wurde mir erneut ins Gedächtnis gerammt. Ich verstand nicht, warum die anderen mitzogen, was hier überhaupt los war. "Wenn Katax lebt und sprechen kann, so soll kein anderer als er das tun."


    "Du bist frech", knurrte Uzri. "Das gefällt mir nicht. Ich gebe dir eine letzte Chance und stelle dich vor die Wahl, tatsächlich Katax den Träumer um seine Fürsprache zu bitten. Doch wenn er ablehnt, wirst du ohne Fürsprecher verbleiben. Du erhältst keine zweite Gelegenheit, nach einem zu fragen. Also. Wie lautet deine Antwort?"


    "Ich bleibe bei Katax."


    Ein Raunen ging durch die Bilwisse, das ich so wenig verstand wie alles andere. Uzri machte ein verächtliches Geräusch. Dann gab er dem Henker einen gelangweilten Wink mit seiner schlacksigen Hand. "Man könnte meinen, er hätte genug Demütigung erfahren, aber manche bekommen eben nie genug. Geh und hole Katax. Dann mag dieser Bursche vor ihm seine dümmliche Bitte wiederholen. "


    Dieser Bursche. Beim roten Licht des Daibos, der Häuptling sprach mit einem ehemaligen Söldner! Einem Reliktjäger! Ich hätte ihm sein lächerlich dünnes Genick mit den bloßen Händen brechen können!


    "Er wird Ja sagen", grollte ich. Ganz so sicher war ich mir allerdings keineswegs mehr. Außerdem überkamen mich Zweifel bezüglich des Gesundheitszustands meines früheren Freundes. Ob man dem sensiblen Künstlernaturell etwas angetan hatte? Was auch immer geschehen war, ich machte mich bereit dafür, dass Katax nicht mehr so war, wie ich ihn zurückgelassen hatte.


    "Wir werden sehen, Kobro der Lügner", sagte Uzri gelangweilt. "Und jetzt halt die Klappe, oder ich lasse sie dir zunähen."

  • Was blieb einem jungen Bilwiss übrig, dessen Leben Erde und Stein war? Ich hatte die Flucht aus Shakorz angetreten, alles hinter mir gelassen, um mich ins große Unbekannte zu stürzen, war über die halbe Welt davongelaufen. Hatte ich dort gefunden, was ich suchte, eine Heimat und eine Bestimmung? Nein. Und doch war ich bis heute nicht zurückgekehrt, denn ich wusste, hier würde ich beides nicht finden. Katax aber jagte die Fremde mehr Angst ein als die Übel, die Shakorz für ein Halbblut bereithielt. So hatte er das innere Exil gewählt. Körperlich blieb er am Ort seiner Geburt, doch sein Geist jagte tags mit den Wolken übers Land und wanderte nachts durch das Alldunkel zwischen den Sternen.


    Katax der Träumer war nicht für das Diesseits gemacht. Ich erwartete, ihn in erbärmlichem Zustand anzutreffen. Womöglich war er der Trunksucht verfallen oder zum persönlichen Spielzeug eines Vollbluts verkommen, dem er die Klamotten wusch und den Rücken mit Bimsstein schrubbte. Es musste einen Grund geben, warum er hier lebte und nicht in den Bruthöhlen.

    Nervös ballte ich die Fäuste, schwankend zwischen der Freude, Katax wiederzusehen und dem Bewusstsein, dass er mir nicht helfen konnte.


    Ein langgezogenes Klagen hallte durch die Gänge, die melancholische Musik gewundener Kalahörner, die ihren Klang nur entfalteten, wenn der Kalahirsch sie selbst abwarf, und ohne Ton blieb, wenn man sie dem erlegten Tier absägte. Die Vorsilbe Ka- fand sich auch im Namen von Katax, und hieß «gewunden». Sein Name bedeutete «gewundene Schlange» und sein Geist wand sich in der Tat durch die merkwürdigsten Winkel.


    Es setzten die Trommeln ein, langsames und dunkles Dröhnen. Diese Ankündigung konnte keinem Bilwiss gelten. Normalerweise begrüßte man so nur Häuptlinge und Schamanen oder legendäre Krieger. Wer jetzt kam, war eine bedeutende Persönlichkeit. Man hatte mich belogen. Wahrscheinlich betrat jetzt auch noch der Bussard-Häuptling die Bühne, um meine Vernichtung zu komplettieren. Zwei Orks warfen Räucherwerk in die Feuerschalen rechts und links des Eingangs. Grüne und blaue Flammen loderten fauchend bis zur Decke. Sie sonderten dichten weißen Qualm ab, der intensiv nach Harz roch. Durch den Rauch, der durch die Thronhöhle kroch, trat eine männliche Gestalt mit einem schwarz-weißen Federkamm, der aufrecht im kurzen schwarzen Haar steckte. Unter menschlich anmutenden Brauen starrten mich zwei giftig-gelbe Augen an. Doch die Form seines Gesichts riss mir fast den Boden unter den Füßen weg.


    Zweifelsohne war das Katax. Zweifelsohne wiesen der Federkamm und der Schmuck aus Krallen, Knochen und noch mehr Federn, der ihm klimpernd von den nackten Oberarmen und der Hüfte hing, ihn als Schamanen aus. Doch diese paradox anmutende Tatsache war es nicht, die mir den Atem verschlug. Als ich ihn ansah, war es, als würde ich in einen Spiegel schauen, auch wenn die Haar- und Augenfarbe nicht übereinstimmten. Hatten wir uns schon als Kinder so ähnlich gesehen?


    Lässig marschierte er den Säulengang entlang, wo die Orks rhythmisch brüllten: «Ka-tax! Ka-tax!» Dabei klatschten sie im Takt mit der flachen Hand auf ihre Brust. Dass die Skunks ein Faible für Kunst besaßen, war bekannt. Dass Katax der Träumer mit jedem Schritt, den er ging, durchs Reich der Fantasie wandelte, ebenfalls. Aber das? Es schien, als sei einer seiner Träume aus dem Nexus in die Physis gesickert und hätte sich hier manifestiert. Ein Halbblut als Schamane der Skunks, gegrüßt und gepriesen.


    Neben Uzri dem jämmerlichen hatte man inzwischen einen zweiten Thron platziert, kleiner und bescheidener, aber unzweifelhaft kein Stuhl, sondern ein Thron. Lässig nahm Katax darauf Platz. Die Musik schwang sich zum Höhepunkt auf und die Krieger brüllten, als der Schamane beide Hände hob und über dem Kopf kreuzte. Mit einer vernichtenden Geste riss er sie auseinander. Als hätte er auch die Musik zerrissen, verstummte sie mit einem letzten Trommelschlag.


    Stille lag über der verqualmten Höhle, die nun nach Räucherwerk duftete, so dass man meinen Gestank nicht mehr so stark wahrnahm. Seine Finger mit den krummen Klauen krallten sich um die Lehnen seines Throns. «Ich soll also für dich sprechen, Kobro der Lügner.»


    Es war das erste Mal, dass ich seine erwachsene Stimme vernahm. Sie entsprach beinahe der eines Menschenmannes.

    «Ja, Katax. Ich bitte dich darum.»


    Er ließ sich nicht anmerken, was er davon hielt, aber er musterte meine dreckige, zerkratzte und zerbeulte Erscheinung von Kopf bis Fuß. Es gibt nichts Demütigenderes, als nackt und besudelt vor einem Thron zu stehen. Ich stand gleich vor zweien.

    «Warum bittest du mich darum», hakte er nach.


    Dass er neben dem Häuptling saß und vor allen sprach, verwirrte mich zutiefst. Die Bilwisswachen, Katax als Schamane – was beim Daibos war geschehen? Meine Gedanken schlugen Purzelbäume in dem Versuch, die Situation zu begreifen. Ich würde die Dinge gern zu meinen Gunsten nutzen, doch ich verstand sie nicht.


    Hilflos sah ich dem Schamanen in das Gesicht, das meinem so glich, suchte den Jungen, der mein Freund gewesen war. So viel hätte ich ihm zu erzählen und einen unendlichen Fluss an Fragen zu stellen, stattdessen musste ich um mein Leben feilschen. Katax war vielleicht die einzige Person, die ich nie belogen hatte. Während mir Lügen wie vergiftetes Quellwasser über die Lippen sprudelten, steckte mir die Wahrheit oft wie ein Fleischklops im Hals.


    «Es war nicht ich, der den Kampf störte. Es war Nishrod», brachte ich mühsam hervor. «Er hat mich aus dem Lüftungsschacht in die Arena gestoßen.»


    Uzri stützte seinen Ellbogen auf eine Lehne und neigte sich in Richtung von Katax. «Lüge», gab der Häuptling selbstgefällig von sich. Eine Begründung lieferte er nicht. Es war ja auch denkbar leicht, jemanden mit meinem Beinamen der Lüge zu bezichtigen!


    Ich sah ihn nicht an, sondern hielt Katax´ Blick. «Niemand springt freiwillig aus solch einer Höhe. Was hätte ich davon gehabt? Nichts als Ärger und die Aussicht auf einen gebrochenen Fuß oder zwei.»


    «Wenn ich etwas einwerfen dürfte», grollte der Henker.


    Uzri der Jämmerliche nickte ihm gönnerhaft zu. «Du hast das Wort.»


    Die freundliche Art und Weise ließ mich ahnen, dass der Henker den Häuptling unterstützen würde. Und ich sollte Recht behalten. «Wieso wird dem Kerl überhaupt gestattet, den Mund aufzumachen?», knurrte er. «Bilwiss hin oder her, wir sind kein naridisches Schwurgericht. Wir sind Orks. Verhandlungen sind das Werk von Halbmenschen. Katax der Träumer wurde als Sprecher benannt, so muss er auch für den Verurtelten sprechen.»


    «Kein Wort mehr, Ranak Schwarzherz», polterte Katax, womit er den geheimen Namen des Henkers allen Anwesenden offenbarte - die Strafe für dessen freches Mundwerk. «Wage es kein zweites Mal, in meiner Gegenwart von Halbmenschen zu sprechen, wenn deine Zunge nicht wie die deines Folterers enden soll – der Länge nach gespalten. Ork ist Ork, so lautet das Wort des Häuptlings, ganz gleich ob Vollblut oder Halbblut. Wir alle sind Orks. So lange Uzri der Jämmerliche auf diesem Thron sitzt, ist sein Wort Gesetz!»


    «So ist es», warf Uzri ein, unwillig, wie mir schien. Sein nobles Wort, das allen Halbblütern die Rechte von Vollblutorks garantierte, wenn ich das richtig verstand, verhinderte, dass man mich öffentlich demontieren konnte. Das waren wahrlich wirre Zeiten!


    Katax schnaubte selbstgefällig. «Dann ist das ja geklärt. Bevor ich aber entscheiden kann, ob ich für Kobro den Lügner zu sprechen gewillt bin, muss ich den Vorfall aus seiner Sicht hören. Wir haben uns schließlich lange nicht gesehen. Also, Kobro. Was hattest du im Lüftungsschacht zu suchen?»


    «Dich, Katax. Ich bin hier, weil ich dich suche.»


    «In einem Lüftungsschacht», warf Uzri ungläubig ein.


    «Nein», rief ich in einem Anflug von Verzweiflung. Noch immer hielt ich den Blick meines einstigen Freundes fest, so als ob er in meinen Augen lesen könnte, dass ich ihn auch nach fünfzehn Jahren nicht belog. Ich war Kobro der Lügner. Nie wünschte ich mir einen anderen Beinamen mehr als heute. «Ich war dort, weil ich mich nicht mehr zurechtfand. Viel wurde umgebaut. Nishrod versprach mir Hilfe bei der Suche und lockte mich dort hin. Aber das war eine Falle. Er wollte meinen Silberschmuck und drohte, mich andernfalls hinabzustoßen. Ich versuchte, mich zu wehren aber er stieß mich aus dem Loch.» Ich zuckte mit den Schultern. Es sollte gelassen wirken, aber vermutlich war leicht zu durchschauen, wie ich mich fühlte. «Früher war das Rauben und Plündern innerhalb der eigenen Rotte verboten. Falls sich das geändert hat, hat mir am Tor niemand was davon gesagt.»


    Katax richtete den Oberkörper auf. Seine Muskeln glänzten im blaugrünen Feuerschein. «Es hat sich nicht geändert. Nishrod hat dir Unrecht getan und damit nicht allein dir, sondern auch den Skunks und Bussards Probleme beschert. Ich glaube deinen Ausführungen. Freispruch für Kobro den Lügner. Häuptling Uzri der Jämmerliche, es steht dir frei, an seiner Stelle Nishrod den Goldigen anzuklagen.»


    Das verschlug selbst dem Häuptling die Sprache. Mir erst recht. Konnte Katax eine solche Macht besitzen? Er ließ seinen gelben Blick mit unglaublicher Arroganz langsam über die Anwesenden streifen. Niemand wagte ein Widerwort. Katax sah schließlich die beiden Folterer an. «Ihr habt ihn in diesen Zustand versetzt, jetzt sorgt dafür, dass er mir in meiner Wohnhöhle angemessen gegenübertreten kann. Kobro der Lügner ist mein persönlicher Gast. Behandelt ihn entsprechend. Die Versammlung ist beendet.»

  • Auf dem Weg zu Katax' Wohnhöhle trat Schweiß auf meine frisch gewaschene und eingeölte Haut. Um meine Hüften schwang ein leichter Lendenschurz aus Rentierfell, da meine eigene Kleidung im Moment aufwändig gereinigt wurde. Je weiter wir uns dem Herzen dieses Höhlenkomplexes näherten, umso heißer strich die Luft um meine Glieder. Serak'Thum, das Gletscherloch, hieß dieser Ort. In das ewige Eis des Tundrabodens taute ein unterirdischer Hitzestrom diesen Erdpropfen, in den die Skunks ihr Hauptquartier hineingegraben hatten. Hier wohnte die Rotte seit ihrer Gründung vor 125 Sommern und Wintern. Die meisten Rotten wurden im ersten Jahr zerschlagen oder zerbrachen bald im Streit. Die Skunks aber hatten ihren Weg gefunden, trotz der ständigen orkischen Machtkämpfe Zusammenhalt zu wahren. War dieser Zusammenhalt nun in Gefahr?


    Dass Katax vor seiner Wohnhöhle Bilwisswachen postierte, nahm ich als Zeichen, dass der Prozess der Wandlung - was auch immer hier geschah - noch nicht abgeschlossen war.


    Wir traten durch schwere blaue Vorhänge - natürlich Diebesgut. Ein dicker blauer Teppich bedeckte den Boden. Aufgrund des Sternenmusters vermutete ich seinen Ursprung in Avinar. Doch falls ich im ersten Moment am Orktum dieser Höhle zweifelte, zerschlug sich das spätestens bei der überwältigenden Anzahl an Trophähen, die von der Decke hingen: Messingteile, die ich als nautische Navigationsinstrumente identifizierte, bunte Tonkrüge aus Ledwick, fremdartige Geweihe, ein mechanisches Bein. Vieles glitzerte und glänzte, Katax schien etwas von einer Elster zu haben. Am bemerkenswertesten waren jedoch die tanzenden Lichtflecken überall, deren Ursprung ich auf den ersten Blick nicht fand.


    "Setz dich, Kobro. Hunger?"


    "Das kannst du laut sagen." Ich ließ mich in seiner Sitzecke nieder, ein Eisbärenfell, von vielen Fellkissen und Felldecken bedeckt. Katax reichte mir eine Schüssel mit rohen Fleischstreifen, die ich gierig verzehrte. Lange Zeit konnte ich weder aufblicken noch sprechen, da ich mit Essen beschäftigt war. Er reichte mir einen Krug mit verdünntem Schwarzwein, den ich in einem Zug leerte. Dann sank ich halb in die Kissen. Langsam kam ich zur Ruhe. Die Strapazen der letzten Tage machten sich bemerkbar. "Danke für alles, Katax. Für die Rettung, dass Essen, den Wein."


    Er winkte ab. "Bedank dich bei unserem Häuptling."


    "Quatsch." Scharf musterte ich ihn. "Ich weiß nicht, warum, aber er folgte deinem Wunsch. Ginge es nach Uzri dem Jämmerlichen, wäre ich tot."


    "Kann sein." Auch Katax machte es sich in den Kissen bequem. Blaue und grüne Lichtflecken strichen im Vorbeiziehen über sein Gesicht. Er wirkte kaum erholter als ich.


    "In den Bruthöhlen ist man nicht froh darüber, dass der Kerl Häuptling ist."


    Katax grinste. "Bei der Frage, wer der nächste Häuptling wird, ging es nie nach Sympathie. Nur nach der Anzahl der Freunde und dem reinen Blut. Bei den Bruthöhlen räume ich als nächstes auf, aber eins nach dem anderen. Rakshor hat Großes mit mir vor."


    Nun war der Gott des Chaos also bis nach Shakorz vorgedrungen und hatte hier seine ersten Anhänger. Der alte Geisterglaube, dem die Orks bisher anhingen, würde künftig eine schwere Zeit vor sich haben, wenn man schaute, wie der Chaoskult sich im Rest Asamuras verbreitet hatte.


    Ich grinste böse. "Mit mir scheinbar auch, wenn man bedenkt, dass ich bei Rotmond geboren bin, als Oril sich verdunkelte."


    "Du bist ein Rotmondgeborener? Das wusste ich nicht!"


    "Muss auch niemand wissen. Wegen den scheiß Monden werde ich mein Leben lang vom Pech verfolgt. Aber das hat nichts mit den Göttern zu tun, sondern, wie ich heute weiß, mit dem Magnetismus. Das ist auch der Grund, warum bei Rotmond die Kompassnadeln verrückt spielen." Als Reliktjäger war ich zum Glück nicht mehr auf den albernen Aberglauben angewiesen, mit dem man mich mein Leben lang geplagt hatte. Ich hatte mich mit den geheimen Wissenschaften des Taudis befasst, um die Relikte zu verstehen, und vieles sah ich nun klarer.


    "Wie aber", fragte Katax, "erklärst du dein Unglück? Auch eine Folge des Magnetismus?"


    "Ich habe einen, äh -" Als Freund konnte und wollte ich Dantai Nageltod nicht bezeichnen. "- einen Bekannten, der sich mit Magnetkunde auskennt. Es gibt Diamagnetismus, Paramagnetismus, Ferromagnetismus, Antiferromatnetismus und Ferrimanetismus. Von ihm habe ich gelernt, dass alle Lebewesen, die sich fortbewegen können, über einen Magnetsinn verfügen. Und dieser kommt durch Daibos, den roten Mond, manchmal durcheinander." Ich tippte mit den Fingerspitzen beider Hände an meine Schläfen. "Das liegt daran, dass wir winzige Magnetitkristalle im Hirn haben!"


    Katax lachte schallend. "Ich merke, du hast viel durchgemacht. Leg dich erstmal schlafen, wir reden morgen weiter. Benötigst du noch was? Eine Frau?"


    Meine Nackenhaare stellten sich auf, als er mich so unsanft an die Bruthöhlen erinnerte. "Ich hoffe, das war ein Scherz."


    Er zuckte mit den Schultern. "Einen Mann?"


    "Wenn du als nächstes ein Wildschwein vorschlägst, erhältst du eine Zahnkorrektur. Ich will nichts und niemanden in dem Bett, dass du mir hoffentlich jetzt anbietest, nur meine Ruhe und eine Flasche Wein, damit ich Schlaf finde." Dabei konnte ich jetzt schon kaum noch aufstehen. Am liebsten wäre ich an Ort und Stelle liegen geblieben. Doch Katax konnte ja jetzt protzen, er besaß eine Höhle mit mehreren Räumen, was sogar einen in Stein gehauenen Alkoven für Gäste beinhaltete. Dorthin führte er mich. Kaum noch des Gehens mächtig wuchtete ich mich hinein. Ich blieb in den weichen Fellen liegen, wie ich hineingesunken war.


    Wenig später drückte Katax mir eine warme Tonflasche mit Schwarzwein in die Hand, der traditionell heiß genossen wurde. Bevor die Erinnerungen an die Ereignisse mich übermannen konnten, ließ ich den Alkohol das erledigen.

  • Mein Kopf wog am nächsten Morgen eine Tonne, weshalb ich Mühe hatte, ihn auf meinem verspannten Hals zu balancieren. Vielleicht war es auch Mittag oder schon wieder Abend. In den sonnenlosen Tiefen der Wohnhöhlen fühlte sich jede Zeit gleich an.


    «Bist nicht sehr trinkfest, was?» Katax reichte mir einen Becher mit einer zähen Flüssigkeit.


    «Ich vertrage den Schwarzwein nicht mehr. Im Süden zählt der als Gift. Ich bin völlig aus der Übung.» Als ich an dem Sud schnupperte, bahnte sich ein Schwall Magensäure seinen Weg in meinen Mundraum. Anklagend hob ich den Blick. «Was willst du mir diesmal andrehen, um mich um die Ecke zu bringen, nachdem der Schwarzwein seine Wirkung verfehlte?»


    Katax lachte. «Medizin gegen deinen Brummschädel, mein Freund. Trau dich, runter mit dem Zeug.»


    «Ich habe Schamanen noch nie vertraut.» Angewidert tippte ich mit der Zungenspitze in die Medizin. Obwohl sie hauptsächlich aus Honig zu bestehen schien, schmeckte sie derart bitter, dass meine Zunge schlagartig einen Pelz bekam. Aber ich legte den Kopf ins Genick und leerte den Becher mit einem Zug. Es schüttelte mich am ganzen Leib, sämtliche Haare standen mir zu Berge. Ich versuchte, das Gesicht nicht allzu sehr zu verziehen, als ich den Becher auf das Holzbrett stellte, das zwischen uns auf dem Boden lag. Tische kannte man in Shakorz so wenig wie Stühle, was das Zusammenkommen immer gemütlich und vertraulich machte. Außerdem konnte auf diese Weise niemand bei einem Gelage unter den Tisch sinken.


    «Nun sprich», sagte er, «warum bist du zurückgekehrt?»


    Ich kaute ein paar Mal mit leerem Mund, um den Geschmack loszuwerden, dann gab ich es auf. «Du kennst die Antwort, Katax. Ich habe es bereits gesagt: Der Grund sitzt vor mir.»


    Er schenkte mir etwas ein, das hoffentlich Wasser war. «Das war keine Finte, um deinen Hintern zu retten? Keine Lüge?» Er schob mir den Becher über das Brett herüber.


    Ich nahm den Becher noch nicht an. «Katax.» Mein Blick sah zwar vermutlich blutunterlaufen und verquollen aus, aber auch sehr ernst. «Es gibt nur eine Person, die ich niemals belogen habe.»


    Die Erkenntnis, dass jemand solche Strapazen auf sich nahm, um ihn nach Jahren der Trennung wieder zu sehen, schien an seinem Inneren zu rühren. Er legte mir die Hand auf den Unterarm. «Es war nicht richtig, an deinem Wort zu zweifeln. Verzeih. Verrätst du mir, was ich für dich tun kann?»


    Ich nahm den Becher in die Hand und grinste. «Ich habe mir meinen Ruf als Lügner redlich verdient. Ich bin froh, dass du mit allem versorgt zu sein scheinst. Sogar mit einem Rang, von dem andere Halbblüter nur träumen. Damit könnte ich eigentlich wieder gehen. Aber wenn du wirklich etwas für mich tun möchtest, würde ich gern deine Geschichte hören.»


    Damit trank ich das, was er mir eingeschenkt hatte. Es handelte sich tatsächlich um klares, kaltes Wasser, das meine Zunge von dem bitteren Geschmack freispülte.


    «Meine Geschichte.» Nun war es Katax, der ernst dreinblickte. Auf seinem Gesicht tanzten die bunten Lichter seines gläsernen Windspiels. Es brach das Fackellicht tausendfach und verwandelte es in Regenbogensplitter. Er legte sich bequemer in die Kissen. «Also gut. Du sollst deine lange Reise nicht umsonst angetreten sein.»

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    Katax der Träumer


    «Eine gute Geschichte beginnt nicht irgendwo - sie beginnt am Anfang. Doch wo liegt er denn, der ominöse Anfang dessen, was uns über tausend Irrwege heute hier zusammen brachte? Soll ich beginnen an dem Tag, an dem du die Flucht angetreten hast und ich den Mut nicht in mir fand? Die Sonne schien und ich bebte in unorkischer Angst bei dem Gedanken. Wenn dicke Wolken über einen grauen Himmel gezogen wären, hätte ich dich dann begleitet und alles wäre anders gekommen? Oder soll ich einen weiteren Schritt zurückgehen, noch einmal die Zeit rekapitulieren, in der wir als Duo, das man in orkischem Charme Pest und Cholera nannte, gemeinsam die Bruthöhlen unsicher machten? Liegt der Anfang vielleicht im Moment meiner Geburt als Halbblut, zu deren unerwünschtem Anlass ich den Namen eines havarierten Schiffes erhielt? Du bist der Lügner von uns beiden, niemand erzählt Geschichten so gut wie du. Verrate es mir: Wo liegt der Moment, in dem sich dein und mein Schicksal unaufhaltsam gegen uns wendete? Dort will ich meine Geschichte beginnen.»


    War es Zufall, dass seine Erzählstimme meiner so ähnelte? Sanfter, weniger zynisch und ein wenig ausschweifender, doch im Grunde könnten seine Gedanken auch aus meinem Munde gekommen sein. Ich würde über diesen Punkt nachdenken müssen.


    «Den Anfang findest du früher, in der Havarie des Schiffs», sagte ich. «Von dort an nahm das Schicksal seinen Lauf und dort müsstest du theoretisch beginnen. Wusstest du, dass damals Sabotage am Werk war? Auf einer meiner Reisen habe ich davon erfahren. Es hing mit einem klebrigen Barhocker zusammen, und zwar wörtlich. Doch heute möchte ich einmal Zuhörer sein.» Ich machte es mir in den Fellkissen bequem. Es tat gut, nach all den Jahren wieder mit Katax zu sprechen, seine nachdenkliche Art und sein vergeblicher Wunsch, den Lauf der Welt zu begreifen. «Beginne am besten mit deiner glücklichsten Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit, damit die Trennung ein zweites Mal so richtig weh tut. Bring mich zum weinen, Katax, sei gemein zu mir. Zuhörer lieben das.» Ich blinzelte frech.


    Damit schloss ich die Augen und lauschte seiner Erzählung.

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    Katax der Träumer


    «Es war ein Morgen, der große Hitze androhte. Die Sonne war gerade aufgegangen und es war jetzt schon heiß, doch im Schatten der Hügel und Felsen glitzerte noch der Tau. In der kühlen Erde prangten deine Fußabdrücke, tiefer als üblich. Man sah, dass du gerannt warst. Die umgeknickten Grashalme dufteten intensiv nach dem beginnenden Sommer. Es wäre ein Leichtes gewesen, deiner Spur zu folgen, nach Süden, in die Freiheit. Doch als ich ich den Blick hob, brannte die rote Sonne wie ein entzündetes Wundmal an einem kranken Himmel. Sie schien auszubluten und die Wolken klebten wie Eiterfetzen über dem Horizont. Ich glaubte, das aufziehende Unglück zu riechen wie faulendes Fleisch. Übelkeit quoll meinen Rachen hinauf. Alles in mir warnte davor, dass da draußen nicht allein die Freiheit, sondern auch ein großer Schmerz wartete, schlimmer als jener, den ich schon kannte.


    Aber vielleicht galt das nicht allein mir, sondern auch dir, der in diesem Augenblick ahnungslos in sein Unglück rannte?


    «Serak!» Ein Schwarm Krähen stieg auf und ihr Krächzen vermischte sich mit meinem Ruf. Ich versuchte es noch einmal lauter: «Serak!» Eine Weile verharrte ich, denn unsere Sinne sind scharf und es mochte sein, dass mein Ruf tatsächlich an deine Ohren gedrungen war. Doch ob du mich gehört hattest oder nicht, du kehrtest nicht zurück. Wer konnte es dir verdenken? Im Gegensatz zu mir warst du nicht von Hellsichtigkeit geplagt und konntest unvoreingenommen in die Zukunft sehen.


    Ich focht einen inneren Kampf mit mir aus, um dich einzuholen und zu warnen. Aber als ich den ersten Schritt ins Freie setzte und die gleißende Helligkeit sich in meine Augen brannte und heiß über mein Gesicht kroch, begann das alte Trauerspiel. Ein Zittern ergriff mich und meine Füße standen wie festgeklebt in diesem kleinen Hintereingang der Bruthöhlen. Nie habe ich einen stärkeren Kampf gegen meine Sonnenangst geführt als an jenem Tag. Mein Herz raste wie nach einem Dauerlauf, obwohl ich mich nicht bewegte. Endlich gelang es mir, einen Schritt zu gehen, einen einzigen Schritt nur, doch der Erste von vielen, die hätten folgen können.


    «He, du da!»


    Meine Bemühungen wurden jäh unterbrochen. Ich fuhr herum. Drei junge Vollblutorks, die mir nur allzu gut bekannt waren, näherten sich durch den erdigen Gang. Sie hatten mich gemieden, seit du und ich uns nur noch im Doppelpack bewegten, doch nun wirkten sie entschlossen, ihr altes Werk zu vollenden.


    Ihr Anführer Kaudruk ging in der Mitte. Sein praller Bauch drückte den Lendenschurz tief nach unten. Das Grinsen seiner scharfen Zähne erinnerte mich jedes Mal an seinen Appetit auf Menschenfleisch. Zu seiner Linken ging Skelix, dessen imposante Erscheinung durch sein schiefes Gebiss ruiniert wurde. Speichel tropfte ihm vom Kinn auf seine muskulöse Brust. Zu Kaudruks anderer Seite ging eine Gestalt, mit der man hätte Mitleid haben können, wäre sie nicht sein williger Handlanger. Uzri der Jämmerliche war von Pockennarben entstellt und in seiner Entwicklung zurückgeblieben. Diese drei Halbstarken bildeten wahrlich kein ansehnliches Trio.


    Sie gingen nebeneinander und eine Flucht wäre nur hinaus in den beginnenden Tag möglich gewesen. Ich spannte in der Erwartung einer Prügelei alle Muskeln an, legte Stirn und Nase in Falten und zeigte die Zähne. Kaudruk aber lächelte. Mit seinen feisten Wangen wirkte er heute eigentümlich freundlich. Sie alle hatten Übungswaffen bei sich. Er trug obendrein einen Eisenhelm unter dem Arm, wie er bei Naridiern üblich war. «Erinnerst du dich an diesen Helm, Katax?»


    Katax? Nicht Halbmensch oder Abschaum? Ich betrachtete den Helm. Er war Bestandteil der Trophäensammlung meiner Mutter, aber ich wagte nicht zu antworten.


    «Der gehörte deinem Vater», sagte Kaudruk. «Ich finde, er steht jetzt dir zu.»


    Er hielt mir den Helm entgegen. Die Sonne spiegelte sich auf dem abgenutzten Eisen. Mühsam bekämpfte ich die aufsteigende Übelkeit, als ich das Licht sah. Schließlich packte ich zu und zog den Helm an mich. Meine drei einstigen Peiniger lächelten. Warum waren sie auf einmal so freundlich? Ich verstand es nicht.


    «Na los, setz ihn auf», ermunterte mich Kaudruk.


    «Hat er überhaupt eine Ahnung davon, wie daf geht?», lispelte Skelix und versprühte etwas Speichel. «Der Kerl taugt ja kaum tfum Jäger, noch weniger alf Wächter, wenn er älter ift. Er hat garantiert noch nie gekämpft.»


    «Weil niemand mit ihm übt», wandte Kaudruk ein. «Gib den Helm schon her, Katax. Ich helfe dir.»


    Seit wann redeten sie mit mir? Seit...?! Kaudruk setzte mir sorgfältig den Helm auf und zog den Kinnriemen straff. Prüfend bewegte ich den Kopf. Der Helm passte wie angegossen, aber die polsternde Filzhaube fehlte, so dass das schwere Eisen direkt auf meiner Kopfhaut auflag. Für die Ohrspitzen war es auch eng. Ansonsten saß der Helm, als sei er für mich geschmiedet worden.


    Kaudruk hob das Kinn. «Hast du wenigstens schon mal ein Knochenschwert gehalten?»


    Skelix schüttelte neben ihm den Kopf und wischte mit der Hand über seinen feuchten Mund. «Unnötige Frage. Wer übt mit einem Halbblut?»


    Damit lag er richtig. Kaudruk drückte mir eines der hölzernen Übungsschwerter in die Hand, die sie mitgebracht hatten. «Es wird Zeit, dass du das lernst, wofür du geboren wurdest. Komm.» An der Schulter schob er mich hinaus ins Freie. Mir schnürte es die Kehle zu, als die Sonne mir entgegenstrahlte, doch die Hoffnung, neue Freunde zu finden, verlieh mir die Kraft, das Brennen in meinen Augen zu ignorieren.


    Die drei standen vor dem kranken rosa Morgenlicht, das sie von hinten beschien. «Warum fagft du nichtf?», fragte Skelix. «Wir dachten, du würdeft dich freuen.»


    «Jetzt, wo du so allein bist», fügte der pockennarbige Uzri hinzu, der bisher geschwiegen hatte. «Wir fanden, dass es für dich an der Zeit ist, in eine neue Zukunft zu schauen.»


    Ich hatte immer noch damit zu tun, meine Sonnenangst herunter zu kämpfen, um mich nicht vor ihnen zu blamieren, so dass ich nicht sprechen konnte.


    Kaudruk verdrehte die Augen. «Jetzt hab dich nicht so. Die Zeiten ändern sich.»


    Das stimmte. Wir alle wurden älter und reifer. Sie hatten gesehen, dass du geflohen bist, das hatte Uzri zum Ausdruck gebracht. Sie wussten, dass ich allein war. Das hier war ein Versöhnungsangebot. Ich atmete tief durch, straffte die Schultern und hob lächelnd das Holzsschwert in die Grundstellung.


    «Na endlich!» Kaudruks Lächeln wurde zu einem Grinsen, das alle vier Eckzähne entblößte. Im Gegensatz zu seinem Kumpan Skelix besaß er ein makelloses Gebiss. Wie vier weiße Krummdolche schoben die Fangzähne sich aus der geschlossenen Zahnreihe hinaus über das Zahnfleisch. Er hob sein eigenes Übungsschwert. Unter dem Fett seines Leibes sah ich seine gewaltigen Muskeln arbeiten. Die anderen beiden Jungorks taten es ihm nach. Alle drei schlugen mit ihren Holzschwertern gleichzeitig auf mich ein. Mir aber war es unmöglich, einen Treffer zu landen. Jeder Schlag auf den Kopf dröhnte wie eine Tempelglocke. Ich versuchte, die Hiebe mit dem Übungsschwert abzuwehren, doch es war aussichtslos.


    «Eine gute Übung für uns», rief Skelix, der es auf meinen Kopf abgesehen hatte. «Kein langweiliger Pfahl mehr oder Schattenkämpfe!»


    «Du sagst es», keuchte Uzri, der mir die Spitze in den Rücken stieß. «So üben wir in Zukunft immer!»


    «Tanz, Menschenfleisch», johlte Kaudruk und drosch mir immer wieder auf die Knie. «Tanz für mich!» Meine verzweifelten Ausweichbewegungen versetzten ihn in höchste Ekstase. Ein paar wohlgezielte Hiebe später klappten meine Beine unter mir zusammen. Ich sammelte meine letzte Energie, um nach vorn zu fallen, damit sie mir nicht auf den Bauch springen konnten. Dafür traten sie mir in die Flanken. Meine Eingeweide schienen zu explodieren und ich machte den Fehler, vor Schmerz zu schreien. Ein plötzliches Gewicht presste mir sämtliche Luft aus den Lungen. Heißes, weiches Fleisch senkte sich auf meinen Rücken. Dann spürte ich Kaudruks Zähne in meinem Nacken. Sie durchbohrten meine Haut und er sog gierig das Blut aus mir heraus.


    «Und», fragte Skelix, «schmeckt er mehr nach Ork oder nach Mensch?»


    Der Biss löste sich. Ein unappetitliches Schmatzen hallte in meinen Ohren, als Kaudruk den Nachgeschmack prüfte.


    «Runter von mir», keuchte ich. Mein Versuch, mich auf Arme und Beine zu stützen, schlug kläglich fehl unter seiner Masse.


    Er drückte mein Gesicht in den Dreck und schlang den Arm um meinen Hals. «Das macht Appetit auf mehr», raunte er in mein Ohr. «Du schmeckst wie dein Vater. Er war mein erstes Fleisch überhaupt und ich habe den Geschmack nie vergessen. Mutter hat mir sein Fleisch vorgekaut und seine Knochen zum Nagen gegeben, damit meine Zähne stark werden.»


    Er löste den Arm und drückte mein Gesicht in die taunasse Erde, bis ich keine Luft bekam. Heiß rann das Blut meinen Hals hinab. Mein Körper bestand nur noch aus Leid und ich war zu keiner Gegenwehr mehr fähig.


    «Wir sollten reingehen», rief Uzri plötzlich. Seine Stimme klang alarmiert.


    «Warum», murrte Skelix von weit oben, irgendwo in Uzris Nähe. «Ich will auch probieren, wenn Kaudruk fertig ist.»


    «Aber da kommen Krieger. Ich glaube, da ist der Typ dabei, der deinen Kiefer zerbeult hat.»


    Skelix fauchte entsetzt.


    Kaudruk stieß ein verärgertes Knurren aus. Der Druck auf meinem Rücken ließ nach. Sechs Füße raschelten im Eiltempo durch das feuchte Gras. Mit streitlustigen Kriegern wollte kein Halbstarker sich anlegen.


    Ich blieb reglos liegen, damit man mich für bewusstlos hielt, bis auch die Krieger vorbeigezogen wären. Nachdem das Trio sich verzogen hatte, waren keine anderen Schritte mehr zu vernehmen. Vielleicht hatten die Krieger die Richtung gewechselt? So zog ich meine Hände unter die Schultern und stemmte mich hoch. Misstrauisch blickte ich mich um, das Gesicht und den Rumpf voller Erde. Niemand war mehr hier. Mich aufzurichten, sollte sich als die größere Herausforderung erweisen. Es dauerte, bis ich endlich aufrecht stand. Die Sonne schien stärker als vorher und brannte auf mich hinab. Meine Vision hatte sich bewahrheitet: Unter ihrem Licht hatte mich ein schrecklicher Schmerz heimgesucht. Es war nicht die erste Ahnung, die in Erfüllung gegangen war.


    Mit zitternden Fingern nahm ich den Helm ab. Die Sonne spiegelte sich auf dem gewölbten Eisen, ließ die zahllosen Kratzer glitzern. Ich versuchte, mir das menschliche Gesicht meines Vaters darunter vorzustellen. Ich wusste praktisch nichts über ihn, aber was mir widerfahren war, verlieh mir eine Ahnung, wie seine letzten Stunden ausgesehen haben mussten. Hatte Kaudruk ihn danach wirklich aufgefressen oder war das einer seiner dummen Sprüche gewesen, um mir nicht allein körperlich, sondern auch seelisch weh zu tun? Fakt war, dass er Menschen zum Fressen gern hatte und einem Krieger jeden Wunsch erfüllte, wenn er für ihn ein Päckchen Menschenfleisch dabei hatte. Wahrscheinlich hätte er dafür sogar seine vielgepriesene Mutter verkauft.


    Ich hob den Blick und sah direkt ins Licht hinauf, das Herz voller Zorn, als wolle ich der Sonne den Krieg erklären. Dann warf ich einen Blick auf deine Fußspuren im Gras, die von den Bruthöhlen hinaus in die Tundra führten, und dachte nach. Nach einer Weile wandte ich mich ab und suchte mir einen anderen Eingang als jenen, in dem meine Peiniger verschwunden waren. In meinem Inneren loderte es, als hätte sich das vernichtende Licht der Sonne in mein Herz gebrannt. Es gab nichts mehr zu fürchten. Alles, was ich hätte verlieren können, war schon fort. Es war unmittelbar vor diesem Zwischenfall davongelaufen. Mein Platz aber war hier in den Bruthöhlen, denn mein Weg war nicht die Flucht, sondern der Kampf.»