Beiträge von Noldil

    „Für die Freuden des Lebens sollte man immer etwas Zeit erübrigen können. Und gerade Du, der die Menschlichkeit so zu schätzen weiss.“
    Ihre Augen blieben an den funkelnden Sternen hängen, während sie seinen Geruch einatmete und die Wärme seiner Haut spürte.
    „Nicht immer muss dafür eine ganze Nacht in Anspruch genommen werden, oftmals genügt ein aufmerksamer Blick, ein tiefer Atemzug oder eine sanfte Berührung. Bereits der Duft von würzigem Kaffee oder das Lachen eines Freundes kann Dir Wohlbehagen bescheren. Erinnere Dich daran, wenn blosse Dunkelheit Dich zu umgeben scheint.“


    Ein fröhliches Lächeln umspielte die vollen Lippen und brachte ihre Augen zum Leuchten, als das Kleid ihre Rundungen weich umschmiegte: „Es ist wunderschön! Wenn ich es trage, werde ich an die Wunder zurückdenken, welche ich in einer einzigen Wüstennacht erleben durfte.“


    Als sich Rakshor aus dem Sand erhob, beobachtete Noldil ohne Scham seinen nackten Körper und die geschmeidigen Bewegungen. Sie sog den männlichen Anblick in sich hinein, die wohlgeformten Pobacken, die muskulöse Brust, das markante Gesicht.
    Obwohl sie sich in ihrem unendlichen Dasein bereits viele unterschiedlichste Liebschaften gegönnt hatte, vermochte doch keine an diese unersättliche Leidenschaft heranzukommen, welche die beiden Gottheiten miteinander teilten. Noldil liebte es mit dem Feuer zu spielen, welches in seinem Innern brannte.
    Sie genoss es, den Gott des Krieges zu verführen und das wilde Chaos zu entfachen, das sie im Rausch der Erregung beide mit sich riss. Doch genauso sehr verlangte es sie danach, den Sturm zu besänftigen und ihn mit zärtlichen Berührungen zu liebkosen. Wenn es Noldil gelang, ihm ein Lächeln zu entlocken, so war es oftmals geheimnisvoll und ehrlich zugleich. Und so war es immer eine aufregende Herausforderung Rakshor nahe zu sein.


    Vor den Augen Noldils vollzog sich die Veränderung im Körper des Mannes. Sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich, seine Haltung strahlte Anspannung aus, seine Bewegungen zeugten von innerer Unruhe. Sie konnte ihm seine Gedanken geradezu von den Augen ablesen, während er sich das Fell um die Hüften schlang und schliesslich den mächtigen Schädel über sein Haupt gleiten liess. Es war, als würde er seine Gefühle vor ihr verbergen.
    Obgleich Noldil verstand, dass es für einen Kriegsgott und Feldherren gefährlich sein mochte, Gefühlsregungen zu offenbaren, die als Schwächen ausgelegt werden konnten, empfand sie darüber eine tiefe Traurigkeit.


    Krieg… eine Plage, welche diese Welt wohl niemals ausmerzen würde. Noldil hielt nicht viel von den Geplänkeln der Völker und Gottheiten und sie empfand nicht die geringste Lust, sich an diesen Machtspielen zu beteiligen.
    Doch trotzdem würde sie Rakshor niemals den Rücken kehren. Allzu viele Empfindungen wühlten sie auf, wenn sie an ihn dachte. Er war für sie wie ein Sohn, ein Freund und ein Geliebter zugleich.
    Und tief in ihrem Inneren wusste sie, dass das Chaos zu ihm gehörte, so wie die Kunst des Geniessens ihrem Sein entsprach.


    "Rakshanistan braucht mich. Danke für diese Nacht und für deine Freundschaft. Wann immer du etwas benötigst, brauchst du deinen Wunsch nur in den Ostwind zu rufen und ich werde da sein."
    Und Noldil wusste, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen.




    Nachdem Rakshor seiner Wege gegangen war, verweilte die Göttin noch lange Zeit an Ort und Stelle und blickte dem neuen Tag entgegen. Vor ihrem inneren Auge beschwor sie die köstlichen Erinnerungen herauf und durchlebte die Zeit mit ihm ein weiteres Mal.
    Erst als die ersten Sonnenstrahlen über ihre Haut streichelten, erhob sich Noldil.
    Sie quittierte dabei Rakshors Ideenreichtum mit einem amüsierten Grinsen. Das Kleid passte wie angegossen und liess dabei ihre Kurven wohlwollend zur Geltung kommen. Eines musste man dem Kerl lassen, es gelang ihm immer wieder auf charmante Weise, seine göttliche Macht zur Schau zu stellen, ohne dabei anmaßend zu wirken.


    Noldil war schon lange nicht mehr gereist. Zu ihrer Überraschung genoss sie diese neue Umgebung mehr, als sie sich zuvor eingestanden hätte. Als Gottheit war das Leben oftmals zu einfach. In ihrem Tempel erhielt sie alles, wonach es sie verlangte: Weine, Tänzer und Blumen aus allen Teilen des Kontinents konnte sie mit einem Fingerschnipsen herbeordern. Wünschte sie sich eine neue Gewandung standen hunderte Schneider Schlange, um ihr die elegantesten Muster vorzulegen und Händler stritten sich darum, ihr die fein gewobenen, seidenen Stoffe als Geschenke zu ihren Füssen zu legen. Gelüstete es den Gott nach einer Spielrunde in lustiger Gesellschaft, musste er nur den bescheidenen Weg in die Spielhalle seines Tempels zurücklegen.


    Doch es waren unzählige Monde vergangen, seit Noldil selbst ihren Tempel für mehr als einen kurzen Ausflug verliess. So fasste sie einen Entschluss.
    „Mein treuer Diener! Ich werde eine geraume Zeit nicht im Tempel verweilen. Ich möchte, dass du so lange die Führung übernimmst. Achte darauf, dass mein Garten wieder in seiner Schönheit erstrahlt und dass die Ingenieure und Magier ihre Streitereien im Zaum halten mögen. Nur wenn unlösbare Probleme auftreten, sollst du dich an mich wenden. Ansonsten verlange ich Stillschweigen über mein Fernbleiben zu halten“, nachdem sie per Gedankensprache ihren nächsten Untergebenen gebührend in seine Aufgaben eingewiesen, beschloss Noldil ihre Reise in Rakshanistan zu beginnen. Nur so könnte sie sich selbst von der Schönheit des Landes überzeugen, welche ihr Geliebter so gepriesen hatte.


    Als sich die Sonne bereits ihrem Zenit näherte, trottete ein Kamel gemächlich den Dünen entlang. Trittsicher und folgsam setzte es einen Schritt vor den anderen. Auf dem Rücken schaukelte ein Mann im mittleren Alter sanft mit den Bewegungen mit. Seine braune Haut, die schwarzen Haare und die dunklen Augen wiesen ihn als einen Menschen des Südens aus. Sein Haupt war zum Schutz vor der Hitze verhüllt und sein Körper in Leder gekleidet. Nur die Tatsache, dass er weder auf einer Hyäne ritt, noch Waffen trug, liessen erahnen, dass dies kein gewöhnlicher Rakshaner war, der seinen Weg zu seinem Heimatlager suchte.
    Noldil lauschte dem Wind und vernahm die Klänge von Musik, schon lange bevor ein Sterblicher sie wahrgenommen hätte. Danach richtete er das Kamel aus, als er es mit einem Tritt in die weichen Flanken vorwärts trieb.

    Amüsiert beobachtete Noldil, wie der Meeresriese sanft entschlummerte. Sein Körper hob und senkte sich regelmässig unter seinem Atem und liess das Wasser leichte Wellen schlagen. Wenn man das Trümmerfeld ausser Acht liess, wirkte das Bild friedlich, welches er bot.
    Doch ihr war Rakshors Ausdruck nicht entgangen. Er schien nicht ganz so zufrieden zu sein wie sie mit dem Ausgang der Auseinandersetzung.


    Trotzdem waren seine Worte sanft und lösten ein vertrautes Gefühl der Wärme in ihr aus.
    „Ich? Herrin des Sandsturmes?“, sie lächelte unwillkürlich. „Dafür bin ich nicht geschaffen. Mein sind die Künste und Feste. Ich geniesse die Freuden im Leben, schätze es, müssig zu sein. Lieber sehe ich den Goblins zu, wie sie geschäftig umherwuseln, oder schwelge abends bei den Liedern der Musiker in Erinnerungen und Träumen. Es würde zu viel der kostbaren Zeit in Anspruch nehmen, all Deine stürmischen Handlungen zu bändigen.“


    Als sie die Berührung seiner Hand spürte, fühlte sich Noldil in eine andere Zeit zurückversetzt… mehrere Ewigkeiten war es her, seit diese Hände sie berührt hatten. Mal sanft wie eine Frühlingsbriese, mal mit einer Wildheit, welche bloss das Chaos in sich tragen konnte.
    Ihre Augen blieben an seinem Mund hängen und sie verspürte den Drang, ihn lächeln zu sehen. Wie oft hatten sie zusammen gelacht, wenn sie bei gutem Wein zusammengesessen und sich Geschichten erzählt hatten.
    Doch nun verzog sich dieser weiche Mund zu einer harten Linie, als er von dem Hass erzählte, welcher sein Herz vergiftete. Es bedrückte Noldil, ihn so zu wissen und gerne hätte sie ihm Trost gespendet.


    „Rakshor, mein Freund. Womöglich hast Du allzu lange dem Glück des Lebens entsagt. Stärke liegt nicht im Hass. Sie liegt in der Liebe, in der Leidenschaft.“
    Sie fühlte sich ihm näher denn je, als er seinen Schmerz mit ihr teilte. Er hatte ihr seine Schwäche dargelegt. Gerne hätte sie ihn umarmt, ihm gezeigt, dass er nicht alleine war oder die düsteren Worte, welche über seine Lippen kamen, mit ihrem Mund erstickt.
    Die vielen Schaulustigen und inzwischen auch das Putzpersonal hielten sie jedoch davon ab, denn sie wollte Rakshor nicht als schutzbedürftig oder schwach dastehen lassen.
    Als er jedoch seine Maske bestimmt nach unten zog, war der initme Moment vorüber. Noldil liess sich ihre Enttäuschung und Betroffenheit über seine Worte nicht anmerken, doch sie respektierte auch seine Entschlossenheit.


    „Wenn Du Deinen Hass ausleben musst, um Dich danach wieder als Dich selbst zu fühlen, dann tu es. Aber bitte halte Dich bei diesen Angelegenheiten von meinem Tempel fern. Dies ist ein Ort der Lust, der Freuden, des Vergnügens und der Künste. Schmerz und Tod haben hier Nichts verloren“, ihr Blick war ernst und unnachgiebig.
    Als sie jedoch meinte, dass ihre Botschaft bei dem Jüngling angekommen sein müsste, wurde sie wieder weicher und ihre blauen Augen funkelten freudig.
    „Ansonsten bin ich natürlich immer glücklich darüber, Dich hier bei mir begrüssen zu dürfen. Ob nun zu einem Kartenspiel unter Freunden, oder einem entspannenden Besuch in der Therme... Hast Du vor noch etwas zu verweilen, oder hast Du keine Zeit für Deine alte Freundin und willst bald wieder Deiner Wege ziehen, jetzt, wo Du meinen Tempel so in Mitleidenschaft gezogen hast?"
    Noldil blickte ihn erwartungsvoll an. Und ein Funke der Neugier sprach aus ihrer Stimme:
    "Wie ich hörte, bist Du inzwischen ein vielbeschäftiger Mann.“

    Noldil runzelte die Stirn und ein verärgerter Zug schien über ihr hübsches Gesicht zu huschen.
    Es war nicht in ihrem Sinne, den Elementar leiden zu lassen.
    „Du strafst meine Worte Lügen, Rakshor mein Freund!“
    Ihr Blick blieb an Nyel hängen, welcher sich in seiner Qual windete und versuchte, der Folter des Gottes zu entkommen. Als er vor Schmerz aufschrie und Noldil das Blut bemerkte, welches das Wasser rot färbte, zuckte sie zusammen.
    Als sie realisierte, dass ihr Instrument nichts gegen Rakshors Methoden auszurichten vermochte, liess sie es in hundert Seifenblasen verschwinden, welche bei jedem einzelnen Zerplatzen einen sanften Ton von sich gaben.


    „Was werden meine Gäste über mich denken, wenn mein Versprechen gegenüber dem Herr der Meere auf solche Art und Weise in den Staub gezogen wird? Wenn seine Wunden aufbrechen, anstatt verheilen? Er von noch mehr Schmerzen gepeinigt wird, als ich versprach, sie ihm zu nehmen?“
    Entrüstet baute sich die üppige Frau vor Rakshor auf und stemmte ihre Arme in die Hüfte. Als Norkara war sie gross gebaut und mit Rakshor beinahe auf einer Höhe. Ihre Augen funkelten zornig.
    Trotzdem konnte sie dem Jüngling nicht wirklich böse sein. Auch wenn sie sein Handeln nicht gutheissen wollte, schätze sie ihn doch zu sehr. Aber manchmal musste man auch den Göttern die Leviten lesen.


    Plötzlich jedoch trat ein schelmisches Funkeln in ihre Augen und die Haltung veränderte sich. Die Aufgebrachtheit schien von ihr abzufallen und machte stattdessen einem neckischen Gebaren Platz.
    Sie trat mit wiegender Hüfte näher zu Rakshor heran, so nah, dass ihre Haarlocke, welche sich aus ihrer kunstvollen Hochsteckfrisur gelöst hatte, ihn an der Schulter kitzelte, während sie sich vorbeugte und ihm leise ins Ohr flüsterte: „Und was soll ich von meinem liebsten Gast halten, der sich doch ansonsten auf solch charmante Weise darauf zu verstehen weiss, zu bekommen, was er gerne möchte?“
    Mit einem Finger streichelte sie hauchzart der nackten Brust ihres ansehnlichen Gegenübers nach.
    "Du hast es doch gar nicht nötig, auf solche Mittel zurückzugreifen. Bereits dein Anblick bringt Frauenherzen zum Schmelzen und lässt die tapferen Krieger ihre Schwerter schwingen.“
    Ihr warmer Atem war als Lufthauch zu spüren und roch nach süssem Wein und saftigen Früchten, ihre Stimme klang wie die Versuchung selbst.
    „Sogar ich bin nicht vollständig dagegen gefeit… du könntest mir deine Macht auch auf weniger rüde und phantasielose Art beweisen.“
    Ein Lächeln umspielte ihre vollen Lippen, als sie sich wieder etwas von ihm zurückzog, ihn aus dunklen Augen aufmerksam musterte und versuchte einen Blick auf seine Regungen hinter der Maske zu erhaschen.

    „Bei allen Pampelmusen!“
    Einen Moment war Noldil sprachlos, als das Ungetüm aus seinem Brunnen herausschoss und das Kunstwerk in einen Haufen aus Schutt verwandelte.
    „Wie haben die Goblins den da bloss reinbekommen?!“, sinnierte er entgeistert und starrte den dreckverkrusteten und mit schartigen Wunden übersäten Körper des Weissen ungläubig an.

    „Ich hab solchen Hunger!“
    , heulte da das Wasserwesen auf.
    Im nächsten Augenblick wälzte sich der Leib bereits vorwärts, streckte seine Arme aus und griff nach den Gästen, die sich nicht schnell genug in Sicherheit brachten.
    „Was zum…?!“, als einer seiner Goblinmeister mit fehlendem Bein vor ihm achtlos auf den Boden geworfen wurde, bekam Noldil seit langem wieder seinen ersten richtigen Wutanfall.
    „WAS fällt Dir ein? Wie kannst Du es wagen, meinen Tempel auf diese Weise in die Schande zu ziehen? Du kannst Dir nicht vorstellen, was für eine Konzentration und einen Aufwand es mich gekostet hat, mit all den Goblins, Zwergen, Allmanen und Alben zu verhandeln, bis sie sich endlich gemeinsam an einen Tisch gesetzt und sich nur schon auf die Farbe der Marmorplatten zu einigen vermochten!“ Das Gesicht des Gottes lief rot an, wie der Wein, den er tief unter dem Tempel in einem Gewölbe gelagert hatte.


    Die Schreie seiner Untertanen liessen ihn verzweifelt die Arme verwerfen. „Meine lieben Gäste! Beruhigt Euch wieder… ich gebe für alle eine Runde aus! Oder nein, besser, Ihr seid den Rest des Tages eingeladen, alle Freuden des Tempels auf meine Kosten zu geniessen… aber rennt doch bitte nicht davon!


    Wie eine fette Schlange wand sich das Wesen in Noldils Innenhof und schien die Welt um sich herum nicht mehr wahrzunehmen. Sowohl eigenes wie auch fremdes Blut lief ihm über den Körper, denn die Tempelwachen hatten versucht, das Ungetüm zu attackieren, leider vergeblich.
    Plötzlich formte sich eine Idee in des Gottes Gedanken.
    „Macht die Tore frei, ebnet dem Herrn der Meere den Weg in seine Heimat!“


    Im nächsten Moment schnippte Noldil mit den Fingern und nach einer kurzen Drehung stand eine in Leder und Felle gekleidete Norkara an seiner Stelle. Um ihren Hals trug sie Ketten aus Zähnen von Raubkatzen und Wölfen, doch auch Haifischzähne waren zu erkennen. Ihre langen Haare waren kunstvoll geflochten, und nur einige vorwitzige Strähnen hatten sich aus dem Kunstwerk herausgewunden.
    In den Händen hielt sie ein spiralförmig gewundenes Gehäuse von mächtigem Ausmass. Das ehemalige Haus der Wasserschnecke war mindestens so ausladend, wie der Kopf der Frau selbst und schimmerte perlmuttfarben.
    „So mein werter Freund, ihr habt tatsächlich die Ehre, in den Genuss meiner musikalischen Künste zu gelangen. Geniesst das Konzert!“, meinte Noldil mit einem Zwinkern zu Rakshor hinüber.
    Dann übertönte sie mit magisch verstärkter Stimme das Geschrei und Getümmel: „Du hast Deinen Hunger nun gestillt, Bewohner des Meeres! Gesättigt, müde, doch zufrieden und ohne Schmerzen sollst Du nun in Deine Heimat zurückkehren.“
    Einen Augenblick schien Nyel innezuhalten, doch sobald Noldils Stimme verklungen war, glitt sein Blick bereits weiter suchend über das Trümmerfeld.
    Doch nun schloss die Göttin die Augen und setzte ihr wundersames Instrument an die Lippen.


    Im nächsten Moment ertönte ein Klang, der an das Rauschen des Meeres erinnerte, durchzogen von den unterschiedlichsten Stimmen von Wasserwesen, welche selbst den mutigsten Forschern noch nicht unter die Augen gekommen waren. Wie eine Flöte vermochte Noldil das spiralförmige Gehäuse zu gebrauchen und wiegte sich dazu sanft umher, als würde sie sich von einer Meeresströmung treiben lassen.
    Die Schreie verklangen und die Gäste und Untertanen schauten vorsichtig aus ihren Verstecken hervor, um ihre Göttin und das Schauspiel, das sich ihnen bot, im Blick zu behalten.
    Bloss das Schmatzen und Stöhnen von Nyel war noch zu vernehmen, doch Noldil liess sich nicht beirren.
    Sie liess ihre Magie in das mächtige und doch so filigrane Instrument hineinfliessen, und wie eine sanfte Meeresbrise streichelten die Klänge über den wuchtigen und doch so verletzlichen Körper des Weissen.
    Ganz allmählich verschlossen sich die blutigen und eitrigen Wunden, und zurück blieben Narben. Selbst die abgebrochenen Lanzen schienen mit dem Körper zu verschmelzen und wie die natürlichen Stacheln eines Seeigels eins zu werden, gleich so, als wären sie schon immer ein Teil des Meereswesens gewesen.
    Der Gigant lauschte den Klängen und begann sich plötzlich wie hypnotisiert im Gleichklang mit Noldil hin und her zu wiegen. Der Hunger wurde unwichtig, schwand gar dahin, genauso wie auch die Schmerzen nur als eine verblassende Erinnerung zurückblieben.


    Darauf hatte die Göttin gewartet.
    Langsam begann sie voranzugehen… wie ein Nachtwandler hievte sich der mächtige Leib des Weissen langsam hinterher, nicht ohne dabei weitere Marmorplatten und Statuen in Mitleidenschaft zu ziehen. Voller Bewunderung und Staunen kamen die Menschen aus ihren Verstecken hervor und so setzte sich die seltsame Prozession langsam in Bewegung, dem Meer entgegen.

    „Interessant? Du hast Dir natürlich wieder den passendsten Moment ausgesucht, hier hereinzustürmen. Aber das hast Du schon immer beherrscht. Du packst die Gelegenheit am Schopf, um aus einem unbedeutenden Chrüsimüsi ein vollendetes Chaos entstehen zu lassen!“, mit einem Handwedeln scheuchte Noldil die Bediensteten von Dannen, welche darüber nicht unglücklich zu sein schienen.

    „Ach, ich habe Dich vermisst, alter Freund… oder soll ich Dich eher Jungspund nennen… die Zeit scheint nicht an deinem Körper genagt zu haben, obwohl Du Dich bekanntlich so oft unter Aasgeiern aufhältst!“
    Noldil gluckste zufrieden über seine Wortwahl und sinnierte einen Moment vergangenen Tagen nach, während er sich neben Rakshor in die Kissen plumpsen liess.
    „Wo hast Du so lange gesteckt? Junge, Junge, was sich die Götter die Mäuler zerrissen haben über Dich. Das hätte Dir gefallen! Eine Theorie jagte die nächste und zurück blieb ein immenser Haufen Einzelteilchen, die niemand zusammenzufügen vermochte… und mich… haben sie ja nicht gefragt!
    Noldil grinste sein Gegenüber an und tätschelte zufrieden sein Bäuchlein, bis ihm jedoch seine Pflichten wieder einfielen. „Was bin ich doch für ein elender Gastgeber! Kein Wein wurde Dir angeboten und anstatt einem gut gewürzten Braten nimmst Du mit herumliegenden Früchten Vorlieb. Nicht in meinem Haus!“, donnerte die Stimme Noldils plötzlich wie ein Gewittersturm los.
    Im nächsten Augenblick schwang die Tür auf und eine grossgebaute Almanin brachte eine Karaffe und mit Edelsteinen besetzte Gläser vom besten Wein herein. Sie verneigte sich, und verschwand so schnell und lautlos wieder, wie sie aufgetaucht war.


    Noldils Blick haftete noch an ihrem wiegenden Hintern, als sich die Pforte bereits wieder hinter ihr schloss. „Wunderschön. Diese Kurven! Die weiblichen Formen sollten nicht nur aus Kanten und Ecken bestehen. Nur Aasgeier lieben Knochen“, er räusperte sich, und quittierte Rakshors sichtlichen Genuss für den Apfel mit einem nachsichtigen Lächeln. „Vielleicht hätte ich doch in weiblicher Gestalt verharren sollen, um Deine Aufmerksamkeit nicht mit einer Frucht teilen zu müssen…“


    Plötzlich erklangen aus den unteren Räumen laute Rufe und Schreie. „Ach, es gibt doch nichts besseres, als zwischendurch eine ordentliche Prügelei in der Schenke!“, grölte Noldil noch mit Begeisterung in der Stimme.
    Als das Gepolter jedoch zunahm und sich auszubreiten schien, wurde der Gott unwillig. „Kaum bist Du hier, bricht ein Tumult aus… war ja nicht anders zu erwarten! Hoffentlich zertrümmern sie mir nicht noch meine seltenen Sammlerstücke“, sein Blick blieb drohend an Rakshor hängen, „den mechanischen Flaschenöffner eines äusserst kreativen Goblins...sein Name ist mir entfallen... oder die von Waldalben aus einem Bäumchen geformte Statue meiner Selbst wird mir niemand so leicht ersetzen können.“
    Schliesslich stemmte er sich etwas umständlich aus der gepolsterten Ecke heraus. „Schauen wir und das doch Mal aus der Nähe an. Wir sind uns schliesslich fürs Nichts zu schade, stimmt‘s, alter Freund?“, mit diesen Worten steuerte er auf die Tür zu, welche mit lautem Tosen wie von einem Windstoss aufgedrückt wurde.

    Noldil lümmelte sich in ihrer Entspannungsecke, welche sich aus mit feinster Wolle gepolsterten Matratzen und bunt zusammengewürfelten seidenen, kunstvoll bestickten Kissen, gefüllt mit weissen Greifenfedern zusammensetzte. Sie liess sich von gutaussehenden jungen Männern und Frauen verwöhnen und während die einen ihre äusserst gepflegten Füsse und verspannten Schultern massierten, schenkten ihr andere Wein nach oder boten ihr süsses, exotisches Obst dar.


    Genüsslich kostete sie eine gelbe, ovale Frucht und der klebrige Saft rann ihr wie Honig über die Finger, wurde jedoch von einem tüchtigen Mädel weggewischt, bevor er ihr feines Kleid zu bekleckern vermochte.
    „Ich wünsche mir etwas Amüsement. Lasst die "Fidelen Halbstarken" aufspielen". Mit vor Aufregung glänzenden, grünen Augen beobachtete Noldil, wie im nächsten Moment eine bunte Truppe von Künstlern in ihr Gemach eingelassen wurde. Es handelte sich dabei um zwei Zwerge, einen Goblin sowie ein Echsenwesen.
    Sofort zogen die bärtigen Zwerge eine Holzflöte sowie eine kleine Trommel hervor und begannen ein fröhliches Lied zu spielen. Der Goblin begann dazu herumzutanzen und nur mit Mühe unterdrückte Nodil ein amüsiertes Kichern, das ihr jedoch schnell verging, als sie bemerkte, wie geschickt er seine kurzen Beinchen im Takt der Musik zu bewegen vermochte. Sie klatschte schliesslich munter Applaus und vergass ab der Darbietung sogar einen Moment den Wein.


    Plötzlich jedoch geschah etwas Unerwartetes. Das Echsenwesen schien sich in dem Raum und mit den vielen Leuten nicht wohl zu fühlen. Gerade als der Trommelwirbel ansetzte, an dem das drachenähnliche Tierchen sein Kunststück vollbringen sollte, quietschte es plötzlich laut auf und begann wie von der Tarantel gestochen in dem Zimmer herumzuwirbeln. „Was zum Gu…?“


    Noldil zuckte zusammen, als das Wesen auf das Salontischchen hüpfte und dabei mit seinem stacheligen Schweif die Kanne mit dem kostbaren Wein zu Boden schmetterte, der sich schnell als roter Fleck auf dem hellen Teppich ausbreitete.
    Ab dem Lärm erschrak es jedoch bloss noch mehr, spreizte plötzlich seine Flügel und sprang in die Luft.
    Obwohl das Gemach eine ausladende Grösse besass, war es doch nicht geeignet für spektakuläre Flugmanöver. So rauschte der Drix nur knapp über die Köpfe der jungen Frauen, welche gleich in hysterische Schreie ausbrachen. Entsetzt ob dieser Schande versuchten die Zwerge und der Goblin verzweifelt, das katzengrosse Tier zu fassen zu bekommen. Dabei stolperten sie jedoch über die Teppiche und das Chaos schien komplett.
    Als der Drix sich bei seinem Fluchtversuch jedoch auch noch in den edlen Vorhängen verfing und diese mit einem lauten Reissen zerschlissen, vermochte es niemand mehr, Ruhe zu bewahren.


    Bloss Noldil war noch immer in ihre Kissen gebettet und beobachtete die Szene. Der Goblin hatte sich vor ihr zu Füssen geworfen und bat sie um Gnade und Verzeihung, während die Zwerge noch immer versuchten, dem Unruhestifter habhaft zu werden.
    Einen Moment schaute sich Noldil mit ernstem Blick in dem Gemach um, welches nur noch andeutungsweise seine Pracht zur Schau stellte.
    Über den Boden kullerten Früchte, der Teppich war von roten Flecken besudelt, die alten Bilder waren herabgefallen und der Vorhang hing in Fetzen an den Fenstern herab. Der Drix hatte sich darin verfangen und versuchte sich vergeblich zu befreien.


    Ein leises Glucksen war zu hören, doch Noldil räusperte sich schnell, um ihre Belustigung hinter einer Miene aus Ernsthaftigkeit und Entrüstung zu verbergen. Der Goblin schaute sie noch immer mit gepeinigtem Gesichtsausdruck an und auch die Zwerge, Männer und Frauen verwarfen ungläubig die Hände.
    Gerade als Noldil dazu ansetzte, eine eindringliche Rede zu halten und die Truppe zu sanktionieren, klopfte es an der Tür. Doch noch bevor sie etwas erwidern konnte, wurde das Portal auch schon mit Schwung aufgestossen.


    Dann geschah alles sehr schnell. Ein junger, braungebrannter Mann stand in der Pforte, doch lange vermochte ihr Blick nicht auf ihm zu verweilen, denn im nächsten Moment war ein Kreischen zu vernehmen und dann spickte der Drix, noch halb mit einem Vorhangfetzen verhüllt wie eine Kanonenkugel auf die rettende Öffnung zu. Zu spät realisierte das Wesen den kräftigen Mann, der den Durchgang versperrte und so hörte man bloss ein erschrockenes Aufjapsen, als es im Halbflug mit voller Wucht gegen die Brust desjenigen prallte.


    Nun vermochte sich Noldil nicht mehr zu halten. Mit vor Lachen zusammengekniffenen Augen erhob sie sich aus ihren Kissen und der Klang ihrer berauschten Stimme war über den gesamten Flur zu vernehmen. Die langen rotgelockten Haare umhüllten ein sympathisches, rundliches Gesicht voller Sommersprossen, mit vollen Lippen und roten Wangen.
    Der ganze wohlgeformte Körper schien in ihr Lachen mit einzustimmen und die üppigen Brüste hüpften in dem ausladenden Dekolleté fröhlich um die Wette. Auch das hübsche Kleid mit den Rüschen hatte einige Weinflecken abbekommen, doch das bemerkte die Göttin gar nicht.
    „Was für ein Spass! Was für ein Durcheinander! Ihr hättet einmal eure Gesichter sehen müssen!“


    Die Zwerge und der Goblin starrten sie noch immer erschrocken, doch auch etwas besorgt an. Bloss die angestellen Männer und Frauen begannen bereits wieder seelenruhig Ordnung zu schaffen, denn sie waren sich der oftmals ausgelassenen Stimmung ihrer Herrin bewusst.


    „Doch wen haben wir denn da? Ein Gast! Ich hoffe, Ihr habt den Begrüssungsansturm gut überwunden? Normalerweise herrscht hier eine gesittete Gleichmäßigkeit… und nicht solch ein… Chaos.“ Ein verschmitztes Lächeln begleitete ihre Worte, denn sie meinte den Ankömmling erkannt zu haben, obwohl sie im schon lange, sehr lange nicht mehr begegnet war.
    „Ich sollte mich kurz umziehen… in diesem Aufzug scheint es mir nicht Recht zu sein, Euch zu empfangen.“


    Mit einem Schnipsen ihrer Finger, verwandelte sie sich in einem Rauschen in einen mächtigen Herren. Mit seinem Bart und der gutbürgerlichen Gewandung stellte er einen starken Kontrast zu seinem nur wenig bekleideten, dafür muskulös gebauten Gast dar. "Mein guter, alter Freund! Bist Du's wirklich? Lass Dich umarmen!"
    Mit beschwingten, ausladenden Schritten trat er auf Rakshor zu und liess ohne jede Hemmung seine mächtigen Pranken auf dessen Schultern klatschen. "Was für eine Freude Dich zu sehen! Das Chaos ist komplett!"
    Unter dem fröhlichen Lachen, das nun folgte, hüpfte das Bäuchlein des Noldil munter mit.