Blutrote See - Kapitel 25 - Freibeuter
Die Silberbärte und die Bellavistal
Das gewaltige, uralte Schiff pflügte durch die skallische See. Dieses Schiff war noch aus einer anderen Zeit. Mächtig Geschütze hatte es an den Seiten angebracht und seine ganze Form würde man wohl alles andere als windschnittig bezeichnen.
Seine Kapitäne waren gemeinsam nicht einmal so alt wie das Schiff. Aber alt war hier nicht negativ gemeint, alt gedient und alt bewährt trafen es hier eher. Es war ein Kriegsschiff das die Zeiten des Umbruchs noch miterlebt hatte. Einer jener alten Kriegerinnen die man kommen, siegen und auch wieder verschwinden sah. Ein uraltes Schiff, eine Kriegerin der ersten Stunde, sie kannte Naridien noch als almanisches Großherzogtum.
Dieses Schiff tötete seit über einem Jahrhundert mit einer Präzision die jeder seiner Kapitäne, Lenker und Befehlshaber zu schätzen und zu lieben lernte, wenn man erst einmal mit der eigenwilligen Lady zurechtkam.
Aber dieses Schiff war nicht nur Herausforderung, sondern bot auch einen immensen Sicherheitsvorteil. Konnten andere Schiffe seitlich oder von unten gekapert werden, auch wenn unter großen Kampfeinsatz und mit Verlust, war es bei diesem Schiff kaum möglich es zu entern.
Die Anzahl der Geschütze, die man bei der Kletterpartie passieren musste, überwand kaum jemand. Man kletterte geradewegs vor die Skorpione in den Tod. Ein Entern dieses Schiffes auf die übliche Art war somit fast ausgeschlossen.
Langsam drosselte der Gigant seine Fahrt und Lynn beobachtete aus dem Fernglas das vorbeiziehende Handelsschiff. Noch ehe sie das Gefährt rufen konnten verpasste es ihnen eine Salve vor den Bug, drehte bei und machte sich davon.
„Sofort beidrehen, jeden Fetzen Stoff in den Wind! Hinterher – keiner beschießt mein Schiff!“, knurrte Lynn und die Bellavistal machte ihrem Namen alle Ehre. Drehte in Windeseile bei und verfolgte den Frachter als sei der Teufel hinter denen her.
"Unser Schiff", korrigierte Fynn.
"Richtig. Denen machen wir Feuer unterm Arsch!“, grummelte Lynn.
„Abgrundfeuer?“, lachte Fynn an seiner Seite und legte einen Arm um seine Schulter.
„Ganz genau!“, grinste Lynn seinen Mann an.
„Käptns unter uns ein Lebewesen von gewaltigem Ausmaß!“, warnte der Matrose aus dem Krähennest.
Vor sich sahen Lynn und Fynn wie der winzige, dreiste Frachter ganz nah an einer Insel vorbei schoss. Gewaltige Felsspitzen dabei passierend und weiter die Geschwindigkeit erhöhte.
„Da passen wir auch durch. Volle Segel!“, befahl Lynn und die Matrosen setzten den Befehl sofort um.
„Das passt nicht!“, warnte Fynn.
„Das passt!“, grinste Lynn.
„Das passt nicht!“, warnte Fynn erneut.
Der Frachter schoss mit einer Halbdrehung genau zwischen den Felsnasen durch. Die Bellavistal dicht hinterher, dann krachten diese seltsamer weise aufeinander und gaben den Blick auf ein gewaltiges, rosafarbenes Lebewesen preis. Von wegen Felsnasen, es war eine Riesenkrake!
"Guck nach vorne, wir haben keine Zeit das wirklich hübsche Rosa-Etwas zu bewundern", befahl Fynn seinem Mann.
"Riesenkrake!", antwortete Lynn.
"Seeschnecke", kommentiere Fynn.
"Ein Riesenkrake!", hielt Lynn dagegen.
"Oder ein Wal", schlug Fynn vor.
"Seit wann haben die Fangarme?", hakte Lynn nach.
"Es hat keine Fangarme", gab Fynn zurück.
„Der Kutter ist in Feuerreichweite!“, teilte einer der Offiziere mit.
„FEUER!“, befahl Fynn und Lynn synchron ohne Umschweife.
Die Skorpione erwachten binnen Sekunden zum tödlichen Leben und schossen eine volle Breitseite in das Heck Handelsschiffs. Ein kurzes Aufglimmen der Segel als diese Feuer fingen, dann zerriss es das andere Schiff in tausende Trümmerteile die durchs Wasser trieben.
Die Mannschaft der Silberbärte brach in Jubel aus. Lynn verneigte sich wie ein Schauspieler im Theater zum Dank, während Fynn sich darauf beschränkte breit zu grinsen.
Dieses Schiff war in vielerlei Hinsicht wirklich einzigartig. War es nicht nur antik, sondern auch effektiv. So verfügte es über ein ausgeklügeltes Rettungssystem für seine Mannschaft, sollte es jemals schwer beschädigt oder gar zerstört werden.
Aber das Besondere hier war die Mannschaft. Diese Mannschaft war das Herzblut dieses Kolosses. Durchzogen mit zig Gängen die es mit regem Treiben am Leben hielten, waren die Mannschaftsmitglieder die Blutkörperchen in diesen Adern die alle wichtigen Dinge an den richtigen Ort transportierten.
Es herrschte strenge Hierarchie, aber dennoch gab es hier keine Todesstrafe an Bord. Jedes dieser Leben an Bord war für seine Kapitäne wichtig.
Und dass war es was die Bellavistal ausmachte.
"Passt! Was habe ich Dir wegen dem Riesenkraken gesagt?", grinste Lynn.
"Wegen der Schnecke", lachte Fynn.
Dann erfolgte der magische Ruf und die Bellavistal schoss in Richtung Skille davon.
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